3. Januar 1990 // vers 1 ⌠399⌡ ├400┤
/Seite_1
/├kein Foto┤
/⌠Seite 1
/ Zum Geschenk für meinen lieben
/ Bruder David Friedlander von
/ seinem
/%Königsberg, den 19ten %August ergebenen Bruder
/1782. Simon Friedlander⌡
/
/
/Seite_2
/├kein Foto┤
/⌠Seite 2
/leer⌡
/⌠Seite 3⌡
/Seite_3
/ ≥√Prooemium_\\_Proemium⌡≤
/Alle Geschicklichkeit, die man besitzt, erfordert
am Ende eine √kenntniß_\\_Kenntnis⌡ von der Art, wie wir
davon Gebrauch machen sollen. Die Kenntnis die
in der Anwendung zum Grunde liegt, heißt
die Kenntnis der Welt. Die Kenntnis der
Welt ist eine Kenntnis des Schauplatzes, auf
dem wir alle Geschicklichkeit anwenden kön-
nen. Die Kenntniße sind von zwiefacher
Vollkommenheit, theoretische und √pracktische_\\_praktische⌡
Vollkommenheit. Die theoretische besteht da-
rinn, daß wir wißen, was zu gewißen
Entzwecken erfordert wird, und geht also
den Verstand an, die pragmatische besteht
in der UrtheilsKraft sich aller Geschicklich-
keit zu bedienen, sie ist nötig zum Sie-
/⌠Seite 4⌡
/gel aller
/Seite_4
/unserer Geschicklichkeit. Der Grund
der pragmatischen Kenntnis ist die √Kenntnis_\\_Kennt⌡
der Welt, wo man von allen theoretischen
Kenntnißen Gebrauch machen kann. Durch
die Welt √wird_\\_wir⌡ hier verstanden der Innbegrif
aller Verhältniße├,┤ in die der Mensch kom-
men kann, wo er seine Einsichten und Ge-
schicklichkeiten ausüben kann. Die Welt als
ein Gegenstand des äußeren Sinnes ist
Natur, die Welt als ein Gegenstand des in-
neren Sinnes ist der Mensch. Also kann der
Mensch in zwiefache Verhältniße kommen,
in die Verhältniße, wo er die Kenntni-
ße der Natur, und in die Verhältniße,
wo er die Kenntniße des Menschen nöthig
hat. Das Studium der Natur und des Men-
schen, macht das √Studium_\\_Studium⌡ oder die Kenntnis
/⌠Seite 5⌡
/der Welt
/Seite_5
/aus. Wer viel theoretische Kennt-
niße hat, der viel weiß, aber keine Geschick-
lichkeit hat, davon einen Gebrauch zu machen,
der ist gelehrt für die Schule nicht aber für
die Welt √und_\\_. Und⌡ diese Geschicklichkeit ist die Pedan-
terie. √Man_\\_Mann⌡ kann für einige Verhältniße
Geschicklichkeit haben √z_\\_Z⌡. E. so schickt sich einer gut
zur Schule, allein es fehlt uns eine allgemei-
ne Geschicklichkeit in allen √Verhältnißen_\\_Verhaltnißen⌡, in
die wir gerathen. Weil der Mensch nun nicht
weiß⌠,⌡ in was für Verhältniße er kommen
kann, so ist nöthig sich unbestimmt in allen
Verhältnißen Kenntniße zu erwerben. Die
Kenntnis aller Verhältniße ist die Kenntnis
der Welt. Um die Welt Kenntnis zu haben,
muß man ein √Gantzes_\\_gantzes⌡ studiren, aus wel-
chem Gantzen hernach die Theile bestimmt
/ werden
/⌠Seite 6⌡
/Seite_6
/werden √können_\\_konnen⌡, und daß ist ein System, so
ferne das manigfaltige aus der Idee des
Gantzen entsprungen ist, und der hat ein √Sy-
stem_\\_System⌡, der dem manigfaltigen im gantzen
der Erkenntniße eine Stelle zu geben weiß,
welches sich vom √Agregat_\\_Aggregat⌡ unterscheidet, wo
ein Gantzes nicht aus der Idee, sondern durch
Zusammensetzung entstehet. Wenn ich nun
die Verhältniße der Dinge studire, und den
manigfaltigen Theilen im Gantzen eine Stel-
le anzuweisen im Stande bin, √dann hab_\\_denn habe⌡ ich
eine Kenntnis der Natur. Ich kann aber
den Dingen eine Stelle anweisen in den
Begriffen, √dann_\\_denn⌡ wäre dieses ein Natur √Sy-
stem_\\_System⌡, oder ich kann den Dingen eine Stelle
in den Oertern anweisen, und dieses ge-
schiehet in der physischen Geographie.
/Seite_7
/Diese
/⌠Seite 7⌡
/gehört als der erste Theil zur Kenntnis der
Welt, in so ferne sie pragmatisch ist. Hier fal-
len viele physische Beobachtungen weg, es wird
nur das genommen, was in Ansehung der
√Kenntniß_\\_Kenntnis⌡ der Welt├,┤ so ferne sie nur pragma-
tisch ist, nöthig ist. Der zweyte Theil der Kennt-
nis der Welt ist die Kenntniß des Menschen,
der betrachtet wird so ferne uns √sein_\\_seine⌡ Kennt-
nis im Leben √intereßirt_\\_interessirt⌡. Also nicht specu-
lativ sondern pragmatisch nach Regeln der Klug-
heit seine Kenntnis anzuwenden├,┤ wird der
Mensch studirt, und das ist die Antropologie.
Uns √interessirt_\\_intereßirt⌡ nichts so sehr als ein anderer
Mensch, nicht die Natur ist der Gegenstand √un-
seres_\\_unsers⌡ Affects, sondern der Mensch. Wir besor-
gen nichts so als was uns in Ansehung an-
derer Menschen zu
/Seite_8
/Theil werden kann. Die
/ Natur
/⌠Seite 8⌡
/Natur kann uns nichts gewähren als Gemäch-
lichkeit und Unterhalt, welches nur unter Men-
schen gebraucht werden kann, und alle elende
Umstände in Ansehung der √Gemachlichkeit_\\_Gemächlichkeit⌡ und
des Unterhalts können wir nur in so ferne
nicht ertragen, als so √fern_\\_ferne⌡ es wir mit an-
dern Menschen nicht gemein haben können.
Wir beschweren uns nicht über die Natur selbst
in Ansehung unserer dürftigen Umstände,
sondern weil es andere Menschen beßer
haben als wir. Wenn jederzeit meine Mahl-
zeit Waßer und √Brodt_\\_Brod⌡ ist, so √grämmt_\\_grämt⌡ mich das,
weil ich weiß daß es andere Menschen be-
ßer haben; wenn aber die Stadt belagert
wird, und alle ├zusammen┤ in der Stadt daßelbe eßen⌠,⌡
müßen, so bin ich bey meiner schlechten
Kost vergnügt und
/Seite_9
/fröhlichen Hertzens, weil
/ mir
/⌠Seite 9⌡
/mir keiner darinnen vorzuziehen ist. Es
intereßirt uns also der Mensch mehr als die
Natur, denn die Natur ist wegen des Men-
schen, der Mensch ist der Zweck der Natur.
/ √Man_\\_Mann⌡ sagt: der Mensch kennt die Welt,
wenn er gereist ist, und sie gesehen hat. Al-
lein da ist noch keine Kenntnis der Welt,
derjenige aber kennt die Welt, der den Men-
schen kennt√, d_\\_. D⌡ie Kenntniß des Menschen kann
aber zwiefach √sein_\\_seyn⌡.
/1. Das zufällige Betragen oder Verhalten
der Menschen, oder der Zustand
/2. Die Natur der Menschheit
/Die Antropologie ist aber nicht eine totale⌠,⌡
sondern eine generale Antropologie. √Man_\\_Mann⌡
lernt darinnen nicht den Zustand der Men-
schen sondern die Natur der
/Seite_10
/Menschheit ken-
nen, denn die totalen Beschaffenheiten der
/ Menschen
/⌠Seite 10⌡
/Menschen verändern sich immer, die Natur
der √Menschen_\\_Menschheit⌡ aber nicht. Die Antropologie
ist also eine pragmatische Kenntnis deßen
was aus seiner Natur fließt, aber nicht ei-
ne √Physische_\\_physische⌡ oder √Geographische_\\_geographische⌡, denn die sind
an Zeit und Ort gebunden├,┤ und nicht be-
ständig. Wer gereist ist, und viele Menschen
hat kennen lernen, den Zustand und
die Moden von den berühmtesten Städten
gelernt hat, von dem kann man doch
nicht sagen, daß er den Menschen kennt,
denn er ├hat┤ nur den Zustand kennen
gelernt, der sehr veränderlich ist, wenn
ich aber die Menschheit kenne, so muß
die auf alle Arten der Menschen paßen.
Es ist
/Seite_11
/also die Antropologie nicht eine
/ Beschreibung
/⌠Seite 11⌡
/Beschreibung vom Menschen, sondern von
der Natur des Menschen. Also betrachten
wir die Kenntnis des Menschen in Ansehung
seiner Natur. Die Kenntnis der Mensch-
heit ist zugleich meine Kenntnis. Zum Grun-
de muß also eine natürliche Kenntnis
liegen, nach welcher wir urtheilen kön-
nen, was √bei_\\_bey⌡ √jedem_\\_iedem⌡ Menschen zum
Grunde liegt; alsdenn haben wir sichere
√Principia_\\_principia⌡├,┤ nach denen wir verfahren
können. Dahero müßen wir uns selbst
studiren, und weil wir das auf ande-
re anwenden wollen, so müßen wir
die Menschheit studiren, nicht aber psycho-
logisch oder speculativ, sondern pragma-
tisch, denn alle pragmatische Lehren sind
/ Klugheits
/⌠Seite 12⌡
/Klugheits Lehren├,┤ wo wir zu allen
/Seite_12
/unsern
Geschicklichkeiten auch die Mittel haben, von
allem einen gehörigen Gebrauch zu machen,
denn wir studiren den Menschen um klü-
ger zu werden, welche Klugheit zur Wi-
ßenschaft wird. Wir dürfen also nicht rei-
sen um den Menschen zu studiren, son-
dern wir können seine Natur allenthal-
ben erwegen. Der Mensch aber, das √Sub-
ject_\\_Subiect⌡ muß √studirt_\\_studiert⌡ werden, ob er auch das
praestiren kann, was man fordert, das
er thun soll√._\\_:⌡ Die Ursache├,┤ daß die Moral
und Kanzelreden, die voll von Ermah-
nungen sind, in denen man niemals
müde wird, weniger √Effect_\\_Affekt⌡ haben, ist
der Mangel der √Kenntniß_\\_Kenntnis⌡ des Menschen.
/ Die
/⌠Seite 13⌡
/Die Moral muß mit der Kenntnis der Mensch-
heit verbunden werden.
/Seite_13
/Die Enthaltung
von vielen Lastern ist nicht die Folge von
der Moral und Religion, sondern von der
Verfeinerung. Man unterläßt Laster
nicht deswegen, weil sie wieder die Mo-
ral sind├, sondern weil sie so grob sind┤. Damit aber die Moral und die
Religion ihren Entzweck erhalten, so muß
die Kenntnis der Menschen damit ver-
bunden werden. Die Natur hat ihre
√Phoenomene_\\_Phaenomene⌡, aber der Mensch hat auch sei-
ne √Phoenomene_\\_Phaenomene⌡. Es hat noch keiner ei-
ne Welthistorie geschrieben, wo zu-
gleich eine Geschichte der Menschheit war,
sondern nur den Zustand und die Ver-
√änderung_\\_anderung⌡ der Reiche, welches zwar als
/ ein
/⌠Seite 14⌡
/ein Theil was großes, aber im √Gantzen_\\_gantzen⌡
genommen, ist es eine Kleinigkeit. Alle
/Seite_14
/Ge-
schichte der Kriege kommen auf eins √hinaus_\\_heraus⌡,
indem sie nichts mehr als die Beschreibun-
gen der √Bataillen_\\_Bataillen⌡ in sich enthalten. Ob nun
eine Schlacht mehr oder weniger √gewon-
nen_\\_gewesen⌡, das macht im Ganzen nichts aus.
Es √sollte_\\_solte⌡ aber dabey mehr auf die Mensch-
heit gesehen werden. Hume gab durch
seine Geschichte von √Engeland_\\_Engelland⌡ einen Be-
weis davon√. Den_\\_, denn⌡ Menschen zu beobachten,
und sein Verhalten, seine √Phaenomena_\\_Phoenomena⌡
unter Regeln zu bringen├,┤ ist der Zweck
der √Antropologie⌡Antropologie⌡. Alle √Antropologien⌡Antropologien⌡,
die man noch zur Zeit hat, haben noch
die Idee nicht gehabt, die wir hier von
uns haben. Alles was kein Verhältnis
/ zum
/⌠Seite 15⌡
/zum klugen √Verhalten_\\_Verhälten⌡ des Menschen hat,
gehört nicht zur
/Seite_15
/Antropologie. Dasjenige
gehört nur in die Antropologie, wovon auf
der Stelle ein kluger Gebrauch im Leben
genommen werden kann. Alles wo die
√Ideen_\\_Ideen⌡ entspringen, gehört zur √Speculation_\\_speculation⌡ und
nicht in die Antropologie, so wie Platt-
ner es gemacht hat.
/Wodurch entspringt die Antropologie? Durch
Sammlung vieler Beobachtungen von Men-
schen solcher √Auctoren_\\_Autoren⌡, die scharfe Kenntnis
des Menschen gehabt haben. Z. E. √Scheackes
pears_\\_Scheakespaars⌡ theatralische Wercke, der englische Zu-
schauer und Montagne Versuche nebst
deßen Leben, ist auch ein Buch fürs Leben
und nicht für die Schule√:_\\_.⌡ das Feld des Men-
schen ist schon sehr ausgebreitet, und es ver-
/ dient
/⌠Seite 16⌡
/dient also, daß es zusammen als ein
/Seite_16
/Gantzes, und nicht neben andern Wißen-
schaften vorgetragen werde, denn die √Phy-
sic_\\_Physik⌡ ist die Kenntnis des Gegenstandes der
äußeren Sinne, und die Kenntnis des Men-
schen als des Gegenstandes der √inneren_\\_innern⌡
Sinne, macht ein eben solches Feld aus,
folglich verdient es eben solche Mühe,
und als solche Wißenschaft auf √Academien_\\_Akademien⌡
√tractiret_\\_traktiret⌡ zu werden, als die Physik. Und
im Grunde betrachtet, ist der Mensch eher
der Mühe √wert_\\_werth⌡ √studiret_\\_studirt⌡ zu werden, und
daß man ihn solcher Betrachtungen wür-
dige⌠,⌡ als die ganze √Körperliche_\\_körperliche⌡ Natur.
√Man_\\_Mann⌡ glaubte, es sey zuwenig in einer
Wißenschaft hievon zu sagen, dahero schob
man es in die √Methaphisik_\\_Metaphysik⌡ ein, und zwar
/ in
/⌠Seite 17⌡
/in die √Psychologie_\\_Psychologie⌡, welches die empirische
/Seite_17
/Psychologie ausmacht, wo es doch √ganz_\\_gantz⌡ und
gar nicht hingehört, in dem die √Metaphysic_\\_Metaphysik⌡
mit keinen empirischen Wißenschaften et-
was zu √tun_\\_thun⌡ hat.
/
/≥ Nähere Abhandlung der Antropologie
/ Von der Selbstheit des Menschen├.┤ ≤
/ Es ist kein Gedancke der andern zum Grun-
de liegt als der Gedancke vom Ich. Diese
Vorstellung vom Ich und das Vermögen den
Gedancken zu faßen⌠,⌡ ist der wesentliche Un-
terschied des Menschen von allen Thieren.
Dieses ist die Persönlichkeit sich seiner selbst
bewust zu seyn. Kinder bedienen sich spät
des Worts Ich. Sie können sich selbst noch nicht
betrachten, und haben noch nicht das Ver-
/ mögen
/⌠Seite 18⌡
/mögen ihre Gedancken auf sich selbst zu
richten. Dieser
/Seite_18
/Begrif vom Ich ist von
großer Fruchtbarkeit, es ist die Qvelle wor-
aus vieles hergeleitet wird.
/1. Die Substantialitaet. Die Seele ist das
eigentliche Ich, es ist ein √Subject_\\_Subiekt⌡, welches
kein √Praedicat_\\_Praedikat⌡ vom andern ist.
/2. Die Einfachheit, denn es ist eine Einheit
im stricktesten Verstande, und hat kei-
nen √pluralis_\\_Pluralis⌡, es kann nicht vertheilt
werden, es können nicht viele ein Ich
ausmachen folglich ist es ein einfa-
cher √Begriff_\\_Begrif⌡.
/3. ⌠Die⌡ Spontaneitaet folgt auch daraus, denn
wenn ich sage: ich thue, so werde ich nicht
bewegt.
/Das Ich selbst bedeutet die Seele, oder das
√Innere_\\_innere⌡. Der Körper ist ein äußerer Ge-
/ genstand
/⌠Seite 19⌡
/Seite_19
/genstand meiner Sinne, aber das Ich sehe
ich nicht durch den √äußeren_\\_äußern⌡, sondern durch
den inneren Sinn, ich schaue mich selbst an.
Wir können bei der Seele unterscheiden
Geist und Gemüth. Das Gemüth ist die Art,
wie die Seele von den Dingen afficirt
wird, es ist das Vermögen über seinen
Zustand ├zu reflecti-
ren, und seinen Zustand┤ auf sich selbst und seine Persönlich-
keit zu beziehen. Der Geist oder die See-
le ist das √Subject_\\_Subiekt⌡ das da denckt, es ist also
thätig, das Gemüth aber ist leidend. Der
hat ein gut Gemüth, der gelehrig ist, und
sich gut ziehen läßt. Der Begrif des Gei-
stes aber setzt den Begrif √de«s»r «Geistes»_\\_der⌡ Thätig-
keit zum voraus. Ein cörperlicher Schmertz
geht unsere Seele an, die Betrübnis aber
geht das Gemüth an, und
/Seite_20
/hat daselbst ihren
Sitz. Es giebt viele Uebel in unserer
/ Seele
/⌠Seite 20⌡
/Seele aber nicht in unserm Gemüth. Wir
fühlen nicht allein den Schmertz in der
Seele, sondern wir betrüben uns noch
über diesen Schmertz in unserm Gemüth,
⌠und⌡ wir fühlen nicht allein eine Freude in
unserer Seele, sondern wir vergnügen
uns noch darüber, daß wir freudig sind
in unserm Gemüth. Es ist keine Schwäche⌠,⌡
über ein erlittenes Unglück Schmertzen
in unserer Seele zu empfinden, aber
die Betrübnis über diesen Schmertz wird
einem gesetzten Manne übel genom-
men. So ist es auch keine Schwäche über
ein Glück Freude zu empfinden, allein
sich über diese
/Seite_21
/Freude außerordentlich zu
vergnügen, ist kindisch. Wenn also der
Schmertz aus der aus der Seele ins Ge-
müth übertritt, so macht er Betrübnis,
/ und
/⌠Seite 21⌡
/und wenn die Freude der Seele ins Ge-
müth übergeht, so entstehet dadurch ein
kindisches Vergnügen. Man verlangt al-
so von einem weisen Mann, daß er von
dem entfernt ist, was zum Gemüth ge-
höret. Das Gemüth ist also ein Vermögen
dasjenige zu empfinden, was man em-
pfindet√: dahero_\\_. Daher⌡ ist animus und anima
unterschieden. √Man_\\_Mann⌡ nennt auch animus
sonst mens⌠,⌡ allein mens möchte auch schon
Geist bedeuten. In der Seele ist also das
Gemüth was anderes, was wir sonst Ge-
müth oder Gefühl nennen. Die Thiere sind
weder
/Seite_22
/der Betrübnis noch der Freude fä-
hig, weil sie nicht über ihren Zustand
reflectiren können, folglich sind sie auch
keiner Glückseeligkeit und keines Unglücks
/ fähig
/⌠Seite 22⌡
/fähig, ├denn durch das reflecktiren ist der Mensch
nur des Glücks und des Unglücks fähig,┤ er hat es also in seiner Gewalt.
Der Begrif vom Ich pragmatisch betrach-
tet, ist der √allerinteressanteste_\\_allerintereßenteste⌡ Gedancke,
auf den man alles anwendet oder
√reducirt_\\_reduciert⌡. Der Mensch ist sehr geneigt in
Gesellschaft immer von sich selbst zu spre-
chen, obgleich die Klugheit dieses etwas
einschränckt. √Jeder_\\_Ieder⌡ Mensch ist in √seinem_\\_seinen⌡ Ge-
dancken ein Egoist√,_\\_-⌡ weil aber jeder so ist,
so schränckt einer den andern ein. Dem
/Seite_23
/Montagne wird es vorgeworfen, daß
er immer von sich redet. Der Deutsche
hält diese Selbstheit durch Bescheidenheit
zurück, indem er das ich in den √Briefen_\\_Briefe⌡
immer nachsetzet. Das √wir_\\_Wir⌡ ist eigentlich
ein Ausdruck der Bescheidenheit, indem
der König alsdenn die Räthe mit rechnet,
/ allein
/⌠Seite 23⌡
/allein √jetzo_\\_ietzo⌡ solls bedeuten, daß der König
das gantze Volck repraesentiret. Im mo-
ralischen Beurtheilen├,┤ ist das Vermögen
nöthig sein Ich zu versetzen⌠,⌡ und sich in
den √Standpunckt_\\_Stand Punckt⌡ und die Stelle des andern
zu setzen, so daß man mit ihm denckt, und
sich in ihm fühlt. Wenn wir von andern
Menschen urtheilen wollen, so müßen wir den
Standpunckt verändern und zwar
/Seite_24
/1. meinen Standpunckt versetzen und denn
/2. mich in des andern seinen versetzen, und
alsdenn können wir den Werth der Handlun-
gen eines andern bestimmen, wenn wir
die zwey √Standpunckte_\\_Stand Punckte⌡ verändern kön-
nen. Standpunckte zu √nehmen_\\_«machen»nehmen⌡ ist eine Ge-
schicklichkeit, die man sich durch Uebung er-
werben kann. Man findet in der Gesell-
/ schaft,
/⌠Seite 24⌡
/schaft, daß sich Menschen in die Stelle der an-
dern nicht setzen können, daß sie mit ihm
fühlen, empfinden⌠,⌡ und sehen wie das vor-
kommt, sondern sie sehen immer auf sich.
Alle Regeln, von dem was da läßt, und
sich schickt sind Regeln├,┤ wo ich mich aus einem
andern Standpunckt anschauen kann, und
der √weiß sich_\\_sich weis⌡ geziemend aufzuführen,
der solche Standpunckte außer sich nehmen kann.
/Seite_25
/Der Mensch kann also √zwiefach_\\_zwifach⌡ betrach-
tet werden, als Tier und als Intelligenz.
Als Thier ist er der Empfindungen, Eindrücke
und Vorstellungen fähig, als √Intelligenz_\\_Intelligenz⌡
ist er sich seiner selbst bewust, welches allen
obern Kräften zum Grunde lieget; als In-
telligenz hat er √«m»Macht_\\_macht⌡ über seinen Zustand
und über seine Thierheit, und in so ferne
/ heißt
/⌠Seite 25⌡
/√heißt_\\_heist⌡ das Geist. Wenn die √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ bey
Seite gesetzt wird├,┤ so ist der Mensch als Thier
betrachtet. Wenn er was als √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡
betrachtet, so betrachtet er es durch den
Verstand. So fürchtet sich der Mensch vor √vielen_\\_vielem⌡
aber als Thier √z_\\_Z⌡. E. wenn er auf einem
hohen Thurm steht; sein Verstand sagt ihm
daß dazu keine Ursache ist. Er tadelt das
als √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ was er als Thier
/Seite_26
/begehrt.
Wir tadlen auch an andern ihr Tempera-
ment, und rühmen ihren √Charakter_\\_Charackter⌡. Das
Temperament betrift die Thierheit. Kein
Mensch haßet sich selbst, und wünschet sich was
böses, aber er ärgert sich über sich selbst,
besonders der √unbesonnene_\\_Unbesonnene⌡ und √unbe-
dachtsame_\\_Unbedachtsame⌡. Woher √komt_\\_kommt⌡ das√._\\_?⌡ Im Menschen
ist ein zwiefaches √Subject_\\_Subiekt⌡, wenn er sich selbst
/ tadelt,
/⌠Seite 26⌡
/tadelt, so thut er es als √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡, wenn
er von sich getadelt wird, so wird er als
Thier getadelt. Also betrachtet sich der Mensch
aus zwey Gesichtspunckten als Thier und
als √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡. Die √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ macht die
Persönlichkeit aus, die aber mit der Thier-
heit combinirt @¿sich¿@. In der combinirten
/Seite_27
/Per-
sönlichkeit ist immer ein natürlicher Wie-
derstreit, indem die Thierheit auf der
Dependenz der Seele vom √Körper_\\_Cörper⌡ be-
ruht, und die √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ auf der Herr-
schaft der Seele über den √Körper_\\_Cörper⌡. Also
muß die √Personlichkeit_\\_Persönlichkeit⌡ Harmonie bey
sich führen, die durch den √Zwang_\\_Zwanck⌡ erlangt
wird, durch √Selbstbeherrschung_\\_Selbstbeherschung⌡ nach gewi-
ßen Regeln und durch Disciplin. √Beide_\\_Beyde⌡
unterscheidet der Mensch bey Gelegenheit
der ├Sinne und bey Gele-
genheit der┤ Urtheile nach √Reflexion_\\_Reflection⌡. Nach der Thier
/ heit
/⌠Seite 27⌡
/heit √urtheilt_\\_urtheilet⌡ er, was ihm wohl schmeckt, und
auf der andern Seite urtheilt er als √Intel-
ligentz_\\_Intelligenz⌡ ob es gut ist, so auch bey Gelegen-
heit der Sinne √z_\\_Z⌡. E. nach der Thierheit wird
geurtheilt,
/Seite_28
/daß sich alles um die Erde be-
wege, und die Erde stille stehe, nach der √Intel-
ligentz_\\_Intelligenz⌡ aber nicht. Wenn das Bild des Mon-
des beym Aufgange größer ist, so urtheilt
man als Thier, daß der Mond größer ist,
obgleich man als √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ weiß, daß der
Mond beständig gleich groß ist. Und diese
Erscheinung kann der größte √Astronom_\\_Astronom⌡ nicht
verhindern, ob √gleich er_\\_er gleich⌡ es gantz gewiß an-
ders √weiß_\\_weis⌡.
/Wenn der Mensch alles auf seine √Intelligentz_\\_Intelligentz⌡
bezieht, so ist das die Selbstsichtigkeit, denn alle
unsere √Empfindungen_\\_Empfindung⌡ ist entweder ausschlie-
ßend oder theilnehmend. Selbstliebe ist bil-
/ lig.
/⌠Seite 28⌡
/lig. Eigenliebe und Eigendünckel ist aus
schließend. Wenn wir etwas lesen eine
Geschichte oder einen Roman,
/Seite_29
/so setzen wir
uns immer in die Stelle des andern, und
das ist die Theilnehmung. Jeder Mensch als
Person oder als √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ vermöge des
Ichs bezieht alle √Gedanken_\\_Gedancken⌡ auf sich⌠,⌡ es ist
ihm in der gantzen Welt nichts näher
als er selbst, also ist er in Ansehung seiner
focus der Welt, wenn er aber √ausschlie-
ßend alles_\\_alles ausschließend⌡ auf sich bezieht, so macht er sich
zum √Centro Focus_\\_Centro Focus⌡ der Welt├,┤ ist √ieder_\\_jeder⌡ Mensch⌠,⌡
aber nicht √Centrum_\\_Centrum⌡. So spricht jeder Mensch
gerne von sich⌠,⌡ und ist bemüht sich zum
√Centro_\\_Centro⌡ zu machen. Also ist immer ein
Streit, damit aber dieses nicht geschicht,
so muß ein jeder die Grentze beobachten,
/ und
/⌠Seite 29⌡
/und die Distanz der Gleichheit halten, so daß
zwischen mir und einem andern ein In-
terwall ist, und man sich
/Seite_30
/nicht völlig gantz
berühre, welches dadurch geschiehet, wenn
man etwas von seiner Person dem an-
dern Preis giebt. Dahero ist es auch von
einem Autor bescheiden⌠,⌡ wenn er durch
wir spricht, denn alsdenn theilt er seine
Urtheile mit dem andern. Warum wird
in einigen Sprachen allgemein das ihr
gebraucht, und in andern das Sie? Der
Grund scheinet in der Achtung für die Men-
ge zu liegen, die wir einer Person bey-
legen, dahero unsere Sprache, die das all-
gemeine √Ihr_\\_ihr⌡ nicht hat, sondern einen Unter-
scheid beobachtet, zwischen √Du_\\_du⌡, √Er_\\_er⌡ und √Sie_\\_sie⌡
solche Leichtigkeit nicht hat, sondern eine
/ Peinlichkeit,
/⌠Seite 30⌡
/Peinlichkeit, und einen √Zwanck_\\_Zwang⌡ bey sich
führet in Austheilung dieser Worte, wel-
che auf das Genie einen
/Seite_31
/Einfluß √hat_\\_haben⌡. Es
wäre also gut, wenn das abgeschaft wür-
de, welches auch in den Sitten eine Ver-
änderung machen möchte. Der Franzose
sagt zum Vornehmen Vous, und der Vor-
nehme zum niedrigen auch √vous_\\_Vous⌡, folglich
ist da keine Peinlichkeit, welche √doch bey uns allmählich_\\_bey
uns doch allmälich⌡ das Genie feßelt. Der
√Körper_\\_Cörper⌡ als √Subject_\\_Subiekt⌡ der Thierheit ist so
wichtig, daß er durch diesen Cörper eben
der Mensch ist, und durch einen andern √Cor-
per_\\_Cörper⌡ ein anderer Mensch seyn würde.
Der Cörper giebt uns oft den Werth, und
die √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ wird oft nicht verlangt;
so wirbt der √officier_\\_Officier⌡ die Thierheit an dem
/ Menschen
/⌠Seite 31⌡
/Menschen nicht die Intelligentz.
/
/Seite_32
/
/ ≥ Von den verschiedenen Hand-
/ lungen der Seele. ≤
/Das Bewustseyn ist zweyerley seiner selbst
und der Gegenstände. So ist ⌠oft⌡ ein Mensch
der sich der Gegenstände außer ihm bewust
ist, und darüber sehr in Gedancken ist, seiner
selbst sich nicht bewust. Das Bewustseyn
der Gegenstände ist also etwas anderes
als seiner selbst. √Je_\\_Ie⌡ mehr wir uns der Ge-
genstände bewust seyn, desto mehr sind
wir in uns. Die Beobachtung der Dinge
ist nicht so beschwerlich als die Beobachtung
seiner selbst, ├«kurz ist»┤ obgleich die Beobachtung sei-
ner selbst kurtz ist. Die Gewohnheit sich
selbst zu beobachten, ist schädlich, giebt Ge-
/ legenheit
/⌠Seite 32⌡
/legenheit zur Schwärmerey├,┤ und macht⌠,⌡
daß man die Welt verkennt. Die Selbst-
beobachtung ist schwer und
/Seite_33
/unnatürlich, und
kann ⌠wohl⌡ √einmahl_\\_einmal⌡ zur Revision gesche-
hen, muß aber nicht lange dauren. Die
Hauptsache muß in der Thätigkeit bestehen.
Es giebt eine Art von Gedanckenlosigkeit
und Gedancken Entschlagung nicht von an-
dern Gegenständen sondern seiner selbst,
und diese ist eine wahre Erholung, wenn
man sich selbst beobachtet hat. Der √anali-
tische_\\_analytische⌡ Theil der Philosophie, wo man seine
Begriffe √analysirt_\\_analisirt⌡, und auch sich selbst be-
obachtet, ist der √ermüdenste_\\_ermüdendste⌡ Theil der √Phy-
losophie_\\_Philosopie⌡. Aber die Selbstbeobachtung seiner
Empfindungen und nicht seiner Begriffe
/ macht
/⌠Seite 33⌡
/macht einen zum Phantasten.
/Die Erholungen bestehen oft nicht in Ruhe
sondern in andern Beschäftigungen, so spielt
der Schmidt Kegel um sich zu erholen, und der
Philosoph √Charten_\\_Carten⌡.
/Die Selbstbeobachtung in Ansehung der
/Seite_34
/äußeren Erscheinung, oder wie man dem
andern in die Sinne fallen möchte ist √Affe-
ctation_\\_Affektation⌡. Die Maniren eines solchen sind ge-
zwungen und genirt, oder sie ist affectirt,
das ist gekünstelt. Hiezu werden die Kin-
der dadurch angewöhnt, wenn man zu
ihnen sagt: wie läßt das, wie schickt sich
das, man bringt sie dadurch auf die Art
Acht zu haben, wie sie dem andern in die
Sinne fallen möchten. Derjenige √fällt_\\_fält⌡ am
besten in die Augen, der gar nicht daran
/ denckt,
/⌠Seite 34⌡
/denckt, wie er wohl andern in die Au-
gen fallen möchte. Anfangs muß man
sich wohl Mühe geben, aber im gemeinen
Leben muß man solches nicht beobachten,
da muß man schon darinn fertig seyn.
Wer etwas erzählt, der muß nicht mehr
auf sich selbst Acht haben, hat er das, und
künstelt an seinen Ausdrücken, so gefällt
er nicht mehr,
/Seite_35
/und ist peinlich, die Fertigkeit
⌠aber⌡ muß er sich schon erworben haben.
√z_\\_Z⌡. E. ein √Acteur_\\_Akteur⌡. Wenn einer √nicht auf sich_\\_auf sich
nicht⌡ Acht haben darf, so gewinnt er die √Naivität_\\_Naivitaet⌡
und Natur, denn die Kunst giebt den Ver-
dacht des Scheins und nicht der Würck-
lichkeit.
/
/ ≥Von den duncklen Vorstellungen der
/ Seele ≤
/ Die duncklen Vorstellungen enthalten die
/ gehei
/⌠Seite 35⌡
/geheime Feder von dem was im Lichten
geschiehet, daher müßen wir sie erwegen.
Dunckle Vorstellungen sind solche, deren man
sich nicht bewust ist. Woher kann man √sie denn_\\_sich⌡
betrachten? Unmittelbar nicht, allein ich kann
schließen, daß in mir solche Vorstellungen
sind, deren ich mir nicht bewust bin √z_\\_Z⌡. E. ich
sehe die Milchstraße als einen weißen Strei-
fen und durch
/Seite_36
/den Tubum sehe ich eine Men-
ge von Sternen. Eben diese Sterne habe
ich auch mit den bloßen Augen gesehen,
denn sonst hätte ich √nicht die Milchstraße_\\_ die Milchstarße nicht⌡ sehen
können, und ich war mir deßen nicht bewust;
ich hatte also dunckle Vorstellungen von den
Sternen. √Man_\\_Mann⌡ mercke überhaupt von √de-
nen_\\_den⌡ duncklen Vorstellungen folgendes
/1. Die menschliche Seele thut das meinste
/ in
/⌠Seite 36⌡
/in der Dunckelheit
/2.) ihr größter Schatz an Erkenntnißen be-
steht in der Dunckelheit √z_\\_Z⌡. E. wenn der Mensch
lieset, so giebt die Seele auf den Buchsta-
ben acht, √denn_\\_den⌡ buchstabiret sie├,┤ √den_\\_denn⌡ lieset
sie, denn giebt sie darauf √Acht_\\_acht⌡, was sie lie-
set. Alles deßen ist sich der Mensch nicht be-
wust. Ein √Musicus_\\_Musikus⌡, der da phantasirt muß
seine Reflexion anstellen auf jeden Fin-
ger den er setzt, auf das Spielen, auf das
was
/Seite_37
/er spielen will, und auf das neue was
er hervorbringen will. Thäte er das
nicht├,┤ so könnte er auch nicht spielen, er ist
sich aber deßen nicht bewust. Hier muß
man die Kürtze der √Seelen_\\_Seele⌡ bewundern,
√indem_\\_in der⌡ sie auf alle √Fingern_\\_Finger⌡, auf das was
gespielt wird, und auch auf was man
/ den
/⌠Seite 37⌡
/den Augenblick spielen will reflectirt. Die-
ses geschiehet alles in den duncklen Vorstel-
lungen. Dieses zu beobachten, ist ein gro-
ßes Geschäfte √des_\\_der⌡ Philosophen.
/Der √größte_\\_großte⌡ Schatz der Seele besteht in der
√Dunckelheit_\\_Dunkelheit⌡. Ein großer Theil philosophischer Ge-
dancken ist schon vorher im duncklen prae-
parirt. Die Urtheile, die aus den duncklen
Vorstellungen entspringen├,┤ müßen wir
erklären und √noviren_\\_noviren⌡ √z_\\_Z⌡. E. warum kann
man einen solchen, der alles zusammen
√zuraffen_\\_zu raffen⌡ sucht, um es hernach zu ver-
schwenden, eher
/Seite_38
/leiden, als einen kargen
filzigen Menschen, obgleich der Karge keinem
Unrecht thut, und daß er in Ansehung sei-
ner √filtzig_\\_filzig⌡ lebt, was geht uns das an, wel-
ches auch solche karge geitzige vorwenden.
/ Worinn
/⌠Seite 38⌡
/Worinn √liegt_\\_ligt⌡ die Ursache? √es_\\_Es⌡ muß doch
eine seyn├,┤ weil es allgemein ist: die Grün-
de müßen doch in der Vernunft zusammen
stimmen. Die Ursache ist: er setzt den Ge-
brauch der Güter, so viel an ihm ist außer
der Menschheit. Was allgemein √geurthei-
let_\\_geurtheilt⌡ wird durch den gesunden Verstand,
muß man nicht für √ungeräumt_\\_ungereimt⌡ halten,
weil es keinen Grund hat, der Grund
ist aber in der Vernunft, denn sonst könn-
ten die Menschen nicht allgemein urthei-
len. Der Grund ist aber √doch_\\_noch⌡ in der √Dunk-
kelheit_\\_Dunckelheit⌡, und den muß man zu
/Seite_39
/noviren
suchen √z_\\_Z⌡. E. ein betrunckener Mann ist
leidlicher als ein betrunckenes Weib, je-
dermann √urtheilet_\\_urtheilt⌡ so, wo ist der Grund?
Das Frauenzimmer ist der Anfechtung un-
/ ter
/⌠Seite 39⌡
/terworfen. Warum giebt man dem √Frem-
den_\\_fremden⌡ die rechte Seite? Die rechte Hand ist
geschäftig, also laßen wir ihm diese frey.
Warum nehmen wir den √Vornehmsten_\\_Vornemsten⌡ von
dreyen in die Mitte? Weil er √alsdenn_\\_alsden⌡
von beyden Seiten reden kann. Das lag
alles in der Vernunft, nur wir waren
uns deßen nicht bewust. Ja├,┤ es giebt Wi-
ßenschaften von der Art, und das ist die
√analitische_\\_analytische⌡ Philosophie, wo man durch Aus-
wickelung dunckle Vorstellungen √licht_\\_leicht⌡ macht.
So ist es in der Moral durch Erklä-
rung der Tugend, da muß man einen
auf seine eigene Gedancken, denn der
Begrif
/Seite_40
/der Tugend liegt schon in ihm. √So-
krates_\\_Socrates⌡ sagt: er √ware_\\_wäre⌡ die Hebamme der
/ Gedancken
/⌠Seite 40⌡
/Gedancken seiner Auditorum.
/Wenn ich mir in einem Augenblick aller
√dunckeln_\\_duncklen⌡ Vorstellungen auf einmahl be-
wust werden möchte, so √würde_\\_möchte⌡ ich mich
über mich selbst sehr wundern müßen.
So ist auch das, was in meinem √Gedachnis_\\_Gedächtnis⌡
ist, √dünckel_\\_dunckel⌡, und bin ich mich deßen nicht
bewust. Was schon einmahl im Gemüth
des Menschen ist, das verliert er nicht mehr├,┤
nur es in ihm dunckel, und er braucht Mit-
tel solches aus der Dunckelheit zu noviren.
Bey manchem fällt es sehr schwer. Wenn
man dahero was erzählen soll: so √weiß_\\_weis⌡
man von nichts, obgleich man, wenn man
alles √erzahlen_\\_erzählen⌡ sollte, was man √weiß_\\_weis⌡, ei-
nen √Qvartanten_\\_Qvartanten⌡
/Seite_41
/schreiben könnte bis
eine
⌠Seite 41⌡
eine Materie gegeben ist. Der Verstand wird durch dunckle
Vorstellungen irrig gemacht, und daraus entstehen ⌠die⌡
Skrupel.
Wir haben √Belieben_\\_belieben⌡ unser Gemüth im √duncklen_\\_dunklen⌡
√spaciren_\\_spaziren⌡ gehen zu laßen, welches die versteckte und
verblümte √Redensarten_\\_Redens Arten⌡ beweisen. Iede Dunckelheit
die sich plötzlich √auf klärt_\\_aufklärt⌡, macht
√Annehmlichkeit_\\_Annemlichkeit⌡├,┤ und √ergözt_\\_ergötzt⌡ sehr├,┤
und darinn besteht die Kunst eines Autors seine Gedancken so zu
verstecken, daß der Leser sie gleich von selbst auflösen können,
hiezu gehören die Schertze und Einfälle. Das klare aber ermüdet
bald. Allein wir spielen nicht allein mit solchen duncklen
Vorstellungen, sondern wir sind auch selbst ein Spiel der
duncklen
/Seite_42
/√Vorstellungen_\\_Vorstellung⌡. So benennt man oft natürliche Dinge
mit
einem
⌠Seite 42⌡
/einem Ausdruck der fremden Sprache lieber als mit einem teutschen
Ausdruck, obgleich der andere eben so gut den Ausdruck der
fremden Sprache versteht, als seiner eigenen. Allein der fremde
Ausdruck muß doch √allererst_\\_erst⌡ im Gemüth übersetzt werden,
und den kommt der Begrif erst ins Gemüth, also ists ein
Umschweif√,_\\_;⌡ durch den Umschweif aber wird der Begrif
√schwacher_\\_schwächer⌡, so wie ein √Lichtstrahl_\\_Lichtstral⌡ durch
öftere Brechung, und daher gefällt uns der fremde Ausdruck beßer
Z. E. √hofieren_\\_Hofieren⌡, dafür Cour machen, wenn aber der fremde Ausdruck
schon gar zu oft gebraucht wird, und eben so als der eigene
aufgenommen wird, denn verliert
/Seite_43
/er den √Schleier_\\_Schleuer⌡, den er erst hatte Z. E. man sagte an
statt der √spanischen_\\_Spanischen⌡ Po-
cken
⌠Seite 43⌡
cken, ⌠die⌡ Franzosen, welches aber schon eben so allgemein
aufgenommen ist. So sagt man oft einem √Großen_\\_großen⌡ und
√Vornehmen_\\_vornehmen⌡ verdeckt die Wahrheit, der es eben so
versteht, als wenn sie offenbar wäre.
Ein jeder Einfall, der im Anfange ein Rathsel ist, auf welches
aber der Aufschluß gleich folget, ist auch eine Uebersetzung und
ein Umschweif im Gemüth, und das Gemüth freut sich eine
Schwierigkeit aufgelöset zu haben. Also geht es im Gemüth so zu
als im optischen Kasten. Die Kunst so zu √ver-
dunckeln_\\_verduncklen⌡, daß der andere durchschauen kann,
erfordert viel Witz, und gehöret zur Bescheidenheit und zur
Manierlichkeit,
/Seite_44
/die erworben werden muß.
Zu den dunckeln Vorstellungen gehören
auch
⌠Seite 44⌡
auch noch die vorläufigen Urtheile. Ehe der Mensch ein Urtheil
√fällt_\\_fält⌡, welches bestimmt ist, so fällt er schon im voraus
im √Dunckeln_\\_Duncklen⌡ ein vorläufiges Urtheil. Dieses leitet ihn
um etwas zu suchen Z. E. wer unbekannte Länder sucht⌠,⌡ wird doch
nicht gerade zu ins Meer fahren, sondern er urtheilt vorher. Ein
√iedes_\\_jedes⌡ bestimtes Urtheil hat also ein vorläufiges Urtheil.
√Daher_\\_Dahero⌡ ist das Studium des Gemüths in Ansehung des
geheimen Verfahrens der Seele des Menschen sehr wichtig. Auf der
andern Seite mercken wir auch, daß der Mensch selbst ein Spiel
der Dunckelheit ist. Wir lieben die Dunckelheit
/Seite_45
/sehr, und haben Neigung zum Aberglauben, Wahrsagungen und
mystischen Sachen├,┤ denn alles dieses macht größere
Erwartung
⌠Seite 45⌡
Erwartung im Gemüth, als es hernach ist, wenn man es im
√Lichten_\\_lichten⌡ einsiehet. So wie in der Dämmerung alles größer
erscheint├,┤ als im Lichten, so macht auch die Dunckelheit
größere Erwartungen.
≥Von der Deutlichkeit.≤
Vor aller Deutlichkeit geht Ordnung vorher. Die Deutlichkeit ist ein Werck des Verstandes und die Klarheit ein Werck der Sinne, denn die Deutlichkeit beruht auf der Reflexion. Der Deutlichkeit ist die Undeutlichkeit, der Ordnung die Verwirrung ent- gegengesetzt. Also ist die Ordnung/Seite_46
/die Bedingung der Deutlichkeit, und die Verwirrung der
Undeutlichkeit. Im dencken und handeln muß Ordnung herrschen.
Alle
Ordnung
⌠Seite 46⌡
Ordnung hat aber eine Regel, und darinn sind die Menschen sehr
verschieden. Einige Menschen haben schon von Natur einen Geist
der Ordnung, es fehlt ihnen nur an Materien├,┤ die sie ordnen
könnten; sie bringen aber auch das wenige, was sie wißen, in
gewißer Ordnung hervor, so daß der Geist der Ordnung gleich zu
sehen ist, ob er gleich übrigens gantz leer ist, und weil die
Ordnung nur die Bedingung ist, so fehlt es ihnen an Materie Z. E.
so hält jemand Ordnung mit seinen Büchern und leidet nicht,
/Seite_47
/daß sie sich auf dem Tisch herumtreiben, und deswegen lieset er
sie auch nicht um sie nicht aus der Ordnung zu bringen, daher
viele den gantzen Tag nur ordnen und
auf
⌠Seite 47⌡
aufräumen. Solche Ordnung kann auch im Dencken statt finden, und
das ist denn eine ⌠«h»⌡Peinlichkeit der Regel ├, welche man
Pedanterie nennt. Die Regel┤ muß uns nicht regieren, wir müßen
nicht was machen, um eine Regel heraus zu bekommen├,┤ also der
Regel zu gefallen, denn sonst ist man dem Zwange der Regel
unterworfen. Eine solche formale Ordnung nennt man Schulgerecht.
Also erfordert die Deutlichkeit Ordnung, und der Geist der
Ordnung im
/Seite_48
/Vortrage ist ein großes Talent. So hat oft ein
Mensch ein großes Genie aber keinen Geist der Ordnung, um
√dasjenige_\\_das wenige⌡ zu ordnen├,┤ was sein Gemüth hervor
bringt. Der Geist der Deutschen ist methodisch und ordentlich,
vieles bringen sie vor um
der
⌠Seite 48⌡
um der Ordnung Willen. Den √Engeländern_\\_Engelländern⌡ fehlt der
Geist der Ordnung und der Abtheilung, wodurch man einen
deutlichen Begrif vom Gantzen haben könnte.
≥ Vom mannigfaltigen der Vollkommenheit und Unvollkommenheit der √Erkentniße_\\_Erkenntniße⌡.≤
Die Vollkommenheit der √Erkenntniße_\\_Erkentniße⌡ ist dreyfach/Seite_49
/Object.
2.) Das √Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ der Erkentniße zum Subject.
3.) Das √Verhältnis_\\_Verhältniß«e»⌡ der Erkenntniße unter einan-
der⌠.⌡
√Zudem_\\_Zu dem⌡ Verhältnis der Erkenntniße zum Object und zwar der
Qvalitaet nach gehöret, Wahrheit und √Gewißheit_\\_Gewisheit⌡. Das
Mittel zu beiden ist die Deutlichkeit. Der √Qvalitaet_\\_Qvantitaet⌡
nach ist die √Erkenntniß_\\_Erkenntnis⌡ in Ansehung des Objects
vollkommen├,┤ der Größe, der Vollständigkeit⌠,⌡ der Ab-
gemeßen
⌠Seite 49⌡
gemeßenheit nach. Zu der Vollkommenheit der Erkenntniße dem
Subject nach gehört Leichtigkeit Lebhaftigkeit und Neuigkeit. Ich
erkenne den Gegenstand deswegen nicht beßer, wenn er mir leicht,
neu und √Lebhaft_\\_lebhaft⌡ vorkommt, sondern der Unterschied
betrift den Menschen selbst, und nicht den
/Seite_50
/Gegenstand, er liebt das neue, weil er seine Erkenntnis
vermehrt├,┤ und größer ist, als das alte.
Zu der Vollkommenheit der Erkenntniße unter einander gehört
Vergesellschaftung, Ordnung, Einheit, und den auch
√Mannigfaltigkeit_\\_Manigfaltigkeit⌡ und √Abstechung._\\_Abstehung⌡
Die Wahrheit der Erkenntniße ist die Grund Vollkommenheit⌠,⌡ und
zwar in Ansehung des Gegenstandes; das intereßirt
zwar
⌠Seite 50⌡
zwar nicht so, aber es ist die Bedingung von allen übrigen
Vollkommenheiten. Der Schein ist von der Wahrheit zu
unterscheiden, ist beqvemer und wird von dem Menschen lieber
gesehen. Man muß bey der Erkenntnis nicht zuerst auf den
√Nutzen_\\_Nuzzen⌡, sondern auf die Wahrheit sehen. So ferne uns ein
Erkenntnis ein Gesetz
/Seite_51
/entdeckt, so ist sie wichtig, wenn wir auch keinen andern Nutzen
davon einsehen Z. E. der zuerst die √geometrischen_\\_Geometrischen⌡ Sätze
entdeckte, der hat nur eine Regel entdeckt, die damals keinen
Nutzen hatte, aber hernach in vielen Fällen gebraucht werden
konnte, ob er sie gleich damals nicht √einsahe_\\_einsache⌡. Man muß also auf
Hofnung des Nutzens sich mit der
Wahrheit
⌠Seite 51⌡
Wahrheit begnügen laßen.
Das Gegentheil der Vollkommenheit der Erkenntniße ist Irrthum
und ├Unwißenheit. Die┤ Unwißenheit ist eine Unvollkommenheit der
Faulen, und der Irrthum ist eine Unvollkommenheit der thätigen.
Die Thätigkeit der Versuche ist oft die Mutter der Irrthümer.
Eine Erkenntnis kann klein, aber sicher √von_\\_vor⌡ Irrthümern
seyn, aber auf der andern Seite kann eine Erkenntnis √groß_\\_gros⌡
/Seite_52
/und erweitert aber unsicher vor Irrthümern seyn. Die Irrthümer
folgen unsern Urtheilen, besonders wenn wir auf dem Wege sind,
und sind nicht zu vermeiden⌠,⌡ und auch nicht so gleich zu heben
ohne die Hülfsmittel die dazu gehören. Es ist also ge-
nung
⌠Seite 52⌡
nung, wenn man seine Erkenntnis von Irrthümern sichten kann, aber
ungeduldig dürfen wir nicht so gleich über einen Irrthum werden,
wenn er auch von andern begangen wird, √den_\\_denn⌡ wer im dencken
läuft, kann eher einen Irrthum begehen als der ├da┤
√krichet_\\_kriechet⌡. √Diejenige_\\_Diejenigen⌡ Erkenntniße, die den
Irrthum verdächtig machen, sind die √paradoxen_\\_Paradoxen⌡
Erkenntniße, welches befremdende Erkenntniße sind, dahero man von
einem Autor der
/Seite_53
/Paradox ist├,┤ was neues lernen kann, wenn man ihn beurtheilt,
weil er vom alten Wege abweicht, und einen neuen wählt. Allein
ein solcher Autor ist ein Waghals nach der
Vernunft
⌠Seite 53⌡
Vernunft, indem er sich √sowohl_\\_so wohl⌡ dem Gewinnen als dem
√Verlieren_\\_Verliehren⌡ Preis giebt. Schlägts ihm ein, so hat er
den Vortheil davon, schlägts ihm fehl, so verdient er doch
deswegen Lob, weil er so viel Hardiesse gehabt zu wagen. Ein
anderer, der nicht so hardu ist, hält sich an der
√gemeinen_\\_Gemeinen⌡ Meinung, damit er nicht fehle. Die Franzosen
lieben sehr die Hardiesse der Gedancken, indem sie was wagen, und
sich dadurch dem Lob oder dem Tadel √aussezzen_\\_aussetzen⌡. Das
ist ein kleiner Geist, der in einem unausgearbeiteten Buch, wo
/Seite_54
/Irrthümer sind, doch die Idee des Genies nicht einsieht, das sie
doch gewagt hat, solches zu sagen. √Man_\\_Mann⌡ muß solche Autoren
die
⌠Seite 54⌡
die paradox sind, lesen, indem man viel neues darinn findet.
Unsere Erkenntniße können Klarheit haben im Verstande, und
Stärcke in Empfindung. Wir können im Vortrage unterscheiden die
emphatischen⌠,⌡ und hypostatischen Erkenntniße. Diese Eintheilung
ist vom Aristoteles entlehnt, der die √Materien_\\_Meteoren⌡ so
eintheilte. So ist der Regenbogen emphatisch, und der Blitz
hypostatisch. Emphatisch wäre also, was eine √Stärcke_\\_Starcke⌡
der √Empfindung_\\_Empfindungen⌡ macht, und hypostatisch wo eine
selbstständige √Schonheit_\\_Schönheit⌡ ist. Der englische Zuschauer hat
selbstständige
/Seite_55
/Schönheit der Ausputz der Rede in Bildern gehört zur
emphatischen
⌠Seite 55⌡
emphatischen √Schönheit_\\_Schonheit⌡.
≥Von dem Unterschied der Sinnlichkeit und Verhältnis gegen den Verstand.≤
Wir hören über die Sinnlichkeit, als über den √Qvell_\\_Quell⌡ aller Verwirrungen und Irrthümer klagen; sie wird also beschuldigt, daß sie die Ursache der Irrthümer sey, und man klagt, daß der Verstand nicht mehr herrsche⌠,⌡ als die Sinnlichkeit. Von der andern Seite hat sie ihre Verdienste, indem sie das was der Verstand √kalt_\\_«k¿¿t»<kalt>⌡ reflektirt├,┤ anschauend macht, und da wird der Verstand getadelt, daß er nicht mehr sinnlich ist. Was sollen wir nun hievon halten? Unsere Vollkommenheit bestehet darinn, daß wir/Seite_56
/unser Vermögen
und
⌠Seite 56⌡
und Fähigkeiten der freien Willkühr unterwerfen können; wenn das
aber auch ist, so ist noch nöthig, daß noch eine Macht und Kraft
sey├,┤ solches auszuüben, was die √freye_\\_freie⌡ Willkühr
entwirft. Sie ist also die Bedingung, unter der die Kräfte ge-
braucht werden können. Es sind also √zwey_\\_zwei⌡ Stücke zur
Vollkommenheit nöthig, die potestas rectoria und executoria. Die
rectoria ist ohne die executoria blind√:_\\_,⌡ √Die_\\_die⌡ Sinn-
lichkeit ist ein Hauptstück des Menschen so ferne sie eine
executive Gewalt hat, wodurch der Verstand einen Effect hat, wenn
er mit den Sinnen verbunden ist. Auf der andern Seite sind die
Sinnen nicht fähig zu regieren, und sind oft
eine
⌠Seite 57⌡
eine √Hinderniß_\\_Hindernis⌡. So sind sie einerseits
√vortheilhaft_\\_Vorteilhaft⌡, √andernseits_\\_anderseits⌡
/Seite_57
/hinderlich. Unsere Imagination ist der √freyen_\\_freien⌡ Willkühr
schlecht unterworfen, denn der Mensch kann nicht
√wizzige_\\_witzige⌡ Einfälle haben wenn er will, sondern er muß
abwarten, und so ist es auch mit den Trieben und Neigungen der
Menschen beschaffen, und das ist der Fehler der Sinnlichkeit.
Dieser Fehler der Sinnlichkeit ist nur in so ferne sie nicht
disciplinirt ist, soll sie der freien Willkühr unterworfen
werden, so muß sie disciplinirt seyn, damit sie ein Werckzeug des
Verstandes sey, ├die er braucht um seine Ideen anschauend zu
machen. Also ist es falsch, daß die Sinnlichkeit die Ursache des
Irrthums sey,┤ denn die Sinne urtheilen nicht, folglich können
sie auch nicht irren. Bey den Sinnen entsteht
zwar
⌠Seite 58⌡
zwar √der_\\_ein⌡ Schein, der aber
/Seite_58
/im Verstande vorgeht, also betrügt sich der Verstand selbst. Was
wir der Sinnlichkeit zum Nachtheil sagen können├,┤ ist daß ihre
Stärcke für die Stärcke des Verstandes der Proportion nach zu
groß sey. Der Verstand kann nichts ausführen, sondern die
Sinnlichkeit muß ihm Materie geben. Es ist eine große
Vollkommenheit dem Verstande viel Sinnlichkeit zu geben, denn die
enthält die Materie, die der Verstand in Ordnung bringt. Die
Sinnlichkeit macht das anschauend├,┤ was der Verstand überhaupt
urtheilt. Also hat die Sinnlichkeit zur Funcktion das, was der
Verstand √reflektirt_\\_reflecktirt⌡ anschauend zu machen. In
Ansehung des Willens sind die Sinne
eine
⌠Seite 59⌡
eine Triebfeder, der Verstand √hat aber_\\_aber hat⌡
/Seite_59
/keine Triebfeder. √Man_\\_Mann⌡ sieht gar nicht wie der Verstand
das was er einsieht, √den_\\_denn⌡ Sinnen beybringen kann, und wie
er in die Sinne √würckt, _\\_wirckt⌡, da er keine bewegende Kraft
hat. Wir sind leidend, und die √passive_\\_Passive⌡ Seite der
Menschen ist die Sinnlichkeit, aber die Sinne sind auch zugleich
leidende Instrumente des Verstandes, dahero muß die Sinnlichkeit
√excoliret_\\_exculiret⌡ werden, daß sie Brauchbarkeit hat, und denn
muß sie √disciplinirt_\\_discipliniret⌡ werden, daß sie ein
Instrument des Verstandes sey.
≥Von der Leichtigkeit und Schwierigkeit ≤
Es giebt eine innre Leichtigkeit und/Seite_60
/zur Wirckung ist die innere Leichtigkeit, und je weniger
Ueberschuß ist, desto schwerer ists. Die äußere Leichtigkeit ist
die Entfernung der Hinderniße, die äußere Schwierigkeit ist⌠,⌡ wo
die Hinderniße sind. Beschwerlich bedeutet die Schwierigkeit⌠,⌡
die zufälliger Weise von Umständen begleitet wird.
√Cerimonien_\\_Cerimonien⌡, √Formalitäten_\\_Formalitaeten⌡ und
√Complimente_\\_Complimente⌡ sind beschwerlich. Es giebt auch
gesellschaftliche Beschwerlichkeiten Z. E. Gratulationen├,┤ Ge-
sundheiten. Es ist nichts lächerlicher als einen
gesellschaftlichen Umgang beschwerlich zu machen. Es kann etwas
weniger beschwerlich seyn aber doch schwerer als ein von
Cerimonien gereinigter
Gebrauch
⌠Seite 61⌡
Gebrauch in der Religion. Wo es aber mehr auf die Moralitaet
√ankommt_\\_ankomt⌡├,┤
/Seite_61
/ist weniger beschwerlich, aber doch schwerer├,┤ √etwas_\\_Etwas⌡
leichtes zu thun, ist kein Ruhm, aber etwas leicht zu machen, und
etwas schweres zu thun, ist ein Ruhm. Einem kommt etwas leicht
vor, und das ist das leichtfällige, und einem kommt etwas schwer
vor⌠,⌡ und das ist das √schwerfällige_\\_Schwerfällige⌡.
Etwas erfordert einen anhaltenden Fleis ohne starcke Anstrengung
und das ist √Einsinnigkeit_\\_Emsigkeit⌡, etwas erfordert einen
anhaltenden √Fleiß_\\_Fleis⌡ mit starcker Anstrengung⌠,⌡ und
√daß_\\_das⌡ ist Faulheit. Alle Faulen arbeiten sich zu √tode_\\_Tode⌡,
sie √sehnen_\\_scheuen⌡ sich viel Arbeit in kurtzer Zeit zu thun, um
viel Zeit zur Muße übrig zu behalten. Es
frägt
⌠Seite 62⌡
frägt sich also, was beßer ist├,┤ die Arbeit in kurtzer Zeit
√zu_\\_«gantz»<zu>⌡ verrichten, um die übrige Zeit gantz zur
/Seite_62
/Muße zu haben, oder dieselbe Arbeit in langer Zeit ganz
√allmählich_\\_allmählig⌡, ohne Zeit zur Muße ├übrig┤ zu haben zu
verrichten? Der √Unterscheid_\\_Unterschied⌡ beruht auf den
√Temperamenten_\\_Temperamenten⌡ des Menschen. Der
√Cholerische_\\_cholerische⌡ ist von Natur beschäftigt, der wählt
⌠beständig⌡ Beschäftigungen zu aller Zeit. Der
√Phlegmatische_\\_pflegmatische⌡ wählt schwere Arbeiten in kurtzer
Zeit√,_\\_.⌡ √der_\\_Der⌡ √Sangvinische_\\_Sangvinische⌡ leichte Arbeit in
kurtzer Zeit√._\\_,⌡ √Der_\\_der⌡ √Melancholische_\\_melancholische⌡
mühsame Arbeit in langer Zeit. Das Urtheil der Menschen in
Leistung einer Sache ist bey einigen zuerst leicht, und das sind
Leichtsinnige, ein anderer hält sein erstes
Urtheil
⌠Seite 63⌡
Urtheil für schwer, und das sind peinliche. Die größte
Vollkommenheit der Gemüths Kräfte beruht darauf, daß wir sie
unter unsere Willkühr bringen, und
/Seite_63
/je mehr sie der freien Willkühr unterworfen werden, desto
√großere_\\_größere⌡ Vollkommenheit der Gemüths Kräfte haben wir.
Haben wir sie nicht unter der Gewalt der freyen Willkühr, so ist
aller Vorrath zur solcher Vollkommenheit vergeblich, wenn wir
nicht mit den Gemüths √Kraften_\\_Kräften⌡ machen √konnen_\\_können⌡
was wir wollen. Um deswillen ist die √Attention_\\_Attention⌡ und
√Abstracktion_\\_Abstraktion⌡ als die zwey √formale_\\_formale⌡
Vermögen unseres Gemüths uns nur als denn nützlich, wenn sie
unter der freien Willkühr stehen, so daß die unwillkührliche
Aufmercksamkeit und Ab-
stracktion
⌠Seite 64⌡
stracktion vielen Schaden thut. Wir finden√._\\_,⌡ daß Menschen
unglücklich werden, daß sie √unwillkürlich_\\_unwillkührlich⌡ auf
etwas attendiren, oder abstrahiren Z. E. beym Affect der Liebe
√attendirt_\\_attendirt⌡ der
/Seite_64
/Mensch unwillkührlich auf die Schönheit der Gestalt einer
Person, und darüber vergießt er auf alles übrige zu
√attendiren_\\_attendiren⌡, was sein Glück dauerhafter macht. So
attendirt der Mensch auf eine unwillkührliche Art auf eine
Beleidigung, die ihm in einer Gesellschaft zugefügt ist, sie geht
ihm im Kopf herum, und er kann sich ihrer nicht entschlagen, aber
das Vermögen davon zu √abstrahiren_\\_abstrahiren⌡, beruhigt das
Gemüth sehr, ist das nicht, so bringt das Gemüth √Haß_\\_Has⌡
hervor, welches sehr unangenehm ist⌠,⌡ und das Gemüth befindet
sich in
der
⌠Seite 65⌡
der Verfaßung, die ihm selbst unangenehm ist, und ihn stets
√incommodirt_\\_inkommodirt⌡ und tadelt. Wenn ich aber die Kräfte
des Gemüths unter der freyen Willkühr habe, und attendiren und
abstrahiren
/Seite_65
/kann, wenn ich will, so schlag ich mir das aus dem Sinn, so ist
das Uebel getilgt, und die Ungemächlichkeit und die Ursach. Denn
wenn ein Mensch über jemanden aufgebracht ist, und der andere
merckt es, und wird ihn noch mehr beleidigen, schlägt er sich das
aber aus dem Sinn⌠,⌡ so ist der Beleidiger desto williger ihm ab-
zubitten.
Ich muß abstrahiren vom Uebel das nicht mehr zu √andern_\\_ändern⌡
ist, und von allen √Ungemähligkeiten_\\_Ungemächlichkeiten⌡, so empfinde ich das Schöne
der Welt. So wie man die Häs
lichkeit
⌠Seite 66⌡
lichkeit einer Person übersieht, wenn gute Gemüths Gaben sich
zeigen, auf die man mehr √attendirt_\\_attendirt⌡. Ein Gedancke ist
bey mir nicht in der Gewalt der mir aufstößt über alle Uebel,
allein ich kann ihm dadurch √abhelfen_\\_abhelffen⌡,
/Seite_66
/daß ich davon √abstrahire_\\_abstrahire⌡ und ihn aus dem Gemüth
schlage. So entspringen viele Uebel in der Gesellschaft dadurch,
daß sich ein √ieder_\\_jeder⌡ selbst geltend machen will, und ein
anderer darauf √attendirt_\\_attendirt⌡, aber man muß davon zu
√abstrahiren_\\_abstrahiren⌡ suchen.
Das √eintzige_\\_einzige⌡ was «ein»der Mensch in Ansehung aller
Uebel und Ungemächlichkeiten des Lebens thun kann, ist dieses,
daß er von alle dem zu abstrahiren sucht, und wenn er sein Gemüth
in sol-
cher
⌠Seite 67⌡
cher Gewalt hat, √dann_\\_denn⌡ hat er auch sein
√Schicksal_\\_Schicksaal⌡ in seiner Gewalt und ist im Stande das
Angenehme zu genießen. Hypochondrische Leute haben den Fehler,
daß sie durch die √unwillkührliche_\\_unwillkürliche⌡
Aufmercksamkeit worauf
/Seite_67
/√attendiren_\\_attendiren⌡, und sie sich gerne was √aus_\\_au«f»s⌡ dem Gemüth
schlagen wollten, wenn sie nur könnten. Zerstreute √Leute_\\_Leuthe⌡
haben wieder den Fehler, daß sie von allem abstrahiren. Wenn die
√hypochondrischen_\\_Hypochondrischen⌡ was gehört├,┤ oder gesehen
haben, so geht ihnen das immer im Kopf herum, und es plagt sie
beständig Z. E. wenn sie bey einer Hinrichtung zugegen sind. Es
ist nicht zu befürchten, daß sie auch eine Mißethat begehen
werden, sondern es ist der Fehler ihrer Willkühr, die nicht Macht
hat
⌠Seite 68⌡
hat zu abstrahiren.
Einem einzigen Gedancken muß man niemals ├lange┤ nachhängen, es mag der
Gedancke seyn, von welcher Art er will, denn dadurch wird die
Organisation des Gehirns
/Seite_68
/├gleichsam┤ laedirt. Einer Materie kann man lange nachdencken,
aber nicht einem Gedancken, denn die Spur löschet sich im Gemüth
nicht so leicht ab, indem √sich_\\_sie⌡ da├,┤ wo die Theile
√geschwächt_\\_geschwacht⌡ sind, alle Uebel hinziehen, und alle Ge-
dancken √da hinaus_\\_dahin aus⌡ laufen, so wie an einem Schaden,
den man am Fuß hat alle ungesunde Säfte sich hinziehen. Also
weder einem Gedancken der Freude noch der Andacht⌠,⌡ noch des
Grams, noch der Speculation muß man lange
nachhängen.
⌠Seite 69⌡
nachhängen. Wer sich darinn geübt hat, der kann sein Gemüth den
Augenblick in eine andere Stellung bringen, er kann vergnügt
werden├,┤ wenn er kurtz vorhero misvergnügt war.
Der
/Seite_69
/Attention setzen wir die √Discipation_\\_Dissipation⌡ oder die
Zerstreuung des Gemüths entgegen. So kann man in einer
Gesellschaft dissipiren├,┤ und von andern Dingen reden, und nicht
davon wovon man √denckt_\\_denkt⌡, denn da man doch reden muß, so
denckt man dem nach, was man redet, und vergißt darüber das
vorige. Wer aber nur zuhört, der adhaerirt dem einen Gedancken
an.
Die √Abstracktion_\\_Abstraktion⌡ scheint was willkührliches zu
seyn, allein sie ist eine würckliche Ar-
beit
⌠Seite 70⌡
beit und Bemühung. Hat mans nicht in seiner Gewalt zu
abstrahiren, so läuft die √Imagination_\\_Imagination⌡ ihren Weg⌠,⌡
so wie ein Strom Z. E. wenn ich einen Menschen sehe, so stelle
ich mir sogleich seine gantze Gestalt vor,
/Seite_70
/und wenn ein Punckt an ihm merckwürdig ist, so adhaerirt das
Gemüth ├immer┤ der merckwürdigen Stelle Z. E. es fehlt einem ein
Knopf an dem Rock, oder es ist einem ein Zahn ausgefallen, so
sieht man immer auf den fehlenden Knopf und auf die Zahnlücke.
Ueberhaupt hat das Gemüth einen Hang alles zu vollenden⌠,⌡ und
ein gewißes √Gantze_\\_gantze⌡ zu machen, daher ist es schwer zu
abstrahiren. Wenn etwas zum Gantzen der Vorstellung gehört, ├und
es fehlt etwas im Gantzen,┤ so gehört eine Bemühung dazu solche
ver-
bindende
⌠Seite 71⌡
bindende Vorstellungen abzusondern. Zu der Attention hat das
Gemüth eine natürliche Kraft, und es wäre im
/Seite_71
/Stande sich auf einmahl alles vorzustellen⌠,⌡ wenn nicht
Hinderniße wären. Die Abstracktion muß also das hindern, dahero
auch solche Wißenschaften, die Abstracktion nöthig haben,
schwerer sind. Durch die √Abstracktion_\\_Abstraktion⌡ wird das Gemüth in
Schrancken gesetzt⌠,⌡ und abgehalten von der Bemühung zu dencken.
Also braucht das Vermögen zu abstrahiren, mehr Cultur, als zu
attendiren. Es ist dem Menschen schwer zu abstrahiren, und
besonders denn⌠,⌡ wenn er sich die größte Mühe giebt Z. E. wenn
man in einem Zeitpunckte ehrbar, und ernsthaft aussehen soll Z.
E. wenn alle vom Tische auf-
stehen
⌠Seite 72⌡
stehen und beten wollen, oder in der Kirche, und es √fällt_\\_fält⌡
was lächerliches vor: so
/Seite_72
/zwingt man sich sehr, und es hält schwer davon zu abstrahiren,
obgleich die √Ersthaftigkeit_\\_Ernsthaftigkeit⌡ nur in Formalitaet beruht.
≥ De perceptionibus complexis⌠,⌡ primitivis et adhaerentibus.≤
Wir müßen jede Vorstellung nackt und abgesondert von √allen_\\_allem⌡ betrachten, oder mit gewißen angehörigen und anhängenden Vorstellungen unter gewißer Begleitung sie erwegen und zwar deshalb um die Aufmercksamkeit zu reitzen, und die √Stärcke_\\_Starcke⌡ des Eindrucks zu vermehren Z. E. so √nimmt_\\_nimt⌡ ein Herr viele Bediente mit, wenn er sie auch nicht braucht, um sich einen/Seite_73
/anderer zu reitzen. Das √gute_\\_Gute⌡ können wir
auch nicht andern √rekommandiren_\\_recommandiren⌡ als durch die
Begleitung⌠,⌡ und durch die Hinzuthuung von andern Vorstellungen.
Rabner sagt√:_\\_,⌡ ein gesunder Verstand ist so wie Rindfleisch und
Schweinfleisch für den Tisch der Bauren, aber eine
√Ragout_\\_Ragout⌡ von Thierheit mit der Säure von Witz, ist für
einen fürstlichen Tisch. Wozu dienen die Bilder in der Rede, als
daß sie die Haupt Vorstellung nur mit Brillanten auszieren
√sollen_\\_solten⌡, und ein Ramen um das Bild auszuzieren. So macht
man mehr √Complimente_\\_Complimente⌡ vor einen solchen Menschen├,┤
der schöne Kleider hat├,┤ als der sie nicht hat, und solche
anhängende Vor-
stellun-
⌠Seite 74⌡
stellungen⌠,⌡ fließen
/Seite_74
/auf die Haupt Vorstellung, und verstärcken dieselbe.
Wo die Hauptvorstellung nicht mit adhaerirenden Vorstellungen
ausgefüllt ist, so ist die Vorstellung trocken. Diese Trockenheit
der Vorstellung ist oft nöthig um die √Hauptvorstellung_\\_Haupt
Vorstellung⌡ desto reiner vorzutragen und einzusehen, indem durch
die adhaerirende Vorstellungen die Hauptvorstellung verdunckelt
wird. So geht es mit der Andacht, so daß die Menschen die
adhaerirende Vorstellung eher für Andacht halten⌠,⌡ als die
Hauptvorstellung selbst. Wenn also eine gantze Gemeine in einer
einstimmigen Absicht zusammen ⌠kommt⌡, so ist das eine Art von
Eindruck, der nur in der √For-
malitaet_\\_Formalitaet⌡
⌠Seite 75⌡
malitaet besteht, und den nennen
/Seite_75
/die Menschen Andacht, indem sie, wenn sie aus der Kirche kommen,
nicht ein Wort aus der Predigt als aus der Hauptvorstellung
wißen. Also wird oft die adhaerirende Vorstellung für die
Hauptvorstellung genommen.
≥Von den Sinnen.≤
Die Sinne sind dasjenige, wodurch wir uns Dinge √unmittelbar_\\_unmittelbahr⌡ vorstellen. Wir können uns zweyerley Sinne gedencken, einen innren Sinn, wodurch wir uns selbst anschauen, und einen äußern Sinn, wodurch wir die Gegenstände außer uns wahrnehmen. Der innere Sinn giebt √dem_\\_den⌡ Menschen den Vorzug vor den unvernünftigen Thieren⌠,⌡ hierauf beruht/Seite_76
/Dadurch daß er sich seiner selbst bewust ist, ist er alles
Glücks und Unglücks fähig, denn der Schmertz über ein Uebel ist
nicht das Unglück⌠,⌡ sondern der Gedancke über ⌠diesen Schmertz,
so ist auch die Freude über eine Glückseeligkeit nicht das Glück,
sondern der Gedancke über⌡ diese Freude. Z. E. ein
√Mädchen_\\_Mägdchen⌡, das den andern Tag auf den Ball geht,
empfindet ein Vergnügen über die Freude, die es daselbst haben
wird. Empfindet ein Mann ein Vergnügen über die Freude die er
genießen √«soll» <will>_\\_will⌡⌠,⌡ so ist er kindisch. Also die
√Betrübnis_\\_Betrübniß⌡ über den Schmertz und √des_\\_das⌡ Vergnügen
über die Freude├,┤ kommt
vom
⌠Seite 77⌡
vom √Bewustseyn_\\_Bewust seyn⌡ des √innern_\\_inneren⌡ Sinnes. Es ist
angenehm sich mit den äußeren Sinnen zu beschäftigen aber die
Aufmercksamkeit über den ineren
/Seite_77
/Sinn ist beschwerlich und √Gewaltsam_\\_gewaltsam⌡, ob es
gleich zur Revision nöthig ist, nur muß es nicht anhaltend seyn.
Wer daher auf seine Empfindungen und Geschmack sieht⌠,⌡ der ist
phantastisch. Der Landmann hat gar nicht auf sich acht, und
bemerckt kaum⌠,⌡ daß er kranck ist, bis er im Bette liegt, das
macht sein Geschäfte des äußeren Sinnes hält ihn davon ab, und
das macht ihn auch gesund.
Wer keinen Gegenstand des äußeren Sinnes √statuiret_\\_statuirt⌡,
der ist ein Idealist. Es giebt
auch
⌠Seite 78⌡
auch Idealisten des Geschmacks, die da sagen: es ist kein wahrer
allgemeiner Geschmack, sondern Gewohnheit und angenommene
√«Gewohnheit» Meinung_\\_Meinung⌡. Dieses Princip ist ein √Grund
Satz_\\_Grundsatz⌡
/Seite_78
/der Ungeselligkeit, √wenn_\\_we«il»nn⌡ wir nicht einen allgemeinen
Geschmack hätten, so könnten wir nicht zusammen aus einer Schüßel
eßen. So √konnen_\\_können⌡ wir uns einen vernünftigen
√Idealismus_\\_Idealismus⌡ vorstellen, der besteht darinn√:_\\_;⌡ daß
unser Glück nicht von den äußern Dingen abhängt, sondern die
Dinge den Werth haben, den wir ihnen geben. Sie müßen erst die
Censur des Gemüths passiren Z. E. wenn jemand erben soll, und
sich da-
durch
⌠Seite 79⌡
durch ein √paradisisches_\\_paradiesisches⌡ Glück vorstellt, so ist
nicht die Erbschaft solches Glück⌠,⌡ sondern die Vorstellung├,┤
die er davon hat√;_\\_,⌡ er hält es für ein großes Glück⌠,⌡ und her-
nach sieht er, daß es ein Unglück ist, indem er sich Feinde
/Seite_79
/zugezogen, die auch √erben wollten_\\_Erben wolten⌡, und sich mehr
√sorgen_\\_Sorgen⌡ auf den Hals geladen hat; hernach schreibt er das
Unglück den Dingen zu. Also besteht das Glück nicht in den
Dingen, sondern in der Art wie das Gemüth es aufnimmt. Das Gemüth
kann darinn sehr viel thun, es kann sich die gantze Welt
umformen. Hiezu giebt uns Gelegenheit die Nichtigkeit aller
Dinge├,┤ und die Kürtze des Lebens. Dieses ist das einzige
wodurch
wir
⌠Seite 80⌡
wir einsehen, daß die äußern Dinge nicht das Glück ausmachen. Das
Gemüth kann also leicht einsehen, daß das wahre Glück in der Idee
beruhe, und dieses ist der wahre Idealismus der vernünftig und
practisch ist.
Die äußern Sinne afficiren den Cörper.
/Seite_80
/Einige afficiren ihn äußerlich⌠,⌡ andere innerlich. Die
√ersten_\\_erstern⌡ sind Sinne der Anschauung├,┤ die andern Sinne
der Empfindung.
In allen Sinnen sind zwey Stücke zu unterscheiden⌠,⌡ Anschauung
und Empfindung. Die Sinne der Anschauung sind Objectiv⌠, die der
Empfindung sind subjectiv⌡. Die ersten stellen uns Gegenstände
dar, die andern
⌠Seite 81⌡
bestehen in der Art, wie wir von ihnen afficirt werden Z. E. beym
Sehen nehme ich Gegenstände war, aber beym Richen empfinde ich
einen Eindruck.
Die Objectiven Sinne sind. Das Fühlen tactus welches von dem
Gefühl überhaupt unterschieden ist, das √Horen_\\_Hören⌡ und Sehen.
Die subjectiven Sinne sind der Geruch und Geschmack, Wenn wir das
Gefühl mitrechneten, so √wären_\\_waren⌡ √Sechs_\\_6⌡ Sinne, aber
dieses ist ein allgemeiner Sinn,
/Seite_81
/und heißt nicht tactus sondern √Sensus_\\_sensus⌡.
/Durch Objective Sinne erkenne ich die Gegenstände mehr, √aber durchs
Subjektive_\\_als durch subjective⌡ nehme ich mehr den Genuß wahr.
Durch den √Tactum_\\_tactum⌡ erkennen wir die
√Substanzen_\\_substantzen⌡, ohne welchen Sinn wir sie nicht
erkennen könn-
⌠Seite 82⌡
ten, sondern wir würden nur Erscheinungen wahrnehmen.
Das Hören ist ein Sinn, der in der Ferne wahrnimmt. Durch das
√Hören_\\_Gehör <Hören>⌡ bekommen wir keinen Begrif vom Erkenntnis
des Gegenstandes, sondern es ist nur ein Spiel der Empfindung.
Das Hören stellt uns √den Gegenstand_\\_die Gegenstände⌡ ├nicht in
ihrer Gestalt┤ dar√;_\\_,⌡ wir haben keine Vorstellung⌠.⌡ und Begrif
√vom Gegenstande_\\_von Gegenständen⌡ als daß nur ein Gegenstand da
sey. Weil das Gehör
/Seite_82
/uns keinen Gegenstand, sondern nur einen Eindruck davon
√vorstellt_\\_darstelt⌡, so hat es folgenden Nutzen: es ist ein Sinn
der Geselligkeit, es dient die Zeichen der Gedancken
mitzutheilen, also ist es ein Mittel der Sprache, es dient
zum
⌠Seite 83⌡
zum Zeichen des Gegenstandes, also können die Figuren uns keine
Zeichen der Gegenstände geben, sondern der Gegenstand selbst.
Durchs Gehör theilen wir die Zeit ein. Alle Töne sind gleiche
Eintheilungen der Zeit durchs Gehör. Unser Gemüth hat
√groste_\\_große⌡ Feinheit, die Eintheilung der Zeit auf das
genaueste einzusehen, indem es alle Schwingungen der Seite, die
doch √proportionirt_\\_proportionirt⌡ sind, einsieht, obgleich eine
Seite 6000 Schwingungen in einer √secunde_\\_Secunde⌡ ausmacht.
/Seite_83
/Durchs Sehen erkenne ich die Gegenstände und bestimme sie. Das
Gesicht stellt uns die Gestalten der Dinge im Raume dar und
theilt den Raum ein. Also erkennen wir durchs Gefühl die
√Substanzen_\\_Substanzen⌡ durchs
⌠Seite 84⌡
Gehör theilen wir, die Zeit und durchs Gesicht den Raum.
Substanzen⌠,⌡ Raum und Zeit sind aber die √drey_\\_3⌡ Stücke der äußern
Gegenstände.
Die √subjectiven_\\_Subjectiven⌡ Sinne sind, die unsern Zustand
verändern, dahin gehört der Geruch und der Geschmack. Der bloße
Zustand ohne Beziehung auf andere Dinge ist das Gefühl
generaliter, und also kein besonderer Sinn, sondern er liegt
allen zum Grunde Z. E. so √überfällt_\\_überfält⌡ einen Menschen ein
Schaudern in einem tragischen
/Seite_84
/Stücke├,┤ in Zügen der Grosmuth, oder so schaudert einem, wenn
jemand mit einem steinernen Griffel über den Stein fährt, oder
wenn man auf was spitziges oder kanti-
⌠Seite 85⌡
ges scheuert, wovon √kein Grund im Gefühl_\\_im Gefühl kein Grund⌡
anzugeben ist, als dieser: daß die Nerwen durch diese scharfe
Töne aus ihrer Faßung gebracht werden. Der √Ge«b»r«a»uch_\\_Geruch⌡
und der Geschmack sind beide Sinne der Empfindung, wo die √Wir-
kung_\\_Wirckung⌡ auf unsern √Körper_\\_Cörper⌡ chimisch ist, so wie
bey den vorigen Sinnen die Wirckung mechanisch war. Chimisch ist
ein Einfluß durch Auflösung der Säfte, wodurch der Cörper
afficirt wird, mechanisch aber ist⌠,⌡ wenn die √Wirckung Würckung⌡ auf der
Oberfläche geschiehet, als beym Gefühl durch den Druck,
/Seite_85
/beym Sehen durch den Stoß des Lichts, und beym Hören durch den
Stoß der Luft. Aber
⌠Seite 86⌡
beym Richen und Schmecken, werden die Theile des Geruchs⌠,⌡ und
die Saltze von den Säften des Cörpers erst aufgelöset, dann von
den Organen abgenommen, und dann machen sie √<erst>_\\_erst⌡ ihre
Wirckung. Daher kann keiner mit trockenem Munde schmecken. Beym
Schmecken ist die saliva das √vehiculum_\\_Vehiculum⌡, diese löset
die Theile des √Körpers_\\_Cörpers⌡ auf, sie ist flüßig und vom
Speichel zu unterscheiden. Beym Geruch ist das vehiculum die
Luft, welche die Theile auflöset⌠,⌡ die durch die Nase
vermittelst der Luft in die Lunge gezogen werden. Also sind
Geruch und Geschmack √zwey_\\_2⌡ Sinne des Genußes. Was wir
⌠Seite 87⌡
riechen, vermischt sich mit
/Seite_86
/unserm Geruch├,┤ und das Schmecken vermischt sich mit den
Säften, also sind das die mächtigsten Sinne. Daher giebt es
keinen andern Sinn des Eckels als diese √zwey_\\_Zwey,⌡ es sey
denn⌠,⌡ wenn ein anderer mit ihnen verbunden wird, es kann wohl
was Wiederwillen hervorbringen, aber Eckel entsteht durch die
Berührung, daher der Eckel schwer zu beschreiben ist; es ist ein
Wiederwille├,┤ ein besonderer Abscheu, der nur bey dem Genuß
statt findet. Der Sinn des Geruchs hat das wenigste Urtheil,
dahero auch Kinder und viele Wilden nichts riechen, er ist der
feinste├,┤ und muß √informirt_\\_informirt⌡ werden, und man
⌠Seite 88⌡
kann ihn √vor_\\_von⌡ allen Sinnen am meinsten entbehren. Die äußere
Sinne
/Seite_87
/sind Sinne der Beurtheilung, diese aber der Empfindung, wir
werden dadurch am √meisten_\\_meinsten⌡ √afficirt_\\_afficirt⌡, also
dienen sie nicht dazu den Gegenstand kennen zu lernen, sondern
nur meinen eigenen Zustand zu empfinden, sie gehen uns also am
√meisten_\\_meinsten⌡ an, denn wenn ich sehe, so gebe ich auf den
Gegenstand acht, wenn ich aber rieche und schmecke⌠,⌡ so gebe ich
auf die Malification acht├,┤ wie mein Cörper afficirt wird,
dahero sind sie Sinne des √größten_\\_großten⌡ Eindrucks. Beym Sehen
ist das Object stärcker als das Subject, bey den andern Sinnen
aber ist
⌠Seite 89⌡
das √Subject_\\_subject⌡ √stärcker_\\_starcker⌡ als das Object. Ein
häslicher Gegenstand des Gesichts afficirt mich nicht so sehr,
als ein häslicher Gegenstand des Geruchs, denn durch den
/Seite_88
/Geruch wird der Gegenstand innigst aufgenommen, und mit dem
Cörper vermengt.
Die √objectiven_\\_Objectiven⌡ Sinne geben mehr
√Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡, und geben Anlaß zur Reflexion, die
√subiektiven_\\_subjectiven⌡ Sinne aber haben mehr Sensation als
√Reflexion_\\_Reflexion⌡. Die Sinne kommen der Bearbeitung und der Vorstellung
des Verstandes näher, je feiner der Stof von ihnen ist. So ist
das Gefühl dem Stof nach der gröbste Sinn, indem wir die Körper
nur in so ferne fühlen als sie undurchdringlich sind, der
⌠Seite 90⌡
Geschmack ist schon feiner, den wir schmecken etwas vermittelst
der Auflösung der Materie des Saltzes, also ist der √Stoff_\\_Stof⌡
schon feiner; der √Stoff_\\_Stof⌡ des Geruchs ist noch feiner, denn
da löset die Luft den Cörper auf, welche Auflösung feiner ist,
als die durch
/Seite_89
/die saliva. Das Gehör ⌠geschiehet⌡ geschiehet ⌠nur⌡ durch pure
Luft, und das Gesicht ist das feinste, indem es vermittelst des
Lichts geschiehet. Die Sinne sind edler⌠,⌡ √je mehr_\\_jemehr⌡
Menschen einen Antheil an ihnen nehmen können, und je mehr sie
uns die Gegenstände gemeinschaftlich machen, und die sind auch
die gesellschaftlichsten Z. E. das Gesicht ist der
gemeinschaftlichste Sinn, denn
⌠Seite 91⌡
ein Haus kann beständig von etlichen 1000 Menschen zugleich
gesehen werden. Er ist also ein Hauptsinn des Geschmacks, denn
der Geschmack bezieht sich auf eine allgemeine Mittheilung, daher
Menschen die gesellschaftlich sind, solche Gegenstände der
allgemeinen Mittheilung lieben Z. E. Schildereien. Das Gehör ist
der √zweite_\\_zweyte⌡ Sinn⌠,⌡ der sich mittheilen läßt, die
Mittheilung ist aber nicht so lange, wie beym Gesicht Z. E. eine
Rede, eine Music
/Seite_90
/können viele anhören. Wenn ich was sehe oder höre so urtheile
ich nicht bloß durch meinen Sinn, sondern auch vermittelst der
Sinne anderer Menschen. Mit dem Geruch ist es
⌠Seite 92⌡
auch so √bewand_\\_bewandt⌡, dahero wird jeder darauf sehen, damit
ein Gegenstand auch andern gut riechen möchte. Der Geschmack ist
weniger mitzutheilen, denn wenn ich aus meinem Teller speise, so
bekümmere ich mich nicht, wie es andern schmeckt, aber der
Gegenstand des Geschmacks läßt sich √doch_\\_<doch>⌡ auch verthei-
len, wohl nicht so, √als_\\_wie⌡ bey der Music, denn die speiset
alle Ohren √auf einmahl_\\_aufeinmahl⌡. Das Gefühl nimmt gar keine Theilnehmung,
es beruht also der Vorzug der Sinne⌠,⌡ auf die allgemeine Mit-
theilung derselben.
/Seite_91
/Das Gehör giebt keine Gestalt und
⌠Seite 93⌡
Begrif vom Gegenstande├,┤ aber Empfindung. Das Gesicht giebt
keine Empfindung, aber Gestalt. Demnach ist das Gehör ein Spiel
der Empfindung, und das Gesicht ein Spiel der Gestalt. Das manig-
faltige der Zeit nach ist ein Spiel, dahero ist Music ein Spiel
der Empfindung. Das manigfaltige dem Raum nach ist Gestalt,
dahero ist das √Tanzen_\\_Tantzen⌡ ein Spiel der Gestalt. Ein Spiel
kann es in so ferne heißen, weil es nach und nach geschicht, also
in Relation der Zeit. Ein Spiel afficirt mehr als die Gestalt,
weil es Empfindung ist. Wenn das Spiel das √Gantze_\\_gantze⌡ des
Menschen erhält, so wird der
⌠Seite 94⌡
Mensch belebt, das Spiel der Gestalt hat auch Empfindung, es geht
aber mehr auf den
/Seite_92
/Gegenstand, deswegen werden wir nicht so afficirt√,_\\_;⌡ es ist
doch aber Empfindung durch das Licht und durch die Farbe, diese
machen die √verschiedenen_\\_verschiedene⌡ Arten der Empfindung,
also könnten wir auch ein Spiel der Empfindung durch die Augen
haben. Die Gestalt ist nur die Form⌠,⌡ aber die Farbe ist ein
Spiel der Empfindung. Man dachte schon durch die Farben
Consonanzen und Dissonanzen, so wie durch die √Tönen_\\_Töne⌡ beym Gehör
geschicht hervor zu bringen, und ein Spiel der Empfindung durch
die Augen zu machen. Allein bey den Tönen
⌠Seite 95⌡
kommt eine Menge von Tönen in kurtzer Zeit, das Licht ist aber
nicht so starck, wie die Luft die auf uns würckt. Der Schall
summt und klingt
/Seite_93
/uns noch, also ist der Eindruck länger, indem ein Ton den andern
erreicht, folglich ist beym Gehör eine
√Continuitaet_\\_Continuitaet⌡, aber wenn die Farbe vorbey ist, so
ist auch der Eindruck vorbey. Indeßen ist es doch √eini-
germaaßen_\\_einigermaßen⌡ ein Spiel der Empfindung. Dieses ist auch
der Grund, warum diese oder jene Kleider den Menschen beßer
kleiden als andere Z. E. Menschen √von_\\_vom⌡ blonden Gesicht,
müßen blaße Kleider tragen. √Uberhaupt_\\_Ueberhaupt⌡ kann man mercken√:_\\_.⌡ Wenn
zwey zusammengemischte Far-
⌠Seite 96⌡
ben eine vollständige Farbe herausbringen, so kleidet es dem
Menschen, wo das aber nicht geschiehet, so kleidets ihm nicht.
Die Ursache ist√:_\\_.⌡ An den √Grenzen_\\_Grentzen⌡ der Farben werden
die Farben in den Augen vermengt├,┤ √kommt_\\_komt⌡
/Seite_94
/eine vollständige Farbe heraus, so kleidet das, kommt nicht eine
vollständige Farbe heraus, so gefällt es nicht. Z. E. wenn viel
blau ⌠ist⌡, und wenig gelb, so kommt eine vollständige Farbe
nemlich grün heraus, dahero kleidet ein blauer Rock und eine
√gelb_\\_gelbe⌡ Weste├,┤ aber wenn viel gelb und wenig blau vermengt
wird, so kommt eine schmutzige Farbe heraus, dahero kleidet auch
nicht ein gelber Rock und eine blaue
⌠Seite 97⌡
Weste. So kleidet auch ein blauer Rock zu einer rothen Weste⌠,⌡
aber nicht umgekehrt. Darnach kann man den Gout des Menschen
beurtheilen. Das Gehör ist der √einzige_\\_eintzige⌡ Sinn, der in
das lebhafteste Spiel
/Seite_95
/kann √versetzt_\\_versetzet⌡ werden, und es ist auch pure Empfindung. Die
Sphäre und der Umfang des √Gefühls_\\_Gesichts⌡ ist der
√größte_\\_Größte⌡, nachdem aber √auch die_\\_die auch⌡ des Gehörs. Der
entbehrlichste Sinn beym √Alten_\\_alten⌡ wäre das Gehör, bey den
Kindern ⌠aber⌡ das Gesicht. Denn das Gehör ist ein Organon der
Vernunft√;_\\_,⌡ ohne Gehör kann keine Sprache, und ohne der Sprache
kein Zeichen der Begriffe, und ohne das kein Gebrauch des
Verstandes statt finden. Ein √Alter_\\_alter⌡ aber, der das schon
hat, kann das Gehör entbehren; das Kind aber ohne Gesicht macht
sich andere Erfindun-
⌠Seite 98⌡
gen Gegenstände zu erkennen. Das Gehör ist also der wichtigste
Sinn in √Acqvisition_\\_acqvisition⌡ der Erkenntniße, aber in
√Ansehung_\\_Ansehung«s»⌡ des Gebrauchs der Welt das Gesicht. Alle
Sinnen haben
/Seite_96
/eine eigenthümliche Benennung Z. E. √Beym_\\_beym⌡ Gesicht ist
roth, grün, gelb⌠,⌡ beym Geschmack ist süß, sauer p⌠.⌡ aber der
Geruch kann keine eigentliche Benennung haben, sondern wir
entlehnen die Benennung von andern Sinnen Z. E. es richt sauer,
oder hat Rosen, Nelcken Geruch, es richt wie Biesam. Das sind
aber alles Benennungen anderer Sinne. Mithin können wir den
Geruch nicht beschreiben. Der Geruch kann excolirt werden. √Es_\\_Er⌡
belebt und vergnügt uns nicht so sehr durch seine Annehmlichkeit
als wie er uns durch seine √Unannehmlichkeit_\\_Unnehmlichkeit⌡
√incom-
modiret
⌠Seite 99⌡
modiret_\\_incommodirt⌡. Wir empfinden wohl zehn unangenehme
Gegenstände des Geruchs, ehe wir einen
/Seite_97
/angenehmen empfinden, dahero sich auch einige Personen⌠,⌡ als
Frauenzimmer balsamiren, nicht so, daß sie den angenehmen Geruch
√empfinden_\\_empfänden⌡, als √daß_\\_das⌡ sie von andern möchten
gerochen und empfunden werden. Der Geschmack aber vergnügt mehr
als der Geruch. So intereßirte jenen Wilden in Paris nichts so
sehr als die Garküche, und so liefen alle Zuhörer der Gedichte
Homers weg⌠,⌡ als die Fischglocke gezogen wurde⌠,⌡ bis auf einen
der es nicht hören konnte. Wer seinen Geruch verfeinert hat, dem
reitzt er auch sehr die Nerwen, so daß├,┤ wenn der gesunde Geruch
gar zu starck ist, man in Ohnmacht fallen √kann_\\_ka«ö»nn«te»⌡. Der
Geschmack erfor-
⌠Seite 100⌡
dert die
/Seite_98
/mehreste Befriedigung, indem durch den alles paßirt, was zur
Erhaltung des √Cörpers_\\_Körpers⌡ gehört, und er ist auch mit dem
Wohlbefinden des Menschen connectirt├,┤ denn der gantze Speise
√Canal_\\_Canal⌡ hat Empfindsamkeit, durch welche er alle das √respi-
cirt_\\_respicirt⌡, was dem √Cörper_\\_Körper⌡ zuwieder ist, und das acceptirt⌠,⌡
was ihm angenehm und dienlich ist. Die Natur hat uns den
Geschmack dazu gegeben, daß wir durch ihn examiniren
sollen, was unserm √Cörper_\\_Körper⌡ dienlich ist, welches wir auch
ohne darauf zu sehen thun. Und nach der Verschiedenheit der
Disposition des Cörpers ist auch sein Geschmack verschieden. Ist
der √Cörper_\\_Körper⌡ kräncklich, so hat man Eckel
/Seite_99
/für Fleisch und Appetit zu etwas saures, welches eben auch dem
Cörper dien
⌠Seite 101⌡
lich ist. Also müßen die Driesen, Eingeweide und alles zusammen
ein System ausmachen, und der Geschmack √annimirt,_\\_examinirt⌡ was
demselben zuträglich ist.
≥Von Unterschiede der Sinne├,┤ ob sie scharf oder fein, stumpf oder zart sind├.┤ ≤
Der Sinn ist scharf zur Wahrnehmung, und fein zur Untersuchung und Beurtheilung. Ein zarter Sinn ist, bey dem das Subject durch den Einfluß und Eindruck √verandert_\\_verändert⌡ wird. Zart in Ansehung der Sinne ist keine Vollkommenheit├, aber scharf und/Seite_101
/Wir rechnen zu den Sinnen nicht nur Empfindung und Anschauung,
sondern auch Urtheil und Beurtheilung, deßen wir uns aber nicht
mehr bewust sind, weil wir schon von Jugend auf
√geurtheilet_\\_geurtheilt⌡ haben.
Die Sinne müßen √instruirt_\\_instruirt⌡ und excolirt werden. So
kann ein Blinder sein Gefühl excoliren, so daß er die Gegenstände
gut unterscheiden kann, er kann es also √kulti
⌠Seite 103⌡
wiren_\\_cultiviren⌡. So übt ein Jäger sein Gesicht. So hatten jene,
die einen Ancker Wein im Felde truncken⌠,⌡ ihren Geschmack so
excolirt, daß der eine sagte: der Wein schmeckt nach Eisen, und
der √andre_\\_andere⌡ sagte: er schmeckt nach Leder; beide hatten
/Seite_102
/recht, denn es war ein Schlüßel mit einem ledernen Bande
im Ancker.
/Einige Sinne sind stumpf⌠,⌡ und andere fein. So hat einer einen
stumpfen Sinn, und ein feines Urtheil, und der einen feinen Sinn
hat⌠, der hat⌡ ein stumpfes Urtheil. Das Urtheil erwirbt man sich
durch die Uebung. Ein √alter_\\_Alter⌡ urtheilt beßer als ein
Junger√,_\\_;⌡ denn er hat Uebung gehabt. Also ist zu untersuchen,
ob die Feinheit des Sinnes oder das Urtheil vorzuziehen ist.
√Je_\\_Ie⌡ stumpfer ein Sinn ist, desto lieber mag er
solche
⌠Seite 104⌡
solche Gegenstände haben├,┤ die starcken Eindruck
√machen_\\_haben<machen>⌡. Die √orientalischen_\\_Orientalische⌡
Völcker haben stumpfe √Sinne_\\_Sinnen⌡, deswegen bedienen sie sich
starcker Gewürtze. √Je_\\_Ie⌡ feiner der
/Seite_103
/Sinn ist, je weniger liebt er solche Gegenstände, die starcken
Eindruck machen. Die √Orientalische_\\_orientalischen⌡ Volcker haben
stumpfe √Sinne_\\_Sinnen⌡. So verrathen Leute einen stumpfen Sinn,
wenn sie Gegenstände von starckem Eindruck haben Z. E. in
Kleidern├,┤ oder Speisen oder im √Tranck_\\_Getränck⌡. Zu Anfang
gebraucht man mildere Sachen Z. E. süßen Wein, oder
wohl richenden Toback, wenn aber die Sinne stumpfer werden, so
√nimmt_\\_nimt⌡ man das √stärckste_\\_starckste⌡. In der neuen Zeit hat
man einen neuen Sinn erfunden, von dem die √Alten_\\_alten⌡ nichts gewust
haben, nemlich einen Geschmack der Nase⌠, welches kein⌡
/Anfang Lücke 399
geht aber
auf saltzige Theile. Wer starcke Vorstel-
lungen im tragischen Stück verlangt
/ hat
/Seite_104
/hat einen stumpfen Sinn. Das Alter macht
alle Sinne, die äußeren und inneren
stumpf.
/Von diesem stumpfen Gefühl dependirt
aber das Wohlbefinden des alten. Er fühlt
nicht die Uebel der destruction seines Cör-
pers.
≥ Beförderung der Empfindung und
Schwäche der Sinne. ≤
/Durch oftere Empfindung wird das Urtheil
der Sinne über den Gegenstand leichter@¿,¿@
aber desto schärfer wird der Eindruck des
Gegenstandes. So weiß ein Musicus gut
die Music zu beurtheilen, aber sie macht
auf ihn nicht mehr solchen Eindruck, sie
reitzt ihn nicht so wie einen andern.
Andere Dinge schwächen die Empfindung
/ der
/Seite_105
/der Sinne als der Schlaf, die Schläfrigkeit
das Opium.
/In Ansehung des Betragens des Men-
schen, so schwächen die Zerstreuungen die Em-
pfindung. So schwächte ein Uebelthater die
Empfindung der Schmertzen, indem er die
Tortur ansah, so bald ihm aber die Au-
gen zugebunden wurden, so konnte er
es nicht aushalten. So verliert ein Dispu-
tir Geist die Schmertzen des Podagra, wenn
man sich mit ihm streitet, so wie oft eine
Kranckheit durch ein pletzliches erschreken
verlohren wird. So glaubte eine Magd
der ein Funcken auf die Hand fiel und
@¿sie¿@ an den Schmertz im Fegfeuer dachte,
daß man sich deßen mit der Zeit ange-
wöhnen könne. Die Einerleyheit schwächt
/ die
/Seite_106
/die Empfindung der Sinne. So schläfert
So schläfert die Monotonie des Predigers,
wenn er auch laut redet, die Sinne ein,
so bald er aber still ist, wachen sie alle
auf. Die Neuigkeit stärckt die Empfindung.
so starckt der Morgen des Tages Empfin-
dung des Menschen, weil er neu ist, da-
her der Morgen sehr gerühmt wird.
Die Abwechselung gehört auch dazu, wenn
zwischen allen Vorstellungen andere
dazwischen kommen, so werden die alten
wieder neu. Daher muß man ein
Vergnügen, durch die Seltenheit solches
zu genießen, neu erhalten, so wird
es immer angenehm seyn. Die Abste-
chung erhebt auch die Vorstellung. So
werden die Gegende im Morgen ge-
/ prie-
/Seite_107
/priesen, weil sie mit Wüsten umgeben
sind. So gefällt es den Stadtleuten in der
Landluft, weil sie in der Stadt eingeschlo-
ßen sind.
/Es giebt Abstechungen, die bloß aus der
Unerwartung kommen, und die uns
gefallen, bloß weil wir es nicht ver-
muthet haben. So gefält uns ein kluges
Kind, weil wir es uns nicht von ihm vor-
stellten, so gefält uns ein kluges Frauen-
Zimmer aus eben demselben Grunde.
Eben so Soldaten und Officire die gelin-
de sind, und Vornehme, die herablaßend
sind, also macht das Eindruck, weil wir
uns das nicht vermuthet haben, und
wir schieben solches auf die Rechnung der
Gegenstände.
/ Vom
/Seite_108
/ ≥ Vom Schein ≤
/Ein Schein ist ein Grund der aus subjecti-
ven Gesetzen hergeleitet ist, er ist ein sub-
jectiver Grund des Urtheils, ein solcher Grund
ist immer zweydeutig, die Gründe müßen
aus den Gegenständen entlehnt seyn,
und nicht aus den subjectiven Gründen
des Gemüths, er ist zwar ein Grund,
aber nicht hinreichend. So fern der Schein
unrichtig ist, denn ist er entweder eine
Illusion oder ein Betrug. Der Schein
ist kein Urtheil, sondern ein Grund zum
vorläufigen Urtheil. Es wäre sehr
nötig, wenn in der logic auch ein
gantz apartes Capitel von den vorläu-
figen Urtheilen wäre, die zu mehre-
ren Empfindungen Anlaß geben möch-
/ ten
/Seite_109
/ten. Aller Schein ist zuerst eine Pension
wenn er mit der Erkenntnis der Wahr-
heit zusammenstimmen kann. Aller
Schein ist aber Betrug, so bald er nicht
mit der Erkenntnis der Wahrheit über-
einstimmt. So sind die Kleider ein Schein
der Illusion, wir haben für einen Men-
schen, der schone Kleider hat schon mehr
Achtung, sie machen in uns einen Ein-
druck für den Menschen, obgleich wir ihn
sonst sehr gut kennen. So gefällt der Sohn
dem Vater im neuen Rock beßer, den er
ihm doch selber machen ließ. So machen
die Menschen in gewißen Gerichten als
in Franckreich mit ansehnlichen Kleidern
einen Eindruck auf den Menschen, und
obgleich der Mensch jeden von diesen Ge-
/ richts
/Seite_110
/richts Herren kennt, so geht doch bey
ihm eine Illusion vor. So machen die
Kleider der Frauenzimmer die eine Net-
tigkeit bey sich führen eine Illusion
auf uns, obgleich wir sie recht gut ken-
nen. Solche Illusion in Kleidern ge-
fällt aber, weil der Schein mit der Erkennt-
nis der Wahrheit übereinstimmt. Der Be-
trug gefällt aber nicht, denn er ist blos
eine Schmincke, und wenn die abge-
wischt ist, so kommt eine Todte Bläße
zum Vorschein. Ich weiß also, daß mein
Urteil hier mit der Erkenntnis der
Wahrheit nicht übereinstimmt, deswe-
gen misfällt es mir, weil ich weiß,
wie ich betrogen werde Z.E. Taschen-
/ spieler
/Seite_111
/spieler. Eben so betrügen die Sinnen den
Verstand, daher muß der Verstand zur
Vergeltung der Sinne wieder betrügen.
Gewalt kann man dem Betrug der Sin-
ne nicht entgegen setzen, weil es ei-
ne List der Sinne ist, dieser List aber
muß der Verstand eine andere List ent-
gegen setzen, und das thut der Verstand
auch und hintergeht die Sinne mit List.
Alle sinnliche Vergnügungen und Lei-
denschaften hintergehen den Verstand,
indem sie mehr versprechen und größe-
re Hofnung machen, als sie hernach würck-
lich leisten, und man traut gleich den
Versprechungen der Sinne. So verspricht
sich jemand auf Reisen sehr viel neues
/ zu
/Seite_112
/zu sehen und verhoft sich, das im frem-
den Lande zu finden, was in seinem Lan-
de nicht ist, und hernach findet er, daß alle
Länder gleich sind. So gehts mit allen
Neuigkeiten, und alles was uns die Sin-
ne versprechen betrügt sehr den Verstand.
Allein auf der andern Seite hintergeht
der Verstand die Sinne wieder, und die-
ses Kunststück liegt in der Natur des
Menschen Z.E. in der Geschlechter Meinung
liegt etwas zum Grunde, was bey allen
Thieren ist, allein der Verstand betrügt
hier die Sinne, die auf das thierische
gehen, er beschreibt ihnen gantz enthusi@¿a¿@-
wistisch die Schönheit der Person, er formirt
ihnen ein Ideal wodurch sie sich hinterge-
/ hen
/Seite_113
/hen, sie halten sich dennnoch dabey auf
und vergeßen das andere, daher betrügt
der Umgang mit Frauenszimmern die
Sinne, sie werden durch den Umgang
davon abgelenckt, worauf sie gehen
wollen, sowie man ein Kind durch ein
Spiel von was anderm abzuhalten sucht,
so werden auch die Sinne vom Ver-
stand «abgehalten» <hintergangen>. Die Hofnung eines
künftigen beßeren Zustandes hält uns
schadlos in dem gegenwärtigen Unglück.
Es ist eine Aussicht in die Zukunft, so wie
in einen optischen Kasten, und keine
Realitaet, es vergnügt uns, so lange
wir es sehen. So ist einem 70jährigen
Greise der Tod sehr nahe, aber er weiß
/ sich
/Seite_114
/sich doch durch Hofnung zu schmeicheln,
er hat keine Furcht vor dem Tode, ob
er gleich weiß, daß er sterben muß,
und ihn auch die Erfahrung täglich da-
von belehret, allein er macht Projecte
sein Leben täglich angenehm zu ma-
chen, der Tod dünckt ihm noch sehr ent-
fernt er berechnet die Zeit nicht,
und betrügt sich also hierinn selbst.
/Ueberhaupt spielt der Mensch im
gesitteten Zustande eine Rolle, und
die menschliche Gesellschaft ist im ge-
sitteten Zustande eine Schauspieler
Gesellschaft, und in einer Gesellschaft
ist der Mensch immer im Zustande des
Zwanges. So hat jeder in der Gesell-
/ schaft
/Seite_115
/schaft vor dem andern Achtung, er
wählt jederzeit das, was auch andern
gefält, er hat eine Sorgfalt in den Klei-
dern, er nimt eine solche Stellung
an, in welcher er gefällt, er führt
sich bescheiden auf, und spielt immer
die Rolle des Zwanges, welche sehr künst-
lich ist. Wir fordern auch wohl oft, daß
Personen in einer Gesellschaft einen
Schein oder eine fremde Rolle anneh-
men sollen. Z.E. von einem Prediger
wollen wir haben, daß er sich nicht so
natürlich in einer Gesellschaft zeigen
soll, als andere Menschen, sondern daß
er etwas ernsthaft erscheine. Ein je-
der spielt immer die Rolle des Zwanges
/ in
/Seite_116
/in der Gesellschaft. So führt sich das Frau-
enzimmer in der Gesellschaft sittsam auf,
obgleich wir wißen, wie sie sonst beschaf-
fen ist, und es macht doch uns eine
Illusion. Und wenn ein Parlaments Rath
so ernsthaft ist, als wenn er die wichtig-
sten Sachen im Kopfe hat, so macht das
bei uns eine Illusion, obgleich wir wi-
ßen, daß er zu Hause spaashafte Hand-
lungen treibt. Ueberhaupt ist das mensch-
liche Leben und seine Handlungen
ein Spiel. Solche Illusionen sind gutar-
tig und machen das Leben angenehm,
sie gefallen allen, und wer sie aus-
rotten wollte der thäte dem Menschen
keinen Gefallen. Indem sie die Menschen
/ zwingen
/Seite_117
/zwingen Achtung für einander zu ha-
ben, so gewöhnen sie sich mit der Zeit dar-
an. So zwang sich der Mann und die Frau
ihre Gäste denen sie nicht viel zu Mit-
tage vorsetzen konnten, sehr höflich auf-
zunehmen, so daß sie sich hernach würcklich
daran gewöhnten, und die Gäste mit
dem großten Vergnügen von ihnen schie-
den. So ist man in der Gesellschaft mit
Wohlwollen und guten Gesinnungen
gegen einander angefüllt; obgleich in ei-
ner solchen Freundschaft und ei-
ner solchen Geschlechter Meinung, wo
man dergleichen gute Gesinnungen
gegen andere äußert, man noch viel
Selbstliebe und Eigennutz in sich be-
/ hält
/Seite_118
/hält; so gefällt einem doch eine solche
sanfte Illusion und man will die De-
cke des Eigennutzes von sich abnehmen.
Der Mensch äußert gegen andere ein
großes Wohlwollen, und er betrübt sich
und andere, wenn sich ein Fall
ereignet, daß der andere in Noth und
Verlegenheit geräth, so zieht man sich
zurück, dahero Socrates mit Recht sagt:
Meine Freunde, es giebt keine Freun-
de. Eine solche Erklärung der Freund-
schaft gefällt uns doch aber, und wir
freuen uns einen solchen Freund
zu haben von dem wir doch wißen,
daß er uns in der Noth nicht so bey-
stehen würde, wie er sich äußert dem-
/ nach
/Seite_119
/nach muß man niemals einen Freund
in der Noth um so etwas ansprechen,
was ihm Geld kostet, denn sonst verliert
man ihn. Alle Aeußerungen in der Wahr-
heit werden in der Gesellschaft für Schein
gehalten, und es ist auch so, dahero in
einer solchen Gesellschaft, wo man die
Rolle des Zwanges nicht spielt, wo sich
keiner was übel nimmt, alles gantz
dissolut zugeht. Es ist also eine solche Il-
lusion in der menschlichen Gesellschaft
sehr nötig.
/Der Betrug ist aber ägerlich, weil ich weiß
daß ich betrogen werde, dahero hat kein
Mensch der Hang zur Wahrheit hat ein
Vergnügen an den Taschenspieler, aber der
optische Schein gefält.
/ Von
/Seite_120
/ ≥ Von den Vorstellungen, wie sie durch
die Verschiedenheit einen Unterscheid
gegen einander machen, und die ei-
ne die andere dadurch ins Licht setzt;
also von der Abstechung, Abwechselung
und Wiederspruch ≤
/Wir können Dinge contrastiren, um sie
zu unterscheiden, und jedes derselben
in die Augen fallen zu machen. So ist es
nöthig, einen Menschen, der im Wohlle-
ben gewesen, in eine Gesellschaft von
elenden und arbeitenden Menschen zu
bringen, damit er den Abfall einsieht.
So ist es ein Contrast oder Abstechung, wenn
man einen Menschen aus einer lermen-
den Gesellschaft mit einmahl in eine
/ gantz
/Seite_121
/gantz Stille versetzt. Wenn man also
Dinge die sich wiederstreiten mit ein-
ander vergleicht, so entsteht eine Abstechung
Z.E. der Reitz der Tugend verglichen mit
der Abscheulichkeit des Lasters.
/Durch den Wiederspruch werden die Vor-
stellungen auch in ein anderes Licht ge-
setzt. Dieses geschieht, wenn wir Dinge, die
sich wiederstreiten mit einander ver-
einigen und verknüpfen. Bey der Ab-
stechung vergleichen wir nur wiederstrei-
tende Dinge, wenn sie aber vereinigt
werden, so wird ein Wiederspruch. Wo
der Contrast comisch ist so ist des Virgils Koran
ein Heldengedicht. So ists ein comischer Con-
trast Z.E. prächtige Kleider und schwartze
Wäsche, gutes Aussehen und schlechte Manie-
/ ren
/Seite_122
/ren, Armuth und Hoffarth, pöbelhaftes
betragen und Anmaßung guter vorneh-
mer Erziehung. Solche Schriften die comisch
contrastiren sind die launigsten Schriften
und gefallen sehr. Launigt ist der einige
Anschau, den wir den Dingen geben aus
der Disposition des Gemüths aus der wir
es beschauen, wovon unten ein mehre-
res. So kann das Laster als Abscheulich
und als ungereimt vorgestellet wer-
den. Es ist die Frage, was beßer ist, das
Laster mit dem Merckmahl des Abscheues
und des Zornes zu declariren, oder in
einer Laune es ungereimt, läppisch
und lächerlich zu machen. Das letzte ist
vorzuziehen. Der Mensch wird mehr durchs
Auslachen, als durch zornigen Tadel cor-
/ rigirt
/Seite_123
/rigirt. Der Zustand und die Situation
des Gemüths ist beßer, wenn man einen
Spott aufs Laster wirft, als wenn man
es mit Zorn und Abscheu betrachtet. Fil-
ding schreibt so launigt, er mahlt den Gei-
tzigen in der lacherlichsten Gestallt, wo er
verächtlicher wird als wenn ich ihn von
der bösen Seite schildern wollte. Diese
Art zu contrastieren ist die beste Manier,
die das Gemüth aufgeweckt und zugleich
den lasterhaften lächerlich macht. So kann
man den Schertz aus den Reden der Menschen,
die voll von Wiedersprüchen sind, solche Wie-
dersprüche aufsuchen und vorbringen. Die
Engelländer geben darauf sehr acht, und
nennen das alsdenn einen Ballen, indem
sie als dann sagen: der oder jener hat einen
/ Ballen
/Seite_124
/Ballen gemacht. Es dient mit zu den Ein-
fällen des Witzes.
/Um das Gemüth durch Abwechselung in
Klarheit zu versetzen, gehört Neuigkeit
welche der Einerleyheit entgegen gesetzt
ist. Seltenheit Manigfaltigkeit dienen durch
das Verhältnis darinn sie stehen dem Ge-
müth Vorstellungen zu machen. Unser Ge-
müth geräth in Schlaf, wenn es mit einer-
ley beschäftigt ist. Zur Seltenheit gehört ein
eingeschränkter Kopf Z.E. ein solches Buch
zu halten, was in wenigen oder nur in
einer Hand ist. Es liegt nicht allein in der
Relation und in der Art dem Gemüth gewi-
ße Eindrücke zu geben, sondern auch dem
Grade nach. Die Monotonie schläfert ein,
dahero muß der Aufsprung und Herabla-
/ ßung
/Seite_125
/ßung gewächselt werden. So gar pur Inter-
walle in der Vorstellung machen schon Klar-
heit, so wie in gewißen Gedancken Striche,
wo man sich besinnt, den Gedancken auffaßt,
und ihn verfolgt. So vergroßern auch die
Interwalle den Eindruck zwischen einem
Vergnügen und dem andern welches
abgeschmackt wäre, wenn es continuirlich
dauren sollte. Ein schneller Absprung, der
dem continuirlichen Uebergang entge-
gen ist, vergrößert den Eindruck des Ge-
müths. Die continuitaet macht die Ver-
änderung im Gemüth unmercklich. So
kann man einen, der gewohnt ist, viel
und gut zu eßen, allmählich an eine
schlechte Kost und Mäßigkeit gewöhnen.
Alle Absprünge in Gestallten offendiren
/ schon
/Seite_126
/schon die Augen. So erweckt ein Ab-
sprung in der Rede die Aufmercksamkeit
der Zuhörer.
/Das unerwartete gehört zur Neuigkeit
und vergrößert den Eindruck. Wenn et-
was einen starcken Eindruck machen soll,
so muß man es nicht vorher erwarten,
denn sonst verliert sich der Eindruck. Ein
Mensch, von dem man sich große Erwar-
tungen gemacht hat, erregt solchen Ein-
druck nicht auf uns, wenn wir ihn sehen,
weil man sich eine größere Vorstellung
gemacht hat, als die Sache selber ist. Wenn
daher ein Gegenstand einen Eindruck auf
uns machen «kann» <soll>, so muß man keine gro-
ße Erwartung haben, damit der Gegen-
stand die Erwartung übertreffe. Auf der
/ andern
/Seite_127
/andern Seite kann man wieder umgekehrt
sagen; daß die Vorbereitung zu einer Sache
in uns stärckeren Eindruckt macht. Wenn wir
uns zuvor zu etwas vorbereitet haben,
so sind wir aufmercksamer, und können uns
so gleich in der Sache finden. So findet man
in einer Rede viel Verstand, weil man
es vermuthet hat, denn was man ver-
muthet, das findet man auch. So kann
man einen anticipiren, wenn man ihm
etwas in den Kopf setzt, daß er es ver-
muthet, welches hernach nicht erscheint. So
kann man, aber nur in einer bekannten
Gesellschaft iemanden einbilden, daß der
andre gestört ist und dieser wird solches
von ihm vermuthen, auch ihm auf eine
Art als einem Gestörten begegnen.
/ Einen
/Seite_128
/Einen wozu vorzubereiten, ist zwar
sehr gut z.E. zu einer Comedie, man muß
einen aber nicht praeoccupiren, und
ein bestimmtes und entscheidendes Urtheil
von dem Gegenstande sagen, denn alsdenn
enthält der Gegenstand nichts mehr als
eine Bestätigung deßen was er schon
weiß.
/Die Vorstellung verliert durch die Länge
der Fortdauer ihre Klarheit. So gefallen
zu Anfange alle Reisenden, indem sie die
Geschichtchens, die sie gesammlet haben auf
einmahl vorbringen, allein nach drey
Wochen verliert sich ihr Ansehen, und sie
können sich nicht mehr so erhalten, weil
sie schon gantz leer geworden sind; ihr
Vorrath von Brodtspeisen schon aller ist,
/ und
/Seite_129
/und sie denselben Witz nicht zwey mahl
vorbringen können, sonst wird er ver-
eckelt, denn der Witz ist sehr delicat und ge-
hört nur für fürstliche Tafel, wie Rabner
sagt. Also tilgt und verringert die lange
Fortdauer den Eindruck der Vorstellung;
der ist aber sehr glücklich, bey dem der Ge-
genstand in der Fortdauer den Eindruck
lange behält. So erlöscht die allzu große
Liebe zu Anfange des Ehestandes bald,
und verwandelt sich oft so gar in Eckel,
wenn sie aber gemäßigt und mit Ver-
nunft begleitet ist, so ist sie dauerhafter.
/Der Zustand des Gemüths, wo man
nicht bey sich selbst ist, und in Ansehung
der Leidenschaften seiner selbst nicht mäch-
tig ist, versetzt unsere Klarheit der Vor-
/ stellungen
/Seite_130
/stellungen sehr in die Dunckelheit. So
ist der Mensch durch große Freude oder
Schmertz außer sich selbst gesetzt, und das
ist die Extasie, welches denjenigen Zu-
stand des Gemüths bedeutet, wo der Mensch
außer sich selbst ist, und nicht vermögend
ist sich seines würcklichen Zustandes be-
wust zu werden, indem er durch die
Stärcke der inneren «Beweg» <Vorstell>ungen hin-
gerießen ist, wo die Stärcke der inneren
Vorstellung ihn dahin bringt, daß sie die
Stärcke der äußeren Vorstellung ver-
treibt. Dahin gehört der Geschmack der
Geisterwelt, wo einer vorgiebt, die Ge-
meinschaft der Geister empfunden zu ha-
ben, solche Schwärmereien geben Anlaß
zu Extasie. Wer in Gedancken herum
/ wandelt
/Seite_131
/wandelt, ohne sich der würcklichen Welt
bewust zu seyn, der träumt, welches
natürlich ist, wer aber außer sich selber
ist, der ist ein Träumer im Wachen, welches
so schädlich ist, wie das Wandlen im Schlaf.
Unsere Vorstellungen werden durch Em-
pfindung eines neuen Eindrucks z.E. Ge-
träncks rege gemacht. Wir nehmen hier
die vortheilhafte Seite des Geträncks, wo-
durch das Gemüth in eine künstliche Bewe-
gung gesetzt wird, denn das Gefühl
einer größeren Belebung ist Freude.
Die Alten hatten nicht solche nachtheilige
Begriffe vom Trincken. Es ist zu unter-
scheiden der gesellige und ungesellige
Tranck, der letztere ist unanständig und
niedrig. Das Trincken muß gesellig
/ seyn
/Seite_132
/seyn, und wenn es zu einem gewißen
Grad der Lebhaftigkeit heraufsteigt, so
befordert es die Erweckung des Gemüths
und macht es gesellig. Ferner so nimmt
es auch den Hang zur Verstellung weg,
und macht offenhertzig, denn in allen
Gesellschaften ist ein Zwanck, den man
sich schon aus der öfteren Uebung ange-
wöhnt hat. So bald aber die Fröhlichkeit
in der Gesellschaft durch einen mäßigen
Trunck aufgeweckt wird, wo aber der
Verstand noch nicht benebelt werden muß,
sondern nur der Grad der Gesprächigkeit
erreicht wird, so legt man den Zwanck
ab, und wird offenhertzig. Wenn die
Fröhlichkeit überhand nimt, so redet jeder
was ihm vorkommt, und keiner legt
/ die
/Seite_133
/die Worte des andern auf die Waag-
schaale, daher eine Gesellschaft von solchen
Leuten nicht gerne einen gantz nüchter-
nen unter sich leidet, indem ein solcher
auf «sich» sie acht hat, und mit seinem Verstan-
de auf der Wache ist, wenn sie aber alle
gleich sind, so nimmt einer dem andern
nichts übel. Wer aber in solcher Gesellschaft
nicht trincken will, weil er die Folge sei-
ner Offenhertzigkeit voraussieht, dem
ist nicht viel zu trauen, denn er hütet
sich offenhertzig zu seyn, und muß viel
zu reserwiren haben, er traut sich selbst
nicht, und will dahero die Schildwache sei-
nes Verstandes nicht ablösen. Wer also
darauf sieht, was sich schickt, muß viel
zu vertheidigen haben, weil er sich nicht
/ bloß
/Seite_134
/bloß geben will. Wenn wir aber un-
ter keinem Zwange sind, so dürfen wir
auch keine Wache über uns halten. Al-
lein das Frauenzimmer muß auf der
Wache über sich stehen, weil sie beobachtet
und angefochten wird. Die Alten Deutschen
faßten ihre Rathschlöße beym Trunck, damit
sie muthig seyn möchten, und überlegten
sie nüchtern, um ihnen durch den Ver-
stand Moderation zu geben. Der Trunck
des Brandtweins ist aber kein Mittel
der Geselligkeit, sondern macht stumpf, da-
her sind alle Brandtweinetrincker sehr
behutsam, und trincken insgeheim. Da-
zu sind die Italiaener aufgelegt, wo
aber eine Nation an sich Gesprächig
ist, die führt den Trunck alsdenn zu ei-
/ ner
/Seite_135
/ner unanständigen Art der Freiheit, wo
alle Achtsamkeit sich verliert. Daher findet
man in solchen Ländern als in Franckreich
keine Trincker, aber in den nordlichen Län-
dern ist es stärcker im Gange, und bey
rohen Nationen am meisten; weil die
sich durch nichts Ideales belebt machen kön-
nen, so müßen sie es durch Geträncke wer-
den. Alles was Ursach hat, behutsam zu
seyn, das erhält sich nüchtern z.E. das
Frauenzimmer. Die verschiedenen Tem-
peramente bringen auch verschiedene Wir-
kungen des Truncks hervor, so macht im
heißen Clima der Trunck rasend. Das
thut nicht allein Opium, sondern auch
Wein, dahero Mahomed sehr wohl that,
da er solches als eine Obserwantz der
/ Religion
/Seite_136
/Religion vorschrieb, welches eher beobach-
tet wird, als wenn es mit unter der
Moral begriffen ist. Das Getränck macht
auch verschiedene Wirckungen nach der
Verschiedenheit der Materie, woraus es
besteht. So scheint das Bier nicht ein solches
Mittel der Geselligkeit zu seyn als der Wein;
es macht mehr andächtig. Durch ander Ge-
träncke, als durch Wein wird man zu Schertz
Lustbarkeiten und Producten des Witzes
gereitzet.
/Es ist für einen Psychologen ein Stück zu
untersuchen, wie das Opium und auch an-
dere Benebelung, die aber von der Be-
schaffenheit unterschieden werden muß,
solche schöne Bilder in der Einbildung
hervorbringt. Nicht allein die Benebe-
/ lung
/Seite_137
/lung macht, daß wir nicht bei uns selbst
sind, sondern auch die Betäubung, welche
der Stillstand unseres gantzen Bewust
seyns ist. So macht auch die Verzuckung,
daß wir nicht bey uns selbst sind. Verzuckt
wird aber gebraucht von der phantasti-
schen Verzuckung. Die Entzückung ist aber
die Versetzung in die Geisterwelt, die
an sich nicht möglich ist, aber in der Ein-
bildung statt findet. So kann man durch
vieles aus seiner Faßung kommen, so
auch, wenn man was zu reden hat
und man sich püncklich darauf prae-
parirt. Daher ist beßer allgemein dar-
über nachzudencken. Es ist überhaupt ei-
ne Hauptbedingung des Gemüths sich selbst
in der Gewalt zu haben. Durch die fanatische
/ Entzückung
/Seite_138
/Entzückung vergießt der Mensch sei-
nen Cörper, und gewöhnet sich an, außer
sich selbst zu seyn. Ueberhaupt ist der Zu-
stand der Verzückung und Entzückung der
Zustand der Verrückung. Alle Regungen
können mir durch Phantasie und nicht durch
Realität erlangt werden. Die transcen-
dente Entflügelung unserer Einbildung
muß in Schrancken gehalten werden.
/Der Stillstand aller Empfindung ist
Ohnmacht, kann man aus diesem Zustan-
de der Empfindung nicht herauskommen
so ist das der Tod. Der Schlaf ist der Still-
stand aller Empfindung im gesunden
Zustande, es ist eine Unempfindlichkeit
und Unbewustseyn der äußeren Gegen
stände. Die Schläfrigkeit kann habituell
/ werden
/Seite_139
/werden, es ist nöthig, sich darinn eine
Regel zu machen. Viele Talente sind da-
durch stumpf geworden, der Schlaf be-
nimmt uns die Behändigkeit und Fein-
heit der Säfte. Durch das wenige schla-
fen werden die Säfte verfeinert und
verdiennt. So zeigen die neuen Beobach-
tungen an, daß das Blut im Schlafen
weit kälter ist, als im Wachen, daher
friert einem wenn man schläfrig wird.
/ ≥ Von der Phantasie. ≤
/Wir haben außer dem Vermögen zu
empfinden, noch ein Vermögen Gegen-
stände abzubilden, und das was in die
Sinne fällt, durch besondere Kraft im
Gemüth zu schildern und zu bilden. Die-
se ist die facultas informandi impres-
/ siones
/Seite_140
/siones sensuum. Wer eine starcke Phan-
tasie hat, und hat was gesehen, dem
bleibt das Bild davon in seinem Gemüth
unauslöschlich. Dieses ist das Vermögen
der Abbildung. Die Nachbildung ist ein
Bild des vorigen Zustandes des Gegen-
standes, es ist ein Vermögen, den Gegen
stand einmahl vorzubringen, so ist je-
de Erinnerung eine Nachbildung. Ein-
bildung ist ein Bild der Erdichtung,
facultas fingendi, es ist ein Bild von
einem Gegenstande, der weder gegen-
wärtig, noch zukünftig noch vergan-
gen ist, sondern es ist eine fiction, es
ist ein Symbolum so sind die Typi Bil-
der von Gegenständen, die nicht da sind.
Das Vermögen zum voraus was
/ vor-
/Seite_141
/vorzubilden ist facultas praefagiendi.
Es macht sich unser Gemüth von allein
was man hört, ehe man es noch sieht,
ein Bild zum voraus, so macht sich <ein> jeder
ein Bild von einem Könige, wenn er ihn
sehen soll. Hat er von ihm gehört, daß er
ein großer Held ist, so macht er sich ein
zimlich massives und corpulentes Bild
von ihm, als wenn es darinn bestünde,
sieht er ihn hernach, so wird er Confus,
wenn der König anders aussieht, als
das Bild, daß er sich von ihm gemacht.
Das Vermögen zu bilden, hat einen
Hang alles in unserm Gemüthe auszu-
bilden. Wenn wir dahero etwas gewahr
werden, so machen wir uns einen Be-
grif davon. Stimmt der Gegenstand nicht
/ mit
/Seite_142
/mit unserm Begrif überein, so ist das
Gemüth unabläßig bemüht es auszubil
den z.E. ein unvollkommen Stück in der
Comoedie, ein galanter Reuter und ein
schlechtes Pferd, daher ist man mit so et-
was weniger zufrieden, als wenn es
gar nicht da wäre, oder, wenn jemand so
lange betrogen hat, daß er 900 %.Florin ge-
wonnen, so betrügt er noch so lange
bis er 1000 %.Florin voll hat. So glaubt mann
wenn man von jemanden 11 Ducaten
geschickt erhält, daß der Bediente den
12ten hat, weil man praesumirt, der Herr
werde ein Duzend voll geschickt haben.
So werden 11 paar Taßen schlechter bezahlt
als das 1. Paar ausmacht, was da fehlt,
obgleich man sie eben so gebrauchen
/ kann
/Seite_143
/kann, als wenn das Duzzend voll ist,
und als wenn 13 Paar wären. Das eine
Paar wird alsdenn nur obenhin gerech-
net, damit es einmahl das Duzzend sup-
plirt, wenn eins zerbrochen wird. Wenn
dahero was unvollständig ist, so ersezzen
wir es durch Erdichtung, was der Ausfül-
lung fehlt. Dieses ist natürlich und für
uns sehr gut; so sucht man in dem Le-
ben des Socrates seine kleine Fehler
aus, und füllet sie durch Erdichtung aus
um einen vollständigen Weisen zu bil-
den. Dieses ist das Vermögen auszubil-
den, facultas perficiendi. Das Nachbil-
dungs Vermögen müßen wir noch be-
sonders durchgehen. Das Nachbildungs
Vermögen hat sein Gesetz, es folgt dem
/ Gesetz
/Seite_144
/Gesetz der Association oder Vergesell-
schaftung der Vorstellungen. Dieses ist
ein merckliches Stück des menschlichen Ge
müths, und es kommt viel darauf an,
seine Vorstellungen zu vergesellschaften.
/Die Association gründet sich auf drey
Stücke auf die Begleitung, Nachbarschaft
und auf die Verwandschaft. Die Beglei-
tung ist in so ferne die Vorstellungen
der Zeit nach entweder auf einander
folgen, oder zugleich seyn. Wenn also
eine Vorstellung vorkommt, so wird
die andere so gleich herbey gerufen.
Z.E. wenn wir Rauch sehen, so kömmt so
gleich die Vorstellung vom Feuer. Wenn
die Uhr schlägt, um welche Zeit man ge-
/ wohnt
/Seite_145
/wohnt ist, zu eßen, und man hört sie
schlagen, so kömmt sogleich die Vorstellung
vom Eßen. Wenn die Begleitung von
Vorstellungen nicht wäre, so könnten
wir keine Ursachen und Wirckungen
haben. Die Begleitung ist der erste und
größte Grad der Association. Der zwei-
te Grund der Association ist die Nachbar-
schaft. So wie die Einheit *1 des Orts die
Nachbarschaft. So fallen einem die Schul
Iahre ein, wenn man die Schule vor-
bey geht. Denckt man an den Ort, wo
man vergnügt war so fallen einem
die Personen ein, die da zugegen wa-
ren. Reiset man an einen Ort, wo vie-
le Begebenheiten vorgefallen waren
/~am Rand ab Z. 9
/ *1der Zeit die Beglei-
tung ausmacht,
so mach die Einheit~
/Ende Lücke 399
⌠Seite 145⌡
waren⌠,⌡ so erinnert man sich an denselben├,┤
/Seite_146
/und das Gemüth wird gegen solche Begebenheiten rege. So macht
der Ort, an dem was vorgenommen werden soll⌠,⌡ einen großen
Eindruck, so erschrickt der Spitzbube stärcker, wenn er an den
Ort kommt├,┤ wo er examiniret werden soll. Der dritte Grund der
Association ist die Verwandschaft, so ferne die Vorstellungen der
Beschaffenheit nach verwandt sind. Sie sind aber
√verwandt_\\_Verwand⌡ der Aehnlichkeit und Abstammung wegen. Die
Verwandschaft der Abstammung ist in so ferne sie aus einem Grunde
kommen, also die Verwandschaft der Ursach und Wirckung macht die
Verwandschaft der Wirckung Z. E. wenn es regnet, und die Sonne
scheint, so sieht
man
⌠Seite 146⌡
man sich gleich herum, ob nicht ein Regenbogen ist. Die
√Verwand_\\_Verwandschaft⌡ der
/Seite_147
/Aehnlichkeit √ist aber_\\_aber ist⌡, wenn wir Z. E. alles in gewiße
√Claßen_\\_Classen⌡ bringen, damit uns das andere einfällt, wenn wir
an eins dencken.
/Die √beyden_\\_beyde⌡ Associationen der Begleitung und
Nachbarschaft, weil sie sich auf Zeit und Raum beziehen sind
Associationen der √Sinnlichkeit,_\\_«Verwandschaft» Sinnlichkeit⌡ die
Association der Verwandschaft ist aber eine Association des
Verstandes. Wenn also unsere √Phantasie_\\_Phantasie⌡ nach der
sinnlichen Vergesellschaftung, der Begleitung und der
Nachbarschaft läuft; so ist das dem Verstande wiedersinnig. So
kann einer⌠,⌡ wenn er √vom Englischen Pferd_\\_von englischen
Pferden⌡ redet auf √Engelland_\\_Engeland⌡ selbst kommen⌠,⌡ deßen
Regierung und Krieg in √America_\\_Ameria⌡. Es muß aber in solchen
gesellschaftlichen Gesprächen
⌠Seite 147⌡
Mannigfaltigkeit und Einheit seyn,
/Seite_148
/es muß Zusammenhang im Verstande herrschen, denn alsdenn
√mißfällt_\\_misfällt⌡ es iedem⌠,⌡ wenn kein Zusammenhang ist. Oft
kann man das Mittel des Ueberganges von einem Discours zum andern
errathen Z. E. man redet von Betrügern, und mit einmal redet
√iemand_\\_jemand⌡ von einem Mann├,┤ so denckt ieder, er redet
deswegen von dem Mann, weil der ein Betrüger seyn muß. Die
Behutsamkeit den Zusammenhang deßen, was man gedacht hat, nicht
zu verrathen, ist eine Feinheit, die man beobachten muß, daher
muß man einen Zwischen Gedancken einschieben laßen.
√Die Stärcke der Phantasie_\\_
≥ Die Stärcke der Phantasie ≤⌡
√die_\\_Die⌡ Imagination ist da stärcker, wo andere Sinne schwächer
sind Z. E. die
/Seite_149
/Imagination eines Blin-
⌠Seite 148⌡
den ist weit stärcker als eines andern, denn sie ist nicht durch
äußere Gegenstände gestört. So giebts in Paris blinde Wegweiser.
/Die √Phantasie_\\_Phantasie⌡ wirckt stärcker, wenn sie mit der
Neigung verbunden ist, wodurch sie rege gemacht worden. Die
√Phantasie_\\_Phantasie⌡ ist größer⌠,⌡ wenn der Gegenstand abwesend
ist, als wenn er da ist. Ist der Gegenstand da, so ist der
√sinnliche_\\_Sinnliche⌡ Eindruck da, und die √Phantasie_\\_Phantasie⌡
ist durch den sinnlichen Eindruck verdunckelt, ist aber der
Gegenstand abwesend⌠,⌡ so ist die Phantasie stärcker, daher wird
durch Wegbringung des Gegenstandes der sinnliche Eindruck
geschwächt, die √Phantasie_\\_Phantasie⌡ aber vermehrt Z. E. beym
Verliebten, denn in der Abwesenheit fallen alle Fehler des
/Seite_150
/Gegenstandes weg, die √man_\\_mann⌡ aber doch wahrnimmt, wenn er
gegenwärtig ist.
⌠Seite 149⌡
Es giebt Grade und √Qvalitaet_\\_Qvalitaeten⌡ der √Phanta-
sie_\\_Phantasie⌡. Schwache √Pantasie_\\_Phantasie⌡ ist keines
Eindrucks fähig. Es kommt auf die Starcke der √Phan-
tasie_\\_Phantasie⌡ an, sich das Bild nach gewißen Graden
vorzustellen, die Schilderung deßelben macht die Starcke nicht
aus. Wenn aber die √Phantasie_\\_Phantasie⌡ starck ist, so kann auch
die Stärcke unmäßig seyn, so daß die √Phantasie_\\_Phantasie⌡ oft
den sinnlichen Eindruck überwiegt, dahero kann den Wahnsinn
nichts hindern als die Gegenwart der Sache. Leidenschaften
├machen┤ machen eine verkehrte √Phantasie_\\_Phantasie⌡, so kann man
sich etwas als häslich mahlen⌠,⌡ was man aus bloßer
/Seite_151
/Leidenschaft gesehen hat Z. E. ein schöner schattigter Wald
kommt mir schrecklich vor, weil ich daselbst unglücklich war.
Bey √Hypochondrischen_\\_Hypochondrischen⌡ Personen ist die
Phantasie
⌠Seite 150⌡
Phantasie √Zügelloß_\\_Zügellos⌡, indem sie sich vieles vorstellen
und einbilden, was ihnen selbst nicht lieb ist, und was sie nicht
gerne haben wollen. Sie besteht in der Unwillkührlichkeit des
Verstandes, sie muß der Willkühr unterworfen werden, und das ist
das Hauptstück sie auszulöschen, wenn sie verführend ist, sie ist
alsdenn oft der Weg vieler Laster.
Man hat √Regellose_\\_regellose⌡ √Phantasie_\\_Phantasie⌡, so nicht
unter der Regel des Verstandes steht, und sie ist von der
Zügellosen zu unterscheiden. Die Regellosigkeit ist die Wirckung
der Heftigkeit.
/Seite_152
/Die Imagination die ihr Spiel treibt hat ihren natürlichen Lauf,
so daß sie nicht in unserer Willkühr steht. Die Willkühr kann nur
so ferne was thun, daß sie der Imagination eine Direction giebt,
und denn geht sie √so gleich_\\_sogleich⌡ nach ihrer neuen Richtung,
wie das Waßer im Fluß Z. E. √Wenn_\\_wenn⌡
⌠Seite 151⌡
man in der Gesellschaft nur ein Wort reden hört, so läuft die
Imagination so gleich ihren Lauf so lange, bis man ein neues Wort
reden hört, und √den_\\_denn⌡ läuft die Imagination wieder nach
dieser neuen Richtung. Wer seiner Imagination einen natürlichen
Gang frey giebt von dem sagt man⌠:⌡ er träumt. Die Willkühr
bringt nicht neue Bilder hervor, sondern nur neue Richtungen. Wer
nun seiner Imagination keine neue
/Seite_153
/Richtung zu geben weiß, der ist ein Träumer. Solche Leute
dencken wenig, und wißen selbst nicht⌠,⌡ was sie gedacht haben.
Die Ausschweifung der Imagination ist, wenn die geringste Klei-
nigkeit der Imagination zu laufen Anlaß giebt. Daher weiß man oft
nicht, wie jemand zu etwas gekommen ist, wenn man die Kette
seines Laufs der Imagination nicht weiß.
⌠Seite 152⌡
≥Vom Witz und der Urtheils Kraft.≤
Wir haben ├aber┤ auch ein willkührliches Vermögen├,┤ Bilder und Vorstellungen zu vergleichen. Dieses Vermögen ist thätig. Die Vergleichung ist die Zusammenhaltung der Vorstellungen. Das Vermögen Vorstellungen zusammen zu halten nach der Verschie- denheit ist die UrtheilsKraft├.┤/Seite_154
/├Dieser Theil der UrtheilsKraft┤ ist das Iudicium
√disoretiuum_\\_disoretivum⌡. Jeder├,┤ der eine Einerleyheit und
Aehnlichkeit der Vorstellungen finden kann, hat noch nicht Witz,
sondern der es auf eine eminente Art thun kann. Beyde so wohl den
Witz als die UrtheilsKraft nennt man fein. Ein √feinster_\\_feiner⌡
Witz ist der die kleinste Aehnlichkeit mercken kann, und feine
UrtheilsKraft ist√._\\_,⌡ die die geringste Verschiedenheit mercken
kann. UrtheilsKraft so ferne sie fein ist, ├wird Scharfsinn
genannt, und Witz so fern er fein ist,┤ heißt sinnreich. Der Witz
dient
⌠Seite 153⌡
zu vorläufigen Urtheilen Z. E. wenn von der √Misgunst_\\_Mißgunst⌡
gesprochen wird, so muß der Witz alles √anflieten_\\_aufbieten⌡, was
in die Misgunst einschlägt Z. E. Abgunst, wo man
/Seite_155
/einem andern etwas nicht √gönnt_\\_gönnet⌡, wenn man es auch selbst
nicht braucht, so giebt es eine √Mißgunst_\\_Misgunst⌡ in Ansehung
der Ehre, der Gesellschaft und des Vergnügens, so ist bey Kindern
eine √Mißgunst_\\_Misgunst⌡ pp. kurtz der Witz bietet alle Fälle
auf⌠,⌡ und sucht einen Vorrath von vorläufigen Urtheilen.
Vorläufiges Urtheil ist ein Grund über Dinge zu
√urtheilen_\\_Urtheilen⌡, der aber unzureichend ist. Aber ein
√bestimtes_\\_bestimmtes⌡ Urtheil zu fällen, gehört für die Urtheils Kraft. Der
Witz streift herum, wo er was findet, und dient also zur Erfin-
dung, deswegen verleitet er auch zu Jrrthümern, denn wenn er die
unzureichende Gründe zu √urtheilen_\\_Urtheilen⌡ für bestimmte hält,
⌠Seite 154⌡
so verleitet er zum Jrrthum, welches denn
/Seite_156
/geschiehet, wenn man nicht Lust hat, über den Witz und deßen
vorläufige Urtheile nachzudencken, und sie mit der UrtheilsKraft
zu verbinden. Die UrtheilsKraft aber dient zum bestimmten
Urtheil, und deswegen hält sie auch √vom Jrrthum_\\_von Jrrthümern⌡
ab. Daß der Witz zum Jrrthum verleitet, davon ist auch dieses die
Ursache, weil der Witz √belustiget_\\_belustigt⌡ und die
UrtheilsKraft befriedigt, die Menschen aber mehr auf die Belusti-
gung als auf die Befriedigung sehen, dahero ist der Witz
beliebter und gefällt beßer, und ob √mann_\\_man⌡ ⌠es⌡ gleich weiß,
daß es unrichtig ist, so gefällt es doch, weil es belustigt. Der
Witz ist eine leichte Beschäftigung des Gemüths und dem
natürlichen Trieb zu wißen angemeßen. Es ist leich-
/Seite_157
⌠Seite 155⌡
ter Aehnlichkeit als Verschiedenheit aufzusuchen, denn ich habe
einen unermeßlichen Raum von allen Aehnlichkeiten zu finden. So
machen die Franzosen eine Aehnlichkeit zwischen dem Franzosen und
dem Kochtopf. Es ist mehr belustigend für den├,┤ der da zuhört,
als für den der seinen Witz martern soll. Wenn ich
Verschiedenheit von 2 Dingen aufsuchen soll, so kann ich nicht
ein drittes herbey ziehen, so wie bey dem Witz alles
√aehnliche_\\_ähnliche⌡ kann herbey gezogen werden, ich kann nicht
so herumschweifen. Der Witz ist also √freyer_\\_freier⌡ und die
UrtheilsKraft gebunden├.┤ Zur UrtheilsKraft bin ich durch die
Bedürfniße genöthigt, nehmlich nicht in Jrrthum zu fallen. So ist
beym Eßen mehr auf die Gesundheit als auf die Annehmlichkeit zu
/Seite_158
/sehen,
⌠Seite 156⌡
aber wir sehen doch lieber auf den Geschmack⌠,⌡ weil er
√angenehm_\\_angenehmer⌡ ist. Daß der Witz belustiget, kommt ferner
davon her, weil alle Aehnlichkeit eine Regel an die Hand giebt,
aus der man hernach eine allgemeine Regel macht. Alle Regeln
√erweitern aber_\\_aber erweitern⌡ den Gebrauch der
√ErkenntnißKraft_\\_Erkenntnis Kraft⌡. Jeder Gebrauch des Witzes ist
aber in allen Fällen eine Regel herauszubringen, und denn gefällt
das, wo √mann_\\_man⌡ eine Regel hat heraus bringen können Z. E. es
reiset jemand⌠,⌡ und findet es in den beyden ersten Wirthshäusern
schlecht√;_\\_,⌡ so macht er sich gleich eine Regel├,┤ und sagt,
hier sind auch allerwegen schlechte Wirthshäuser. So sagte auch
jemand├:┤ in Engelland sind alle Leute grob und die
/Seite_159
/Wirthe
⌠Seite 157⌡
höflich, in Franckreich sind aber die Leute höflich und die Wirthe
grob√._\\_;⌡ So sind auch alle bons √Mots_\\_chots⌡. Also sind die
Handlungen des Witzes belustigend. Der Witz hat Einfälle├,┤ und
die UrtheilsKraft macht daraus Einsicht. Der Witz bringt mehr
hervor⌠,⌡ und die UrtheilsKraft sichtet das. So hat der Franzose
Einfälle⌠,⌡ und der √Engelländer_\\_Engeländer⌡ hascht nach
Einsichten√,_\\_;⌡ daher ist der größte Grad der Arbeit der
Urtheilskraft grüblerisch, und die √großte_\\_größte⌡ Arbeit des
Witzes ist ⌠ein⌡ Spiel. Wenn der Witz gefallen soll, so muß er
auch leicht seyn, er gefällt aber nicht├,┤ wenn er schwer ist.
Dahero sagt man: Der Witz der Engelländer ist Centner schwer. Z.
E. √Youngs' Satyren_\\_Jungs Satyren⌡. Es ist ein großer Witz
darinnen, allein er √belustiget_\\_belustigt⌡ nicht, so wie der
/Seite_160
/Franzosen
⌠Seite 158⌡
ihr Witz, aber er befriedigt mehr. Die Handlungen des Witzes
können Geschäfte und Spiel seyn. Der Witz soll dem Verstande
dienen, aber nicht demselben substituirt werden, denn der
Verstand ├besteht┤ besteht im Urtheilen, folglich kann er nicht
in seine Stelle gesetzt werden, aber er muß den Verstand
administriren├,┤ und ihm Einfälle geben├,┤ über die der Verstand
urtheilen kann, denn sonst kann der Verstand nicht urtheilen,
wenn er keine Materie an die Hand giebt. Es gehört also zur
Philosophie viel Witz. Der Witz dient dem Verstande zur
Erfindung, und dient ihm auch zur √Erläuterung_\\_Erlauterung⌡ deßen
was schon gedacht ist, indem er Beyspiele Analogien und Aehn-
lichkeiten erfindet, und macht dadurch dasjenige sinnlich, was
durch √denn_\\_den⌡
/Seite_161
/Verstand allgemein gedacht wird. Es wird aber
der
⌠Seite 159⌡
der Witz oft der UrtheilsKraft untergeschoben. Dieses geschiehet
bey solchen Personen die sich die Erkenntniße nicht wißenschaft-
lich erworben haben, sich auf schöne Wißenschaften gelegt, und
hernach in den gründlichen Wißenschaften √denn_\\_den⌡ Witz eben so
als in den schönen anbringen. Allein es ist doch oft nöthig, daß
an die Stelle der UrtheilsKraft die Wißenschaft untergeschoben
werde⌠,⌡ besonders in der Gesellschaft. Wenn man Materien über
die man sich streitet, gründlich und als entschieden in der
Gesellschaft vorbringt, so √ists_\\_ist es⌡ nöthig, daß man als denn
mit einem Einfall ankommt, und dadurch der gantzen und strittigen
Untersuchung ein Ende macht, als denn fängt alles darüber an zu
lachen, die ernsthafte Miene hört auf, und dadurch befördert man
den √Zweg_\\_Zweck⌡ der
/Seite_162
/Gesellschaft, der
⌠Seite 160⌡
gar nicht dieser ist, um wichtige √Materien_\\_Materien⌡ abzumachen,
sondern √sich_\\_sie⌡ zu erheitern. Jch mache alsdenn eine Diversion
durch den Einfall, die allen zusammen willkommen ist, denn der
Witz gefällt allen ohne Unterscheid, demnach ist er sowohl denen
die sich √streiten_\\_stritten⌡, als denen die da zuhören müßen├,┤
angenehm und belustigend. Jn diesem Fall kann der Witz der
Urtheils Kraft untergeschoben werden. Der Witz ist ein Spiel ⌠*1⌡
den Verstand unterhalten, ⌠so muß er sinnreich seyn und den
Verstand unterhalten,⌡ woraus der Verstand etwas machen kann,
allein der faselnde Witz ist leer, und solcher Witz wird auch ein
falscher Witz genannt. So sagte √jemand_\\_iemand⌡ als er an einem
fremden Tische mit Suppe begoßen ward√._\\_:⌡ Summum √jus_\\_Ius⌡ summa
iniuria. Launigter
am Rand ab Z. 10
⌠~*1 er kann aber auch als ein Spiel~⌡
⌠Seite 161⌡
Witz ist
/Seite_163
/der wo man eine Miene annimmt, aber nicht von dem was man sagen
will, sondern vom Gegentheil, und deswegen sticht es ab. Unter
solche witzige Schriften gehört Hudibras, deßen Witz ist launigt,
das Lachen darüber ist geistreich man hat den Kopf voll von
Gedancken. Der Witz geht mehr aufs neue, dahero ist er
veränderlich, er geht darauf um neue Aehnlichkeiten zu erfinden,
die UrtheilsKraft aber geht mehr aufs alte.
Wer viel Wercks vom Witz macht, der ist ein Witzling, ein
solcher ist zwar nicht hassens aber belachens werth, weil er doch
durch seinen Witz zu gefallen sucht. Wenn es ihm aber fehl
schlägt, so kann er doch nicht wegen der Absicht⌠,⌡ die er hatte
gehaßt werden. Wer viel √Wercks_\\_Werck⌡ von der Urtheils Kraft
macht⌠,⌡ ist ein Klügling, und dieser
/Seite_164
/wird schon gehaßt und mehr beneidet. Die Ursache ist: jeder
Mensch
⌠Seite 162⌡
giebt eher etwas Preis von seinem √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡, aber
ein √jeder_\\_ieder⌡ denckt von seinem Verstande das Beste⌠,⌡ denn er
beurtheilt seinen Verstand mit seinem Verstande und nun ist es
natürlich, daß jeder Verstand das Beste von sich
√urtheilet_\\_urtheilt⌡, und des andern ⌠seinen⌡ Verstand beurtheile
ich nicht beßer, und sehe nicht mehr in ihm als in meinem, denn
den Verstand des √andern_\\_anderen⌡ beurtheile ich vermittelst
meines Verstandes. Nun kann ich in des andern seinem Verstande
nichts mehr finden, als in meinem ist, denn wodurch sollte ich es
finden. Daher bringt ein Klügling, der Parade mit seinem Verstande
macht, andere auf, weil ein jeder mit seinem Verstande Parade
machen will,
/Seite_165
/indem jeder von seinem Verstande die beste Meinung hat. Wo dahero
eine Gemeinschaft der Geschicklichkeit ist, da leidet
⌠Seite 163⌡
der andere nicht gerne, wenn man davon viel Wercks macht, wo aber
kein √Uebereinkommen_\\_übereinkommen⌡ ist, da kann ein jeder das
seinige auskramen Z. E. wenn in der Gesellschaft ein gelehrter
Kaufmann und Soldat ist, so kann ein √jeder_\\_ieder⌡ von dem
seinigen recht viel reden. Der Witzling ist seicht, wenn er nach
√Einfallen_\\_Einfällen⌡ geht√:_\\_;⌡ Ueberhaupt muß der Witz nicht mühsam zu seyn
scheinen, sondern ungesucht in den Kopf kommen. Der Witz ist
√Schaal_\\_schaal⌡, wenn keine √Urtheils Kraft_\\_UrtheilsKraft⌡ dazu kommt. √Man_\\_Mann⌡
nennet einen solchen abgeschmackt, allein um abgeschmackt zu seyn,
gehört Witz, dahero kann keiner so √sehr_\\_<sehr>⌡ dumm seyn├,┤ als
ein √witziger_\\_Witziger⌡, denn weil er mehr wagt,
/Seite_166
/so geräth er auch eher in Verwirrung├,┤ deßen Kopf aber gantz
leer ist├, der ist┤ durch Unwißenheit vor Jrrthum und Verwirrung
⌠Seite 164⌡
gesichert. Der Witz wird unangenehm, wenn er √schaal_\\_Schaal⌡ ist.
Der Mangel des Witzes heißt ein stumpfer Kopf⌠,⌡ wiewohl das dem
Scharfsinn entgegen gesetzt wird. Den Mangel des Witzes nennt man
auch √Trockenheit_\\_«t»Trockenheit⌡. Wer √Trocken_\\_trocken⌡ ist, und
hinter der Trockenheit einen scharfen beißenden Witz nachläßt, der
ist durchtrieben, daher nennt man ⌠einen⌡ solchen
√dreyhärig_\\_dreyhörig⌡. Voltaire hat diese Gabe, der Landprister
von √Wackefild_\\_Wakefeld⌡ und Schwifts √Satyren_\\_Satyren⌡. Der erste
Anschein läßt unschuldig, und wenn es sich hernach aufklärt, daß
hinter her was versteckt war, so ist das dreyhärig. Ein solcher
durchtriebener kommt mit iedem zurecht. Solche
/Seite_167
/Menschen haben Gelaßenheit und Treuherzigkeit und einen √kalten
offenen_\\_offenen kalten⌡ Kopf. Die Grüblerey der Urtheilskraft
⌠Seite 165⌡
nennt man Grillen. Grille ist eine Heuschrecke├,┤ wer solche
Heuschrecken fängt ist ein Grillenfänger. Wer also leeren
Gedancken nachgeht die ohne Nutzen sind, der ist ein Grübler und
Grillenfänger. Der ist dumm, dem es an
√Urtheils Kraft_\\_UrtheilsKraft⌡ fehlt. Die
√Dumheit_\\_Dummheit⌡ ist nicht ein Mangel des Witzes. Der langsame
und stumpfe Kopf scheint ein √DummKopf_\\_DumKopf⌡ zu seyn⌠, allein das ist
falsch.⌡ √Denn_\\_Dumm⌡ wenn er gleich nicht Einfälle hat, so kann er
doch Einsicht haben, daher muß man den √Dummkopf_\\_Dumkopf⌡ vom
Stumpfkopf unterscheiden. So wolte man einen, der Mangel am Witz
hatte zum Grobschmidt geben, allein, wie er unter mathematische
Bücher kam, so zeigte sich seine Einsicht. Also ist der noch nicht
ein √Dummkopf_\\_Dumkopf⌡, der Mangel an Witz hat. Der Witz ist
flüchtig, so
/Seite_168
/wie die √Urtheils Kraft_\\_UrtheilsKraft⌡
⌠Seite 166⌡
√schweerfällig_\\_schwerfällig⌡ ist. So sind die
√Erkenntniße_\\_Erkentniße⌡ des Witzigen vorübergehend, sie machen
zwar einen Eindruck⌠,⌡ aber sie haften nicht, und dringen nicht
ein. Wenn man also √einen_\\_eine⌡ flüchtigen ermahnet, so machen
zwar diese Ermahnungen einen Eindruck, aber sie haften nicht, und
dringen nicht ein. Wenn man also einen flüchtigen √ermah-
net_\\_ermahnt⌡, so ist das ein vergebenes Werck. Ueberhaupt ist das
menschliche Gemüth ein Stück. Wer Urtheils Kraft hat, der hat auch
Stätigkeit, wer aber √witzig_\\_Witzig⌡ ist⌠,⌡ der ist auch flüchtig,
√behalt_\\_behält⌡ nichts, und ist in keiner Sache beständig.
≥Vom Gedächtnis├.┤ ≤
Das Gedächtnis ist die Macht der Willkühr die Vorstellungen zu produciren. Un-/Seite_169
/Macht⌠,⌡ Bilder der Imagination zurückzurufen√;_\\_,⌡ wenn man will,
und nicht so wie sie in der Imagination gefloßen, sondern
willkührlich. Das √Gedächtniß_\\_Gedachtnis⌡ ist also ein Vermögen
der Willkühr über die Imagination. Zum √Gedachtnis_\\_Gedächtnis⌡
gehört das Vermögen zu erinnern. Erinnern aber heißt das Bild der
Vorstellungen ⌠zurückrufen. Gebe ich mir Mühe das Bild der
Vorstellungen⌡ herbey zu rufen, so ist das⌠,⌡ das Besinnen. Das
Besinnen ist also ein Mittel des Erinnerns und der
Reproduction√,_\\_;⌡ das macht keine geringe Mühe den Fluß der
Imagination aufzuhalten√; das_\\_. Das⌡ Gemüth greift sich
√starck_\\_sehr⌡ an, wenn man sich besinnt⌠, ⌡und den √Strohm_\\_Strom⌡
der √Phantasie_\\_Phantasie⌡ aufhält, um das aufzusuchen
⌠Seite 168⌡
was verlohren war. Vom √Gedachtnis_\\_Gedächtnis⌡ ist dreyerley zu
unterscheiden, das leichte faßen, lange behalten, und leicht
erinnern. Dieses beruhet auf
/Seite_170
/gewißen Kunststücken. Ueberhaupt kann aus unserm
√Gedächtniß_\\_Gedächtnis⌡ nichts verlohren gehen├,┤ was schon
einmahl war, und nicht ausgelöscht werden. Verdunckelt kann es
zwar werden, und denn gehört nur ein gutes Mittel dazu, solches
wieder zu produciren und √klar_\\_Klaar⌡ zu machen√. Zum_\\_, zum⌡ Faßen
gehört das mechanische. √Memoriren_\\_Memoriren⌡, daß ist eine oftere
Wiederhohlung von einerley Sachen√;_\\_.⌡ So lernen Z. E. die Kinder
das Einmahl √eins_\\_Eins⌡ durch öfteres Vorsagen. Das mechanische
√memoriren_\\_Memoriren⌡ beruht auf einer gewißen Ordnung. Will man
sich besinnen, so muß man der Ordnung folgen. Wenn man dahero die
Kinder das
⌠Seite 169⌡
Einmahl Eins außer der Ordnung frägt, so beten sie das von Anfang
an, bis sie auf die Zahl kommen, sie
/Seite_171
/folgen also der Ordnung, in der sie es gelernt haben. Jst die
Ordnung unterbrochen, so kommt man nicht auf das Glied der Kette,
sondern man muß noch einmahl von Anfang anfangen. Wenn man dahero
einen Menschen der da √memorirt_\\_memoriret⌡, unterbricht, so weiß
er vom vorigen nichts, und muß von Anfang an memoriren, Das
mechanische √memoriren_\\_Memoriren⌡ hat großen Nutzen. Es ist die
Grundlage der Beurtheilung der Erkenntniße. Wäre das nicht, so
möchten wir keine Erkenntniße für den Verstand haben. Das
iudicieuse √Memoriren_\\_Memoriren⌡ entstehet vermittelst der
Urtheile, wenn man was in Vergleichung stellt√, dieses_\\_. Dieses⌡
geschiehet mit dem
⌠Seite 170⌡
Verstande oft mit dem schaalen Witz. So machte einer Z. E. zu
diesem √Titul_\\_Titel⌡ de haeredibus suis legitimis
/Seite_172
/folgende Vergleichung. Er machte einen Kasten⌠,⌡ der solte die
Erbschaft bedeuten,*1 und hernach den Moses mit √zwey_\\_2⌡
Gesetztafeln├,┤ das solte legitimis heißen. Solches ist dem
Verstande schädlich, man kann √ja_\\_ia⌡ lieber die Umstände, die
Zeit, den Ort, in Vergleichung halten, Z. E. √wer_\\_war⌡ Iulius
Caesar war.
Das lange Behalten scheint auf der Stärcke der Association zu
beruhen. Jch faße etwas starck, wenn ich es mit vielen Dingen
associiren kann. Fällt es mir denn bey einem nicht ein, so
geschichts beym andern.
Das leichte Erinnern scheint darauf zu beruhen, wenn der
Gegenstand interessant ist, dahero man das leicht behält, was
einem gefällt.
/am Rand ab Z. 5
/~*1 hernach ├ein┤ Schwein⌠,⌡ das √sollte_\\_solte⌡ suis bedeuten,~
⌠Seite 171⌡
/Seite_173
/Bey alten Leuten sagt man ist das √Gedachtniß_\\_Gedächtnis⌡
schwach, allein in Ansehung deßen was sie schon wißen, ist es eben
so starck als bey den √iungen_\\_Jungen⌡, und jetzt da sie alt sind
faßt das Gedächtnis √nichts_\\_nicht⌡ neues mehr, daher alte Leute
das alte noch genau wißen├,┤ allein das neue können sie nicht
faßen. Die Eindrücke sind bey ihnen √schwacher_\\_«S»schwächer⌡, also
auch die √Erinnerung_\\_Erinnerungen⌡. Bey den iungen aber ist es
umgekehrt, die faßen das neue bald⌠,⌡ aber behaltens nicht lange.
Daß die Alten eben so gut das alte wißen⌠,⌡ ist die Ursach, weil
sie es sich so gut imprimirt haben. Ingenieuse Leute faßen bald,
⌠witzige Leute faßen auch bald,⌡ vergeßen aber auch bald, indem
sie das mit andern Sachen verwechseln, denn ihr Witz macht ihnen
viele Aehnlichkeiten. Die Bücher haben das Gedächtnis geschwächt,
weil man das, was
/Seite_174
/man in
⌠Seite 172⌡
einem Buche finden kann⌠,⌡ sich nicht Mühe giebt⌠,⌡ zu behalten.
So kann man auch sagen, daß das Schreiben das
√Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡ schwächet. So hat das Schreiben in den
Vorlesungen gar keinen Nutzen, wenn man es bloß dazu hat, daß es
dazu diene, um zu behalten, wenn es aber eine Form des Ge-
dächtnißes ist, wenn man sich aus der Wißenschaft ein System zu
machen sucht, so hat es freilich seinen Nutzen. Wer sich angewöhnt
hat, dasjenige was er behalten will, so gleich aufzuschreiben, der
hat sein Gedächtniß sehr √geschwächt_\\_geschwacht⌡, so daß wenn er
einmahl seine Schreibtafel vergeßen hat, sich Gewalt anthun muß├,┤
um es zu behalten. Also kann man es √so weit durch Kunst_\\_durch
Kunst so weit⌡ bringen, daß man des Gedächtnißes nicht viel
bedarf. Die Eigenschaft sich wor-
⌠Seite 173⌡
auf leicht zu besinnen⌠,⌡
/Seite_175
/ist √vortreflich_\\_vorträflich⌡, und kommt darauf an, daß es nicht
durch Gewohnheit der Unterlaßung erlösche. Die Vergeßlichkeit ist
ein großes Unglück. Die vom √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡
√geringschatzig_\\_gerinschätzig⌡ reden⌠,⌡ bedencken nicht, daß es
eine große Hülfe der Erkenntniße ist. Tantum scimus⌠,⌡ qvantum
memoria tenemus. Wer ein stumpfes √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡ ├hat┤,
der ist gantz leer an Erkenntnißen. Es ist also nöthig sein Ge-
dächtnis zu erhalten. Jm 40⌠ten⌡ Jahr wird das Gedächtnis schwach.
Man kann da nichts neues lernen, wohl aber das gelernte erweitern.
Das lebhafte Gedächtnis geht nur bis ins 30te Jahr. Jn diesen
Jahren müßen die √materialien_\\_Materialien⌡ herbeygeschaft werden,
um hernach Materie zum Dencken zu haben. Dahero in der Schule von
der Philosophie abstrahiret werden sollte, und nur Sachen
⌠Seite 174⌡
fürs √Gedächtniß_\\_Gedachtnis⌡ vorgenommen werden,
/Seite_176
/weil dieses die beste Zeit fürs Gedächtnis ist.
√Romainen_\\_Romanen⌡ √ruiniren_\\_ruiniren⌡ das Gedächtnis├,┤ denn da
schweift das √Gemüth_\\_Gemuth⌡ aus⌠,⌡ denckt vieles hinzu, und macht sich
Hirngespinste. Denn die da √Romanen_\\_Romanen⌡ lesen, wißen daß es
Romanen sind, dahero lesen sie selbige als etwas⌠,⌡ das sie nicht
behalten dürfen. Der Schaden ist nicht der, daß man den Roman
nicht behält, welches noch ein Glück wär├,┤ wenn man sie alle aus
dem Kopf wegschaffen könnte, sondern weil man √niemals_\\_niemahls⌡
einen Roman lieset⌠,⌡ um ihn zu behalten; so acqviriret man sich
Gewohnheit Bücher zu lesen ohne zu behalten was man gelesen. Daher
behalten Menschen die erst Romanen und √denn_\\_den⌡ andere Bücher
lesen nichts von dem⌠,⌡ was sie gelesen haben.
⌠Seite 175⌡
Die Untreue des Gedächtnißes kommt daher, wenn man etwas nicht vor
erheblich hält, darauf zu attendiren, und sich daraus nichts macht
in der
/Seite_177
/√Erzahlung_\\_Erzählung⌡ einen Umstand für den andern zu setzen,
weil sie es für einerley halten, dahero solchen gemeinen Leuten
besonders in einer Erzahlung nicht viel zu trauen ist, ob es
gleich nicht √Lügen_\\_lügen⌡ sind, die sie mit √fleis_\\_Fleis⌡ vorredeten,
sondern solche Nachrichten von denen sie selbst nicht wißen, daß
sie falsch sind. √Dahero_\\_Daher⌡ entspringen alle √Gespeinster
Historien_\\_Gespensterhistorien⌡. Die Püncktlichkeit im Beobachten
und Wiedersagen was man gesehen und gehört hat, ist sehr nöthig
das Gedächtnis «¿»√treu_\\_Treu⌡ zu erhalten, wenn aber Leute
püncktlich worauf sehen, so kommen falsche Nachrichten aus guter
Meinung. Es giebt Beyspiele vom ungeheuren Gedächt-
⌠Seite 176⌡
nis Z. E. ein schlechter Junge fand √Be«¿»lieben_\\_belieben⌡ an
einem gedruckten Buche ohne daß er lesen konnte. Man lehrte ihn
lesen, hierauf konnte er alles was er gelesen, auswendig hersagen,
so daß er zu
/Seite_178
/einer Zeit ein Manuscript √das_\\_daß⌡ er gelesen, und so man vor
verlohren gab, von Wort zu Wort dictirte. Er war ein Oracel der
Gelehrten, aber gegen die gantze Welt gleich gültig.
≥Vom Vermögen zu Dichten.≤
Dichten heißt neue Erkenntniße und Vorstellungen schaffen. Dieses ist entweder willkührlich oder unwillkürlich. Es ist schon oben gesagt, daß unsere Imagination ihren Strom fortläuft. Diejenige Kraft aber neue Vorstellungen zu machen, ist eine thätige √will- kührliche_\\_Willkührliche⌡ Kraft, sie liegt allen Unternehmun-/Seite_179
/sind sie mit der Gegenwart unzufrieden, und machen sich andere
neue Vorstellungen, es √gehört_\\_gehör⌡ also zur Natur.
Entdecken heißt das zuerst antreffen├,┤ was zwar da aber nicht
bekannt ist, es ist vom ⌠«Emp»⌡Erfinden unterschieden.
Erfinden heißt etwas aus sich selbst hervorbringen, was gar nicht
da war, entdecken aber heißt nur dasjenige beobachten, was gar
nicht bekannt war, so ist die magnetische Kraft nicht erfunden⌠,⌡
sondern entdeckt, so auch fremde Länder, aber ein Experiment kann
man erfinden⌠. Wir
⌠Seite 178⌡
erfinden⌡, was auf uns selbst ankommt.
Erdencken heißt etwas finden was seinen Ursprung lediglich in den
Gedancken und in dem Kopf hat; so kann sich ein Spitzbube etwas
zur Vertheidigung erdencken. Ausdencken ist sich etwas willkühr-
lich gedencken.
/Seite_180
/Was das Dichten besonders betrift├,┤ so ist es generaliter
Erkenntniße hervorbringen, die gar nicht im vorigen Zustande
waren. Erdichten √<aber>_\\_aber⌡ ├ist┤ etwas falsches dichten.
Das Dichten wird in vielfacher Beziehung gemacht√,_\\_;⌡ Mann
erdichtet sich etwas zum Vortheil der Vernunft um etwas zu
erfinden. So erdichtet man sich √ZirkelsZirckels⌡ am Himmel. Ferner
erdichtet man sich etwas nicht zum Erfinden, sondern zum
Erläutern, und dieses dient zum Vortheil
⌠Seite 179⌡
des Verstandes Z. E. Gleichniße, moralische Fabeln. Jede Fabel
soll also eine Erdichtung zur Erläuterung des Verstandes seyn, und
passet am Besten in der moralischen Welt um die √moral_\\_Moral⌡
selbst verständlich zu machen. Also was in der √moral_\\_Moral⌡ durch
allgemeine Begriffe gesagt ist, wird in der Fabel
/Seite_181
/sinnlich gemacht, welches den Verstand erläutert. Sie machen
großen Eindruck auf Personen die in Concreto urtheilen Z. E. die
Fabel vom Magen. Fabeln sind nicht für Kinder⌠,⌡ denn die
attendiren nicht auf die Moralitaet, sie divertiren sich nur am
äußern ├Z. E.┤ am Fuchs, Raben, Käse p├.┤ Das Verdienst der Fabel
ist den Verstand sinnlich und die √moral_\\_Moral⌡ anschauend zu machen.
Endlich so giebt es noch Erdichtungen, die dem gesunden
⌠Seite 180⌡
Verstande entgegen sind, und das sind Mährchen, die den Fabeln
entgegen gesetzt werden, welche letztere zur Befriedigung des
Verstandes, die ersteren aber zum Nachtheil deßelben dienen. Wenn
wir die Erdichtungen der √Volcker_\\_Völcker⌡ durchgehen Z. E. die
Mythologie, so können wir ⌠dadurch⌡ das Genie der Völcker
beurtheilen Z. E. der Grichen, der Römer und Jndianer. Die
√grichische_\\_Grichische⌡ und √Romische_\\_Römische⌡ Theogonie wird
/Seite_182
/sich so lange erhalten, als die Geschichte bleiben wird.
√≥Begrif des Dichters und der Dichtkunst.≤_\\_Begriff des Dichters
und der Dichtkunst.⌡
Das √harmonische_\\_Harmonische⌡ Spiel der Gedancken und Empfindungen
ist das Gedicht. Das Spiel der Gedancken und Empfindungen ist die
Uebereinstimmung der subjectivischen Gesetze;
⌠Seite 181⌡
wenn die Gedancken mit meinem Subject
√ubereinstimmen,_\\_übereinstimmen⌡ so ist das ein Spiel derselben.
Zweyerley ist bey den Gedancken zu beobachten, daß sie in
Beziehung auf den ⌠Gegenstand stehen, und da müßen die⌡ Gedancken
wahr seyn, und daß der Lauf der Gedancken mit der Natur der
Gemüths Kräfte also mit dem Subject übereinstimme und also die
Succession der Gedancken mit den √Kraften_\\_Kräften⌡ des Gemüths.
Dieses harmonische Spiel der Gedancken und Empfindungen ist das
Gedicht. Gedicht und
/Seite_183
/Beredsamkeit unterscheiden sich darinn√; das_\\_. Das⌡ Gedicht ist
ein harmonisches Spiel├,┤ in welchem sich die Gedancken dem Spiel
der Empfindungen accommodiren, die Beredsamkeit ist auch ein
harmonisches Spiel, aber hier muß sich die Empfindung den
⌠Seite 182⌡
Gedancken accommodiren. Die Empfindungen müßen die Gedancken
√befördern_\\_befordern⌡ und beleben. Beleben heißt├,┤ Stärcke,
Klarheit, Anschauung den Gedancken geben. Das Spiel der Gedancken,
so ferne sie sich den Empfindungen accommodiren⌠,⌡ treibt der
Dichter. Der Dichter hat ein √Sylbenmaas_\\_Silbenmaas⌡ oder einen
Reim. Solche Nationen, die Prosadie haben, haben keinen Reim, die
aber einen Reim haben, haben keine Prosadie. Also ist da immer ein
gleichförmiges Spiel, das geht auf den Ausdruck⌠,⌡ und beym
Gedicht ist es das Hauptstück. Fällt das weg, so
/Seite_184
/fällt ein großer Theil der Empfindung weg. Daher hat die Poesie
eine große Aehnlichkeit mit der Music├,┤ wo eben ein hoher und
niedriger Ton ist, der durch das Silbenmaas
⌠Seite 183⌡
in gewißen Intervallen abgetheilt ist. Jn dieser Dichtkunst hat
der Dichter große √Freiheit_\\_Freyheit⌡ in Gedancken und Worten, aber in An-
sehung des harmonischen des Spiels hat er keine Freyheit. Dahero
ist ein Fehler des Reims ein unvergeblicher Fehler. Die
Dichtkunst ist eher gewesen als die Beredsamkeit, man hat eher
Poesien als Reden gehabt. Die Ursache ist: die Empfindungen sind
eher √gewesen als die Gedancken,_\\_als die Gedanken gewesen;⌡ dahero
hat man die Gedancken den Empfindungen √accommodirt_\\_accomodiret,⌡
bis der Verstand zuwuchs, und da hat man es umgekehrt. Bey der
Beredsamkeit wird das Spiel der Gedancken befördert und belebt.
/Seite_185
/Der Redner ist in Ansehung der Empfindungen
√eingeschrenckt_\\_eingeschränkt⌡, sie müßen so gewählt werden, daß
sie die Gedancken des
⌠Seite 184⌡
Verstandes befördern, wählt er Bilder so wird er ⌠zum⌡ Dichter.
Redner und Dichter seyn, stimmt sehr überein. Die Beredsamkeit
macht die Poesie √gedancken_\\_«g»Gedancken⌡ voll, die Poesie macht
die Beredsamkeit √empfindungs_\\_«e»Empfindungs⌡ voll. Wenn die
Dichtkunst leer ist├,┤ so muß die Beredsamkeit das √gedancken
leere_\\_Gedanckenleere⌡ ersetzen, und wenn in der Beredsamkeit wenig
Empfindung ist, so wird sie durch die Poesie ersetzt.
Viele Gedichte sind bloß Spiele der Empfindung Z. E.
Liebes Gedichte. Ein Dichter von Talent muß sich damit nicht
abgeben, weil es sehr leicht ist solche Empfindungen zu erregen,
indem schon √jeder_\\_ieder⌡ von selbst solche Empfindungen hat. Aber
die Tugend und derselben Empfindungen in
/Seite_186
/ein harmonisch Spiel zu
⌠Seite 185⌡
bringen, das ist ein Verdienst, denn es ist was intellectuelles,
und diese anschauend zu machen, ist ein wahres Verdienst Z. E.
Pope⌠.⌡ Versuch vom Menschen. Dieses Buch hat gesucht die
Dichtkunst durch die Vernunft zu beseelen. Was die Erdichtung
betrift, so kann √die_\\_sie⌡ bloß zur Unterhaltung geschrieben
werden, und denn heißt sie ein Roman. Es ist eine
√Erzählung_\\_Erzahlung⌡ die mit der Analogie der Weltbegebenheiten
erdichtet ist, so aber die Begebenheiten der Welt übertrift. Man
setzt den Menschen in den Romanen in allerhand Stellen, so daß
sich zuletzt einige √Charaktere_\\_Characktere⌡ zeigen, allein die Characktere aus
der wahren Geschichte gefallen beßer. Es wäre gut aus der
Geschichte der
/Seite_187
/Charaktere √der_\\_den⌡
⌠Seite 186⌡
Menschen zu beschreiben. So sagt Richardson⌠:⌡ Menschen├,┤ die von
Natur ein gutes Hertz haben und Laster begehen, die gehen darinn
weiter als die von Natur böse sind. Er gab ein Beyspiel aus der
Geschichte. Sylla war von Natur böse, lebte aber nach vielen
Blutvergießen in Ruhe. Nero hatte von Natur ein gutes ⌠Hertz⌡
√<Gemüth>_\\_Gemüth⌡, er verfiel aber aus Leichtsinn in Wollust und
Grausamkeit. Solche √Reflexionen_\\_Reflectionen⌡ über Menschen, die
aus der Geschichte bestimmt sind, sind beßer als Romanen.
Erdichtungen die für Wahrheiten ausgegeben werden sind lügen.
Diese Eigenschaft ist bey vielen Menschen ein
Dichtungs Vermögen├,┤ die bloß ohne Absicht ihrer Fähigkeit zu
dichten⌠,⌡ den Zug geben.
⌠Seite 187⌡
/Seite_188
/ ≥Vom Zustand des Menschen im Schlaf √und_\\_oder im⌡ Traum.≤
Träume sind selbst geschaffene Bilder des √mensch- lichen_\\_Menschlichen⌡ Gemüths deren man sich im √Wachen_\\_«w»Wachen⌡ erinnert. Viele Träume kommen beym Menschen überein Z. E. wenn man in der Luft schwebet⌠,⌡ welches ein Zeichen der Gesundheit ist, die aus der Leichtigkeit des √Geblüths_\\_Geblüts⌡ kommt. So √können_\\_konnen⌡ auch Träume die Disposition des Tages anzeigen Z. E. ein Lerm mit Hunden zeigt Händel an, besonders bey Leuten die darauf attendiren. Die Ursache ist⌠,⌡ weil ihnen schon im Schlafe der Kopf nicht recht gestanden hat, und stehen sie auf, so ist ihr Gemüth auch so übel √disponirt_\\_disponiret⌡, daß sie über alles ärgerlich werden, und/Seite_189
/Händel machen. Solche Träume können immer was bedeuten, denn es
ist natürlich. Man glaubt auch im Schlafe Mei-
⌠Seite 188⌡
ster √Stücke_\\_Stucke⌡ des Witzes hervorgebracht zu haben Z. E. ein
√schönes_\\_schones⌡ Gedicht, allein das ist eine
√Jllusion_\\_Illusion⌡. Vorbedeutende Träume sind wohl möglich, in so
ferne sie aus dem Zustande des √Cörpers_\\_Corpers⌡ fließen Z. E.
√iemanden_\\_jemanden⌡ √Träumt_\\_träumt⌡ von einer ⌠Kranckheit, so
bringt die ⌡Kranckheit die schon im Cörper ist, solchen Traum
hervor. Viele Träume entspringen aus der Beklemmung des Bluts,
welches aus der Hertz Cammer dringt├,┤ besonders auch aus ⌠der
Hertz Cammer und ⌡dem Athemzuge├,┤ der beym Wachen willkührlich,
im √Schlaaf_\\_Schlaf⌡ aber sehr schwach ist. Die Träume hat man für
Vorbedeutungen künftiger Dinge angesehen, dahero hat man sie
ausdeuten wollen. Alle wilden Völcker
/Seite_190
/halten die Träume für etwas göttliches. Ein Phantast ist, der
seine Bilder in der Imagination für würckliche Gegenstände hält,
er ist
⌠Seite 189⌡
vom Schwärmer zu unterscheiden. Der Phantast bildet sich ein⌠,⌡
Gegenstände dieser Welt zu sehen, der √Schwarmer_\\_Schwärmer⌡ aber
glaubt Gegenstände der Geisterwelt zu sehen. Wer seine
Empfindungen aufspähet, und darauf sehr acht hat, geräth in die
Phantasterey, wer aber außer sich ist, ist davor sicher.
Der √Entusiasmus_\\_Intusiasmus⌡ ist eine Phantasterey in Ansehung
der Gegenstände des Verstandes Z. E. Enthusiasmus der Tugend des
Patriotismus, wenn ein Ideal für etwas √reelles_\\_reelles⌡ gehalten
wird. Wahnsinn oder Delirium ist die habituelle
/Seite_191
/Phantasterey, so die Bilder für würckliche äußere Gegenstände
hält. Der ist wahnsinnig, der seine √chimaeren_\\_Chimairen⌡ für
würckliche Gegenstände seines vorigen Zustandes hält Z. E. er sey
ein √Prinz_\\_Printz⌡ gewesen, der ist aber verrückt, der da glaubt
äußere Gegenstande zu sehen, beides ist
⌠Seite 190⌡
das Delirium. Wahnsinnige Kinder giebt es nicht, sondern der
Wahnsinn stellt sich mit der Vernunft ein. Der Wahnsinn aus
Kranckheit ist das Phantasiren oder Faseln.
Blödsinnig ist der, der seinen Zustand in der Welt nicht wahrnimmt
Z. E. die Cretens in Wallis, auch die Albiner. Wenn die
√Kräfte_\\_Krafte⌡ in Ansehung des Gebrauchs schwach sind, so sind
das √Blödsinnige_\\_Blodsinnige⌡. Wenn aber die Kräfte in Ansehung
des Gebrauchs der Sinnlichkeit irre sind, so sind das Wahnsinnige.
Der Blödsinnige ist
/Seite_192
/unbrauchbarer, weil er seine Fähigkeiten gar nicht anwenden kann,
er kann sein Gedächtnis nicht anwenden, das zu reproduciren, was
er gesehen hat. Die Phantasterey ist das Genus├,┤ wo man Bilder
und Erdichtungen für würckliche Gegenstände hält. Diese
Phantasterey ist zwiefach├,┤ der Begrif-
⌠Seite 191⌡
fe und ├der┤ Empfindung. Die Phantasterey der Begriffe entspringt
aus einer Empfindung des Beyfalls, des Gefühls des guten,
rührenden und reizenden. Dieses Gefühl des Begrifs macht, daß man
das ideale realisirt, und daß wenn es würcklich wäre, es großen
Wohlgefallen bey uns hätte. Dieses zeigt schon die Erfahrung, daß
man das am Gegenstande zu sehen glaubt, was man davon denckt.
/Seite_193
/So setzt man, wenn man eine Geschichte erzählt, vieles hinzu,
wovon man glaubt, daß es noch daran gefehlt hat. Diese
Phantasterey aus √Ideen_\\_Ideen⌡, ob sie gleich nur eine Wirckung
des Dichtungs Vermögens ist, aber doch nach Regeln des Verstandes
geschiehet, heißt der √Entusiasmus_\\_Enthusiasmus⌡. Er ist ein
Phantast des √Ideals_\\_Ideals⌡. Dieses Enthusiasmi sind nicht alle
fähig, es ist eine edle Phantasterey,
⌠Seite 192⌡
sie setzt ein Talent voraus, wo sie ist. √Vielen_\\_Viele⌡ so sich
über den Enthusiasmum aufhalten sind nicht durch den Verstand von
demselben frey, sondern durch ihre √Stupiditaet_\\_stupiditaet⌡. Der Enthusiasmus
setzt voraus, daß man sich ein √Ideal_\\_Ideal⌡ wovon √macht_\\_mache⌡.
Es giebt √Erkenntniße_\\_Erkentniße⌡ die Urbilder der Sache sind, so
daß die Dinge nach der
/Seite_194
/√Erkenntnis_\\_Erkentnis⌡, die ein Urbild von ihnen ist├,┤ möglich
sind. Dieser vollkommene Begriff von einer Sache ist die
√Idee_\\_Idee⌡, fingirt man sich aber ein dieser √Idee_\\_Idee⌡ gemäßes
Bild, so ist das ein Ideal. Weil diese Idee das Muster der
Vollkommenheit ist, so gefällt es uns so, daß wir verleitet werden
zu glauben, daß solches würcklich in der Welt statt finden kann.
So hat jeder eine Idee der Freundschaft in ihrer gantzen
Reinigkeit in seinem Kopf, obgleich sie in der gantzen Welt nicht
angetroffen wird. Nach dieser Idee kann man alle Freund
⌠Seite 193⌡
schaft beurtheilen. Wer aber diese Idee √realisirt_\\_realisirt⌡, wer
da erwartet, daß sie würcklich in der Welt statt finden soll, und
selbst in dem Grad, den er sich in
/Seite_195
/seinem Kopf davon macht, der geräth in den Enthusiasmus der
Freundschaft. So giebts einen Enthusiasmum des Patriotismus, wo
man sich ein Ideal der vollkommenen Verbindung der bürgerlichen
Gesellschaft zu einem allgemeinen Wohl der gantzen bürgerlichen
Gesellschaft macht. Wer diesem Ideal mit affect nachhängt,
√das_\\_daß⌡ doch nicht erreicht werden kann, der ist
√enthusiastisch_\\_Enthusiastisch⌡. Solcher Enthusiasmus macht große
Ausschweifungen, so daß der⌠,⌡ der durch diese Idee begeistert
wird, √so wohl_\\_sowohl⌡ Freundschaft als natürliche Verbindung und
alles aufopfert. Wird nun ein solches Ideal nicht erreicht⌠,⌡ so
macht ein solcher Enthusiasmus √misantropische_\\_misantropische⌡
⌠Seite 194⌡
Menschen. Ein solcher fliehet die Menschen nicht aus böser
Absicht,
/Seite_196
/weil er sie nicht leiden kann, sondern weil er nirgends solche
√Menschen_\\_Leute⌡ findet, wie er sie haben will, nicht solche
√danckbare,_\\_danckbaare⌡ solche wohlwollende gegen das gantze
√menschliche_\\_Menschliche⌡ Geschlecht. Er ist also ein
√Tugendhafter_\\_tugendhafter⌡ Phantast, er verfolgt das Ideal mit
Affect. Solches Ideal kann zwar zur Regel und zur Beurtheilung
dienen, kann aber nicht würcklich erreicht werden. Solche
Enthusiasten sind nicht böse Menschen, sondern sie sind angefült
mit Grundsätzen von Wohlwollen gegen das gantze menschliche
Geschlecht, und indem sie solches nicht antreffen können, werden
sie Misantropen├.┤ Z. E. Rousseau und werden für wiedersinnig
gehalten, indem sie solche Grundsätze haben, wornach sie von
/Seite_197
/andern beurtheilet werden√;_\\_.⌡ Man pflegt
⌠Seite 195⌡
zu rühmen, daß der Enthusiasmus viel großes thut, und alle große
Veränderungen ⌠in der Welt ⌡aus dem Enthusiasmus entstünden⌠,⌡
nicht aus kalter Beurtheilung sondern aus der Anschauung. Den
Phantasten der Empfindung kann man Träumer nennen. Dergleichen
sind die Alohymisten, √Chimisten_\\_Chymisten⌡ p. Die bilden sich
noch immer ein den Stein der Weisen zu erlangen. Solche Träumerey
findet statt aus Mangel der Erfahrung. Den Wahnsinn in Ansehung
der innern Empfindung nennt man Schwärmerey. ⌠«Alle»⌡ Alle Träumer
durch einen geistigen Sinn sind Schwärmer, der hat schon Hang
dazu, der es theoretisch für möglich hält. So √nobel_\\_nobel⌡ der
Enthusiast ist, so niedrig ist der
/Seite_198
/Schwärmer. Der Enthusiast hat doch ein wahres Urbild zum
Gegenstande, dieser aber
⌠Seite 196⌡
folgt Undingen und Hirngespinsten. Je mehr sich einer der äußeren
Welt entzieht, desto schädlicher ist es. Der Schwärmer ist nun
aber ein solcher, der sich dieser Welt gantz entzieht, folglich
ist er für die gegenwärtige Welt gantz unbrauchbar. Alle Schwärmer
haben keine richtige √Philosophie_\\_Philosophie⌡, wohl aber die
Enthusiasten, nur sie folgen ihren richtigen Begriffen mit vollem
Affect.
≥Vom Voraussehen≤
Das Voraussehen ist die Bedingung, unter der alle unsere Handlungen geschehen. Das √gegenwärtige_\\_gegenwartige⌡ genießen wir, auf das künftige machen wir Zubereitung. Je/Seite_199
/thätiger ein Mensch ist, desto mehr Reitz hat er sein Augenmerck
aufs künftige zu richten, der aber so wenig
√bedürfniße_\\_Bedürfniße⌡ hat, sieht sich wenig auf die Zukunft vor.
Mit den Jahren nimmt die Praevision zu. Junge Leute sehen nicht
⌠Seite 197⌡
so in die Zukunft wie √alte_\\_Alte⌡, denn die iunge haben nicht
solche eingewurtzelte Angelegenheiten des Lebens, sie haben sich
noch an vieles nicht √gewöhnt_\\_angewöhnt⌡, sie können noch ihre
Lebens Art ändern, und zu allem sich entschließen. Der Alte hat
aber ├«mehr»┤ eher Vorsicht in Ansehung des Künftigen, weil er
mehr Zurüstungen braucht├,┤ als der iunge, indem der iunge
lebhafter ist. Daher kommt es, daß alte Leute geitzig sind, weil
sie auf die Zukunft sehen, obgleich die Jungen eher Ursache hätten
zu sparen⌠,⌡ weil sie länger zu leben
/Seite_200
/haben. Allein die Ursache bey dem Alten ist diese⌠,⌡ sie finden
sich im Alter unfähig für ihr weiteres Unterkommen zu sorgen,
dahero suchen sie sich ein künstliches Vermögen zu erwerben, und
daher sparen sie, der Junge aber denckt├,┤ kommt Zeit kommt Rath.
Ob gleich die Vorstellung
⌠Seite 198⌡
vom künftigen noch so kräftig ist, als vom gegenwärtigen, so
√interessirt_\\_interreßirt⌡ es uns doch mehr Z. E. ein Vergnügen,
was man genießen soll⌠,⌡ kommt einem weit angenehmer vor, als man
es hernach würcklich findet. So sind alle Ehen, in denen man sich
himmlische Vergnügungen zu genießen vorstellt, die doch hernach
kaum ein mittelmäßiges Glück ausmachen. Die Sache kommt niemals
mit dem Ideal überein, was man sich davon gemacht hat, als es noch
in
/Seite_201
/der Zukunft war. Die Ursache ist, weil wir uns das Künftige
verschönern und umformen können, so wie wir wollen, das
√gegenwärtige_\\_Gegenwärtige⌡ aber können wir uns nicht beßer
vorstellen, als es ist, daher gehen die √chimaeren_\\_Chimairen⌡ auf
die Zukunft.
So wie uns das künftige angenehme Vergnügen oder Glück sehr
ergötzt, so ist uns
⌠Seite 199⌡
im Gegentheil das künftige Unglück desto fürchterlicher, als es
würcklich an sich ist. Daher wünscht man, daß es bald vorbey wäre.
Ueberhaupt theilen die Menschen die Zeit in Ansehung des
Angenehmen und unangenehmen besonders ein. Wenn ein jeder 20 oder
30 ├lauter┤ Uebel├,┤ √Sklaverey_\\_Sklawerey⌡ und Wiederwärtigkeiten
auszustehen hätte⌠,⌡ und hernach die übrige Zeit lauter Glück und
Vergnügen, so wird ein jeder die √Jahre_\\_Iahre⌡
/Seite_202
/des Unglücks lieber eher ausstehen wollen⌠,⌡ damit er nur gegen das
Ende lauter Annehmlichkeiten zu genießen habe. Genießt er
√das Unglück_\\_des Unglücks⌡ zuerst, so vergnügt er sich ├darinn┤
mit dem √Prospect_\\_Project⌡ in das √künftige_\\_künftig⌡ angenehme
Leben. Würde er aber die angenehmen Jahre zuerst zu genießen
haben, so möchte ihn das künftige Unglück immer qvälen. So sind
alle Romanen eingerichtet, sie geben
⌠Seite 200⌡
dem Jüngling erst alle Verdrieslichkeiten ├und Wiederwärtigkeiten ┤
des Lebens auszustehen, und alles Vergnügen und Wohlleben
verschieben sie bis an das Ende seines Lebens. So ist es auch im
Eßen. Das beste bleibt immer zuletzt. So giebt man den besten Wein
zuletzt zu trincken. Würde
/Seite_203
/der √beste_\\_Beste⌡ zuerst kommen, so würde der schlechte hernach
nicht schmecken. So verschmachten auch die Leute die den Hof haben
meiden müßen, obgleich ihre Lebens Art ⌠hernach ⌡nicht die
schlechteste ist. Es kommt also auf die Ordnung der Erfindung an,
und die √Praevision_\\_Provision⌡ richten wir alle so ein.
Es giebt Menschen die sich mit Hofnungen nähren. Einige stellen
sich vor, daß ihnen das Uebel eher √begegne«n»_\\_begegne⌡ was ihnen
droht, als das Glück eintreffe, wozu sie sich Hofnung machen
√könnten_\\_konnten⌡. Wer in seinen Wünschen
⌠Seite 201⌡
gemäßigt ist, der ist eher besorgt, daß er unglücklicher werde,
weil er mit seinem gegenwärtigen Zustande zufrieden ist. Wer aber
mit dem gegenwärtigen Zustande unzufrieden ist, der hat große
Hofnung
/Seite_204
/zum künftigen Glück. Man sagt, was man wünscht, das hoft man
auch zu erlangen, allein man hat oft was anderes zu hofen als man
wünscht. Macht man sich von etwas Hofnung⌠,⌡ und sie schlägt
fehl, so wird der Mensch verzweifelt, ist sie noch nicht
ausgefallen, so unterhält sie ihn, indem man noch √hofft_\\_hoft⌡ es
künftig zu erreichen Z. E. ein Spiel⌠.⌡
Die Jugend ist voller Hofnung und zwar mit Recht, denn sie hat
Talente⌠,⌡ solches √ins_\\_in⌡ Werck zu stellen, der alte hoft
weniger, und sucht sich nur in dem Besitz deßen zu erhalten, was
er hat.
⌠Seite 202⌡
Die Menschen sind sehr begierig vom entfernten künftigen etwas zu
wißen und darinn etwas zu veranstalten. Das √entfernt_\\_entfernte⌡
künftige zu wißen, hat seinen natürlichen Hang,
√nehmlich_\\_nemlich⌡ seine Kenntniße zu vermehren. Es ist uns
also nicht gleichgültig zu wißen├,┤ was über 1000 Jahre geschehen
würde
/Seite_205
/Z. E. die √Astronomischen_\\_Astronomischen⌡ Bemerckungen in der
künftigen Veränderung interessiren uns sehr. Die vergangene Zeit
aber ist in Ansehung unserer, als wenn sie nicht da gewesen wäre.
Der mindeste Grad des künftigen Vorhersehens ist die Erwartung⌠,⌡
Expectation. Ein großerer Grad des Vorhersehens ist Vermuthen,
und der größte Grad ist das Wißen. Die Erwartung ist auch den
⌠Seite 203⌡
Thieren gemäß. Jn der Reihe der Folgen⌠,⌡ ist eine gewiße
Ordnung├,┤ die wir in Ansehung des vergangenen wahrnehmen, nach
der alles geschehen ist. Nach ⌠eben⌡ dieser Ordnung sehen wir
auch ins künftige. Die Erwartung aehnlicher Fälle ist also der
mindeste Grad unseres Vorhersehens. Je länger √jemand_\\_iemand⌡
lebt, und je mehr er auf die Fälle der Erfahrung Acht gegeben
hat⌠,⌡ nach welchen Regeln sie geschehen sind, desto mehr ist er
im Stande ins Künftige zu prospiciren, indem ihm die Erfahrung
/Seite_206
/viele Regeln an die Hand giebt├,┤ wornach er nach dem Gesetz der
ähnlichen Fälle etwas vorhersehen kann. Diese Klugheit, die aus
√solche@¿m¿@_\\_solchem⌡ Alter entspringet, fließt nicht aus dem
⌠Seite 204⌡
Verstande, sondern aus der Erfahrung und gründet sich auf die
√aehnlichen_\\_ähnlichen⌡ Fälle.
Ungewiß etwas vorher sehen├,┤ ist Vermuthen, Provision, und etwas
mit Gewißheit vorhersehen ist Wißen. Vermuthen setzt Schließen
zum voraus, also nicht allein die Erfahrung├,┤ sondern auch die
Vernunft. Das Wißen setzt aber völlige Vernunft zum voraus, so
kann ein Astronom etwas wißen. √Freie_\\_Freye⌡ Handlungen der
Menschen kann man nicht wißen, wohl aber vermuthen, und das ist
die Klugheit. Allein diese √drey_\\_3⌡ Vermögen sind mit den Regeln
des Verstandes einstimmig, und wenn auch die
/Seite_207
/Erwartung mit der Einbildung correspondirt, so ist sie doch dem
Verstande √gemäß_\\_Gemäß⌡. Es giebt aber einige
√Praevisionen_\\_Provisionen⌡, so mit dem Ver-
⌠Seite 205⌡
stande gar keine Gemeinschaft haben, ⌠ia die sogar wieder den
Verstand gehen, ⌡und das sind die Ahndungen. Die Ahndung soll
eine unmittelbare Anschauung des Künftigen seyn, nun können wir
aber nur das gegenwärtige anschauen. Ahndungen sollen also nicht
Vermuthungen sondern Anschauungen des künftigen seyn. Diese
Ahndung macht bey einem unrichtigen und eingeschränckten
Verstande den √größten_\\_großten⌡ Theil des Wißens aus. Dasjenige
was sie vermuthen und wißen⌠,⌡ ist wenig. Wenn solchen Personen
besonders altern Weibern was ahndet, so geschicht es nicht nach
Regeln der Ordnung und der Vernunft, sondern es soll durch gewiße
Zauberkraft geschehen, sie
/Seite_208
/empfinden solches schon so in sich√:_\\_.⌡ Er frägt sich: ob die
Ahn-
⌠Seite 206⌡
dungen √den_\\_denn⌡ ohne allen Grund sind? Jm vernünftigen Sinn
kann schon in unserm Gemüth ein Grund zur Ahndung seyn⌠,⌡ den wir
nur nicht auswickeln können Z. E. es ahndet jemand er werde
Kranck werden, so liegt der Grund schon in ihm├,┤ oder im Spiel,
er würde verlieren. Oft ist die Ahndung die Ursache wovon, so
kann einem ahnden, daß er glücklich werde, welches beym frohen
Gemüth geschehen kann, oder √das_\\_daß⌡ er unglücklich werde,
welches auch leicht bey einem übel disponirten Gemüth geschehen
kann, und denn sind die Ahndungen natürlich. Aber wenn einem
etwas ahndet, ohne Verknüpfung der Regel mit dem √gegenwarti-
gen,_\\_gegenwärtigen⌡ ohne alle Gesetze durch einen Sprung, da
gehören die Ahndungen zu den
/Seite_209
/Hirngespinsten. Und so machen die Neigungen und Begierden, die
aus ihren Schrancken treten, den Menschen abergläubisch, da
glaubt
⌠Seite 207⌡
er das zu sehen und das zu erfahren, was
er sich schaft.
√Prognostitiren_\\_Prognostiziren⌡ heißt etwas √vorher
sagen_\\_vorhersagen⌡. So ferne kann ein √erfahrner_\\_Erfahrner⌡ und
belesener Mann in Staats und Rechtssachen oft nach den Gesetzen
des Verstandes vieles prognosticiren⌠. Es giebt aber Prognostiren
⌡├,┤ die bloß auf einzelne Personen gerichtet sind, und diese
nennt man Wahrsagungen, oder die an die gantze Welt gehen, und
die nennt man Weißagungen. Beyde können Divinationes heißen. Mann
kann oft an einem Menschen Z. E. aus seinem Gesicht zeigen, was
aus ihm werden wird, und also prognosticiren. Das sind
vernünftige Wahrsagungen. Allein √viele_\\_<viele>⌡ Wahrsagungen von
einzelnen Personen
/Seite_210
/geschehen aus den √Lienien_\\_Linien⌡ der Hände, die gar kein Grund
des √Prognosticirens_\\_prognosticirens⌡ seyn können. Das was die
√Astronomen_\\_Astronomen⌡ vorher sagen können, sind keine
⌠Seite 208⌡
Weissagungen. Bey der Weissagung muß nichts aus der Vernunft
entspringen, sondern es muß eine Offenbarung seyn. Das Wahrsagen
kann möglich seyn durch den Prospect der Entfernung √im_\\_ein⌡ Raum
und in der Zeit√, allein_\\_. Allein⌡ in Ansehung des Künftigen
giebt es keine Prospecte. Viele Philosophen glaubten das Z. E.
Leibnitz sagte: Wenn man sich das gegenwärtige vollständig bewust
wäre, so würde darinn der Keim des künftigen liegen, so wie in
der Astronomie in Ansehung der Constellation des Himmels. Da wir
aber bey den freien Handlungen der Menschen unmöglich die
/Seite_211
/bestimmten Ursachen erkennen können, um das künftige vorher zu
sagen, so ist es nicht möglich. Die √prophetische_\\_Prophetische⌡
Gabe muß also auf die freien Handlungen⌠,⌡ der Menschen gehen,
und solche ist unmöglich. Die Begebenheiten der Natur voraus zu
sehen, ist möglich, und √jemer_\\_ie mehr⌡ wir die Natur
√studieren_\\_studiren,⌡
⌠Seite 209⌡
und die Ursachen einsehen können, um desto eher geht es an, aber
wenn wir √auch noch so den Menschen_\\_den Menschen auch noch so⌡
kennen lernen, so geht es doch nicht an. Prophet bedeutet bey den
Alten nicht den Wahrsager selbst, sondern den Ausleger. Die
Sprüche und verworrenen Redensarten eines √tollen_\\_Tollen⌡
gestörten Menschen, der alles durch einander redet, halten die
√orientalischen_\\_Orientalischen⌡ Völcker für heilig, und sagen,
daß die Seele eines solchen Menschen schon bey Gott ist. So
/Seite_212
/ist einer├,┤ der da stammelte und schiefe Gesichter machte, von
den dortigen Einwohnern für einen √Heiligen_\\_heiligen⌡ gehalten
worden, so daß sie ihm von Stund an sorgfältig durch alle Länder
durchhalfen.
≥Von der √Facultate_\\_facultate⌡ characteristica.≤
√Characktere_\\_Charactere⌡ und Symbola sind zu unterscheiden. Symbolum ist ein Sinnbild, √Charackter_\\_Character⌡ ist nur eine Bezeichnung. Sinnbild ist ein Bild, was eine Aehnlichkeit mit der Sache/Seite_213
/gesehen bey √Nennung_\\_«n»Nennung⌡ dieses Nahmens, die nach der
Analogie unmittelbar etwas bedeutet Z. E. Heinrich der Löwe. Zu
unsern √Erkentnißen_\\_Erkenntnßen⌡ als Zeichen des Verstandes
schicken sich nichts so gut als Worte, weil sie an sich nichts
anderes bedeuten, so kann der Verstand den gehörigen Begrif damit
verknüpfen, aber wenn es Bilder sind, so was anderes bedeuten, so
wird der Verstand verwirrt⌠,⌡ er hat alsdenn 2 Bilder, anstatt
daß er eins haben soll. √Simbola_\\_Symbola⌡ können nur da gebraucht
werden, wo die Vorstellungen
⌠Seite 211⌡
nicht schwer sind, alle √Simbola_\\_Symbola⌡ sind also Mittel der
größeren Vorstellung. Wer durch Symbola spricht, zeigt an, daß es
ihm am Verstande fehlt. Solche √Nation_\\_Nationen⌡ die eine √sym-
bolische_\\_Symbolische⌡ Sprache √hat_\\_haben⌡, bey der sind die
richtigen Begriffe
/Seite_214
/des Verstandes sehr schwer. Könnten sie sich was durch Begriffe
vorstellen, so brauchten sie keine Bilder. So sind alle √ori-
entalischen_\\_orientalische⌡ Völcker, die stellen alle ihre
Begriffe durch Bilder vor, dahin √gehöret_\\_gehört⌡ die Geschichte
des Schach Nadir. Solche die zu √unserer Zeit_\\_unseren Zeiten⌡
√diese SchreibArt_\\_die Schreibart⌡ nachahmen├,┤ thun dem Verstande
großen Tort. Den √orientalischen_\\_Orientalischen⌡ Völckern ists
fast gantz unmöglich durch √begriffe_\\_Begriffe⌡ zu reden. Wir
haben es den Grichen zu verdancken, die sich zuerst von dem Wust
der Bilder befreiten.
Ein Vorbild des künftigen soll ein Zeichen des künftigen
bedeuten, nicht als eine
⌠Seite 212⌡
Ahndung, sondern eine Auslegung und Ausdeutung des künftigen. Man
hat die √Prodigia_\\_prodigia⌡ portenta
/Seite_215
/oder auch √Träume_\\_Traume,⌡ ja auch die Characktere des Menschen
in der Hand als Zeichen des künftigen angesehen. Prodigium ist,
was nach den bekannten Gesetzen der Natur nicht verstanden wird.
Der gemeine Mann frägt gleich bey einem solchen Prodigio, was
soll das bedeuten√? Der_\\_, der⌡ geht also auf das künftige,
welches ihn sehr interessirt. Der Philosoph aber frägt: wo mag
das herkommen? Weil er speculativ ist, so geht er auf die
Ursachen. Die Traumdeutung ist ein Gegenstand, der bey allen
Nationen √sehr_\\_<sehr>⌡ viel Aufsehens gemacht hat, und vorzüglich
bey den Wilden. So nimmt einer dem andern was weg, weil es ihm
geträumet hat, der andere aber weiß sich durch eben solchen Traum
zu revangiren.
⌠Seite 213⌡
/Seite_216
/≥Vom Ober Erkenntnis Vermögen.≤
Das √Obererkenntniß_\\_Obererkenntnis⌡ Vermögen ist das Vermögen über die uns gegebene Vorstellungen zu reflectiren. Generaliter heißt dies Obererkenntnis Vermögen der Verstand⌠,⌡ und der wird unterschieden von der Sinnlichkeit, oder dem Untererkenntnis Vermögen, wodurch die Vorstellungen erzeugt werden. Der Verstand ist die Kraft von allen Vorstellungen √Gebrauch_\\_gebrauch⌡ zu machen. Verstand und Sinnlichkeit wiederstreiten sich. Der Verstand ohne Sinnlichkeit ist nichts├,┤ und nur ein bloßes Vermögen, eben so als die Regierung ohne Unterthanen, und die Wirthschaft ohne etwas worüber ├man┤ wirthschaften kann. Der Verstand allgemein genommen, so ferne/Seite_217
/er das gantze Erkenntnis √Vermögen_\\_Vermogen⌡ in sich faßt⌠,⌡ ist
das Vermögen zu reflectiren und zu dencken. Nicht jedes memoriren
ist dencken. Das dencken setzt durchaus Reflexion
⌠Seite 214⌡
zum voraus d. h. Vorstellungen unter die allgemeine Regeln der
Erkenntniße zu bringen. Dencken ist nicht, sich Dinge vorstellen,
welches durch die Sinnlichkeit geschiehet, sondern die
Bearbeitung der Materien, so die Sinnlichkeit darreicht. Das
√Obererkenntnis_\\_Obererkenntniß⌡ Vermögen √faßt_\\_fast⌡ dreyerley in
sich: Verstand insbesondere, so ferne er der Vernunft entgegen
gesetzt wird, Urtheils Kraft und Vernunft. Verstand ist das Ver-
mögen der Begriffe. Urtheils Kraft ist das Vermögen der Anwendung
der Begriffe im gegebenen Falle√,_\\_;⌡ und die Vernunft
/Seite_218
/ist das Vermögen der Begriffe a priori in abstracto. Der
Verstand ist das Vermögen der Regel, Urtheilskraft das Vermögen
der Anwendung der Regel├,┤ und Vernunft die Anwendung der Regel a
priori.
Wenn ich etwas nach einer allgemeinen Regel erkenne, so ist mein
⌠Seite 215⌡
√Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡ kein Verstandes Erkenntnis. √Alle_\\_Alle«in»⌡
Verstandes Erkenntniße sind allgemeine Erkenntniße, und alle
allgemeine Erkenntniße sind Regeln.
Verstand ist nöthig um etwas zu verstehen. Verstehen ist aber von
Einsichten zu├«verstehen»┤ unterscheiden. Das Einsehen geschicht
durch die Vernunft, das Verstehen durch den Verstand, daher ist
nicht alles kennen ein Verstehen,
/Seite_219
/sondern nur durch den Verstand.
/Der Verstand wird unterschieden
in den behenden und unrichtigen. Der behende ist, der etwas
geschwinde versteht, der sich leicht einen Begrif machen kann,
und ist bey witzigen Personen besonders zu finden. Ein behender
√Begrif_\\_Begriff⌡ ist nicht allemahl ein richtiger
√Begrif_\\_Begriff⌡, ein behender ist auch ein geschwind √hervor
gebrachter_\\_hervorgebrachter⌡ √Begriff_\\_Begrif⌡, aber ein richtiger
entsteht langsa-
⌠Seite 216⌡
mer. So können sich witzige Personen bald allgemeine Begriffe
machen, allein es fehlt ihnen an Unterscheidung und Richtigkeit
der Begriffe. Ferner unterscheidet man denn Verstand in den
gemeinen und in den speculativen Verstand. Der gemeine Verstand
ist das Vermögen in concreto zu urtheilen, der speculative aber
in √abstracto_\\_Abstracto⌡
/Seite_220
/zu urtheilen. Der gemeine und gesunde Verstand heißt nicht darum
ein gemeiner, weil er bey gemeinen Menschen angetroffen wird,
sondern weil er allerwegen und von allen gefordert wird. Solche
Menschen von gemeinem Verstande urtheilen in concreto. Wenn man
ihnen dahero etwas allgemeines und abstractes vorlegt, so fordern
sie sogleich ein Exempel, ihr Verstand ist nicht geübt in
abstracto zu urtheilen, aber in concreto urtheilt er
⌠Seite 217⌡
richtig. Der speculative Verstand muß allemal ein gesunder seyn,
das folgt nothwendig, aber ein gesunder ist nicht speculativ. Der
√Gesunde_\\_gesunde⌡ ist zugleich der practische Verstand, weil er
nur in gegebenen Fällen urtheilen kann, aber um Plane zu
/Seite_221
/machen, wird ein speculativer Verstand erfordert.
Das vorzüglichste Hauptstück das von √iedem_\\_jedem⌡ Verstande zu
erwarten ist⌠,⌡ und von √iedem_\\_jedem⌡ gefordert wird ist die
Urtheils Kraft. Man muß von allen Regeln die man in abstracto
eingesehen hat, einen Gebrauch zu machen, und sie anzuwenden
√«suchen» <wißen>_\\_wißen⌡. Der gantze Verstand mit seiner
Erkenntniß ist fruchtlos ohne die Urtheils Kraft. Der Mangel der
Erkenntniße und Begriffe macht einen stumpfen Kopf, der Mangel
der Urtheils Kraft ⌠macht einen Dummkopf. Der Mangel der Urtheils
Kraft ⌡fällt ins lächerliche⌠,⌡ aber nicht der Mangel der
√Erkenntnis_\\_Erkenntniße⌡ des
⌠Seite 218⌡
Verstandes. Wer viel √Einsichten und Erkenntniße,_\\_Kenntniße und
Einsichten⌡ aber keine Urtheils Kraft hat, seine Kenntniße in
gegebenen Fällen anzuwenden, der ist ein
/Seite_222
/Pedant. Es fehlt einem solchen nicht am Vermögen der
UrtheilsKraft, sondern sie ist nur nicht geübt alle Erkenntniße
in der Welt anzuwenden. Diese entsteht aus Mangel der
√Weltkenntniße_\\_WeltKenntniße⌡. Der Mangel der Urtheils Kraft ist unersetzlich,
weil er nicht durch Unterricht ersetzt werden kann. Denn die
Urtheils Kraft läßt sich nicht informiren wohl aber der Verstand.
Die UrtheilsKraft kann weder durch Schulen noch durch andere
Unterweisungen mitgetheilt werden, sondern sie ist schon von der
Natur gegeben, aber man kann sie üben. Man muß das, was der
Verstand √urtheilt_\\_Urtheilt,⌡ sich üben anzuwenden, und denn übt man die
Urtheils Kraft. So redete die Königin Christina klug⌠,⌡ und
handelte √törigt_\\_töhrigt⌡.
⌠Seite 219⌡
Der Autor redet hier gelegentlich von der Distraction. Man kann
sich willkührlich
/Seite_223
/dissipiren, aber unwillkührlich wird man distrahirt besonders
durch die Vielheit der Gegenstände und Vorstellungen, die wir √im
kurtzen_\\_in Kurzem⌡ wahrgenommen, und die uns vom attendiren
distrahiren. Was das Gemüth in √unwillkührliche_\\_unwillkürliche⌡
Stellung versetzt, ist ein Grund der Zerstreuung. So ist ein
√jeder_\\_ieder⌡ Hang zur √unwillkührlichen_\\_unwillkuhrlichen⌡
Einbildung, wenn er habituell wird⌠,⌡ ein großer Grad der
Zerstreuung. Personen⌠,⌡ die abstract nachdencken werden oft
distrahirt, so wuste z. E. Newton nicht⌠,⌡ ob ihm ein anderer
sein Huhn √aufgegeßen_\\_aufgegessen⌡ hatte oder nicht. Aus dem
unwillkührlichen Nachdencken wo Personen in Gesellschaft und auf
den Straßen √nach dencken_\\_nachdencken⌡, entspringt eine solche
Zerstreuung. So gieng ein solcher ohne Paruck und in Pantoffeln
auf die Straße⌠,⌡ ohne daß er es wuste. Weil die Gedancken ihn
⌠Seite 220⌡
aufgenommen
/Seite_224
/haben√,_\\_;⌡ so weiß er nicht, wo er ist. Solches dencken ist ohne
√Nutzen_\\_«n»Nutzen⌡, sie wißen nicht, was sie dencken, sie
versetzen sich gantz außer sich, und daß ist kein Zeichen eines
nachdenckenden Kopfes. Ein nachdenckender Kopf sucht sich wieder
in Gesellschaft zu dissipiren und von seinen Gedancken loß zu
seyn. Die Gedanckenlosigkeit ist entweder eine
√Lebhafte_\\_lebhafte⌡ oder eine Todte. Die lebhafte ist, die einen
Menschen durch Vergnügen und lebhafte Unterhaltung beywohnt, die
todte ist, wo der Mensch in eine Inaction versetzt wird, und
macht seinen Zustand zum neuen Gebrauch seiner Gemüthskräfte
unbelebt. Durch die lebhafte Gedanckenlosigkeit erhält man sich,
obgleich die Unterhaltung nicht interessant ist, so heitert sie
doch auf. Aus der ist sich nicht
/Seite_225
/allein leicht zu sammlen, sondern man kann auch beßer und
Activer nachdencken.
⌠Seite 221⌡
≥Vom Gebrauch des Verstandes.≤
Der Verstand kann entweder unter der Anleitung anderer⌠,⌡ oder auch ohne die Anleitung anderer gebraucht werden. Der erste ist unmündig├,┤ der andere ist mündig. So sind die Chineser in der Mathematic unmündig, obgleich sie in Ansehung des Urtheils und des Erkentnißes das gemeine Wesen für unmündig halten. So sagte ein Professor als ihm sein Bedienter die Nachricht brachte, daß in seinem Hause Feuer wäre, daß solche Sachen für seine Frau gehörten. So halten die geistlichen die gemeinen Leute √in Ansehung der Religions Erkenntniße für unmündig_\\_für unmündig in Ansehung der Religions Erkenntniße⌡, und nennen sie Layen, sich selbst aber nennen √sie_\\_sich⌡ √Hirthen_\\_Hirten⌡, √welcher_\\_welches⌡ ein sehr stoltzer √Name_\\_Nahme⌡ ist, denn alsdenn ist alles übrige/Seite_226
/Volck als Vieh anzusehen. So nennen sich die Regenten
√Vater_\\_Väter⌡ des Volcks, da sie alsdenn die Unterthanen für
unmündige Kinder halten. So werfen sich auch Philosophen
⌠Seite 222⌡
zu Vormündern auf, und halten die übrigen für √Ideoten_\\_Jdeoten⌡,
welches so viel ist als die Layen in Ansehung der Clerisey. Der
√Geistliche_\\_geistliche⌡ hat noch mehr Recht das Volck in Ansehung
der Religions Erkenntniße für unmündig zu halten, indem er ein
göttliches Privilegium und Autoritaet hat, aber der Philosoph
nicht. Es giebt gewiße Jahre, wo die Unmündigkeit des Verstandes
aufhört, allein es giebt auch √zeitlebens_\\_Zeitlebens⌡ unmündige
Menschen. So sagte √jemand_\\_iemand⌡ von den Rußen, daß sie niemals
Meister und Lehrer der Wißenschaften seyn werden, sondern nur
gute Lehrlinge sind, die Lehrer aber
/Seite_227
/müsten sie stets aus fremden Landern haben. Zwar
√könnten_\\_konnten⌡ sie in der Mathematic Meister werden, weil es
da nach Vorschriften geht, aber nicht in andern Wißenschaften.
Und da man nun immer gewohnt ist von den Wißenschaften nichts
mehr zu lernen, als √man_\\_wenn⌡
⌠Seite 223⌡
nothdürftig zu einer Bedienung brauchet├,┤ so werden zuletzt gar
keine Bücher seyn, denn ein ├«Product»┤ Lehrer muß nicht das
Product der Wißenschaften, sondern den Geist derselben kennen.
Die Grichen sind die Franzosen des Alterthums, sie litten keine
Despoten in den Wißenschaften, hernach aber unterwarf sich alles
als unmündig der Philosophie des Aristoteles, welches Joch
√iezo_\\_jetzt⌡ abgewältzt ist.
Es scheint, daß wenn einige Menschen als unmündige behandelt
werden möchten⌠,⌡ sie in Ansehung ihrer Umstände beßer
/Seite_228
/fortkommen würden, aber im gantzen ist es nicht gut, denn der
√Zwanck_\\_Zwang⌡ rottet das Genie aus, und laß auch mancher in
seiner Sache ein √Narr_\\_Naar⌡ seyn, wenn er nur die Freyheit hat,
es zu seyn. Die allgemeine √Freiheit_\\_Freyheit⌡ excoliret das
Genie, und alle Reden, die für den Zwang gehen Z. E. der
Edelleute, die da sagen, die Unterthanen √konnen_\\_können⌡ sich
wegen
⌠Seite 224⌡
ihrer Stupiditaet nicht selbst führen, sind sehr ungegründet,
denn die Stupiditaet kommt aus dem Zwange. Und sie glauben, daß
solche Stupiditaet immer dauren werde, da doch diese Uebel nur
folgen des Zwanges sind. Der Zwang macht niederträchtig und dumm.
Wer daran √gewöhnt_\\_gewohnt⌡ ist, begiebt sich zuletzt seines
Verstandes. Eben so kann einer den Brandtwein nicht müßen, der
sich einmahl daran √gewöhnt_\\_gewohnt⌡ hat. Als denn können sich
solche Leute
/Seite_229
/freilich nicht selbst regieren, aber hätten sie völlige
√Freiheit_\\_Freyheit⌡, so würden sie sich allmählich wieder angewöhnen sich
selbst zu regieren, denn diese Stupiditaet ist die Folge der
Sklawerey. Wir können zwar freylich allen √Uebeln_\\_Ueblen⌡ und
Vorurtheilen das Wort reden, allein es kann doch einmahl das
Uebel ein Ende nehmen, und dazu muß auch ein Anfang gemacht wer-
den.
⌠Seite 225⌡
Die Weiber werden von den Männern als unmündige gehalten,
welches⌠,⌡ aber schon zum Theil in ihrer Natur liegt. Wenn mündig
so viel hieße als seinen Mund gebrauchen, so wären sie wohl die
mündigsten, indem sie eine große Gesprächigkeit haben, welche
unvergleichliche Gabe ihnen die Natur gegeben hat, damit sie was
einnehmendes hätten. Aber was die Besorgung der Angelegenheiten
betrift, so sind die Weiber
/Seite_230
/so, daß sie sich eines Führers nicht entschlagen können, denn so
wie sie schon auf der Straße ohne einen Führer nicht gehen
können, so √bedürffen_\\_bedürfen⌡ sie auch denselben in allen ihren
Angelegenheiten. Der weibliche Verstand ist zwar fein⌠,⌡ in
Beurtheilung, in Angebung der Mittel, sie sind überhaupt sehr
schlau, wenn es aber auf die Frage kommt, was ist der
√Zwang_\\_Zweck⌡ davon, so sind die Weiber unmündig, und darinn
besteht der √mannliche_\\_Männliche⌡ Ver-
⌠Seite 226⌡
stand. Nicht als wenn ihn alle Männer würcklich haben, sondern
sie sollten ihn doch haben.
Die √«Unm»Mündigkeit_\\_Unmündigkeit⌡, so ferne sie von den Jahren
abhängt, ist die bürgerliche Majorennitaet, wenn Leute nicht
allein ihre eigene bürgerliche Angelegenheiten, sondern auch die
des gemeinen Bestens zu besorgen im Stande sind. Das Weib kann
/Seite_231
/in Ansehung der Jahre für den Verstand, den sie ihrer Natur nach
erreichen können eher und früher mündig werden. Daher wird man
finden, daß Frauenzimmer von 16 bis 18 Jahren schon im Stande
sind der gantzen Wirthschaft vorzustehen, da die √Mannspersonen_\\_Manns Personen⌡ in solchen Jahren noch keiner Sache
vorzustehen im Stande sind. Die Majorennitaet├,┤ die erfordert
wird, über seinen Zustand und seine Umstände Acht zu haben, kann
sich im 20 √ten Jahre_\\_Jahren⌡ einfinden, aber in Ansehung des
Geldes muß sie erst
⌠Seite 227⌡
später √ertheilt_\\_ertheilet⌡ werden.
Die Erfahrung lehrt, daß Leute in solchen Jahren mit dem Gelde
noch gar nicht wirthschaften können. Die Ursache ist weil sie in
solchen Jahren noch nichts erwerben, also auch nicht wißen, was
für Mühe es koste. Ein Fürst muß also mehr Jahre zur
/Seite_232
/Majorennitaet haben, indem er mehr zu verwalten hat⌠,⌡ als ein
Bauer, der seine Wirthschaft früher bestreiten kann. Also nach
Verhältnis der Geschäfte und nicht nach Jahren überhaupt, muß die
Majorennitaet ertheilet werden.
≥Von der Kranckheit des Verstandes.≤
Die Kranckheit des Verstandes √besteht_\\_bestehet⌡ entweder in Mangel des Verstandes, und das ist Dummheit, oder in der Verkehrtheit deßelben und das ist Wahnwitz⌠,⌡ oder Aberwitz. Der Mangel des natürlichen Verstandes heißt Dummheit, der Mangel des geübten Verstandes heißt/Seite_233
/einem Richter von langsamen Verstande eine Sache sehr
weitläuftig und langsam vortragen, bis er sie faßet, aber alsdenn
urtheilt er auch richtig über sie. Die
√Treuhertzigkeit_\\_Treuherzigkeit⌡ muß man nicht für Dummheit
halten. Wenn √jemand_\\_iemand⌡ die schlaue √Räncke_\\_Rancke⌡ und
Ueberlistungen für wahr hält, das kommt nicht aus Dummheit,
sondern es verräth ein gutes Gemüth. Sie trauen dem andern
Menschen nicht zu, daß er so überlistend wäre, sie glauben immer
von √jedem_\\_iedem⌡ das beste⌠,⌡ und legen alles auf der besten
Seite aus. Dieses kommt √bloß_\\_blos⌡ aus Mangel der Erfahrung.
Man sagt der Betrüger ist immer klüger als der Betrogene. Das ist
gantz falsch.
⌠Seite 229⌡
Der Betrogene kann eben in der Sache gantz unerfahren seyn, denn
ist er aber sonst nicht dummer. Und wer
/Seite_234
/sich betrügen läßt, der verräth dadurch, daß er gute Gesinnungen
habe, indem er solches von andern nicht vermuthet, daß er ein
Schelm seyn soll. Es ist beßer betrogen werden, als solche
Gesinnungen gegen andere zu hegen. Der andere kann mich betrügen,
ich muß mich in Acht nehmen. Wer so von andern denckt, der hat
schon betrügerische Gesinnungen, darum nimmt er sich auch für
andere in Acht, weil er √«sich» <daßelbe>_\\_daßelbe⌡ auch in ihnen
zu finden vermuthet. Eben so ists auch falsch, wenn man sagt: der
ehrliche ist dumm. √Freylich_\\_Freilich⌡ ein √dummer_\\_ehrlicher⌡
kann nicht betrügen, weil er nicht die List hat, allein die
Rechtschaffenheit besteht gar nicht mit der Dummheit denn da ist
man ehrlich aus Grundsätzen.
/Seite_235
/Mit der Dummheit ist die Dreistigkeit verbunden. Es
√gehöret_\\_gehört⌡ Verstand dazu,
⌠Seite 230⌡
um zu wißen, daß man keinen Verstand habe. Da nun ein dummer
keinen Verstand hat, so sieht er auch nicht ein, daß er einen
Mangel daran habe, denn ├«da»┤ womit will ers einsehen? Demnach
ist ein Dummer in Ansehung seiner selbst kein Tadler⌠,⌡ er ist
recht gut mit sich zufrieden√;_\\_,⌡ und denn will er auch, daß
andere ihn ebenfalls für einen solchen halten sollen, wofür er
sich selbst hält, und das ist die Dummdreistigkeit. Die Selbst-
schätzung aus Verstand ist edel, daß man √nemlich_\\_nehmlich⌡ von
sich selbst hält, man ist eben so viel werth als andere. Diese
√Selbstschät«z»zung_\\_Selbstschätzung⌡ ist aber auch zugleich mit
der Bescheidenheit verbunden. Bey der Dummheit √aber_\\_<aber>⌡ ist
/Seite_236
/nicht eine solche Milderung seiner Selbstschätzung. Die
Erfahrung lehrt⌠,⌡ daß die Dummdreistigkeit zu ihrem Zweck
gelangt. Solche Menschen bringen es in der Welt am weitesten. So
sind vie-
⌠Seite 231⌡
le Gelehrte, die so hoch gehalten werden, nicht √so wohl_\\_sowohl⌡ durch
ihre Verdienste so empor gekommen, als dadurch⌠,⌡ daß sie zuerst
von sich ⌠selbst⌡ ein Geschrey machten, und sich in den Ruf
brachten. Denn die Menschen so √halsstarrig_\\_halssterrig⌡ als sie
sind⌠,⌡ mögen sich zuletzt doch gerne von einem, der sich
├dann┤ aufwirft, gebieten laßen. Man wird oft in
√Gesellschaft_\\_Gesellschaften⌡ sehen, daß
wer √storrig_\\_störrig⌡ ist und auf sich selbst einen Werth legt,
daß man ihm auch ⌠hernach einen⌡ √<solchen>_\\_solchen⌡ ⌠Werth⌡
läßt, und sich accommodirt⌠,⌡ und das ist ein Dummdreister.
Wenn die Einfalt sonst bey einem richtigen aber in der Erfahrung
noch nicht gegründeten Verstande urtheilt├,┤ so ist sie angenehm
und auffallend.
/Seite_237
/ ≥Vom Gebrauch der Vernunft in Ansehung des Practischen├.┤ ≤
Zur Erfahrung und zur Beurtheilung der Erscheinungen wird Verstand er-/Seite_238
/die Erfahrung urtheilen, und nicht aus allgemeinen Gründen etwas
ausziehen, so würden unsere Urtheile nur so weit gehen, als
unsere Erfahrung geht√._\\_;⌡ Nun aber haben wir Ver-
⌠Seite 233⌡
mögen etwas aus allgemeinen Gründen auszuziehen.
Vernünfteln heißt├,┤ seine Vernunft über die Grentzen des
practischen Gebrauchs erheben. Jch kann practisch und speculativ
die Vernunft gebrauchen. Wer über die Erfahrung geht, und die
Vernunft speculativ gebraucht⌠,⌡ der vernünftelt. So sollen die
Unterthanen⌠,⌡ die Soldaten gehorchen, aber nicht vernünfteln.
Man sucht dahero den Menschen den Gebrauch der Vernunft zu
benehmen, um √sich_\\_sie⌡ beßer regieren zu können.
/Seite_239
/Dieses geschicht, wenn man sie abergläubisch macht, und an
√Vorurtheilen_\\_Vorurtheile⌡ √heftet_\\_hefftet⌡. So wie ⌠die⌡ Kinder
durch Gespenster können gezwungen werden, eben so auch Menschen
durch falsche Vorstellungen so der Vernunft zuwieder sind. So
verbieten oft Fürsten ├«derselben»┤ die Dru-
⌠Seite 234⌡
kerpreße, denn die √Freiheit_\\_Freyheit⌡ derselben ist ein Mittel
die Vernunft zu beleben, die Kenntniße zu bilden, und also ver-
nünftelnde Menschen zu machen. Die Untersagung derselben bringt
nun das Gegentheil hervor. Denn die Vernunft macht
√aufrührerisch_\\_aufrürerisch⌡ wieder unrechtmäßigen
√Zwanck_\\_Zwang⌡, sie will Gründe haben. Eine solche Regierung die
das zu verhindern sucht ist sehr schwach in der Folge⌠,⌡ in
Ansehung der sie regiert, ist es zwar sehr leicht, allein je
unwißender und
/Seite_240
/stupider die Leute sind, desto halsstarriger sind sie auch. Der
Gebrauch der Vernunft über das √practische_\\_Practische⌡ ist oft
lächerlich und wiedrig Z. E. wenn ein Weib vernünftelt in
Ansehung der Religion oder über den Staat. Jhr practischer
Gebrauch erstreckt sich nur über das
⌠Seite 235⌡
Hauswesen, da können sie vernünfteln, wozu sie auch ein gutes
Talent beßer als der Mann haben. Eben so⌠,⌡ wenn Kinder
vernünfteln, da man sie alsdenn super klug nennt.
√Ueberhaupt_\\_Uberhaupt⌡ wo
man vernünftelt, und doch die Regeln a priori hergenommen sind,
so √ists_\\_ist es⌡ für den wiedersinnig, der seine Vernunft zur
Speculation gebraucht hat.
Nachläßigkeit im Gebrauch der Vernunft scheint ein Mangel der
Vernunft zu seyn. Allein oft √ists_\\_ist⌡ schwerer die Vernunft zu
/Seite_241
/gebrauchen als den Verstand, dahero die Menschen auch gerne die
Vernunft in Fällen die verwickelt sind├,┤ gebrauchen├,┤ da ist
nicht √Mangel_\\_«m»Mangel⌡ des Talents der Vernunft sondern
Nachläßigkeit, dahero der Unterricht auf Academien eigentlich
dieser ist die Fähigkeit der
⌠Seite 236⌡
Vernunft zu excoliren, und die Methode zu vernünfteln
anzugewöhnen, und die gehörigen Maximen der Vernunft fest-
zusetzen, dadurch wird man kein Gelehrter⌠,⌡ indem man nicht
lernt⌠,⌡ sondern nur die Vernunft zu gebrauchen übt. Wenn der
Mensch erst gewohnt ist über alles zu raisoniren und zu
reflectiren, was dieses oder jenes für Gründe hat, denn kann er
seine Vernunft in der Welt genung brauchen, und die Einsichten
wird man sich schon hernach erwerben, die
/Seite_242
/Nachläßigkeit muß man zuerst haben.
Der Zwang der Nachthuung ist der Ruin der Vernunft. Die
Nachahmung ist nur eine Abformung, aber nicht was selbst eigenes.
Alle Gelehrsamkeit entspringt aus Sentenzen, und durch vieles
Auswendig lernen, alsdenn habe ich √die Erkenntniße zwar_\\_zwar die
Erkenntniße⌡ erweitert, aber
⌠Seite 237⌡
nicht die Fähigkeit der Vernunft über alle allgemeine Principia
zu urtheilen √angewöhnt_\\_angewohnt⌡.
Wenn der Gebrauch der Vernunft schwierig ist, und man sich nicht
mit dem Vernünfteln abgiebt, so ist es dem Menschen sehr
willkommen, wenn er die Ursachen und Gründe einer Begebenheit auf
eine allgemein angenommene Meinung schieben kann, und dadurch
den Gebrauch der Vernunft aufgiebt. Die beyden
/Seite_243
/Hauptqvellen, worauf man sich zu berufen pflegt, wenn man die
Vernunft nicht gebrauchen will⌠,⌡ sind das √Schicksaal_\\_Schicksal⌡
und √das blinde Ohngefehr_\\_ein blindes Ohngefahr⌡├. Die blinde
Nothwendigkeit ist das Schicksal und das blinde ohngefehr┤ ist
das Glück Z. E. √iemand_\\_jemand⌡ bleibt Todt im Felde, so sagt
man, wer schon bleiben soll, wird nicht davon kommen, das muß
schon so seyn. Oder im Spiel⌠,⌡ da schreibt man vieles
⌠Seite 238⌡
dem blinden Glück zu. Hier ist der Gebrauch der Vernunft etwas
√lästig_\\_lastig⌡, daher entzieht man sich gerne solcher Principien
um nur nicht zu vernünfteln. Es giebt noch viele andre Arten von
Methoden sich des Gebrauchs ⌠der Vernunft⌡ zu überheben, dahin
gehören die Wunderdinge Z. E. die √Mutter Mähler_\\_Muttermähler⌡,
die Wirckung der Einbildung schwangerer Frauen. √Hierinn_\\_Hierin⌡
√mögen_\\_mogen⌡ politische Ursachen
/Seite_244
/liegen um den Mann wodurch still zu machen. Wieder die
Muttermähler schreibt Rickert├.┤
Ferner Bedeutungen der Träume, welches großer
√Aberglauben_\\_Aberglaube⌡ ist.
√Frauenzimmer_\\_Frauenszimmer⌡ nehmen wir es nicht übel und halten
sie deswegen auch nicht gering⌠,⌡ wenn sie etwas abergläubisch
sind, indem sie alsdenn mehr weibliches haben, und die nicht so
sind, die haben mehr männliches, welches an ihnen eben so gut zu
⌠Seite 239⌡
tadeln ist, wie an den Männern das weibische. Die Ursache⌠,⌡ daß
solches dem Frauenzimmer anständiger ist, ist weil sie der
Leitung des Mannes √bedürffen_\\_bedürfen⌡. Wenn sie aber vom
Aberglauben frey sind, so ist das eine Ueberzeugung, daß sie
keiner Leitung bedürfen, also ein
/Seite_245
/Signal zum häuslichen Aufruhr. Ferner der Aberglaube der
Sympathie, der Aberglaube der √Wünschelruthe_\\_Winschelruthe⌡, die
sich dahin wenden soll, wo √Mineralien_\\_Mineralien⌡ sind√,_\\_;⌡ bey
einigen ist Betrug⌠,⌡ bey andern Wahn. Ferner die Mon-
des Einflüße. Diese sind nicht recht wiederlegt, obgleich auch
nicht recht erwiesen. Ueberhaupt schreibt man dem Himmel viel zu;
die Direction der Schicksaale, so auch das Gedeihen der Gewächse
werden dem Einfluß des Mondes zugeschrieben, welches noch nicht
recht erklärt ist, und der
⌠Seite 240⌡
Landmann attendirt besonders darauf. Weil wir aber √nicht die
Gesetze_\\_die Gesetze nicht⌡ besonders erklären können, so müßen
wir uns auch nicht dem Hange überlaßen, solches zu glauben.
Zuletzt kann man auch noch anführen den
/Seite_246
/Einfluß der magnetischen Kraft auf den menschlichen Körper,
welches in neueren Zeiten anfing den Gebrauch der Vernunft zu
untersagen.
Gesunde Vernunft ist diejenige deren richtiger Gebrauch durch
Erfahrung √bestätigt_\\_bestätiget⌡ werden kann. Sie betrift nicht
die Größe der Vernunft, denn eine kleine Vernunft kann auch
gesund seyn. Gesunde Vernunft ist aber doch schon eine
Einschränckung, denn es bedeutet die Genungsamkeit der Vernunft
in ihren engen Schrancken, die sich nur auf die Erfahrung
beziehen. Jeder will gesunde Vernunft haben. Woran
⌠Seite 241⌡
erkennt man √aber_\\_<aber>⌡ die gesunde Vernunft√?_\\_.⌡ An den
Maximen, wenn ihre Maxime so beschaffen ist, daß ihr
√gröster_\\_größter⌡
/Seite_247
/Gebrauch durch sie möglich ist. Wir tadlen einen Menschen, der
nicht gesunde Vernunft hat, so als wenn er Schuld daran hätte, wir
fordern von iedem das Mittelmaas der Vollkommenheit der mensch-
lichen Vernunft, so wie wir von √jedem_\\_iedem⌡ das Mittelmaas der Größe des
Cörpers √fordern_\\_fodern⌡. Welchen Grad zu dem Mittelmaas des gesunden
Verstandes und der gesunden Vernunft und allen GemüthsKräften auch
zu der Größe des Cörpers erfordert wird⌠,⌡ ist nicht möglich zu
bestimmen, obgleich alle Menschen darinn einig sind, so wie eine
Frau witzig von einem häslichen Manne sagte: Er misbraucht
die Erlaubnis der Männer häslich zu seyn. Gesunde Vernunft
⌠Seite 242⌡
ist schwerer zu
/Seite_248
/determinieren als der künstliche Gebrauch derselben. Die √gesun-
de_\\_Gesunde⌡ Vernunft hat gewiße Maximen. Die Maxime der gesunden
Vernunft ist folgende√._\\_,⌡ √Keine_\\_keine⌡ andere Regeln gelten zu
laßen im Gebrauch derselben als diese, wodurch der allgemeinste
Gebrauch der Vernunft möglich ist, und wodurch ihr Gebrauch
erleichtert wird. Jede Natur unterhält ├sich selbst, daher hält┤
sich die Vernunft auch selbst, wenn sie keine andre Regeln
√einräummt_\\_einräumt⌡ als solche, wodurch ihr Gebrauch
√möglich_\\_möchlich⌡ ist. Daher √heben_\\_haben⌡ alle Wunderdinge und Historien
von den Erscheinungen der Geister und Gespenster den Gebrauch der
Vernunft auf. Da sich nun aber die Vernunft selbst erhält, so
giebt sie das nicht
/Seite_249
/zu, wodurch ihr Gebrauch aufgehoben wird. Wenn also angenommen
werden sollte, daß Geister als Wesen, deren
⌠Seite 243⌡
Natur wir gar nicht kennen, ihr Spiel in dieser Welt treiben, und
einen Einfluß auf uns hätten, so hörte der Gebrauch der Vernunft
auf. ├Da sie nun aber die Vernunft selbst erhält, so giebt sie das
nicht zu, wodurch der Gebrauch aufgehoben wird. Wenn also
angenommen werden sollte, daß Geister als Wesen deren Natur wir
gar nicht kennen, ihr Spiel in dieser Welt treiben und einen
Einfluß auf uns hätten, so hörte der Gebrauch der Vernunft auf.┤
Damit dieses also nicht geschehe, so √verwirft_\\_verwirrth⌡ solches
die gesunde Vernunft. Dieses ist kein theoretischer Satz, sondern
eine
/Seite_250
/Maxime der Vernunft. Ein theoretischer Satz wäre es, wenn die
Vernunft ausmachen wollte, daß es solche Wunderdinge nicht gebe,
aber nun ist es eine Maxime sich niemals auf solche Wunderdinge zu
berufen, es mag dergleichen geben oder nicht, weil sonst
√iedes_\\_jedes⌡ alte √Weib_\\_«w»Weib⌡ durch solche Wunderhistorien und
√Zaubereyen_\\_Zaubereien⌡ dem Gebrauch der Vernunft ein Ende machen
√könnte_\\_konnte⌡ Z. E. so meinen die alten Weiber vom Waßerkopf, daß dergleichen Kinder von Geistern untergeschoben worden, ob es gleich
natürliche Ursachen sind, weilen man bey einigen Kinder unter dem
Gehirn Waßer, daß sich zusammen
⌠Seite 244⌡
gezogen hat, findet√, so_\\_. So⌡ auch
/Seite_251
/vom Wahrwolf. Wahr heißt so viel als Krieg. Es hat sich oft im
Kriege zugetragen, daß Wölfe auf dem Schlachtfelde Menschen
√fraßen_\\_freßen⌡. Da sie sich nun an das Fleisch des Menschen
angewöhnt haben, so haben sie auch oft Menschen angefallen und
niedergerißen, woher nun der Wahn entstanden ist, daß es eine Art
Menschen gebe, die andere Menschen freßen, und die √mann_\\_man⌡ denn
Wahrwölfe nennt. Räumt man nun solches ein, daß es dergleichen
Dinge gebe, so ist da gar kein Gebrauch der Vernunft möglich.
Epicur sagte: man müste sich weder auf Götter, noch Geister⌠,⌡
noch auf sonst was berufen. Damit wollte er nicht das sagen, daß
er solches leugnete,
/Seite_252
/als wenn es dergleichen Dinge nicht gebe, sondern daß man als
denn, wenn man solches annimmt, einen Schritt über die Grentzen
des Gebrauchs der
⌠Seite 245⌡
Vernunft thut.
Die √gesunde_\\_Gesunde⌡ Vernunft hat also Maximen und die
speculative hat Regeln. Die √gesunde_\\_Gesunde⌡ Vernunft
√dirigirt_\\_dirigiret⌡ durch ihre Maximen unsere Urtheile. Wenn also
Menschen Gespenster √historien_\\_Historien⌡ erzahlen,
denen mans nicht beweisen kann, daß es keine Gespenster geben
könne, so erzählen sie welche so noch wiedersinniger sind, und
schaden einem damit, indem sie noch was mehreres, was noch
wiedersinniger ist├,┤ √erzählen, daher_\\_erzahlen. Daher⌡ muß man
/Seite_253
/sich dabey so verhalten, daß √mann_\\_man⌡ sie gar nicht annimmt
wegen des Gebrauchs der Vernunft. Die Vernunft kann sich ⌠also⌡
nur unter solcher Bedingung erhalten, denn wenn solche Wunderdinge
vorausgesetzt werden├,┤ so ist das eine Destruction der Vernunft.
Viele Dinge sind so beschaffen, daß
⌠Seite 246⌡
man sie nur lediglich aus der Vernunft erkennen kann, also nicht
durch denn Verstand. Es sind zwar auch viele Dinge die man durch
die Vernunft aber auch durch den Verstand aus der Erfahrung
erkennt, wo alsdenn die Erkenntnis durch die Vernunft deutlicher
ist, allein es giebt viele, die nur bloß durch die Vernunft
erkannt werden. Diese sind
/Seite_254
/solche, wo die Vernunft dem Grunde die Jdee giebt Z. E. die
Tugend. √Jch_\\_Ich⌡ erkenne sie zwar durch die √gemeine_\\_Gemeine⌡ und
gesunde Vernunft, allein es ist doch durch die Vernunft. Die
Erfahrung giebt uns zwar Beyspiele der Tugend, allein ich muß doch
den Begrif haben solche zu beurtheilen. Jn allen Fällen der
Erkenntniße, wo gefragt wird⌠,⌡ nicht wie was ist, sondern wie was
seyn soll, da ist allemahl Vernunft
⌠Seite 247⌡
nöthig, √denn_\\_den⌡ die Vernunft zeiget wie die Dinge seyn müßen,
die Erfahrung aber nur⌠,⌡ wie sie sind. Wenn ich also von einer
Regierung oder Erziehung rede,
/Seite_255
/wie sie ist, so ist da nur Erfahrung nöthig, sage ich aber wie
sie seyn soll├,┤ so ist dazu Vernunft nöthig. Diejenige
√Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡ von Dingen, die das Muster ist├,┤ wornach
was eingerichtet werden soll, diese Erkenntnis ist die Jdee.
Demnach √giebts_\\_giebt es⌡ viele Erkenntniße⌠,⌡ denen Jdeen zum
Grunde liegen. Die √Jdee_\\_Idee⌡ ist also von der Erfahrung
unterschieden, sie ist in der Vernunft und nicht in der Erfahrung ⌠unterschieden, sie ist in der Vernunft und nicht in der
Erfahrung⌡. Daher ist es falsch zu sagen, ein tugendhafter Mann,
sondern einer so der Jdee der Tugend √nach geht_\\_nachgeht⌡ um ihr zu gleichen.
√Plato_\\_Plato⌡ sagt, das vornehmste Werck des
√Philosophen_\\_Philosophen⌡ ist die
⌠Seite 248⌡
√Jdee_\\_Idee⌡ zu entwickeln. Dieses Vermögen
/Seite_256
/etwas nach einer √Jdee_\\_Idee⌡ zu entwerfen, ist Vernunft. Die
Vernunft kann sich √Jdeen_\\_Ideen⌡ machen von ihrer Bestimmung,
ihren Grentzen des Gebrauchs. Diese Erkenntnis ihrer Sphäre ist
der architectonische Gebrauch der Vernunft. Der
√technische_\\_Technische⌡ Gebrauch der Vernunft ist, so nur in der
Ausführung├,┤ aber nicht in der Entwerfung der Plane besteht.
Hierauf beruht aller Unterscheid des √Vernunft
künstelns_\\_VernunftKünstelns⌡ und des Gesetzkündigen der
menschlichen Vernunft. Hier ist der √unterschied_\\_Unterscheid⌡ eben
so als zwischen einem Chirurgus und Medicus. Dieser hat die
√Jdee_\\_Idee⌡├,┤ welche der Chirurgus ausführt. So ist der
Mathematicer und Physicer ein Vernunft Künstler. Der
/Seite_257
/√Gesetz Kündige_\\_Gesetzkündige⌡ der menschlichen Vernunft ist im
wahren Verstande ein Philosoph. Dieser muß die ersten Gründe
entwerfen,
⌠Seite 249⌡
und die obersten Regeln und √Principien_\\_Prinzipien⌡ der Bestimmung
der Vernunft und ihre √Grentzen_\\_Grenzen⌡ einsehen, und das ist der
Philosoph. Dieser Nahme ist ├also┤ auch nur eine √Jdee_\\_Idee⌡, der
man sich bestreben muß zu gleichen. Wir können zwar die Gesetze
und Regeln wohl einsehen, allein der Geist der Regel und das Feld
des Gebrauchs der Vernunft einzusehen, ist gantz was anderes. Der
Mensch kommt also dem Philosophen näher, √je_\\_ie⌡ mehr er der
Bestimmung der √menschlichen_\\_Menschlichen⌡ Vernunft nachdenckt.
Die Vernunft ist
/Seite_258
/ferner ein Vermögen der √Erkentnis_\\_Erkenntniß⌡ aus Begriffen.
Verschiedene Menschen haben einen Gebrauch der Vernunft bey
Gelegenheit der Anschauung, aber nicht aus reinen Begriffen,
welches der reine Gebrauch der Vernunft ist. Die etwas einsehen
nach der Analogie durch Bilder, die haben einen Gebrauch der
Vernunft aber
⌠Seite 250⌡
nicht aus Begriffen. Es ist ein großer Theil des menschlichen
Geschlechts von denen es scheint, daß ihnen die Natur das Vermögen
zu urtheilen aus Begriffen versagt hat. Dahin gehören alle
orientalische √Völcker_\\_Volcker⌡. Hieraus folgt, daß die gantze
Moral bey ihnen nicht rein seyn kann, weil die aus Begriffen er-
kannt werden muß. Jhrer Moral fehlt der reine moralische
√Begrif_\\_Begriff⌡, dahero kann bey ihnen
/Seite_259
/nichts aus dem Grundsatz der Moralitaet entspringen. Die
Ehrbegierde der orientalischen √Völcker_\\_Volcker⌡ ist gantz
unterschieden von der Ehrbegierde der
√o«rien»ccidentalischen_\\_occidentalischen⌡. Bey diesen ist der
√Begrif_\\_Begriff⌡ der Ehre ein wahrer √begrif_\\_Begriff⌡, allein die
orientalischen Volcker suchten Z. E. in der Gewalt ihre Ehre, also
aus der Sinnlichkeit und nicht aus Begriffen. Selbst in der
√Bau Kunst_\\_Baukunst⌡ muß ein
⌠Seite 251⌡
√Begrif_\\_Begriff⌡ zum Grunde liegen, wenn sie Geschmack und
√Beyfall unserer gantzen Seele_\\_den gantzen Beyfall unserer Seele⌡
haben soll. So sind die Gebäude im Orient zwar reich an Gold und
Edelgesteinen, also für die Sinnlichkeit, aber sie sind aus keiner
√Jdee,_\\_Idee⌡ aus keinem Plan √des gantzen_\\_das gantze⌡
entsprungen. √Orient_\\_Orient⌡ ist das Land der Empfindung, Occident
aber der gesunden und reinen
/Seite_260
/Vernunft. Das Verdienst des Occidents ist durch Begriffe bestimmt
zu urtheilen, √dahero_\\_daher⌡ muß dieser Vorzug des occidentalischen √Ta-
lents_\\_Talents⌡ nicht durch Analogien und Bilder verdorben werden,
denn sonst wäre das der Verfall des occidentalischen Geschmacks.
Es ist ein großer Unterscheid zwischen der Guthertzigkeit der
Orientalischen Völcker, und zwischen der Rechtschaffenheit der
occidentalischen. Die Guthertzigkeit findet auch ohne Begriffe
statt, sie ent-
⌠Seite 252⌡
steht bloß aus der Sympathie, allein ein solcher √Guthertziger
_\\_Guthhertziger⌡wird
auch oft aufgebracht, daher fehlt dieser Guthertzigkeit ein
√Begrif_\\_Begriff⌡, daß man auch unter allen Fällen die einem
entgegen stoßen⌠,⌡
/Seite_261
/dennoch guthertzig sey, und dieses ist die Rechtschaffenheit,
diese fehlt den √orientalischen_\\_Orientalischen⌡ Völckern, und
deßen sind sie auch nicht fähig, daher alle √Personen_\\_Perschonen⌡,
so der Begriffe nicht fähig sind, sondern mit Bildern der
Anschauung von Geistern spielen, die tropisch sind, in die
√Schwarmerey_\\_Schwärmerey⌡ verfallen.
Unvernunft bedient man sich im √Practischen_\\_Praktischen⌡. So ist
Unvernunft ein Verfahren nach practischen Regeln. Unsinnig ist
vernunftwiedrig im Reden und Ausdruck. Man findet oft bey Menschen
eine Mysologie oder √Has_\\_Haß⌡ wieder die Vernunft. Mangel der
Vernunft ist
⌠Seite 253⌡
zwar nichts ungewöhnliches⌠,⌡ aber Mysologie nicht. Sie entsteht
aus vergeblicher
/Seite_262
/Bemühung der Vernunft. Es ist eine Eigenschaft nachdenckender
Personen⌠,⌡ welche Untersuchungen anstellen über ihre künftige
Bestimmung und Hauptzwecke, die sich zuletzt darinn endigen, daß
der Mensch seine Unwißenheit einsieht. Kann nun die Vernunft dem
Wißen nicht Genüge thun⌠,⌡ kann sie den Menschen hierinn nicht
befriedigen, verläßt sie ihn hierinn, so daß der Mensch das Ziel
und Ende aller Dinge nicht absieht, so begiebt sich der Mensch in
die Einfalt und entsagt der Vernunft gäntzlich, eben so wie jemand
aus Empfindung der Tugend ein Misantrop wird, nicht weil er die
Menschen √hasset_\\_haßet⌡, sondern weil er sie nicht so findet, wie
/Seite_263
/er sie wünschet. Uebrigens wünscht er ihnen alles Wohl.
⌠Seite 254⌡
So wird man auch ein Misolog nicht aus Has gegen die Vernunft⌠,⌡
man √schätzt_\\_schatzt⌡ sie zwar, weil sie √einem aber_\\_aber einem⌡
schlechte Dienste leistet, so entsagt man ihr. Hat sich aber
iemand schon angewöhnt die Vernunft zu gebrauchen, so ists umsonst
sich derselben zu entschlagen, wer schon einen Hang dazu hat, der
denckt Zeitlebens nach. Auf gleiche Weise findet die √Miolo-
gie_\\_Myologie⌡ oder Weiberfeindschaft statt, die auch aus einer
üblen √laune_\\_Laune⌡ entsteht, nicht weil man sie √hasset_\\_haßet⌡,
sondern weil man nicht das an ihnen findet, was man glaubt, also
aus gar zu großer Forderung ihrer Vollkommenheiten. Ein Liebhaber
/Seite_264
/der durch eine Coqvette betrogen wird⌠,⌡ wird ein Weiberfeind. Es
giebt auch eine Feindschaft der Vernunft bey solchen⌠,⌡ die keine
Ver-
⌠Seite 255⌡
nunft Fähigkeit haben, und das sind √Schwärmer_\\_Schwarmer⌡. Es
giebt Schwärmer der Religion und des Geschmacks. Weil sie nun des
Gebrauchs der Vernunft nicht fähig sind, so haßen sie diejenigen,
so diese Fähigkeit haben.
Was die Kranckheit der Vernunft betrift, so mercke man, daß es
sowohl in Ansehung des Verstandes, als auch der Vernunft und aller
Gemüths Kräfte eine Kranckheit gebe, erstlich eine Indisposition,
denn Kranckheit⌠,⌡ und endlich Gebrechen. Das Gemüth wird durch
viele √Umstände_\\_Umstande⌡ wohl disponirt. So macht der
/Seite_265
/√Schlaf_\\_Schlaaf⌡ eine Revolution in der Disposition des √Mensch-
lichen_\\_menschlichen⌡ Gemüths, und die Palingenesie oder
Wiedergeburt des menschlichen Gemüths geschiehet alle Nacht in
uns. Wir sehen die Nacht als ein Intervall zwischen dem Morgen und
√nächstfolgenden_\\_nächstfolgendem⌡
⌠Seite 256⌡
Tage an. Dahero können wir den folgenden Tag anders disponirt
seyn⌠,⌡ als den vorigen. So ist das Gemüth des Morgens disponirter
als des Abends, weil es da noch nicht so ermüdet ist. Die
Disposition des Gemüths ist überhaupt sehr veränderlich von einem
Tage zum andern, √ja_\\_ia⌡ von einer Stunde zur andern√:_\\_.⌡
√die_\\_Die⌡ Disposition des Gemüths richtet sich besonders nach der
Gelegenheit und nach den Umständen. So ist man vielleicht zum
tiefen Nachdencken
/Seite_266
/übel disponirt, wenn man aus der Comoedie kommt. Man wird
disponirt, wenn man aus einer großen Zerstreuung und Verwüstung
des Gemüths in eine √Mässigung_\\_Mäßigung⌡ kömmt√;_\\_,⌡ oder von einer
schweren Arbeit in eine angenehme Gesellschaft geht. Die
Kranckheiten des Gemüths können zwiefach seyn. Sie bestehen in der
Schwäche und in der Störung der
⌠Seite 257⌡
Gemüths Kräfte. So kann man oft sein Gedächtnis nicht brauchen,
weil es durch vielen Gram geschwächt ist. Die GemüthsKräfte √aber
können_\\_können aber⌡ gestört werden Z. E. durch hitzige Fiber. Weil
√dieser_\\_dieses⌡ aber Kranckheiten sind, die man sich zugezogen
hat, so können sie eben so gehoben
/Seite_267
/werden, als dergleichen Kranckheiten des Körpers.
Gebrechen des Gemüths sind eben ein ├solcher┤ krippelhafter
Zustand des Gemüths, als Gebrechen des √Körpers_\\_Cörpers⌡ ein
krippelhafter Zustand für den √Körper_\\_Cörper⌡ sind. Die Gebrechen
sind keine Hinderniße der √Gemüths Kräfte_\\_Gemüths Krafte⌡, sondern
ein Mangel, dieser aber ist, wenn die Bedingung des √regelmä-
ßigen_\\_Regelmaßigen⌡ Gebrauchs der Kräfte dem Gemüth fehlt.
√Blodsinn_\\_Blödsinn⌡ und Wahnsinn betreffen die Fehler des
Verstandes, von
⌠Seite 258⌡
denen wir schon oben gehandelt haben. Aber Aberwitz ist die
Verkehrtheit in Ansehung des Gebrauchs der Vernunft, und beruht in
der Verkehrtheit falscher Schlüße.
/Seite_268
/Wahnwitz ist auch Verkehrtheit des Gebrauchs der Vernunft, und
ist, wenn man falsche Grundsätze im gemeinen Gebrauch der Vernunft
heget Z. E. man glaubt, man habe was erfunden.
≥Das eigenthümliche eines ieden Kopfes.≤
Kopf ist die √Summe_\\_Summe⌡ aller Erkenntnis √Kräfte_\\_Krafte⌡, so wie das Hertz die √Summe_\\_Summe⌡ aller Begehrungs Kräfte ist. Das eigenthümliche des Kopfes kommt auf die Proportion der Gemüths Kräfte an. Es beruht nicht auf die Größe des Menschen, wenn er schön seyn soll, sondern auf die Proportion seiner Glieder. Jedes/Seite_269
/unterschieden werden kann, und seine √Schonheit_\\_Schönheit⌡ beruht
auf die Proportion seiner Theile. Eben so ist es auch mit dem
Gemüth bewandt. Das eigenthümliche des Kopfs beruht auf der
Proportion seiner Kräfte. Oft hört man über den Witz klagen der
vielen fehlt, allein wenn der Mensch mehr Witz bekommen sollte, so
√müste_\\_müßte⌡ er auch mehr Verstand haben, denn es kann √ja_\\_ia⌡
nicht eine Kraft vermehrt werden, und die andere nicht, denn
alsdenn wäre keine Proportion, eben so⌠,⌡ als wenn ein Theil im
Gesicht vergrößert werden sollte und der andere nicht. Also ist
das ein großer Fehler⌠,⌡ wenn man mehr Witz als Verstand hat. Der
Verstand ist denn zu schwach den
⌠Seite 260⌡
Witz in Schrancken zu halten. So
/Seite_270
/wünscht man sich auch oft viel Gedächtnis zu haben, allein
alsdenn müste man auch mehr Urtheils Kraft besitzen⌠,⌡ denn viel
Gedächtnis und wenig Urtheils Kraft bildet einen völligen Narren.
Entweder √müssen_\\_müßen⌡ alle Kräfte vergrößert werden, oder es muß
alles so bleiben, wie es ist, denn sonst wird die Proportion
gehoben; würden aber alle Gemüths Kräfte verändert, so wäre man
nicht derselbe Mensch. Also muß √ein ieder_\\_einjeder⌡ mit seinen
Kräften zufrieden seyn. Man ist zwar mit √einem_\\_1⌡ Menschen Z. E.
mit Schülern von wenigen √Kraften_\\_Kräften⌡ unzufrieden, aber nicht
mit seinen √Kraften_\\_Kräften⌡, man muß aber mit √den_\\_dem⌡
√letztern_\\_letzteren⌡ √zu frieden_\\_zufrieden⌡
/Seite_271
/seyn. Demnach ist niemals eine große Nase für das Gesicht, auf
welches sie steht⌠,⌡ √zu groß_\\_zugroß⌡. Würde der Mensch eine
kleine
⌠Seite 261⌡
Nase haben, so √wäre_\\_ware⌡ keine Proportion, welches man oft
wahrgenommen hat, wenn Personen die ihre große Nase verlohren├,┤
sich eine kleine machen und ansetzen laßen. Es muß also bey der
Erziehung nicht auf die √Große_\\_Größe⌡ der Kräfte gesehen werden,
sondern auf die geschickte Proportion der Gemüths Art, es muß
dahero nicht das Gedächtnis allein cultivirt, und die
UrtheilsKraft √vernachläßigt_\\_vernachläßiget⌡ werden, eben so wenig
als man den Witz allein bilden muß und den Verstand nicht. Allein
dieses ist noch ein
/Seite_272
/Problem. Man sieht es zwar ein├,┤ wie es geschehen sollte, es
müste nehmlich das Gedächtnis √zu erst_\\_zuerst⌡ cultivirt werden,
damit die UrtheilsKraft und der Verstand √Materie_\\_materie⌡ hätten,
alsdenn müste man den Verstand mehr cultiviren als die Vernunft,
weil derselbe nöthiger ist, und der Witz nur im kleinen Maas.
Allein
⌠Seite 262⌡
die Regel fehlt um die Proportion der Cultur zu bestimmen. Jn dem
menschlichen Gemüth ist zu unterscheiden, Naturell,
√Talent_\\_Talent⌡ und Genie. Der Unterscheid zwischen Naturell und
√Talent_\\_Talent⌡ ist dieser. Naturell ist Gemüths Fähigkeit,
√Talent_\\_Talent⌡ aber GemüthsGabe. Naturell ist die Gelehrigkeit
etwas zu faßen, √Talent_\\_Talent⌡ aber etwas hervorzubringen.
/Seite_273
/Die Leichtigkeit gebildet zu werden├,┤ ist Naturell, aber
√Talent_\\_Talent⌡ um etwas zu erfinden Z. E. Gedächtnis gehöret zum
Naturell. Der √Unterscheid_\\_Unterschied⌡ zwischen √Talent_\\_Talent⌡
und Genie ist√;_\\_:⌡ das Talent ist der Grad der Gemüths Kräfte,
wodurch etwas kann hervorgebracht werden, wenn die
√Unter«scheid»<weis>ung_\\_Unterweisung⌡ vorher gehet. Genie ist aber
ein √Talent_\\_Talent⌡, was √kein_\\_ein⌡ Product der Unterweisung seyn
kann. Genie entbehrt alle Unterweisung, und ersetzt alle Kunst.
Was zum Genie gehört ist alles angebohren, und also der Kunst ent-
⌠Seite 263⌡
gegen gesetzt. Ein Werck der Unterweisung ist Kunst. Genie ist
aber ein √schopferisches_\\_schöpferisches⌡ √Talent_\\_Talent⌡ d. h.
etwas hervorzubringen ohne alle Anleitung
/Seite_274
/ohne alle Regel. Es ist also die Freyheit von der Leitung der
Regel. Das Genie ist frey von Regeln, weil es keine braucht,
dahero Leute die keine Genies sind, und doch dafür gehalten werden
wollen, die Regeln verlaßen, und sich das Ansehen des Genies zu
geben suchen. Die Regeln behalten aber ihren Werth. Wer kein Genie
ist muß sich nicht unterstehen dieselben zu √verlassen_\\_verlaßen⌡.
Das Genie kann nicht hervorgebracht werden. Wir finden
Erkenntniße, so durch keine Unterweisung hervorgebracht werden
können z. E. dichten├,┤ √schon_\\_schön⌡ zu schreiben. Man kann das
Genie zwar erwecken, aber nicht aus dem √Talent_\\_Talent⌡ ein Genie
machen, denn es ist kein
/Seite_275
/Product der Unterweisung. So kann man √keinem_\\_keinen⌡ die √Philosophie_\\_Philosophie⌡ lehren, aber sein Genie zum
⌠Seite 264⌡
Philosophiren erwecken, da zeigt es sich ob er Genie habe oder
nicht√?_\\_.⌡ Die Philosophie ist eine Wißenschaft des Genies.
Mathematic aber kann durch Unterweisung erlernt werden√;_\\_.⌡ Man
kann darinn sein √Talent_\\_Talent⌡ durch Unterweisung so
perfectioniret haben, daß man nach Anleitung der Regeln der
Mathematic vieles darinn erfinden kann. Aber eine neue Methode zu
erfinden, kann man durch keine Unterweisung lernen. Methode muß
man also aus sich selbst erfinden, denn es ist keine Methode um
wieder eine Methode zu erfinden. Geist und
/Seite_276
/Genie ist auch zu √unterscheiden_\\_Unterscheiden⌡. Man ⌠hat⌡ Genie
ohne Geist, und Geist ohne Genie. Geist ist eine besondere
Eigenschaft des √Talents_\\_Talents⌡. Es beruht darauf, daß das
Gemüth dadurch belebt werde, denn Geist ist der Grund der
Belebung. Jn der Chymie ist Waßer das Phlegma und Spiritus der
Geist. Wer
⌠Seite 265⌡
das √Talent_\\_Talent⌡ hat zu beleben⌠,⌡ der hat Geist z. E. eine
Gesellschaft durch einen √Discurs_\\_Discours⌡. Ein Buch hat Geist,
wenn seine Lesung belebt. Es kann zwar ein Buch unterrichten, aber
nicht beleben. Das Beleben ist in allen Producten Z. E. in
√Gemälden,_\\_Gemählden⌡ es hat kein Leben⌠,⌡ aber eine Belebung. Die
Producte des Verstandes zu beleben ist also
/Seite_277
/Geist. Man wird oft den Geist im √Discurs_\\_Discours⌡ wahrnehmen. Ein solcher
ist kein Genie, aber er hat die besondere Eigenschaft zu beleben,
auf einmahl einen neuen Trieb zu geben. Der Witz ist nicht immer
Geist. Der Geist ist das unbeschreibliche in allen Producten. Das
Genie √muß_\\_mus⌡ Geist haben, oft √haben aber_\\_<aber> haben⌡ Per-
sonen Geist und kein Genie. Wir √konnen_\\_können⌡ das Talent
unterscheiden in das √Talent_\\_Talent⌡ der Nachahmung und in das
schöpfe-
⌠Seite 266⌡
rische √Talent_\\_Talent⌡, und dieses ist das Genie. Zur
√Erfindung_\\_Erfündung⌡ der Wißenschaften gehört Genie, zur
Erlernung derselben Naturell, und solches auch andere zu lehren
√Talent_\\_Talent⌡. Alle schöne Wißenschaften
/Seite_278
/sind Wißenschaften des Genies, Dichter, Bildhauer, Mahler. Zum
Copiren gehört aber nur √Talent_\\_Talent⌡, denn alle diese Stücke
können nicht durch Unterweisung erlangt werden. Genies sind
selten, d.h. nicht alle Tage wird etwas erfunden. Würde alle Tage
etwas erfunden, so wäre das Finden nicht selten, sondern etwas
gewöhnliches. Mittelmäßiges Genie ist eine Contradiction, dieses
ist alsdenn nur ein √Talent_\\_Talent⌡. Genie muß immer was
außerordentliches seyn. Genie ist nicht unter dem Zwange der
Regel, sondern ein Muster der Regel, denn Regeln können wir
lernen, das Genie aber kann nicht erlernt werden. Weil
⌠Seite 267⌡
aber doch alles, was herfürgebracht
/Seite_279
/wird├,┤ regelmäßig seyn muß, so muß das Genie der Regel gemäß
seyn, ist es der Regel nicht gemäß√;_\\_,⌡ so muß aus ihm selbst kei-
ne Regel gemacht werden können, und denn wird es zum Muster. So
sind Z. E. die Genies des Alterthums Homer, Cicero Muster, und
ihre Producte sind Muster├,┤ auf denen die Regeln abgezogen
werden. Der Zustand der Nachahmung ist dem Genie √entgegen
gesetzt_\\_entgegengesetzt⌡, so wie auch die peinliche Beobachtung
der Regeln dem Genie entgegen gesetzt ist, dahero auch der
Mechanismus, oder die Fertigkeit etwas nach Regeln
hervorzubringen, dem Genie entgegen ist. Wenn also in der
Unterweisung ein gewißer √Mechanismus_\\_Mechnismus⌡
/Seite_280
/eingeführt ist, so wird das Genie dadurch unterdrückt. Dieses ist
der Fehler aller unserer Schulen, und
⌠Seite 268⌡
der Grund warum wenige Genies aus derselben kommen. Die
√Erfahrung_\\_Einführung⌡ des Mechanismus macht zuerst das Genie
entbehrlich├,┤ und zuletzt auch verlustig. Es ist zwar ein gewißer
Mechanismus in allen unsern Erkenntnißen zuerst nöthig Z. E. in
der Historie und Geographie. Man muß aber dem √Talent_\\_Talent⌡ eine
freie Ausübung verschaffen├,┤ denn äußert sich das Genie. Der
Mechanismus entspringt aus der Gewohnheit, die Gewohnheit macht
√zuerst_\\_erst⌡ Leichtigkeit⌠,⌡ und hernach Nothwendigkeit. Es giebt auch
fehlerhafte Gewohnheiten Z. E. im Schreiben, im Spielen,
/Seite_281
/so sehr schwer abzubringen sind. Unwillkührliche Gewohnheit ist
Angewohnheit. Kopf hat √jemand_\\_iemand⌡, so ferne er zu einer oder
der andern Erkenntnis aufgelegt ist. So findet man ein
√Talent_\\_Talent⌡ zur Mathematic, Physic p. Dieses ist die
Geschicklichkeit des Subjects zu einer oder der √anderen_\\_andern⌡
Wißenschaft.
⌠Seite 269⌡
So hat einer einen empirischen, der andere einen speculativen
Kopf. Ob der Hang und Talent zu etwas in einem Gemüth zusammen
sind? Es wäre sehr gut, wenn es wäre├,┤ aber leider ist es nicht. Der
Hang geht auf etwas anderes als das √Talent_\\_Talent⌡. So be-
schäftigt sich der Mensch gerne damit, was seinem Hange aber nicht
seinem Talent gemäß ist. Mit dem
/Seite_282
/Talent beschäftigt er sich nur, wenn er muß. Wenn √beides_\\_beydes⌡
vereinigt ist, so ist noch die Frage ob alsdenn Genie sey? Genie
ist √freilich_\\_freylich⌡ nicht allemahl nöthig.
Was zu einem mathematischen, philosophischen,
√physischen_\\_Physischen⌡, musikalischen Kopfe erfordert wird, dazu
gehöret viel├,┤ solches zu examiniren, es wäre aber von sehr
großem Nutzen. Denn es gehöret nicht eben daßelbe zu einem Talent,
was zum andern gehört. So ist das √mathematische
Talent_\\_mathematische Talent⌡ vom √philosophischen_\\_philosophischen⌡
sehr
⌠Seite 270⌡
unterschieden, denn die eine √Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡ ist intuitiv,
die andere √Discursiv_\\_discursiv⌡. Es gehöret aber zu einem
vollständigen Talent nicht so wohl der Grad des Erkenntnißes,
/Seite_283
/als die Proportion derer Kräfte und Ausbildung derselben.
Hiemit haben wir den ersten Theil der
√P«h»sychologischen_\\_Phychologischen⌡ Betrachtungen, nemlich des
Erkenntnis Vermögens geendigt, nun folgt das √zweite_\\_zweyte⌡
Vermögen⌠,⌡ der Seele⌠,⌡ √nemlich_\\_nehmlich⌡ das Gefühl der Lust
und Unlust, worauf alsdenn das dritte Vermögen folgen wird,
nehmlich das Begehrungs Vermögen.
√Der_\\_Die⌡ zweite Qvell der Phaenomenorum der Seele ist⌠,⌡ das
Gefühl der Lust und Unlust, der Billigung und Mäßigung, des
Wohlgefallens und √Misfallens_\\_Mißfallens⌡. Dieses Vermögen muß vom
√Erkenntniß_\\_Erkenntnis⌡ Vermogen wohl unterschieden werden.
⌠Seite 271⌡
/Seite_284
/Etwas erkennen, und an etwas ein Wohlgefallen haben, ist
zweyerley. Jch kann von etwas eine Vorstellung haben, aber die
├die┤ Wirckung die die Dinge aufs gantze √des Gemüths_\\_<des
Gemüths>⌡ machen, ist das √Vermögen_\\_Vermogen⌡ der Lust und Unlust.
/Das Gefühl von der Hindernis des Lebens ist der Schmertz oder die
Unlust. Das Gefühl von der Beförderung des Lebens ist das
√Vergnügen_\\_Vermögen⌡ oder die Lust. Das Leben ist das Bewust seyn
eines freien und regelmäßigen Spiels aller Kräfte und Vermögen
der Menschen. Das Gefühl von der Beförderung des Lebens ist das⌠,⌡
was Lust ist und das Gefühl von der √Hinderniß_\\_Hindernis⌡ des
Lebens ist Unlust. Es
/Seite_285
/kann ein Vergnügen seyn, welches das Leben vermindert, aber das
Gefühl vermehrt. Das Gefühl der Belebung ist das Vergnügen, wenn
das Blut und die Le-
⌠Seite 272⌡
Lebens Geister in starcke Bewegung gesetzt werden, und wenn es an
einer Stelle stärcker empfindet, so ist dieses Gefühl ein
Vergnügen, obgleich das Leben dadurch selbst verhindert wird. So
kann auch ⌠wieder⌡ die √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ des Lebens klein seyn
und der Schmertz groß, und die Hinderniß des Lebens kann groß
seyn⌠,⌡ und der Schmertz klein Z. E. ein Nadelriß ist √kein_\\_keine⌡
große √Hinderniß_\\_Hindernis⌡ des Lebens⌠,⌡ aber der Schmertz ist
groß, und ein Schaden der
/Seite_286
/Lunge ist ein kleiner Schmertz├,┤ aber ein großes Hindernis des
Lebens. Die Ursache hievon ist, wo die Nerwen keinen Reitz haben,
da ist auch der Schmertz nicht groß, in der Hand aber haben die
Nerwen die stärckste Empfindung, dahero ist auch der Schmertz
darauf sehr groß. Die Schmertzen betreffen nicht die Proportion
des Uebels⌠,⌡ sondern die Proportion des Gefühls des
⌠Seite 273⌡
Uebels. Es hat oft etwas, was die Natur dazu aptirt hat, ein
Gefühl von großem Vergnügen und Schmertz gemacht, √ob
gleich_\\_obgleich⌡ das erstere keine Beförderung und das letztere
keine √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ des Lebens ist. Es giebt Vergnügen
bloß im
/Seite_287
/Genuß des Lebens ohne die Ursache zu empfinden, die das Leben
befördert. Der Schmertz ist das Gefühl der Hindernis an einem Ort
des Lebens; wenn man die gantze Summe des Lebens fühlt, und den
Schmertz davon abzieht, so hat es mehr Gefühl des Vergnügens als
der √Hinderniß_\\_Hindernis⌡ des Lebens, dennoch wollen die Menschen
lieber Schmertzen aushalten, als das gantze Leben aufgeben, über-
trift aber der Schmertz die gantze Summe des Lebens, und macht er
uns unthätig das Vergnügen des Lebens zu fühlen, so will man
lieber das gantze Leben
⌠Seite 274⌡
aufgeben um den Schmertz zu √verlieren_\\_verliehren⌡. Das Vergnügen
ist sensuell, ideal und intellectuell.
/Seite_288
/Sensuale Vergnügen sind Vergnügen der Sinne, die leicht
einzusehen sind, aber die √ideale_\\_Ideale⌡ Vergnügen
√bedürfen_\\_bedürffen⌡ mehrere Erläuterung, sie beruhen auf dem
Gefühl des freien Spiels der Gemüths Kräfte. Die Sinne sind die
Receptivitaet der Eindrücke, die unser sinnliches Vergnügen be-
fordern, wir können aber unsere Gemüths Kräfte in Agitation
bringen durch Gegenstände nicht ⌠in⌡ so ferne sie einen Eindruck
auf uns machen, sondern in so √ferne_\\_fern⌡ ⌠«sie einen Eindruck»⌡
wir sie uns dencken, und das sind die Idealen Vergnügen, sie sind
zwar sinnlich, aber nicht Vergnügen der Sinne. Ein Gedicht, ein
Roman eine Comoedie sind Vermö-
⌠Seite 275⌡
gend in uns ideale
/Seite_289
/Vergnügungen zu verschaffen├,┤ sie entspringen aus der Art⌠,⌡ wie
das Gemüth aus allerhand Vorstellungen der Sinne sich selbst
Erkenntniße macht. Wenn nun das Gemüth ein freies Spiel der Kräfte
empfindet⌠,⌡ so ist das, was dieses freie Spiel macht, ein
√ideales_\\_ideales⌡ Vergnügen. Es giebt einen Schmertz der zum
Vergnügen dient Z. E. in der √Tragoedie_\\_Tragoedie⌡. Wie geht das
zu? Wir müßen das Resultat nehmen. Alle solche Eindrücke sind der
Grund von der √Beforderung_\\_Beförderung⌡ des Lebens√, das_\\_. Das⌡
Gemüth, welches bey solchen √trauerspielen_\\_Trauerspielen⌡ zugegen
ist, kommt dadurch in Agitation, alle √Organen_\\_Organen⌡ werden
durchgearbeitet, es ist also eine innere Motion├,┤ nach
/Seite_290
/welcher man sich wohl befindet.
Montagne sagt├:┤ das Gemüth trägt
⌠Seite 276⌡
mehr zur Gesundheit und √Beforderung_\\_Beförderung⌡ des Lebens bey,
als alle Medicin. Soll der Mensch belebt werden, so muß sein
Gemüth √agitirt_\\_agiret⌡ werden. Weil dieses nun ein Gefühl
hervorbringt, so vergnügt es⌠.⌡ Das Spiel der Gemüths Kräfte muß
starck √lebhaft_\\_lebhafft,⌡ und frey seyn, wenn es beleben soll.
Intellectuale Lust besteht in dem Bewustseyn des Gebrauchs der
Freiheit √und_\\_nach⌡ Regeln. Die Freiheit ist das √großte_\\_größte⌡ Leben
des Menschen, dadurch √exercirt_\\_exerciret⌡ er seine Thätigkeit
ohne √Hindernis_\\_Hinderniß⌡. Durch √einige Hinderniß der_\\_<einige
Hinderniß der>⌡ Freiheit ist das Leben eingeschränckt, weil die
Freiheit nicht unter dem Zwange der Regel steht. Wäre dieses, so
wäre sie nicht frey, da dieses aber eine
/Seite_291
/Regellosigkeit mit sich √führt_\\_führet⌡, wenn der Verstand
dieselbe nicht dirigirte, die Regellosigkeit ⌠aber⌡ sich
√selber_\\_selbsten⌡ hindert, so kann uns keine √Freiheit_\\_Freyheit⌡
gefallen, als die un-
⌠Seite 277⌡
ter der Regel des Verstandes steht√._\\_;⌡ Dieses ist die
intellectuale Lust, die aufs moralische geht.
Obgleich unsere Vergnügen den Objecten nach nicht gleichartig
sind, so können sie doch hernach zusammen gezählt werden, da sie
alsdenn das gantze Wohlbefinden ausmachen, so als wenn sie
gleichartig wären. Obgleich diese Vergnügen sehr verschieden sind,
und eines ein ideales das andere ein sensuales ist, so vergleichen
wir sie doch zusammen und nehmen sie in eine Summe. Die Ursache
ist: Alle Vergnügungen
/Seite_292
/beziehen sich aufs Leben. Leben ist aber eine Einheit, und in so
ferne sie alle darauf abzielen, √sie sind_\\_sind sie⌡ alle
gleichartig√, die_\\_. Die⌡ Qvellen aus denen sie entspringen⌠,⌡
mögen seyn wie sie wollen.
Die Vergnügungen in Ansehung der Objecte können verschieden seyn
nehmlich
⌠Seite 278⌡
in Ansehung des Objects der Erscheinung und des Verstandes. Das
Gemüth verhält sich in Ansehung der Gegenstände├,┤ erstlich
gleichgültig. Diese Gleichgültigkeit kann aus Fühllosigkeit
entspringen, oder aus Unempfindlichkeit⌠,⌡ oder aus Gleichgewicht.
Die Unempfindlichkeit ist eine Gleichgültigkeit in Ansehung des
Eindrucks, und die Gleichgültigkeit des Gleichgewichts ist eine
/Seite_293
/Gleichgültigkeit in Ansehung der Wahl.
Gleichgültigkeit ist von der Gleichmüthigkeit zu unterscheiden.
Gleichgültigkeit aus Unempfindlichkeit ist Stupiditaet, aber die
Gleichmüthigkeit ist eine Wirckung der √Stärcke_\\_Starcke⌡ und nicht
der √Schwache_\\_Schwäche⌡, sie besteht im Besitz des Wohlbefindens
ohne Unterscheid der Bedingung des äußeren Gegenstandes, und in
dem Bewustseyn der
⌠Seite 279⌡
√Größe_\\_Große⌡ des Wohlbefindens, welche alle äußere Umstände
überwiegt. Die Gleichmüthigkeit kommt Philosophen zu√._\\_,⌡ Empfind-
samkeit ist die Fähigkeit der Receptivitaet idealer Vergnügen, sie
ist der Gleichgültigkeit, aber nicht der Gleichmüthigkeit entgegen
gesetzt.
Empfindlichkeit ist eine Schwäche, nach welcher der gantze Zustand
eines Menschen
/Seite_294
/verändert wird Z. E. man wird über Grobheiten empfindlich, oder
wenn einem ein Geschirr zerbrochen wird.
So wie die Gleichgültigkeit der Empfindsamkeit entgegen gesetzt
wird, so wird die Gleichmüthigkeit der Empfindlichkeit entgegen
gesetzt. √Gleichmüthig_\\_Gleichmüthigkeit⌡ ist eigentlich ein
√Selbst Gefühl_\\_Selbst-Gefühl⌡ einer gesunden Seele, so wie das
√Selbstgefühl_\\_Selbst Gefühl⌡ eines gesunden √Körpers,_\\_Cörpers⌡ die
völlige Gesundheit
⌠Seite 280⌡
ist. Man fühlt in sich den Qvell des Lebens. Die Gesundheit der
Seele und des Cörpers ist freylich das größte Glück, es
ist die größte Summe √de«s»r_\\_der⌡ ⌠«Glücks»⌡ Lust und des
Vergnügens, welche größte Summe der Lust man doch immer fühlt,
/Seite_295
/wenn auch Schmertzen sind. Hievon liegt der Grund in dem Menschen
selbst. Wer solche Stärcke des Gemüths hat, daß er die gantze
√Summe_\\_Summe⌡ der Lust und des Vergnügens fühlt, deßen Vergnügen
wird weder durch neue Zusätze von Vergnügen vermehrt, noch durch
einigen Schmertz betrübt, ein solcher freut sich √nicht_\\_mit⌡ über
das Vergnügen, und betrübt sich nicht über den Schmertz. Mann
√kann_\\_kan⌡ Schmertz und Vergnügen empfinden, ohne √uber_\\_über⌡ das
eine sehr betrübt, und über das andere sehr vergnügt zu seyn.
Menschen die ├durch┤ jede Kleinigkeit erfreut
⌠Seite 281⌡
werden, werden auch durch √jede_\\_iede⌡ Kleinigkeit betrübt. Das
Wohlbefinden muß also eine bestimmte
/Seite_296
/Summe seyn, die ich in mir fühle, und welches durch keine kleine
Zusätze von Vergnügen außerordentlich vermehrt, oder durch
Wiederwärtigkeiten vermindert werden kann. Der Schmertz ist, wie
schon gesagt, nicht die Hindernis des Lebens, als vielmehr das
Gefühl der √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ des Lebens. Fühlen wir unser
Leben nicht mehr, so ist √das_\\_daß⌡ nicht deswegen, weil kein Hindernis
ist, sondern weil wir kein Gefühl mehr haben. So fühlt man auch
zuletzt nicht mehr eine √heftige_\\_hefftige⌡ √Krangheit_\\_Kranckheit⌡, und denn
wird der Tod selbst nicht schmertzhaft weil wir kein Gefühl mehr
haben. Derjenige Tod ist aber schmertzhaft, wo das Gefühl noch
übrig bleibt. Es kommt
/Seite_297
/also darauf an, wie wir die √Hindernis_\\_Hinderniß⌡
⌠Seite 282⌡
des Lebens fühlen. Wie können wir aber unsere Seele gesund
erhalten√._\\_?⌡ Wer sich allen Vergnügungen ohne Abhaltung gantz
√¿umgestimt/ungestüm¿_\\_unstimmig⌡ √überläst_\\_überläßt⌡, aber auch auf der andern Seite im
Stande ist allen Schmertz zu empfinden. Wer aber recht glücklich
seyn will, der muß gleichgültig gegen Schmertz und Vergnügen
bleiben, ein solcher fühlt ein beständiges Vergnügen in sich. Es
dependirt auch vom Cörper. Wie wird aber solche Gleichmüthigkeit
erhalten? Eine Ueberlegung im einzelnen Fall kann das nicht thun,
sondern es muß durch Uebung erlangt werden, dahero muß man frühe
anfangen eine
/Seite_298
/gewiße Gleichmüthigkeit zu äußern. Das Temperament thut wohl das
mehreste dabey. Da wir nun √nicht einmahl_\\_einmahl nicht⌡ Meister
über den Ausgang der Dinge
⌠Seite 283⌡
sind, so müßen wir schon unserm Gemüth eine gleichförmige Faßung
geben. Das menschliche Leben ist ohnedem von lauter Kleinigkeiten
zusammen gesetzt. Wir √hängen_\\_hangen⌡ mehr unserer Neigung⌠,⌡ als
unserm wahren Glück nach. Nicht große Uebel drucken den Menschen,
sondern kleine Beleidigungen seines Steckenpferdes. Sieht man nun
ein, daß es nur alles Kleinigkeiten sind, und gewöhnt man sich
schon frühzeitig an, solchen Kleinigkeiten nicht
√anzuhangen_\\_anzuhängen⌡, so erwirbt man sich solche
/Seite_299
/√Gleichgültigkeit_\\_Gleichmüthigkeit⌡. Das vornehmste ist zwar sein Leben ohne
Vorwürfe zu erhalten. Kann man es darinn √zur_\\_zu⌡ gewißen
√Ehrenstelle_\\_Ehrenstellen⌡ bringen, so ists beßer├.┤ Jst es nicht, so ists auch
gut, √mir_\\_nur⌡ ist keine Sache in der Welt im Stande Kränckungen
zuzufügen Z. E. ob mir jemand ein gerades oder ein schie-
⌠Seite 284⌡
fes Maul macht, ob er mir ein großes oder kleines Compliment
macht⌠,⌡ und aus dem Wege geht oder nicht. Wer aber über solche
Kleinigkeiten ärgerlich wird, der verliert immer dabey├,┤ hernach
ärgert er sich selbst darüber, daß er ärgerlich geworden ist, er
sieht es ein, allein er kann sich nicht √so bald_\\_sobald⌡ wieder in
die vorige Faßung bringen.
/Seite_300
/Ueberhaupt schaden solche Kleinigkeiten und Aergerniße sehr, sie
nehmen einem solchen den Geschmack des Lebens. Setze ich mir
dieses einmahl vor, so kann ich mit großer Gleichmüthigkeit sehr
vieles so passiren laßen. Wenn noch die √Kürtze_\\_Kürze⌡ des Lebens
dazu kommt, und man dieses bedenckt, so wird ein √jeder_\\_ieder⌡
√vernünftige_\\_Vernünftige⌡ die Kürtze des Lebens zu genießen
suchen. Bey Gelegenheit├,┤ da wir von der Gleichmüthigkeit reden,
kommen wir auf die Betrachtung.
⌠Seite 285⌡
≥ Von der Laune.≤
Die Laune ist der Zustand⌠,⌡ in welchem der Mensch nach seiner Disposition die Dinge in der Welt beurtheilt. Wir können nach den Gegenständen/Seite_301
/Beobachtungen anstellen, und das ist eine speculative
Beobachtung, wir können aber auch eine launigte anstellen, nicht
nach den Gegenständen, sondern daß die Dinge solche Gestalt
nehmen, wie uns der Kopf steht. Die Laune nach dem Verstande der
französischen Sprache bedeutet eine √ueble_\\_üble⌡ Laune, wo der
Mensch √übel_\\_ubel⌡ disponirt ist, und auch alle Menschen so an-
sieht. Es giebt einen murrischen Zustand des Menschen, in welchem
er alles für verkehrt hält, *1 und er glaubt auch recht zu haben.
Bey solcher Laune sieht √«der» ein_\\_der⌡ Mensch die Welt für Narren
und Bösewichter an. Nach dem Verstande der
am Rand ab Z. 16
~*1 wo ihm alles was er sieht├,┤ √misfällt,_\\_mißfält⌡ «¿»~
⌠Seite 286⌡
englischen Sprache bedeutet Laune
/Seite_302
/einen Humor, oder eine gewiße Selbst Disposition des Gemüths über
alle Dinge und Gegenstände √schmertzhaft_\\_scherzhaft⌡ zu urtheilen,
und alles für Spiel anzusehen. √Jst_\\_Ist⌡ jemand von dieser Laune,
so macht er aus allem einen Spaas und das ist eine gute Laune.
Diese äußert sich oft bey Personen bis ans Ende seines Lebens Z. E. Thomas Morus ließ seinen Bart wachsen, weil er deswegen mit dem
Könige in einem Process war. Accommodiren wir das deutsche Wort
dem französischen Verstande⌠,⌡ so bedeutet das launigte das
falsche und murrische. So sagt der Bauer, das ist ein
√lünscher_\\_lauscher⌡ Hund, nemlich wenn er so ist, daß man bald mit
ihm Händel bekommen
/Seite_303
/kann, ehe man sichs versieht, welches man ihm vorhero nicht hat
ansehen können. Accommodiren wir ⌠aber⌡ das
⌠Seite 287⌡
deutsche Wort dem √Englischen_\\_englischen⌡ Verstande, so ist es
eine schertzhafte Laune. Jn diesem Verstande muß die Laune
willkührlich seyn. So muß auch die üble Laune willkührlich seyn,
ist die üble unwillkührlich, so ist es schon eine Grille, daher
ist die ⌠gute⌡ schertzhafte Laune von der grillenhaften zu
unterscheiden. Die gute willkührliche Laune ist aufgeräumt, solche
Laune gefällt uns auch am Autor. Es kann aber auch die
unwillkührliche Laune nicht aufgeräumt seyn, wenn √sich_\\_sie⌡
nemlich Autores vornehmen √uber_\\_¿bet⌡ etwas launigt zu spotten.
Wenn wir das Laster
/Seite_304
/sinnlich machen wollen, so können wir es aus melancholischer
zorniger, eckelhafter und launigter Gemüths Art ansehen. Durch die
√Melancholische_\\_melancholische⌡ Gemüths Art werden wir auf das
Laster entrüstet, durch die zornige finden wir es strafbar, durch
⌠Seite 288⌡
die eckelhafte abscheulich und durch die launigte
√ungereimmt_\\_ungeräumt⌡. Unter den 4 Gemüths Situationen sind zwey,
die sich am besten mit der Gemüths Verfaßung des Menschen
schicken, √nemlich_\\_nehmlich⌡ die zornige und launigte. Die
√Melancholische_\\_melancholische⌡ und eckelhafte Situation ist eine
solche, in welcher der Mensch selbst nicht gerne ist. Der Eckel
ist an sich selbst unangenehm, demnach ist der Tadel des Lasters
aus dem Gesichts Punckt des
/Seite_305
/Eckels wegzulaßen. Es giebt Laster deren Misbilligung allezeit
Eckel hervorbringt⌠,⌡ und das sind Laster wieder die Natur, daher
sie auch √unnennbar_\\_unnennbahr⌡ sind. Der Eckel ist unter allen
Empfindungen ohne Ersatz├,┤ weil er die √Qvellen_\\_Qvelle⌡ des
Lebens √hemmet_\\_hemmt⌡. Die Traurigkeit hemmt nicht die Qvelle des
Lebens, sondern ist eine Hindernis, die überwogen werden
⌠Seite 289⌡
muß. So sind bittere Speisen eher zu genießen als eckelhafte.
/Alle andere Gemüths Verfaßungen Z. E. Zorn sind Bewegungen, also
auch Belebungen, aber der Eckel ist ein Niederschlag der Bewegung,
und also keine Belebung.
/Seite_306
/Autores tadeln das Laster auf eine zwiefache Art, erstlich bitter
mit Tadel Zorn und Unwillen gegen das Laster⌠,⌡ √zwei-
tens_\\_Zweitens⌡ aber launigt, wo sie die Ungereimtheit des Lasters
zeigen. Solche Schilderung des Lasters muß in der Gesellschaft
beobachtet werden. Z. E. man erzählt einen häslichen Streich, so
muß solches nicht mit Abscheu geschehen, so wie selbiger es
würcklich verdiente, sondern er muß launigt in den Spott gezogen
werden. Man kann darüber lachen⌠,⌡ und doch dafür einen Abscheu
haben, und solche Schilderung ist weit mehr
⌠Seite 290⌡
im Stande Abscheu in uns gegen das Laster zu erregen, als die
/Seite_307
/bittern. Hievon kann man Fildings Thomas √Jones_\\_Iones⌡ lesen.
Alles ist in der Gesellschaft unangenehm, was die Gemüths
Disposition stört, daher muß man solches verhüten, und deswegen
über alles Unglück und Schmertzen launigt und gleichmüthig seyn.
Was unangenehme Empfindungen in der Gesellschaft verursachen
könnte, √daß_\\_das⌡ muß launigt erzählt werden, denn die Empfindung bleibt
doch ohnedem├,┤ ohne daß man sie rege macht. Launigte Autores sind
auch in der Moral unvergleichlich, denn auch das √großte_\\_größte⌡
Verbrechen ├hat Poßen bey sich, und es ist auch möglich das größte
Verbrechen┤ launigt zu schildern, zuletzt kommts denn wohl
traurig.
/Seite_308
/Man kann die Laune auffordern, und sich in die Gesellschaft
versetzen alles für Spaas anzusehen, und alles zum
⌠Seite 291⌡
Spaas zu ⌠«anzusehen»⌡ machen.
Die englischen Autores behalten selbst im Lachen und in der Laune
die √richtigsten_\\_richtig«¿»sten⌡ Sentiments. Es wäre zu wünschen├,┤
daß die Deutschen hierinn den √Engelländern_\\_Engeländern⌡
nachahmten. Sie sind dazu geschickt, ob sie gleich nicht einen
solchen rührenden Witz haben, so haben sie doch bey aller Laune
ein vernünftiges Urtheil. Ueberhaupt kann alles in einer Laune
vorgetragen werden, Moral p├.┤ aber für den Prediger möchte es sich
auf der Cantzel wegen der Anständigkeit nicht schicken.
/Seite_309
/Denn im Grunde betrachtet sind alle Handlungen des Menschen ein
Spiel und voller Thorheit, er mag sich noch so in einem ernst-
haften Ornat einhüllen, so ist er doch, wenn er nach Hause und in
Gesellschaft kömmt, wieder der spaashafte Mann, ist er ernst
⌠Seite 292⌡
haft, so spielt er allemahl eine falsche Rolle. Also ist es auch
am besten ihm an dieser Seite beyzukommen.
Zur Bedeutung des Ausdrucks der Laune der gewöhnlich ist, gehört
auch noch ein Zustand der Menschen, in welchem sie √nichts_\\_nicht⌡
vergnügen kann, wo sie zwar kein Schmertz aus besondern Ursachen
affizirt, aber wo sie doch keines Geschmacks fähig sind, weder der
Freude
/Seite_310
/noch des Schmertzes. Dieses ist ein Zustand des Eckels vor der
langen Weile, es ist ein Zustand der grillenhaften Laune. Der
Mensch ist √verdrieslich_\\_verdrüslich⌡, daß er lange Weile hat, daß
ihn nichts unterhalten kann, daß er an nichts Geschmack findet, er
mag dieses oder jenes vornehmen, so wird ihm alles zum Eckel.
Woher √entspringt aber_\\_aber entspringt⌡ dieser Eckel der langen
Weile? Es ist hier
⌠Seite 293⌡
ein horror √vocui_\\_vacui⌡ so die Seele hat. Das Gemüth ist
√lehr_\\_leer⌡, es
hat an nichts einen Geschmack, es qvält es nichts als der leere
Raum, diesen Zustand verachtet die Seele. Die Natur hat Abscheu
vor solchem leeren Zustand, und daher
/Seite_311
/entsteht die Unzufriedenheit. Diese Unzufriedenheit erstreckt
sich so weit, daß auch Leute ihr Leben √hassen_\\_haßen⌡. Das Leben
wird ihnen selbst zur Last. So hängt sich ein
√Engellander_\\_Engeländer⌡ auf um die Zeit zu passiren. So schoß
sich Lord North todt um zu sehen, wie es doch in der andern Welt
aussieht, indem hier nichts mehr zu thun war als
√gasteriren_\\_Gasteriren⌡ und Cour zu machen, und das einen Tag um
den andern. Dieses ist dem Menschen nicht natürlich├.┤ √der_\\_Der⌡
Mensch kann, wenn ihn nur nichts qvält⌠,⌡ natürlich immer vergnügt
seyn, wenn er auch leer von Gedancken und Empfindun-
⌠Seite 294⌡
gen ist, so wie die Wilden, die den √ganzen_\\_gantzen⌡ Tag mit einem
Angel am Waßer sitzen
/Seite_312
/können. Wer aber seine GemüthsKräfte schon einmahl in Bewegung
gesetzt hat, der will immer Unterhaltung haben. Woher entspringt
aber dieser √leere_\\_Leere⌡ und √scha«l»ale_\\_schaale⌡ Zustand. Jn der ge-
sitteten Verfaßung wo das Gemüth schon √einmal_\\_einmahl⌡ in
Bewegung gebracht worden, entspringt dieser Zustand aus 2 Gründen,
entweder├,┤ daß durch √starcke_\\_stärcke⌡ Eindrücke die
√Empfindsamkeit_\\_Empfindung⌡
√geschwacht_\\_geschwächt⌡ ist, oder daß durch gar zu große
Ergrüblung der Vergnügen die √Manigfaltigkeit_\\_Mannigfaltigkeit⌡
√erschöpft_\\_erschopft⌡ ist. So wie man sich immer in Ansehung des
Genußes der Speisen und des Trancks √zu erst_\\_zuerst⌡ des sanften
bedienet, hernach aber immer √starckere_\\_stärckere⌡ Geträncke
nimmt, bis zuletzt
/Seite_313
/auch die für uns zu
⌠Seite 295⌡
schwach sind Z. E. zuerst schlechten Brandtwein⌠,⌡ oder süßen
Wein, oder √wohlrichenden_\\_wohlrüchenden⌡ Toback. Je mehr aber die
√Starcke_\\_Stärcke⌡ der √Empfindung_\\_Empfindsamkeit⌡ zunimmt, desto
stärckerer Mittel bedient man sich, bis zuletzt die
√spirituesen_\\_spiritueusen⌡ Brandtweine keinen Eindruck auf seine
Empfindsamkeit machen. So geht es auch mit dem
√Vergnügen_\\_Vermögen⌡ des Menschen, genießt der Mensch zuletzt die
stärcksten Vergnügen, so erschöpft er alles Vergnügen, und kein
Vergnügen macht einen Eindruck auf seine Empfindsamkeit. Dies
beruht auf unserm Nerwen System. Wenn die Nerwen ßber-
spant_\\_überspannt⌡ werden, so werden sie √zu letzt_\\_zuletzt⌡ gantz
schwach, so ist
/Seite_314
/√ein_\\_eine⌡ ⌠«Grad»⌡ gar zu große Freude im Stande √den_\\_einen⌡
Menschen zu √tödten_\\_todten⌡, und zwar noch eher als eine große
Betrübnis, denn bey der Freude über-
⌠Seite 296⌡
läßt sich der Mensch derselben gantz, und er empfängt den gantzen
Eindruck auf die Nerwen. Bey der Betrübnis ⌠aber⌡ setzt er sich
etwas in Positur. Man hat in Engelland aus einer Todtenliste
gesehen, daß mehr Leute an der Freude als Betrübnis gestorben
sind. Wenn man also die Vergnügen des Lebens genoßen hat bis auf
den spiritueusesten Grad derselben, so werden zuletzt die Nerwen
stumpf, und es rührt sie nichts mehr. Dagegen giebt es ausge-
grübelte und studirte
/Seite_315
/Vergnügen nach aller √Mannigfaltigkeit_\\_Manigfaltigkeit⌡. Wenn sich nun √ie-
mand_\\_jemand⌡ so gar aufs √Studieren_\\_Studiren⌡ der Vergnügen legt,
und kann keine neue Manigfaltigkeit mehr hervorbringen, und nichts
mehr ersinnen, so √verfällt_\\_verfält⌡ er in einen leeren Raum von
Vergnügen, denn lebt er⌠,⌡ und hat keinen Geschmack des
⌠Seite 297⌡
Lebens. Es ist schon vorhero gesagt, und wird nochmals erinnert,
daß das Vergnügen und der Schmertz in den Sinnen und im Gemüth
seyn können. Sie sollten in dem Sinn seyn, aber nicht im Gemüth.
Wir verlangen von einem Mann der einen Schmertz in seinen Sinnen
empfindet, solchen nicht ins Gemüth √ubergehen_\\_übergehen⌡ zu
laßen.
/Seite_316
/√Ueberlaßt_\\_Ueberläßt⌡ sich der Mensch solchen Eindrücken, denn
geht der Schmertz oder das Vergnügen ins Gemüth über. Deswegen ist
der Mensch des Glücks und Unglücks fähig, deßen die Thiere nicht
fähig sind. Das Glück muß also nicht durch einen einzigen Eindruck
vermindert werden Z. E. man stelle sich einen wohlhabenden Mann
vor dem sein Bedienter aus Unvorsichtigkeit einen Pokal zerbrochen
hat, welcher
⌠Seite 298⌡
darüber gleich auffährt und aufgebracht wird, als wenn ihm das
größte Unglück begegnet wäre, ja es giebt Personen die deswegen
kranck werden├,┤ und Pulwer einnehmen √müßen_\\_mußen⌡. Möchte dieser
Mann
/Seite_317
/bedencken, daß das im gantzen nichts macht, ob er einen Pokal
mehr oder weniger hat, und wie viele Menschen sind⌠,⌡ die der-
gleichen gar nicht haben⌠,⌡ und doch glücklich leben, so würde er
sein Glück durch solchen Eindruck nicht verringern. Das sind
verwöhnte Menschen, die bey Wiederwärtigkeit in Ungedult gerathen.
Menschen die über Unglück klagen, klagen nur deswegen├,┤ weil sie
immer glücklich waren. Wären sie öfter unglücklich gewesen├;┤ so
hätten sie auch gelernt solches ertragen. Da-
⌠Seite 299⌡
her ist es sehr weislich, wenn Gott dem Menschen einige
Wiederwärtigkeiten zuschickt, denn
/Seite_318
/lernen sie dieselbe ertragen, und werden nicht gleich bey jedem
kleinen Vorfall ungeduldig. Die Hauptsache ist immer die Eindrücke
vom Gemüth abzuhalten, außer nicht im √moralischen_\\_moralischen⌡,
da muß man sich alle seine Vergehungen zu Gemüthe ziehen. Wie
würde das seyn, wenn ein Mensch von einer solchen standhaften
Seele √wäre_\\_ware⌡, daß er sich nichts zu Gemüthe zöge, so wie
andere weichherzige Seelen, wenn sie iemanden einen schelmischen
Streich gespielt haben.
Die √Vergnügungen_\\_Vergnügüngen⌡ sind unterhaltende und belebende.
Zu den ersteren Gehört Z. E. √lesen_\\_Lesen⌡ der Bücher,
/Seite_319
/wozu die Instruction auf der Universitaet geschickt
⌠Seite 300⌡
macht. Die Wißenschaften unterhalten also sehr. Auch sinnliche
√Beschaftigungen_\\_Beschäftigungen⌡ Z. E. zeichnen, √Mahlen_\\_mahlen⌡,
Music, Optische ⌠Künste, Garten⌡ Künste sind ein Qvell einer Menge
von Unterhaltungen des Gemüths. Es giebt aber auch Vergnügungen
die belebend sind. Das Gemüth kann nicht lange in Ruhe seyn,
sondern es muß einen neuen Stoß bekommen. Dahin √gehören_\\_gehoren⌡
die Gesellschaften⌠,⌡ so das wesentliche Vergnügen ausmachen, und
eine wahre Medicin des Gemüths sind├,┤ ferner die Lustspiele und
Music, √Tantz_\\_Tanz,⌡ Charten und Spiel, da ist das Gemüth bey
/Seite_320
/einem jeden Spiel in einer neuen Situation, weil daßelben einiges
Interesse mit sich führet, entweder den Vorzug im Gewinn⌠,⌡
⌠Seite 301⌡
oder die Ehre p├.┤ so hat man zuerst eine Hofnung, denn macht man
einen Anschlag, denn zweifelt man⌠,⌡ und denn hoft man wieder.
Wenn sich das Spiel aufklärt, denn freut man sich. Auf solche Art
wird das Gemüth starck in Bewegung gesetzt. Zuletzt, wenn das
Spiel aufgehört hat, so ist das Gemüth in einer gantz andern
Faßung und jeder ist nach dem Spiel vergnügt├,┤ √sowohl_\\_so wohl⌡
der Gewinner⌠,⌡ als der Verspieler. So ferne aber dieses nicht
ist, so ist es kein unterhaltendes oder belebendes Vergnügen
gewesen.
/Seite_321
/Die unterhaltende √Vernügungen_\\_Vergnügen⌡ nennt man auch ruhige, und die
belebenden rauschende. Jn der Gesellschaft die belebt ist, will
jeder reden, und √ie_\\_je⌡ mehr solches geschiehet, desto belebter
⌠Seite 302⌡
√oder_\\_und⌡ rauschender ist die Gesellschaft. Den andern Tag ist
der Mensch gantz belebt. Wer grobe Empfindsamkeit hat, der liebt
lermende Vergnügungen Z. E. Tafel Music⌠,⌡ welche schon immer
einen Menschen von groben Empfindungen verrathen, denn bey einer
Tafel Music fallen alle unterhaltende und belebende Vergnügungen
weg. Die Vergnügungen ermüden, und die Kräfte ermangeln zuletzt,
also brauchen sie auch eine Erhohlung. Der Brunnen des Lebens
/Seite_322
/muß einen neuen Vorrath ziehen, dahero derjenige, so zwey Tage in
Gesellschaft gewesen ist, gerne den dritten Tag zu Hause bleibt um
sich zu erhohlen. Einige Vergnügen sich abwechselnd, und andere
anhaltende und daurende
⌠Seite 303⌡
Vergnügen. Die daurende sind Z. E. eine Mahlzeit in einer
⌠Gesellschaft. Eine Mahlzeit ist immer⌡ Gesellschaft, sowohl dem
Geschmack als dem √Discurs_\\_Discours⌡ nach. Dieses Vergnügen kann
lange dauren, und alle Tage wiederhohlt werden ohne Erschöpfung
oder Eckel. Ferner der Umgang. Die Lecture ist auch ein daurendes
Vergnügen. Abwechselnde Vergnügen sind Z. E. die Music, die Jagd,
da ist Zeit nöthig, bis der alte Eindruck verschwindet. So
/Seite_323
/sind Spiele abwechselnde Vergnügen, die eine größere Bewegung und
√Motion_\\_Motio⌡ des Gemüths machen als Hand Arbeit. Man sehe Z. E.
einen unaufgeräumten auf einem Pferde. Er wird durchs Reiten nicht
so wie durchs Spiel aufgeräumt. Es giebt √Vergnügungen_\\_Vergnügen⌡
im Vorschmack
⌠Seite 304⌡
und im Nachschmack. √Alles süße hat_\\_Z. E. im Gaumen ist⌡ An-
nehmlichkeit im Vorschmack⌠,⌡ aber nicht im Nachschmack. Solche
Vergnügen so im Vorschmack und nicht im Nachschmack angenehm
sind, deren werden wir bald überdrüßig, aber solche die im
Vorschmack bitter├,┤ und im Nachschmack angenehm sind, die werden
beybehalten. So √tringt_\\_trinckt⌡ man zuerst Wein mit Zucker, aber
hernach den
/Seite_324
/√Sauren_\\_sauren⌡. So hat man ein Vergnügen im Nachschmack durch
eine √Comoedie die_\\_Commoedie sie⌡ sich gut schließt, man bekommt
eine √Jdee_\\_Idee⌡ und man sieht zuletzt ein, daß es gut überlegt
war⌠,⌡ und denn vergnügt es. So kann ⌠wieder⌡ eine
√Comoedie_\\_Commoedie⌡ in der Action gefallen, aber im Schluß
bekommt man nicht das, wornach man schnappte. Es giebt
Gesellschaften, die mehr im Nachschmack gefallen als
⌠Seite 305⌡
im Vorschmack, und in solchen hat Geist √geherscht_\\_geherrscht⌡,
√den_\\_denn⌡ wir darinn nicht √so gleich_\\_sogleich⌡ wahrnehmen├,┤
aber hernach empfinden. So giebt ein witziger Einfall ein
Vergnügen im Nachschmack⌠,⌡ wenn man hinterher einsieht, was in
ihm √stekt_\\_steckt⌡. So giebt es Personen
/Seite_325
/die im Nachschmack beßer gefallen, andere aber im Vorschmack.
Reisende gefallen alle beßer im Vorschmack. So gefällt auch öfters
das Vergnügen der Geschlechter Neigung Z. E. bey einem Bräutigam
mehr im Vorschmack, er stellt sich das Vergnügen √großer_\\_größer⌡
vor├,┤ als er es hernach findet. Das Vergnügen im Genuß giebt das
Maas der Empfindung zu erkennen. Das Vergnügen im
√Vorschmack_\\_Nachschmack⌡ entspringt aus der Reflexion über die
Empfindung der vorhergegangenen Z. E. wenn die Comoedie aus ist,
so √hat_\\_macht⌡ jeder eine Recapitulation, gefällt sie im
Nachschmack so ist das der wahre
⌠Seite 306⌡
Maasstab des Vergnügens. So ist auch das Vergnügen
/Seite_326
/in der Gesellschaft im Nachschmack das wahre Vergnügen. So sagt
der Ruße: den Fremden nimmt man auf nach seinen Kleidern, wenn er
aber weggeht, so beurtheilt man ihn nach seiner Aufführung. Der
Schluß einer jeden Sache decidirt vom gantzen Urtheil das in uns
erregt wird. Der Schluß einer Gesellschaft, einer Comoedie oder
einer Rede muß wohl gewiß seyn⌠,⌡ weil er das ist, wornach wir das
gantze beurtheilen, und wodurch der Nachschmack erregt wird. So
macht der Reim Dichter in Gedancken den letzten Reim zuerst, auf
den er hernach den ersten reimt. Solche Verse sind sehr
/Seite_327
/auffallend, indem sich das Wort im zweyten Verse so genau paßt,
als wenn es ein großes Glück wäre, daß er sich auf den ersten so
genau reimt, da es doch in der Kunst des
⌠Seite 307⌡
Dichters bestand, der den letzten Vers in Gedancken schon zuerst
hatte. So ists auch in der Gesellschaft. Es würde uns übel
gefallen, wenn wir zuerst darinn gut aufgenommen würden, und
zuletzt der Wirth murrisch würde. So ists auch im Schicksaale, man
mag lieber die Wiederwärtigkeiten zuerst aushalten und zuletzt das
√beste_\\_Beste⌡, indem solches einen Nachschmack hervorbringt. So
ist es auch empfindlicher, wenn ein Kaufmann im späten Alter
banqverot wird.
/Seite_328
/Also √kömmts_\\_kommts⌡ darauf an, daß das unterhaltende
√zuletzt_\\_Zuletzt⌡ kommt. Es ist daher gut, wenn man zum Vergnügen
praeparirt wird, dadurch daß das Beschwerliche vorhergeht, so sind
alle Romanen abgefaßt. Jn der Tragoedie ist aber doch der Schmertz
zuletzt. Die Begebenheit in der Tragoedie gefällt uns auch nicht.
Alle Vergnügungen laufen am Ende
⌠Seite 308⌡
aufs Wohlbefinden heraus, daher haben wir alle Eindrücke nöthig,
tragische, comische, melancholische√;_\\_.⌡ Nun kommts darauf an, ob
der Mensch solche √Bearbeitung_\\_bearbeitung⌡, solche Beklemmung des
Hertzens, solche Bewegung des Gemüths
/Seite_329
/nöthig hat. Jst ihm alles dieses heilsam, so gefällt ihm das
Stück. Deßen Cörper aber solcher Bewegungen nicht bedarf, dem
misfällt die √Tragoedie_\\_Tragoedie⌡, daher iunge Leute gerne tragi-
sche und alte Leute gerne komische Stücke sehen, wo sie viel zu
lachen haben, welches sehr sonderbar ist, daß das Alter gerne
lachen und die Jugend gerne etwas tragisches sehen mag. Man könnte
das zur √Reflexion_\\_Reflection⌡ ziehen, wie es mit dem iugendlichen
Leben bewandt ist, daß solches demselben angemeßen √sey«n»_\\_sey⌡. Die Jugend
muß alle ihre Organa exerciren und zwar auf allerhand Art, damit
sich die Organen auf allerhand Art auswickeln können, dahero
/Seite_330
⌠Seite 309⌡
auch iunge Leute gerne muthwillig sind, welches ein √Natur
Trieb_\\_Naturtrieb⌡ ist, dahero die Bewegung des Gemüths bey
vergangenen Vorstellungen zu schwach ist, die Jugend aber starcke
Bewegungen des Gemüths haben muß, dahero gefällt ihnen das
tragische, welche Eindrücke aber auch nicht lange bey iungen
Personen haften zwar im √Gedächtnis_\\_Gedachtniß⌡ aber nicht in der
Empfindung.
Es giebt Vergnügungen, deren man bey
√Verlängerung_\\_Verlängerungen⌡ derselben satt wird Z. E.
Taschenspiele, witzige Einfälle. Auf der andern Seite
√giebts_\\_giebt⌡ Vergnügen⌠,⌡ deren man nicht satt wird bey
Verlängerung derselben⌠,⌡ und nicht überdrüßig durch Wie-
derhohlung. √Dahin_\\_Dahero⌡ gehören √geistliche_\\_geistische⌡ Ver-
gnügen Z. E. an
/Seite_331
/Wißenschaften.
Jn der √Schatzung_\\_Schätzung⌡ des Resultats des Einflußes und der
Wirckung die der Schmertz
⌠Seite 310⌡
und das Vergnügen auf das gesammte √wohlbefinden_\\_Wohlbefinden⌡
hat, gehört nicht allein der Sinn, sondern auch die Vernunft. So
steht es einem gesetzten √Mann_\\_Man⌡ √übel_\\_Uebel⌡ an, sich über
Kleinigkeiten, die keinen Einfluß in sein gantzes Glück oder
Unglück haben, zu vergnügen oder zu betrüben. Man kann zuletzt von
der Vernunft abfallen⌠,⌡ und den Werth der Sache nicht nach
Proportion des gantzen Wohlbefindens oder Wohlhabens├,┤ sondern an
und vor sich selbst schätzen. So wird ein reicher Mann eben so gut
wie ein anderer Bedencken tragen├,┤ eine Sache die zum Vergnügen
/Seite_332
/und √annehmlichkeit_\\_Annehmlichkeit⌡ dient├,┤ und Z. E. schon über
10 %Reichsthaler kostet zu kaufen, obgleich die 10 %Reichsthaler
in Proportion des Vermögens des Reichen eine geringe Kleinigkeit
betragen, so schätzt doch der Reiche diese Verschwendung nicht im
⌠Seite 311⌡
√Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ mit seinem gantzen Vermögen, sondern an
und vor sich selbst nach den Bedürfnißen⌠,⌡ √nemlich_\\_nehmlich⌡ daß er für
dieses Geld etwas nöthigeres haben könnte. Also ist die richtige
Schätzung der Sache in Vergleichung mit dem gantzen Wohlbefinden
sehr √rar_\\_war⌡. Darauf beruhen alle Ungereimtheiten so die
Menschen begehen, wenn sie die √Summe_\\_Summe⌡ und nicht die
Vernunft schätzen laßen Z. E. wenn reiche Leute 1000 %Reichsthaler
verlohren haben, so
/Seite_333
/grämen sie sich sehr, welches sie doch nicht √thäten_\\_thaten⌡,
wenn ⌠sie selbige nicht gehabt hätten, wenn⌡ sie nicht so reich
gewesen wären. Sie schätzen also die 1000 %Reichsthaler an sich
und nicht nach Proportion ihres gantzen Vermögens.
Wenn der Besitz des Wohlbefindens groß ist, so ist die
Verminderung deßelben im kleinen Grad *1 des Wohlbefindens, wenn
am Rand ab Z. 18
~*1 unangenehm als ein kleiner Grad~
⌠Seite 312⌡
man deßen schon gewohnt ist, und die Steigerung meines
Wohlbefindens macht einen √größere_\\_großern⌡ Grad des Vergnügens,
als wenn man selbiges schon lange in einem größern Grad genoßen
hätte. Was der Mensch zum √Etat_\\_Etat⌡ seines Wohlbefindens
rechnet, das empfindet er nicht mehr so, er rechnet nur
/Seite_334
/das Zunehmen und die Verminderung seines Wohlbefindens Z. E. wenn
jemand eine Erbschaft von 10000 %Reichsthaler gethan hat, und er
verliert 1000 %Reichsthaler davon├,┤ so ist der Schmertz größer,
als wenn er nur die Hälfte von diesem Gelde √nehmlich_\\_nemlich⌡ nur
5000 %Reichsthaler geerbt hätte. Und ein Bedienter ⌠rechnet⌡ sein
beständiges Gehalt seinen Etat nicht zur Vermehrung seines
Vermögens, sondern nur das Zunehmen, das Steigern durch
Accidentien und Geschencke. Demnach muß ein √ieder_\\_jeder⌡
⌠Seite 313⌡
eine solche Einrichtung in seinem Leben treffen, daß er in seinem
Leben immer steigen könne, und sich nicht solches Vergnügen und
Sachen angewöhnt, deren Abschaffung
/Seite_335
/schmertzlich ist. Es ist gut sich in der Jugend vieles zu
versagen, indem man alsdenn immer steigen, und das Wohlbefinden
zunehmen kann, denn eine gewiße Abkürtzung ist empfindlicher
√«d»als_\\_als⌡ der noch kleinere Grad des Wohlbefindens den man
gewohnt ist, dahero sind √geistliche_\\_«g»Geistliche⌡ undanckbar
gegen ihre Wohlthäter, denn sie rechnen das schon zum Etat ihres
Wohlbefindens, und empfinden das ihnen erzeigte gute nicht, weil
sie daßelbe als etwas beständiges ansehen, nur die Steigerung
dieses Wohlbefindens rechnen sie. Weil nun in solchem Zustande
kein Zuwachs möglich ist, sondern noch die Verminderung dazu
kommt, so klagen sie
⌠Seite 314⌡
über das
/Seite_336
/Schicksal├,┤ und fühlen die kleine Verminderung.
Ferner √konnen_\\_können⌡ wir √jemanden_\\_iemanden⌡ bey Empfindung
seines Schmertzens eine Diversion machen Z. E. wenn ein
√Kaufmann_\\_Kaufman⌡ seinen einzigen Sohn verlohren hat⌠,⌡ welches
ihm sehr schmertzlich nachgeht, so kann man ihm sagen, daß dieser
Schmertz nicht so groß wär├,┤ als wenn ihm sein Schiff mit seinem
gantzen Vermögen in der See √unterginge_\\_untergienge⌡. Wenn er das nun
einsieht⌠,⌡ und es kommt die Nachricht, daß sein Schiff gut
angekommen⌠,⌡ so verliert er den ersten Schmertz bey der Freude
des zweiten Falles. Also kann ein Chagrin durch einen andern
vertrieben werden, und ist der zweite
/Seite_337
/vorbey├,┤ so verliert sich auch der erste. Das Gemüth kann also
von der Aufmercksamkeit, die es worauf hat,
⌠Seite 315⌡
gestört werden durch ein anderes Object, wodurch es
√Aufmersamer_\\_aufmercksamer⌡ gemacht wird.
Kleine Vexationen und Verdrießlichkeiten machen ungeduldiger als
große Uebel, und man kann sich eher in einem großen Unglück
finden, als in einem kleinen Verdruß. Die Ursache ist: wieder
kleine Wiederwärtigkeiten nimmt das Gemüth nicht seine gantze
Macht zusammen denselben zu wiederstehen, es entrüstet sich nicht
mit allen Kräften⌠,⌡ wieder die kleine Wiederwärtigkeiten, weil es
dieselben gering achtet und sie nicht werth hält sich gegen sie zu
√sezzen_\\_setzen⌡. Begegnet uns
/Seite_338
/aber ein großes Uebel, so trößtet man sich dagegen mit aller
Macht und allen Kräften, und deswegen ist es eher zu ertragen. Es
kommt also auf die
⌠Seite 316⌡
Rüstung des Gemüths an. Wo also der Fall ist, wo die Ertragung des
Uebels uns keine Ehre bringt, da rüsten wir uns auch nicht
√dawieder_\\_darwieder⌡, dennoch erschütterts uns desto eher├,┤ aber
ein großes Unglück zu ertragen macht uns mehr Ehre, es ist auch
Werth⌠,⌡ daß man sich dawieder setzt, folglich erschüttert uns
daßelbe nicht so sehr.
Wenn Menschen unglücklich werden so beklagen wir sie nicht nach
der Dürftigkeit der Natur, nach der sie √nicht_\\_Nicht⌡ unglücklich
wären, sondern nach dem Maas
/Seite_339
/wie sie gewohnt waren das Glück zu empfinden. Z. E. ist jemand
√von_\\_vom⌡ Hofe verwiesen, und ist auf seinem √Land Gute_\\_Landgute⌡,
so schätzt er sich sehr unglücklich, weil er gewohnt war am Hofe
zu leben, obgleich ein anderer sich sehr glücklich schätzen
⌠Seite 317⌡
möchte⌠,⌡ wenn er das hätte, was ihm weggeblieben ist. Sehen wir
einen solchen Menschen, so beklagen wir ihn, allein er selbst muß
nicht darüber klagen. Selbst erworbene Vergnügen sind angenehmer
als durch Zufall erlangte, und auf der andern Seite ist das
Unglück doppelt unangenehm, wenn wir es uns selbst zugezogen
haben, als wenn es sich durch Zufall ereignete Z. E. im
Chartenspiel sind die Charten so
/Seite_340
/gut gewesen, daß ich es gewinnen muste⌠,⌡ hier ist das Vergnügen
nicht so groß als wenn sie schlechter gewesen √<wären>_\\_wären⌡,
⌠«daß ich es gewinnen muste»⌡ und ich durch √meine_\\_eine⌡
Geschicklichkeit das Spiel gewonnen √hatte_\\_hätte⌡, und auf der an-
dern Seite ist es unangenehm, wenn ich das Spiel durch meine
Schuld verlohren hätte, als wenn ich es nach √den_\\_denn⌡ Charten
⌠Seite 318⌡
hätte √verlieren_\\_verliehren⌡ müßen. Die Ursache ist, so bald der
Erfolg in meiner Geschicklichkeit ist, so sehe ich in mir einen
Qvell von mehr guten Folgen. So √ists_\\_ist es⌡ auch im Gegentheil. Jst das
Unglück durch meine Ungeschicklichkeit und Unvorsichtigkeit
geschehen, so habe ich in mir den Qvell von mehreren solchen
Uebeln. So
/Seite_341
/schmertzen auch die Uebel wo man unschuldig ist nicht so sehr als
diejenigen├,┤ wo man schuldig ist. Man hört Leute im Unglück
klagen und ausrufen: bin ich doch nicht Schuld √darann_\\_daran⌡,
sind wir aber Schuld daran, so schmertzet es uns desto mehr, denn
alsdenn kommt die SelbstReproche dazu, ist man aber unschuldig├,┤
so fällt diese weg, ist man selbst schuldig so empfindet man
Kummer, ist man aber unschuldig, so hat man keinen Kummer, sondern
einen Wiederwillen und
⌠Seite 319⌡
Entrüstung gegen andere Personen├,┤ die etwa Schuld daran haben.
Vergnügen √oder_\\_«und»oder⌡ Schmertz sind bisweilen √ange-
nommen_\\_angenommene⌡ und auch ungereimte. Die √an-
genommen_\\_angenommenen⌡
/Seite_342
/sind, in so ferne wir uns andere Personen fingiren, und durch
√Ficktion_\\_Fiktion⌡ in die √Perschon_\\_Person⌡ des andern übergehen,
das ist das Recht eines theatralischen Genies sich in andere
Personen zu versetzen, deren er aber nicht fähig ist, und die auch
an ihm nicht haften. Er kann sich eben so gut in die Stelle eines
Patrioten als des ärgsten Spitzbuben versetzen. Also müßen solche
Personen leer von eigenen und voll von fremden Empfindungen seyn.
Voltaire ist darinn Meister, er kann alle mögliche Empfindungen
leihen, aber in seiner Person hat er keine Empfindungen. So ist
auch Yung leichtsinnig und von schlechtem Charack-
⌠Seite 320⌡
ter
/Seite_343
/gewesen, er hat zwar eine Schule angelegt, ist aber von seinen
eigenen Schülern mit Verachtung begraben worden. Woher konnte er
aber so gut lehren? Weil er selbst keine Empfindungen hatte. Der
Mensch der keine √eigenen_\\_eigene⌡ Empfindungen hat, und Geist
besitzt andere anzunehmen├,┤ kann solches am besten thun. Hat er
eigene Empfindung, so hat er keine Ausdrücke und Worte in seiner
Gewalt. Ueberhaupt sind Poeten leer von eigenen Empfindungen.
Daher war der Ausdruck des Scheflers eines Directoris einer
theatralischen Gesellschaft gegen einen √Gelehrten_\\_gelehrten⌡, der
ihm gerathen, er möchte doch zu seinen Acteurs solche Personen
nehmen, die
/Seite_344
/eigene Empfindung hätten, sehr richtig, wenn er sagte: kein
Acteur soll seine eigene √Empfindung_\\_Empfindungen⌡ hab
⌠Seite 321⌡
ben. Solche geborgte Empfindungen machen nur eine Motion bey einem
solchen Menschen, allein an des andern Stelle und unter seinem
Nahmen zu empfinden, ist anders als mit ihm zugleich zu empfinden.
Das letzte ist Sympathie, sie beruht nicht auf uns├,┤ sondern ist
unwillkührlich und auch den Thieren eigen Z. E. wenn ein Schwein
geschlachtet wird, so schreien die andern, aber bey dem Menschen
ist sie noch im √höheren_\\_höhern⌡ Grad. So zittert der Mensch, wenn
er einen andern im Waßer untergehen sieht,
/Seite_345
/oder auf dem Eise einbrechen. Das ist kein Spiel der ├Empfindung
wie die abgeborgten, sondern es ist eine wahre┤ Empfindung, die
zwar idealisch ist, denn wir treten in seine Stelle und empfinden
mit ihm. Es kann ein Gegenstand unangenehm seyn, aber der Schmertz
darüber kann doch gefallen, denn nennt man ihn
⌠Seite 322⌡
einen süßen Schmertz √Z. E._\\_«dahero»Z. E.⌡ wer seine Geliebte
verlohren hat, der überläßt sich gerne diesem Gram⌠,⌡ er findet
√Süssigkeit_\\_Süßigkeit⌡ mitten in diesem Schmertz, und liebt ihn.
Es ist zwar Wiederspruch am Schmertz ein Vergnügen zu haben, denn
es ist ein Schmertz der Billigung, der ist edel, er ist aber auch
nicht rathsam. √Ueberläst_\\_Ueberläßt⌡ sich der Mensch diesem
Schmertz ohne
/Seite_346
/Zurückhaltung├,┤ so ist es auch nicht gut.
Auf der andern Seite kann wieder der Gegenstand angenehm seyn und
das Vergnügen √darüber_\\_daruber⌡ √tadelhaft_\\_Tadelhaft⌡ und bitter
Z. E. eine reiche Erbschaft von Eltern oder Freunden. Die
Erbschaft ist immer ein angenehmer Gegenstand├,┤ aber das Ver-
gnügen darüber ist √Tadelhaft_\\_tadelhaft⌡. Dieses ist die bittere
Lust, wohin auch gehört, wenn der Adjunctus auf den Tod seines
Seniors wartet. Wir haben aber auch
⌠Seite 323⌡
reine Vergnügen, wo wir uns nichts vorzuwerfen haben.
Es giebt einen Schmertz über Gegenstände, wo der Schmertz selbst
misfällt Z. E. einer verlohrnen Erbschaft, da
√verheelt_\\_ver«¿¿lt»<eelt>⌡ man den Schmertz, weil
/Seite_347
/er nicht √gebilligt_\\_gebilliget⌡ werden kann. Der Schmertz, der
bis zur Traurigkeit ausschlägt├,┤ misfällt jederzeit. Das erste
ist natürlich aber nicht das zweyte. Natürlich ist es sich über
den Tod⌠,⌡ nicht aber über die verlohrne Erbschaft zu betrüben,
weil wir den Schmertz billigen.
Einige Vergnügen nennt man vernünftige nicht wegen des Gebrauchs
der Vernunft, sondern es können auch Vergnügen der Sinne seyn. Da
√gefallt_\\_gefällt⌡ nicht der Gegenstand, sondern das Vergnügen über
den Gegenstand √gefält_\\_gefällt⌡ der Vernunft⌠,⌡ Z. E. Reisen um
die Welt, den Sinnen
⌠Seite 324⌡
aber gefällt nur das, was angenehm ist, das unangenehme misfällt
ihnen.
Das dritte Vermögen der Seele ist
/Seite_348
/das Begehrungs Vermögen. Das Wohlgefallen an der Weichlichkeit
des Gegenstandes ist die Begierde. Genau kann man die √Begier-
den_\\_Begirden⌡ nicht erklären, doch in so weit es zur Antropologie
gehört, so ist das im denckenden Wesen, was in der
√corperlichen_\\_Cörperlichen⌡ Welt die bewegende Kraft ist. Es ist
die thätige Kraft der Selbstbestimmung der Handlungen des
denckenden Wesens. Dieses ist etwas subtil.
Wir können einen Wohlgefallen an Gegenständen haben, obgleich uns
die Würcklichkeit des Gegenstandes √gleichgültig_\\_gleich gültig⌡
ist Z. E. wenn wir reisen⌠,⌡ und wir sehen ein Haus an der
Landstraße⌠,⌡ so kann uns dieses gefallen, obgleich es
⌠Seite 325⌡
uns auch gleich viel
/Seite_349
/ist, daß es da ist├,┤ nun es aber schon einmahl da ist, so
gefällt es uns. Das Object gefällt uns, aber das Daseyn kann uns
gleichgültig seyn. Demnach ist die Beurtheilung des Gegenstandes
unterschieden von der Würcklichkeit des Objects des Daseyns. Alle
Begierden sind auf thätigkeit gerichtet, denn lebendige Wesen thun
etwas nach dem BegehrungsVermögen, und leblose ⌠Wesen⌡ thun etwas
so, als wenn sie durch fremde Kraft getrieben werden. Die
Beziehung der Begierden ist die √Thätigkeit_\\_«t»Thatigkeit⌡ zu
bestimmen.
Die Begierden können zwiefach seyn müßige und treibende
Begierden. Müßige sind, die kein √Verhältnis_\\_Verhaltniß⌡ auf unsere Thätigkeit
haben, die
/Seite_350
/keine Beziehung haben unsere Thätigkeit zu bestimmen, sondern die
nur auf eine Jdee
⌠Seite 326⌡
gerichtet sind. Treibende Begierden sind der Grund der
Bestimmung⌠,⌡ der Thätigkeit den Gegenstand würcklich zu machen⌠,⌡
und zu verschaffen.
Haben die müßigen Begierden den größten Grad, so sind es
Leidenschaften. Ein großer Grad der müßigen Begierden ist
Sehnsucht, ein mittlerer Grad derselben ist Wunsch. Treibende
Begierden leisten in uns eine Bestimmung, so wie der Stoß bey
leblosen Dingen, aber aus den müßigen wird nichts. Eine Begierde
ist nicht müßig, wenn sie vorläufig ist, ├wenn
/Seite 351
/sie ein Grund ist,┤ so uns zur Thätigkeit bestimmt. Aber es giebt
welche, die dazu gar nicht dienen, sondern nur das Gemüth bewegen,
woraus gar nichts wird.
Je mehr Qvellen der Thätigkeit ein Mensch in sich empfindet,
desto mehr sind
⌠Seite 327⌡
seine Begierden treibend Z. E. √Cholerische_\\_cholerische⌡ Menschen
fühlen in sich einen Qvell der Thätigkeit, daher ihre Begierden
treibend sind. Dagegen ist bey phlegmatischen Personen ein großer
Hang zu müßigen Begierden. Die Romanen machen bey uns müßige
Begierden rege, und √treiben_\\_bringen⌡ uns zur Fertigkeit selbst
müßige Begierden zu hegen. Sie machen uns leer, und die leere
/Seite_352
/Bemühung erschöpft den Menschen⌠,⌡ und √benimmt_\\_bestimmt⌡ ihm die
Wackerheit, sie machen ihn welck und stumpf. Solche Begierden
aber, die nicht in leeren Wünschen ⌠bestehen⌡, sondern eine Be-
ziehung auf unsere Thätigkeit haben├,┤ machen eine wackere
Denckungs Art beym Mann und eine rüstige Frau, die aber durch die
Romane schmachtend wird⌠.⌡ Z. E. es hat sich eine Person aus
⌠Seite 328⌡
dem Roman das Jdeal eines Liebhabers formirt, so sucht sie das
Ideal zu erreichen und nicht darauf zu sehen, wie sie als eine
rüstige Frau ihrem Hauswesen vorstehen könnte.
√Nota_\\_Nota⌡ Ob das Zufriedenseyn alsdenn kann gebraucht werden,
wenn jemand
/Seite_353
/nichts begehrt? Ein solcher Zustand ist ein Zustand des
Ueberdrußes. Wer unendlich viel begehrt, kann doch zufrieden seyn,
bin ich aber bewust, daß ich nichts zur √Bedürfnis_\\_Bedürfniß⌡
begehre, so bin ich zufrieden. Nicht alles was wir begehren⌠,⌡
ziehen wir zur Bedürfnis Z. E. man begehrt Music zu hören, gehts
aber nicht an, so vergießt man es. Der Genuß des Gemüths, nach
welchem die √Bedürfnis_\\_Bedürfniß⌡ ein Minimum ist, nach welchem
man die Bedürfniße durch die geringst möglichste
⌠Seite 329⌡
Bedingung erhalten kann, daß ist der glücklichste Zustand der
√Genügsamkeit_\\_Genugsamkeit⌡, worauf sich die Zufriedenheit
gründet. Die Zufriedenheit kann zwiefach seyn. Man ist entweder
/Seite_354
/zufrieden, wenn man das besitzt, was man begehrt, oder wenn man
das entbehrt, was man zur Bedürfnis rechnet. Die erstere ist die
natürliche und heißt die Genügsamkeit, die andere ist die
erworbene Zufriedenheit.
≥ Von der Veränderlichkeit der Begierden├.┤≤
Die Begierden sind im Wiederstreit, wenn eine gegen die √andere_\\_andre⌡ würckt. Wenn √beider_\\_beyder⌡ Wiederstreit gleich ist, so ist ein Gleichgewicht, wird aber auf einer Seite das Gleichgewicht erhoben⌠,⌡ so ist ein Uebergewicht. Der √«T»thätige_\\_Thätige⌡ Zu-/Seite_355
/Die Begierden √können_\\_konnen⌡ eingetheilt werden ⌠in⌡ sinnliche
und in Verstandes Begierden. Die sinnlichen Begierden sind
Begierden der Empfindungen des Eindrucks. Die Verstandes Begierden
sind Begierden der Wirckungen der Ueberlegung, und dieses sind
Begierden, die auf Begierden überhaupt gehen. Sie gehen darauf,
daß sie im gantzen √den_\\_die⌡ Begierden eine Uebereinstimmung in uns
machen, sie gehen auf √nicht,_\\_nichts⌡ als auf den Zustand der
Ueberlegung, auf die Harmonie aller unserer ├Begierden überhaupt.
Die vernünftigen┤ Begierden √können_\\_konnen⌡ ein Wunsch nach
Begierden seyn, sie kommen also nicht aus dem Eindruck der Gegen
⌠Seite 331⌡
stände, sondern sind ein Wunsch nach
/Seite_356
/solchen Begierden Z. E. es ist kein Mensch da├,┤ der wenn er ein
√Bösewicht_\\_Besewicht⌡ ist, nicht wünschen √sollte_\\_solte⌡ auf
einmahl gut zu werden, wenn es ihm nur keine Mühe verursachte.
Dieser Wunsch ist eine vernünftige Begierde, er wünscht sich
solche Neigungen, solche Begierden, wie andre zu haben. Hier ist
kein Gegenstand, der ihn lockt, ia der Gegenstand der sinnlichen
Begierden ist ihm angenehmer. Ein gutartiger Mensch sucht die
Begierden der Eindrücke in sich zu unterdrücken├,┤ er richtet
seine Begierden darauf, was das gantze Begehrungs Vermögen
überhaupt mit sich selbst kann übereinstimmend machen Z. E. es
gefällt ihm der Schlaaf,
/Seite_357
/er zwingt sich aber und unterdrückt die √sinnlichen_\\_sinnliche⌡
Begierden
⌠Seite 332⌡
und das sind √vernünftige_\\_vernunftige⌡ Begierden├,┤ und beziehen
sich besonders aufs √moralsche_\\_moralische⌡. Diese vernünftige
Begierde Z. E. von einem √Bösewicht_\\_Bosewicht⌡ ein gutartiger
Mensch zu werden, scheint auf jedes seinen Willen anzukommen,
daher man iedem, der es wünscht zu sagen pflegt, du darfst √ja_\\_ia⌡
nur wollen, es ist aber schlimm so einen Willen zu haben.
Wenn wir den Verstand zu nichts gebrauchen als die Befriedigung
sinnlicher Begierden ausfindig zu machen, so ist das noch keine
vernünftige Begierde, sondern wenn die Vernunft den Zweck der
Begierde √festsetzt_\\_fest setzt⌡, so ist es eine vernünftige
Begierde, der
/Seite_358
/Nahme wird also nicht von den Mitteln sondern von dem Zweck
hergenommen. Ueberhaupt ist die vernünftige Be-
⌠Seite 333⌡
gierde √diejenige_\\_dieienige⌡, was wir begehren sollen⌠,⌡ und nicht was wir
begehren.
Die √sinnlichen_\\_sinnliche⌡ Begierden sind dreyfach menschliche
die etwas zum Gegenstande haben was die Sinne rührt, worinn aber
der Verstand herrscht Z. E. ├Music die andere heißen thierische wo
der Verstand nicht herrscht Z. E.┤ Hunger, und einige heißen
viehische, wo die Thierheit im Menschen der Vernunft wie-
derstreitet, wo die Menschheit √verlezzet_\\_verletzet⌡ wird⌠.⌡ Z. E.
Fräßigkeit, Unersätlichkeit in allen Begierden, welche in einem
gemäßigten Grade √animalisch_\\_animalisch⌡ wären,
/Seite_359
/aber im unersätlichen √vieh«¿»isch_\\_viehisch⌡. Sie wiederstreiten
der Animalitaet und heißen Brutalitaet.
Hang und Neigung ist zu unterscheiden. Hang ist der innere Grund
möglicher Begierden Z. E. alle wilden Nationen haben Hang zum
Saufen,
⌠Seite 334⌡
aber keine Neigung, weil sie es noch niemals gekostet haben, aber
man gebe ihnen nur was, so haben sie Hang dazu. Künftige Begierden
sind schon vorbereitet durch einen natürlichen Hang des Menschen
Z. E. der Hang bey Kindern zur Geschlechts Liebe.
Anlage ist die Vorherbestimmung des Talents der Menschen, so wie
die Vorherbestimmung künftiger Begierden
/Seite_360
/Hang heißt. √So«h»lches_\\_Solches⌡ ist sehr künstlich bey Kindern
wahrzunehmen. Der Hang kann zum bösen seyn, aus dem doch keine
böse Neigung hervorkommen √darff_\\_darf⌡, wenn √nemlich_\\_nehmlich⌡
der Hang erstickt wird. Wir haben alle einen Hang zum bösen aber
keine Neigung. Viele verkennen den Hang. Bey der Neigung muß man
den Gegenstand kennen⌠,⌡ aber nicht
⌠Seite 335⌡
beym Hange. Der Hang ist angebohren, die Neigung durch Kenntniße
erworben. √Mann_\\_Man⌡ kann sich aber auch einen Hang
√erworben_\\_erwerben.⌡ Z.
E. zur Jagd, √welcher_\\_welche⌡ √«@¿nur¿@»durch_\\_durch⌡ die
Gewohnheit zur Nothwendigkeit wird Z. E. alle Menschen haben Hang
zu Faulheit, so nur bey vielen durch ihre √Bedürffniße_\\_Bedürfniße⌡
unterdrückt wird. Der Wilde ist faul,
/Seite_361
/weil er keine Bedürfniße hat. Die Ruhe ist der √Geschichts Punct_\\_Gesichts Punckt⌡ aller Menschen, ieder denckt erst was zu lernen,
hernach ein Amt zu bekleiden, denn ein Weib zu nehmen├,┤ und ruhig
zu sterben, und diese Faulheit Ruhe zu genießen macht ihn fleißig.
Der Vorschmack der künftigen Ruhe, der mit
√Ergotzlichkeiten_\\_Ergötzlichkeiten⌡ verbunden ist, ist das was
alle Menschen suchen. Also
⌠Seite 336⌡
haben alle Menschen einen Hang zur Faulheit, der nur durch andere
Umstände unterdrückt wird. So hat das Alter einen Hang zum Geitz.
So haben viele Staaten einen Hang zur Barbarey, wenn sie nur nicht
so nahe an einander wären, denn die Naheit befördert die Cultur.
Wir können eine Neigung
/Seite_362
/vermehren. Das Vermehren geschicht entweder durch Vergrößerung,
oder durch √Vervielfaltigung_\\_Vervielfältigung⌡. Die Vervielfäl-
tigung ist die Verfeinerung der Neigung. Der Zustand der
verfeinerten Neigung ist Luxus, der Zustand der vergrößerten
Neigung ist luxuries, wenn √nemlich_\\_nehmlich⌡ die Neigung auf den
Grad des √Maaßes_\\_Maases⌡ nicht auf die Qvalitaet, son
⌠Seite 337⌡
dern auf die Neigung geht, die luxuries ist viehischer, der Luxus
aber schon dem verfeinerten Geschmack näher. Luxuries ist nicht
die Ueppigkeit, sondern die Menge. Der Gierige hat nicht viel
genung├ und dem andern ist es nicht gut genung┤. Die Luxuries ist
also der Brutalitaet näher, der √Luxus_\\_luxus⌡ ⌠aber⌡ macht
/Seite_363
/den Menschen weichlich. So sagt ein Autor; alles was den Menschen
weich macht, gehört zum Luxus Z. E. in Kutschen fahren, reiten
√gehört_\\_gehort⌡ aber nicht zum Luxus.
≥Vom Gegenstande der Neigung.≤
Wir können uns zwey Gegenstände der Neigung, die gantz general sind, dencken, wo die Neigungen kein Object haben⌠,⌡ sondern auf Mittel gehen die Neigungen zu befriedigen√, das_\\_. Das⌡ ist Freiheit und Vermögen. Bin ich frey, so be-/Seite_364
/leben⌠,⌡ wie er will, ist er aber frey, so kann er nach seinem
Sinn leben, wenn er nehmlich ein anderes Vermögen voraus setzt.
Die Freiheit wird also √hoch geschätzt_\\_hochgeschätzt⌡, weil sie
die einzige Bedingung ist seine Neigung befriedigen zu können├.┤
Z. E. es übernimmt iemand für des andern Glück zu sorgen, aber
so⌠,⌡ daß er gäntzlich seine Freiheit √verliert_\\_verliehrt⌡, und es
bloß auf seinen Willen beruhen √so«¿¿»lle_\\_solle⌡, so wird das
einen √jeden_\\_ieden⌡ beunruhigen und im Kopf herumgehen, von Morgen
an sich völlig dem Willen
⌠Seite 339⌡
eines andern in Besorgung seines Glück zu unterlegen, denn er kann
mich als denn nicht nach meiner Neigung glücklich machen. Die
Freiheit ist also ein allgemeiner
/Seite_365
/Gegenstand die gesammte Neigung zu befriedigen. Dieses ist das
erste √Gut_\\_gut⌡ was sich die Menschen wünschen, und sie können
sich derselben doch nicht bedienen, sondern sie muß eingeschränckt
werden. Doch vom Misbrauch der √Freiheit_\\_Freyheit⌡ Z. E. eines
vorigen √Sklawen_\\_Sclawen⌡ muß man nicht immer schließen, daß er
dieselbe misbrauchen werde, und ihm deswegen gar keine Freiheit
geben. Er wird schon lehren sich derselben gut zu bedienen, und
wenn er auch Anfangs durch ihren √Misbrauch_\\_Mißbrauch⌡ etwas
unglücklich ist; so ist dieses Unglück
⌠Seite 340⌡
aus seiner Schuld für ihn nicht zu groß. Durch die Freiheit ist
auch alles gute möglich, denn wer nicht frey ist, dem kann wohl
nichts
/Seite_366
/imputirt werden. Der Mangel der √Freyheit_\\_Freiheit⌡ wird nicht so
empfunden als der Verlust, denn wer sie verlohren hat, der hat sie
schon geschmeckt√._\\_,⌡ Wer sie aber niemals gehabt hat, der empfindet
nicht ihren Mangel, weil sie nichts positives ist. Der Verlust ist
die Hemmung aller Kräfte. Je thätiger ein Subject ist├,┤ desto
mehr empfindet es den Verlust der Freyheit⌠,⌡ ie träger man aber
ist, desto weniger empfindet man es. Beym thätigen Subject ist
also die Freyheit eine √Haupt Bedingung_\\_Hauptbedingung⌡. Jm
gesitteten Zustande ist man im gesellschaftlichen und bürgerlichen
Zwange. Hiezu müßen die Kinder in der Erziehung angewöhnt werden
d. h. man
/Seite_367
/muß sie discipliniren. Man muß sie aber nicht angewöhnen alle
Freyheit abzulegen, denn als denn wer-
⌠Seite 341⌡
den sie den Verlust nicht gewahr, müßen durch andere determinirt
werden, und sind alsdenn eines fremden Zwanges nicht allein fähig,
sondern auch bedürftig, √dahero_\\_daher⌡ muß ein Kind Freyheit
genießen⌠,⌡ doch so├,┤ daß es ein Gesetz erkenne, welchem
√gemäß_\\_gemäs⌡ es
handele, und doch dencke aus Freiheit zu √handeln_\\_handlen⌡.
Der zweite allgemeine Gegenstand alle gesammte Neigung zu
befriedigen, ist Vermögen, wodurch wir hier nicht bloß Geld
verstehen, sondern einen positiven Grund uns die
√Würcklichkeit_\\_Wircklichkeit⌡ des Gegenstandes zu verschaffen.
/Seite_368
/Die 3 Arten vom √Vermögen_\\_Vermogen⌡ können wir am besten durch √Star-
cke_\\_Stärcke⌡, Mittel und √Ansehen_\\_Ansehn⌡ ausdrücken, mit denen
Gesundheit, Ehre und Reichthum parallel gesetzt wird. Zur Stärcke
√gehört_\\_gehöret⌡ Stärcke des Cörpers⌠,⌡ des Verstandes⌠,⌡ des Muths der
Entschloßenheit. Also Gesundheit Ehre und Reichthum sind die
√3_\\_drey⌡ Arten des Vermö-
⌠Seite 342⌡
gens. Gesundheit ist der Besitz aller Lebens Kräfte auch der
Stärcke und Macht die das complette Leben begleitet, das ist die
complette Gesundheit und eine Gattung vom Vermögen, wodurch sie
angenehm wird├.┤ Reichthum nennt man √Vorzugsweise_\\_vorzugsweise⌡
ein Vermögen, weil es den Gebrauch hat von der Erwerbung
desjenigen, was
/Seite_369
/unsere Neigung befriedigen kann. Alles was der
√menschliche_\\_meinschliche⌡ Fleiß├,┤ hervorbringt, kann man vor
Geld haben. Viele ziehen den Reichthum der Gesundheit vor, weil
sie auch durch Geld Gesundheit zu erlangen glauben, wenn sie
nehmlich geschickte √Aertzte_\\_Aerzte⌡ halten. Aber ich halte dafür,
daß √eine_\\_meine⌡ complette Gesundheit des √Cörpers_\\_Corpers⌡ und der Seele
das √größte_\\_großte⌡ Glück sey, denn alsdenn kann man sich alles
erwerben, und denn braucht man auch nicht viel, denn etwas zu
begehren⌠,⌡ ist schon eine Kranck-
⌠Seite 343⌡
heit der Seele.
Der Engelländer setzt zuerst die √Freyheit_\\_Freiheit⌡, denn Ehre⌠,⌡
Gesundheit und Reichthum, also die Ehre vor der Gesundheit. Der
Holländer setzt Reichthum vorher, weil
/Seite_370
/er ein Kaufman ist.
/Ansehen und Mittel oder Ehre und Reichthum
sind Vermögen, so in der Gesellschaft anderer Menschen bestimmt
werden, um eine Neigung zu befriedigen, daher diese beyde Vermögen
größere Neigungen nach sich ziehen, als das Vermögen der Stärcke
und der Gesundheit, weil Ehre und Reichthum in der Gesellschaft
bestimmt werden, die √Stärcke_\\_Starcke⌡ aber nur ├auf┤ uns selbst geht,
die Gesellschaft aber eine große Neigung macht √als_\\_alle⌡ unsere Triebe
rege zu machen.
Das Ansehen oder die Ehre ist entweder die Ehre der Hochschätzung
oder die Ehre der Macht. Durch das Ansehen der Hochschätzung
können wir
/Seite_371
/viel ausrichten├,┤ was
⌠Seite 344⌡
√unsere_\\_unsre⌡ Neigung befriedigt, aber durch das Ansehen der
Macht├,┤ können wir andere nöthigen unsern Willen zu befriedigen.
Die Menschen mögen lieber ein gebietendes als ein einnehmendes
Ansehen haben. Man kann sich ein Ansehen und einen Vorzug anmaaßen
und usurpiren, daß andere nicht einmahl wißen, wie man dazu ge-
kommen ist. So kann man in einer Gesellschaft eine Praetension auf
sich machen und nur darauf bestehen├,┤ so erlangt man sie auch.
√Mann_\\_Man⌡ darf nur einen herrschenden Ton annehmen⌠,⌡ so erwirbt
man sich bald einen Vorzug, ⌠und⌡ ist er schon √einmahl_\\_einmal⌡
√darinn_\\_drinn⌡, so √ists_\\_ist es⌡ schlimm ihm solchen zu nehmen,
denn geben ihm viele den
/Seite_372
/Vorzug ohne zu wißen warum, und denn untersteht sich keiner ihm
selbigen zu benehmen, weil er sehr viele für sich hat Z. E.
Gellert. Zuerst haben wir die Neigung vom
⌠Seite 345⌡
Hange durch die Möglichkeit und Wircklichkeit unterschieden, jetzt
wollen wir Neigung vom Instinct unterscheiden. Beydes sind
würckliche Begierden. Denn Instinct ist eine Begierde nach einem
Gegenstande, denn man nicht kennt, Neigung aber ist ein bestimmtes
Principium zu begehren einen Gegenstand so ferne er mir schon
bekannt ist. √D«er»ie_\\_Die⌡ Instincte sind also Principien der
Begierden├,┤ die auf einen unbestimmten Gegenstand gerichtet sind,
sie lernen uns den Gegenstand
/Seite_373
/kennen. Wir können √2_\\_zwey⌡ Grund Instincte der menschlichen
Natur annehmen, so die mächtigsten sind, den Instinct zur Nahrung
und zur Erhaltung seiner eigenen Person, und den Instinct zur
Begleitung oder zur Erhaltung seiner ⌠<ihrer>⌡ Art. Man weiß, daß
Kinder⌠,⌡ die kaum gebohren sind, Instinct zur Nahrung zeigen,
ohne daß sie wißen was ihnen fehlt⌠,⌡ und gleich
⌠Seite 346⌡
die Kunst des physischen √Gesetzzes_\\_Gesetzes⌡ die Brust zu saugen,
ausüben√;_\\_,⌡ hätten sie den Instinct nicht, sondern man
√müste_\\_müßte⌡ sie erst dazu √angewohnen_\\_angewöhnen⌡, so würden
viele umkommen. Wir haben aber eben einen solchen Instinct zur
Erhaltung der Art√, das_\\_. Das⌡ ist der Instinct zum Geschlecht.
Dieser Instinct ist also auf Personen und
/Seite_374
/nicht auf Sachen gerichtet, und ist das √principium_\\_Principium⌡
der Erhaltung der √menschlichen_\\_Menschlichen⌡ Natur, so wie der
erste Instinct ein √principium_\\_Principium⌡ der Erhaltung eines
ieden Menschen ist. Daß der Instinct zum Geschlecht ein
natürlicher Instinct sey, sehen wir daraus, weil Personen bey
denen die Pubertaet kommt, und wenn sie auch im Kloster wären,
doch von dem Instinct beunruhiget werden, und die Bedürfnis vom
Gegenstande √fühlen_\\_fiehlen⌡, √den_\\_denn⌡ sie noch nicht kennen.
Diese können wir die
⌠Seite 347⌡
√ursprünglichen_\\_urspringliche⌡ Instincte nennen, die auch die
√stärcksten_\\_starcksten⌡ sind.
Die Liebe zum Leben und zur Glückseeligkeit ist keine besondere
/Seite_375
/Neigung├,┤ sondern die generale Bedingung der Befriedigung aller
Neigungen.
Es giebt ⌠aber⌡ Triebe die von diesen ursprünglichen Grundtrieben
abgeleitet sind Z. E. der Trieb zu seiner Sicherheit, der ist
abgeleitet von dem Instinct der Selbsterhaltung, der auch den
Thieren eigen ist. So sieht sich Z. E. ein Vogel immer herum, wenn
er frißt. Ferner ist die Liebe der Eltern zur Erhaltung der Kinder
ein Trieb, der von dem Instinct seine Art zu erhalten, abgeleitet
ist. Dieser Trieb äußert sich bey den Thieren noch in einem
stärckeren Grad, indem sie ihre Jungen keinem anvertrauen, sondern
√sie_\\_sich⌡ bis aufs äußerste zu
/Seite_376
/vertheidigen
⌠Seite 348⌡
suchen, und sie mit der größten eigenen Gefahr beschützen. Daher
ist es Barbarey den Thieren ihre Jungen zu rauben, die eine große
Zuneigung zu ihnen haben. Bey Menschen aber können die natürlichen
Triebe unterdrückt, und durch die √Vernünft_\\_Vernunft⌡ andere in die Stelle
erfunden werden Z. E. eine Pariser Frau würde gerne das
√Gebähren_\\_Gebahren⌡ überhoben seyn, und eine andere Frau für Geld
für sich gebähren laßen, wenn es √angienge_\\_anginge⌡, wie denn auch in Paris
auf 8000 Kinder außer der Stadt zur Erziehung gegeben werden.
√Wilde_\\_Wielde⌡ die gar zu thierisch sind, und wieder andere die
gar zu zärtlich sind,
/Seite_377
/legen solche Triebe ab. So hat ein √wildes_\\_Wildes⌡ Weib den
√reisenden_\\_Reisenden⌡ ihr Kind angeboten. Und Menschen die sich in
chimaerische Neigungen vertieft haben, verlieren die natürlichen.
Wenn wir von der natürlichen Neigung
⌠Seite 349⌡
die sich in unserer Natur gründet, reden, so sehen wir, daß diese
Neigung eine Privat Neigung und eine gesellschaftliche Neigung
seyn kann. Die √Privat_\\_Privat⌡ Neigung ist die├,┤ so fern sie in
uns allein die Gesellschafts Neigung aber ist├,┤ so fern sie nur
in der Gesellschaft befriediget werden kann. Das allgemeine der
Privat Neigung ist Gemächlichkeit und ├Ueberfluß.┤ Ueberfluß ist
die Hinlänglichkeit des Besitzes. Einige Personen thun Verzicht
auf Ueberfluß⌠,⌡ wenn sie nur Gemächlichkeit haben, die erstere
ist eine Neigung der √faulen_\\_Faulen⌡.
/Seite_378
/Andere Neigungen sind nur die allein in der Gesellschaft be-
friedigt werden können. Diese gesellschaftliche Neigungen sind
entweder theilnehmende beßernde⌠,⌡ √verknupfende_\\_verknüpfende⌡
oder selbstische, selbstliebende Neigungen. Die verknüpfende
Neigungen sind auf die Gesellschaft gerichtet. Die Menschen haben
eine Neigung
⌠Seite 350⌡
in Gesellschaft zu seyn, dahero sie Familien machen, und gerne im
Umgange stehen, woraus hernach größere Gesellschaften entstehen,
und worauf wir die Volcks Neigung gründen können. Nun giebts aber
gesellschaftliche Neigungen, die auf uns selbst gehen. Von der Art
ist die Herrschbegierde, die Ehrbegierde und alle Eitelkeiten.
/Seite_379
/Dieses sind Neigungen die auf uns gehen, aber in der Gesellschaft
√befriedigt_\\_befriediget⌡ werden können. Denn die Begierde nach
Macht und Ehre dient nicht dazu die Gesellschaft zu verknüpfen,
sondern andere in Ansehung seiner ⌠in⌡ √gewißer_\\_gewißen⌡ Distanz
zu halten. Also sind nicht alle gesellschaftliche Neigungen auch
gesellige Neigungen. Die ungeselligen Neigungen in der
Gesellschaft sind.
1. Selbstvertheidigung und
2. Er
⌠Seite 351⌡
weiterung seiner selbst. Die erste Neigung ist nur
√negativ_\\_Negativ,⌡ die andere Positiv. Wir haben viele Triebe uns
selbst zu vertheidigen und gegen andere zur Gegenwehr zu setzen,
so wie wir vorher einen Trieb hatten uns selbst
/Seite_380
/zu erhalten. Dieser Trieb ist sehr ungesellig und verbindet sich
mit Furcht vor andern├,┤ und Mistrauen gegen andere. Allein die
Erweiterung seiner Person oder seines Einflußes in √der_\\_die⌡
Gesellschaft ist auch ungesellig. Jeder sucht den Creis um sich zu
erweitern, √jeder_\\_ieder⌡ will gerne mehr Bewunderer haben, er will
das mehreste gelten, und in der Gesellschaft den Ton angeben, dem
Verstande anderer gebieten. Solche Anmaßungen sehen wir täglich in
der Gesellschaft, die aber offenbar ungesellig und auch nur in der
Gesell-
⌠Seite 352⌡
schaft √moglich_\\_möglich⌡ sind. Der Grund der √ungesell-
ligen_\\_ungeselligen⌡ Neigung
in der
/Seite_381
/Gesellschaft liegt im Mistrauen und Eifersucht. Das erste bezieht
sich auf die Neigung sich selbst zu erhalten und zu
vertheidigen⌠,⌡ wo man voraus setzt, daß sich √jeder_\\_ieder⌡ andere
erweitern will, dahero wir in sie ein Mistrauen setzen, indem wir
dabey zu Kurtz kommen möchten. Bey der Eifersucht besorgen wir,
daß durch die Erweiterung anderer uns ein Abbruch geschehen
möchte. Jm ersten Fall sind wir darum besorgt was wir schon
haben├,┤ zu vertheidigen im letzen Fall aber sind wir besorgt das
zu erlangen, was wir noch nicht haben. Es ist also im Menschen ein
Principium der Gesellschaft ⌠und der Geselligkeit⌡, auf der andern
Seite aber auch ein √principium_\\_Principium⌡ der Ungeselligkeit und
/Seite_382
Foto fehlt!!
/Seite_383
/Trennung der Ge-
sell
⌠Seite 353⌡
sellschaft. Hierinn collidiren beyde √Principia_\\_principia⌡ mit
einander⌠,⌡
welches aber vom Schöpfer weislich eingerichtet ist. Erstlich ha-
ben die Menschen einen Trieb in Gesellschaft zu treten, damit aber
die Gesellschaft nicht immer auf einen Haufen √bliebebleibe⌡, so haben die
Menschen wiederum ein anderes Principium der Ungeselligkeit wel-
ches sie trennt, daher kommts⌠,⌡ daß die gantze Erde
√bevölckert_\\_bevolckert⌡
wird. Wenn also an einem Orte die Gesellschaft groß ist, so
trennen sich die Leute⌠,⌡ und gehen an einen andern Ort Z. E. nach
America, wenn es da auch überhand nehmen wird, so werden sie sich
wieder trennen und neue Länder bewohnen. Zuletzt
/Seite_383
muß die gantze
Erde bewohnt werden. Wenn viele Staaten zusammen sind, so
vereinigen sie sich⌠,⌡ und einer verschlingt den andern. So bald der
eine
⌠Seite 354⌡
aber sehr groß geworden ist, so spaltet er sich, und die Glieder
suchen sich zu trennen. Dieses ist die besondere Verbindung und
Trennung des Schöpfers, woraus das manigfaltige entsteht, und
woraus hernach die völlige Vollkommenheit des menschlichen
Geschlechts herkommen muß. Denn √wird_\\_wir⌡ eine Methode der Regierung
entstehen, die auch beständig bleiben wird.
/Auf der andern Seite ist bey dem Menschen eine sympathetische
Theilnehmung der Schicksaale und der Wohlfahrt,
/Seite_384
/wo die Menschen nicht eigensüchtig sind. Diese Triebe nennt man
die Menschlichkeit├,┤ Humanitaet; √«e»Es_\\_Es⌡ gehört nicht zum
Principio der Geselligkeit in der gesellschaftlichen Ordnung. Wir
unterscheiden die Neigungen durch Wörter unserer Sprache, welche
entweder die ausgebrei-
⌠Seite 355⌡
tete oder die innere Größe der Neigung bedeuten. Jm ersten Fall
√drücken_\\_drucken⌡ wir es durch Sucht Z. E. Ehrsucht, Geldsucht⌠,⌡
im √zweiten_\\_Zweiten⌡ Fall durch Geitz ⌠Z. E. Ehrgeitz, Geldgeitz⌡
aus. Also Sucht und Geitz betreffen die √Große_\\_Größe⌡. Ein
Ehrsüchtiger und Geldsüchtiger kann niemals genung haben. Ein
Ehrgeitziger und Geldgeitziger ist⌠,⌡ wenn er von dem, was
/Seite_385
/er hat, nicht das mindeste müßen will. So wird ein √ehrgei-
tziger_\\_Ehrgeitziger⌡ beleidigt√,_\\_.⌡ in so ferne ihm die geringste
Kleinigkeit von seiner Ehre abgeht. Ein
√ehrsüchtiger_\\_Ehrsüchtiger⌡ aber übersieht die Kleinigkeiten├,┤
und ist damit nicht befriedigt, denn er ist nach vielem begierig.
√Im_\\_Jn⌡ Ansehung der Verhältnis der Neigung zum Zweck sind die
Neigungen des Genußes und des Wahns. Die Neigungen des Genußes
sind unmittelbar
⌠Seite 356⌡
auf den Gegenstand *1 der Sinne ist, gerichtet, allein Neigungen
die √unmittelbar_\\_mittelbar⌡ auf den Genuß gerichtet sind, sind
Neigungen des Wahns. Ehre hat nur einen Werth des Mittels, wer sie
aber ohne Zweck zu erlangen
/Seite_386
/sucht, der sucht das Mittel als den Zweck selbst, und denn
ist es eine Neigung des Wahns. ⌠Ehrsucht und Haabsucht sind
Neigungen des Wahns.⌡
Wahn ist eine falsche Vorstellung, wenn man das, was nur ein
Werth des Mittels ist, für die Sache selbst hält. So √giebts_\\_giebt
es⌡ auch einen Religions Wahn, wenn man √nehmlich_\\_nemlich⌡ die
Cerimonien für den Gottesdienst selbst hält. So ist auch der Geitz
eine Neigung des Wahns. Das Geld hat den Werth als Mittel, der
Geitzige aber schätzt das Geld unmittelbar, nicht als ein Mittel
sich dafür ein Vergnügen anzuschaffen, sondern er hat ein
Vergnügen
am Rand ab Z. 3
~*1 in so ferne er ein Gegenstand~
an
⌠Seite 357⌡
an dem leeren Gelde. Zwar fängt es der Geitzige an als Mittel zu
schätzen├,┤ welches er sich anhäufen will, daher
/Seite_387
/erspart er den Gebrauch dieses Mittels, in Hofnung es einmahl zu
gebrauchen, weil er sich aber zuletzt √angewöhnet_\\_angewöhnt⌡ dasjenige zu
entbehren, wozu er das Geld sammlet, so sieht er hernach das Geld
für den unmittelbaren Zweck an. Der Mensch hat also eine Torheit
an sich⌠,⌡ die kein Thier hat, denn die Thiere haben nur ein
Vergnügen des Genußes. Durch diesen Wahn bringt aber die Vorsicht
was zu Stande, worauf die Menschen nicht gekommen wären. So sucht
der Ehrbegierige oft die Glückseeligkeit anderer zu befördern, um
nur die Ehre zu haben, und der Geitzige sammlet das Geld
für seine Nachkommen, ohne daß er solches deswegen thut, sondern
er
/Seite_388
/sammlet für sich, aber eben dadurch wieder seinen
⌠Seite 358⌡
Willen auch für seine Nachkommen.
≥Von den Gemüths Bewegungen.≤
Das Gemüth ist entweder in Ruhe oder in Bewegung. Beydes findet statt in Ansehung des Gefühls der Empfindung und in Ansehung der Begierden. Wir können empfinden und begehren, wenn das Gemüth in Ruhe ist, aber seine √Gemüthsbewegung_\\_Gemüths Bewegung⌡ ist mehr als empfinden und bloß begehren. Es können Empfindungen im Gemüth angetroffen werden, so daß das Gemüth in Ruhe ist Z. E. die Empfindung an einem schönen heiteren Morgen. Man kann auch Begierden im Gemüth antreffen,/Seite_389
/so daß das Gemüth dennoch in Ruhe ist├.┤ Z. E. die
√Beschaftigung_\\_Beschäftigung⌡ mit einem Plan⌠,⌡ oder wenn man mit
seinem Amt √beschaftigt_\\_beschaftiget⌡ ist. Denn es ist nur eine
Uebung des √Gemuths_\\_Gemüths⌡ daßelbe auf einen
⌠Seite 359⌡
gewißen Zweck zu √«er»richten_\\_richten⌡, und auch denselben zu
erlangen.
Nota Es kostet sehr viel Mühe und Uebung das Gemüth in Ruhe zu
erhalten. So beunruhigen Z. E. die nachtheiligen Reden das Gemüth
sehr. Allein hiebey muß man sich so verhalten, daß man sich
festsetze nach Grundsätzen zu handeln, und denn muß man sich an
die nachtheiligen Reden nicht kehren, man muß sich so aufführen,
daß wenn Leute auch Uebels von uns sprechen, man
/Seite_390
/ihnen nicht glaubt. Man hüte sich andere zu beleidigen, weil man
als denn von dem andern einen Haß gegen uns vermuthet, welches ├in
uns┤ gegen ihn ├noch┤ einen größern Has erwecket. Man hüte sich
mercken zu laßen, daß man weiß, daß der andere uns beleidiget
habe. Der √Unterscheid_\\_Unterschied⌡ des Gemüths Zustandes in Ruhe
⌠Seite 360⌡
und Bewegung ist dieser√._\\_:⌡ Jn Ruhe ist der Mensch, wenn er in
seiner Faßung ist. Jn seiner Faßung seyn, heißt⌠,⌡ wenn der Zu-
stand des Gemüths unter unserer Willkühr ist. Gemüths Bewegung
aber ist ein Zustand wo das Gemüth seine Empfindungen und
Begierden nicht in seiner
/Seite_391
/Gewalt hat. Was das √Gemüth_\\_Gemuth⌡ aus der Faßung bringt, ist
der Grund der Gemüths Bewegung. Wir können im Gemüth Empfindungen
und Begierden √zu laßen_\\_zulaßen⌡, nur so daß wir dadurch nicht aus
der Faßung kommen. Es giebt Motus animi spontaneos auch
impressos√. Die_\\_, die⌡ willkührliche und gekünstelte├,┤ Gemüths
√Bewegung«en»_\\_Bewegung⌡ könnte man auch die launigte nennen Z. E.
wenn einer einen √«v»Verliebten_\\_verliebten⌡ agiren will, um nur
hernach über die Närrin zu Hause zu lachen, die ├ihn┤ für bren-
⌠Seite 361⌡
nend verliebt hält. Ein solcher kommt in seiner Rolle beßer fort,
als der, welcher würcklich verliebt ist, denn dieser ist gantz
tölpisch, weil er
/Seite_392
/√Empfindungsvoll_\\_empfindungsvoll⌡ ist. Er kann nicht reden,
sondern er zittert und bebt nur.
Die Gemüths Bewegungen sind zwiefach├,┤ Affecten und
Leidenschaften. Man hat dieses für einerley gehalten, allein Hut-
cheson machte hier zuerst einen gantz richtigen Unterscheid.
Affect ist ein Gefühl wodurch wir aus der Faßung kommen,
√Leidenschaft_\\_Leidenschaften⌡ aber eine Begierde, die uns aus der Faßung bringt.
Die Begierde ist nicht eine Wahrnehmung deßen was würcklich ist,
sondern bloß was möglich und künftig ist. Gefühl √geht aber_\\_aber
geht⌡ aufs √Gegenwärtige_\\_gegenwärtige⌡. Würckliche Affecten ge-
hören⌠,⌡ also zum Gefühl und Leidenschaften zu den Begierden. So
ist das Schrecken
⌠Seite 362⌡
ein Zustand des Gefühls, denn da
/Seite_393
/begehren wir nichts, es gehört also zum Affect. Sehnsucht aber
ist eine Leidenschaft. Traurigkeit ist Affect. Ehrsucht ist
Leidenschaft. Beydes sowohl Affecten als Leidenschaften sind
Gemüths Bewegungen und nicht ein √da«¿¿»render_\\_daurender⌡ Zustand.
Daher kann man nicht sagen: der Mensch hat Leidenschaft zum Geitz,
weil eine Leidenschaft kein daurender Zustand ist, man nennt aber
schon den Hang zur Leidenschaft die Leidenschaft selbst.
Leidenschaft ist von der Neigung zu unterscheiden. Neigung ist ein
daurendes Principium der Begierden beym Menschen, Leidenschaft
aber nicht. Neigung ist Gemüths Beschaffenheit, Leidenschaft und
Affecten gehören aber zum Gemüths Zustande.
/Seite_394
/Wenn das Gemüth aus der Faßung kommt, so geräth
⌠Seite 363⌡
es in Affect oder Leidenschaft, kommt es aber nicht aus der
Faßung, so könnte man dieses gemäßigte Empfindungen und Begierden
nennen. Die Bestimmung deßen├,┤ wodurch sich Affect von dem
gewöhnlichen Gefühl und Leidenschaft von den gewöhnlichen
Begierden unterscheiden, muß genau getroffen werden. Wenn man den
Unterscheid in einen gewißen Grad setzt, so ist es ein Conceptus
vagus, der gar nicht bestimmt ist, so wie Z. E. Baumgarten den
Geitz für einen größeren Hang und Neigung zur Enthaltsamkeit von
Ausgaben und Sparsamkeit hält. Sparsamkeit aber
/Seite_395
/ist Tugend und Geitz ein Laster. Alsdenn aber wären Tugend und
Laster dem Grade nach unterschieden, und ├es┤ könnte aus der
Tugend durch Verminderung der Grade ein Laster und aus diesem
⌠Seite 364⌡
durch Vergrößerung der Grade eine Tugend werden, √daß_\\_das⌡ ist
aber nicht allein falsch├,┤ sondern auch schädlich. Wenn also
jedes Gefühl sich durchs Vergrößern dem Affect, und jede Begierde
der Leidenschaft nähern √sollte_\\_solte⌡, so wüste man nicht das
Maas zu bestimmen, in welchem Grad das Gefühl zum Affect und die
Begierde zur Leidenschaft wird. Es ist also ein specifischer
Unterscheid und nicht der Größe nach. Wenn die Tugend noch so
vermindert wird, so wird
/Seite_396
/kein Laster daraus, und aus der Verminderung des Vergnügens kein
Schmertz. Wenn bey dem Gefühl und bey den Begierden die Faßung des
Gemüths ist, so mag die Empfindung und die Begierde noch so starck
seyn, so wird aus der Empfindung kein Affect, und aus der Begierde
keine Leidenschaft. Wir haben große Man
⌠Seite 365⌡
nigfaltigkeit von Empfindungen von Gegenständen afficirt zu
werden. Derjenige Grad der Empfindung, der uns unvermögend macht
den Gegenstand mit der Summe aller unserer Empfindung zu √schäz-
zen_\\_schätzen⌡ und zu vergleichen⌠,⌡ ist Affect. Z. E. Freude ist
Affect, wenn man sich über einen Gegenstand freut├,┤ der keinen
mercklichen Einfluß
/Seite_397
/in unser gesammtes Wohlbefinden hat, oder wenn man über ein ent-
zwey gebrochnes Geschirr aufgebracht wird, welches keinen
mercklichen Einfluß in unser gesammtes Wohlbefinden macht, ist
Affect.
Derjenige Grad und Zustand der Begierden, so uns unvermögend
macht den Gegenstand mit der Summe aller Neigung zu schätzen, ist
Leidenschaft Z. E. wenn ein Mensch eine Person heurathen will,
⌠Seite 366⌡
und sie nicht nach einer Neigung, sondern nach allen Neigungen
begehrt, wenn er auf ihre Eigenschaften├,┤ Tugend├,┤ Stand und
Geschicklichkeit sieht, so entspringt seine Liebe aus
√überlegter_\\_uberlegter⌡ Wahl, also nicht aus Leidenschaft. Wenn
aber √jemand_\\_iemand⌡ eine
/Seite_398
/Person zu heurathen trachtet nicht die er liebt, sondern in die
er verliebt ist, welches einen großen Unterscheid machet, so
geschicht es aus Leidenschaft, denn bey der Liebe kann sein Gemüth
in Ruhe seyn. √Jst_\\_Ist⌡ er aber verliebt, so ist sein Gemüth in
Bewegung, er schätzt √denn_\\_den⌡ Gegenstand nicht nach allen
sondern nur nach einer Neigung⌠,⌡ √nemlich_\\_nehmlich⌡ nach der die
aus dem Geschlechts Triebe entspringt. Durch diese Neigung wird er
fortgerißen, und wählt nicht nach Proportion aller Nei-
⌠Seite 367⌡
gungen, er setzt alle Vortheile hinten an, die seine übrigen
Neigungen befriedigen könnten, wenn er nur diese seine
/Seite_399
/eine Neigung befriedigt. Er stellt sich alles übrige nur
√gering_\\_geringe⌡ vor. Sagt man: die Person ist arm, so meint er
solches durch seinen Fleiß zu ersetzen, oder sie ist eine
schlechte Wirthin, so meint er: sie wird noch wirthschaften
lernen. Ein solcher heurathet aus Leidenschaft.
Es ist bey dem Affect und den Leidenschaften eine gewiße
Ungereimtheit, indem der eine Theil größer ist, als √das Gantze_\\_der gantze⌡, denn eine Empfindung und eine Begierde ist auch
ein Theil unserer gesammten Empfindung, und wenn diese eine
Empfindung √starcker_\\_stärcker⌡ würckt und treibt, so ist sie als
ein Theil größer als das gantze der
⌠Seite 368⌡
/Seite_400
/Empfindung und der Begierden. √Dennoch_\\_Demnach⌡ sind die Affecten
und Leidenschaften etwas vernunftwiedriges, denn die Vernunft will
aus dem allgemeinen das besondere bestimmen. Wenn ein Affect oder
Leidenschaft auf etwas gutes gerichtet ist, so sind sie dadurch
noch nicht entschuldigt, denn alsdenn müßen sie auch der Form nach
so beschaffen seyn. Das √Gute_\\_gute⌡ muß nur durch den Verstand
erkannt werden, also müßen die Leidenschaften auch der Vernunft
gemäß seyn, aber alsdenn wären sie nicht mehr Leidenschaften, denn
eine Leidenschaft ist ja eben das, was nicht unter unserer
Willkühr und Vernunft stehet. Die edelsten Bewegungen des Gemüths
/Seite_401
/sind also die schädlichsten,
⌠Seite 369⌡
denn wenn der Gegenstand ├<kein Gegenstand>┤ der Sinne und der
√Erfahrungen_\\_Erfahrung⌡ ist, so bedarf man der Leitung der
Vernunft Z. E. in der Religion, da kann ihn keine Erfahrung lei-
ten. Wenn dieses nun zur Leidenschaft wird, so √verläst_\\_verläßt⌡
ihn auch die √Vernunft_\\_Vernuft⌡, denn das ist eben Leidenschaft, und alsdenn
leitet ihn nichts. Demnach sind die edelsten Bewegungen des
Gemüths, so ferne sie in Affect und Leidenschaften gerathen die
schädlichsten. Affecten und Leidenschaften haben noch einen Grad,
wo sie besondere Nahmen bekommen, √nemlich_\\_nehmlich⌡ der Affect
heißt ein ausgelaßener wilder Affect⌠,⌡ und die Leidenschaft eine
blinde Leidenschaft. Derjenige Affect, der sich selbst um seine
eigene
/Seite_402
/natürliche Wirckung bringt, ist ein wilder Affect Z. E. man sieht
ein Kind ins Waßer fallen, welches man aber
⌠Seite 370⌡
durch eine kleine Beyhülfe retten könnte, allein man erschrickt
so, daß man dabey nichts thun kann. Das Schrecken betäubt einen
so, daß man dabey gar nichts zu thun √vermogend_\\_vermögend⌡ ist. So
kann man auch von Freude über ein unerwartetes Glück gantz betäubt
werden, und zwar auch so, daß man gantz todt bleibt, da doch im
Gegentheil die Freude √gute_\\_Gute⌡ Folgen haben sollte, allein da
der Affect wild ist, so bringt er sich um seine Wirckung. So geht
es auch mit dem Affect des Zorns. Der Zorn soll doch die Wirckung
des Scheltens
/Seite_403
/und der Vorwürfe haben, allein oft wird ein Zorniger so betäubt,
daß er sich ärgert, zittert und bebt, und nicht ein Wort sagen
kann, das ist ein ausgelaßener Affect. Eben so geht es auch mit
der Leidenschaft. Derjenige
⌠Seite 371⌡
Grad der Leidenschaft der sich selbst um seine eigene Absicht
bringt⌠,⌡ ist eine blinde Leidenschaft. Alle Leidenschaften sind
zwar √blind_\\_Blind,⌡ und haben das an sich, daß sie den Menschen um
den √vernünftigen_\\_Vernünftigen⌡ Zweck bringen, der mit der Summe
aller Neigungen übereinstimmt. Diese Leidenschaften können aber
doch so seyn, daß sie wenigstens ihren Gegenstand erreichen können
Z. E. ein Verliebter kann es doch bey seiner Leidenschaft
/Seite_404
/dahin bringen, daß er seinen Gegenstand erreichen kann, √ob
gleich_\\_obgleich⌡ klug und verliebt zu seyn, contradictorisch ist.
Allein diejenige Leidenschaft, wodurch √der Mensch sich_\\_sich der
Mensch⌡ selbst verfängt, und gantz unvermögend ist, sich wegen der
Leidenschaft den Gegenstand selbst zu verschaffen, wodurch er
gantz aus der Faßung kommt, √daß_\\_das⌡ ist eigent-
⌠Seite 372⌡
lich die völlig blinde Leidenschaft. Man könnte sie auch passionem
brutam nennen, zum Unterscheide von andern⌠,⌡ die auch blind sind.
Also bringt dieser Grad der Leidenschaft den Menschen nicht allein
um seine Glückseeligkeit, sondern auch so gar wegen ihrer eigenen
Heftigkeit um seinen eigenen Gegenstand und um seine
/Seite_405
/Absicht.
Damit man die Affecten in verschiedenen Gegenständen betrachten
kann, indem sie aufs Gefühl gerichtet sind, so mercken wir einige
Anmerckungen ohne √systemathische_\\_systematische⌡ Ordnung.
Empfindungen haben √daher_\\_dahero⌡ an sich Stärcke, welche daher
rührt, weil sie unvorhergesehen sind, und √denn_\\_den⌡ nennt man sie
√auffallend_\\_aufwallend⌡. Diese Empfindung ist nicht √ein-
dringend_\\_ein dringend⌡, sondern hat ihre Stärcke daher, weil sie
überraschend und unvor
⌠Seite 373⌡
hergesehen ist Z. E. freudige Nachricht, ist sie aber zugleich
eindringend, so nennt man sie Ueberfall oder Alteration, der aus
guten und schlimmen Ursachen entsteht. Was den Ueberfall in
Ansehung der Empfindung des Cörpers betrift, so nennt man den
Schauer eine Empfindung des
/Seite_406
/Cörpers⌠,⌡ die nur einen Augenblick dauert, und vom Schauder der
eine daurende Furcht bedeutet unterschieden werden muß. Man nennt
das einen Schauerregen⌠,⌡ der so heftig kommt⌠,⌡ daß man sich
dafür nicht verbergen kann. Dieser Schauer überfällt unsern
√Cörper_\\_Körper⌡ Z. E. wenn wir hören, daß jemand auf einen hohen
Thurm auf dem Rande eines √Wollms_\\_Wolms⌡ eingeschlafen ist,
bey einem grosmüthigen erhabenen Zug in der Comoedie├,┤ denn das
erhabene hat
⌠Seite 374⌡
mit dem schreckhaften eine Gemeinschaft, und wenn es eine
Theilnehmung ist, so überfällt mich √solcher_\\_solche⌡ Schauer. So ist auch
das √Grießeln_\\_Grißeln⌡ ein Ueberfall der nicht eindringend ist.
Der Schrecken ist mit √grausen_\\_Grausen⌡ verbunden, das
√Grisseln_\\_Grißeln⌡ ist aber der √Anfand_\\_Anfang⌡ davon.
/Seite_407
/Der Gegenstand des Gefühls kann angenehm seyn, aber die
Empfindung davon unangenehm, und umgekehrt kann der Gegenstand
unangenehm, aber die Empfindung angenehm seyn. So kann √<Z. E.>_\\_Z.
E.⌡ bey einer freudigen Nachricht der Gegenstand bey Betrachtung
der Reflexion angenehm seyn├,┤ aber die Empfindung unangenehm d.
i. auffallend und eindringend. Aber wenn der Gegenstand unangenehm
ist⌠,⌡ so kann die Empfindung an-
⌠Seite 375⌡
genehm⌠,⌡ aber nur indirecte seyn, wenn sie nur zur Abwechselung
dient. So sind Z. E. alle √Dissonantien_\\_Dissonanzien⌡ unangenehm,
aber als eine Abwechselung von Tönen in der Music angenehm, also
nur als ein Mittel sind sie indirecte angenehm. Aber auch auf der
andern Seite ist die
/Seite_408
/Empfindung des angenehmen Gegenstandes doch angenehm, wenn wir
nehmlich unsere Gemüths Art, wodurch √uns_\\_<uns>⌡ etwas schmertzt,
empfinden, Z. E. der Schmertz über den Tod eines Freundes, so ist
es auch eine boshafte Freude Z. E. über den Tod eines Freundes wo
der Gegenstand angenehm aber die Freude tadelhaft ist.
Wir verwechseln oft den empfinden den Schmertz mit √dem_\\_de«m»r⌡
√reflektirenden_\\_reflecktirenden⌡ und die Empfindung der Lust ⌠mit
der
⌠Seite 376⌡
reflektirenden Lust⌡, dahero nicht ieder Schmertz betrübt, sondern
nur der empfindende.
Der Ueberfall einer angenehmen Empfindung, der den Menschen in
einen andern Gegenstand versetzen kann, zeigt sich Z. E. bey
√einem_\\_<einem>⌡ Pardon, und auf der andern Seite in der
√Anschauung_\\_Anschaung⌡, und denn sagt man: der Mensch
/Seite_409
/√stuzt_\\_stutzt⌡ über das was unerwartet ist. Die Continuation
davon ist die Befremdung, ein √großerer_\\_größerer⌡ Grad ist├,┤ die
Erstaunung⌠,⌡ und dieses Erstaunen kann eine Betäubung werden. Die
Bewunderung ist das angenehme, denn es ist nur ein Gefühl,
Erstaunen aber ist ein Affect, der gemischt ist vom angenehmen
weil er belebt, und vom unangenehmen⌠,⌡ wegen der Verlegenheit in
die ein Mensch kommt, weil er es
⌠Seite 377⌡
nicht zusammen reimen kann, und sich nicht darinn zu finden weiß.
Die Menschen, die so gleich über alles erstaunen, zeigen, daß sie
schwach sind├,┤ theils weil sie es so gleich empfinden├,┤
besonders aber weil ihnen vieles unbekannt ist, dahero sie dadurch
in
/Seite_410
/Erstaunen gesetzt werden, was ihnen unbekannt ist. Ueberfall des
Uebels ├von der Vorstellung des Uebels┤ ist ein Schreck. Das
Gemüth was zum Schreck aufgelegt ist, ist vom furchtsamen Gemüth
unterschieden, denn beym schreckhaften Gemüth├,┤ faßt das Gemüth
wieder Muth, wenn der Schreck vorbey ist, aber nicht beym
furchtsamen Gemüth. Der Schreck ist der Eindruck, der sich vor der
Reflexion des √dargestelten_\\_dargestellten⌡ Uebels erzeugt. Es giebt einen Schreck
und eine Furcht in Ansehung gewißer Gegenstände der Einbildung Z.
E. vom Dach
⌠Seite 378⌡
zu fallen. Die Furcht aus Einbildung ist die Blödigkeit,
Schüchternheit Z. E. man glaubt in einer Rede⌠,⌡ wo man wegen der
Menge erschreckt, obgleich nicht wegen eines
/Seite_411
/einzelnen unter der Menge stecken zu bleiben. Diese Blödigkeit
ist von der Muthlosigkeit├,┤ die würckliche
√Gegenstände_\\_Gegenstande⌡ hat├,┤ unterschieden. Der Muth ist der
Furcht entgegen gesetzt, und die Hertzhaftigkeit dem Schrecken.
Der Muth ist mehr geistisch⌠,⌡ und die Hertzhaftigkeit mehr
cörperlich. Der Muth beruht auf der Reflexion, die Hertzhaftigkeit
auf der Empfindsamkeit. Hertzhaft ist der so nicht erschrickt,
Muth aber hat der, so sich nicht fürchtet. Von der Hertzhaftigkeit
muß die Dreistigkeit unterschieden werden, welche der
√Blödigkeit_\\_blödigkeit⌡ entgegen gesetzt ist, und in dem Mangel
der ein-
⌠Seite 379⌡
gebildeten Furcht besteht. Der die Urtheile anderer in Ansehung
seiner für nichts hält ist dreist Z. E. ein Petit Maitre, der in
der Gesellschaft ein kleiner
/Seite_412
/Gesetzgeber ist, der den Ton immer angiebt⌠,⌡ sich an keine Mode
kehrt, sondern selber eine macht, wenn das├,┤ was er thut⌠,⌡ zur
Mode wird. Er muß von allem reden können, und wenn er es nicht
versteht, abbrechen, auch so gleich von etwas anderm zu reden
anfangen, er muß alles durch einander thun können,
√pfeiffen_\\_pfeifen⌡, singen sprechen p⌠.⌡ Wenn die Dreistigkeit sich
vor dem Urtheil anderer in Ansehung der wahren Ehre nicht
scheuet⌠,⌡ so ist das die Unverschämtheit Z. E. um alles zu bit-
ten⌠,⌡ zu schmarotzen.
Zur Dreistigkeit kann man durch Uebung angewöhnt werden, und es
ist
⌠Seite 380⌡
ein großes √Talent_\\_Talent⌡.
Kühnheit ist Muth ohne Reflexion. Würde der Mensch reflectiren,
so würde keine
/Seite_413
/Kühnheit statt finden. Junge Leute sind kühn wegen ihres iungen
Bluts, besonders aber aus Leichtsinnigkeit, weil sie nicht
reflectiren. Das Alter hat aber mehr Muth, weil es vorsichtiger
ist⌠,⌡ und daher reflectirt. Bleibt der Muth nach der Reflexion⌠,⌡
so ist es ein gesetzter Muth. Tapferkeit geht auf Menschen⌠,⌡
Kühnheit aber auf √Gegenstände_\\_Gegenstande⌡ der Natur Z. E. ein
Seefahrer muß Kühn seyn. Alles dieses ist unterschieden von der
√Standthaftigkeit;_\\_Standhaftigkeit,⌡ sie findet statt bey einem
daurenden Uebel. Wer seinen Muth bey einem daurenden Uebel nicht
verliert├,┤ ist standhaft. Nun kann einer bey fortdaurenden Uebeln
standhaft seyn⌠,⌡ obgleich er zu Anfang des Uebels ├einen
/Seite 414
/Schreck empfunden hat. Es giebt Menschen die beym Anfange des
Uebels┤ Z. E. beym Gefecht einen
Schreck empfunden, aber bey daurenden
⌠Seite 381⌡
Uebeln Z. E. beym Tode √Standhaft sind. Personen_\\_sind
Personen standhaft⌡ die der Empfindung der Sinne √Unter-
worfen_\\_unterworfen⌡ sind, sind auch dem Schreck unterworfen, aber
beym fortdaurenden Uebel sind sie √Standhaft_\\_standhaft⌡. So
gerathen Personen beym Duell in einen Schreck, weil der Eindruck
der Sinne für sie auffallend war, aber sie können wieder mit
entschloßenem Muth sterben. Wer also Mangel an Hertzhaftigkeit
hat, der kann wieder viel Muth haben √dieses_\\_. Dieses⌡ beruht
bloß auf
/Seite_415
/der Uebung und Angewohnheit. So erschrickt der Fleischer nicht so
bald als der Schneider. So √weis_\\_weiß⌡ der Dachdecker und der
√Gemsenjäger_\\_Gemsen Iäger⌡ in der Schweitz nichts vom Schwindel.
Schwindel ist eine Uebelkeit, die mehr in der Einbildung als in
der That besteht√,_\\_.⌡ Wer in eine fanatische Furcht geräth├,┤
bekommt den Schwindel. Bey einem zaghaften entspringt die Furcht
aus Reflexion├,┤ bey einem schreckhaften aber aus
⌠Seite 382⌡
den Sinnen. Von alle dem ist die √Gedult_\\_Gedul«d»t⌡ unterschieden,
welche eine weibliche Tugend ist, dahingegen ist die
Standhaftigkeit eine √männliche_\\_Männliche⌡ Tugend. Gedult
erfordert keinen Geist, sondern
/Seite_416
/Gewohnheit sich in das Uebel zu schicken√,_\\_.⌡ Standhaftigkeit
aber erfordert Geist. Hertzhafte und muthige Personen sind
√ungeduldig_\\_ungedultig⌡, nicht aus Mangel des Muths⌠,⌡ sondern
weil sie Muth haben, den sie aber hier nicht anwenden können, denn
bey den Uebeln des Lebens⌠,⌡ wo kein Muth hilft, da muß Gedult
seyn es zu ertragen, aber Muth muß seyn beym Uebel der Größe
nach⌠,⌡ aber nicht von langer Dauer. Traurigkeit ist eine
reflektirende Betrübnis. Urtheilt man, daß gar nichts zu hoffen
sey, so geräth man in Verzweiflung, welche √3.fach_\\_dreyfach⌡ seyn
kann, die √Trozzige_\\_trozzige⌡, wilde├,┤
allem
⌠Seite 383⌡
Elend ein Ende zu machen, und die zaghafte √und_\\_oder⌡
/Seite_417
/niedergeschlagene Verzweifelung. Jn dieser ist das Gemüth nicht
in solcher Bewegung als in der vorigen. Verzweifelung ist eine
Wirckung der ungeduldigen ├Hertzhaftigkeit, welches man falsch mit
der┤ Hertzhaftigkeit verwechselt. Jst es Zaghaftigkeit├,┤ so ist
es schon bey dem Menschen ein √verwirrter_\\_verwirter⌡ Kopf, der nur
den Abgrund der Uebel sieht, und weil er selbige nicht √weg
schaffen_\\_Wegschaffen⌡ kann, so sucht er die Empfindung der Uebel wegzuschaffen.
Dieses kann geschehen, wenn man die reflektirende Empfindung der
Uebel wegschaft Z. E. wenn man an ein Uebel nicht denckt. So sucht
sich ein Kaufmann, der an seine Handelsbücher nicht dencken will
durch Zerstreuungen die Empfindung
/Seite_418
/wegzuschaffen, oder wenn man durch Opium, Saufen diese Empfindung
wegschaft,
⌠Seite 384⌡
da sie aber alsdenn hernach wohl noch stärcker
√wiederkommt_\\_kommt⌡. Wer also seine sinnliche Empfindungen
wegzeschaffen sucht, der handelt wieder die Menschheit. Einige
Ausdrücke in Ansehung der Uebel sind√,_\\_:⌡ sich etwas zu Hertzen
nehmen und zu Gemüthe zu ziehen. Dieses gehört ├zum┤
reflectirenden Uebel. Etwas kann mir Schmertz verursachen, wenn
ich aber diesen Schmertz ├«verursachen»┤ zu Hertzen nehme, so
kränckt es mich, wenn ich ihn mir aber zu Gemüthe ziehen will, so
betrübt es mich├,┤ wenn aber keines von beiden ist, so verdrießt
es mich bloß. Die Leiden unserer
/Seite_419
/Freunde können wir zu Hertzen nehmen, aber uns nicht zu Gemüthe
ziehen, ich kann des andern Wohl und Uebel zu Hertzen nehmen, ich
kann den Schmertz fühlen, ziehe ich ihn mir aber zu Ge-
⌠Seite 385⌡
müthe, so fühle ich ├mich unglücklich. Nun aber habe ich nicht
nöthig┤ mich unglücklich zu fühlen, wenn andere unglücklich sind.
Alle √Physicalische_\\_physicalische⌡ Uebel können wir nur bloß zu
Hertzen nehmen, aber uns nicht zu Gemüthe ziehen, allein im
moralischen müßen wir uns alles zu Gemüthe ziehen√:_\\_.⌡ So schätzen
wir uns unglücklich, wir sollen uns aber nur √alsdenn_\\_als denn⌡
unglücklich schätzen, wenn wir nicht mehr werth sind zu leben.
Kein
/Seite_420
/äußeres Uebel aber kann uns so unglücklich machen, daß wir nicht
mehr werth sind zu leben, als nur die Handlungen wieder die
Moralitaet, √dennoch_\\_demnach⌡ sollen wir auch in den größten Uebel
Muth beweisen, und als denn verdienen wir doch noch wenigstens
Achtung. Wer sich aber solche Uebel zu Gemüthe zieht, der entehrt
die Menschheit, und wieder einen solchen verliert man alle
⌠Seite 386⌡
Achtung.
Obgleich alles Gefühl subjectiv ist, zu welchem besonders
Schrecken Furcht und Schmertz gehören, so könnte man doch auch ein
√Objectives_\\_objectives⌡ Gefühl √nehmen_\\_annehmen⌡. Das
√Objective_\\_objective⌡ Gefühl ist zwar √freylich_\\_freilich⌡
subjectiv, und ich brauche hier nicht das
/Seite_421
/subjective um meinen Zustand, sondern um den Gegenstand zu
beurtheilen. Von der Art ist das Gefühl des Abscheues. Abscheu
geht auf die Qvalitaet nicht auf meinen Zustand, sondern aufs
Object. Der Abscheu ist entweder ein Abscheu des Eckels oder des
Hasses⌠,⌡ oder der Verachtung. Es ist nicht einerley den Ge-
genstand als einen Gegenstand des √Hasses_\\_Haßes,⌡ oder des Eckels,
oder der Verachtung zu betrachten. Eckel hat unter allen
Empfindungen das besondere,
⌠Seite 387⌡
daß er keinen Ersatz bey sich führet, und durch keine Abstechung
angenehm wird, weil er die Qvelle des Lebens hemmt. Es ist ein
Niederschlag der Bewegung, also keine Belebung. Andere Empfin-
dungen, als Furcht, Traurigkeit führen in der
/Seite_422
/√Abstechung_\\_abstechung,⌡ und unter andere Empfindungen ein volles
Maas des Vergnügens mit sich. Der Eckel kann aber nicht im
mindesten Grad ein Vergnügen herfürbringen, weil er ein Abscheu
ist aus der Qvalitaet des Gegenstandes, er ist an und für sich
selbst schlechterdings ein Abscheu. Die Bewegungen des Gemüths aus
Eckel schlagen alles Vergnügen nieder, er ist das Gefühl der
Leblosigkeit, denn ist der Mensch auch zu andern Empfindungen
nicht fähig. So kann ein Mensch in seinen Reden
⌠Seite 388⌡
misfallen, er kann √Has_\\_Haß⌡ auf sich ziehen├,┤ der nur von
√Umstanden_\\_Umständen⌡ kommt, da er aber alsdenn √von_\\_vom⌡ andern
minder gehaßt wird. Wird er aber √eckelhaft_\\_Eckelhaft⌡, so sinckt
er am niedrigsten√, die_\\_. Die⌡ cörperliche
/Seite_423
/Bewegung des Hasses ist die Ohnmacht. So sind diejenigen Laster,
die einen Eckel mit sich führen, unnennbar weil schon selbst in
der Benennung ein Eckel liegt, und dadurch hervorgebracht wird. So
ist ein besoffener Mensch, der die Speisen schon von sich giebt,
ein Gegenstand des Eckels, welches Laster doch noch nennbar ist.
Der Abscheu und Haß ist schon mehr √Objectiv_\\_objectiv⌡ als aus
Eckel. Der Gegenstand, welcher ein Abscheu aus Haß ist, ist nicht
so wiedrig, als der des Eckels, denn ich kann nur von Feinden
gehaßt werden, aber ein Gegen-
⌠Seite 389⌡
stand des Eckels verursacht allen einen Eckel.
Der Gegenstand des Abscheues der Verachtung ist vom Gegenstande
des Hasses und des Eckels gantz unterschieden. Man kann einen
Gegenstand der Verachtung
/Seite_424
/immer lieben, gar nicht √haßen_\\_hassen⌡, aber doch verachten Z. E.
einen Menschen der alles verschwendet, alles um sich frölich
macht, lustig und gutes Muthes ist, warum √solte_\\_sollte⌡ ich den
hassen? Jch liebe ihn, ich beklage ihn, aber ich verachte ihn, und
kann ihn nicht schätzen. Die Verachtung geht auf den Gegenstand
der Unwür- und Nichtswürdigkeit. Derjenige der die Pflichten gegen
sich selbst übertritt, ist ein Gegenstand der Verachtung. Er hat
dadurch keinen beleidigt, man kann ihn also auch nicht haßen, aber
man verachtet
⌠Seite 390⌡
ihn. Z. E. ein Lügner ist ein √Gegestand_\\_Gegenstand⌡ der Verachtung, denn wer
sich selbst seines eigenen Werths beraubt, der kann auch nicht
fordern, daß ihm andere einen Werth geben. Verachtung geht also
auf den √innern_\\_inneren⌡ Werth├,┤ und deswegen druckt
/Seite_425
/das weit mehr aus, wenn ich jemanden
√ver«rathe»<achte>_\\_verrathe⌡, als wenn ich ihn ├hasse. Denn wenn
ich jemanden┤ hasse, so folgt noch nicht, daß ihn alle
√haßen_\\_hassen⌡, aber der Gegenstand der Verachtung ist in den
Augen eines jeden ├Menschen┤ verachtet, also ein allgemeiner
Gegenstand. Demnach ist es beßer ein Gegenstand des Hasses als der
Verachtung zu seyn. Tiefe Verachtung wird hernach zum Eckel, und
grentzt also eher mit dem Eckel als mit dem √Has_\\_Haß⌡.
≥Von den Bewegungen des √Cörpers_\\_cörpers,⌡ in so ferne sie mit den √Gemüths Bewegungen_\\_Gemüthsbewegungen,⌡ so durch Affect entspringen in Harmonie stehen.≤
⌠Seite 391⌡/Seite_426
/als die Schaam worüber, treibt das Blut ins Gesicht. Einige
Affecten bringen eine Bewegung des Zitterns hervor. Das Zittern
ist eine Schwanckung der Nerwen. Die Bewegung des Zorns spannt die
Fasern und Muskeln des Cörpers an: die Nerwen und Fasern sind die
2 Qvellen und Principien des Lebens, die Nerwen zur
Empfindsamkeit├,┤ und die Fasern zur Reitzbarkeit. Wer aus Zorn
auf der Stelle roth wird, der ist nicht so gleich zu fürchten, er
wird sich aber √hernach bey Gelegenheit_\\_bey Gelegenheit hernach⌡
rächen, er schiebt seine Rache auf, in dem er sich schämmt├,┤ sich
so gleich zu rächen. Wer aber aus Zorn auf der Stelle bleich und
blaß wird├,┤ der ist auf der Stelle zu fürchten. Jst der Zorn sehr
√heftig_\\_hefftig⌡, so sind seine Fasern
/Seite_427
⌠Seite 392⌡
und Muskeln überspannt, so √das_\\_daß⌡ derjenige unfähig wird,
willkührliche Bewegungen auszuüben. Die Bewegungen des Cörpers
sind den Zwecken der Affecten √gemäß_\\_gemäs⌡, aber auch oft
entgegen, so wie der gemessenste⌠.⌡ Zweck der Furcht⌠,⌡ die
√Flucht_\\_Fluch⌡ vor dem Gegenstande ist, allein oft erschrickt der
Mensch so, daß er √anstatt_\\_an statt⌡ zu fliehen, √hin-
fält_\\_hinfällt⌡ und gar nicht fortkommen kann. Der Zweck des
√zornigen_\\_Zornigen⌡ ist dem andern die √großten_\\_größten⌡ Vorwürfe
zu sagen, allein er stottert. Die Natur bringt aber nicht solche
Bewegungen, die den Zwecken zuwieder sind, hervor, sondern bey der
Furcht √vergrößert_\\_vergroßert⌡ unsere Einbildung die Em-
pfindsamkeit⌠,⌡ und bey dem Zorn schämmt sich der Mensch, und hat
viele Bedencklichkeiten.
Zu was für einen Zweck sind aber
/Seite_428
⌠Seite 393⌡
solche Bewegungen des Cörpers von der Natur in uns gelegt├?┤ Z. E.
daß auf die √Beschamung_\\_Beschämung⌡ eine Röthe im Gesicht
hervortritt? Der Zweck der Schamhaftigkeit den die Natur in uns
gelegt, ist√:_\\_,⌡ die Menschen zur Wahrhaftigkeit zu
√necessitiren_\\_necessiren⌡. Bey der Erziehung kann die unzeitige
Schamhaftigkeit verhindert werden. Demnach muß man zu einem Kinde
nicht bey einer jeden Gelegenheit sagen. Pfuy⌠.⌡ schäme dich,
√daß_\\_das⌡ macht die Kinder blöd und schüchtern. Entweder muß man
ihnen sagen√;_\\_,⌡ daß ihre Handlung gut oder böse sey. Wenn das
Kind aber sich aufstützt oder sich die Zähne reinigt, so muß man
nicht sagen√:_\\_;⌡ das √läßt_\\_läst⌡ nicht, denn das Kind sieht nicht
ein, daß dieses an sich selber
/Seite_429
/böse seyn sollte. Solche Sachen muß es aus Gehorsam unterlaßen,
weil man sie nicht leiden will. Gehorchen
⌠Seite 394⌡
muß es, allein beschämen muß man es nicht darüber. Wenn sein
Charackter gebildet ist⌠,⌡ so sieht es hernach von selbst ein, daß
dieses sich nicht schickt. Wenn es aber lügt⌠,⌡ so soll man sagen:
Schäme dich, denn muß man es mit der größten Verachtung ansehen,
als wenn man es gar nicht des Anblicks werth hielte.
Wird das nun immer wiederhohlt, so wird das Kind allemahl, wenn
es wird lügen wollen roth werden, und es wird stottern⌠,⌡ und die
Lügen werden ihm im Halse stecken bleiben, und dadurch muß es sich
verrathen, daß es gelogen hat. Dieses ist also der Zweck der
√Schamhaftigkeit_\\_Schamhafftigkeit⌡, denn
/Seite_430
/das Rothwerden ist ein Verrathen deßen, was wir verheelen wollen.
Da dieses nun ein edler Zweck ist, so sollen Eltern verhüten├,┤
die Kinder
⌠Seite 395⌡
da √roth_\\_Roth⌡ zu machen, und zu beschämen wo es nicht nöthig ist.
Ferner bringt der Affect der Traurigkeit die Körperliche Bewegung
des Seufzens hervor, und der Affect des Schreckens ein Geschrey.
So √schreyen_\\_schreien⌡ die Frauenzimmer sogleich wenn sie
erschrecken. Die Natur hat dieses Geschlecht furchtsam gemacht,
weil es das Geschlecht ist, √daß_\\_das⌡ die Art erhalten soll, und
leicht das was ihnen √wiederführt_\\_wiederfährt⌡ der Erhaltung der
Art schaden kann. Obgleich dieses Geschlecht sehr dreist ist, so
ist es doch in Ansehung der √Verletzung_\\_Verlezzung⌡ sehr
/Seite_431
/furchtsam. Daher halten die Weiber die Hände vor dem Gesicht,
wenn sie sich prügeln. Es ist ihnen gesund, wenn sie nach dem
Schrecken ein Geschrey ausstoßen, denn dadurch dissipiren sie das
Blut, das durch das Schrecken in ihre Brust
⌠Seite 396⌡
gestoßen war, dahero man das Frauenzimmer unter den Masquen daran
erkennet, denn sie können sich deßen nicht enthalten. Der Mann
aber nimmt nicht die Flucht beym Schrecken, sondern setzt sich
entgegen, dahero er mehr stumm bleibt. Das Seufzen ist eine
Ausdehnung der Lunge, um das Ausgehen des Bluts zu erleichtern.
Ueberhaupt ist das Poltern und Lermen besonders bey Krancken
Personen eine Linderung des √Schmertzens_\\_Schmerzens⌡.
/Seite_432
/Dahero schreien auch Kinder nach ihrer √Geburt_\\_Geburth⌡, welches ihnen sehr
heilsam ist, denn dadurch vertheilen sie das Blut aus der Lunge.
Was also die Natur thut, das ist gut und hat seinen Zweck. Das
Lachen und Weinen sind Bewegungen des Cörpers die durch Affecten
die ihnen √gemäß_\\_Gemäß⌡ sind├,┤ hervorgebracht werden. Das Lachen
⌠Seite 397⌡
ist keine Blutbewegung, sondern eine Erschütterung des gantzen
Systems der Fasern, und vermittelst dieser auch der Nerwen. Es ist
keine Ausdehnung und Spannung der Fasern wie beym Zorn, sondern
eine Bebung und Hin und Herschwanckung der Fasern. Das Zwergfell
wird in Erschütterung gebracht, und die
/Seite_433
/Lunge kommt auch in Bebung. Dadurch wird alles aufgefrischt, und
es bekommt alles eine größere Bewegung. Das Lachen wird im Gemüthe
√excitirt_\\_excitiret⌡ durch Gedancken├,┤ durch Auflebung des
Lebens, oder auch mechanisch. Das Lachen kommt aus dem Gemüth und
erschüttert den Cörper. Woher kommt das? Um dieses einzusehen, so
müßen wir ├erst┤ erst das mechanische Lachen erklären. Dieses wird
Z. E. durch Kitzeln √excitirt_\\_excitiret⌡. Das Kützeln ist aber ein
Zwicken und Zerren als wenn
⌠Seite 398⌡
⌠man⌡ was nehmen├,┤ und loß laßen will⌠.⌡ Also auch hier. Wenn ich
einen Theil des Cörpers anfaße, und wieder loßlaße, so zerre ich
die Muskeln. Dieses bringt die Bebung des √Zwerckfells_\\_Zwergfells⌡
hervor und die Erschütterung der Lunge├,┤ und das ist das Lachen.
Mit dem √Lachen im_\\_<Lachen im>⌡ Gemüth ├hat┤ und in Gedancken geht
es eben so zu. Denn
/Seite_434
/alle Materie des Lachens ist immer ein Absprung. Zuerst werden
meine ├«Gedanken»┤ Nerwen auf einen gewißen Prospect gefüh-
ret√;_\\_,⌡ das Gemüth sucht jetzt einer vernünftigen Sache zu
folgen, wenn nun einmahl ein Absprung von dem Prospect folgt, und
das Gemüth ehe es sich versieht, auf die andere Seite steht, so
bricht es in Lachen aus. Die Repercussion macht also das Lachen.
Völlig ungereimte Dinge
⌠Seite 399⌡
bringen nicht das Lachen hervor, sondern es muß zuerst einen
Schein √«¿¿»des Wahren_\\_des wahren⌡ haben, und denn muß man davon
repercutirt werden Z. E. es geht jemand ehrwürdig und
gravitaetisch auf der √St«ok»raße_\\_Straße⌡ und es ist ihm hinten
was angehängt worden, oder er fällt, so ist hier immer das
Gegentheil vom gravitaetischen. Die Ueberraschung das
√seltsahme_\\_seltsame⌡ das unerwartete├,┤ √«d»was_\\_was⌡
√hinterher_\\_hinter her⌡ kommt, macht
/Seite_435
/das Lachen √auch_\\_aus⌡, aber nicht die Geschichte an sich.
Das Vergnügen entspringt auch aus der Repercussion des Gemüths.
Die Freude ist nicht eine Freude über die Geschichte, sondern über
die Belebung⌠,⌡ es ist organisch und nicht idealisch, denn aus der
Jdee kommt cörperliche Bewegung und die
√Be«lebung»wegung_\\_Bewegung⌡ bringt Belebung hervor.
Das Weinen ist eine Wirckung der Be-
⌠Seite 400⌡
trübnis, die nicht unangenehm ist. Die √Betrubnis_\\_Betrübniß⌡ ist
zwar unangenehm aber nicht das Weinen über dieselbe. Nach dem Wei-
nen wird das Hertz erfreut, eben so wie nach dem √Platzregen_\\_Platz
Regen⌡ √Sonnenschein_\\_SonnenSchein⌡ kommt. Jn den √Thränen_\\_Tränen⌡
ist also was sanftes, es ist eine Erleichterung der Beklemmung die
aus der Traurigkeit entspringt. Weiber weinen, aber Männer
/Seite_436
/fühlen den Schmertz. √Trähnen_\\_Tränen⌡ werden auch für eine
Schwäche gehalten, die aber Kindern und Weibern angemeßen ist.
Ueberhaupt bricht man mit Weinen aus, wenn das Hertz wodurch
affiziert wird. Jede Handlung der Grosmuth Z. E. wenn einer den
andern beleidigt hat, es ihm aber leid thut, und er ihn abbittet,
der andere auch es ihm vergiebt, √ja_\\_ia⌡ noch mit Wohlthaten
überhäuft, √affiziert_\\_afficirt⌡ das Hertz ├und bringt┤ Tränen hervor. Eine
⌠Seite 401⌡
große Wohlthat in der äußersten Noth bringt auch Tränen hervor.
Woher kommt es, daß Handlungen der Großmuth Tränen auspreßen? Die
√Grosmuth_\\_Großmuth⌡ bringt uns zur Wehmuth, denn der Mensch wird
durch Sehnsucht ausgedehnt. Sehnsucht aber ist eine Begierde mit
dem √Bewust seyn_\\_Bewustseyn⌡ des Unvermögens, daher auch
/Seite_437
/Erbitterung Tränen hervorbringt Z. E. bey Weibern⌠,⌡ weil sie
unvermögend⌠.⌡ sind sich Genungthuung zu verschaffen. Mit dem
Weinen ist vieles verwand. Sonst hat das Weinen eine Beruhigung
des ├Gemüths. Es ist eine Entledigung des┤
√Schmerzes_\\_Schmertzens⌡. Wenn man daher über den Verlust einer
Geliebten weint, so ist die Betrübnis mehrenteils von Hertzen
entfernt, dahero man bey einem tiefen Schmertz so in die Seele
dringt√;_\\_,⌡ nicht so leicht weinen kann. Männer⌠,⌡ die den
Schmertz beßer empfinden,
⌠Seite 402⌡
weinen nicht.
Solche Bewegungen des Gemüths machen in uns einen größern
Eindruck als andere, dahero ich an eine prächtige Mahlzeit nicht
so lange dencken werde├,┤ als an ein Lachen welches willkührlich
gewesen, und durch Empfindung unversehens
/Seite_438
/erregt wurde. Man lacht auch sonst, wenn man nur das Maul
zieht├,┤ und so thut├,┤ als wenn man lacht, besonders wenn man dem
√einen_\\_andern⌡ Gefallen thun will, der etwas lächerliches erzählt
zu haben glaubt, welches aber doch nicht so war, daß es aus
Empfindung Lachen verursacht hätte. Würde √man da_\\_da man⌡ nicht so
thun als wenn es lächerlich wäre, so möchte √es_\\_das⌡ dem andern
zum Tadel gereichen. Aber das willkührliche Lachen├,┤ welches aus
Empfindung entspringt,
⌠Seite 403⌡
macht eine innigste Bewegung des Gemüths, dahero man auch einen
solchen √drolligten_\\_drollichten⌡ Menschen, der alle Gegenstände
auf eine launigte Art so einrichten kann, daß man in ein Lachen
ausbricht, lieb hat, und in der Gesellschaft gerne leidet, weil er
√dadurch_\\_<da>durch⌡ angenehme Empfindungen
/Seite_439
/hervorbringt. Alle Leute mögen gerne Lachen, √junge_\\_iunge⌡ Leute
aber gehen √<gerne>_\\_gerne⌡ in alle √Empfindungen_\\_Empfindung⌡ über,
indem sie alle ihre Kräfte probiren wollen um √si«ch»e_\\_sich⌡ zu
üben. Dahero Kindern gerne alles entzwey brechen, Vögel
√kneifen_\\_kneipfen,⌡ um zu hören wie sie schreien, höltzerne
Trompeten zerschneiden⌠,⌡ um zu sehen⌠,⌡ wie es √darinn_\\_darinnen⌡
aussieht p. und iunge Leute vieles aus Leichtsinn thun├,┤ worinn
wohl keine Bosheit steckt, um nur in viele
Veränderungen zu kommen,
⌠Seite 404⌡
und darinn ihre Kräfte zu üben, um zu wißen, wie weit sie damit
kommen⌠,⌡ und wozu sie mehr Hang haben indem sie sich noch in
alles schicken können. Denn so wie die gleiche Stellung des
Cörpers und seiner Glieder sehr unangenehm ist, ia man auch
iemanden dadurch,
/Seite_440
/daß man ihn in einer egalen Stellung des Cörpers liegen läßt⌠,⌡
torturiren kann, und so wie die veränderliche Stellung des Cörpers
sehr angenehm ist, daher sich Menschen ziehen, und ihre
√Gliedmaaßen_\\_Gliedmaßen⌡ bald auf diese bald auf jene Seite
ausdehnen, √ja_\\_ia⌡ √auch_\\_au«¿»ch⌡ ihre Glieder durchkneten
laßen├,┤ worauf sie sich in einer sanften Mattigkeit befinden, und
in einen wollenen Mantel eingekleidet werden, eben so ist auch die
veränderliche Bewegung des Gemüths sehr
⌠Seite 405⌡
angenehm√:_\\_.⌡ So laßen sich iunge Leute durch eine Tragoedie
durchkneten und ihre Empfindungen zerarbeiten, wenn nur die
Bewegung den Empfindungen proportionirt ist, denn sonst könnte
einem doch wohl ein Organum wehe thun. Wenn daher von den
Bewegungen der Empfindungen im Gemüth etwas zurück bleibt⌠,⌡ so
ist es
/Seite_441
/unangenehm, welches aber bey iungen Leuten nicht so geschiehet
wie bey Alten, indem die Eindrücke bey ihnen nicht so eindringend
sind. Bey dem sie aber eindringen und was nachlaßen, da bringen
sie etwas unangenehmes √zu wege_\\_zuwege⌡.
Man kann den Menschen aus der Art├,┤ wie er lacht, beurtheilen,
denn dem Lachen liegt die Jdee und sein Urtheil zum Grunde,
welches das Lachen hervorgebracht
⌠Seite 406⌡
hat, zwar nicht aus dem habituellen Lachen, wo ⌠man alles, wo⌡ man
alles auftreibt und aufbietet um nur zu lachen, wo also schon die
Lust zum Lachen vorhergeht, sonst ist auch die gute Laune alle
Objecte zum Lachen zu machen ein gutes √Talent_\\_Talent⌡, wodurch
man Dinge, die an sich unangenehm sind, auf eine komische Art
lächerlich macht, und dadurch eine Gesellschaft aufgeräumt macht,
/Seite_442
/├«Allein»┤ und das unangenehme versüßet. Allein es giebt auch ein
√bosartiges_\\_bösartiges⌡ Lachen⌠,⌡ wenn es auch gleich ├auch┤ wenig
zu beweisen scheinet Z. E. wenn jemand auf der Straße geht, und
mit einmahl in den Koth fällt, so erhebt sich bey vielen ein
Gelächter darüber. Man wendet zwar ein, daß man nicht lachen
würde, wenn man sehen möchte⌠,⌡ daß ein Schaden dadurch
entstanden, wel-
⌠Seite 407⌡
ches man auch √einräummt_\\_einräumt⌡, allein das helle Lachen über
eine √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ die dem andern geschehen, obgleich
nicht über ein Uebel Z. E. wenn jemand einen Bogen fertig
geschrieben, und das Tintenfaß statt der √Sandbüchse_\\_Sandbüchße⌡
darauf √stürtzt_\\_stürckt⌡, das misfällt dem andern und verdrießt
ihn, ob er sich zwar nicht äußert, daß er sich ├«zwar»┤ darüber
beleidigt findet, indem er alsdenn noch mehr darüber ausgelacht
würde, so √verdrießt_\\_verdrüßt⌡
/Seite_443
/es ihm doch. Wo aber der √andre_\\_andere⌡ √verdrißlich_\\_verdrüßlich⌡
ist⌠,⌡ da ist kein √Stof_\\_Stoff⌡ zum √Lachen_\\_lachen⌡. Solche Ge-
müths Art, die über solche √Qveerstriche_\\_Querstriche⌡ lacht, hat schon einen
gewißen Fond zur Malice, und wenn er sich auch hernach besinnt,
und sich selbst √zurechtweiset_\\_zurecht weiset⌡, so sieht man doch,
daß in seinem Gemüth die Ursache und ein Hang zu solchem Lachen
war.
Anmerckung. Wir können unserm Cörper
⌠Seite 408⌡
auf eine 3fache Art beykommen nehmlich durch die
√Mechanische_\\_mechanische⌡ bewegende Kraft Z. E. durch Reiten⌠,⌡
fahren p⌠.⌡ durch die √Chymische_\\_chymische⌡ bewegende Kraft wo die
Säfte aufgelößt werden Z. E. durch Arzeney Mittel, durch Saltze
und metallische Theile. Die dritte bewegende Kraft ist nicht durch
√körperliche_\\_Cörperliche⌡ Dinge sondern √durchs_\\_durch⌡ Gemüth.
Dieses ist die innigste bewegende Kraft. Die Aufmunterungen├,┤
Auffrischungen des Gemüths
/Seite_444
/können wir durch nichts körperliches oder mechanisches, viel
weniger durch Medicin erhalten√, das_\\_. Das⌡ sind nur Mittel das
erloschene Leben zu erhalten. Beym Gemüth soll aber nur die
√Hindernis_\\_Hinderniß⌡ gehoben werden, √denn_\\_den⌡ es sind
Kranckheiten, so die menschliche √Machine_\\_Maschine⌡
√verletzen_\\_verletzet,⌡ andere die sie √verhindern_\\_verhinderen⌡.
Die erste Qvelle des Lebens steckt aber im Gemüth.
√Diese«s»_\\_Diese⌡ können wir
⌠Seite 409⌡
aber nicht durch cörperliche Bewegungen⌠,⌡ sondern
√durch«s»_\\_durch⌡ Gemüths Bewegungen aufmuntern. Was ists⌠,⌡ was
den Menschen Z. E. zum Chartenspiel nöthigt. Nicht der
Gegenstand⌠,⌡ nicht das Interesse, indem es doch hier aufs Glück
ankommt, daher man ├hier┤ nicht glauben kann├,┤ dadurch etwas zu
gewinnen, sondern die Gemüthsbewegung, die Aufmunterung der √Ge-
muths_\\_Gemüths⌡
/Seite_445
/Kräfte. Der Mensch denckt daran nicht, er folgt √denn_\\_dem⌡ aber
doch, denn kaum wird eine Gesellschaft ohne Chartenspiel
zugebracht. Das Chartenspiel ist deswegen unterhaltend, weil es
eine Belebung des Gemüths ist, denn weil es hier auf den Zufall
ankommt├,┤ so läßt der Mensch seine Phantasie herrschen⌠,⌡ beson-
ders wenn die √Geschicklichkeit_\\_Gesellschaft⌡ dazu kommt. Das
Chartenspiel ist auch eini-
⌠Seite 410⌡
germaaßen eine Disciplin des Menschen, denn obgleich sich der
Mensch wenn √iemand_\\_jemand⌡ ihm einen Streich gespielt hat,
ärgert, so muß er sich doch solches nicht mercken laßen, indem
es ja vom Glück abhängt⌠,⌡ er muß sich selbst beherrschen und
mäßigen. Mit der Zeit gewöhnt man sich an solche Beherrschung.
Wenn es aber durch Gewohnheit zur Neigung
/Seite_446
/wird, so hat es nicht den Effect. Die Absicht des Spiels ist die
Empfindsamkeit des Menschen├,┤ denn indem das Spiel immer einen
Wechsel⌠,⌡ der vom Zufall abhängt, in sich enthält, so haben wir
auch ein Spiel der Empfindung⌠,⌡ und dieses ists⌠,⌡ wodurch man
belebt wird. Jm gantzen Leben ist nichts⌠,⌡ was ein Gemüth in 5
Minuten in so viel Bewegungen der Empfindung
⌠Seite 411⌡
versetzen kann, als ein einziges Chartenspiel, und in √jedem_\\_dem⌡
Spiel ist das Gemüth in einer neuen Situation. Eine schwerfällige
Gesellschaft mit Tabacks Pfeifen in der Hand, mit ehrwürdigem
Dunst umgeben, die sich mit √Erzahlungen_\\_Erzählungen⌡ über das
gemeine Wesen unterhält, hinterläßt nicht solche Belebung des
Gemüths als das Spiel.
/Seite_447
/So lange die Medicin nur die mechanische ├und chimische┤ Mittel
hat das Leben in Bewegung zu bringen, und nicht sucht durch
pneomatische Mittel das Gemüth in Bewegung zu √bringen_\\_setzen
<bringen>⌡, so sieht es darinn noch sehr schlecht aus, denn die
mehresten Kranckheiten beruhen nur in Hindernißen, die im Nerwen
System liegen, daher muß man die erste Lebens Qvell des Gemüths
aufzumuntern suchen. Es wird √dahero_\\_daher⌡ bey einem
⌠Seite 412⌡
krancken Menschen ein guter aufgeweckter Freund mehr ausrichten
als alle Recepte, denn die berühren nur die Oberfläche des
Cörpers, aber die Aufmunterung des Gemüths dringt bis ins
√Principium_\\_principium⌡ des Lebens. Dahero muß sich ein Artzt bey
dem Patienten zu erkundigen suchen, welches seine √Vergnü-
gungen_\\_Vergnügen⌡ und Aufmunterungen waren,
/Seite_448
/und wenn er ihm solche Unterhaltung zuwege bringt, so wird ihm
solches eher helfen als alle Medicin. Doch dies gehört mehr für
einen Medicus als für einen Psychologen.
Zuletzt können wir √noch_\\_<noch>⌡ das sympathetische Gefühl
betrachten. Sympathie muß nicht durch Mitleiden sondern durch
Theilnehmung übersetzt werden. Das Mitleiden geht mehr aufs
Unglück√._\\_,⌡
⌠Seite 413⌡
Sympathie aber haben wir auch im Glück. Mitleiden haben wir mit
Schwachen√,_\\_.⌡ Sympathie aber auch mit Starcken. Sympathie ist
also das Genus und Mitleiden die Species.
Das theilnehmende Gefühl├,┤ kann großen Effect hervorbringen. So
nehmen wir √Antheil_\\_antheil⌡ wenn Z. E. iemand in der Predigt
stecken bleibt. Wir nehmen an dem Verdruß und
/Seite_449
/Kränckung anderer Antheil. Diese Theilnehmung ist edel. Wenn
jemand unglücklich geworden ist, so kann mir das wohl leid thun,
aber ist jemand gekränckt, ist sein Recht verletzt, so
sympathesire ich mich mit Zorn gegen den anderen. Die solche
Sympathie nicht haben, schätzen das Recht anderer Menschen nicht
hoch. Die Theilnehmung eines Unglücks, wo viele Tausend unglück-
⌠Seite 414⌡
lich geworden sind, muß nicht so seyn, als wenn einem einzigen
Menschen Unrecht √geschahen_\\_geschehen⌡ wäre. Dieses Theilnehmende
Gefühl empfinden wir in der gantzen Seele. Denn wenn Menschen Z.
E. unter dem Adel beständig im Druck sind, so verlieren sie die
Jdee des Rechts der Menschheit, denn weil sie keine Beyspiele
haben, wo das Recht herrscht, so
/Seite_450
/dencken sie├,┤ es muß so seyn. Da müßen wir mit dem Recht des
√andern_\\_anderen⌡ sympathesiren, aber nicht mit dem physicalischen
Uebel. Wir sympathesiren mit der Freude des √ander_\\_andern⌡ Men-
schen, wir sympathesiren mit des andern seinen Schmertz├,┤ mit
seinen Begierden, mit seiner Liebe mit seiner Beschwerlichkeit,
mit seiner Arbeit Z. E. wenn jemand etwas sehr schwer hebt,
⌠Seite 415⌡
mit des andern seinem Zweck. Wir sympathesiren auch Z. E. wenn
jemand fällt oder an einem gefährlichen Orte als auf dem Schiffe,
wenn es sich nach einer Seite gebogen hat, wo er fallen kann, so
liegen wir mit unserm Cörper auf der andern Seite über. So liegt
man auch mit dem Fuß, wenn man Kegel schiebt, und die Kugel auf
der einen
/Seite_451
/Seite schief gehet, auf die andere Seite über.
Anmerckung⌠.⌡ √Der_\\_der⌡ geringe Mensch hat Sympathie mit den
Empfindungen des größeren⌠, aber⌡ der Vornehme hat keine Sympathie
mit den Empfindungen des geringeren. Der geringere setzt sich in
die Gesinnung des größeren und hat Mitleiden mit ihm, √obgleich_\\_ob
gleich⌡ er nach seinem Unglück √recht_\\_nicht⌡ glücklicher ist, als
der geringere.
/Sprung
/Seite_452
So hat man Mit-
leiden
⌠Seite 416⌡
leiden mit einem unglücklichen Könige. Die Ursache ist├,┤ weil
sich ein geringerer leicht in den Stand des größeren setzen kann,
und √großere_\\_größere⌡ Gesinnungen sich fingirt√, allein_\\_. Allein⌡
der √Vor-
nehmere_\\_Vornehme⌡ kann sich den Zustand des √geringeren_\\_Geringeren⌡ nicht so fingiren,
daher er auch mit seinem Unglück nicht sympathesirt. Er denckt er
ist doch einmahl ein √gemeiner_\\_geringer⌡ Mann, der das √vorneh-
me_\\_Vornehme⌡
Leben nicht so gewohnt ├ist┤, daher kommt er immer fort, wenn er
nur leben kann. Sie werden Z. E. die Distanz zwischen einem Bürger
und Handlanger nicht so gewahr als nur die Distanz ihres Standes
von dem bürgerlichen überhaupt. Dieses ist auch das
/Seite_453
/Unglück bey Königen√, sie_\\_. Sie⌡ können sich das Unglück ihrer
Unterthanen nicht so vorstellen,
und
⌠Seite 417⌡
und haben auch keine Neigung dazu.
/Sprung
/Seite_451
(Wenn die Uebel natürlich sind Z. E. √Hungers Noth,_\\_Hungersnoth⌡
so sympathesirt der Vornehme mit dem geringen eben so gut, als
dieser mit ihm, aber bey den Uebeln des gekünstelten Zustandes
oder der idealischen Uebel sympathesirt der √vornehme_\\_Vornehme⌡
nicht mit dem √geringen_\\_Geringen⌡, wohl aber dieser mit √ienem_\\_jenem⌡. Das
√Weibergeschlecht_\\_Weiber Geschlecht⌡ sympathesirt sehr mit
/Seite_452
/natürlichen Uebeln aber nicht mit idealischen besonders gegen ihr
Geschlecht und √Personen_\\_Person⌡ die unter ihnen sind.)
/Sprung
/Seite_453
Das ist
ein enger Kopf, der nicht aus der Sphaere seiner Erziehung kommen,
und sich in eine andere versetzen kann. Das thierische der
Sympathie ist, wenn wir nur das √empfinden_\\_Empfinden⌡, was den
√körperlichen_\\_cörperlichen⌡ Schmertz macht. Die Sympathie nach
Jdeen
⌠Seite 418⌡
ist √fürtrefflich_\\_fürchterlich⌡, die √Physicalische_\\_physicalische⌡
dient nur dazu├,┤ die idealische zu ersetzen, wer derselben nicht
fähig ist. Es beruht nicht auf der Ueberlegung, sondern auf der
Thierheit, wenn wir das, so wir nicht sehen, nicht so
sympathesiren⌠,⌡ als wenn wir es sehen, oder an der Begebenheit
eines Frauenzimmers eher Antheil nehmen⌠,⌡ als an eines andern.
Die Erbarmung der
/Seite_454
/Thiere kommt von der √Physicalischen_\\_physicalischen⌡ Sympathie. Wir haben nöthig
solche Sympathie in unserer Natur zu erhalten, weil sie Mittel
sind├,┤ die Grundsätze der Theilnehmung zu stärcken. Die
√Ursache«n»_\\_Ursache⌡ unserer Pflichten gegen die Thiere ihnen
nicht unrecht zu thun, ist nicht die √unmittelbare_\\_unmittelbahre⌡
Beleidigung derselben, sondern um unsere Sympa-
thie
⌠Seite 419⌡
thie zu schonen und die Menschheit nicht zu beleidigen├,┤ und
diese Triebfeder in ihrer Reitzbarkeit zu erhalten.
Auf der andern Seite können wir auch das antipatische Gefühl hier
anführen, wenn man Schmertz leidet, da der andere frohlockt, und
wenn man Freude empfindet, da der andere Schmertz hat. Dieses
Gefühl ist häslich und dem Geizigen eigen.
/Seite_455
/Das sympathetische Gefühl nennt man menschlich, wer daßelbe nicht
hat, den nennt man unmenschlich. Wer aber das Gegentheil nemlich
ein √antipathetisches_\\_antipatisches⌡ Gefühl hat, den nennt man
teufelisch. Menschlich nennt man das erste, weil der Mensch Anlage
dazu hat, obgleich wenige es haben.
Es liegt doch in der Menschheit zu solcher Anthipathie ein Grund.
Zwar
⌠Seite 420⌡
haben die Menschen kein unmittelbares Wohlgefallen und Vergnügen
am bösen, sondern in so ferne es nur ein Mittel ist├,┤ ihre
Neigung zu befriedigen, und ihren Vortheil zu befördern. So freut
man sich über den Tod seines Freundes, weil man dadurch erbt. Man
hat keine unmittelbare Freude an seinem Tod, sondern man würde es
gerne sehen, wenn er leben geblieben wäre, und
/Seite_456
/man nur ohne seinen Tod eine solche √Erbschafft_\\_Erbschaft⌡ thun
können. Allein wenn wir uns ein unmittelbares Vergnügen und
Wohlgefallen über den Schaden des andern concipiren, so ist
√das_\\_es⌡ teufelisch⌠. Man nennt es teufelisch⌡ weil √man_\\_<man>⌡ es
aus der Menschheit nicht begreifen
⌠Seite 421⌡
kann, ⌠weil man nicht sehen kann,⌡ wie der Mensch eine Freude
daran haben könne├,┤ welches ihm keinen Nutzen, dem andern aber
Schaden zuwege bringt. Ueberhaupt nennen wir das was unter die
Menschheit geht, in Ansehung des moralischen √Bösen_\\_bösen⌡
teufelisch. Dieses ist also ein Jdeal⌠,⌡ oder ein Maximum des
moralischen √Bösen_\\_bösen⌡, so wie wir im Gegentheil dasjenige
englisch nennen⌠,⌡ was im moralischen über die Menschheit geht⌠,⌡
welches ein √Ideal_\\_Jdeal⌡ oder ⌠ein⌡ Maximum des
√Moralischen_\\_moralischen⌡ guten ist. Unter den geschaffenen Wesen
sind die Engel das Jdeal des
/Seite_457
/√Guten_\\_guten⌡, und die Teufel das Jdeal des √Bösen_\\_bösen⌡. Der
Mensch ist in der Mitte der auf keiner Seite extendirt. Dasjenige
√böse_\\_Böse⌡ nun, was aus der Menschheit nicht kann begriffen
werden, nennt man teufelisch. Zu solchen Eigenschaften gehört
⌠Seite 422⌡
die Undanckbarkeit gegen seine Wohlthäter und die Schadenfreude.
Die Undanckbarkeit gegen seine Wohlthäter ist, wenn man an dem
Schaden des Wohlthäters einen unmittelbaren Wohlgefallen hat. Zum
Neide oder zur Misgunst liegt in dem Menschen ein Hang. Diese Mis-
gunst ist zwischen den √zwey_\\_2⌡ Geschlechtern verschieden. Unter
den Männern ist sie nicht so als unter den Weibern. Um eine
√neben_\\_Neben⌡ Anmerckung einzustreuen, so sagte ein Fremder. Der
Mann ist eifersüchtig, wenn er verliebt ist, und die Frau ist
√eifersüchtig_\\_Eifersüchtig⌡ ehe sie verliebt ist. Wenn sie auch
keinen Antheil an einem
/Seite_458
/Gegenstande haben will, so ärgert sie sich doch, daß eine andere
ihres Geschlechts denselben hat. Allein in der Menschheit liegt
schon ein gewißer Hang zur √Mis
⌠Seite 423⌡
gunst_\\_Mißgunst⌡ zum Grunde, aus welcher hernach die Schadenfreude
entsteht. Die Menschen mögen gerne die ├«Schadenfr»┤ Unglücksfälle
anderer erzählen, und sind begierig solche zu wißen, welches doch
einen Wohlgefallen daran verräth. Sieht man das jemand mit star-
cken Schritten zum Ansehen und zur Ehre steigt, und wir erfahren,
daß er darinn gefallen ist, so empfinden wir doch keine
Gleichgültigkeit, sondern wir äußern ein Wohlgefallen darüber.
Welches ist die Ursache hievon? Die menschliche Natur hat
rechtmäßige Praetension zur Gleichheit. Jst schon in den Ständen
der bürgerlichen Ordnung eine
/Seite_459
/gewiße √Ungleichkeit_\\_Ungleich«k»heit⌡ eingeführt, so wird das ├schon┤ als eine Ord-
nung der Natur angesehen, daher wir dieses nicht erwegen, aber bey
Personen von gleichem Stande ist jeder √Bemüht_\\_bemüht⌡ die
⌠Seite 424⌡
Gleichheit zu erhalten. Die Ungleichheit entweder in der Ehre oder
√Talent_\\_Talent⌡, oder im Reichthum empfindet der andere nicht mit
Wohlgefallen, sondern ist besorgt herabgesetzt und unterdrückt zu
werden├, dahero verachtet┤ ein Reicher den √armen_\\_Armen⌡, ein
√vornehmer_\\_Vornehmer⌡ den Niedrigen, ia es geht noch weiter, der
√Große_\\_große⌡ verachtet den Kleinen, der √gesunde_\\_Gesunde⌡ den
Krancken⌠,⌡ der Starcke den Schwachen der Gelehrte den Dummen,
denn der andere glaubt, daß die Schuld selbst in ihm liege, wenn
er nicht so ist wie er. Der Gesunde denckt immer vom Krancken, er
ist durch seine Schuld kranck geworden, daher
/Seite_460
/auch Menschen ihren Zustand nicht gerne verrathen. Alle Menschen
sind daher aus diesem Grunde √gewaltthätig_\\_Gewalthätig⌡, wenn sie
nicht durch die Obrigkeit eingeschränckt werden, welches in den
Staaten geschicht,
⌠Seite 425⌡
wo der Große den kleinen zu überwältigen sucht. Die gute Folge der
√Antipatie_\\_Antipathie⌡ ist: Die Menschen werden dadurch auf dem gantzen
Erdboden verbreitet. Hätten sie nur ein
√Antipathetisches_\\_anthipatetisches⌡ und kein √sympatheti-
sches_\\_Sympathetisches⌡ Gefühl, so wären sie auf einem Klumpen der
Erde. Zur Antipathie so fern sie allgemein und natürlich ist,
rechnet man den Neid und Misgunst. Es giebt aber auch eine
Antipathie so nicht natürlich ist. So ist zwischen 2
Haabsüchtigen⌠,⌡ zwischen 2 Ehrsüchtigen immer eine Antipathie,
denn da ist der eine immer dem
/Seite_461
/andern entgegen, aber ein natürliches fundament der Antipathie
ist die Misgunst so in der Menschheit liegt. √Ueberhaupt_\\_Uberhaupt⌡ haben wir
Antipathie gegen die Affecten und Leidenschaften anderer, welches
aus folgenden allgemeinen An-
⌠Seite 426⌡
merckungen zu sehen ist.
Wir sympathesiren zwar mit dem Glück und Unglück anderer, aber
nicht mit √der_\\_den⌡ starcken √Bewegung_\\_Bewegungen⌡ des Gemüths an-
derer. Wir sympathesiren zwar mit dem Glück des andern, welches er
durch eine Erbschaft erhalten, allein wird er dadurch innigst
bewegt, und fängt an zu iauchzen, so sehen wir ihn zu verlaßen.
Wenn einer in der Lotterie gewonnen hat, und der andere sagt, ich
freue mich mehr, als wenn √ichs_\\_ich es⌡ selbst gewonnen hätte, so
√frägt_\\_fragt es⌡ √sichs:_\\_sich;⌡ in welchem Verstande ist das wahr?
/Seite_462
/Wir haben zweyerley Art von Freude: ein vernünftiges und sinnli-
ches Wohlgefallen. Das vernünftige Wohlgefallen
entspringt aus dem Antheil der Vernunft⌠,⌡ und das sinnliche aus
dem Urtheil der Sinne. Sehe ich einen elenden Menschen⌠,⌡ der im
⌠Seite 427⌡
Unglück ist, seine Familie zu Grunde gehen ⌠sieht⌡, so würde ich
ihm, wenn √ich_\\_ichs⌡ im Stande wär ein Glück eher als mir zuwenden. Wird
er nun durch einen Zufall glücklich, so freue ich mich mehr├,┤ als
wenn ich selbst so glücklich gewesen wäre, denn wenn ich es
vernünftig überlege├,┤ so ist es mir angenehm, daß hier der Zweck
so √passend_\\_paßend⌡ war, indem es dieser √Elende_\\_elende⌡ eher
braucht als ich. Die Freude aus dem Privat Leben ist eine
sinnliche Freude. Wir gefallen uns selbst bey solcher Freude, die
wir über das Glück
/Seite_463
/anderer haben, aber wir gefallen uns nicht über die Freude so wir
über unser eigenes Glück haben.
Wir sympathesiren aber nicht mit den Gemüths Bewegungen anderer,
ob wir gleich mit ihrem √Schicksal_\\_Schicksall⌡ sympathesiren Z. E.
mit der Traurigkeit und
⌠Seite 428⌡
mit dem Schmertz anderer sympathesiren wir, aber fängt er an zu
klagen und in Heulen auszubrechen, so entfernen wir uns von ihm.
Wir sympathesiren nicht mit des √andern_\\_anderen⌡ seinen
Leidenschaften├,┤ und √heifigen_\\_heftigen⌡ Gemüths Bewegungen,
unsere Sympathie wird alsdenn vielmehr verringert, am wenigsten
sympathesiren wir mit dem Zorn eines andern √ja_\\_ia⌡ wir
erzürnen uns so gar selbst wieder den, der uns im Zorn etwas
erzählt, ├wenn es uns auch nichts angeht,┤ denn
/Seite_464
/die Gemüths Bewegungen entziehen uns dem Zustande der Macht über
uns selbst. Nun wollen wir nicht gerne durch andere unsern Gemüths
Bewegungen unterworfen seyn, daher leiden wir es nicht, wenn der
andere heult und ächzt. Beym Zorn sind wir in Antipathie
⌠Seite 429⌡
mit dem andern, zwar sympathesiren wir mit seinem Unwillen aber
nicht mit seinem Zorn Z. E. es erzählt uns √jemand_\\_iemand⌡ des
andern √seinen_\\_seine⌡ schelmischen Streich gegen ihn aber gantz
gelaßen, so erzürne ich mich über ihn⌠,⌡ und bin unwillig, daß er
noch so gelaßen darüber ist, aber √erzahlt_\\_erzählt⌡ es jemand im
Zorn⌠,⌡ so bin ich mit ihm in Antipathie, denn der Zorn ist ge-
fährlich für jedermann, ⌠denn⌡ wenn man einmahl im Zorn ist, so
ist man im Stande auch über den, der es √erhählt,_\\_erzahlt⌡
√zornig_\\_Zornig⌡ zu werden.
/Seite_465
/Wenn die √Sympathie_\\_sympathie⌡ ein Affect wird, so ist es eine
große Schwäche. √Unserer_\\_Unsere⌡ Sympathie ist ein Spiel, es wird
aber Ernst, so bald es zum Affect wird, so bald wir die Sympathie
in unserer Gewalt haben, so bald √wir_\\_wird⌡ sie nach belieben kön-
nen aufhören laßen, so lange ist sie ein
⌠Seite 430⌡
Spiel, so bald ich aber nicht Meister über sie bin├,┤ sondern
wieder meinen Willen in selbige versetzt werde, so ist sie ein
Affect, dahero wir nicht gerne mit den Affecten sympathesiren. Wir
können den Menschen, der in der √Sympathie_\\_sympathie⌡ so zart ist,
welches eine Schwäche bey ihm ist, darum lieben, denn wir lieben
einen Menschen, so ferne wir eine Schwäche von ihm wahrnehmen.
Denn so haben wir Hochachtung gegen ihn√._\\_,⌡ wir lieben ihn also
darum, weil er mit den Neigungen Zwecken und Absichten des
/Seite_466
/√andern_\\_anderen⌡ eine Vereinigung hat. Wären wir Wesen, die einen
größeren Grad der Vernunft hätten, so brauchten wir keine
Sympathie, denn könnten wir auf Grundsätzen des andern sein Wohl
oder Unglück einsehen. Die Sympathie
⌠Seite 431⌡
ist also nur ein √Ergänzungs_\\_Ergäntzungs⌡ Mittel des Mangels an
Grundsätzen, in so ferne ist sie auch zugelaßen, wird sie aber zum
Affect so streitet sie wieder die Grundsätze Z. E. wenn der
Richter ein Unrecht an Personen betrafen soll, und er wird
√von_\\_vom⌡ Mitleid so gerührt, daß seine Sympathie zum Affect wird,
so setzt √ihn_\\_in⌡ der Affect aus der Faßung der Vernunft. Sympathie
macht das Hertz welck. Der √Stoiker_\\_Stoicker⌡ sagt: ich wünsche
mir einen Freund, nicht der mir in der Noth helfe und an meinem
/Seite_467
/Unglück Theil nehme, sondern einen solchen, dem ich helfen, und
auf den ich meine Kräfte verwenden kann. Auf der andern Seite sagt
er√:_\\_,⌡ siehst du einen Freund im Elende und zu Grunde gerichtet,
und kanst ihm nicht helfen, so sieh weg⌠,⌡ und sage: was geht er
⌠Seite 432⌡
mich an? das heist: so viel, siehst du einen Menschen im Unglück
so nimm an seinem Uebel so viel Antheil als du ihm helfen kannst.
Kannst du ihm aber gar nicht helfen, steht dies gar nicht in
deinen Kräften, so geh √gelaßen_\\_gelassen⌡ weg. Das Heulen,
Beweinen √Beklagen,_\\_beklagen⌡ √hilft_\\_hielft⌡ doch √nichts_\\_nicht⌡.
Der Weise soll nicht sympathesiren, sondern aus √Grundsätzen_\\_Grund
Sätzen⌡ handeln, denn sympathesire ich mit jemanden, so mache ich
mein Hertz durch das Klagen welck, und mache das Unglück des an-
dern ihm dadurch
/Seite_468
/empfindlicher und unerträglicher. Die Leidenschaften sind
entweder wackere Z. E. die Eifersucht⌠,⌡ oder schmachtende Z. E.
√idealische_\\_idealische⌡ Liebe. Für schmachtende Leidenschaften muß
man sich hüten Z. E. Romanen, man wünschet sie und kann ihnen
nicht nachgehen. Einige √Leidenschaften_\\_Eigenschaften⌡ sind
grüblend Z. E. ⌠der⌡ Geitz, einige sind belebend, andere
verringernd Z. E. Sehnsucht
⌠Seite 433⌡
hemmt die Thätigkeit. Einige Leidenschaften sind vorübergehend,
andere bestehend Z. E. der Zorn ist vorübergehend, dem ist ent-
gegen gesetzt der √Has_\\_Haß⌡, der ist bestehend. Traurigkeit ist
übergehend, Gram bestehend. Der Zorn geht auf eine einzige
Handlung, und sucht sich auf der Stelle zu rächen, der Haß ⌠aber⌡
macht sich gleich eine Regel, sucht sich bey Gelegenheit zu
zeigen├,┤ und ist nachtragend.
/Seite_469
/Die übergehende Leidenschaften, wenn sie böse sind, sind eher zu
entschuldigen⌠,⌡ als die bestehenden und eingewurtzelte, denn
diese thun nach Regeln böse Handlungen, sind die √über-
gehenden_\\_übergehende⌡ Leidenschaften gut, so sind sie desto
weniger sträflich. So sind einige vom Wohlwollen gegen andere
gantz eingenommen, und es √dauert_\\_dauret⌡ nicht lange, so haben
sie ihn ⌠wieder⌡ vergeßen. Sie ge-
⌠Seite 434⌡
fallen allen und so wie sie an fremde √Oerter_\\_Örter⌡ kommen, so
haben sie eben so viel gute Freunde, da sie √denn_\\_den⌡ bald die
Alten vergeßen. Die übergehenden Leidenschaften sind stürmisch,
die bleibenden aber langsam. Die stürmischen richten die Uebel in
kurtzer Zeit an, die √eingewurzelten_\\_eingewurtzelten⌡ aber machen
mehr Schaden, weil sie sich eine Regel machen.
/Seite_470
/ ≥Generale Bemerckungen über die Leidenschaften und Affecten.≤
Es giebt einige Leidenschaften, die darum, weil sie Leidenschaften sind⌠,⌡ gutartig sind, und also √<als>_\\_als⌡ Leidenschaften einen √größen_\\_größeren⌡ Grad des Werths haben, als wenn es nur Neigungen wären⌠,⌡ so aus Reflexion oder aus √Grundsatzen_\\_Grundsätzen⌡ entspringen und die Handlung so aus √Leideschaft«en»_\\_Leidenschaft⌡ entspringt, bekommt dadurch einen Werth./Seite_471
/sie der Mann aus Reflexion und nicht aus Leidenschaft liebt, so
daß er von ihr nicht laßen kann. Die Ursache ist diese⌠,⌡ die
Leidenschaft ist ein Mittel den andern zu regieren. Wer
Leidenschaft hat, kann vermittelst derselben von dem auf den sie
gerichtet ist, regiert werden, und deswegen hat die Frau, wenn der
Mann sie aus Leidenschaft liebt⌠,⌡ Gewalt über ihn√, liebt_\\_. Liebt⌡ aber der Mann nur allein aus Neigung, so daß er
nicht verliebt ist, so ist er desto weniger von seiner Frau zu re-
⌠Seite 436⌡
gieren, denn dadurch, daß er schwach wird, wird seine Frau starck.
Eine andere Leidenschaft aber wird dadurch daß sie Leidenschaft
ist, ehrwürdig Z. E. wenn die Eltern ihre Kinder aus Leidenschaft
lieben, so daß sie alles für sie wagen. Wir haben in uns
/Seite_472
/von Natur eigentlich √3._\\_drey⌡ Triebe. Der eine Trieb geht auf
die Erhaltung seiner selbst, der andere auf die Erhaltung seiner
Art├,┤ der √3te_\\_dritte⌡ auf die Erhaltung der Gesellschaft. Der
letzte Trieb ist nur zufällig, die beyden √erstere_\\_ersteren⌡ sind
aber wesentliche Triebe. Aus dem Triebe seine Art zu erhalten,
oder aus der Geschlechter Neigung entspringt als eine Folge die
Neigung zu den Kindern oder die √Elternliebe_\\_Eltern Liebe⌡. Dieser
Trieb liegt in der Natur der Thierheit des Menschen, und natürlich
dauert er nur so lange├,┤
⌠Seite 437⌡
als die Kinder ihre Eltern nöthig haben, hernach hört er auf,
welches wir an allen Thieren sehen, daß sie nach der Zeit ihre
Jungen verlaßen, und sie als fremde betrachten√;_\\_,⌡ es sey denn,
wenn dieser Trieb bey den Menschen durch Kunst
/Seite_473
/excolirt ist. Aber auch bey dem Menschen wird dieser Trieb
√ie_\\_je⌡ länger je kälter, und die Groß Enckel haben schon ihre El-
tern lieber├,┤ als ihre Kinder, überhaupt ziehen die Kinder
besonders eine √liebe_\\_Liebe⌡ nach sich, weil sie eine Vorsorge
nöthig haben. Also ist die Leidenschaft der Eltern Liebe durch die
Natur autorisirt. Allein├,┤ man √konnte_\\_könnte⌡ auch fragen, ob
die Kinder Liebe gegen die Eltern auch in der Natur liege?
Obgleich uns die Moral sagt⌠,⌡ daß die Kinder den Eltern Liebe und
Gehorsam schuldig sind, und so sehr die Ver-
⌠Seite 438⌡
bindlichkeit der Eltern gegen ihre Kinder dictirt; so hat doch die
Natur in ihr Hertz keinen Trieb gelegt. Der Trieb der Eltern gegen
ihre Kinder ist weit stärcker, als der Kinder gegen ihre
/Seite_474
/Eltern, denn der Trieb steigt herab und nicht herauf. Man
√liebt_\\_lieb⌡ seine Kinder stärcker als seine Eltern. Denn der
Trieb, der von der Natur in uns gelegt ist, ist das Geschlecht
√fortzupflanzen_\\_fortzupflantzen⌡. Würde nun ein Trieb bey den
Kindern seyn ihre Eltern zu lieben, so könnten diese Kinder nicht
wieder einen Trieb haben ihre Kinder zu lieben. Dieses ist aber
der Zweck der Natur. Die Liebe der Kinder gegen die Eltern ist
auch im spätesten Alter mehr eine Liebe der Ueberlegung, der
Pflicht, der Danckbarkeit, als ein natürlicher
⌠Seite 439⌡
Trieb. Jn der Natur herrscht die größte Harmonie mit ihren
Zwecken⌠, und die Philosophie über die natürlichen Zwecke⌡ ist
sehr angenehm. So wird man finden, daß die Tochter nicht eine
solche Liebe zur Mutter hat⌠,⌡ als der Sohn, und die Mutter wird
/Seite_475
/auch den Sohn lieber haben als die Tochter, weil sie in ihm ihre
künftige Stütze siehet. Die Ursache aber, daß die Tochter ihre
Mutter nicht so lieb haben kann ist diese: die Tochter ist nicht
die Schöpferin ihres Glücks sondern ihr Mann. Also geht ihr Trieb
mehr darauf ihre Art zu versorgen als aus Großmuth andere zu
verpflegen, daher man die Mutter der Frau immer ins Haus nehmen
kann, aber nicht die Mutter des Mannes, denn die Tochter folgt
ihrer Mutter gar nicht⌠,⌡ wenn sie
⌠Seite 440⌡
schon einen Mann hat, aber der Mann folgt noch immer seiner Mutter
sehr gerne. Denn weil die Tochter selbst nichts erwerben kann⌠,⌡
sondern damit schaltet├,┤ was ihr Mann erworben hat, so geht sie
mehr auf die Erhaltung des Hauses, und das Haus, woraus sie
/Seite_476
/gekommen ist, geht ihr jetzt gar nichts mehr an. Ueberhaupt sind
die √Frauenszimmer_\\_Frauens immer⌡ sparsamer, sie nehmen immer
gerne was an ohne Unterscheid, und geben nichts mehr weg, als was
sie nicht mehr brauchen können Z. E. alte Kleider. Die Ursache
ist, weil sie nicht √Uhrheber_\\_Urheber⌡ des Glücks sind, sondern
nur vermittelst des Mannes, sie hat sich schon Glück genung
gemacht├,┤ wenn sie nur einen rechtschaffenen Mann geheurathet
hat. Da sie also selbst nichts erwirbt. Das Erben ist zufällig,
⌠Seite 441⌡
so kann sie auch nicht so freygebig seyn als der Mann, und sie muß
auch weit wirthschaftlicher seyn, weil sie so zu sagen fremde
Rechnung führt. Würde sie das weggeben⌠,⌡ was ihr Mann erworben
hat, so möchte sie nichts haben, weil sie sich selbst nichts
erwerben kann. Oft erwerben die Frauens mehr als der Mann, das ist
aber nicht mehr natürlich. Dieses
/Seite_477
/√diente_\\_dienet⌡ zur Erläuterung, daß die
√Elternliebe_\\_Elterliebe⌡, die eine Folge des Geschlechts Triebes
ist⌠,⌡ als eine Leidenschaft ansehnlich sey. Die Liebe zum Leben
als eine Leidenschaft ist nicht so ansehnlich als die Liebe aus
Leidenschaft zu denen Kindern. Wir sehen lieber, wenn der Mensch
eine überlegte Liebe zum Leben hat. √D«¿¿»ie_\\_Die⌡ Ursache, warum
die Geschlechter Liebe und die Liebe zu den Kindern eher
⌠Seite 442⌡
als Leidenschaft was ansehnliches hat, als die Liebe zum Leben,
wenn sie Leidenschaft ist, ist diese: Weil der Natur mehr daran
gelegen ist die Natur zu erhalten als einen einzelnen Menschen an
sich, denn die kann immer sterben, wenn er nur seine Art erhalten
hat, also ist das Leben eines einzelnen Menschen in Ansehung
seines gantzen Geschlechts an und für sich zufällig. Die
Leidenschaft in der Geschlechter Liebe stimmt
/Seite_478
/aber mit den Zwecken der Natur überein, dahero wird die Liebe zum
Leben als Leidenschaft oft nur gebilligt, als Geschlechter Liebe
gereicht sie zur Ehre, aber die Leidenschaft der Elternliebe ist
eine Erhöhung. Die unmittelbare Liebe zum Leben stimmt nicht
√einmal_\\_einmahl⌡ mit der Vernunft √überein_\\_über ein⌡, denn um
⌠Seite 443⌡
recht elend zu seyn muß man auch leben, also ist das Leben eine
Bedingung des Glücks und Unglücks, hat also ohne Bestimmung noch
keine Annehmlichkeit, also ist die Liebe zum Leben als
Leidenschaft nur √bediengter_\\_bedingter⌡ Weise zu billigen. Der
Trieb des Lebens muß ⌠muß aber⌡ aus Ueberlegung kommen, den oft
lebt einer sich selbst zur Schande. Wenn einem Menschen durch
höhere Hand die Wahl sollte gelaßen werden, ob er lieber in alle
Ewigkeit hier leben wollte, aber so daß er
/Seite_479
/├denn┤ auch leben √müste_\\_müßte⌡ und auch allem √Schick-
sal_\\_Schicksaal⌡ unterworfen √wäre_\\_ware⌡, und Glück und Unglück zu
erwarten hätte, oder ob er so sterben wolle⌠,⌡ wie es jetzt
geschicht, so würde ein jeder vor dem
⌠Seite 444⌡
unabsehlichen Ende zu leben erschrecken√._\\_;⌡ Dies war in so ferne
einige Leidenschaften ansehnlich und ehrwürdig sind.
Auf der andern Seite zeigt der Mensch im Affect größere Stärcke,
und ist in dem Zustande von mehr Gewicht und Macht, als wenn er im
kalten Blute ist. Z. E. im Zorn hat der Mensch immer mehr
Nachdruck, und ist auch in einigen Stücken wohlanständig. Solche
Affecten haben was angenehmes an sich, wenn man an ihrem Rande
ist, so daß man mit dem einen Fuß im Affect ist, aber mit dem
√andern_\\_Andern⌡ nicht, so gar in der Traurigkeit, denn die
√Grentzscheidung_\\_Grenzscheidung⌡ hat das an sich⌠,⌡
/Seite_480
/daß ich die wechselseitige Empfindung kann spielen laßen, und
wenn ich sehe, daß es √auf_\\_aus⌡ der
⌠Seite 445⌡
einen Seite für mich nachtheilig ist, so kann ich √gleich den
Fuß_\\_den Fuß gleich⌡ zurückziehen Z. E. in der Tragoedie. Wer
√nun_\\_aber⌡ zürnt├,┤ ist am Rande des Affects, wer aber aufgebracht
ist, der ist schon im Affect. Wer nicht zürnen kann, kann nur
wenig affectuiren. Der Zorn hat also im wackeren Gemüth etwas
erhabenes an sich Z. E. im Cato. So scheint es auch in andern
Affecten zu seyn, daß sie in diesem Moment d.h. in ihrem Anfange
mit den Grundsätzen zusammen stimmen können, und ohne Ueberlegung
der Vernunft Nachdruck geben. Jn der Freundschaft muß man es nicht
bis zum Affect kommen laßen, denn sonst wird man dadurch von dem
andern, gegen den man sie hegt, regiert, und von ihm zuletzt
/Seite_481
/in all sein Unglück mit gezogen├,┤ aber das Moment der Freund-
schaft ist gut√,_\\_;⌡ man muß nur immer auf
⌠Seite 446⌡
der √Grentze_\\_Grenze⌡ seyn, daß man ├«ih¿»┤ immer im Stande ist,
sich √zurückzuziehen_\\_zurück zuziehen⌡. Es ist also ein zwischen
Zustand zwischen den Affecten und dem kalten Blute. Der Zustand
des kalten √Blutes_\\_Bluts⌡ ist der Zustand der Ueberlegung und
Erwegung des Gegenstandes durch die Vernunft, denn fehlt aber die-
ser kalten Ueberzeugung eine Triebfeder├,┤ die ihr Nachdruck
giebt. Diese Triebfeder ist Affect und Leidenschaft, sie muß aber
unter der Direction der Vernunft stehen, daß sie im Moment
erhalten werde, denn wenn sie einmal loß geht, so kann man sie
nicht mehr aufhalten. Dieses nennt man das pathetische, wenn man
nur am Rande des Affects ist Z. E.
/Seite_482
/wenn in einer Rede nur ein √Moment_\\_Monent⌡ des Affects ist, deßen
Rede ist pathetisch, wer aber im Affect ist, der kann gar nicht
√Reden_\\_reden⌡, ist er wieder im kalten
⌠Seite 447⌡
Blute, so fehlt ihm der Nachdruck, aber im √Moment_\\_Moment⌡ des
Affects ists pathetisch.
Frage: Ob die Affecten und Leidenschaften gut sind, ob man sie
also √befordern_\\_befördern⌡ oder √dämpfen_\\_dampfen⌡ müße√._\\_?⌡ Man
muß hier 2 Stücke von einander unterscheiden: √Ob_\\_ob⌡ die
Leidenschaften zur großen Ordnung der Natur gehören, oder ob sie
zur Ordnung der Regel der Vernunft gehören? Die erste Frage wird
beiahet, die andere verneinet. Denn nach der Ordnung der Vernunft
ist der Mensch erstlich ein Tier. Die Thierheit ist die Basis. Als
Thier lebt er, erhält sich selbst und seine Art, er ist aber
/Seite_483
/auch eine √Intelligenz_\\_Intelligentz⌡ oder ein Mensch⌠,⌡ und da bedient er sich
der Vernunft nach überlegten Mitteln seinen Zweck zu erreichen.
Zur Thierheit gehören nothwendig die Affecten und Leidenschaften.
Nach der Ordnung der Natur muß also der Mensch mit Affecten
⌠Seite 448⌡
und Leidenschaften ausgerüstet seyn, der Vernunft sind aber die
Affecten und die Leidenschaften entgegen, denn ehe der Mensch zur
Vernunft kommt, vertreten die Affecten und Leidenschaften die
Stelle der Vernunft, wenn er aber zur Vernunft gekommen ist├,┤ so
sollen sie durch dieselbe gebändigt werden. So ist Z. E. der Geitz
der Ordnung der Natur √gemäß_\\_gemäs⌡, denn die Natur will haben├,┤
daß das Thier nicht für sich allein sorgen soll, sondern
/Seite_484
/daß es auch├,┤ wenn es stirbt etwas für die Nachkommenschaft
zurücklaße, damit es denen leichter werde. Also ist in der Natur
ein Hang im Alter zu kargen. Allein die Vernunft gebietet dieser
Neigung zu wiederstreiten und nur nach Absicht zu sparen. Also ist
etwas nach der Ordnung der Natur in so ferne wir als Thiere re-
giert werden, gut, welches aber nicht gut ist, in √soferne_\\_so
ferne⌡ wir als Menschen
⌠Seite 449⌡
durch die Vernunft uns regieren laßen. So ist es mit allen
Affecten √und Leidenschaften_\\_<und Leidenschaften⌡ bewandt.
Affecten und Leidenschaften sind Mittel in der Thierheit unsere
Kräfte anzustrengen, und vertreten die Stelle der Ueberlegung, so
ist Z. E. der Zorn eine Vertheidigungs Kraft, ist aber schon die
Vernunft da, so giebt sie andere Mittel an
/Seite_485
/die Hand. So ferne also in der Natur etwas hat provisorie liegen
müßen, auf den Fall wenn die Vernunft nicht aufgekläret wäre, und
der Mensch als ein Thier hätte leben müßen; in so ferne ist es gut
und stimmt mit der Ordnung der Natur überein; so bald aber die
Vernunft herrscht, so sind wir nicht berechtiget dasjenige├,┤ was
bey der Thierheit eine Triebfeder war, auch als eine Triebfeder
bey der Vernunft zu gebrauchen, als Menschen leben wir nach
⌠Seite 450⌡
der Vernunft, demnach sollen wir durch die Maximen der Vernunft
die Triebfeder der Thierheit einzuschräncken und keine Neigung
ausarten zu laßen, suchen. Die Leidenschaften √gründen_\\_Gründen⌡
sich auf die Gemüths Art der Menschen, und √wählen_\\_wahlen⌡ sich
ein Object nach der Beschaffenheit des
/Seite_486
/Gemüths. Die Leidenschaften sind eher als die Objecte derselben,
der Mensch hat eher einen Hang zur Ehre├,┤ als er ein Object
√der_\\_zur⌡ Ehre hat. Nun ⌠¿⌡ wählt sich der Mensch ein Object zu
seinen Leidenschaften nach der Beschaffenheit seines Gemüths. So
sind die zornigen sehr ehrbegierig, sie wählen die Ehrbegierde
darum, weil ihre Gemüths Art rasch und würcksam ist. Die Ehre ist
ein Object in der Jdee, sie reitzt ohne Empfindung, wer Ehre hat,
der genießt dadurch nichts. Daher nennt man auch die Ehre einen
Wahn, einen Dunst; der aber durch eine Jdee├,┤
⌠Seite 451⌡
durch einen Dunst wozu bewegt wird, der muß √reizbarer_\\_reitzbarer⌡
seyn als der, der durch etwas sinnliches bewegt wird. Die Choleri-
ker haben also
/Seite_487
/mehr Hang zur Ehre, der √phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ aber, der
träg ist, der nicht solche Reitzbarkeit hat, der muß was anderes
zum Object seiner Leidenschaft haben Z. E. Geitz, Wollust,
Fräßigkeit. Also wählt der Mensch zum Object seiner Leidenschaft
das, √wozu_\\_wobey⌡ er sich am besten befindet. Enge und
eingeschränckte Gemüther sind geitzig, weil ihr Kopf nicht großer
Entwürfe fähig ist, die aber deßen fähig sind, gehen mehr auf die
Ehre. Selbstsüchtige sind neidisch, denn das Selbstbewustseyn
seiner Schwäche macht die Furcht von andern überwogen zu werden,
daher entspringt der Neid aus Furcht von andern übertroffen zu
werden. Neid und Schadenfreude nennt man Bosheit├.┤ Personen
⌠Seite 452⌡
die selbst keine Freude haben├,┤
/Seite_488
/besitzen Schadenfreude. Wer in sich einen Qvell der Freude
findet, der sieht die Freude an jedermann gerne, wer aber selbst
keine genießt⌠,⌡ der √ärgert_\\_argert⌡ sich, wenn sie ein anderer
hat. Leidet der andere an seiner Freude einen Schaden, √dann_\\_denn⌡
freut sich dieser, so wie ein hypochondrischer Mensch├,┤ der gantz
finster den Tag über aussieht, es lieber hat, daß das Wetter
√draußen_\\_draussen⌡ eben so finster und trübe ist. Wenn es aber ein
heiterer √schoner_\\_schöner⌡ Tag ist, so ärgert er sich, weil er ihn
nicht √genießen_\\_genüßen⌡ kann, es ist ebenso, als wenn einer vor
ihm stehen├,┤ und lachen sollte, wenn er betrübt ist. So sagt man:
der unglückliche ist boshaft, denn weil er an dem Glück des andern
keinen Antheil hat, so dient er ihm zur Verspottung und größerer
Empfindung seines Unglücks,
/Seite_489
/dahero ist er neidisch und
⌠Seite 453⌡
schadenfroh, folglich zu fürchten. Man pflegt einige
Leidenschaften nicht vom Zweck, sondern von den Mitteln zu
benennen, unter denen ist der Geitz die √einzige_\\_eintzige⌡
Leidenschaft die gar keinen Zweck, gar keinen Gegenstand hat,
sondern nur bloß auf ein Mittel geht. Dahero ist auch der Geitz
wiedersinnig, weil er sich selbst wiederspricht. Wer Geld
√spart_\\_spaart⌡, um es hernach anzuwenden, um sich
√hervorzuthun_\\_hervor zu thun⌡, oder um anderer Zwecke willen, der
ist nicht Geitzig, sondern der, welcher ohne allen Zweck spart.
Hier kann man philosophische Untersuchungen anstellen, wie der
Geitz möglich ist. Niemals hat ein Moralist oder ├ein┤ Prediger
einen √Geitzigen_\\_geitzigen⌡ gebeßert, man kann ihm wohl was
abdringen⌠,⌡ aber denn ist auch gleich wieder der Geitz da. Hier
/Seite_490
/√hilft_\\_hielft⌡ die Vernunft nichts├,┤ weil er sich selbst
wiederstreitet. Der
⌠Seite 454⌡
Werth des Menschen ist aber sehr gering, wenn er nur als ein
Mittel dient, der Mensch ist kein Mittel sondern der Zweck, zum
Menschen kann man nicht sagen: Warum ist der Mensch da? Denn es
ist an und für sich selbst gut, daß ein Mensch sey. Also ist das
eine große Erniedrigung⌠,⌡ daß ein Mensch als ein Mittel für an-
dere Menschen da sey, obgleich dieses der Zweck der Vorsehung ist,
daß der √Geizige_\\_Geitzige⌡ für seine Nachkommen spart, daher der
Geitz das unedelste Laster ist. Also müßen die Leidenschaften
nicht nach den Mitteln⌠,⌡ sondern nach den Zwecken benannt werden.
Die natürliche Disposition und Hang zu den Leidenschaften muß von
denen Ursachen├,┤ von welchen die Leidenschaften erregt
/Seite_491
/wird├,┤ √unterscheiden_\\_unterschieden⌡ werden. Es giebt einige
natürliche einige gekün-
⌠Seite 455⌡
stelte oder wiedernatürliche Ursachen, so die Leidenschaften
erregen. So erregt natürlich die Gegenwart eines andern bey den
Beleidigungen meiner Ehre bey mir die Leidenschaft des Zorns, ich
würde das nicht so aufgenommen haben, wenn keiner ├nicht┤
√zugegen_\\_zu Gegen⌡ gewesen wäre. Zu den wiedernatürlichen Ursachen
gehört Z. E. der Trunck. Er macht die Leidenschaften rege, und
erhebt die Neigung √der_\\_zur⌡ Leidenschaft. So sind viele im
Trunckenen Muthe trotzig, muthig und dreist. So nehmen die ⌠die⌡
Türcken Opium im Kriege, damit sie √muthig_\\_müthig⌡ und kühn
werden√,_\\_.⌡ So können auch Leidenschaften der Liebe durch
√@¿Filtrium¿@_\\_filtrum⌡ rege gemacht werden. So können Medicamente
seyn,
/Seite_492
/die einige Leidenschaften rege machen, und auch mäßigen können.
So sagt √Bringmann_\\_Bringmann⌡, wer Säure im Magen hat, der ist ein
Poltron. Wer weiß also,
⌠Seite 456⌡
wo die Ursache oft liegen mag. So wird ein General, wenn ihn die
Nachricht von einer Schlacht im Schlafrock antrift⌠,⌡ sich nicht
so rüstig dazu finden, als in seiner völligen Montur. So wundern
sich die √hypochondrische_\\_Hypochondrischen⌡ Leute über sich
selbst, daß sie solche Einbildungen hatten, wenn die Hypochondrie
weg ist. Es giebt also viele Ursachen Leidenschaften zu erregen.
So kann auch ein √Unterschied_\\_Unterscheid⌡ der Leidenschaften in
Ansehung des Alters und des Geschlechts gemacht werden. Das Mittel
Alter oder das Alter des Mannes ist das Alter der Klugheit, wo man
den Werth
/Seite_493
/der Dinge nicht √schatzen_\\_schätzen⌡ kann. Dieses Alter kann man
vom 30sten bis ├zum┤ 40sten Jahre annehmen. Man kann gewiß
glauben, daß vor dem 40sten Jahre schwerlich ein richtiges Urtheil
statt finde. Das Urtheil über den wahren Werth der Dinge, über das
schickliche p. findet
sich
⌠Seite 457⌡
weder im hohen noch im iungen Alter. Dennoch mögen sich iunge
Leute nicht gerne von den alten Leuten in ihrer Heurath binden
laßen. Die Eltern haben schon den Zustand des
√Verliebten_\\_verliebten⌡ vergeßen, daher sie gar nicht begreifen
können, wie ein Mensch wegen eines schönen Gesichts auf Reichthum
Verzicht thut├,┤ und der √junge_\\_iunge⌡ Mensch kann wieder nicht
begreifen, wie er das Geld dem √Reiz_\\_Reitz⌡ vorziehen soll. Also
muß doch ein Mittel Alter statt finden, wo sich beides
/Seite_494
/vereinigt, wozu noch die iugendliche Empfindung, die aber nicht
so gantz verloschen ist⌠,⌡ als im hohen Alter, aber auch nicht so
wütend ist als in der Jugend ⌠ist⌡, und denn die Urtheilskraft
gehöret, die sich erst mit den Jahren einfindet, wozu also nicht
ein großer Grad der Vernunft erfordert wird, denn die kann
⌠Seite 458⌡
ein junger Mensch auch haben, sondern eine reife Erfahrung und
Urtheilskraft die man in der Jugend noch nicht hat. Es gibt also
ein Mittel Alter, in welchem man den Werth der Dinge recht zu
schätzen √weis_\\_weiß⌡. Denn es giebt √Thorheiten_\\_thorheiten⌡ der
Jugend, so wie es Narrheiten des Alters giebt. Der Unterschied in
Ansehung des Geschlechts ist√;_\\_:⌡ beym weiblichen Geschlecht sind
die Affecten weit heftiger, aber sie dringen nicht so weit ein,
/Seite_495
/dahero ein Weib, wenn sie noch so zornig ist, daß sie das gantze
Haus umgekehret hat, doch nicht vor Zorn kranck wird. So ist die
Traurigkeit bey ihnen sehr heftig, aber sie wird bald ├bey ihnen┤
ausgelöscht. Beym Mann ist der Zorn schon viel todtlicher, und
wenn er auch nicht traurig ist, so fühlt er den Schmertz mehr in
der Seele. Die Natur hat die Maschiene des Frauenszimmers sehr
biegsam eingerichtet, es geschiehet
⌠Seite 459⌡
alles bey ihnen nur bey der Oberfläche. Denn die Heftigkeit der
Leidenschaften fordert Stärcke, dahero starcke Personen die
Zufälle in einer Kranckheit heftiger empfinden, als die schwachen.
Denn wo die √Lebens Kraft_\\_Lebenskraft⌡ schwach ist, da wird auch
die unregelmäßige Bewegung nicht
/Seite_496
/mit solcher Kraft geschehen. Schon die Alten sagten: die Weiber
verfallen leicht worauf, und sie werden auch bald etwas
überdrüßig. Es bemächtiget sich bald ihrer etwas. Finden sie
Schwierigkeit den Gegenstand zu erlangen, so werden sie
neugieriger und heftiger├,┤ haben sie aber keine Schwierigkeit ihn
zu erlangen, so werden sie deßen bald überdrüßig. Es ist eine all-
gemeine Meinung, daß ohne große Leidenschaften niemals was großes
in der Welt ausgeführet werden kann, daß sie also die Triebfedern
der großen Handlungen
⌠Seite 460⌡
sind├,┤ welches diejenigen anführen, so die Leidenschaften
vertheidigen, und also haben wollen, daß sie gar nicht unterdrückt
werden möchten. Es ist wahr⌠,⌡
/Seite_497
/große Leidenschaften spielen große Rollen in der Welt. Sie machen
Revolutionen und einen Bruch durch den alten Wahn und verkehrten
Zustand. Allein √obgleich_\\_ob gleich⌡ sie zur Revolution taugen, so
dienen sie doch nicht zur Anordnung. Sie müßen also einen über
sich haben, der Kalt Blut hat sie zu regieren, oder der ihnen
√nachbeßert_\\_nach beßert⌡; sonst können sie ein noch größeres
Unglück machen. Wir können √also_\\_<also>⌡ den Leidenschaften an und
für sich selbst einen Werth geben, der Mensch hat aber keine Ehre
davon, wenn er Leidenschaften hat, denn sie liegen in der
Thierheit. Es ist also die Regel der Weisheit und Klugheit die
Leidenschaften im Gemüth nicht zu dulden,
⌠Seite 461⌡
sondern das Gemüth wacker zu erhalten, weil sie außer Stand
setzen⌠.⌡
/Seite_498
/Ueberlegungen anzustellen, und nach der Vorschrift der Vernunft
zum Zweck zu gelangen. Wir können aber dadurch die Wircksamkeit
der Vernunft √befordern_\\_befördern⌡, und sie mit ihr verbinden,
aber nicht herrschen laßen.
Die Empfindungen des Menschen erfordern √Cultur_\\_Cultur⌡ und die
Neigungen eine Disciplin. Die Empfindungen sollen verfeinert und
die Neigungen gebändiget werden. Deßen Empfindungen keine Cultur
bekommen haben, der ist roh, und deßen Empfindungen keine Cultur
annehmen, der ist grob, daher Menschen├,┤ die roh sind, √des
wegen_\\_deswegen⌡ noch nicht grob sind. Sie sind roh, weil ihre
Empfindungen noch keine Cultur bekommen haben. Es √gehöret_\\_gehört⌡
dazu eine feine Empfindung Z. E. die Pflicht der Danckbarkeit zu
/Seite_499
/fühlen, oder das un-
⌠Seite 462⌡
anständige über seinen Freund zu zürnen zu empfinden├,┤ und die
vorige Freundschaft die zuletzt unterbrochen ist dennoch hoch zu
halten.
Aus der gar zu großen Verfeinerung der Empfindungen entsteht die
Galanterie und der √Ehrenpunct_\\_Ehren Punckt⌡. Point d'honneur. Die
√Galanterie_\\_Galanterie⌡ ist die ausstudirte
√Hoflichkeit_\\_Höflichkeit⌡, nach der man alles bemerckt was einem
im mindesten schmeicheln, und was der delicateste Sinn empfinden
kann. Jn Ansehung dieser Subtilitaet ist das Frauenzimmer
empfindlich, aber der Mann soll √empfindsam_\\_Empfindsam⌡ seyn.
Empfindsam ist aber hier die feine Urtheils Kraft in Ansehung des
subtilesten Gegenstandes das angenehme beym Frauenzimmer zu
empfinden├,┤ und alles unangenehme zu ersparen├,┤ und
/Seite_500
/in den √kleinsten_\\_kleinesten⌡ Eindrücken sehr delicat
⌠Seite 463⌡
zu seyn. Die Empfindlichkeit des Frauenszimmers aber ist: alle
diese Delicatesse √wahr zunehmen_\\_wahrzunehmen⌡, und die geringste
Unterlaßung der Gefließenheit die √delicatesse_\\_Delicatesse⌡ √zu
beobachten_\\_wahrzunehmen⌡. Die Empfindsamkeit oder die Galanterie
stimmt mit der √Grosmuth_\\_Großmuth⌡ eines Mannes wohl √über
ein_\\_überein⌡, so wie die Empfindlichkeit des Frauenszimmers mit
ihrem Geschlecht wohl übereinkommt. In dem Spiel der
√Galanterie_\\_Galanterie⌡ ist große Kunst, wozu viel Zeit erfordert
wird. Der Ehrenpunckt ist die übermäßige Verfeinerung in Ansehung
der Ehre⌠,⌡ die wir einem √andern_\\_Andern⌡ zu erzeigen schuldig
sind. Jetzt ist das Point d'honneur mehr mit Eigennutz als mit
Ehrbegierde verknüpft.
/Seite_501
/Die Ehrbegierde war in den alten Zeiten sehr mächtig, allein die
Subtilitaet war gantz unbekannt d.h. was wir Point d'honneur
nennen. Diese
⌠Seite 464⌡
√sophisterey_\\_Sophisterey⌡ so in subtilen Bemerckungen der Ehre
besteht, und Point d'honneur heißt, ist nicht die wahre Ehre├,┤ Z.
E. wenn mich der andere nicht auf dem Mittelstein gehen läßt, oder
zur rechten Hand, oder durch einen kleinen Ausdruck meine Ehre be-
leidiget, dieses alles ist kein Grund der Beleidigung. Diese
Delicatesse in Ansehung der Bedingung der Ehre ist chimaerisch├,┤
und die Satisfaction ihrer Beleidigung ist eben so chimaerisch.
Oft ist ein √tolpischer_\\_tölpischer⌡ Mensch der sonst auf keine innere
√wahre_\\_<wahre>⌡ Ehre hält, aber in den renomistischen Thaten
seinen Ruhm sucht, in Ansehung
/Seite_502
/der √Verlezzung_\\_Verletzung⌡ des √Points_\\_Point⌡ d'honneur sehr
delicat, und sucht sich gleich Satisfaction zu verschaffen. Jn-
deßen ist doch etwas gegründetes darunter. Es hängen also 2
Stücke⌠,⌡ die √Galanterie_\\_Galanterie⌡ und das Point d'honneur
zusammen
⌠Seite 465⌡
und sind die zwey Triebfedern, und zwar die
√Galanterie_\\_Galanterie⌡ unserer Empfindung in Ansehung des
Frauenzimmers und das point d'honneur in Ansehung unserer
unter einander zu verfeinern. Sie dienen als Mittel eine gewiße
Feinheit zu erhalten, und im Umgange √iede_\\_jede⌡ Grobheit auf der
Stelle zu bestrafen.
So wie die √Cultur_\\_Cultur⌡ auf die Empfindung geht, so geht die
Disciplin auf die Neigungen. Deßen Neigungen keine Disciplin
bekommen haben, der ist ungezogen, deßen
/Seite_503
/Neigungen ⌠aber⌡ keine Disciplin annehmen, der ist wild√; der_\\_. Der⌡ Mensch muß in Ansehung der √Neigung_\\_Neigungen⌡
gebändigt, so wie in Ansehung der Empfindungen verfeinert werden.
Die Sittsamkeit⌠,⌡ so man in der Gesellschaft beobachtet, kommt
nicht von selbst und von ohngefehr, sondern es muß viel Zeit
⌠Seite 466⌡
darauf gehen, daß unsere natürliche Wildheit gebändigt werden
könnte, bis wir zur Sittsamkeit gelangen.
Jn Ansehung der Handlungen der Menschen, der Neigung und
Abweichung zu handeln und zu thun, können wir anführen die
Trägheit und Nachläßigkeit. Die Trägheit ist der
√Lebhaftigkeit_\\_lebhaftigkeit⌡ entgegen gesetzt, und die
√Nachlaßigkeit_\\_Nachläßigkeit⌡ der Emsigkeit. Ein lebhafter kann
auch √nachlaßig_\\_nachläßig⌡ seyn├,┤ aber
/Seite_504
/nicht träge.
Wir nennen einige Menschen in Ansehung gewißer Handlungen
leichtsinnig. Dieser Leichtsinn ist entweder Unbedachtsamkeit oder
Unbesonnenheit. Die Unbedachtsamkeit ist, wenn der Leichtsinn sich
in Ansehung der √Entschlüßung_\\_Entschließung⌡ und Ueberlegung des
√Verstündes_\\_Verstandes⌡ äußert. Unbesonnenheit aber ist, wenn
√mann_\\_man⌡ in Ansehung seiner Handlungen nicht einmahl seine
⌠Seite 467⌡
Sinnen braucht Z. E. wenn man wo läuft und gar nicht hinsieht, daß
man fallen kann. Die √F«¿»latterhaftigkeit_\\_Flatterhaftigkeit⌡ ist
ein Leichtsinn in Ansehung der Empfindung. Flatterhafte Personen
bringt man so weit, daß sie Trähnen vergießen, aber es dauret
nicht lange⌠,⌡ so haben sie es vergeßen.
Alle dem ist entgegen gesetzt die
/Seite_505
/Standhaftigkeit, die darinn besteht, daß man von seinem Vorsatz
nicht abweicht, und auf seiner Entschließung fest beharret. Es ist
nöthig Festigkeit in seinen √Entschießungen_\\_Entschlüßungen⌡ zu ha-
ben, und nicht von seinem Vorsatz ├abzugehen, und lieber den
Nachtheil erdulden, als den Vorsatz┤ fahren laßen. Alsdenn weiß
der Mensch gewiß, daß er sich was vornimmt. Wer aber darinn nicht
standhaft ist, der faßt oft einen Vorsatz, von dem er gewiß weiß,
daß nichts daraus wird, weil er √wei«¿»ß_\\_weiß⌡, daß er ⌠schon⌡ oft
Vorsätze gebrochen hat. Als denn ist der Mensch ein Windbeutel in
seinen Au-
⌠Seite 468⌡
gen⌠,⌡ er traut sich selbst nichts mehr zu, daraus entspringt die
Hofnungslosigkeit. Das ist ein trostloser Zustand, wenn man seine
Hofnung immer √Aufschiebt_\\_aufschiebt⌡. So gehts mit den späten
/Seite_506
/Bekehrungen. So gehts mit √anderen_\\_andern⌡ Sachen, die man sich
abgewöhnen will Z. E. das späte Schlafen, denn heißt es immer├,┤
nur noch dieses einzige mahl├,┤ aber denn nicht mehr⌠,⌡ und so
√Philosophirt_\\_philosophirt⌡ man sich wieder von seinem Vornehmen
loß. Jn solchem Zustande hat man niemals Hofnung sich zu beßern;
dies ist ein wichtiger √Punckt_\\_Punct⌡ in der √Moral_\\_Moral⌡. Man
muß dahero sich selbst eben so püncktlich das Wort zu halten
suchen, als andern. Daraus entspringt ein festes Zutrauen zu uns
selbst. Wer sich so einzurichten weiß, daß er mit sich selbst
zufrieden seyn kann, der ist √standhaft_\\_Standhaft⌡.
⌠Seite 469⌡
≥Pars II. Antropologiae≤
Nachdem wir in dem allgemeinen Theil den Menschen nach seinen Seelenkräften und Vermögen kennen gelernt haben,/Seite_507
/so müßen wir nun im √besonderen_\\_besondern⌡ Theil die Kenntnis des
Menschen anzuwenden suchen, und von derselben Gebrauch machen. Wir
betrachten also hier die menschlichen Bestimmungen in
√verknüpfung_\\_Verknüpfung⌡, und erwegen den Begrif, √den_\\_denn⌡ man
sich vom Menschen macht, oder das unterscheidende der Menschen in
Ansehung anderer. Hier können wir ihn in Ansehung seines ├Cörpers
und in Ansehung seines┤ Gemüths betrachten. Jn Ansehung seines
Cörpers √können_\\_konnen⌡ wir sehen auf die Figur und Gestalt des
Cörpers, welches wir aber hier bey Seite setzen, besonders aber
können wir hier beym √Körper_\\_Cörper⌡ erwegen die Constitution,
Complexion und ⌠das⌡ Temperament.
⌠Seite 470⌡
Was die Constitution anbetrift, so ist dies die Beschaffenheit der
festen Theile, das
/Seite_508
/Bauwerck, die Constitution des Cörpers, die Complexion aber
betrift die Mixtur der √flüßigen_\\_fließigen⌡ Theile. Das
Temperament betrift das √Prin«p»cipium_\\_Principium⌡ des Lebens, so
ferne es eine Verbindung √sowohl_\\_so wohl⌡ der Constitution als
Complexion ist, sowohl in Ansehung der flüßigen als festen Theile,
so ferne sie mechanische Kräfte ausmachen. Das Principium des
Lebens in Ansehung des Cörpers sind die Nerwen, Muskeln und
Fasern. Was die Constitution √an«¿»betrift,_\\_anbetrift⌡ so ist der
Mensch entweder von starcker oder von schwacher Constitution. Die
Constitution beruht nicht auf die Größe, sondern auf die
Festigkeit der Nerven und Fasern. Die Complexion bedeutet mehr die
Mischung der flüßigen Theile im Cörper. Wenn ich also nach dem
/Seite_509
/Principio des Lebens frage, so
⌠Seite 471⌡
finde ich es in den festen und flüßigen Theilen. Die Möglichkeit
ein belebtes Wesen zu seyn ist die erste Condition├,┤ die Triebfe-
der muß in den festen Theilen gesucht werden. Keine innere
Bewegung der festen Theile ist möglich ohne Trennung⌠,⌡ aber bey
den flüßigen Theilen ist eine Bewegung ohne Trennung möglich. Also
sind die flüßigen Theile, ob sie gleich ihre Stelle
√verandern_\\_verändern⌡, im Zusammenhange. Das Vehiculum aber, die
erste bewegende Kraft der festen Theile oder vielmehr das
Werckzeug der Lebensbewegung kann nur das flüßige seyn. Die Medici
wißen noch nicht, ob die Kranckheiten in den flüßigen oder festen
├«Kranck-»┤ Theilen zu setzen oder zu suchen sind. Das Temperament
ist das vereinigte √principium_\\_Principium⌡
/Seite_510
/des Lebens aus der Constitution und Complexion; hier wird das
Temperament im √physischen_\\_phisischen⌡ Verstande genommen, und
nicht im psycho-
⌠Seite 472⌡
logischen├,┤ wo das Gemüth gar nicht Reflexion kommt. Das
Temperament ist verschieden├,┤ in Ansehung der festen ⌠Theile, und
auch verschieden in Ansehung der flüßigen⌡ Theile Z. E. wenn die
Muskeln weich und biegsam sind, und die Nerwen Leichtigkeit der
Bewegung haben, so √konnte_\\_könnte⌡ ein solcher sangvinisch heißen. Also
bloß aus der Bewegung und aus der √Strucktur_\\_Structur⌡ der Theile,
so man schon durchs Gefühl wahrnehmen kann├,┤ √konnte_\\_könntr⌡ man etwas
aufs Temperament schließen. So schließen die √Aerzte_\\_Aertzte⌡ aus
dem flüßigen Z. E. aus dem Blut aufs Temperament.
Wir theilen bey dem Menschen alles
/Seite_511
/ein in Natur und Freiheit. Zur Natur rechnen wir Naturell├,┤
Talent und Temperament├,┤ zur Freiheit aber Gemüth, Hertz und
Charackter. Wegen der Natur kann mir etwas am Menschen
misfallen├,┤ aber ich kanns ihm nicht zur Schuld anrechnen.
⌠Seite 473⌡
Wenn in Ansehung der Natur alles gut ist, denn nennen wir es
glücklich. Was in Ansehung der Freiheit √misfällt,_\\_mißfällt⌡ das
wird dem Menschen zur Schuld angerechnet. Wenn in Ansehung der
Freiheit alles gut ist, √dann_\\_denn⌡ nennt man es die Gutartigkeit.
Obgleich das Gemüth und das Hertz nicht so auf der Freiheit
beruht, als der Charackter der Menschen, wir aber auch nicht
wißen, wie viel in Ansehung ihrer Bonitaet auf die Natur des
Menschen, und auf die Freiheit zu rechnen sey, so sehen
/Seite_512
/wir alles an, als wenn es der Freiheit ⌠beyzumeßen sey und bil-
ligen oder misbilligen es. Was zur Freiheit⌡ gehört, das gehört
unmittelbar zur innern Bonitaet des Menschen, √und_\\_«ist»<und>⌡ ist
an sich gut oder böse. Was aber zur Natur gehört├,┤
√gefallt_\\_gefällt⌡ nicht unmittelbar⌠,⌡ sondern als ein Instrument,
das noch ├«da»┤ wozu kann
⌠Seite 474⌡
√angewendet_\\_angewandt⌡ werden.
Jn Ansehung des Gemüths können wir die Principia der Thätigkeit
eintheilen⌠,⌡ in das √Naturel_\\_Naturell⌡, Talent, und Temperament.
Das Naturell ist die Fähigkeit der Receptivitaet gewiße
Gegenstände zu empfangen. Naturell gehört also zur Fähigkeit.
Talent ist √ein_\\_1.⌡ Vermögen Producte hervorzubringen, es gehört
also zur Kraft. Temperament ist die Vereinigung von beyden. Jn
Ansehung des Naturells nennt man einen Menschen langsam,
/Seite_513
/gelehrig, gelind, in Ansehung des Naturells *1 wird beym Lehrling
erfordert, Talent aber beym Lehrer. Ein Jüngling muß Naturell
haben, Producte anzunehmen, aber ein Mann muß Talent haben, selbst
formen, um Producte hervorzubringen. So hat man ein Naturell zur
Music├,┤ zu Gedächtnis Sachen, zu √Witzes_\\_witzes⌡ Sachen. Die-
am Rand ab Z. 14
~*1 ist er √Passiv_\\_passiv⌡. Naturell~
⌠Seite 475⌡
ses Naturell kann √stattfinden_\\_statt finden⌡ ohne Talent√,_\\_;⌡ so
giebts Nationen, die nur fähige Schüler sind, ohne selbst was
hervorzubringen. Was das Talent anbetrift├,┤ so giebt es Z. E. ein
Talent der Erkenntnis zur Beobachtung zur genauen und feinen
Wahrnehmung, ferner ein Talent des Muthes, des gegenwärtigen
Geistes, ein Talent der Entschließung, des behenden Begrifs. So
haben
/Seite_514
/viele einen großen Verstand, aber keinen behenden Begrif. So
giebts auch ein Talent der behenden Resolution, solche Personen
sind entschloßen. Dieses Talent ist ein Talent der Dreistigkeit,
nach welchem man die Urtheile anderer gar nicht scheut, aber in
Ansehung derselben sehr empfindsam ist, welches ein √ieder_\\_jeder⌡
ehrliebende seyn muß, aber nicht empfindlich, denn der ist in
Ansehung der
⌠Seite 476⌡
Urtheile anderer schüchtern. Es giebt also allerley Talente, die
auch die Bedingung unserer thätigen Kräfte sind. So giebts beym
Redner viele Talente Z. E. die √Naivitaet_\\_Naivitaet,⌡ wo man
√Gedanckenvoll_\\_gedanckenvoll,⌡ √Gefühlvoll_\\_gefühlvoll⌡ auch
√Geschmackvoll_\\_geschmackvoll⌡ seyn kann, nach der Einfalt der
Natur ohne Kunst. Wenn die Natur als Kunst erscheint├,┤ so werden
wir jederzeit frappirt, und
/Seite_515
/vergnügen uns daran, aber wenns umgekehrt ist, daß die Kunst als
Natur erscheint, so gefält es noch mehr. Daher solche Gedancken
und Reden├,┤ die doch Kunst sind, aber so erscheinen, als wenn sie
natürlich von selbst gefloßen wären, sehr vergnügen. Dieses Talent
ist zwar natürlich, es kann sich keiner geben, aber es muß auch
sehr cultivirt werden. Voltaire ist hierinn Meister, welches auch
sein einziger Werth
⌠Seite 477⌡
ist. Sein spottender Witz kommt so einfältig hervorgerollt⌠,⌡ als
wenn er gar nicht daran gedacht hat. Das Temperament beruht auf
der √Vereinbarung_\\_Vereinbahrung⌡ des Naturells und der Talente, auf dem
pracktischen Vermögen und der Triebfeder des Gemüths in Ansehung
des Naturells und Talents. Das Temperament ist freilich nur der
sinnliche Gebrauch
/Seite_516
/der Vermögen und Fähigkeiten des Gemüths. Das Temperament kann in
Ansehung des Gemüths und √Talents_\\_Talents⌡ sehr unterschieden seyn
Z. E. wer seinem Naturell nach empfindlich ist, seinem Talent nach
aber Stärcke und Unerschrockenheit besitzet, der ist
√Cholerisch_\\_cholerisch⌡. Wer aber dem Naturell nach in Ansehung
der Uebel des Lebens empfindlich ist, wer starcke Eindrücke von
den √Uebeln_\\_Ueblen⌡ des Lebens √bekommt_\\_bekommet⌡, und
⌠Seite 478⌡
√von_\\_vo«n»m⌡ √schwermüthigen_\\_schwermüthigem⌡ Naturell ist, aber dem Talent
nach keine Hofnung hat, keinen Muth faßt, der ist melancholisch⌠,⌡
er wird durch die Uebel des Lebens √gekränckt_\\_gekranckt⌡, da der
√Cholerische_\\_cholerische⌡ aufgebracht wird. Der
√Cholerische_\\_cholerische⌡ ist aber in Ansehung der Uebel
durchtrieben und kann sich mit paradisischen Hofnungen abspeisen,
er hat
/Seite_517
/das Talent nach seinem Vergnügen sehr
√willkührliche_\\_willkührlich⌡ Einbildungen zu machen, es geht also
eine Illusion bey ihm vor, er betrügt sich selbst. Also macht das
Naturell √durch_\\_und⌡ das Talent die Temperatur. Vom Temperament
muß die Disposition des Gemüths unterschieden werden. Das Tem-
perament îmu᯴ bleibt immer, die Disposition kann man sich durch
einen habitum in Ansehung der Gefühle und Neigungen
√angewöhnen_\\_angewohnen⌡.
Der Mensch der oft √Wie-
⌠Seite 479⌡
derwartigkeiten_\\_Wiederwärtigkeiten⌡ ausstehen muste, der bekommt
zuletzt eine √misantrophische_\\_misantrophische⌡ Disposition. Wer
sich zur Freundlichkeit zwingt, deßen Hertz wird hernach
aufgeheitert, und wird hernach in der That √fröhlich_\\_frohlich⌡.
Das eigenthümliche der Disposition ist die
/Seite_518
/Laune, wo man alles nach seinem Kopf beurtheilt. Nach der Laune
ist √ein Lasterhafter_\\_der Lasterhafte⌡ ein Narr, und die
√Unglücklichen_\\_unglücklichen⌡ den Kindern gleich, die über ihr
weggenommenes Spielzeug weinen.
Jndem wir vom Naturell, Talent und Temperament geredet, so haben
wir den Qvell der Gefühle und Neigungen der Menschen, und das
Principium des Lebens erwogen. Jetzt wollen wir das Principium der
Thätigkeit erwegen, diese Gefühle und Neigungen zu gebrauchen,
also das practische beym Menschen. Jn
⌠Seite 480⌡
dieser Absicht unterscheiden wir das Hertz, Gemüth und Charackter.
Zum guten Gemüth wird nicht viel erfordert, das gute Gemüth ist
nur eine Biegsamkeit, die dem andern keinen Wiederstand leistet,
/Seite_519
/was gegen andere leidend ist, und ihnen keine Hinderniße macht.
Es hat das gute Gemüth an sich keinen Werth, sondern es ist nur
eine Gelengsamkeit in Ansehung anderer. Zum guten Gemüth wird kein
Talent oder gute Gesinnung erfordert, sondern nur eine
Geschwindigkeit sich √ieder_\\_jeder⌡ Form zu beqvemen. Dieses kann
man thun, man mag gute oder √böse_\\_bose⌡ Gesinnungen haben. Es ist
das kleinste, wenn ich von einem Menschen sage: er hat ein gutes
Gemüth. Das Gemüth ist nur was negatives⌠,⌡ durchs gute Gemüth
wird noch nichts gethan, sondern ich bin nur
⌠Seite 481⌡
dem andern nicht im Wege. Alle √DumKöpfe_\\_DummKöpfe⌡ haben ein
gutes Gemüth, sie sind √Instrumente_\\_Instrumente⌡ anderer. Ein
gutes Gemüth ist ⌠also⌡ nur √duldenswerth_\\_duldens werth⌡. Zum
guten
/Seite_520
/Hertzen wird schon mehr erfordert. Das Hertz ist das im
√practischen_\\_pracktischen⌡, was nach guten Trieben ein
√principium_\\_Principium⌡ der Thätigkeit ist. Hier ist man nicht
mehr bloß leidend, sondern man muß thätig seyn. Guthertzig ist
man, wenn man durch Instincte was gutes thut. Die Guthertzigkeit
ist also eine Gutartigkeit aus Instincten. Die Gutartigkeit des
Willens aus Grundsätzen ist Charackter. Wo nun böse Grundsätze
sind, da ist ein böser Charackter. Wer √guthertzig_\\_Guthertzig⌡
ist, bey dem kann man auch einen guten Charackter bilden. Wer
nicht √guthertzig_\\_Guthertzig⌡ ist, da folgt noch
⌠Seite 482⌡
nicht├,┤ daß er ein böses Hertz habe. Alles Mitleiden, alles
√Theilnehmende_\\_theilnehmende⌡ Vergnügen, alles Wohlwollen aus
Instinct gehört zur Guthertzigkeit. Guthertzige Leute sind selten
püncktliche
/Seite_521
/Beobachter ihrer schuldigen Pflichten. Sie werden Geld lehnen,
und es einem andern, der ihr Hertz wehmüthig rühren kann, schen-
cken. Sie werden durch die √Süßigkeit_\\_Süssigkeit⌡ guter Handlungen
berauscht und vergeßen die schuldigen Pflichten. Es geht bey ihnen
eine große √illusion_\\_Illusion⌡ vor. Die Handlungen, so sie aus
Guthertzigkeit ausüben, schätzen sie als ein Verdienst, wenn sie
aber Handlungen der Schuldigkeit ausüben sollen, so können sie
darinn kein Verdienst legen. Daher geschichts⌠,⌡ √daß_\\_das⌡ die
Menschen bey den Wallungen der
⌠Seite 483⌡
Guthertzigkeit die schuldigen Pflichten vergeßen, und den vorigen
√Dienst_\\_Verdienst⌡ beylegen. Bey solchen Menschen ist man in
Ansehung der schuldigen Pflichten nicht sicher, sie haßen die
schuldige Pflicht, und wollen
/Seite_522
/lieber alles von selbst aus Guthertzigkeit und aus Wohlwollen
thun. Wer bey einem solchen Guthertzigen eine Schuld zu fordern
hat, der kann sie mit allem Recht fordern. Dies ist aber nicht für
den Guthertzigen, √weil_\\_will⌡ er sie erlangen, so muß er wehmüthig
darum bitten├,┤ und sein Hertz bewegen, welches er zwar nicht
nöthig hat, allein alsdenn verlangt er es, denn alsdenn denckt der
Guthertzige ihm einen Gefallen erzeigt zu haben, wenn er aber nur
die Schuld bezahlt, so hat er mich obligirt√, denn_\\_. Denn⌡ jede
⌠Seite 484⌡
Gefälligkeit und Wohlthat obligirt den andern. Guthertzige werden
oft durch die elende Figur des Bettlers bewogen Wohlthaten zu
√erzeigen_\\_erzeugen⌡, im andern Fall ⌠aber,⌡ wo die Armuth
√größer_\\_großer⌡ ist,
/Seite_523
/als beym Bettler, wo sie nur nicht so in die Augen fällt, da wird
die Guthertzigkeit nicht so bewegt. Unsere Guthertzigkeit äußert
sich besonders gegen iunge schöne Frauenzimmer, ja daß √sogar
derjenige_\\_derjenige so gar⌡ ein Barbar genannt wird, der sich
nicht durch sie bewegen läßet. Warum äußert sich nicht die
Guthertzigkeit ⌠eben so⌡ gegen ein altes Weib? Weil es eine Di-
rection des Willens aus Instinct├,┤ und nicht aus Grundsätzen ist.
Die Guthertzigkeit ist √liebenswerth_\\_liebens werth⌡. Der
Guthertzige ist ein Spiel der Eindrücke├,┤ die in ihm das Wohl-
wollen erwecken. Es wird √also_\\_allso⌡ bey ihm
⌠Seite 485⌡
darauf ankommen, wie sein Hertz bewegt wird. Beym Menschen⌠,⌡ wo
nichts mehr positives ist, als ein gutes Hertz, der ist gut oder
böse,
/Seite_524
/nachdem ihn die √Umstande_\\_Umstände⌡ √afficiren_\\_affiziren⌡. Er
wird aus Guthertzigkeit auch böses begehen, er wird einem
Geitzigen, der eine Forderung √am_\\_an einem⌡ andern hat, sein Recht
absprechen; wenn ihn der andere beßer bewegen kann, und obgleich
dieser ein Geitzhals ist, so ist seine Forderung doch
√Gerecht_\\_gerecht⌡. Die Guthertzigkeit ist ohne Regel√,_\\_.⌡
√die_\\_Die⌡ Guthertzigkeit kann ihrer Seits allein geübt werden,
indem man das Gemüth durch Eindrücke zu bewegen sucht. Allein es
ist nicht gut, daß der Mensch allein durchs Hertz regiert wird.
Diese Guthertzigkeit muß unter einer √Regel_\\_Regell⌡ stehen, so daß
der Charackter mit gebildet wird, denn sonst überwiegt die
Guthertzigkeit den Charackter,
⌠Seite 486⌡
und den folgt der Mensch seinem Instinct und seinen
/Seite_525
/sinnlichen Antrieben, aber nicht seinen Grundsätzen.
√Gellerts_\\_Gellerts⌡ Moral lehrt alles gute aus Guthertzigkeit und
nicht aus Grundsätzen thun.
Der Charackter ist der Gebrauch unserer Willkühr nach Regeln und
√Grundsatzen_\\_Grundsätzen,⌡ zu handeln. Der Charackter ist
schätzens und √achtungs Werth_\\_achtungswerth⌡. Man liebt einen Mann
von gutem Charackter nicht so, man sucht nicht seine Gesellschaft,
aber man schätzt ihn. Wenn bey Menschen keine Einförmigkeit der
Handlungen nach Regeln ist, denn mag immer Guthertzigkeit seyn├,┤
so ist doch kein Charackter. Menschen von denen ieder einen
Charackter hat├,┤ können unter einander nicht in einem Charackter
zusammen stimmen, und einen allgemeinen Charackter zusammen brin-
⌠Seite 487⌡
gen. So hat
/Seite_526
/ein jeder √Engeländer_\\_Engelländer⌡ einen eigenen Charackter,
deswegen hat die gantze Nation keinen Charackter, und die fran-
zösische Nation hat einen allgemeinen Charackter, √<weil>_\\_weil⌡
kein Franzose seinen eigenen hat.
Der Charackter macht den Werth eines Menschen an und für sich
selbst aus, und ist das Principium der freien Handlungen aus
Grundsätzen. Es giebt Menschen⌠,⌡ die einen guten⌠,⌡ einen
bösen⌠,⌡ auch gar keinen Charackter haben. Es giebt keinen
Menschen der nicht ein gutes oder böses Hertz haben sollte, aber
es giebt Menschen, die gar keinen Charackter haben. Also muß bey
einem Menschen, ehe noch ein guter oder böser Charackter gebildet
wird, ein Charackter überhaupt
/Seite_527
/gebildet werden, damit er erst generaliter einen Charackter
habe├.┤ d.h. er
⌠Seite 488⌡
muß erst angewöhnt werden nach Grundsätzen zu √handeln_\\_handlen⌡.
√Diejenigen,_\\_Diejenige⌡ die gar keinen Charackter haben, nehmen
einen Schein √von_\\_vom⌡ Charackter an, sie
√erkünst«l»eln_\\_erkünsteln⌡ sich Regeln und Grundsätze, und ahmen
was √charackteristisches_\\_Charackterisches⌡ nach, weil sie an sich
keinen Charackter haben. Solche Menschen machen sich allgemeine
Regeln Z. E. keinem was zu lehnen, oder keinem was glauben⌠,⌡ der
ihnen etwas verspricht. Solche Menschen haben keinen bösen
Charackter, sie haben nur keine Grundsätze, weil sie durch ihr
gutes Hertz oft betrogen sind, und sich auf daßelbe gar nicht
√verlaßen_\\_verlassen⌡ können, und weil es ihnen auch am Verstande
und Urtheils Kraft fehlt selbst die
/Seite_528
/Regel einzusehen ohne sie auf einen ieden √besondern_\\_besonderen⌡
Fall anwenden zu können, so machen sie sich eine
√allgemeine_\\_Allgemeine⌡ Regel. Ein Charack-
⌠Seite 489⌡
ter überhaupt⌠,⌡ er mag gut oder böse seyn ist ein Charackter.
√Man_\\_Mann⌡ muß einen Charackter überhaupt haben, er mag gut oder
böse seyn d.h. man muß nach Grundsätzen handeln. Jst es beßer
einen bösen Charackter zu haben als gar keinen? Der Mensch ohne
allen Charackter ist nicht hassenswerth, aber er verdient
Verachtung, daher ist es beßer einen bösen Charackter zu haben als
gar keinen. Denn wer einen Charackter hat, er mag böse oder gut
seyn, der zeigt doch schon eine Stärcke der Seele an, daß man fä-
hig ist nach Grundsätzen zu handeln⌠,⌡ und wenn der Charackter
auch böse ist,
/Seite_529
/so kann er doch durch Grundsätze verbeßert werden. Wer aber ⌠gar⌡
keinen Charackter hat, ist gar nicht einstimmig mit sich selbst,
heute giebt er allen was, er ist sehr freygebig, morgen aber
√wir_\\_wird⌡ er sehr karg und geitzig, weil er
⌠Seite 490⌡
sieht⌠;⌡ daß er zu kurtz kommt, wenn er es alle Tage so macht.
Daher faßt er geschwind eine andere Regel, und ist also bey ihm
nichts zuverläßiges. Solche Personen sind wie √zahes_\\_zähes⌡
Wachs├,┤ iedem Augenblick faßen sie eine andere Regel. Zum bösen
sind sie sehr langsam aber nicht zum guten, denn dazu werden schon
Grundsätze erfordert. Beim weiblichen Geschlecht sieht man, daß es
ihrer Natur schon nicht so angemeßen ist einen Charackter
überhaupt zu haben. Das männliche ist aber mehr zum Grundsatz
berufen, obgleich
/Seite_530
/viele gleichfalls keinen Charackter haben, so ist doch der
Charackter ihrer Natur √angemeßen_\\_angemeßener⌡. Beym Frauenszimmer
herrschen doch auch √Grundsatze_\\_Grundsätze,⌡ und √zwar_\\_<zwar>⌡
√Grundsatze_\\_Grundsätze⌡ der Ehre. Jn Ansehung der freygebigen
Handlungen sind sie guthertzig, aber sie √konnen_\\_können⌡ nichts
aus Grundsatzen thun, weil sie nichts erwerben, sondern der Mann,
daher müßen
⌠Seite 491⌡
sie hierinn langsam seyn. Der Charackter der Ehrliebe aber
vertritt bey ihnen die Stelle der Tugenden, daher muß in der
Erziehung in der Tugend alles auf diesen Grundsatz gebauet werden.
Wenn ich sage: Das Frauenzimmer hat Ehre oder ist
√ehrliebig_\\_Ehrliebig⌡, so ist das schon sehr viel. Der Charackter
macht also die √Guthertzigkeit_\\_Gutartigkeit⌡ des Subjects aus, und
der Charackter ist auch dem Menschen eigenthümlich
/Seite_531
/zuzumeßen, dieses betrift gantz und gar meine
√Freiheit_\\_Freyheit⌡. Obgleich des Gemüth und das Hertz auch zur
Freiheit gehören, so liegt doch auch schon zum Theil in Ansehung
ihrer der Grund in der Natur, aber der Charackter ist dem Menschen
eigenthümlich zuzuschreiben. Das Gemüth und Hertz ist
angebohren⌠,⌡ aber der Charackter ist nicht angebohren, sondern
muß erworben werden√. Denn_\\_, denn⌡ weil die Gutartigkeit ├des
Hertzens die Gutartigkeit┤ der Triebe und Neigungen ist, die
Gutartigkeit des Charackters aber auf
⌠Seite 492⌡
der Gutartigkeit der Gesinnungen├,┤ beruht, die Neigungen und
Triebe aber angebohren sind, aber nicht die Maximen Grundsätze und
Gesinnungen√:_\\_,⌡ so folgt, daß der Charackter muß erworben werden,
das Gemüth und Hertz aber
/Seite_532
/angebohren ist. √Beim_\\_Beym⌡ Charackter kommt der Verstand zur
Hülfe, er gründet sich aber doch aufs gute Gemüth und Hertz. Dem
guten Gemüth eignet man die Ehrlichkeit zu, dem guten Hertzen aber
muß man die Wohlthätigkeit beymeßen, dem Charackter ⌠aber⌡ kommt
die Rechtschaffenheit zu. Man pflegt zu sagen: Wer ehrlich ist,
der ist auch dumm, ein guter Mann wäre der├,┤ der einfältig ist.
Die Ehrlichkeit kann zwar mit der Simplicitaet_\\_simplicitaet ⌡ übereinstimmen, bey
der √Dummheit_\\_Dumheit⌡ aber kann sich die Ehrlichkeit immer
finden, allein √das_\\_daß⌡ folgt noch nicht, daß derjenige, der dumm
ist, auch allemal √ehrlich_\\_Ehrlich⌡ sey, und umgekehrt. Die
Ehrlichkeit stimmt des
⌠Seite 493⌡
wegen mit der Dummheit überein, weil die Ehrlichkeit den geraden
Weg gehet, den geraden Weg zu gehen aber sehr leicht und kommod
ist. Die
/Seite_533
/Schelmerey erfordert mehr Schlauigkeit und
√Speculation_\\_speculation⌡ den krummen Weg zu gehen, denn wenn ich
um etwas gefragt werde, und ich bin ein solcher guter ehrlicher
Kerl, so sage ich die reine Wahrheit heraus, so wie sie ist, und
bemühe mich nicht mehr darauf zu dencken, sondern die Sache⌠,⌡
√wo_\\_wie⌡ sie gewesen ist, zu erzählen, und damit komme ich auch am
besten fort├,┤ und brauche keine Verantwortung, wer aber schon
lügen will, der muß gut nachdencken und sich anstrengen, so zu
lügen, daß seine Lüge mit allen Umständen übereinstimmt, damit er
nicht in Verlegenheit gerathe, folglich gehört dazu mehr
Schlauigkeit, als zur Ehrlichkeit. Es ist demnach √nicht gut die
Ehrlichkeit und Dummheit zusammen zu paaren_\\_die Ehrlichkeit und
Dummheit zusammen zu paaren nicht gut⌡, denn sonst
/Seite_534
/wird einer, um nicht
⌠Seite 494⌡
dumm zu seyn, den Schelm agiren. Die Rechtschaffenheit kann aber
gar nicht statt finden bey der Dummheit, die erfordert schon
Vernunft√;_\\_,⌡ denn der √rechtschaffene_\\_Rechtschaffene⌡ handelt
nach Grundsätzen, Grundsätze √können aber_\\_aber können⌡ nur gefaßt werden, so
ferne man ⌠fähig ist Grundsätze einzusehen, und so ferne man⌡
fähig ist Achtung für das Recht anderer Menschen zu haben, dazu
wird aber Vernunft erfordert. Ein Mann von rechtschaffenem
Charackter hat nicht bloß Vermögen nach Grundsätzen zu
√handeln_\\_handlen⌡, denn das Vermögen √lie«¿»gt_\\_liegt⌡ im
Verstande, sondern auch guten Willen und gute Gesinnung solche
Grundsätze auszuüben. Dieses aber einzusehen├,┤ erfordert viel
Verstand, mithin gehört zum rechtschaffenen Mann
/Seite_535
/Verstand, welcher zwar nicht speculativ, aber doch richtig seyn
muß. Demnach ist der Charackter nicht angebohren, sondern muß
erworben
⌠Seite 495⌡
werden. Es kostet aber sehr viel Mühe⌠,⌡ und dauret sehr lange,
bis man sich angewöhnt hat, nach Grundsätzen zu √handeln_\\_handlen⌡.
Das √kömmt_\\_kommt⌡ erst mit den Jahren bey reiner Vernunft. Wir
glauben alle wir sind in der Jugend erzogen, aber wir sind
würcklich nicht erzogen, wir müßen uns noch in der Folge selbst
ziehen, und unsern Charackter selbst bilden, welches nicht darinn
besteht, daß man sich gewiße Regeln bekannt mache├,┤ sondern man
muß die Grundsätze selbst √durchdencken_\\_durch dencken⌡. Die Grund-
sätze müßen gelehrt und eingesehen werden. Von diesen Grundsätzen
muß man hernach nicht
/Seite_536
/abgehen, denn die machen das Gesetz aus. Ein Gesetz aber leidet
keine Ausnahme, welches man von einer Regel zu sagen pflegt. Wer
aus einem Grundsatz Z. E. √Warhaft_\\_wahrhaft⌡ ist, der wird davon
niemals abgehen; dieses ist aber sehr selten, und es dauret sehr
lange, bis man aus √Grundsätzen_\\_Grundsatzen⌡
⌠Seite 496⌡
wahrhaft ist. Die Menschen sind denn auch wohl wahrhaft, aber sie
gehen doch oft davon ab, weil diese Wahrhaftigkeit nicht aus
Grundsätzen, sondern vielmehr aus der Politur entspringt. Wenn
eine Bösartigkeit des Gemüths und des Hertzens ist, kann da ein
guter Charackter √stattfinden_\\_statt finden⌡? Vom Socrates will man
sagen, daß er von Natur ein bösartiges Gemüth und Hertz gehabt
habe, seinen Charackter aber durch seinen Verstand nach richtigen
Grundsätzen
/Seite_537
/gebildet hätte. Es geht also zwar an, dazu gehört aber Verstand,
dem √man_\\_mann⌡ Gewalt geben kann nach Grundsätzen zu handeln. Wenn
aber schon das Gemüth und Hertz bösartig sind, so hält solches
schon sehr schwer. Einem solchen Menschen, der sich ohnerachtet
der Bösartigkeit seines Hertzens und seines Gemüths bemühet hat
einen guten Charackter anzunehmen, ist
⌠Seite 497⌡
doch nicht so recht zu trauen, denn man weiß noch nicht ob dieser
gute Charackter schon so weit Wurtzel gefaßt hat, daß er die
Bösartigkeit des Hertzens und Gemüths überwiegen kann, man kann
doch nicht wißen ob die √Bösartigkeit_\\_Bosartigkeit⌡ seines
Hertzens und Gemüths den Charackter besieget.
Wir können den Charackter noch √«an»in_\\_in⌡
/Seite_538
/einen angenommenen und natürlichen eintheilen. Der angenommene
entspringt aus den Grundsätzen, die in der Natur keinen Grund
haben, sondern nur aus Ueberlegung angenommen sind. Der natürliche
aber stimmt mit der Natur des Menschen überein. Menschen haben
einen angenommenen Charackter wenn sie Z. E. guthertzig sind,
wodurch sie oft hintergangen werden, denn schämen sie sich, daß
sie auf allen Seiten zu kurtz kommen und machen sich Regeln auf
denen sie fest be-
⌠Seite 498⌡
stehen wollen, oder wenn sie in der Wirthschaft sehen, daß die
kleinen Depensen doch zuletzt ein Qvantum aus machen, so nehmen
sie sich vor, wenn sie auch sonst noch so karg sind, von nun an
auf alle Kleinigkeiten zu achten,
/Seite_539
/denn machen sie sich √Reglen_\\_Regeln⌡ Z. E. keinem Bettler was zu
geben. Es scheint als wenn solche Personen einen Charackter haben,
indem sie nach Grundsätzen √handeln_\\_handlen⌡, allein diese Regeln
haben sie nur bey einer Gelegenheit angenommen und sich
zugeeignet. Allein die Regeln sind die Gängelwagen der unmündigen.
Wer sich eine Regel macht├,┤ und √hartnäckig_\\_hartnäckigt⌡ darauf
besteht Z. E. keinem mehr was zu leihen, der fehlt zwar überhaupt
in der Summe aller Fälle am wenigsten, ob er gleich sehr
√oft_\\_<oft>⌡ fehlt, und obgleich sehr oft Fälle waren, wo er gantz
sicher von der Regel hätte abgehen können, allein, weil er nicht
⌠Seite 499⌡
weiß, welches solche Fälle sind, wo er von der Regel abgehen kann,
so bleibt er immer bey der Regel, die Fälle mögen
/Seite_540
/seyn wie sie wollen. Es fehlt also├,┤ solchen Personen an der
√Urtheils Kraft_\\_Urtheilskraft⌡ solche Fälle ├Fälle┤ zu bestimmen,
wo die Regel anzuwenden ist. Deswegen werden viele ├viel┤ karg aus
dem angenommenen Charackter, wo sie sich zur Regel gemacht haben,
niemanden etwas zu geben oder zu leihen. Nun kann es sich
√sehr_\\_<sehr>⌡ oft treffen, daß man Personen von Stand und Charack-
ter so etwas nicht versagen kann, weil man sich dieses
√<aber>_\\_aber⌡ oft vorgenommen hat, indem man nicht zu beurtheilen
weiß, ob dieses der Fall sey, wo die Regel anzuwenden ist├,┤ oder
nicht, so verliert man darüber seine Ehre und Reputation. Zu
Grundsätzen gehört also reife Einsicht und Urtheilskraft den Fall
zu bestimmen, ob er √diesmal_\\_dies mahl⌡ unter der Regel gehört
oder
/Seite_541
/nicht, denn sonst machen
⌠Seite 500⌡
solche √Grundsätze_\\_Sätze⌡ pedantisch. Wenn man ein Talent zur
Poesie hat, und man sucht sein Talent zu excoliren, so verhindert
das den Charackter, daher auch Poeten, die ein natürliches Talent
zur Poesie haben und nicht allein Hang√._\\_-⌡ Denn man kann auch
Hang wozu haben ohne Talent√,_\\_-⌡ gemeinhin keinen Charackter
haben, denn ein Dichter muß gewohnt seyn sich in alle √Situa-
tion_\\_Situationen⌡ zu stellen, und alle Characktere anzunehmen,
alsdenn ⌠aber⌡ hat er keinen eigenthümlichen Charackter. Die
Nachahmung verhindert auch den Charackter sehr, daher muß man in
der Erziehung seine Kinder niemals auf des Nachbars Kinder
verweisen, und ihnen viel von pfuy das läßt nicht vorreden,
sondern ihren Charackter unmittelbar
/Seite_542
/bilden, Grundsätze vom √Guten_\\_guten⌡ und bösen, vom rechtschaffe-
nen und edlen einflößen.
⌠Seite 501⌡
Da aber das Naturell, Talent und Temperament in ein glückliches
und unglückliches zu unterscheiden ist, so wird ├hier┤ der
Charackter in √einen_\\_einem⌡ guten und bösen unterschieden. Man
kann immer ein glückliches Temperament haben, und doch einen bösen
Charackter, und wieder ein unglückliches Temperament ⌠haben⌡, und
doch einen guten Charackter. Wer ein unmittelbares Wohlgefallen am
bösen hat handelt böse nach Grundsätzen├,┤ und hat einen bösen
Charackter. Der böse Charackter kann eingetheilt werden in den
betrüglichen und boshaften. Der betrügliche ist ein
niederträchtiger und verachtungswürdiger Charackter, der boshafte
/Seite_543
/aber ein hassenswürdiger. Der boshafte Charackter äußert sich Z.
E. in der Unterdrückung des Rechts anderer, in der Behauptung
seines Willens und Eigensinns, im Vergnügen an der √Zerstö-
⌠Seite 502⌡
rung_\\_Zerstöhrung⌡ des Glücks anderer, in dem Vergnügen einem
andern einen schlimmen Streich zu spielen. Der boshafte Charackter
äußert sich besonders, wo ein Gegenstand von Natur kein
√gegenstand_\\_Gegenstand⌡ des Wohlgefallens, ja wohl gar des
Misfallens ist, und man doch darüber ein Vergnügen empfindet Z. E.
über das Unglück anderer. Wir müßen uns in Acht nehmen, Menschen
vom √Unglücklichen_\\_unglücklichen⌡ Temperament so gleich als
Menschen vom bösen Charackter anzusehen, denn √das_\\_daß⌡ ist das
ärgste, was man sagen kann: der Mensch hat einen bösen Charackter,
denn
/Seite_544
/alsdenn thut man das böse aus Grundsätzen.
≥Vom Temperament in specie.≤
Das Temperament ist die Proportion der sinnlichen Gefühle und Begierden. Beym Menschen kommt alles auf das √Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ und nicht auf den Grad der einen oder an- dern Fähigkeit an. Die geschickte Proportion/Seite_545
/Temperament aus.
Alle Temperamente werden eingetheilt in Ansehung des Gefühls und
der Thätigkeit. Die Temperamente in Ansehung des Gefühls machen
die Einrichtung, nach welcher der Mensch des Wohlbefindens oder
Uebelbefindens fähig ist. Hiezu werden 2 gerechnet√:_\\_;⌡ das
√sangvinische_\\_sangvienische⌡ und melancholische Temperament. Wenn
der Mensch große Reitzbarkeit zum Vergnügen hat, denn ist er
√sangvinisch_\\_sangvienisch⌡, wenn er
⌠Seite 504⌡
aber mehr Reitzbarkeit zum Misvergnügen hat, denn ist er
melancholisch. Das Gefühl ist also der Grund vom Befinden des
Menschen. Jn Ansehung des Verhaltens oder der Thätigkeit des
Menschen werden die Temperamente auch in 2 eingetheilt, entweder
fühlt man
/Seite_546
/in sich den Qvell der Thätigkeit oder der LebensKräfte, oder man
fühlt in sich eine Unthätigkeit und Mangel der
√LebensKrafte; das_\\_LebensKräfte. Das⌡ erste ist das
√cholerische_\\_cholerische⌡, das √zweyte_\\_zweite⌡ aber das
phlegmatische Temperament. Das cholerische ist activ⌠,⌡ das
phlegmatische aber inactiv.
Alle Temperamente müßen nicht aus einem
√Gesichtspunckte_\\_Gesichtspuncte⌡ eingetheilt werden, und man kann
nicht sagen: es sind 4 Temperamente⌠, sondern⌡ sie müßen aus
verschiedenen √Gesichtspunckten_\\_Gesichtspuncten⌡ eingetheilt
werden. Das sangvinische und melancholische betrift nicht die
Thätigkeit sondern die Empfindung⌠,⌡ und
⌠Seite 505⌡
das cholerische und phlegmatische betrift wieder den Qvell der
Thätigkeit. Das sangvinische und melancholische betrift wieder die
Lebensfähigkeit⌠,⌡ das cholerische und phlegmatische aber die
LebensKräfte.
/Seite_547
/Wenn wir nun die Temperamente √zusammensetzen_\\_zusammen setzen⌡
wollen, so können wir nicht sagen: √jemand_\\_iemand⌡ ist sangvinisch
und melancholisch, denn das sind opposita in Ansehung des Gefühls,
oder jemand ist cholerisch und phlegmatisch, denn das sind
opposita in Ansehung der Thätigkeit.
Die Temperamente können nicht eingetheilt werden nach den Objecten
derselben Z. E. der Sangvineus hat zum Object die Wollust, der
cholerische die Ehre p. denn die Objecte kann der Mensch nicht
eher haben als die Temperamente. Die Temperamente bringen wir auf
die Welt, aber nicht die Objecte. Der Mensch wählt hernach die
Gegenstände nach der Proportion seiner Objecte und Nei-
⌠Seite 506⌡
gungen.
Was nun die Temperamente
/Seite_548
/insbesondere iedes für sich betrift, so ist der √San-
gvinische_\\_sangvinische⌡ nicht der, der alles Vergnügen und alles
Wohlleben haben will, denn das will jeder haben, sondern der⌠,⌡ so
deßen zu genießen fähig ist. Der sangvineus fühlt allerwerts sein
Leben. Wir haben aber beym Vermögen der Lust und Unlust gesehen,
daß das Leben das Gefühl vom freyen und regelmäßigen Spiel der
Kräfte des Menschen ist√;_\\_,⌡ das Gefühl von der Hindernis des
Lebens aber der Schmertz⌠,⌡ und von der Beförderung deßelben das
√Vergnügen_\\_Vermögen⌡ sey. Nun sieht der sangvinische alle Gegenstände nicht
als Hinderniße, sondern als Beförderungen seines Lebens an. Er
√findet_\\_befindet⌡ sich immer wohl. Weil sein Blut leicht ist, so
findet er sich durch den Qvell des
/Seite_549
/Lebens afficirt. Diese Disposition ist zur Heiterkeit
und
⌠Seite 507⌡
Fröhlichkeit auferlegt, er ist aber auf der andern Seite
flatterhaft und leichtsinnig, denn die
√Veränderungen_\\_Veranderungen⌡ sind alle belebend├,┤ und geben
immer einen neuen Stoß und Trieb zum Leben. Sangvinei gehen also
aufs veränderliche und sind wandelbarer Gemüths Art und weil sie
alles von der Seite aufnehmen, wie es ein Grund ihres
Wohlbefindens seyn kann, so stellen sie sich keine Gefahr vor, sie
sind sehr empfindlich und zärtlich, denn die leichte Bewegung der
Organen des Lebens macht, daß sie so belebt sind. Es zeigt dieses
aber auf der andern Seite eine Schwäche an, sie sind nicht
abgehärtet, sie sind ├nicht┤ weichlich.
√Melancholische_\\_Melancholische⌡ haben einen Hang
/Seite_550
/zum Misvergnügen, sie fühlen in sich eine Hindernis des Lebens.
Das kürtzt zwar das Leben nicht ab, sondern es ist ein Gefühl der
√Hindernis,_\\_Hinderniß⌡ und das ist schon √genung_\\_genug⌡,
⌠Seite 508⌡
um in uns Unmuth zu erwecken. Demnach wird der melancholische alle
Dinge in der Welt nicht wie der sangvinische für Beförderung
seines Lebens halten, sondern sie von der Seite der Gefahr
ansehen, denn weil er sich nicht gutes Muthes fühlt, so sieht er
auch im √trüben_\\_Trüben⌡ √Lichte_\\_lichte⌡. Die Verfaßung des
√Sangvinei_\\_sangvinei⌡
belustiget das Gefühl des Lebens, der
√melancholische_\\_melancholische⌡ hat aber nicht solche Empfindungen
des Vergnügens, er ist nicht so leichtsinnig, weil er nicht so be-
lebt wird, nicht solche biegsame Organen
/Seite_551
/hat. Der √Cholerische_\\_cholerische⌡ befindet sich thätig. Alle
Cholerici müßen was zu thun haben, und sie machen sich auch zu
thun, dahero sich ein √Cholerischer_\\_cholerischer⌡
√geistliche_\\_Geistliche⌡ gerne in Staats Sachen menget. Sie mögen
gerne √Proceße_\\_Processe⌡ führen, das ist so recht ihr Fach, dahero
sie auch √ehrbegierig_\\_Ehrbegierig⌡ sind, denn der muß schon thä-
⌠Seite 509⌡
tig seyn, der durch solchen kleinen Bewegungs Grund der Ehre zur
√Thätigkeit_\\_thätigkeit⌡ bewogen werden kann. Die Natur hat schon
in dem √Temperamente_\\_Temperament⌡ solche Gegenstände, so demselben
angemeßen sind├,┤ zugeeignet. Die √Cholerischen_\\_Cholerischen⌡ sind
demnach √Polypragmatisten_\\_Polypragmatisten⌡, der √phleg-
matische_\\_Phlegmatische⌡ findet in sich keine Kraft der Thätig-
keit⌠,⌡ er ist läßig in der Ausübung.
Obgleich man das sangvinische
/Seite_552
/Temperament mit dem √Melancholischen_\\_melancholischen⌡ nicht
zusammen setzen kann, so kann doch eines das andere moderiren,
denn zusammen können sie nicht statt finden, weil sie sich
entgegen sind. Allein so wie der Hang zum Spiel etwas durch Ernst
moderirt werden muß, damit das Spiel ⌠nicht⌡ √a«l»us-
gelaßen_\\_ausgelaßen⌡ werde, der Ernst aber schon ein Stillstand der
Belustigung und ein √Moment_\\_Moment⌡ der Traurigkeit ist. Denn wenn
einer aus einer fröhlichen Miene auf einmahl eine
⌠Seite 510⌡
ernsthafte annimmt, so ist das schon als ⌠als⌡ wenn er traurig
werden will, eben so muß das sangvinische Temperament durch das
melancholische in so ferne wir auf das melancholische einen Grad
von Ernst rechnen, den sie auf den Werth der Dinge legen moderirt
werden. Denn sagen wir; das
/Seite_553
/sangvinische Temperament ist durch Ernst moderirt. Nun aber ist
dieses keine Vermischung von beiden Temperamenten, sondern nur
eine √moderation_\\_Moderation⌡ des sangvinischen. Wenn man nun
√beyde_\\_beide⌡ moderirt, so können sie sich näher kommen, und im
√melancholischen_\\_melancholischen⌡ sind die positiven Ursachen das
Misvergnügen, im sangvinischen sind die positiven Ursachen das
Vergnügen. So sagt man auch √vom_\\_von⌡
√cholerischen,_\\_cholerischen:⌡ es wäre gut, wenn ein wenig Phlegma
da wäre. Das kann nun zwar nicht statt
⌠Seite 511⌡
finden, daß sie etwas vermischt werden können, allein so ferne die
√cholerische_\\_cholerische⌡ Heftigkeit durch ein wenig Ueberlegung
moderiret werden soll, so kann es statt finden. Das √Phleg-
matische_\\_phlegmatische⌡ Temperament ist im übelsten Ruf, das
sangvinische ist das
/Seite_554
/liebenswürdigste, weil es zu Vergnügungen und Gesellschaften
geneigt ist. Das √Melancholische_\\_melancholische⌡ ist zwar nicht
hassens aber bedaurens werth. Der √Cholericus_\\_Cholerikus⌡ ist
thätig⌠,⌡ auf der andern Seite aber hat er auch was nachtheiliges,
allein durchs √Phlegmatische_\\_phlegmatische⌡ werden alle
Eigenschaften unnütze, und also auch der gantze Mensch, und deswe-
gen ist es in großer Verachtung. √Phlegma_\\_Pflegma⌡ ist keine
würckliche Passion, sondern nur ein ├großer┤ Grad der
Unthätigkeit, die fast immer beym Menschen anzutreffen ist. So
thätig er auch immer ist, so bemüht er sich doch um die Ruhe. Wenn
aber der Hang zur Ruhe├,┤ alles über
⌠Seite 512⌡
wiegt, so ist sie √verächtlich_\\_verachtlich⌡.
Wenn wir die Temperamente unter
/Seite_555
/einander combiniren wollen, so können wir sie ⌠nur⌡ auf
√vierfache_\\_4 fache⌡ Art verbinden√:_\\_.⌡ Das sangvinische ist das
Gegentheil vom melancholischen, und das √cholerische_\\_cholerische⌡
das Gegentheil vom phlegmatischen, also auf diese Art können sie
nicht verbunden werden. Wir können aber erstlich das sangvinische
mit dem √Cholerischen_\\_cholerischen⌡ combiniren, √das_\\_denn⌡ das
sangvinische hat Lust zu leben, also √stimmet_\\_stimmt⌡ das sehr
wohl überein. Hernach können wir das melancholische mit dem
├«melancholischen»┤ √Phlegmatischen_\\_phlegmatischen⌡ verbinden,
denn der √Melancholische_\\_«m»Melancholische⌡ hat Unlust zu leben,
und der Phlegmatische Unlust zu √handlen_\\_handeln⌡, also stimmt das
auch ⌠auch⌡ zusammen. Das sangvinische mit dem
√Cholerischen_\\_cholerischen⌡ ist das glücklichste, aber das
melancholische mit
/Seite_556
/dem √Phlegmatischen_\\_phlegmatischen⌡ das unglücklichste. Nun
können wir sie noch auf eine √zwifache_\\_zweyfache⌡
⌠Seite 513⌡
Art verbinden, nemlich ins √Kreuz_\\_Kreutz⌡⌠,⌡ das sangvinische mit dem
phlegmatischen und das √Cholerische_\\_cholerische⌡ mit dem
√melancholischen_\\_melancholischen⌡. Wenn das sangvinische im Gefühl
des Lebens besteht, so kann es wohl mit dem phlegmatischen
zusammen stimmen, denn es giebt Menschen, so dem Vergnügen
nachgehen, aber doch dabey sehr unthätig sind, die nichts thun├,┤
aber doch √gerne alles Vergnügen_\\_alle Vergnügungen gerne⌡ genießen
mögen. Sie sind zwar thätig aber nur in so weit sie sich ein
Vergnügen verschaffen können. √Sangvinisch_\\_Sangvinisch⌡
√phlegmatische_\\_phlegmatische⌡ sind mit wenigem zufrieden, und sind
dabey vergnügt, denn das viele möchte ihnen Mühe kosten. Solche
Menschen befinden
/Seite_557
/sich in Ansehung ihrer sehr wohl, aber in Ansehung anderer sind
sie sehr unnütz. Das √Cholerische_\\_Cholerische⌡ mit dem
Melancholischen stimmt sehr gut zusammen, denn √das_\\_daß⌡
melancholische giebt dem √Cholerischen_\\_Cholerischen⌡ eine
Milderung und mehr √Über_\\_Ueber⌡
⌠Seite 514⌡
legung, aber auf der andern Seite ist es sehr schädlich in
Ansehung anderer, ob gleich es in Ansehung ├«anderer»┤ seiner
selbst gut ist. Denn wer in sich einen Qvell zu √allem_\\_allen⌡
Misvergnügen hat, der ist auch ein Feind √von Vergnügungen_\\_vom
Vergnügen⌡
anderer, er empfindet sein Misvergnügen desto stärcker. Der
√sangvinisch_\\_sangvinische⌡ √Phlegmatische_\\_phlegmatische⌡ hat aber
einen Qvell des Vergnügens in sich, also nimmt er an dem Vergnügen
anderer Antheil. Das √sangvinisch_\\_sangvinische⌡ phlegmatische
Temperament ist in Ansehung seiner √Selbst_\\_selbst⌡ glücklich, aber
in
/Seite_558
/Ansehung anderer das unnützeste. Das √Cholerisch_\\_Cholerische⌡
melancholische ist in Ansehung seiner selbst gut⌠,⌡ aber in
Ansehung anderer das √schädlichste_\\_schändlichste⌡. Das
√sangvinisch_\\_sangvinische⌡ cholerische ist das glücklichste, das
√melancholisch_\\_melancholische⌡ phlegmatische aber das
unglücklichste.
Was den Unterschied der Temperamente in Ansehung des äußeren
Betragens betrift,
⌠Seite 515⌡
so wollen wir zuerst das sangvinische mit dem melancholischen
vergleichen. Der Sangvineus ist lebhaft, veränderlich, der
√melancholische_\\_melancholische⌡ beständiger, gesetzter und √ein-
förmiger_\\_einformiger⌡. Der Sangvineus ist in Ansehung des Umganges
verträglich⌠,⌡ einschmeichelnd├,┤ und in Ansehung der
Beleidigungen versöhnlich, er flieht seinen Beleidiger⌠,⌡ der
√Melancholische_\\_melancholische⌡ aber flieht
/Seite_559
/ihn nicht, sondern sinnt auf Rache und hat Has und Groll gegen
seinen Beleidiger. Beym Sangvineo sind alle Empfindungen starck,
aber dringen nicht tief ein. ⌠Beym melancholico aber sind sie
nicht so starck, sie dringen aber tiefer ein.⌡ Der Sangvineus
nimmt Antheil am Unglück seines Freundes, er nimmt es aber nicht
zu Hertzen, und bleibt im Grunde indifferent. Der √Melan-
cholische_\\_Melancholische⌡ ist hier √wieder_\\_<wieder>⌡ das
Gegentheil, zieht sich alles zu Hertzen und fehlt wieder hier-
⌠Seite 516⌡
inn. Es ist nicht gut, sich alles zu Hertzen zu ziehen. Hierinn
ist die Lehre der Stoiker gut, obgleich sie für die Stärcke des
Menschen zu weit getrieben war. Der Sangvineus ist geneigt zum
Umgange und Geselligkeit, er ist also ein gesellschaftlicher
Freund, aber nicht ein unterstützender Freund, er ist in
Gesellschaft lustig, und nimmt am Vergnügen
/Seite_560
/anderer Antheil, wenn aber sein Freund kranck wird, so geht er
weg. Der melancholische empfindet Schmertz am Unglück seines
Freundes, und ist sehr geneigt am großmüthigen Schmertz Vergnügen
zu empfinden. Er nährt seinen Schmertz. Kein Schmertz muß aber
genährt werden, als der über unsere Laster. Jn Ansehung seiner
Uebel ist der Schmertz niedrig, aber nicht in Ansehung ⌠anderer.
Der sympathetische Schmertz in Ansehung⌡ der Uebel anderer ist
liebenswürdig und der moralische Schmertz
⌠Seite 517⌡
über seine Laster ist achtungswürdig. Jn der Freundschaft ist der
melancholische afficirt, sie geht ihm von Hertzen, dem Sangvineo
aber nicht. Wenn aber der melancholische in der Freundschaft
beleidigt wird, so versöhnt er sich nicht so bald, und wenn er
sich auch versöhnt⌠,⌡ so denckt er doch noch
/Seite_561
/an das vorige. Die Wunde heilt bey ihm nicht völlig zu, sie läßt
noch immer eine Narbe. Der Sangvineus aber, wenn er auch beleidigt
wird, ist gleich wieder gut, vergießt es auch und denckt gar nicht
mehr √darann_\\_daran⌡. Jm Nachsinnen ist es eben so, wie in der Empfindung.
Der Sangvineus ist witzig, der melancholische gründlicher. Der
Witz beruht auf der Lebhaftigkeit des Geistes, √die_\\_der⌡ Einsicht
aber erfordert mehr Nachforschung und Ernst. Der melancholische
ist zum Ernst geneigt, √ja_\\_ia⌡ er macht aus mehr Dingen Ernst, die
deßen nicht √einmal_\\_einmahl⌡ würdig sind.
⌠Seite 518⌡
Der Sangvineus ist weichhertzig⌠,⌡ der √Melancho-
lische_\\_melancholische⌡ weichmüthig und zärtlich, denn er empfindet
nicht allein, sondern er eignet sich auch zu. Der Sangvineus ist
/Seite_562
/offenhertzig und bewahrt keine √Heimlichkeit_\\_Heimlichkeiten⌡, er
√verheelt_\\_verhehlt⌡ gar nichts, weil er guthertzig ist, und weil
er auch keine Absichten hat. Wer aber mehr Absichten und Zwecke
hat, der muß mehr auf der Hut seyn, und das ist der
√Melancholische_\\_melancholische⌡. Weil der Sangvineus
gesellschaftlich und auch offenhertzig ist, so entspringt daraus
seine √Schwatzhaftigkeit_\\_Schertzhaftigkeit⌡, er behält also weder
seine noch des Freundes Heimlichkeiten. Der melancholische ist
aber ein beßerer Bewahrer der Geheimniße, er ist in der
Gesprächigkeit zurückhaltender und die Ursache ist √:_\\_;⌡ der
melancholische stellt sich alle Menschen schlimmer vor├,┤ als sie
sind⌠,⌡ dagegen der Sangvineus alle Menschen für gut hält. Der
Melancholische glaubt
⌠Seite 519⌡
/Seite_563
/von Feinden umgeben zu seyn, die ihm Hinterhalt stellen, und ihre
Liebkosungen sieht er nur als Verblendungen und
√Stacheln_\\_Stachlen⌡ an, also muß er in seinen Unternehmungen und
√Gesprachen_\\_Gesprächen⌡ √geheimnisvoll_\\_Geheimnisvoll⌡ seyn. Der
Sangvineus hat aber Neigung alles auszuplaudern, denn weil er
gesellschaftlich ist, so sucht er sich darinn immer zu
unterhalten, oft will er auch etwas verbergen, ehe er sich aber
versieht, so hat er etwas ausgeplaudert, und denn ärgerts ihn, und
thut ihm leid√, der_\\_. Der⌡ Melancholische aber ist still, weil
er seinen Gedancken nachhängt, und ob er gleich gesprächig seyn
könnte, ohne Geheimniße auszuplaudern, so hält ihn wieder dieses
zurück, weil er in allen Sachen
/Seite_564
/Wichtigkeit setzt. Er will immer was gründliches vorbringen.
Allein im gemeinen Leben ist der Sangvineus beßer, denn das gantze
Leben ist doch nur ein Spiel. Die Gesellschaft muß nicht durch
Gründ-
⌠Seite 520⌡
lichkeit sondern durch √Tändeley_\\_Tandeley⌡ erhalten werden. Jn
Ansehung der Treue ist der Sangvineus nicht bösartig, sondern
leichtsinnig, er verspricht alles mögliche├,┤ und hernach thut er
nichts, denn er weiß nicht was dazu gehört⌠,⌡ er glaubt hernach
der andere wird so guthertzig seyn und ihn von seinem Versprechen
dispensiren. Der √Melancholische_\\_Melancholische⌡ verspricht nicht
so bald was, er ist bedachtsam und besorgt, wenn er aber
√einmal_\\_einmahl⌡ was verspricht, so kann man sich auf ihn
verlaßen. Weil die Empfindung
/Seite_565
/des Melancholischen tiefer eindringt, so nimmt er sich auch eher
und mit größerem Ernst der √unterdrückten_\\_Unterdrückten⌡ an; ist
er ein Patriot, so ist er im Eifer schwärmerisch, aber so ist er
auch ausschweifend in Ansehung der Religion. Der Sangvineus aber
ist indifferent, es ist ihm alles einerley, er beqvemt sich nach
der Mode, er laßt sich zu allem bereden, und alles
⌠Seite 521⌡
mit sich machen. Der Sangvineus ist leicht von seinem Vorsatz
abzubringen, welches √andern oft_\\_oft andern⌡ angenehm ist, der
melancholische aber ist fest, √beharrlich_\\_behaarlich⌡ und hartnäckigt├,┤
√dahero_\\_daher⌡ ist der √sangvineus_\\_Sangvineus⌡ beliebt⌠,⌡ aber
nicht zuverläßig. Der melancholische ist aber nicht so leicht in
eine Absicht zu lencken├,┤ die ihm vorgelegt ist, hat er aber
schon einmahl
/Seite_566
/den Vorsatz gefaßt, so ist er darinn unwandelbar, wird er aber
hier böse, so ist es schlimm, denn hängt er seinem Vorsatz nach.
Das Verfahren des Sangvinei ist ohne alle Maximen und
Grundsätze⌠,⌡ das Verfahren des melancholici ist aber mehrerer
Grundsätze fähig. Der Sangvineus handelt nach Instincten├,┤ der
Melancholicus aber nach Grundsätzen. Der Sangvineus kann aber
Gutherzigkeit├,┤ und auch bösartigkeit aus Instincten ausüben und
der Melancholicus kann Gutartigkeit und auch bösartigkeit in
seinen
⌠Seite 522⌡
Grundsätzen haben.
Wenn wir das √Cholerische_\\_Cholerische⌡ Temperament mit dem
√phlegmatischen_\\_Pflegmatischen⌡ vergleichen⌠,⌡ so werden wir
finden, daß da im √Cholerischen_\\_Cholerischen⌡ Temperament ein
Bewustseyn der
/Seite_567
/Triebfeder der Thätigkeit, und √im_\\_ein⌡ √Phlegma-
tischen_\\_phlegmatischen⌡ ein Gewicht der
√Unterthänigkeit_\\_Unthätigkeit⌡ der
Leblosigkeit ist, daß der √Cholerische_\\_Cholerische⌡
√hefftig_\\_heftig⌡, leichter und entschloßen ist, der √phlegmati-
sche_\\_Phlegmatische⌡ aber unschlüßig. Der √Cholerische_\\_Cholerische⌡
ist ungeduldig, der √phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ geduldig, denn
indem der √cholerische_\\_Cholerische⌡ √thätig_\\_thatig⌡ ist, so hat er
Muth und wird ungeduldig, wenn er nichts ausüben kann, und weil
der √phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ unthätig ist, so hat er solche
Fühllosigkeit alles zu ertragen. Der Cholerische übereilt sich,
der √phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ schiebt auf, er vollendet
nichts├,┤ weil er träg ist. Der Sangvineus vollendet zwar auch
nichts├,┤ aber nicht weil er träge ist, sondern weil
⌠Seite 523⌡
er in seinen Handlungen veränderlich ist und wechselt. Der
Cholericus
/Seite_568
/aber übertreibt es, er ist zu heftig, weil er in kurtzer Zeit
mehr Grade von Kräften anwendet├,┤ der
√phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ aber weniger Kraft in längerer Zeit
verwendet, daher ist der √cholerische_\\_Cholerische⌡ rüstig, und oft
√übertreibt_\\_übertreib⌡ er die Kraft, daß sie nicht lange dauren
kann. Jn Ansehung der Beleidigungen ist der Cholerische
empfindlich d. h. er empfindet leicht was, der melancholische ist
zwar auch empfindlich, aber er empfindet tief. Man sagt von
einigen Personen, sie sind √hitzig_\\_Hitzig⌡, aber auch gleich
darauf sind sie wieder sanftmüthig und auch wohl versöhnlich,
indem sie wohl gar abbitten, allein das ist eine Ungezogenheit und
ein Mangel der Disciplin seiner Wildheit, denn der Mensch ist von
Natur ohne
/Seite_569
/Disciplin wild wie
⌠Seite 524⌡
ein Thier und ohne Cultur roh. Nun ist aber unsere Freiheit durch
andere Menschen eingeschränckt, daher muß unsere natürliche
Wildheit disciplinirt werden. Hierauf haben vorzüglich Eltern bey
der Erziehung ihrer Kinder zu sehen, daß sie ihre Wildheit
discipliniren und √ih«r»nen_\\_ihnen⌡ ihren Willen nicht laßen, denn
so ferne sie gewöhnt werden √al<le>s ihrem_\\_als ihren⌡ Willen √gemäs_\\_gemäß⌡ zu er-
halten, so gewöhnen sie sich das herrschen an, welches man ihnen
oft aus Zärtlichkeit nachsieht, und sie leiden hernach nicht, daß
man ihnen wiederspricht, aber wenn sie selbst beherrscht werden,
so fahren sie auf und werden hitzig. Es ist also nichts mehr an
ihnen als eine Ungezogenheit, sie sind
√abge«¿»sto«¿»ßen_\\_abgestoßen⌡, abpolirt, sie √«m»wüßen_\\_wißen⌡
nicht, daß
/Seite_570
/alle Menschen einander gleich sind. Hierauf muß auch in der
Erziehung der √Printzen_\\_Prinzen⌡ √geschehen_\\_gesehen⌡ werden, und
es
⌠Seite 525⌡
schadet nicht⌠,⌡ daß wenn sie √einen_\\_einem⌡ von ihren Unterthanen
einen Schlag geben, sie auf der Stelle einen ⌠Schlag geben, sie
auf der Stelle einen⌡ wieder bekommen. √Man_\\_Mann⌡ sieht von den
Creolen in Amerika, daß sie sich gar nicht beherrschen laßen, weil
sie von Jugend auf an die Herrschaft über die Sclawen gewohnt
sind, indem da ein kleiner Junge gantze Heere von Sklawen com-
mandirt, so ihm gantz stricte gehorchen müßen. Es ist sehr
befremdend und läppisch von Personen von Jahren und reifer
Vernunft darüber zu klagen, daß ihnen die √Eltern_\\_Etern⌡ den
Willen gelaßen, und ihnen den Sinn ├nicht┤ beßer gebrochen haben.
/Seite_571
/Freilich ist das ein Fehler von ⌠den⌡ Eltern, allein⌠,⌡ wenn ein
Mensch schon reife Vernunft hat, und solches selbst einsieht, so
kann er ⌠sicht⌡ √selbst sich auch_\\_sich auch selbst⌡ discipliniren
und seine Wildheit ablegen, und wenn ers nicht
⌠Seite 526⌡
thut, so werden andere über ihn herkommen, und die
√Schlage_\\_Schläge⌡ nachholen, die an ihm √versäumt_\\_versäummt⌡ sind.
Darüber kann man zwar über die Eltern klagen, daß sie einem nicht
einige Stellungen des √Cörpers_\\_Corpers⌡ abgewöhnt haben, allein
nicht über die Ungezogenheit, denn man hat √ja_\\_ia⌡ Verstand sich
selbst zu ziehen. Vor solchen auffahrenden Personen muß man sich
sehr hüten, indem man √von_\\_vor⌡ ihnen niemals recht sicher ist.
Man sagt: solche Personen haben aber ein gutes Hertz⌠,⌡ allein das
ist schlecht am Hertzen zu
/Seite_572
/gewinnen suchen, wenn man ├aber┤ auf der andern Seite was Preis
gegeben hat. So verachten oft viele ihr Gedächtnis├,┤ und halten
es für schlecht√. Damit_\\_, damit⌡ man ihnen desto mehr Vernunft
zutrauen soll.
Obgleich der Cholerische auf der einen Seite fruchtbar √vom_\\_von⌡
vielen guten Folgen
⌠Seite 527⌡
ist, indem er, wenn er sich unter der Disciplin befindet, stets
würcksam ist, so ist er auch auf der andern Seite wieder
√fruchtbar_\\_furchtbar⌡ von schlimmen Folgen, er ist gebieterisch,
herrschsüchtig, abwerfend, rechthaberisch, seinen Sinn zu
behaupten, Proceßführerisch, in der Gesellschaft giebt er den Thon
an, führt das Wort, und will auf keine Weise den Wiederspruch
erdulden, und man √solte_\\_sollte⌡ nicht glauben, daß die Menschen
doch im Grunde
/Seite_573
/so nachgebend sind├,┤ und daß die Gesellschaft so schwach seyn
sollte. Man wird finden├,┤ daß ein solcher in Gesellschaft, der
nur darauf besteht immer das Wort zu führen├,┤ gewinnt, man giebt
ihm aus √friedliebenden_\\_freindliebenden⌡ Absichten nach, um sich
nur nicht mit ihm zancken zu dürfen, und √den_\\_denn⌡ kommt er in
den Besitz des Wortführers, und bleibt darinn, und denn ist er
nicht so bald heraus zu bekommen.
⌠Seite 528⌡
Wenn nun der Cholerische das Wort führet, so ist er in seinem
Vortrage sehr dogmatisch und gravitaetisch⌠,⌡ und weiß die Worte
mit solchem Nachdruck √«¿¿»vorzutragen_\\_vorzutragen⌡, daß seine
Reden dadurch ein Gewicht bekommen, und durch diese Manier erwirbt
er sich ein Ansehen. Es traut ihm jeder eine Gründlichkeit zu⌠,⌡
/Seite_574
/es geht also eine Illusion vor√,_\\_;⌡ so bald er aber seine Reden
aufschreibt, so hört das auf⌠,⌡ indem man da den Pomp und die
Manier nicht mit lesen kann. Der Cholerische geht auf
√formalitaeten_\\_formalitaeten⌡, √Observanzen_\\_Obserwanzen⌡ und
püncktliche Beobachtungen der √Vernunft_\\_Ver«¿¿»schrift⌡, denn da
kann er alsdenn seine Herrschaft zeigen. Er ist nicht offen-
hertzig, sondern politisch, er läßt sich dahero nicht aus, er
giebt vor viel zu wißen, aber er sagt es nicht√,_\\_,⌡ er ist
zurückhaltend nicht aus Mistrauen wie der melancho-
⌠Seite 529⌡
lische, sondern aus Ehrbegierde, denn wer zurückhaltend ist, giebt
zu erkennen, daß er viel denckt. Er √affectirt_\\_affektirt⌡ sehr⌠,⌡
so gar in seinem Gange, √den_\\_denn⌡ man wohl unterscheiden kann,
indem er jeden Schritt aus √Bedacht_\\_bedacht⌡ setzt und
√iedes_\\_jedes⌡ Glied
/Seite_575
/fühlt, wenn er es bewegt, so wie er ⌠auch⌡ √jedes_\\_iedes⌡ Wort⌠,⌡
so er spricht, höret, daher ist er auch in Schriften sehr
püncktlich, √zimlich_\\_ziemlich⌡ gekünstelt, abgemeßen und jedes
Wort √abgezirkelt_\\_abgezirckelt⌡. Der Cholerische scheint klüger zu
seyn als er ist, er sieht also sehr auf Complimente, aber nicht
auf Schmeicheleien, denn im ersten Fall hat man Ansehen├,┤ aber im
andern Falle erniedrigt man sich, überhaupt ist √er_\\_es⌡ sehr
eigenliebig. Jn der √Religion_\\_Religion⌡ ist er sehr Ortodox, und
ein √strenger_\\_strengen⌡ Vertheidiger der Observanzen_\\_Observantzen⌡, denn da er
auf der Seite der Gewalt ist, so
⌠Seite 530⌡
kann er herrschen, er geht aber nicht so auf das innere der
Religion, als auf die Form Zucht und Beobachtung der Vorschriften.
Jm √Phlegmatischen_\\_phlegmatischen⌡ ⌠Temperament sind nicht solche
Züge der⌡ Mannigfaltigkeit, weil es eine Einschränckung der
Thätigkeit
/Seite_576
/ist. Der Phlegmatische ist √fühllos_\\_fühlloß⌡ und unempfindlich
und hat Mangel der Triebfeder zu handeln. Jn Ansehung der Neigung
ist er mehr dem Wunsche ergeben als das er seine Kräfte anstrengen
sollte⌠,⌡ solches zu erlangen. Er füttert sich mit Hofnung. Jn
öffentlichen √Geschaften_\\_Geschäften⌡ ist er sehr duldend und
√nachsichtlich_\\_nachsichtig⌡, √si«¿»tzt_\\_sitzt⌡ er in einem
Collegio, so ist er ein Jaherr. Jm Hause ist er ein beqvemer
Ehemann√._\\_,⌡ er streitet sich nicht um die Herrschaft√._\\_,⌡ √ja_\\_ia⌡
es ist ihm lieb, wenn er damit nichts zu thun hat, er ist
verträglich, weil er sich keine Mühe macht⌠,⌡ Hinderniße zu legen,
er rächt keine Beleidigung, weil es
⌠Seite 531⌡
ihm Unruhe macht, er ist verträglich aus Faulheit. Der Sangvineus
ist zwar auch verträglich aber aus Nachläßigkeit, welche von der
/Seite_577
/Trägheit unterschieden ist√._\\_,⌡ √Nachläßig_\\_Nachlaßig⌡ ist man├,┤
wenn man eine Arbeit nicht √zu_\\_zum⌡ Stande bringt, wenn man darauf nicht
viel √Fleis_\\_Fleiß⌡ verwendet, träge aber wenn man gar nichts
unternimmt. Der Phlegmatische hat keine lange Weile, ein
geschäftigter thut lieber böses ehe er gar nichts thun soll. Er
ist in der Gesellschaft freundlich, er giebt immer
√lächelnd_\\_lächlend⌡ Beyfall, und hält sich mehrentheils am Glase.
Es ist also in ihm ein Analogon der Gutartigkeit nicht aus
Positiven sondern aus √negativen_\\_Negativen⌡ Gründen, er wird
nichts böses thun, nichts unternehmen, weil es ihm Mühe kostet,
und das ist nicht seine Sache. Also behütet ihn sein
Phlegmatisches Temperament
/Seite_578
/auch für einigen Lastern, denn einige Laster haben Valeur in
sich, indem sie große Unternehmun-
⌠Seite 532⌡
gen und Thätigkeit verrathen. Man kann auch beym √größten_\\_großen⌡
Verbrechen etwas hohes finden⌠,⌡ andere Laster aber verrathen die
Niederträchtigkeit. Am √phlegmatischen_\\_Phlegmatischen⌡ billigen
wir zwar, daß er nicht solche Laster ausübt, allein wir
√verrathen_\\_verachten⌡ ihn, indem er nicht einmahl eines solchen
Muths fähig ist. Seine Gutartigkeit kommt also nicht aus der
Bonitaet der Gesinnungen├,┤ sondern aus der Unthätigkeit. Der
Phlegmatische ist nur da brauchbar├,┤ wo man ihm Zeit laßen kann,
und wo man ihn immer treiben muß. Wo man ihm viel Arbeit
auferlegt, wo er lange Zeit ohne Ruhe
/Seite_579
/zubringen muß, denn möchte er sich zu Tode √Arbeiten_\\_arbeiten⌡,
um nur hernach zu √faullenzen_\\_faulenzen⌡. Der Phlegmaticus ist der ruhigste
Bürger. Jm Bürgerlichen √Kriege_\\_Krüge⌡ ist er neutral und wartet
ab, wie es werden
⌠Seite 533⌡
wird. Er ist geduldig aber nicht aus edler √Gemüths
Art_\\_Gemüthsart⌡, sondern
aus Fühllosigkeit. Er ist mit wenigem zufrieden, wenn ihm ein
mehreres Mühe kostet. Der √Sangvineus_\\_Sangvinicus⌡ ist ⌠zwar⌡ auch
mit wenigem zufrieden, der macht aber keine Summe von seinem
Wohlbefinden, der Taumel von Vergnügen bringt ihn aus seiner
Reflexion.
Wenn wir alle Temperamente untereinander vergleichen, und die
Talente dazu nehmen, so finden wir, daß der Sangvineus witzig der
/Seite_580
/√cholericus_\\_Cholericus⌡ scharfsinnig und der
√melancholicus_\\_melancholische⌡ scharfsinnig ist, der Phlegmatische
aber hat das Talent der Nachahmung. Die Lebhaftigkeit des
Sangvinei macht ihn witzig, und er braucht auch Witz wegen der
√Veränderlichkeit_\\_Veranderlichkeit⌡. ⌠Witz gehört auch zur
Geselligkeit,⌡ √der_\\_Der⌡ Sangvineus ist aber gesellig, der
√Cholericus_\\_Cholerische⌡
⌠Seite 534⌡
aber nur √gesellschaftlich_\\_Gesellschaftlich⌡. Gesellschaftlich ist
der, welcher gerne in Gesellschaft geht, wenn sie ihm auch die
Thüre weisen, √Gesellig_\\_gesellig⌡ der├,┤ der in Gesellschaft
geliebt wird. Der Cholerische ist scharfsinnig, weil er in allem
einen Vorzug haben will, und weil er thätig ist. Seine Handlungen
müßen zusammen hängen├,┤ und in allem püncktlich seyn. Des
Melancholischen Tiefsinn
/Seite_581
/kommt daher, weil er in allem eine Wichtigkeit setzt, so ist er
auch gewohnt alle Dinge aus einem wichtigen Punckt zu nehmen, und
sie also als wichtig zu prüfen. Weil der Phlegmatische nicht Mühe
verwendet selbst was √hervor zubringen_\\_hervorzubringen⌡, so ahmt
er nach├,┤ deswegen hat er auch ein gutes Gedächtnis.
Was die Verschiedenheit der Nationen in Ansehung der Temperamente
betrift, so ist der Franzose sangvinisch, der Itali-
⌠Seite 535⌡
aener Cholerisch, der √Engelländer_\\_Engeländer⌡ √Melancho-
lisch_\\_melancholisch,⌡ und der Deutsche Phlegmatisch. Der Deutsche
mag gerne √nachahmen_\\_Nachahmen⌡, er mag gerne Muster und Methoden
haben, und lieber unter einer Disciplin stehen├,┤ als sich selbst
beherrschen. Er hat
/Seite_582
/keine Hardiesse von selbst was zu wagen, welches doch zum Genie
gehöret.
Die Fehler der Temperamente sind: der Sangvineus ist
leichtsinnig, unordentlich und ein Freiheits Geist. Des
Cholerischen Fehler sind Trotz├,┤ Affection, Rechthaberey. Des
melancholici Mistrauen, Heimlichkeit,
√Hartnäckigkeit_\\_Hartnakigkeit⌡, Groll, des
√Phlegmatischen_\\_Phlegmatici⌡ Gleichgültigkeit,
√Tregheit_\\_Trägheit⌡, Aufschub. Jn Ansehung der Handlung ist beym
Sangvineus √Freymüthigkeit_\\_Freimüthigkeit⌡, beym Cholerischen
Dreistigkeit├,┤ beym Melancholischen Selbstbesitz und
√Entschlossenheit_\\_Entschloßenheit⌡, beym Phlegmatischen Kalt-
blütigkeit. Jn Ansehung der Gesellschaft
⌠Seite 536⌡
ist der Sangvineus galant, der √Cholerische_\\_Cholericus⌡
√hofmäßig_\\_hoffmäßig⌡, der √Melancholische_\\_melancholische⌡
träumerisch├,┤ der Phlegmatische gehört
/Seite_583
/gar nicht zur Gesellschaft. Jn Ansehung des Geschlechts ist der
Sangvineus ein guter Liebhaber, aber ein schlechter Ehemann, der
√Cholericus_\\_Cholericer⌡ ein guter Hausherr⌠,⌡ aber ein schlechter
Ehegenoße, der Melancholische in der Ehe beständig und zärtlich,
der √Phlegmaticer_\\_Phlegmatische⌡ läßt sich alles gefallen. Jn
Ansehung der √Gegenstände_\\_Gegenstande⌡ ist beym Sangvineus eine Ueppigkeit, alle
Ergötzlichkeiten und Vergnügen⌠,⌡ der Gegenstand├,┤ √des_\\_der⌡
√Cholerischen_\\_Cholerische⌡ ist √Herrschsucht_\\_Herr<sch>sucht⌡,
Ansehen, Gewalt, Rechthaberey, der Gegenstand des Melancholischen
in Ansehung der √bösartigkeit_\\_Bösartigkeit⌡ Neid⌠,⌡ Misgunst in
Ansehung der Gutartigkeit aber Dauerhaftigkeit in den Gesinnungen,
er geht nicht so auf den
/Seite_584
/äußern Schein├,┤ wie der
⌠Seite 537⌡
Cholerische├,┤ sondern auf Realitaet├,┤ seine Eigenschaften
betreffen die Soliditaet und Gründlichkeit. Der Sangvineus ist
offenhertzig, der Cholerische dreist, der
√melancholische_\\_«m»Melancholische⌡ √Mistrauisch_\\_mistrausch⌡ und
der Phlegmatische √nichtswürdig_\\_nichtwürdig⌡. √Er_\\_Es⌡ läßt sich nicht einmahl
das negative in dem Laster gut benennen, allein wer nichts thut⌠,⌡
der √gilt_\\_giebt⌡ auch nichts. Niederträchtig ist der, welcher
keinen Werth in sich fühlt, auf seinen Werth nicht ├viel┤ hält, sondern
ihn wegwirft, demnach wird bey einem Nichtswürdigen auch die
√Niederträchtigkeit_\\_Niedertrachtigkeit⌡ angetroffen. Jn der Noth
wird der Cholerische zuletzt den Degen, die Uhr und alles was
seine Ehre erhält⌠,⌡ √verkauffen_\\_verkaufen⌡, denn er will
/Seite_585
/sich nicht gerne erniedrigen, welches auch gut ist, indem er
alsdenn den andern nicht belästigt. Der Sangvineus wird nur
zuletzt├,┤ weil er üppig ist, seine Kleider Manschetten p
verkaufen p √indem_\\_in dem⌡ er die noch braucht um in Gesellschaft
⌠Seite 538⌡
zu erscheinen, der Phlegmatische ⌠aber⌡ wird alles verkaufen,
⌠«verk»⌡ wenn er nur hernach auf Stroh liegen kann, und wird
hernach niederträchtig handeln und betteln⌠,⌡ oder Bettelbriefe
herum schicken und auf die Gnade anderer zehren. Der Cholerische
ist Haabsüchtig, der melancholische geitzig, weil er
√mistrauisch_\\_mistrausch⌡ ist. Beym Phlegmatischen aber
√herscht_\\_herrscht⌡ die
filzige Kargheit, welche darinn besteht, daß man sich selbst Noth
leiden läßt, denn weil er faul und träge ist, so sucht er
√Macht_\\_«m»Macht⌡ und Thätigkeit durch Geld zu ersetzen.
/Seite_586
/ ≥Vom Charackter in Specie≤
Der Charackter ist beym Menschen die Haupt Sache, es läuft alles bey ihm darauf hinaus, daher ist es nöthig, daß wir den Qvell des Charackters aufsuchen. Der √Gute_\\_gute⌡ Charackter wäre der gute ⌠Wille. Der gute⌡ Wille ist unterschieden von dem guten √In-/Seite_587
/Ein Mensch kann also ein unglückliches Temperament haben, aber
doch einen guten Willen, der ein Grund zum guten Charackter ist.
Denn Charackter nennt man auch die Denckungs Art⌠,⌡ dadurch aber
wird nicht die Beschaffenheit des Verstandes angezeigt, denn so
wie der Wille einen allgemeinen Verstand hat, hier aber nur
darunter die Gesinnung verstanden wird, eben so hat auch der
Begrif des Verstandes
⌠Seite 540⌡
eine allgemeine Bedeutung, worunter aber hier nur das Vermögen
verstanden wird sich seines Verstandes gut zu bedienen. Wir
schätzen etwas hoch, so ferne es ein Werckzeug des guten Gebrauchs
ist, unbedingt ist nichts gut, sondern es kommt auf den Willen an
/Seite_588
/sich deßen gut zu bedienen. Der gute ⌠Wille⌡ ist an sich selbst
gut und unbedingt. Jn so weit der Mensch einen guten Willen hat,
ist er viel werth├,┤ durch den guten Willen ist er an sich selbst
gut, sonst aber kann der Mensch nur als ein Mittel zum Zweck gut
seyn. Dahero ist die Moral die höchste √Wißenschaft_\\_Wischenschaft⌡
unter allen, weil dadurch der Mensch an sich selbst gut ist. Der
Qvell guter Zwecke ist der ⌠gute Wille, und der Qvell böser zwecke
ist der⌡ böse Wille. Dieses nennt man auch Denckungs Art. Viele
Menschen handeln
⌠Seite 541⌡
gar nicht, weil sie dencken, sondern weil sie empfinden, sie üben
gute Handlungen aus, aber nicht nach der
√DenckungsArt,_\\_Denckungsart⌡ ⌠sondern nach der Empfindung. Die
Denckungs Art⌡ aber ist schon ein √principium_\\_Principium⌡ nach
Grund sätzen zu handeln. Worauf beruht nun ⌠aber⌡ diese
Denckungsart nach Begriffen
/Seite_589
/zu handeln√, dieses_\\_. Dieses⌡ Vermögen der Maximen und
Grundsätze nach denen der Mensch Macht hat über seine Neigung zu
herrschen? Das Vermögen nach Grundsätzen und Maximen zu handeln├,┤
beruht darauf, daß der Mensch nach Begriffen handeln kann, die
Begriffe aber müßen bey ihm zur Triebfeder werden. Die Begriffe
sind zwar an sich keine Triebfedern, denn was ein Gegenstand des
Verstandes ist, kann doch nicht ein Gegenstand des Gefühls seyn⌠,⌡
eine Triebfeder aber ist ein
⌠Seite 542⌡
Gegenstand des Gefühls⌠,⌡ damit sie uns bewegen könne. Obgleich
nun die Begriffe vom guten und bösen nicht Gegenstände des Gefühls
sind, so können sie doch dazu dienen, daß sie das Gefühl rege
machen├,┤ nach diesen Begriffen zu handeln, alsdenn handelt man
nach
/Seite_590
/Grundsätzen und Maximen. Man kann es zwar nicht einsehen├,┤ wie
der Begriff Z. E. vom Unrecht├,┤ welches einem angethan ist, das
Gefühl rege machen soll⌠,⌡ und es bewegen kann diesem Menschen
beyzustehen, aber es geschicht doch. Denn die Instincte hat uns
nur die Vorsicht gegeben in Ermangelung der √begriffe_\\_Begriffe⌡
und Grundsätze. Die Begriffe sollen also in uns Triebfedern
werden, sie sollen das Gefühl rege machen, und uns bewegen nach
solchen Begriffen zu handeln⌠,⌡ und also
⌠Seite 543⌡
nach Grundsätzen. Menschen die nicht ein solches Gefühl haben⌠,⌡
das durch einen Begriff rege gemacht werden kann, die haben kein
moralisches Gefühl. Dieses ist die Reitzbarkeit, Empfindsamkeit
oder das Gefühl durch alle Begriffe des Verstandes.
/Seite_591
/Allein man findet doch wenige Menschen, die durch den Begriff des
√guten_\\_«Verstandes»<guten>⌡ und bösen rege gemacht werden könnten,
sie thun zwar viele gute Handlungen, sie helfen dem dürftigen,
allein nicht aus Begriffen sondern aus Instincten. Wenn man den
Gegenstand durch deßen Anblick das Gefühl rege gemacht ist,
wegnimmt, so wird es schwer halten├,┤ eben solche Handlungen
auszuüben, die man vorher that, als man den Gegenstand selbst
anschaute. So wird man auch eine üble Handlung kaum unterlaßen,
wenn man durch die
⌠Seite 544⌡
Abscheulichkeit der Begriffe rege gemacht werden sollte. Jst die
Handlung unserm Vortheil und unserer Neigung gemäs, so wird man
durch die Abscheulichkeit des Begrifs nicht rege gemacht, solche
zu unterlaßen Z. E. man
/Seite_592
/soll einem eine vortheilhafte Mariage antragen, und man behält
sie für sich├,┤ hier muß man nicht sagen (obgleich es schwer wäre
es nicht zu thun) daß in dem Falle⌠,⌡ wo es √so wohl_\\_sowohl⌡ den
Vortheil als der Neigung gemäs ist, solches erlaubt sey, es ist
zwar schwer, aber der Grundsatz muß doch bleiben, das Gesetz muß
nicht verletzt werden. Man weiß nicht⌠,⌡ woran es liegt, daß Men-
schen kein moralisches Gefühl haben, ob es an der Erweiterung oder
⌠an der⌡ Verfeinerung des Gefühls liegt, das kann man nicht
einsehen├,┤ auch nicht erklären. Die
⌠Seite 545⌡
Triebfeder nach guten Grundsätzen zu handeln, könnte wohl die
√Jdee_\\_Idee⌡ seyn, daß wenn alle so handeln möchten, so wäre diese
Erde ein Paradies. Dieses treibt mich an, dazu was
/Seite_593
/beyzutragen, und wenn es nicht geschicht, so liegt es wenigstens
nicht an mir. Jch von meiner Seite bin den doch ein Glied dieses
Paradieses. Nun kommts nur darauf an, daß ein jeder so wäre. Also
kann hier der Begrif des guten eine Triebfeder seyn├,┤ und denn
ist es der gute Charackter.
Es ist am Menschen der schlechte, der gute und der böse
Charackter zu unterscheiden. Menschen haben einen schlechten Cha-
rackter, wenn in ihnen kein Vermögen angetroffen wird nach
Grundsätzen zu handeln. Das ist aber noch kein böser Charackter,
sie können übrigens ein gutes Gemüth haben. Der schlechte
Charackter ver-
⌠Seite 546⌡
räth eine kleine Seele, die sich an die Regeln wie an einen
√Gängelwagen_\\_Gangelwagen⌡ bindet. Der Charackter ist schlecht wenn
er
/Seite_594
/nichts ekeles in sich hat, er besteht in der Unfähigkeit nach
Grundsätzen zu handeln. Der geringe und schlechte Charackter ist
ein Uebel, was nicht ersetzt werden kann, es ist beynahe so, als
wenn einem die Urtheils Kraft fehlt, da kann einer noch so viel
unterrichtet werden⌠,⌡ und alle Schulen und Academien passiren, so
giebt ihm dieses nur mehr Materie zu seiner Narrheit, denn er kann
es nicht anwenden, sondern wird dadurch ein vollkommener Narr.
Also kann auch ein schlechter Charackter nicht verbeßert werden,
und wenn man einem auch die gantze Moral vorgelegt hätte, so giebt
er zu allem Beyfall, und nimmt nichts an. Wo kein Keim ist, da
kann keiner herein
⌠Seite 547⌡
gebracht werden. Wo ein böser Charackter ist, da ist doch noch ein
Keim zum Charackter, aus dem kann noch
/Seite_595
/viel gutes herausgebracht werden.
Wir wollen die Qvellen des guten Charackters noch immer mehr und
mehr aufsuchen. Der Mensch der keine Cultur bekommen hat, ist roh,
der keiner Cultur fähig ist├,┤ ist grob. Der Mensch⌠,⌡ der keine
Disciplin bekommen hat ist wild, der keine annimmt ist bös. Nun
kann man sehen├,┤ ob der Mensch keine Cultur bekommen⌠,⌡ oder
keine angenommen hat? Viele Menschen sind nur roh, aber noch nicht
grob. Auf der andern Seite kann man sehen, ob der Mensch keine
Disciplin bekommen, oder keine angenommen hat? Jm ersten Fall ist
er nur wild, denn von Natur ist der Mensch wild, er hat Neigungen,
die nur ihren Lauf gehen,
⌠Seite 548⌡
wenn sie nicht durch Kunst gezähmt oder gebändiget werden. Der
Zwang der Neigung nach Regeln ist die
/Seite_596
/Disciplin. Deßen Neigungen keine Disciplin bekommen haben, die
folgen keiner Regel, sondern sind wild. Allein es giebt auch
Menschen, deren Naturell gar keine Disciplin annimmt, und das sind
böse Menschen. Dieses ist das Fundament des bösen Charackters. Die
großten Bösewichter sind oft Menschen von den größten Talenten und
√Stärcke_\\_Starcke⌡ der Seelen, die aber keine Disciplin angenommen
haben, sondern ihrem Hange √Wild_\\_wild⌡ folgen√;_\\_,⌡ daher auch
√Bösewichte_\\_Bosewichte⌡ unbändige √Stärcke_\\_Starcke⌡ und
Hartnäckigkeit zeigen. Der ist schon gut⌠,⌡ der Disciplin
annimmt├,┤ und ihrer fähig ist. Der schlechte Charackter ist zwar
ein Mangel des Vermögens nach √Grundsätzen_\\_Grundsatzen⌡ zu handeln, allein der
√böse_\\_bose⌡ Charackter √ist_\\_«und»ist⌡ ein
/Seite_597
⌠Seite 549⌡
Haß und Wiedersetzung gegen alles was nach guten Grundsätzen
geschiehet, es ist ein √Vorsatz sich den_\\_<Vorsatz sich den>⌡
Grundsätzen, so die Leidenschaften und Neigungen bändigen⌠,⌡ und
sie unter die Regel zu bringen, wodurch der Mensch nach
Grundsätzen zu handeln geleitet wird, zu
√wiedersetzen_\\_wiedersezzen.⌡ Der böse Charackter betrift die
Beschaffenheit des bösen Willens. Der Mensch⌠,⌡ der nicht
mitleidig ist, von dem sagt man, er hat ein böses Hertz und
Gemüth, aber wer einen bösen Willen hat deßen Charackter ist böse.
Der böse Charackter ist entweder betrüglich oder boshaft. Man ist
dem bösen Charackter nach⌠,⌡ entweder ein Betrüger oder ein
√Menschenf«reund»eind;_\\_Me«¿¿»nschenfeind.⌡ √diese_\\_Diese⌡ √zwey_\\_2⌡
Stücke machen den √bösen_\\_bosen⌡ Charackter aus. Der böse
Charackter betrift die Rechte der Menschen.
/Seite_598
/Denn der Charackter geht auf die Moralitaet, so ferne er durchs
⌠Seite 550⌡
gute oder √böse_\\_bose⌡ bestimmt wird. Jn der Moralitaet sind aber
√2._\\_2⌡ Stücke unterschieden, der gütige und der gerechte Wille.
Der gütige Willen bezieht sich aufs Wohlbefinden anderer Menschen,
der Gerechte aber auf das Recht anderer Menschen. Jm ersten Fall
ist man gütig⌠,⌡ im andern rechtschaffen. Der böse Charackter
wiederstreitet der Rechtschaffenheit, so wie der gute Charackter
in der Rechtschaffenheit besteht√._\\_;⌡ Man findet Menschen vom
betrüglichen Charackter├,┤ und andere vom boshaften Charackter.
Die vom betrüglichen Charackter sind nicht boshaft, sie finden
kein Vergnügen in der Unterdrückung anderer, sie haben nicht die
√Bosheit_\\_bosheit⌡ des Menschenfeindes, aber sie
/Seite_599
/suchen den andern durch √Niederträchtige_\\_niederträchtige⌡ Lügen
zu hintergehen. Dieser Charackter ist niederträchtig und ohne
⌠Seite 551⌡
Ehre, der boshafte aber ist gewaltig und dahero hassenswerth. Wenn
ich nun auf einen Menschen sage: Er ist ein Mensch ohne Gewißen,
und ohne Ehre, so ist √das_\\_da«ß»s⌡ alles was ich von ihm sagen
kann, denn ohne Gewißen seyn, heißt boshaft seyn, ein solcher
kränckt das Recht der Menschen. Um die Ehre ⌠aber⌡ kann uns
√nicht@¿s¿@_\\_nichts⌡ bringen, als Lügen, Falschheit, Betrug das
macht den Menschen zum Gegenstande der größten Verachtung, denn
weil der Betrug und die Lüge schleichend und nicht offenbar ist,
indem man es nicht √so leicht_\\_soleicht⌡ wahrnimmt√;_\\_:⌡ so kann man
einem solchen keine Gewalt entgegen setzen, dahero muß
/Seite_600
/man ihn √verrathen_\\_verachten⌡. Wer Bosheit und
Menschenfeindschaft hat, dem kann man aber Gewalt entgegen setzen,
demnach ist dieses √Hassenswerth_\\_hassenswerth⌡. Von der Bosheit
kann der Mensch mit Gewalt zurück
⌠Seite 552⌡
gebracht werden, von der √Niederträchtigkeit_\\_Niederträchtiget⌡
√aber_\\_<aber>⌡ kann den Menschen nichts abhalten als die Ehre. Wenn
also ein Mensch √gewißenlos_\\_Gewißenlos⌡ ist, so kann doch ein
Funcken √der_\\_<der>⌡ Ehre in ihm seyn, was ihn zurückhalten kann.
Wenn er aber ohne Ehre ist, so ist alles an ihm verlohren├,┤ denn
kann man das gute auf nichts mehr gründen. Ehrlich kann der Mensch
seyn aus Gemüths Art, √Rechtschaffen_\\_rechtschaffen⌡ aber nur aus
Charackter, denn der Charackter setzt Verstand voraus. Nur der
Mann von einem richtigen Verstande kann einen guten Charackter
haben, wer
/Seite_601
/aber denselben nicht hat, ist zwar eines guten Gemüths und
Hertzens, aber keines guten Charackters fähig. Wer einen bösen
Charackter hat, der beweist doch dadurch, daß er Verstand hat,
indem er die Grundsätze verachtet √oder_\\_und⌡ √haßet_\\_hasset⌡.
Kann auch ein Charackter erworben werden? Wer auch gleich keinen
Charackter
⌠Seite 553⌡
hat, in dem kann doch ein Naturell seyn, was eines
√Charackters_\\_Characters⌡ fähig ist, und denn kann der Charackter
nachgebildet und gegründet werden. Man erwirbt durch Unterricht
Begriffe die man sich bekannt machen muß um darnach zu
√handeln_\\_handlen⌡. Es wäre sehr gut├,┤ wenn man in der Erziehung
der Kinder darauf sehen möchte, daß die Moralitaet auf Begriffe
möchte gegründet werden, denn könnte man auch einen Charackter
gründen, der Wille möchte sich als
/Seite_602
/denn auch nicht auf Instinct sondern auf Grundsätzen beziehen.
Die √Grundsätze_\\_Grundsäzze⌡ können nun durch Begriffe errichtet
werden. √Allein_\\_Alle⌡ unsere Lehren und Reden auch Canzelreden
sind nur abstracte Begriffe der Instincte, die nur das Hertz
bewegen aber nicht den Willen. %Qvaestio. Ob bey einer nicht gar
zu besten Gemüths Art doch ein guter Charackter statt finden
könne? Am Socrates hat ein Physio
⌠Seite 554⌡
gnomist wahrgenommen, daß er ein böses Gemüth und Hertz verrathe,
und als seine Schüler darüber böse wurden, weil sie ihn von einer
andern Seite kannten, so bestätigte solches Socrates, weil er
würcklich ein böses Gemüth und Hertz bey sich wahrnahm, aber durch
gute Grundsätze unterdrückte er solches. Der Charackter
/Seite_603
/kann nicht geschaffen werden, sondern es muß ein Grund dazu seyn,
man kann ihn aber hernach durch Disciplin auswickeln. Es muß also
beym Socrates bey aller √«¿»Bösartigkeit_\\_Bösartigkeit⌡ eine
√Stärcke_\\_Starcke⌡ der Seele und Macht des Verstandes gewesen seyn,
seinen Willen nach Begriffen, die er durch den Verstand einsah, zu
bewegen. Es kann der Verstand ohnmächtig seyn d. h. aber noch
nicht unfähig; er kann alles einsehen, und er hat nicht
√Macht_\\_«¿¿»Macht⌡ seinen Willen zu bewegen. Man kann zwar nicht
einsehen, wie der
⌠Seite 555⌡
Verstand Macht haben kann den Willen zu bewegen, allein wenn der
Mensch einen bösen Charackter hat, so dirigirt da der Verstand den
Willen nach den bösen Grundsätzen. Nun kann √bey_\\_beym⌡ Socrates
solche Stärcke und Macht des Verstandes
/Seite_604
/gewesen seyn├,┤ seine Bösartigkeit des Hertzens und Gemüths zu
unterdrücken. Es kann also seyn, daß der Mensch bey einem üblen
Gemüth und Hertzen doch einen guten Charackter habe, allein wer
√Merckmale_\\_Merkmale⌡ eines ⌠eines⌡ bösen Charackters hat, läßt
sich da ein guter Charackter annehmen? Hier muß man die
√Merckmale_\\_Merckmahle⌡ erst untersuchen. An der Jugend sind die
Merckmahle des √bosen_\\_bösen⌡ Charackters schon zu kennen, denn die
Jugend ist noch keiner Grundsätze fähig, allein sie äußern sich
doch schon. Wenn ein Kind in seiner Jugend zum
√Diebstal_\\_Diebstall⌡ geneigt ist, so ist das schon ein Merckmahl
eines bösen Charackters, denn wenn da irgend ein Grund √ware_\\_wäre⌡
die Niederträchtigkeit einzusehen, so
⌠Seite 556⌡
möchte doch das Kind doch davon
/Seite_605
/abstehen. Ein solcher Charackter ist schon schlimm zurecht zu
bringen. Aber bey erwachsenen Menschen zeigt sich der Charackter
durch einige √Merckmale_\\_Merckmahle⌡ Z. E. wenn einer Gefallen an
dem Streich hat, der dem andern begegnet ist. Die √Lüge_\\_Lüge«n»⌡
ist auch schon ein Flecken im Charakter⌠,⌡ der nicht gebeßert
werden kann. Ein etablirter böser Charackter kann wohl
√niemahl_\\_niemals⌡ gut werden, denn da sind die Principia selbst
verdorben. Der Charackter setzt sich sehr spät fest ohngefehr im
40ten Jahr├,┤ denn da kann man am besten die Begriffe von den
Instincten separiren, da haben schon die Instincte und Neigungen
ihre Kraft verlohren, und die Begriffe fangen an Platz zu nehmen,
und denn macht man sich Grundsätze welche den Charackter
ausmachen.
/Seite_606
⌠Seite 557⌡
≥Von der Bestimmung der Characktere der √Volcker_\\_Völcker.⌡≤
Es ist zwar viel gewagt⌠,⌡ die Characktere gantzer Völcker bestimmen zu wollen, allein es ist doch möglich, daß dennoch im gantzen eines Volcks, welches durch die lange Dauer, durch Clima und andere Ursachen endlich eine einmahl eingeartete Beschaffenheit bekommen, etwas characteristisches könne determinirt werden. Die Bestimmung des Charackters muß nicht von zufälligen Sachen Z. E. von Religion hergenommen werden, sonst beruht es auf ├den┤ Zufall, sondern es muß das erbliche eigenthümliche, √gleichformige_\\_gleichförmige⌡ der Bestimmung herausgesucht werden, welches unter allen √Veranderun- gen_\\_Veränderungen⌡ des Volcks dennoch ein √wesentliches_\\_Wesentliches⌡ Stück geblieben ist. Das √Charackterische_\\_Characterische⌡ √Betrift_\\_betrift⌡/Seite_607
⌠Seite 558⌡
hier das √Unterscheidende_\\_unterschiedene⌡ in Ansehung des Gemüths
des gantzen Volcks. Es soll hier der Charackter die allgemeine
Bedeutung haben den eigentlichen Unterscheid in Ansehung des
Talents und Gemüths zu bemercken, daher muß hier das herausgezogen
werden, was zu allen Zeiten gegolten hat. Wenn wir den Charackter
der orientalischen Völcker mit dem Charackter der Europaeer
vergleichen⌠,⌡ so finden wir hier einen wesentlichen Unterscheid,
der unter allen Regierungen und √Veranderungen_\\_Veränderungen⌡
dennoch bey den orientalischen Völckern geblieben ist. Zum
Charackter wird ein Vermögen nach Begriffen und Grundsätzen zu
handeln erfordert. Alle √orientalischen_\\_orientalische⌡ Völcker
sind der Beurtheilung nach Begriffen gäntzlich unfähig. Es ist ein
/Seite_608
/großer √unterscheid_\\_Unterscheid,⌡ die Sache nach Gestalt,
Erscheinung und Anschauung
⌠Seite 559⌡
und nach Begriffen zu beurtheilen. Alle
√Orientalischen_\\_orientalischen⌡ Völcker sind nicht im Stande eine
einzige Eigenschaft der Moral oder des Rechts durch Begriffe
√auseinander_\\_aus einander⌡ zu setzen, sondern alle ihre Sitten
beruhen auf Erscheinung. Es scheint im Anfange dieser Unterscheid
sehr klein zu seyn, allein in der Anwendung √leuchtet_\\_leichtet⌡ er hervor.
Wer sich nur nach Gestalt und Anschauung vorzustellen etwas
vermögend ist, der ist deßen gäntzlich unfähig was einen Begrif
erfordert, daher sie weder einer Philosophie noch Mathematic fähig
sind├,┤ noch durch Begriffe etwas einsehen können, daher werden
alle ihre Gemälde zwar sinnliche Schönheiten haben, aber ⌠aber⌡ es
wird in ihnen weder├,┤ die Jdee
/Seite_609
/des √Gantzen,_\\_gantzen⌡ noch der Geschmack anzutreffen seyn. Alle
Künste├,┤ worinnen die Chineser
⌠Seite 560⌡
besonders √e«¿»xcelliren_\\_excelliren⌡, sind eher excolirte Hand-
griffe als √Produckte_\\_Producte⌡, die aus dem Begriff gefloßen seyn
sollten. Die Schönheit der Music fällt bey den orientalischen
√Volckern_\\_Völckern⌡ gantz weg, sie begreifen gar nicht, daß darinn
eine Schönheit ist, wenn viele Jnstrumente zusammen in
verschiedenen Tönen harmonisch spielen, sie halten das für
Confusion├,┤ indem sie den Begrif des Thematis der in der Music
herrscht, und ausgeführt ist, nicht fähig sind, einzusehen. Jn
ihren Gebäuden ist weder Erhabenheit, Ordnung, Proportion├,┤
Delicatesse, Feinheit noch Geschmack, welches alles auf dem Begrif
beruhet. Die wahre Schönheit besteht in der Uebereinstimmung der
Sinnlichkeit mit dem Begrif, und
/Seite_610
/dieses fehlt ihnen. Da sie keines √Begrifs_\\_Begriffes⌡ fähig sind,
so können √sie_\\_si«ch»e⌡ auch nicht der wahren Ehre fähig seyn, von
der wißen
⌠Seite 561⌡
sie auch gar nichts⌠,⌡ denn es ist was anderes Ehrliebe und
Ehrbegierde zu haben, als mit dem Hochmuth zu prangen. Die
Ehrliebe gründet sich auf einen √Begriff_\\_Begrif⌡, der einen andern
Zweck hat. Ein √ehrliebiger_\\_Ehrliebiger⌡ wird also darinn seine
Ehre suchen, daß er ein rechtschaffener, großmüthiger gütiger Mann
sey√. Diese_\\_, diese⌡ Ehre beruht auf dem Begrif. Jhre Ehre aber
wird sich auf Gestalt und Anschauung gründen. Sie suchen demnach
ihre Ehre in der Macht, Gewalt, vornehmen Stande, in Eitelkeiten,
die auf wunderliche Dinge hinaus laufen. Sie gehen also nicht auf
Geschmack, sondern auf Pracht, Menge und Reichthum. Wenn worauf
viel verwandt ist, und viel
/Seite_611
/Gold prangt, √das_\\_daß⌡ ist bey ihnen ein Gegenstand der Schönheit und
der Ehre, aber keiner wird sich bestreben hochgeschätzt zu werden.
Daher findet bey ihnen auch keine
⌠Seite 562⌡
Liebe zum Vaterlande statt. Ob sie gleich sonst guthertzige Leute
sind, so verrathen sie doch ihr eigenes Vaterland, denn sie sehen
gar nicht ein, warum sie das nicht thun sollen, warum sie schuldig
sind ihr Vaterland zu lieben, daher kein √Minister_\\_Ministre⌡ für
das Wohl des gantzen Landes sorgt, sondern wenn er es thut, so
thut er es aus Gehorsam, wozu er vom Könige gezwungen wird, der
aber wieder sein Interesse hat. Daher ist keine Treue bey ihnen├,┤
und keiner sucht deswegen geschätzt zu werden, weil er √treu_\\_Treu⌡
ist. Jn ihren Büchern sind sie keines Begrifs der Gottheit fähig,
in ihren Schriften ist lauter Blumenwerck, ihr Stiel ist
/Seite_612
/weitläuftig, bilderreich und blumenvoll. Daher müßen wir gar
nicht den √europaeischen_\\_Europäischen⌡ Stiel durch das
Bilderreiche, welches einige thun wollen,
⌠Seite 563⌡
zu verbeßern suchen, √indem_\\_in dem⌡ sie ihn √alsdenn_\\_als denn⌡
√korrumpiren_\\_corumpiren⌡, und die wahren Erkenntniße durch
Begriffe, welche das vorzügliche der Europäer ist ausrotten├,┤ und
√bilder_\\_Bilder⌡ an die Stelle bringen. Zwar werden die Begriffe
vollkommener, wenn sie √anschauend_\\_anschauend«er»⌡ gemacht werden,
aber nicht├,┤ wenn ├«ihre»┤ Bilder an ihre Stelle kommen. Die
√Grichische_\\_grichische⌡ Nation ist die erste in der gantzen Welt,
welche die √Talente_\\_Talente⌡ des Verstandes ausgebildet, und die
Erkenntniße durch Begriffe entwickelt hat. Alle
√Mathematik_\\_Mathematic⌡ mit der Demonstration haben wir von den
Grichen, √daher_\\_dahero⌡ Hypocrates und Euclides Muster
/Seite_613
/bleiben├,┤ so unnachahmlich sind. So übertreffen sie auch in den
Wercken des Geschmacks alle Völcker, sie sind in der Philosophie,
Redekunst, Mahlerey, Bildhauerkunst p. Muster, von denen wir nicht
allein Schüler⌠,⌡ sondern auch ewige Nachahmer
⌠Seite 564⌡
bleiben werden, so daß wir auch √niemahls_\\_niemals⌡ was beßeres
werden machen können. Hier ist das asiatische Talent der An-
schauung mit dem √europäeischen_\\_Europäischen⌡ Talent der Begriffe
in mittelmäßiger Proportion √vereinbaret_\\_vereinbahret⌡. Die
Nordischen Völcker √Europas_\\_Europens⌡ haben ein
√großeres_\\_größeres⌡ Talent der Begriffe, aber ein schwaches Talent
der sinnlichen Anschauung.
Wenn wir aber die √Europaeischen_\\_Europaischen⌡ Völcker an sich
characterisiren wollen├,┤ so wird es hier mehr ein Spiel der Be-
griffe,
/Seite_614
/als eine Behauptung seyn. Man muß hier keinen
√Character_\\_Charackter⌡ nehmen, wodurch die Nation gelobt wird,
denn sonst wird dadurch eine andere Nation die gleichfalls Lob
fordert├,┤ beleidiget vielweniger muß man Characktere des
√Talents_\\_Tadels⌡ anführen. Also wird der gantze √charakte-
⌠Seite 565⌡
ristische_\\_Charakterischtische⌡ Unterscheid der √Volcker_\\_Völcker⌡
auf Kleinigkeiten auslaufen, über die √man_\\_mann⌡ lachen kann, die
aber gleichwohl unterscheidende Merckmale sind. Von Alters haben
die Phoenicier⌠,⌡ als sie nach Europa reiseten├,┤ die Länder nach
ihren Producten genannt Z. E. Spanien⌠,⌡ das Pferdeland, Engelland
das Zinnland. Also könnten wir auch eine ähnliche Weise nachahmen
und sagen: Franckreich ist das Modeland⌠,⌡ Teutschland das
√Tittelland_\\_Titelland⌡, Spanien das
/Seite_615
/Ahnenland, Engelland das Land der Laune p Franckreich können wir
mit Recht das √ModenLand_\\_Modenland⌡ nennen, denn es ist eine
Nation vom Geschmack. Zum Geschmack gehört Neuigkeit, zur
√Schönheit_\\_Schonheit⌡ √Veränderlichkeit_\\_veränderlichkeit⌡ worinn
sie alle Nationen übertreffen. Sie sind munter, lustig, sorgenlos,
√fröhlichen_\\_frölichen⌡ Hertzens, gesprächig, geneigt √zum
Singen_\\_zu singen⌡,
⌠Seite 566⌡
spielen, √tantzen_\\_tanzen⌡. Keine Regierung in der Welt, wenn sie
noch so hart ist kann dieses in ihnen unterdrücken. Sie machen ihr
gantzes Leben zum Spiel⌠,⌡ aus Sachen von Wichtigkeit machen sie
eine Kleinigkeit und aus Kleinigkeiten⌠,⌡ Wichtigkeit√._\\_;⌡
√Das_\\_das⌡ ist auch der Gang, den der Mensch in seinem Leben nehmen
muß, daß er es als ein Spiel √tracktirt,_\\_tractirt⌡ und sich nicht
an Dinge hänget. Jn der Leichtigkeit├,┤ Freundlichkeit,
Ungebundenheit⌠,⌡
/Seite_616
/übertreffen sie alle Nationen. Man nehme nur die
√Galanterie_\\_Galanterie⌡ nicht in Ansehung des Geschlechts sondern
in allem Betragen und Unterredungen├,┤ welches eine Höflichkeit
ohne Freundschaft ist, so sind sie darinn willfährig, höflich
gegen √jedermann_\\_iedermann⌡ aber ohne √attachement_\\_Attachement⌡,
es √geht_\\_«h»geht⌡ aufs modische und auf den äußeren Schein. Der Umgang mit
dem fran-
⌠Seite 567⌡
zösischen Frauenzimmer bildet sehr, weil sie gesprächig und
gesellig sind, und sich sehr mit ihrem Talente zeigen. Wenn man
unpartheiisch urtheilen soll, so wären wir √alle_\\_<alle>⌡ Bären in
√unserem_\\_unserm⌡ Umgange, wenn wir nicht durch die Franzosen
polirt gemacht würden. Jn keinem Lande ist die Conduite so
allgemein als in √Frankreich_\\_Franckreich⌡ in dem ein √iedes_\\_jedes⌡
√Bauermädchen_\\_Bauren Mädchen⌡ sehr bald die Conduite
/Seite_617
/einer Fürstin erlangen kann.
Deutschland können wir das √Tittelland_\\_Titelland⌡ nennen, indem
der √Deutsche_\\_Teutsche⌡ sehr auf die √Titel_\\_Titul⌡ hält. Die Frauen führen
den Titel ihrer √Männer_\\_Manner⌡. Die Titel haben großen Einfluß
bey den Deutschen, sie bewürcken auch viele Ehre. Selbst die
deutsche Sprache verräth solches, denn sie ist ⌠voll⌡ Titulatur
und Bemerckung des Unterscheides⌠,⌡ des Ranges├,┤ das du, er, ihr
und sie sind lauter Bemerckungen des Unterscheides des Ranges,
deswegen ist man sehr oft in Ver-
⌠Seite 568⌡
legenheit, indem man nicht weiß, ob man auf seinen Schuster Er
oder Sie sagen soll, das erste um nicht zu beleidigen, das
letztere um sich nichts zu vergeben. Der Deutsche ist also sehr
peinlich in Unterscheidung des Ranges. Die Folge ist diese, daß
der niedrige Stand iederzeit an
/Seite_618
/seine Niedrigkeit erinnert wird, und in Verlegenheit geräth, wenn
er mit einem √vornehmen_\\_Vornehmen⌡ spricht, woraus eine allgemeine
Peinlichkeit und √Zwanck_\\_Zwang⌡ entsteht. So ist es auch in
Briefen, die immer das √steife_\\_Steife⌡ behalten werden, und wenn
man auch an einen Vornehmen mit einer freien Feder schreiben
wollte, so hat man immer zu besorgen, er werde es für eine
√Geringschatzung_\\_geringschatzung⌡ halten. Jn Franckreich aber wird
ieder per Vous angeredet, der Unterscheid mag seyn wie er
wolle√;_\\_,⌡ daher sind alle Unterredungen freymüthig├,┤ nicht
gezwungen nicht peinlich. Jn Engelland
⌠Seite 569⌡
ist der völlige Mangel der Titel anzutreffen, woraus eine Art von
Gleichheit und
/Seite_619
/Selbst-Zufriedenheit entspringt. Die Deutschen sind methodisch,
regelmäßig├,┤ ordentlich und abgemeßen, daher beobachten sie in
allen Formularitaeten √Beobachtung_\\_Beobachtungen⌡ der Stände
Ordnung und Regeln, welches jetzt sehr hoch gestiegen ist, und
beynahe nicht höher steigen kann. Je mehr nun der Mechanismus
wächst, √desto mehr_\\_destomehr⌡ wird das Genie ausgerottet, daher
bringen sie die Produkte des Genies anderer in Ordnung, und ihre
Bücher enthalten viele Ordnung und Theile, aber nichts besonders
darinn abgehandeltes. Sie halten sehr auf das, was gebräuchlich
ist, daher werden sie nichts eigenthümliches anfangen, und neue
Moden √können_\\_kommen⌡ bey ihnen auch nicht entstehen, weil sie
/Seite_620
/den der was √neue_\\_neues⌡ aufbringt ein Recht zu haben glauben,
auszulachen.
⌠Seite 570⌡
Diejenigen Moden kommen bey ihnen auf, die schon in Franckreich im
Gebrauch waren, und den werden sie wieder zum Gebrauch. Sie sind
also sehr an Regeln gebunden, und es ├ist┤ ihnen anzusehen, daß
sie sich Zwang anthun. Vieles beruht schon auf der Erziehung⌠,⌡
indem die Kinder schon angewöhnt werden am Tisch nach gewißen
Regeln zu √handeln_\\_handlen⌡, solche auch in Kleidern beobachten
müßen, und auf das schickliche √«und»oder_\\_oder⌡
√Unschickliche_\\_unschickliche⌡ sehr oft verwiesen werden. So geht
es auch in den Schulen zu, da wird alles nach Regeln der Grammatic
/Seite_621
/gelernt, die Chrieen nach einer gewißen Methode zugeschnitten,
und die Briefe nach allen Regeln der Antecedenzen und
√Conseqvenzen_\\_Conseqvencen⌡
verfertiget, alle √exertitia_\\_Exercitia⌡ immitirt, woraus eine
solche allgemeine Peinlichkeit entsteht⌠,⌡
⌠Seite 571⌡
die niemals auch nicht in Gesellschaft abgelegt wird. Der Deutsche
ist dauerhaft in der Arbeit, welches mit seiner Ordnung und
Peinlichkeit nach Regeln zusammen stimmt. Daher ist der Deutsche
der Pedant in der Welt⌠,⌡ weil er peinlich in √Beobach-
tung_\\_Beobachtungen⌡ der
Regel ist├,┤ und Mangel an Weisheit und UrtheilsKraft hat, diese
Regel anzuwenden. Der Deutsche ist nicht so gesprächig als der
Franzose, aber √gastfreier_\\_Gastfreier⌡, sie haben einen
/Seite_622
/Hang zur Geselligkeit, die sich nicht allein mit Worten begnügt,
sondern auch für den Magen sorgt. Es ist eine Gutartigkeit des
√Herzens_\\_Hertzens⌡.
√Italien_\\_Jtalien⌡ ist ein Land der Schlauen, daher sind die
Italiaener sehr zurückhaltend √acht-_\\_a«¿»cht-⌡ und behutsam. Jn
Italien ist lauter Politic. √Man_\\_Mann⌡ findet √sich_\\_sie⌡ nirgends
⌠so⌡ als da,
⌠Seite 572⌡
es läuft alles bey ihnen auf Verschlagenheit √hinaus_\\_h«er»inaus⌡,
und dadurch verdienen sie sich mehr √Brod_\\_Brodt⌡, als wenn sie
etwas nützliches ausarbeiten. Sie zeigen einen schlauen und
erfindungsreichen Geist├,┤ dem andern den Geschmack abzurathen├,┤
und ihn zu treffen, dahero √sie sich_\\_sind sie⌡ sehr auf
√Optische_\\_optische⌡ Sachen, Music, Mahlerey legen. Alles dient
dazu um dem
/Seite_623
/√reichen_\\_Reichen⌡ das Geld schlau aus der Tasche zu locken. Die
Künstler und überhaupt das Volck √weis_\\_weiß⌡ solche Eitelkeiten zu
ersinnen, das Geld den Vornehmen, die es ihnen auf eine andere Art
entzogen haben abzulocken. Es ist lauter √Täuschung_\\_täuschung⌡ der
Sinne Z. E. die √Lotterie_\\_Lotherie⌡. Schöne √Künste_\\_Künsten⌡ sind
bey ihnen eine Künstliche Manier. Jhre Schlauigkeit zeigt sich
auch im Kriege und in denen √Feindseeligkeiten_\\_Feindseligkeiten⌡,
daher sind sie
⌠Seite 573⌡
gute Banditen.
Spanien ist das Ahnenland. Sie halten sehr viel auf das Alter
ihres √Abstammes_\\_Stammes⌡, auf das Ahnenblut├,┤ Ahnensatzungen und
√Ahneng<e>bräuche_\\_Ahnengebräuche⌡ in der Religion. Demnach
schätzen sie Z. E. das Gothische Blut sehr hoch, indem es mit
keinem √Mohrenbluth_\\_Mohrenblut⌡ vermischt ist. Sie verachten mit
/Seite_624
/Hochmuth und Vorzugs Geist alle andere Nationen. Sie sind dem
Aberglauben sehr ergeben, der √den_\\_denn⌡ auch von der
√Unwißenheit_\\_Unwissenheit⌡ begleitet wird.
Engelland ist ein Land der Laune, welches eine Disposition des
Kopfs √ist_\\_in⌡ alle Gegenstände nach besonderm Licht zu be-
urtheilen. Das Land der Laune ist auch das Land der Characktere,
√ieder_\\_jeder⌡ hat seine Disposition und seinen eigenthümlichen
Charackter. √Dennoch_\\_Demnach⌡ giebt es keine Nach-
⌠Seite 574⌡
ahmer unter ihnen. Die Deutschen hingegen sind die größten
Nachahmer. Jn Engelland sind lauter Original Characktere. Wenn man
√zehn_\\_10.⌡ Franzosen gesehen hat, so kennt man die gantze Nation,
aber in Engelland ist die Verschiedenheit sehr groß, dahero
/Seite_625
/auch die gantze Nation der Engelländer keinen Charackter hat,
weil ⌠ieder seinen eigenen hat; weil⌡ aber √jeder_\\_ieder⌡ Franzose
keinen eigenthümlichen Charackter hat, so hat die gantze Nation
einen. Menschen⌠,⌡ die ihre eigene Länder haben, beqvemen sich
nicht gerne einem fremden Charackter. Daher das Volckrecht in
Engelland sehr herrscht. Jn √Frankreich_\\_Franckreich⌡ thut man
stoltz├,┤ daß der König alles ⌠König alles⌡ kann, aber die
Unterthanen können weiter √nicht_\\_nichts⌡ aus-
⌠Seite 575⌡
richten. Die Macht des Königes kommt daher, weil die Unterthanen
nichts haben, welchen Vorzug man ihnen auch gerne
√zugesteht_\\_Zugesteht⌡. Eine √Wirckung_\\_Würckung⌡ ihrer Laune ist
auch der Selbstmord. Nirgends bringen sich solche Reiche, Vornehme
und hohe Personen aus Laune um⌠,⌡ als in
/Seite_626
/Engelland. Die √Originalität_\\_Originalitaet⌡ ist die
√Wirckung_\\_Würckung⌡ davon. Die Gründlichkeit und der Tiefsinn ist
demnach bey ihnen zu finden, aber nicht das Geschmackvolle der
Franzosen√,_\\_;⌡ obgleich große Accuratesse, Dauerhaftigkeit, √Pro-
prietaet_\\_Proprietaet⌡ in ihren Producten anzutreffen ist, so fehlt
doch der Gout der Franzosen√:_\\_.⌡ Zwar √dauert_\\_dauret⌡ das Product
der Franzosen nicht so lange⌠,⌡ es ist neu, mit einem mahl auch
schon alt⌠,⌡ √alsdenn_\\_als denn⌡ bringen sie wieder was neues auf,
und damit erhalten
⌠am Rand Z. 4
~(der Engelländer)~⌡
⌠Seite 576⌡
sie sich.
Jn den übrigen Ländern und Nationen von Europa ist der
√Charackter_\\_Character⌡ schwer zu treffen, obgleich aus der
Vereinigung des Charackters √zweyer_\\_zwoer⌡ Nationen ein dritter
heraus kommt Z. E. so haben die Pohlen etwas vom
/Seite_627
/französischen und spanischen Charackter an sich, obgleich sich
diese Characktere entgegen zu seyn scheinen. Bey den Pohlen
herrscht eine gewiße √Gravitaet_\\_Gravitaet⌡, woraus aber hernach
eine Masurische Gleichgültigkeit herauskommt, es fängt sich alles
bey ihnen mit Pomp und Pracht an, und √zuletzt_\\_zulezt⌡ kommts auf
etwas gemeines und niedriges heraus. Die Rußen müßen sich noch
mehr auf dem Theater der Welt sehen laßen, damit man ihren
Charackter kennen und bezeichnen könnte, dahero ist es nicht
rathsam aus einigen Kleinigkeiten die Nation zu
⌠Seite 577⌡
characterisiren, weil es √fehl schlagen_\\_fehlschlagen⌡ könnte. Die Pohlen und
Rußen haben mehr orienthalische √Charackter_\\_Charackter«e»⌡
Mischung als alle andere Nationen in Europa. So ist
/Seite_628
/in der Beredsamkeit der Pohlen mehr Pomp von Declamationen als
Begriffe.
≥Von der Physiognomie oder von der Bestimmung des Charackters am Menschen.≤
Alles⌠,⌡ was äußerlich den Charackter am Menschen verrathen kann, gehört zur Physiognomie. Auf dieses ist die Neubegierde √der_\\_des⌡ Menschen am meinsten gerichtet. Denn da es zum Theil eine Wahr- sager Kunst ist, √«m»so_\\_so⌡ uns die Natur gegeben hat, den Charackter der hervorragt zu entdecken, so schmeichelt die Entdeckung eines solchen Geheimnißes den Menschen sehr, denn √je mehr_\\_¿emehr⌡ einem etwas √Geheim_\\_geheim⌡ ist,/Seite_629
/Scharfsinn des Menschen zu befriedigen, sondern weil wir mit
Menschen umgehen, und sie √also auch_\\_auch also⌡ kennen lernen
müßen, so ist sie auch nützlich. Nichts ist in der Natur ein
Gegenstand des Affects und unserer Leidenschaft als ein anderer
Mensch. Andere Sachen sind nur √Gegenstande_\\_Gegenstände⌡ unseres
Appetits und unserer √Begierde_\\_Begierden⌡, aber nicht unseres
Affects und unserer Leidenschaft. Daher √interessirt_\\_intereßirt⌡
dieses den Menschen am meisten ihn kennen zu lernen und seinen
Charackter zu wißen. Die Physiognomie lehrt uns, wie weit wir den
Charackter aus dem äußern bestimmen √können,_\\_kennen⌡ und wie weit
unser Scharfsinn geht. Die Physiognomie ist die
√Gesichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡
⌠Seite 579⌡
des Menschen, aus der man das
/Seite_630
/innere deßelben √errathen_\\_verrathen⌡ kann. Sie sollte aber die
√Wißenschaft_\\_Wi«sch»¿enschaft⌡ seyn solches unter die Regel zu
bringen, damit man von dem äußeren auf das innere schließen
könnte.
Die menschliche Bildung scheint dem vernünftigen Wesen die √aller
angemeßenste_\\_allerangemeßenste⌡ zu seyn. Wir können uns keine Ge-
stalt dencken, kein Dichter kann sein Dichtungs Vermögen so weit
aufschwingen, daß er für den Menschen ein andere Gestalt aussinnen
könnte, als diese Bildung des Menschen ist, die dem vernünftigen
Wesen die geziemenste und √passendste_\\_paßenste⌡ ist. Die Ursache
ist├,┤ weil uns keine Bildung von unsern bekannten Aeußerungen
√bekannt_\\_bekant⌡ ist, als so wir haben. So wenig √wi«r»e_\\_wie⌡ wir
uns eine andere von Sinnen vom Gebrauch der Welt
/Seite_631
/erdencken können,
⌠Seite 580⌡
als diejenige √die_\\_so⌡ wir haben, also können wir auch keine
andere Organisation der Bildung erfinden, als die wir haben. So
wie das ein guter moralischer √Gedancken_\\_Gedancke⌡ ist: der Mensch
ist nach Gottes Bilde gemacht, so könnte man auf der andern Seite
sagen√:_\\_;⌡ der Mensch macht sich Gott nach seinem Bilde, indem er
sich keine neue Bildung von Gott machen kann. Er kann zwar die
Bildung ├«von Gott»┤ *1 √«von»für_\\_für⌡ Gott
√vergrößern_\\_vergrössern⌡ und √zusetzen_\\_Zusätzen⌡, aber keine neue
√machen_\\_Machen⌡, er kann aus der ├Bildung┤ des Menschen nicht her-
auskommen. So pflegt man √auch_\\_<auch>⌡ den Engeln denen man auch
eine menschliche Gestalt giebt, noch Flügel
√hin<zu>zusetzen_\\_hinzuzusezzen⌡, die aber sehr
√unpassend_\\_unpaßend⌡ sind├,┤ indem ein solcher Mensch der Flügel
an den Schultern hätte gar nicht fliegen
/Seite_632
/könnte, weil kein Gleichgewicht ist. Wir können also nichts zum
Men-
am Rand Z. 10
~*1 des Menschen~
⌠Seite 581⌡
schen hinzusetzen.
Jn dieser Bildung können wir Betrachten die Leibes Gestalt und die
Geberdung oder Stellung. Jn der Leibes Gestalt ist der Schnitt des
Menschen⌠,⌡ die Proportion ├aller seiner Glieder zu mercken. Die
Proportion┤ der Glieder ist noch nicht recht bestimmt, die man für
eine allgemeine annehmen könnte. Denn es könnte auch seyn, daß man
sich an eine gewiße Proportion angewöhnt hätte, und diese für die
beste hielte, und denn wäre sie nur aus der Erfahrung hergenommen.
So suchen die Chineser die Schönheit ihrer Bildung in einem dicken
Bauch, allein man sucht und begehrt gemeinhin darinn die
/Seite_633
/Schönheit, woran man einen Mangel hat. Da nun die Chineser alle
sehr √mager_\\_Mager⌡ sind, so sehen sie darauf⌠,⌡ wenn sie
√völlig_\\_vollig⌡ werden, und √sezzen_\\_setzen⌡ in einem dicken Bauch
die Schönheit der Proportion.
⌠Seite 582⌡
Allein man √könnte_\\_konnte⌡ doch aus der Natur die ächte Proportion
und Bildung herausbekommen, ohne sie nach dem Geschmack zu nehmen.
Wenn man die √wahre_\\_Wahre⌡ Proportion herausbekommen will, so
√müßte_\\_müste⌡ man von 100 Menschen die Höhe meßen, hernach die
Höhe des Gesicht⌠,⌡ √den_\\_denn⌡ die Höhe der Nase der
√Stirne_\\_Stirn⌡ und √so weiter_\\_s. w.⌡ von allen Gliedern, als denn
√müßte_\\_müste⌡ man eine jede Höhe besonders addiren, und denn wäre
dieses ein Mensch der 100 mal größer wäre als alle 100, und diese
Bildung wäre die Proportion der Bildung dieses großen Riesen, und
das
/Seite_634
/Gesicht √ware_\\_wäre⌡ das √proportionirte_\\_Proportionirliche⌡
Gesicht √dieses_\\_des⌡ großen Riesen. Dieses wäre nun ein Mensch von
der √proportionirlichsten_\\_proportionirtesten⌡ Bildung. Wenn ich
nun diese Proportion mit 100 dividire, so bekomme ich die
Proportion für √ieden_\\_jeden⌡
⌠Seite 583⌡
Menschen von den 100⌠,⌡ und dieses wäre die wahre Proportion der
√Gesichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡. Wenn wir Z. E. die
Gesichtsbildung der Griechen nehmen, die in ihrem √Profiel_\\_Profil⌡
eine gerade Linie von der √Stirn_\\_Stirne⌡ bis zur Nase ohne Absatz
√hätten_\\_hatten⌡, welche Bildung was erhabenes anzeigt, sich aber
mehr √für_\\_vor⌡ die Minerva als die Venus schickt, wenn wir hernach
die Bildung der Negers nehmen⌠,⌡ die wieder eine eben gar zu sehr
angedruckte und aufgeworfene Nase haben, wenn wir nun das zusammen
nehmen, und hernach durch
/Seite_635
/dieselbe Menge dividiren so kommt die mittlere Proportion her-
aus√;_\\_,⌡ weder das Profiel des Grichen noch das Profil des Negers,
und das wäre die wahre Schönheit des Gesichts. Und so könnte man
auch in der Bildung anderer Glieder die wahre Proportion heraus
⌠Seite 584⌡
bringen. Jn Jndien sollen die Schenckel größer seyn als hier. Die
Proportion in der Taille bringt auch in uns das Urtheil von der
wohlgebildeten Leibes Gestalt des Menschen hervor, daraus folget
aber noch nicht, daß er im Gesicht schön seyn muß. Denn hier geht
unser Urtheil nicht so auf die Proportion, obgleich auch auf
die⌠,⌡ als auf den Reitz den die Gesichter haben. Daher sagt auch
√Winkelmann_\\_Winckelmann⌡, daß wir unsere Begriffe von der
Schönheit der √Gesichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡ corrumpiren,
indem wir die Begriffe von
/Seite_636
/der Gesichtsbildung an sich und ihrer Schönheit mit den
√Begriffen_\\_«b»Begriffen⌡ von der √Schönheit_\\_Schonheit⌡ der √Ge-
sichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡ der √Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡
vermengen, denn da sehen wir nicht so auf die Schönheit der
Proportion als auf den Reitz, und suchen hernach diesen Begriff
von dieser Schönheit auf √alles_\\_alle⌡ anzuwenden,
⌠Seite 585⌡
da doch die Proportion bey dem Manne gantz anders ist, als bey
√den Weibern_\\_dem Weibe⌡, in dem die √ihr«e»ige_\\_ihrige⌡ sowohl in
der Brust als andern Theilen von der unsrigen unterschieden ist.
Die Griechen sollen die beste Leibes Bildung gehabt haben, indem
sie ihren Leib durch ihre Spiele so sie nackend hielten⌠,⌡ aus-
gebildet und den Wuchs ihrer Natur durch keinen Zwang aufgehalten
haben. Bey uns wird die Natur durch den √Zwank_\\_Zwang⌡ der Kleider
√aufgeh«¿¿»alten,_\\_aufgehalten⌡ und
/Seite_637
/dadurch die √natürliche_\\_Natürliche⌡ Proportion des Leibes
gehindert. So haben die Pohlen einen dickeren Hals, weil er frey
ist, und die Engellander geschicktere Schenckel, weil da die
Erziehung der Kinder nicht auf den Regeln des Schikens und Laßens
beruht, sondern die √vornemsten_\\_vornehmsten⌡ Kinder eben so gut
auf der Straße herumlaufen wie die √Bauer_\\_Bauren⌡ Kinder, welches
auch Rousseau haben will, indem dadurch die Kin-
⌠Seite 586⌡
der wacker erzogen werden. Die deutsche Nation ist aber sehr an
Regeln und Gebrauch gebunden, daher auch die Erziehung der Kinder
zwangsmäßig ist. Die Kinder werden immer commandirt, sie sollen so
und nicht anders sitzen, denn das schickt sich nicht, oder es läßt
nicht.
Was die Geberdung und Stellung betrift├,┤ so ferne sie
/Seite_638
/durch alle Hinderniße gehet, so hängt sie von der Gestalt und
Leibes Bildung ab. Je weniger die Menschen mit ihrem Leibe unter
dem Zwange sind, desto mehr sind die Geberden der Natur
√gemäß_\\_gemäs⌡ und desto weniger ist was gekünsteltes⌠,⌡ sondern
die Freymüthigkeit und Munterkeit der Natur strahlt iederzeit
hervor, welche aber in unserer Erziehung durch die Beschämung sehr
unterdrückt wird, und wenn auch durch das
⌠Seite 587⌡
√zwangsmäßige_\\_Zwangsmäßige⌡ eine geschickte Stellung und Geberde
erworben wird, so artet doch dadurch der √Zwanck_\\_Zwang⌡ ein, so
daß man in allen Geberden √denselben_\\_den selben⌡ blicken läßt, und
man sich √Zeitlebens_\\_Zeit lebens⌡ nicht in die Freiheit der Natur
√versetzen_\\_versezzen⌡ kann.
Man sagt vom Menschen: er ist hübsch
/Seite_639
/wohlgebildet. Dieses geht theils auf die Bildung der gantzen
Leibes Gestalt, theils auf die Bildung des Gesichts. So sagt man
auch√,_\\_:⌡ der Mensch ist häslich. √Häßlich_\\_Häslich⌡ kommt aber vom
√hassen_\\_Hassen⌡ her. Wenn es aber daher kommt, so kann √man_\\_mann⌡
nicht sagen, daß ein solches Gesicht oder die Leibes
√Gestalt_\\_gestalt⌡, die von der wahren Proportion abgeht, häslich
sey, deswegen √darf_\\_darff⌡ √er_\\_es⌡ gar nicht gehaßt werden. Um
häslich zu seyn, muß etwas im √Gesicht_\\_Gesicht«¿»⌡ liegen, was der
Moralitaet wiederspricht, Tücke, Bosheit, Trotz, Wieder-
⌠Seite 588⌡
spenstigkeit Grobheit, das ist nur allein am Menschen
√häßlich_\\_häslich⌡. Die ├Die┤ unproportionirte Bildung des Leibes
und des Gesichts aber darf deswegen nicht häslich seyn. Die
Urtheile sind in Ansehung beyder Geschlechter, so wie es auch die
Urtheile von der Schönheit √waren_\\_wären,⌡ sehr
/Seite_640
/verschieden, denn wir beurtheilen die Schönheit am
√«Menschen»Mann_\\_Mann⌡ und am Weibe aus verschiedenen √Ge-
sichtspuncten_\\_Gesichtspunckten⌡. Des Mannes seine Schönheit und
√Häßlichkeit_\\_Häslichkeit⌡ betrachten wir aus dem
√Gesichtspuncte_\\_Gesichtspunckte⌡ der männlichen √Starcke_\\_Stärcke⌡
und Tüchtigkeit ⌠aber die Schönheit und Häslichkeit⌡ des
Frauenzimmers vergleichen wir mit unserer Neigung, daher sieht ein
altes Weib immer √häßlicher_\\_häslicher⌡ aus als ein alter Mann,
denn das Weib beurtheilen wir nach dem Reitz, den Mann aber nach
seiner Mannhaftigkeit√:_\\_.⌡ √so_\\_So⌡ führt
⌠Seite 589⌡
iemand vom √Heideg_\\_Heydeg⌡ gar an, daß er solche üble Proportion
im Gesichte hatte, daß man ihn nicht ansehen konnte ohne zu la-
chen, so wie er auch selbst damit Spaas trieb, indem er einmal
sagte, daß er der √häßlichste_\\_häslichste⌡ in der Gesellschaft
wäre. Als nun gewettet wurde, so führte der andere, welcher mit
ihm gewettet hatte, ein altes Weib herein. Ueber diese fing nun
/Seite_641
/alles noch mehr an zu lachen, worüber er seine Wette verspielte,
er aber sagte: damit sey es noch nicht ausgemacht, weil hier die
Beurtheilung aus 2 Gesichtspunckten geschiehet, man √solle_\\_solte⌡
dem Weibe die Peruqve und ihm die Dormaise aufsetzen, so bald
dieses geschah, ward man gewahr, daß er Recht hatte, und sah
worauf es hier beruhe. Die Männer √müssen_\\_müßen⌡ Mannhaftigkeit,
√Stärcke_\\_Starcke⌡ und Tüchtigkeit, die Weiber
⌠Seite 590⌡
aber mehr Sanftmuth in ihrer Gesichtsbildung verrathen. Denn so
wie das weibliche √Ges«chlecht»icht_\\_Ge«schlecht»sicht⌡ den Mann
verdirbt, so verdirbt auch das männliche das Weib, welches
letztere einige als ein Lob anführen, wenn √nehmlich_\\_nemlich⌡ ein
Weib männlich aussieht, und doch weder das eine von einem, noch
das andere vom √andern_\\_anderen⌡ gelten kann.
/Seite_642
/Wenn eine Disproportion in dem Gesicht des Menschen ist, so kann
diese Disproportion durch die Veränderung eines
√Gliedmaßes_\\_Gliedmaaßes⌡ nicht einmal aufgehoben werden, sondern
es müßen alle Glieder verändert werden Z. E. wenn jemandes Nase
für sein Gesicht zu groß gehalten wird, so daß man glaubt, dadurch
entstehe eine Disproportion, so √frägt es_\\_frägts⌡ sich: ob eine
kleinere Nase diesen Menschen kleiden würde? Wir können sagen, daß
⌠Seite 591⌡
keine andere Nase für sein Gesicht so gut passet, als die, welche
er hat. Es ist durch Zufall geschehen, daß ein Mensch, der eine
große Nase hatte, dieselbe verlohr, und als er sich eine kleine
machen ließ, so stand ihm diese gar nicht wohl, weshalb er sich
wieder eine eben so große Nase machen ließ, als die war⌠,⌡ so er
verlohren
/Seite_643
/hatte. Also ist auch im disproportionirten Gesicht solche
Proportion, daß √man_\\_«¿¿man»⌡ die Disproportion nicht durch Ver-
änderung eines Gliedes haben kann⌠,⌡ sondern das gantze Gesicht
√müste_\\_müßte⌡ alsdenn verändert werden. Um aber der Physiognomie
näher zu kommen, so frägt es sich, ob auch eine Physiognomie
möglich √sey_\\_seyn⌡, und ob auch das äußere als eine Entdeckung des
innern von der Natur könne angesehen werden√,_\\_?⌡ und ob sich die
Physiognomie unter gewiße Regeln
⌠Seite 592⌡
bringen läßt, so daß die Physiognomie eine Wißenschaft wäre? Jn
wie weit sich etwas unter Regeln bringen √laßt_\\_läßt⌡, und in wie
weit die Physiognomie eine Wißenschaft ist oder nicht, wird sich
noch in der Folge mit mehrerem zeigen. Eigentlich kann die
Physiognomie keine Wißenschaft seyn, weil keine Regeln und
/Seite_644
/Principia sind, aber es ist doch eine Kenntnis aus dem äußern das
innere zu errathen, es ist doch ein Grund zu vermuthen, daß das
innere sich durch das äußere entdecken, und wir durch den
√Corper_\\_Cörper⌡ die Seele durchschauen können. Die Gründe├,┤
woraus dieses erhellen könnte sind: weil √sich_\\_sie⌡ das Gemüth
durchs Gesicht verräth, wenn es in Bewegung ist, wie Z. E. beym
Zorn.
Ehe wir anführen⌠,⌡ wodurch sich das Gemüth im Gesicht zeige, so
müßen wir
⌠Seite 593⌡
vorhero sagen, woraus das Gesicht besteht. Das Gesicht bestehet
aber aus der Gesichts Bildung, aus den Gesichts Zügen, und aus den
Gesichts Mienen.
Die Gesichtsbildung beruht auf der Proportion des Gesichts, da
kann das Gesicht proportionirt und
√disproportioniret_\\_disproportionirt⌡ seyn,
/Seite_645
/wovon schon in der Leibes Gestalt etwas gesagt ist. Der Zug des
Gesichts bedeutet etwas charackteristisches in Ansehung des
Gemüths. Daher sagt man, das Gesicht sagt nichts, wenn kein merck-
licher Zug darinn ist, der etwas bestimmen sollte. Die Gesichts
Züge sind also Anlagen zu den Mienen. Die Mienen sind in ein Spiel
gesetzte Gesichtszüge. Jede √Gemüths Bewegung_\\_Gemüthsbewegung⌡ und
Veränderung bringt Mienen hervor, so mit der √Verände-
rung_\\_Veranderung⌡ des √Gemüths_\\_Ge«sichts»<müths>⌡ harmoniren├,┤
⌠Seite 594⌡
und es kann keine andere Miene für diese Bewegung des Gemüths ge-
funden werden, daher ist die Miene eines Menschen├,┤ der da
horcht, anders als der sich wundert, oder der da spottet, oder
deßen der trotzig ist, oder deßen der von etwas versichert ist.
/Seite_646
/Die Mienen sind also sehr verschieden├,┤ und jede paßt für die
Bewegung des Gemüths. Weil nun gar keine Gemüths Bewegung ist⌠,⌡
mit welcher nicht eine Miene harmoniren sollte, und weil die Ge-
müths Bewegung bey allen Völckern einerley ist, und also auch
einerley Mienen seyn müßen, so steckt hier was in der Natur, wo
der Geist mit dem Cörper ├mit dem Cörper┤ √harmonirt_\\_harmonirt⌡. Demnach sind die
Mienen allgemein gültige und natürliche Zeichen der Gemüths
Bewegungen,
⌠Seite 595⌡
wir haben sonst nichts allgemeineres als die Mienen, denn die
Worte sind nicht so allgemein, dahero könnte eine pantomimische
√Comoedie_\\_Comoedie⌡ gehalten werden, die für alle Völcker gelten
könnte. Da nun die Gesichts Züge Anlagen zu den Mienen
/Seite_647
/sind, die Mienen aber Ausdrücke der √Gemüthsbewegungen_\\_Gemüths
Bewegungen⌡, die √Gemüths Bewegungen_\\_Gemüthsbewegungen⌡ aber aus
der Gemüths Art der Menschen entspringen, so sind auch die
√Gesichts Züge_\\_Gesichtszüge⌡ Anlagen zu den Gemüths Bewegungen⌠,⌡
folglich zeigt sich die Gemüths Art in den Gesichtszügen. Es wird
demnach der Gesichtszug des Menschen, wenn er schläft oder sonst
was thut die Beschaffenheit und die Disposition seines Gemüths
ausdrücken. Die Mienen drücken die Gemüths Bewegungen so aus, daß
wenn man gewiße
⌠Seite 596⌡
√Mienen_\\_Miene⌡ annimmt, man in solche Gemüths Bewegungen gesetzt
wird. Wer einen zornigen lebhaft schildern will, der darf nur
Gesichter schneiden, und grimmige und zornige Mienen annehmen, so
wird √er_\\_es⌡ auch so afficirt√,_\\_.⌡ Selbst einige Stellungen
bringen
/Seite_648
/einen Gemüths Zustand hervor. Wer Z. E. schelten und auffahren
will⌠,⌡ und sich hinsetzen muß, der kann nicht schelten.
√Allemal_\\_Allemahl⌡ wenn er √loßziehen_\\_loß ziehen⌡ will, steht er
vom Stuhl auf. So bringt auch die gerad geschobene Stellung des
Cörpers Stoltz hervor, so bringt auch auf der andern Seite der
Gemüths Zustand viele Mienen und Geberden hervor. Aber wie schon
die Menschen die Mienen mit auf die Welt bringen, welche den
Gemüths Zustand ausdrücken ist schwer├,┤ einzusehen. Der Cörper
⌠Seite 597⌡
kommt ins Spiel mit dem Gemüth⌠,⌡ und das Gemüth mit dem
√Körper_\\_Cörper⌡. ⌠Wenn nun der Körper gebildet wird, so wird die
Seele mit dem Körper⌡ harmonisch gebildet, weil beides eine
Einheit ausmachet, also muß die Ausbildung des einen den
Charackter des √andern_\\_anderen⌡ bestimmen. Also kann schon in der
ersten
/Seite_649
/Organisation diese Harmonie gesucht werden. Reisende, welche in
den Raspelhäusern von Amsterdam gewesen⌠,⌡ mercken an, daß
gewaltige √Bösewichter_\\_Bosewichter⌡ starcke Gesichts Züge haben.
Ein Physiognomist konnte da seine √Kenntniß_\\_Kenntnis⌡ sehr aus-
bilden, und eine rechte Schule anlegen. Um in dieser duncklen
Materie einige Eintheilung anzuführen, so mercke man diese als die
beste an√: durch_\\_. Durch⌡ die Gesichts Bildung wird das Talent
bestimmt durch die Gesichts Züge das Gemüth und durch die
⌠Seite 598⌡
Mienen oder durch den Blick der Charackter. Das √Profiel_\\_Profil⌡
enthält die Gesichts Bildung, die Phase enthält die Gesichts
Züge⌠,⌡ und in der Action liegt der Blick. So urtheilt auch
Lavater in seiner Physiognomie von der √Gesichts
Bildung_\\_Gesichtsbildung⌡ auf das Talent des
/Seite_650
/Menschen. Jn Ansehung des √Profils_\\_Profiels⌡ des Menschen findet
man auch viele √ähnlichkeit,_\\_Aehnlichkeit⌡ mit dem Profil einiger
Thiere. So hat Z. E. das Skelet des Kopfs des Menschen viele
Aehnlichkeit vom Skelet des Kopfs des Schaafs, nur die Proportion
ist geändert, so artet das Profil einiger Menschen und das Profil
einiger Thiere etwas aus. Daher könnte man aus der Aehnlichkeit
des ⌠Profils eines Menschen mit dem Profil eines Thieres etwas auf
die Aehnlichkeit des⌡ Talents schließen. Carrikatur ist die
Uebertretung des Charackters, wel-
⌠Seite 599⌡
ches dazu dient um das √charackteristische_\\_Charackteristische⌡
recht zu kennen. Wenn man nun die √Karrikatur_\\_Carikatur⌡ ├der
Menschen mit der Carrikatur┤ der Thiere vergleicht, so
√scheint_\\_schein«¿»t⌡ es als wenn nur die Thiere eine größere
Uebertretung des Charackters haben und also sich auch hieraus
/Seite_651
/aufs Temperament schließen läßt. Was die Gesichts Züge betrift,
die nicht durchs Profil⌠,⌡ sondern durch die Phase abgedruckt
werden, so kann man aus denselben das Gemüth beurtheilen, welches
wir auch im gemeinen Leben gemeinhin thun. Denn wenn wir einen
Menschen zum ersten √male_\\_mahl⌡ im gemeinen Leben sehen, so
beurtheilen wir ihn so gleich aus dem Gesicht, es ist uns nicht
gleichgültig was er für Gesichts Züge hat, die Natur hat ├«uns»┤
√schon_\\_<schon>⌡ solches in uns gelegt. Das schwerste aber ist⌠,⌡
den Charackter aus den Blicken zu bestimmen. Es ist uns
√freilich_\\_freylich⌡ daran gelegen zu wißen, was der Mensch für ein
Gemüth und Hertz habe, allein es ist uns √«au»noch_\\_noch⌡ mehr
daran ge-
⌠Seite 600⌡
legen⌠,⌡ was der Mensch für einen Charackter habe,
/Seite_652
/und was er für Grundsätze hege sich seiner Talente zu bedienen.
Der Charackter des Menschen liegt im Blick. Einige Menschen haben
einen Blick den wir gar nicht ertragen können, andere aber haben
einen solchen Blick, auf den unsere Augen recht ruhen können, so
wie auf dem blauen des Himmels, wo sie rechte Erqvickung finden.
Wir sehen in ihnen die ruhige Seele. Weil der Charackter zweyerley
ist, der betrügerische und der boshafte, so finden wir auch zwey-
erley Merckmahle, des arglistigen Betruges und der tiefen Bosheit.
Weil wir aber keinen √Gesichtszug_\\_Gesichts zug⌡ viel weniger einen
Blick unter Regeln bringen und beschreiben können├,┤ obgleich das
Profil unter Regeln gebracht werden kann, so kann die Physiognomie
/Seite_653
/eigentlich keine Wißenschaft seyn. Die andere Ursache ist auch
diese, weil wir durch
⌠Seite 601⌡
keinen Verstand einsehen, was für ein Zusammenhang zwischen dem
Zustande des √Gesichts_\\_Gemüths⌡ und der Bewegung des Gesichts seyn
kann. Die Regeln der Vernunft sind allgemein, und verstatten keine
Ausnahme, aber wenn wir nur empirische Regeln haben, so verstatten
dieselben viele Ausnahmen. Die Physiognomie wird also mehr
nützlich seyn zur Uebung unserer UrtheilsKraft als zum Unterricht
des Verstandes, woraus die Ausübung folgen könnte. Die Vorsicht
scheint uns hier wohl ein Urtheil an die Hand und auch im Gesicht
eine Ankündigung gegeben zu haben, damit sich der Mensch nicht
gantz verdecken├,┤ sondern sich durch das
/Seite_654
/Gesicht ankündigen kann, aber die Vorsicht hat auch diese
Bestimmung zugleich nicht gar zu deutlich zeigen wollen, sondern
es nur bis zu der Vermuthung gelaßen, indem dieses für die
Umstände des Menschen sehr schäd-
⌠Seite 602⌡
lich √ware_\\_wäre⌡. Denn gesetzt, es verstünde jemand die Kunst den
Charackter des Menschen genau zu bestimmen, so wäre dieses nicht
allein eine Vermeßenheit über jeden zu urtheilen, sondern es würde
sich auch ieder dafür hüten, welches die Gesellschaft der Menschen
trennen möchte. Weil es doch aber in der Natur liegt, und die
Natur uns selbst Gelegenheit dazu an die Hand giebt, welches
Lavater zu beweisen sucht, so verdient es doch cultivirt zu
werden, wodurch hernach die Mahler und
/Seite_655
/Bildhauer Kunst sehr vieles gewinnen möchte. Obgleich die
Menschen in ihren Urtheilen sehr verschieden sind, so kommen sie
doch mehrentheils hierinn überein. Lavater zeichnete in seiner
Physiognomie den Judas ab, und jeder urtheilt von ihm, daß er
einen solchen Menschen nicht zu seinem Freunde wählen möchte. Das
Urtheil
⌠Seite 603⌡
schwebt oft auf einer Haarspitze, wenn man nun ein klein wenig
sein Gesicht ändert, so fällt das Urtheil gleich anders aus. Die
Frauenzimmer sind in √treffung_\\_Treffung⌡ deßelben √Glück-
licher_\\_glücklicher⌡,
weil sie schon von Natur schlauer sind, welches ihre Schwäche
√ergäntzen_\\_ergänzen⌡ muß. Dieses √führt_\\_fürt⌡ auch Lavater von
seiner Frau an, daß sie oft beßer traf wie er. √Hogarth_\\_Hogarth⌡
der die Handlungen und Sitten der Menschen zu schildern suchte,
√wußte_\\_wuste⌡ gut den
/Seite_656
/Charackter √auszudrücken_\\_auszu drucken⌡, so daß der Augenschein
so gleich vom Charackter √überzeugte_\\_überzeigte⌡, ohne daß man
erst die Erklärung davon lesen √durfte_\\_dürfte⌡. Er suchte in
Gesellschaften die Handlungen, die er schildern wollte, die
Gesichter⌠,⌡ derer die sie ausübten⌠,⌡ zu copiren, und hernach
wenn er eine solche Handlung schildern wollte, so suchte er
dasjenige Gesicht aus, was sich dazu am besten schickte, und
vermehrte
⌠Seite 604⌡
es durch √Fiction_\\_Ficktion⌡. Wenn aber schon der Keim zu dem
Charackter in der Natur liegt, wie ⌠wie⌡ stimmt damit die
√Vorsicht_\\_Vorschrift⌡ überein? Dieses ist verborgen. Zwar kann der
Mensch mit seinem Charackter streiten, aber ihn nicht ändern, so
wenig er sein Gesicht ändern kann. Man will bemerckt haben, daß
wenn Menschen solche Personen zum
/Seite_657
/√Gegenstand_\\_Gegenstande⌡ ihrer Liebe und Neigung gemacht haben,
die ihnen ähnlich sind, wenn sie lange leben⌠,⌡ die eine
√Person_\\_Perschon⌡ die Manier der andern annimmt, so daß zuletzt
eine Aehnlichkeit in Mienen und Gesichts Zügen anzutreffen
ist√._\\_:⌡ Weil sich einige Gesichter schlachten├,┤ so kann man auch
auf Aehnlichkeit des Charackters schließen. Wenn daher die Tochter
der Mutter ähnlich sieht, so kann man vom Charackter der Mutter
auf den Charackter der Tochter schließen. %.Qvaestio Wem
⌠Seite 605⌡
schlachten die Kinder mehr dem Vater oder der Mutter⌠.⌡
√Linne_\\_Linné⌡ sagt: nach der Mutter schlachtet man der Schaale
nach, dem Vater aber dem Kerne nach, alsdenn aber müste das
Temperament und der Witz nach der Mutter schlachten, das Talent
und der Charackter aber nach dem Vater. Es ist hier aber nichts
gewißes.
/Seite_658
/ Die Mienen charackterisiren den Menschen. So zeigt ein unstäter
Blick einen lügenhaften Menschen. Leute die √lügen,_\\_Lügen⌡ haben
in ihrem Blick was unstätes. So wie ihre Gedancken rechts und
lincks gehen, so richten sich auch ihre Mienen darnach. Leute die
nicht schielen├,┤ √so_\\_sich⌡ aber auf die Nase sehen, die lügen
doch, denn so wie sie im Kopf dencken⌠,⌡ so drehen sie ⌠auch⌡ die
Augen. So zeigt ein unsicherer Blick einen
√verstohlenen_\\_verstohlnen⌡ Menschen, welches man an den Leuten aus
dem Diebs Handwerck findet. √So_\\_Es⌡ liegt also schon √«d¿¿r»im_\\_im⌡
⌠Seite 606⌡
Blick der Charackter des Menschen. Hier kann man den Ausdruck
eines Principals von einer Schauspieler Gesellschaft mercken, der
aus den √Gesichtszügen_\\_Gesichts Zügen⌡ eines Menschen, der ihm als
Acteur vorgestellt wurde, schloß
/Seite_659
/und sagte: √wenn_\\_Wenn⌡ der Kerl kein Schelm ist, so schreibt der
Schöpfer keine leserliche ├«hat»┤ Hand. Dieses konnte aber nur der
sagen, der eine solche Hand ⌠hat⌡ lesen √konnen_\\_konnte⌡. So führt
auch Bernetti von der √Brenvillge_\\_Brevillge⌡ an, welche das
boshafteste Frauenzimmer gewesen, so man gekannt hat, daß als ihr
√Bildnis_\\_Bild⌡ in einer Stube unter verschiedenen andern gehangen,
und von einigen Zuschauern besehen worden, einer von ihnen seine
Augen besonders auf dieses Bild warf, und dem Eigenthümer sagte.
Wenn ja der Mahler den Charackter durch diese Jdee getroffen
hat, so muß das Weib den Teufel gehabt haben, welches √denn
auch_\\_auch denn⌡ der Eigenthümer
⌠Seite 607⌡
bestätigte. Obgleich ├also┤ ihre Gesichtsbildung sehr
√schön_\\_schon⌡ war, so
/Seite_660
/zeigten doch die Züge die Bosheit des Charackters an, welches in
den Blicken liegt. Man sagt von einigen Menschen⌠,⌡ sie haben ein
vornehmes├,┤ von andern sie haben ein gemeines Gesicht. Jndem sich
dieses auf den Stand bezieht, so könnte man dencken, es wäre eine
angenommene Miene, allein man findet doch Personen, die gar nicht
vornehm sind, und doch ein vornehmes √Aussehen_\\_Ansehen⌡ haben, und
wieder Vornehme von einem √Gemeinen_\\_gemeinen⌡ Aussehen. Ein
gemeines Gesicht hat die Eigenschaft eines niedern Geschmacks und
der Grobheit, welches man bey vielen Vornehmen findet. So findet
man auch bey geringen Personen ein Vornehmes √Ansehen_\\_Aussehen⌡,
obgleich der Ausdruck durch den Blick fehlt, weil sie
/Seite_661
/daran nicht gewohnt sind. Es beruht vieles auf der Gewohnheit und
der angenommenen Manier. So haben die √adeli-
⌠Seite 608⌡
chen_\\_adeliche⌡ und bürgerlichen Frauenzimmer gantz verschiedene
Manieren, die adelichen zeigen in ihrem Blick Dreistigkeit, die
bürgerlichen aber Furchtsamkeit. Also zeigt sich bey Personen, die
würcklich vornehm sind in ihrer Manier was vornehmes, obgleich
ihre Gesichtsbildung gemein ist. Es könnte aber auch seyn├,┤ wenn
Personen vom reinen Stamm des Adels herstammen├,┤ den die Natur
durch Verdienste geadelt hat, daß in ihren √Gesichts
Zügen_\\_Gesichtszügen⌡ etwas erhabenes liege, was noch von voriger
nobler Denckungs Art herrührt. Ein solcher Stamm von
wohldenckenden könnte immer erhalten werden⌠,⌡ gantz rein├,┤
/Seite_662
/wenn die Ausschößlinge ausgemertzt würden, denn würde in ihren
Zügen immer was edles bleiben. Es können auch Mienen angenommen
werden, die einen Zug ausdrücken, der hernach bleibend ist.
Was die √Gesichtszüge_\\_Gesichts Züge⌡ betrift, die sich auf
⌠Seite 609⌡
die verschiedenen Stände und Metiers der Menschen beziehen, so
findet man⌠,⌡ daß sich selbige sehr darnach richten. So ist √so
gleich_\\_sogleich⌡ ein Unterscheid der √Gesichtszüge_\\_Gesichts Züge⌡
in den Stadt und Landleuten. Die Stadtleute verrathen was
verfeinertes⌠,⌡ die Landleute aber was unbiegsames in ihren
Gesichts Zügen. Denn in der Stadt muß man eine gewiße
Geschmeidigkeit und Urbanitaet annehmen, indem man mit vielen um-
geht, dagegen hat der Landmann nicht so viele Objecte vor sich,
die
/Seite_663
/ihn nöthigen├,┤ sich zu verfeinern. Er ist in allen Sachen, in
Kleidern im Umgange gezwungen, welches ihm auch zeitlebens eigen
bleibt. Daher schickt man iunge √Personen_\\_Leute⌡ in die Stadt,
damit sie verfeinert werden.
Was die Metiers betrift, so haben sie einen großen Einfluß auf
die Gesichtsbildung,
⌠Seite 610⌡
so daß man √einem beynahe_\\_beynahe einem⌡ ansehen kann, ob er ein
Schneider oder Fleischer ist, denn indem eines √jeden_\\_ieden⌡
√Lebens_\\_«l»Lebens⌡ Art anders ist, so beqvemen sich auch die Züge
darnach. So ist die Lebens Art eines Fleischers die rüstige,
wackere⌠,⌡ trozzige Lebens Art, welches ihm denn auch eigen
bleibt. Wenn 2 Brüder die sich so √ziemlich_\\_zimmlich⌡ schlachten, eine
verschiedene Lebens Art ergreifen, und der eine ein Soldat, der
andere ein geistlicher wird, so √würden_\\_werden⌡ sie hernach gantz
verschieden aussehen, indem
/Seite_664
/sich die Ausdrücke ihrer Züge nach jedes seiner Lebens Art ge-
richtet haben. Die Gelehrten haben einen sanften Ausdruck in ihren
Zügen, weil die Wißenschaften den Menschen sehr verfeinern. Die
Männer sehen weit √mehr_\\_<mehr>⌡ auf das
√charackterische_\\_Charackterische⌡ der Weiber, die Weiber
⌠Seite 611⌡
aber sehen darauf gar nicht, denn sie sind nur dazu bestimmt⌠,⌡
die Art zu erhalten. Wenn der Mann nun alle √möglichen_\\_mögliche⌡
Bedingungen des Standes⌠,⌡ des Erwerbs der Standhaftigkeit hat, so
sehen sie weiter auf das √charackteristische_\\_Charackterische⌡
nicht, und sie √können_\\_konnen⌡ hierinn auch nicht so delicat seyn,
weil sie diejenigen sind├,┤ die gewählt werden├,┤ und die nicht
wählen können. Und denn ⌠so⌡ ist der böse Charackter des Mannes
der Frau auch nicht so schädlich als andern, seine
√Bosheit_\\_bosheit⌡ √interessirt_\\_interessirt⌡ nicht die
/Seite_665
/Frau, denn wenn er andere betrügt, so √schleppt_\\_schlept⌡ ers nach
Hause. Der Mann ist aber √schon darinn_\\_darinn schon⌡
bedencklicher. Was die Physiognomie gantzer Völcker betrift, so
ist es wohl sehr schwer├,┤ etwas bestimmtes davon zu sagen. Die
Türcken haben ein offenes √Gesichts_\\_Gesicht⌡, was den Trotz aber
auch den Geist
⌠Seite 612⌡
√charackterisirt_\\_characterisiret⌡. Sie nehmen keine Ver-
feinerung├,┤ keine Disciplin an. Die Deutschen haben zwar kein
Genie, laßen sich aber verfeinern und
√Discipliniren_\\_discipliniren⌡. Viele Nationen laßen sich wohl
discipliniren aber durch Gewalt⌠,⌡ und nicht aus Achtung fürs
allgemeine Gesetz. Die Freiheit, die aus Achtung fürs Gesetz
entspringt⌠,⌡ stimmt mit √jeder_\\_ieder⌡ Freiheit, aber die
√Licens_\\_Licenz⌡ stimmt nicht mit jeder Freiheit. Das zeigt schon
ein
/Seite_666
/erhabenes Talent an, wenn Menschen √vermögend_\\_Vermögend⌡ sind
durch Gesetz und nicht durch Gewalt disciplinirt zu werden. Das
ist das edle der bürgerlichen Ordnung, daß wenn ein Gesetz da ist,
sie es alle respectiren, aber √mehr_\\_wehe⌡ dem⌠,⌡ der wieder
daßelbe etwas übernimmt. So sind Z. E. die Engelländer. Die Pohlen
aber achten kein Gesetz
⌠Seite 613⌡
und wollen in der √Licens_\\_Licenz⌡ leben. Jede Nation hat doch was
√besonders_\\_besonderes⌡ und apartes in ihren Zügen, denn man kann
Z. E. einen Franzosen am Gesicht ohne auf seine Tracht zu sehen
erkennen, und so auch die √Italiäner_\\_Italiaener⌡ und andere
Nationen.
≥Vom Charackter der Menschheit überhaupt≤
Dieses ist ein wichtiges Stück, worüber sich schon sehr viele Autores √ge«¿¿»wagt_\\_gewagt⌡ haben├,┤/Seite_667
/zu schreiben, unter denen Rousseau der vornehmste ist. Was soll
man von der Menschheit überhaupt urtheilen? Was hat sie für einen
Charackter unter den Thieren├,┤ und unter allen Wesen? Wie viel
gutes und wie viel böses ist darinn√?_\\_.⌡ Hält er ├in sich┤ einen
Qvell zum bösen oder guten? Erstlich muß der Mensch
√charackterisirt_\\_characktesirt⌡ werden als
⌠Seite 614⌡
ein Thier⌠.⌡ √Linné_\\_Linne⌡ sagt, daß er nach allem Nachdencken an
dem Menschen als an einem Thier nichts besonderes findet, dahero
er ihn auch mit dem Affen in eine Claße setzen muß. Wenn man
hieraus auch auf den Charackter schließen wollte, so wäre ├es┤
sehr schlimm, denn die Affen sind sehr boshafte und falsche
Thiere. Hier aber vergleichen wir den Menschen mit allen Thieren
überhaupt, und da
/Seite_668
/fragen wir erstlich: Wenn der Mensch im wilden Zustande wäre⌠,⌡
und keinen Gebrauch der Vernunft hätte, was wäre er da wohl
√vor_\\_für⌡ ein Thier? Würde er ein √schönes_\\_schones⌡ oder
häsliches├,┤ geschicktes oder ungeschicktes Thier seyn? Er würde
nicht unter die schönen Thiere gehören, aber er wäre ein sehr
geschicktes Thier, denn er hat geschickte Organen, und deswegen
möchte
⌠Seite 615⌡
er nicht ein schwaches Thier seyn├.┤ Beyspiele bestätigen, daß
Menschen auch in diesem Zustande, wenn sie nur
√hertzhaft_\\_herzhaft⌡ genung wären, Wölfe √bezwungen_\\_gezwungen⌡
haben, ob sich gleich √ietzt_\\_jetzt⌡ keiner zu solchem Duell wagt.
Wegen seiner Geschicklichkeit und √Stärcke_\\_Starcke⌡ würde er also
im Walde sehr sicher seyn. Ein schönes Thier
/Seite_669
/aber wäre er nicht. Man stelle sich vor, wenn der Mensch im
wilden Zustande nackend wäre⌠,⌡ und den Bart behalten möchte,
welcher √aber_\\_<aber>⌡ auch im nackenden Zustande wegfallen könnte,
indem als denn die √Saffte,_\\_Säfte⌡ die jetzt durch die Kleider
zurückgehalten werden, und den Bart verursachen├,┤ mehr ausdünsten
möchten├,┤ und denn natürlich auch sonst gantz rauch seyn möchte,
so würde dieses ein sehr √häsliches_\\_häßliches⌡ Thier seyn. Ueber
die √Schonheit_\\_Schönheit⌡ läßt sich also noch sehr streiten. So
führt auch Dem-
⌠Seite 616⌡
pier an, daß die √wilden_\\_«w»Wilden⌡ Weiber sehr häslich aussehen,
indem sie ihre langen √Brüste_\\_Brüsten⌡ hängen laßen, oder sie über
die Schultern werfen. Jetzt macht sich der Mensch durch den
Verstand schön. Der Sitz der Schönheit
/Seite_670
/besteht in dem Gesicht, wo die Muskeln in Action kommen, und die
Mienen zu spielen anfangen, welches aber im wilden Zustande nicht
anzutreffen wäre. Seine Geschicklichkeit ist aber nicht zu
leugnen. Ferner √frägt_\\_fragt⌡ es sich, wie wäre seine Gestalt be-
schaffen? möchte er auf 2 oder 4 Füßen gehen? Dieses ist eine
wichtige Frage⌠,⌡ nachdem sie rege gemacht ist. Es ist dieses noch
nicht recht untersucht, die Frage muß etwas bestimmt werden. Weil
der Mensch Vernunft haben sollte√;_\\_,⌡ so ist er bestimmt auf 2
Füßen zu gehen, indem sie dadurch am besten excolirt wird, und
⌠Seite 617⌡
weil die Sprache durch die Vernunft excolirt wird, so muß √der
Mensch doch_\\_doch der Mensch⌡ so beschaffen seyn, daß er sich
/Seite_671
/√hat welche_\\_welche hat⌡ machen können, denn wenn auch die erste
Sprache √geoffenbaret_\\_geoffenbahret⌡ wäre, so könnte doch der
Mensch in √einen_\\_einem⌡ solchen Zustand kommen, wo er sie vergeßen
möchte. Wenn wir uns aber den Menschen ohne Vernunft und ohne
Sprache gedencken, wie würde doch alsdenn der Mensch am besten
leben können? Würde es für ihn beßer seyn auf 2 oder 4 Füßen zu
gehen? Hievon muß man die Abhandlung des Herrn %.von
√Mos«o»catii_\\_Moscatii⌡ aus Pavie nachlesen⌠,⌡ die von dieser Art
die beste und schönste ist, und mit vieler anatomischen
Geschicklichkeit geschrieben worden. Der Zweck der Natur an dem
Menschen war seine Art zu erhalten├,┤ er ist also von der Natur so
gebaut,
⌠Seite 618⌡
daß
/Seite_672
/er in jedem Zustande leben könnte. Wäre er nur allein für den
civilisirten Zustand gebaut, so müste er umkommen, wenn er in die
Wildheit gerathen möchte. Wäre er für die Wildheit allein gebaut,
so könnte er seine Vernunft nicht excoliren. Damit er sich als ein
Thier erhalten könnte, so √müste_\\_müßte⌡ er so gebaut werden, daß
ihm daßelbe auch zu statten kommen könnte, wenn er seine Vernunft
excoliren würde, welches doch noch immer zufällig wäre. Hätte er
Vernunft, so könnte er sich hernach zwingen auf 2 Füßen zu gehen,
denn die Vernunft kann sich immer erhalten. Die Natur ├hat┤ aber
auch für ihn so gesorgt, daß er auch bestehen könnte, wenn er
keine Vernunft hätte. Aber
/Seite_673
/unser Bau ist ja zu 2 Füßen eingerichtet. Die Affen haben
⌠Seite 619⌡
auch solchen Bau⌠,⌡ und gehen doch auf 4 Füßen, ob sie gleich auch
auf 2 gehen können├,┤ welches aber nicht nothwendig ist. Zwar sind
unsere Arme für unsere Füße zu kurtz, und der Affen ihre sehr
lang, so daß sie beynahe aufrecht gehen, wenn sie auf den
Vorderfüßen gehen. Aber auf der √Insel_\\_Jnsel⌡
√Madagaskar_\\_Madagascar⌡ giebt es Menschen├,┤ die auf 4 Füßen
gehen├,┤ und auch solche lange Hände haben, denn √das_\\_daß⌡ kann
sich durch die Länge der Jahre und durch den langen Gebrauch sehr
√ändern_\\_andern⌡. √Demnach_\\_Dennoch⌡ kann man die erste Bildung
nicht recht bestimmen.
Der Mensch als ein Thier ist ein sehr unverträgliches Thier. Jn
der √Wildniß_\\_Wildnis⌡
/Seite_674
/fürchtet es nichts so sehr als einen andern Menschen. So
erschrack Robinson auf der √Insel_\\_Jnsel⌡, als er Fußstapfen von
Menschen
⌠Seite 620⌡
gewahr wurde. Der Mensch kann sich vor allen Thieren sehr hüten,
wenn er schon √einmahl_\\_einmal⌡ ihre Art und Natur kennt├,┤ aber
nicht für seines √Gleichen_\\_gleichen⌡, denn weil dieses ein
listiges Geschöpf ist, so kann er seine √Fallstrike_\\_Fallstricke⌡
nicht entdecken, er kann sich freundlich stellen, und doch boshaft
handeln, er weiß sich zu verstellen, und zu verheelen, und immer
neue Mittel auszudencken, dem andern gefährlich zu werden. Jeder
fühlt schon in sich, wenn er lange allein auf der Jnsel wäre, und
also sich schon sicher zu seyn glaubte, daß er in große Furcht
/Seite_675
/gerathen würde, wenn er einen Menschen gewahr werden möchte, denn
jetzt wär er nicht mehr recht sicher, jetzt hätte er einen Feind,
der ihm gefährlicher ist⌠,⌡ als alle √wilden_\\_wilde⌡ Thiere, denn
vor denen könnte er sich ⌠doch⌡
⌠Seite 621⌡
hüten, und sie überlisten├,┤ aber nicht den Menschen, denn dieser
kann ihm nachstellen, auf alle seine Handlungen Acht haben, und
ihm in iedem Stück hinderlich ⌠«seyn»⌡ und gefährlich seyn. Es sey
denn, wenn sie gleiche Bedürfniße haben, und in gleicher Noth
sind, daß sie sich einer dem andern entdecket├,┤ mit √ein
ander_\\_einander⌡ bekannt werden, und gesellschaftlich leben, aber
√auch_\\_<auch>⌡ denn kann einer dem andern nicht recht trauen, er
weiß doch nicht, ob der andere nicht
/Seite_676
/wieder ihn etwas im Sinne hat. Unter der Thier Art ist er wohl
nicht unter die Raubthiere zu rechnen, indem es nicht scheint, daß
er einen unmittelbaren Appetit nach dem thierischen Blut anderer
hätte, um √al«t»les_\\_alles⌡ zu zerreißen, und zu zerfleischen,
überdem ist auch seine Bauart nicht so wie eines
√Raubthiers_\\_Raubthirs⌡, es
⌠Seite 622⌡
scheint also, daß er sich mehr an den Vegetabilien halten
möchte√:_\\_.⌡ Allein in Ansehung seiner eigenen Species, in Ansehung
anderer Menschen ist er doch als ein Raubthier anzusehen, indem er
gegen seines gleichen √mißtrauisch_\\_mistrauisch⌡, gewalthätig und
feindseelig ist, welches sich im bürgerlichen Zustande nicht mehr
so zeigt,
/Seite_677
/indem da der Mensch unterm Zwange gehalten wird, welches aber
doch noch sehr hervorkeimt, und uns noch sehr vieles vom
thierischen Zustande anklebt. Man gebe nur auf eine Gesellschaft
acht, ob nicht in derselben √jeder_\\_ieder⌡ den andern für seinen
Feind hält, und sehr mistrauisch gegen √jeden_\\_ieden⌡ ist, denn er
noch nicht kennt, und daher ist er sehr zurückhaltend. Gesetzt,
aller √Zwanck_\\_Zwang⌡ der bürgerlichen Ordnung würde auf
√einmal_\\_einmahl⌡ aufhören, so würde keiner in seinem Hause sicher
seyn, √jeder_\\_ieder⌡ würde
be-
⌠Seite 623 ⌡
fürchten es würde des Nachts iemand in sein Haus einbrechen, und
Gewalt √aus«brechen»<üben>_\\_ausüben⌡. Man darf nicht sagen: dieses
würde nur der Poebel
/Seite_678
/thun, von Natur sind alle Menschen Poebel├,┤ und die es jetzt
nicht sind, die sind durch die √bürge«l»rliche_\\_bürgerliche⌡
Ordnung und Disciplin verfeinert. Würde die aber aufhören, so
würde auch die Verfeinerung aufhören, und alle Menschen würden
solcher Poebel seyn. Diese bösartigkeit liegt allen Menschen in
der Natur. Da nun √dieses_\\_diese⌡ eine allgemeine Anordnung der Na-
tur ist, obgleich es unmittelbar auf etwas böses
√abzielet_\\_abziehlet⌡, so muß es doch mittelbar einen √Zweck_\\_Zweg⌡
haben. Dies ist eine allgemeine Regel so man mercken muß, und die
sehr √philosophisch_\\_phylosophisch⌡ ist, daß man √allemal_\\_allemahl⌡
den Zweck und die Absicht von etwas aufsuche, was
/Seite_679
/allgemein in der Natur ist, wenn es auch unmittelbar auf etwas
⌠Seite 624⌡
böses √abzielet_\\_abziehlet⌡, denn die Natur wird nicht umsonst
solche allgemeine Ordnung machen. Der Menschen ihre Begierden,
ihre Eifersucht, Mistrauen, Gewalt, Hang zur Feindseeligkeit gegen
die so außer der Familie sind, alle diese Eigenschaften haben
einen Grund├,┤ und eine Beziehung auf einen Zweck. Der Zweck der
Vorsicht ist√:_\\_,⌡ Gott will daß die Menschen die gantze Erde
bevölckern sollen. Alle Thiere haben ihre gewiße Climata, aber die
Menschen sind allenthalben zu finden. Die Menschen sollen sich
nicht in einem kleinen √Bezirck_\\_Bezirk⌡ aufhalten, sondern sich
über die gantze
/Seite_680
/Erde ausbreiten. Das beste Mittel dieses zu befördern, ist die
Unvertragsamkeit, Eifersucht und Uneinigkeit in Ansehung des
Eigenthums. Dieses hat die Menschen von einander getrennt, und sie
über die gantze Erde ausgebreitet,
⌠Seite 625⌡
denn wenn eine Familie zusammen ist├,┤ und sich sehr mehret und
zuwächst, so werden daraus neue Familien, diese werden mit ein-
ander uneins und trennen sich, denn müßen sie doch auseinander
gehen, und auf solche Art sich auf dem gantzen Erdboden verbrei-
ten. Man findet dahero allenthalben Menschen auf den wüstesten und
unfruchtbarsten Jnseln. Was bewegt sie dahin zu gehen? Nicht der
Mangel der Wohnplätze, es sind noch viele Länder in Africa und
America unbewohnt. Was bewegt aber die Menschen nach
√Gronland,_\\_Grönland⌡ √Otahiti_\\_Ostahiti⌡
/Seite_681
/und √andern_\\_andre⌡ √Länder_\\_Lander⌡ zu gehen? Nichts anders als die
√Unvertraglichkeit_\\_Unverträglichkeit⌡. Würden die Menschen ver-
träglich seyn, so würden sie alle auf einem Haufen wohnen, und
keiner würde sich von der Gesellschaft trennen. √Das_\\_Daß⌡ ist also
der eine große Nutzen, der aus der √bösartigkeit_\\_Bösartigkeit⌡
entspringt, ferner⌠,⌡ wenn Menschen neben einander wohnen├,┤ und
├sie┤ √sich_\\_si«nd»ch⌡ zu
⌠Seite 626⌡
√cultiviren_\\_kultiviren⌡ angefangen, wenn sie aus den einfältigen
√Bedürfnissen_\\_Bedürfnißen⌡ der Natur zu den künstlichen
heraufsteigen, so fängt das Eigenthum an, und denn gerathen die
Menschen immer in einen Krieg. Die Menschen suchen √jeder_\\_ieder⌡
sein Eigenthum zu haben, dieses kann aber nicht ohne Schutz und
Sicherheit geschehen, sie suchen demnach in ihrem Eigenthum sicher
zu seyn. Von Natur aber ist keiner seines Eigenthums sicher, denn
/Seite_682
/wenn der eine sich eine Gegend umzäunt├,┤ und sich Gartenfrüchte
zuzieht, so √kommt_\\_kömmt⌡ der andere, der darauf keine Mühe verwandt hat,
aber Lust nach diesen seinen Früchten hat, und entreißt ihm
dieselbe⌠,⌡ wenn er √stärcker_\\_starcker⌡ ist, wie der andere. Der
eine legt sich mit Mühe einige √Thüre_\\_Thiere⌡ Z. E. Hüner zu, der
andere aber der sie nicht hat, √bekömmt_\\_bekommt⌡ Appetit dazu├,┤
und nimmt sie weg, was will er ihm thun? Wenn man also ein
Eigenthum haben will⌠,⌡ so muß man Schutz und Sicherheit
⌠Seite 627⌡
haben, und dieses √Geschicht_\\_geschicht⌡ durch √obrigkeitlie-
chen_\\_obrigkeitlichen⌡ Zwang.
Demnach muß ein Recht errichtet werden, welches mit Gewalt
verbunden ist. Wodurch ist also die civilisirteste Verfaßung unter
√denn_\\_den⌡ Menschen entstanden? Durch
/Seite_683
/die bösartigkeit der menschlichen Natur. Dieses ist also der
andere große √Zweck_\\_Zweg⌡ der daraus entspringt. Durch diese
bürgerliche Ordnung⌠,⌡ wird ein gewißes gantze der Menschen,
daraus entspringt Regelmäßigkeit, Ordnung, wechselseitige Bestim-
mung eines Gliedes⌠,⌡ zum andern und zum gantzen der Menschheit.
Hieraus entspringt die √Entwicklung_\\_Entwickelung⌡ der Talente, die
Begriffe⌠,⌡ des Rechts und der Moralitaet⌠, und die Entwicklung⌡
der √großten_\\_größten⌡ Vollkommenheit, welcher die Leute fähig
sind√:_\\_.⌡ Da ein jeder in der bürgerlichen Verfaßung in Beziehung
auf andere stehet, so wird jeder
⌠Seite 628⌡
Mensch dem andern von großer Wichtigkeit. Das Urtheil anderer hat
großen Einfluß auf ihn, und daher entspringt der √Begrif_\\_Begriff⌡
von Ehre⌠,⌡ er wird angefeuret vieles zu unternehmen, nicht nur in
/Seite_684
/Ansehung ⌠seiner Bedürfniße, sondern in Ansehung⌡ des allgemeinen
Bestens des Lebens, daher entstehen Künste, die Bedürfniße wachsen
zwar, allein die Erklügelung derselben gereicht dem Menschen zur
Zierde. Der Mensch verfeinert sich in Ansehung des Geschmacks des
Wohlstandes und der Anständigkeit. Alle diese Vollkommenheiten
sind aus der Bösartigkeit des Gemüths der Menschen entstanden, die
zuerst den bürgerlichen Zwang hervorbrachte. Es frägt sich, wenn
diese √Bösartigkeit_\\_bösartigkeit⌡ des Gemüths ├nicht wäre, ob
dieses alles zu Stande┤ gekommen seyn möchte? Es glauben viele der
Zustand der Menschen wäre beßer, wenn keine bösartigkeit wäre,
allein alsdenn würden die
⌠Seite 629⌡
Menschen bey einander gewohnt haben; Keiner hätte sich um den
andern bekümmert, ieder
/Seite_685
/hätte ruhig für sich gelebt, denn der Mensch ist von Natur
√trage_\\_träge⌡, wenn ihn nicht ein anderer Trieb abbrächte, so
bliebe er auch √träg_\\_träge⌡, demnach muste etwas seyn, was den
Menschen wozu nöthigte. √Waren_\\_Warum⌡ die Menschen von Natur
sanftmüthig und √Gutartig_\\_gutartig⌡, denn würde keine bürgerliche
Verfaßung entstanden seyn. Diese letztere ist der Ursprung der
Entwickelung der Talente├,┤ der Begriffe des Rechts und aller
sittlichen Vollkommenheit, welches das vornehmste der bürgerlichen
Ordnung ist. Wäre der Mensch von Natur gutartig, denn dürfte keine
Obrigkeit seyn, die Menschen würden in keiner Beziehung auf
einander stehen, denn würde sich keiner beeifern was zu un-
ternehmen⌠,⌡ was auf das √Gantze_\\_gantze⌡ einen Einfluß hat, denn
würde alles nachlaßen
/Seite_686
⌠Seite 630⌡
und man würde alles vergeßen, und die gantze Vollkommenheit des
Menschen, welches doch der Zweck ist⌠,⌡ würde aufhören. Eben diese
bösartigkeit hat nicht nur gemacht, daß diese bürgerliche
Verfaßung errichtet ist, sondern sie macht auch, daß √sie_\\_«¿¿»sie⌡
erhalten wird, denn weil die Bösartigkeit⌠,⌡ darinn besteht, daß
einer gegen den andern Mistrauen hegt, daß keiner dem andern
traut⌠,⌡ und wenn es auch geschicht, so ist es schon eine Folge
der bürgerlichen Ordnung und der Verfeinerung der Moralitaet; so
wird durch dieses Mistrauen⌠,⌡ die bürgerliche Ordnung erhalten Z.
E. bey einer Armee sind von 100. 99 so √gesint_\\_gesinnt⌡, daß sie
lieber ohne Blutvergießen den Krieg endigen, und nach Hause gehen
möchten. Woher kommts daß sie solches
/Seite_687
/nicht thun, daß sie sich von einem
⌠Seite 631⌡
beherrschen laßen, der mit ihnen machen kann├,┤ was er will, daß
oft ein kleiner Officier sie alle in Furcht √erhält_\\_erhalt⌡?
Kommts etwa daher├,┤ weil sie alle zusammen entschloßen sind
solches zu befolgen√;_\\_,⌡ daß sie es für eine Pflicht halten⌠,⌡
unter der Oberherrschaft des einen das Wohl des Landes zu beför-
dern oder zu schützen. Nein! der √größte_\\_großte⌡ Theil ist nicht
so gesinnt, sondern jeder würde sich gerne von dieser
Oberherrschaft √befreien_\\_befreyen⌡. Wenn aber die mehresten so
gesinnt sind, warum thun sie es nicht? Weil einer gegen den andern
ein Mistrauen hat, und einer dem andern nicht traut. Es besorgt
ieder vom andern, wenn sie sich auch einigen möchten ausgegeben zu
werden. Dieses Mistrauen hält also
/Seite_688
/die gantze Armee in Ordnung, so daß sie mit leichter Mühe regiert
werden √kann_\\_k«önnen»ann⌡.
⌠Seite 632⌡
Dieses √gilt_\\_gielt⌡ nicht allein vom Militair, sondern auch vom
Civielstande. Es sind √gewiß_\\_gewis⌡ viele vom Poebel die gesonnen
sind⌠,⌡ dem andern um das seinige zu bringen, nur sie können sich
nicht einigen, weil einer dem √andern_\\_Andern⌡ nicht traut. Demnach
wird die bürgerliche Ordnung sehr leicht durch diese bösartigkeit
erhalten. Das Uebel ist also hier der Qvell des guten. Und wenn
man so viel frägt√:_\\_,⌡ woher kommt das böse√?_\\_,⌡ so solte man
lieber fragen, wo kommt alles gute her? denn der Mensch ist von
Natur nicht gutartig. Das böse in der thierischen Natur ist der
Thierheit angemeßen, und ist der Qvell der Entwickelung des
√guten_\\_Guten⌡ der Menschheit.
/Seite_689
/ Der Mensch hat 2 Bestimmungen├,┤ eine in Ansehung der
Menschheit, und eine in Ansehung der Thierheit. Diese
⌠Seite 633⌡
zwey Bestimmungen wiederstreiten sich├,┤ in der Bestimmung der
Thierheit erreichen wir nicht die Vollkommenheit der Menschheit,
und wenn wir die Vollkommenheit der Menschheit erreichen wollen,
so müßen wir der Bestimmung der Thierheit Gewalt
√<an>thun_\\_anthung⌡. Zum Beweis kann das Alter der Menschen und die
Bestimmung deßelben in der Thierheit und Menschheit dienen. Ein
Kind ist, was sich nicht selbst erhalten kann, ein Jüngling ist,
der sich selbst erhalten, aber noch nicht seines Gleichen
erzeugen⌠,⌡ oder seine Art erhalten kann. Der Mann ist also das
vollständigste Geschöpf. Nach der Natur wird also der Mensch seine
Art fortpflantzen, und zu derselben
/Seite_690
/Zeit, wenn er dieses kann, sie auch erhalten können. Nach der
Natur ist denn der Mensch im Stande seiner Art zu erhalten, wenn
er im Stande ist, dieselbe fortzupflantzen. Nach der Natur ist die
männ-
⌠Seite 634⌡
lichkeit mit der Mündigkeit verbunden, wäre dieses nicht, so
könnten sich die Menschen nicht erhalten. Würde der Mensch denn,
wenn er seine Art fortpflantzen kann, dieselbe noch nicht erhalten
können, so müste seine Art untergehen. Jm rohen Zustande ist der
Mensch ein Kind bis ins 6te √Jahr,_\\_Iahr⌡ denn bis dahin kann er
sich nicht erhalten├,┤ im 10ten Jahre ist er schon ein Jüngling,
denn kann er sich selbst erhalten. Jn diesem Jahre kann er schon
fischen, iagen, Wurtzeln lesen⌠,⌡ und wenn er das kann, so kann er
sich auch erhalten, dazu ist
/Seite_691
/er schon im 10ten √Jahre_\\_Iahre⌡ geschickt genung. Jm 16ten Jahre
kann er schon seines gleichen erzeugen⌠,⌡ und seine Art
√fortpflantzen_\\_fortpflanzen⌡, und ist auch im Stande seine Art zu
erhalten, und denn ist er auch schon Mann. √Jn_\\_In⌡ diesem Jahre
hat er √starcke_\\_Stärcke⌡ genung, sich, sein Weib und seine Art zu
erhalten und zu vertheidigen.
⌠Seite 635⌡
Hier ist alles der Natur gemäß. Wenn wir aber den bürgerlichen
Zustand nehmen, so finden wir, daß die √Bedürfniße_\\_Bedürfnisse⌡
zunehmen⌠,⌡ und daß sich der Mensch nicht allein zur Erwerbung
seiner √Privat Bedürfniße_\\_Privatbedürfnisse⌡, sondern auch zum
√Gemeinen_\\_gemeinen⌡ Besten geschickt machen muß, daher ist die
Ungleichheit sehr starck zwischen der Natur und bürgerlichen
Verfaßung. Zu der √letztern_\\_letzten⌡ gehört mehr Geschicklichkeit,
Erfahrung, Glück und Zeit solches abzuwarten, bis man in
/Seite_692
/den Stand kommt, solches zu erhalten, daher ist das Zeitalter⌠,⌡
des Jünglings im bürgerlichen Zustande viel weiter ausgesetzt, als
im √Rohen_\\_rohen⌡ Zustande der Natur. Jn der bürgerlichen Verfaßung
ist der Mensch im Zehnten Jahre noch immer ein Kind⌠,⌡ ia bis ins
15te da kann er sich noch nicht selbst erhalten. Daraus folgt, daß
das √Mannes_\\_Manns⌡ Alter ungleich viel weiter ausgesetzt wird⌠,⌡
⌠Seite 636⌡
als im rohen Zustande, weil √seine«r»_\\_seine⌡, seiner Frau und
seiner Kinder Bedürfniße sehr vervielfältiget sind, und er├,┤ um
dieser Menge von Bedürfnißen ein √Gnüge_\\_Genüge⌡ √zu
leisten_\\_leisten zu⌡ können, viele Jahre hindurch das Vermögen⌠,⌡
sie alle versorgen zu können, sich hat erwerben müßen. Demnach ist
der √Zeitpunct_\\_Zeitpunckt⌡ ├sich verheurathen zu können, im
bürgerlichen Zustande sehr weit hinaus
/Seite 693
/gesetzt über den Zeitpunckt┤, wo uns die Natur das Vermögen
gegeben hat unseres gleichen zu erzeugen. Denn im 16ten Jahr ist
man im Stande seines √Gleichen_\\_gleichen⌡ zu erzeugen, aber noch
nicht zu erhalten. Nach der Natur aber wäre man ⌠aber⌡ in dieser
Zeit schon ein Mann. Also wiederstreitet die Bestimmung der Natur
der bürgerlichen Verfaßung. Hieraus folgt, daß der Zwischenraum
zwischen der natürlichen und bürgerlichen Bestimmung der
Männlichkeit├,┤ mit Gewalt und Abbruch, den man der Natur anthut,
versehen seyn müße, aber mit Lastern angefüllt wird,
⌠Seite 637⌡
denn im 16ten Jahre ist man nach der Natur mannbar, die Natur hat
uns aber dazu nicht das Vermögen gegeben, daß wir ihr Gewalt und
Abbruch thun sollen, oder mit derselben spielen, oder sie
/Seite_694
/ausrotten, sondern daß wir es befolgen sollen. Wäre das nicht die
Absicht der Natur, so √hatte_\\_hätte⌡ sie uns zum besten gehabt sie
hätte uns denn ein Vermögen geben, da wir uns deßen doch gar nicht
bedienen können. Nun können wir uns aber deßen in der bürgerlichen
Ordnung nicht eher bedienen als ohngefehr im 30ten Jahr. Da nun
aber die Triebe würcksam sind⌠,⌡ und ihre Rechte behalten wollen,
so entsteht ein Streit daraus und der bürgerliche Zustand ist dem
natürlichen entgegen. Dieses ist gar nicht zu ändern, denn es kann
doch keiner √so_\\_<so>⌡ leicht im 16ten Jahr ein Weib nehmen,
sondern er muß sich fast noch einmahl so lange
⌠Seite 638⌡
mit seinen Trieben qvälen, und denselben Gewalt anthun. Also hat
uns die Natur
/Seite_695
/auf dieser Seite zur Thierheit bestimmt, auf der andern Seite
aber wieder zur bürgerlichen Ordnung, nemlich in Ansehung der
Vollkommenheit der Menschheit. Nun müßen wir durch die bürgerliche
Ordnung dem natürlichen Zustande Abbruch thun. Der Luxus und die
Verfeinerung der Menschheit ist die √Schwächung_\\_Schwachung⌡ der
Thierheit. Der Mensch wird durch die Annehmlichkeit des Lebens
verzärtelt, und durch die Ueberhebung der
√Ungemachlichkeiten_\\_Ungemächlichkeiten⌡, gegen die er von Natur
abgehärtet war, weichlich gemacht. Viele Kranckheiten entspringen
in dem bürgerlichen Zustande, die in der Natur nicht sind. Ein
Weib eines √wilden_\\_«w»Wilden⌡ hat mehr Stärcke, und ist denen
Kranckheiten nicht so sehr unterworfen als hier. Also thut die
bürgerliche Verfas-
⌠Seite 639⌡
sung der
/Seite_696
/Thierheit Gewalt.
Jetzt wollen wir den natürlichen Menschen mit dem gesitteten
vergleichen├,┤ und sehen, wie sich beyde zur höchsten
Vollkommenheit verhalten, und welcher von ihnen der wahren
zweckmäßigen Bestimmung am aller √angemessensten_\\_angemeßensten⌡
ist. Dieses ist die wichtige Frage des Rousseau der da untersucht,
ob der Zustand der Natur oder der bürgerlichen
√Verfaßung_\\_Verfassung⌡ der wahre Zustand des Menschen sey? Die
Begriffe müßen erst recht bestimmt werden. Der Mensch der Natur
ist durch keine Kunst umgearbeitet und √umgebildet_\\_ungebildet⌡, an
dem die Kunst die Anlage der Natur nicht unterdrückt hat. Der
bürgerliche Zustand aber ist, wo der Mensch disciplinirt ist, und
durch die Disciplin der Natur Gewalt angethan ist,
/Seite_697
/wo der Mensch schon umgebildet und umgearbeitet ist. Man hat
geglaubt, als wenn
⌠Seite 640⌡
Rousseau den Menschen der Natur dem Menschen der Kunst
√vorzöge_\\_vorzüge⌡, und es scheint auch würcklich seine Meinung auf
der Seite des natürlichen Menschen zu √hängen_\\_hangen⌡. Dieses
√aber dient_\\_dient aber⌡ auf der andern Seite dazu, daß die
Aufmercksamkeit der √Phylosophen_\\_Philosophen⌡ rege gemacht werde
zu untersuchen wie die Vollkommenheiten des bürgerlichen Zustandes
√sollten_\\_solten⌡ gebildet werden, √So_\\_so⌡ daß die
√Vollkommenheit_\\_Vollkommenheiten⌡ der Natur nicht zerstöret, und
der Natur keine Gewalt angethan würde, und wie die Laster und das
Unglück, das durch die bürgerliche Ordnung entsteht⌠,⌡ dadurch
√unterdrückt_\\_unterdruckt⌡ werden können, daß die bürgerliche
Verfaßung mit der Natur vereinigt werden könnte, indem die
bürgerliche
/Seite_698
/Vollkommenheit der natürlichen sehr wiederstreitet. Wenn wir nun
den Zustand
⌠Seite 641⌡
der Natur erwehnen, so finden wir zwar √freylich_\\_freilich⌡, daß
der Mensch der Natur in der √That_\\_that⌡ erstlich glücklicher, und
denn auch unschuldiger lebt, aber nur im negativen Verstande ist
er glücklich und unschuldig, sein Zustand führt kein Glück⌠,⌡ aber
auch ⌠kein⌡ Unglück mit sich. Das gute ist bey ihm kein Laster⌠,⌡
auch keine Tugend. Das positive der
√Gluckseeligkeit_\\_Glückseeligkeit⌡, und das positive der Tugend
fehlt in dem natürlichen Zustande sehr. Jn diesem Zustande ist der
Mensch ein Kind, wo er weder was gutes noch was √böses_\\_boses⌡ thun
kann. Die √negative_\\_Negative⌡ Vollkommenheit des Zustandes der
Natur besteht in dem Mangel des Elendes und des Lasters. Wenn wir
nun zuerst das Elend nehmen, so √fragts_\\_frägts⌡
/Seite_699
/sich, ist der natürliche oder der bürgerliche Mensch elend? Jm
Zustand der Natur ist erstlich Gemeinschaft der Güter, es ist kein
Eigenthum, so lange der eine was zu leben hat; so haben
⌠Seite 642⌡
sie alle. Demnach fällt aller Streit weg, der im bürgerlichen
Zustande aus dem Eigenthum entspringt, das Mistrauen, der Betrug
√der_\\_die⌡ Feindschaft, die Gewalt fällt weg⌠,⌡ ieder ist mit der
√Bedürfnis_\\_Bedürfniß⌡, die er sich auf √jedem_\\_jeden⌡ Tag erwirbt,
zufrieden. Wenn wir aber im bürgerlichen Zustande einen
wohlhabenden Bürger nehmen, der aber hernach zurückgekommen ist,
daß er Tagelöhner Arbeit verrichten muß, so ist dies Elend doch
nichts als eine Meinung des Wahns. Jn diesem Zustande wird er sich
noch immer so viel erwerben, daß er nicht verhungern darf. Er
/Seite_700
/kränckt sich aber nicht deswegen, daß es ihm √am_\\_an⌡ Brod fehlen
wird, sondern daß er nicht in seinen vorigen Umständen ist, daß
seine Ehre darunter leidet, und sein Stand in Verfall geräth. Die
Menschen kräncken sich nicht deswegen daß es ihnen an Brod fehlen
wird, sondern weil sie
⌠Seite 643⌡
nicht so leben können⌠,⌡ wie andere ihres Standes, also was die
Leute sagen werden, ist das Elend, was uns hier drückt. Das Elend
steht hier im Verhältnis zu der Meinung der Menschen⌠,⌡ als zu der
√Bedürfnis_\\_bedürfnis⌡ der Natur. Die elendeste Kost in diesem
Zustande, eine Haberbrey ist denen Wilden eine
√Delicatesse_\\_delicatesse⌡. Könnten wir uns mit einer solchen
├einfältigen┤ Kost behelfen, so würden wir viel √Gram und
Elend_\\_Elend und Gram⌡ entbehren. Der Wilde hat
/Seite_701
/gar keine Begriffe von dem was gut oder schlecht gekleidet ist,
von dem was gut oder schlecht schmeckt, von dem was
√Vornehm_\\_vornehm⌡ oder √n«¿»iedrig_\\_niedrig⌡ ist, er darf also
nicht fürchten, daß ihm ein Vornehmer was befehlen würde, denn es
giebt keinen √vornehmern_\\_Vornehmern⌡ und √niedrigern_\\_Niedrigern⌡ unter ihnen,
er kann es also nicht begreifen, wie ein Mensch √sollte_\\_solte⌡
√vornehmer_\\_Vornehmer⌡ seyn als der andere, oder wie ein Mensch den
andern einschräncken soll, wie einer dem
⌠Seite 644⌡
andern √<et>was_\\_etwas⌡ zu befehlen hätte. Demnach ist sein Zustand
in völliger Freiheit, seine Gesichts Züge drücken schon was freies
und ungebundenes aus. Es hat also ein √Indianer_\\_Jndianer⌡ mit dem
Könige von √Frankreich_\\_Franckreich⌡ eben so geredet als mit einem
andern Wilden, und ist nicht in eine solche Verlegenheit gekommen,
als
/Seite_702
/oft ein Franzose, der schon lange bey Hofe gewesen. √Allein_\\_Alle⌡
die Pracht am Hofe hat er nicht geachtet, das waren ihm alles
Kleinigkeiten. Wenn er sich mit seiner goldenen Schirze ausputzt,
so glaubt er beßer und prächtiger geputzt zu seyn als irgend
einer√. Daher_\\_, daher⌡ er nicht √einmal_\\_einmahl⌡ nach der Pracht
der Europaeer eine Begierde hegt. Der bürgerliche Zustand aber
versetzt uns in große Abhängigkeit der Stände, unsere
√Freiheit_\\_Freyheit⌡ wird auf allerhand Art gebunden, durch die
√Obrigkeitliche_\\_obrigkeitliche⌡ Gewalt, durch
⌠Seite 645⌡
unsere Manier, durch die Neigungen anderer, durch √unsern_\\_unseren⌡
Wahn des Standes. Unser betragen ist gezwungen und gebunden, ├und┤
nicht frey wie der Wilden ihres. Der Wilde ist sorglos, er genießt
das Vergnügen seines Lebens ohne die √Beschwerden_\\_beschwerden⌡ zu
/Seite_703
/haben. Die natürlichen Uebel⌠,⌡ als Kranckheiten betreffen den
Wilden auch nicht so als den Bürger. Die Wilden sind in dem Stück
so wie die Thiere, welche keinen Kranckheiten unterworfen sind,
und keine Vorempfindung vom ⌠Uebel⌡ haben, sondern so lange
√leben_\\_Leben⌡ als ihre Kräfte zulangen⌠,⌡ und wenn die aufhören├,┤
so sind sie auch todt. Eben so ist auch der Wilde. Er ist in
Ansehung der Kranckheiten sehr unempfindlich, er qvält sich nicht
mit der Furcht des Todes, er denckt gar nicht an denselben,
sondern lebt so lange als seine Kräfte zulangen, wenn die
√ermieden_\\_ermüden⌡, so
⌠Seite 646⌡
ist er todt. Dasjenige Uebel was den Wilden noch am
√meisten_\\_meinsten⌡
drücken könnte├,┤ ist, daß er nicht vor
√öffentlicher_\\_offentlicher⌡ Gewalt gesichert ist, so wie im
bürgerlichen Zustande├. Allein ob wir gleich im
/Seite 704
/bürgerlichen Zustande┤ vor der öffentlichen Gewalt gesichert
sind, und in Ansehung des Lebens keine Gefahr laufen, so werden
wir doch auch auf der andern Seite sehr angefochten. Wer kann
sagen, daß er in Ansehung seiner Ruhe sehr gesichert ist, daß er
frey von aller Kränckung, daß er sicher von aller Nachrede sey?
Und denn sind √auch die Kriege der Wilden nur_\\_die Kriege der
Wilden nur auch⌡ ein übergehender Sturm, dagegen sind unsere weit
fürchterlicher und grausam, und selbst der Friede ist eine be-
ständige Rüstung zum √Kriege_\\_Krüge⌡, so daß die Erhaltung und
Beschützung des Lebens mehr √Mühe_\\_«m»Mühe⌡ und Arbeit kostet, als
das
⌠Seite 647⌡
Leben werth ist. Wenn Wilde in den bürgerlichen Zustand gelockt
sind, und schon in Bedienungen waren⌠,⌡ und alles gekostet hatten,
was nur im
/Seite_705
/bürgerlichen Zustande zu genießen war, so konnte man sie
⌠«verließen»⌡ doch nicht darinn erhalten, sondern sie verließen
alles, und gingen in ihren vorigen Zustand der Natur und Freiheit
zurück. Die Freiheit ist also die heitere Luft, so alles versüßet.
Jn Ansehung der Bedürfniße √vers«a»orgt_\\_versagt⌡ sich
√jeder_\\_ieder⌡ so viel, daß er keine Noth hat, und übrigens ist
kein Elend, was ihm drohen kann, denn die natürlichen Uebel sind
bald überstanden. Die Uebel so uns drücken entstehen mehrentheils
aus dem Kummer für die Zukunft. √Betrachte ich_\\_Betrachten wir⌡
also die Glückseeligkeit √negativ_\\_negative⌡, so ist der Mensch im
natürlichen Zustande in Ansehung des √physischen_\\_phisischen⌡
Lebens weit glücklicher, als es der Mensch im bürger-
⌠Seite 648⌡
lichen
/Seite_706
/Zustande ist. Der Mensch im natürlichen Zustande ist nicht allein
glücklicher, sondern auch unschuldiger├,┤ er ist negativ gut d. h.
unschuldig. Die Unschuld ist die negative sittliche Bonitaet, wenn
aber der Mensch unschuldig ist, so ist er ⌠noch⌡ nicht tugendhaft.
Der rohe Mensch ist also negativ gut. Er hat keine Pflichten, denn
er hat keine Begriffe derselben, er √kennet_\\_kennt⌡ kein Gesetz,
also kann er es auch nicht sträflich übertreten, und folglich kann
er nicht √lasterhaft_\\_Lasterhaft⌡ seyn. Jm natürlichen Zustande
sind die Triebfedern zu den Lastern nicht rege gemacht, diese
werden erst durch die Vermehrung der Bedürfniße und Begierden, so
daraus entspringen, im bürgerlichen √«E¿¿»Zustande_\\_Zustande⌡ rege
gemacht. Der natürliche Mensch √hält_\\_halt⌡ also
/Seite_707
/sein Wort. Unter einander stehlen sie √auch_\\_<auch>⌡ nicht als nur
beym Nachbar, unter sich sehen sie das als √ein_\\_einen⌡ Contract an,
⌠Seite 649⌡
aber weil ihnen die √Fremde_\\_Fremden⌡ nichts angehen, so wißen sie gar nicht,
warum sie denen nicht alles wegnehmen sollten, sie sehen gar nicht
ein, daß dieses was √böses_\\_boses⌡ sey, indem sie gar nicht wißen,
was gut und böse ist. √Untereinander_\\_Unter einander⌡ findet kein
Diebstall statt, denn es reitzt sie nichts. Was der
√eine_\\_«andere»<eine>⌡ hat, kann auch jeder andere haben. Es ist
keine Triebfeder der Ehre bey ihnen⌠,⌡ so sie dazu bewegen sollte.
Jm bürgerlichen Zustande aber entspringen hier viele Laster, als
Untreue, Betrug, √Diebstahl_\\_Diebstall⌡ p. Jn Ansehung der
Geschlechter Neigung entspringen √in_\\_im⌡ gesitteten Zustande viele
Laster, weil
/Seite_708
/man nach der bürgerlichen Verfaßung verspätet sich des
Geschlechts Vermögens denn zu bedienen, wenn es von der Natur
√er«laubt»<theilt>_\\_ertheilt⌡ ist. Die Ursache liegt würcklich in
der bürgerlichen Verfaßung, im wilden
⌠Seite 650⌡
Zustande ├aber┤ stimmt es völlig überein. Jn der Zwischenzeit des
bürgerlichen Zustandes, wo man das Geschlechts Vermögen von der
Natur bekommt, bis zu der √«¿»Zeit_\\_Zeit⌡, da man im Stande ist,
ordentlich Gebrauch davon zu machen, geschehen lauter Laster die
gantze Zwischenzeit wird mit Lastern angefüllt, die im wilden
Zustande alle wegfallen. Jm bürgerlichen Zustande erwirbt sich das
Weib viel Vermögen das männliche Geschlecht auf sich zu reitzen,
woher die Laster entspringen, die
/Seite_709
/auf verschiedene Gegenstände gerichtet sind. Jm wilden Zustande
ist das gar nicht, da wird die Neigung nicht durch Reitze
aufgewiegelt, sondern es wird davon als √«¿¿¿»einem_\\_einem⌡ thieri-
schen ⌠Jnstinkt⌡ Gebrauch gemacht. Das wilde Weib reitzt gar
nicht, contrair putzt sich der Mann mehr als das Weib, daher sieht
⌠Seite 651⌡
der Wilde gar nicht ein, warum er an einer √andern_\\_fremden⌡ Frau seinen
Instinct befriedigen sollte, welches er bei seiner eben so gut
kann; es fallen also alle Laster des Ehebruchs weg, indem es schon
in der Natur der √Sache_\\_«s»Sache⌡ selbst lieget, daß solche Laster
gar nicht möglich sind. Alle Laster die aus dem Begrif der Ehre
entspringen, fallen weg√, weil_\\_; Weil⌡ der Wilde eines solchen
Begrifs
/Seite_710
/nicht fähig ist. Die Kräfte des Menschen werden nicht so
geschwächt als im √bürgerlichen_\\_Bürgerlichen⌡ Zustande. Demnach
lebt der Mensch im natürlichen Zustande unschuldiger, als im
bürgerlichen. Er lebt glücklich und unschuldig wie ein Kind.
Dieses ist aber kein positives Glück⌠,⌡ aber auch kein positives
Unglück, so wie es auch kein positives √Gute_\\_gute⌡ ist, aber auch
kein positives Laster sondern negativ. Jm bürgerlichen Zustande
opfert
⌠Seite 652⌡
der Mensch viele von den √Natürlichen_\\_natürlichen⌡ Vortheilen auf, er opfert
seine Freiheit⌠,⌡ auf vielerley Art auf, seine Sorglosigkeit in
Ansehung seiner Gemächlichkeit, die Zufriedenheit, die aus dem
Mangel der Kentniße √großerer_\\_größerer⌡ Bedürfniße entspringt,
einen großen Grad seiner Gesundheit durch
/Seite_711
/Anstrengung seiner Kräfte, und durch Abzehrung seines Lebens⌠,⌡
und durch Gram├,┤ Sorgen und Mühe, er kommt in die Versuchung zu
√Lastern,_\\_lastern⌡ er bekommt Neigungen durch die
√Kentnis_\\_Kenntnis⌡ der Bedürfniße⌠,⌡ die ihn zu vielen
Leidenschaften verleiten, er lernt das moralische Gesetz kennen,
und √fühlt_\\_fiehlt⌡ die √Triebfeder_\\_Trieb Feder⌡ die Pflichten zu
überschreiten, und da seine Thätigkeit in Bewegung gesetzt ist, so
wird das √böse_\\_Böse⌡ eben so √wachsen_\\_wachsam⌡⌠,⌡ wie das gute, er wird also
die Triebfeder zum
⌠Seite 653⌡
bösen eben so gut fühlen als zum guten, ja da wir zum guten nicht
solche Triebfedern haben als zum bösen, und das gute mehr in
Unterdrückung der Triebfeder zum √bösen_\\_Bosen⌡ besteht, und wir
keine
/Seite_712
/neue Triebfeder √zum_\\_dem⌡ √bösen_\\_Bösen⌡ entgegen zu setzen haben, als
es nur zu unterdrücken, so wird das Laster in größerer Proportion
wachsen⌠,⌡ als das √gute_\\_Gute⌡. Der Mensch kommt also hier ins
Gedrenge der Tugend und des Lasters. Demnach ist der Mensch im
bürgerlichen Zustande nicht so tugendhaft und glücklich als im
natürlichen.
Wenn wir nun das im gantzen nehmen, so √wiederholen_\\_wiederhohlen⌡
wir die Frage: ist der natürliche Zustand oder der bürgerliche dem
√Zweck_\\_Zweg⌡ des Menschen angemeßener? Sollen wir, um dem Zweck
der Menschheit näher zu kommen alle in die Wälder gehen, oder
⌠Seite 654⌡
im bürgerlichen Zustande bleiben? Kein Volck ist aus dem
gesitteten Zustande in die √Wildniß_\\_Wildheit⌡
/Seite_713
/gegangen, es ist also dieses kein Fortgang zur Vollkommenheit der
Menschheit├,┤ sondern vielmehr ist der Fortgang aus der Wildheit
in die bürgerliche Verfaßung, und daß also in der Vollkommenheit
der bürgerlichen Verfaßung die Vollkommenheit des Zustandes der
Menschen zu setzen sey. Denn da man in der Wildheit so unschuldig
wie ein Kind lebt, so wenig aber das zu billigen ist, daß der
Mensch immer ein Kind bleibe, wenn er √auf_\\_auch⌡ immer könnte
versorgt seyn, eben so wenig ist das zu billigen├,┤ daß der Mensch
immer in der Wildheit bleibe. Rousseau hat das auch nicht sagen
wollen, daß der Menschen ihre Bestimmung die Wildheit seyn,
sondern das
⌠Seite 655⌡
der Mensch seine
/Seite_714
/Vollkommenheit des Zustandes nicht so suchen soll, daß er alle
Vortheile der Natur aufopfere, indem er dem bürgerlichen Vortheile
nachiage. Es dient dieser nur zum Plan der Erziehung und
Regierung├,┤ durch die solcher vollkommene Zustand zuwege gebracht
werden kann. Der Mensch ist als ein Thier für die Wälder├,┤ aber
als ein Mensch für die Gesellschaft bestimmt, und da soll er nicht
allein die Bedürfniße für sein Glück besorgen, sondern als ein
Theil eines √gantzen_\\_Gantzen⌡ das Glück dieses √gantzen_\\_Gantzen⌡
zu befördern suchen. Da die bürgerliche Verfaßung ein Zwang ist,
so ist die Wirckung derselben √Fleiß_\\_Fleis⌡ und Arbeitsamkeit,
nicht allein für seine Bedürfniße zu sorgen├,┤ sondern auch fürs
√gantze_\\_Gantze⌡. Von Natur ist aber der Mensch faul,
/Seite_715
/er thut nichts├,┤
⌠Seite 656⌡
als wozu ihn die Natur und die √Nothdurft_\\_Nothdürft⌡ treibt. Aber
im bürgerlichen Zustande ist nicht allein der
√Obrigkeitliche_\\_obrigkeitliche⌡ Zwang, sondern auch ein
künstlicher Zwang der Eltern, der Umstände des Fortkommens, der
Anständigkeit, der Ehre, und hiedurch entspringt solche
mannigfaltige √Thätigkeit_\\_thätigkeit⌡, wodurch der Mensch viel
positives gute hervorbringt, welches gar nicht im wilden Zustande
⌠existirt hätte. Nur im bürgerlichen Zustande⌡ allein entwickelt
der Mensch seine Talente. Mit den Triebfedern zum bösen, nehmen
auch seine Triebfedern zum guten zu. Der bürgerliche Zustand hat
den Vortheil daß er den Menschen positiv glücklich und positiv tu-
gendhaft machen kann, da er im positiven Zustande nur negativ
glücklich und gut
⌠Seite 657⌡
war. Ob gleich der Mensch im
/Seite_716
/bürgerlichen Zustande viele Vortheile der Natur aufopfert, so
giebt doch der √natürliche_\\_Natürliche⌡ Zustand viele Mittel an die
Hand solche zu √ersezzen_\\_ersetzen⌡. Der Zweck der Natur war also
die bürgerliche Gesellschaft, und der Mensch ist bestimmt als ein
Glied der gantzen Gesellschaft sich vollkommen glücklich und gut
zu machen. Nun ist aber der Mensch noch nicht in der
Vollkommenheit des bürgerlichen ⌠Zustandes. Jn dieser Verfaßung
des bürgerlichen⌡ Zustandes hat der Mensch noch mehr vom
natürlichen verlohren, als daß er es durch den bürgerlichen soll
√ersezt_\\_ersetzt⌡ haben, aber er ist doch schon im Fortgange zu der
√höchste_\\_höchsten⌡ Glückseeligkeit, welcher er im bürgerlichen
Zustande fähig ist. Wenn wird aber solche Vollkommenheit erreicht
seyn?
/Seite_717
/und wel-
⌠Seite 658⌡
ches ist der Zeitpunckt der vollkommenen bürgerlichen Zustandes?
Dieses ist die Einrichtung der Gesellschaft mit allen √practi-
schen_\\_Practischen⌡ Bedingungen, der Gesellschaft gleicher
√Wesen_\\_Weesen⌡. Ehe diese Gesellschaft errichtet und erreicht ist,
eher können wir nicht glauben├,┤ daß der Mensch den höchsten Grad
der bürgerlichen Vollkommenheit erreichen werde. Der Mensch kann
sich einzeln allein nicht so vollkommen machen, als bis das
√gantze_\\_Gantze⌡ der Gesellschaft vollkommen seyn wird. Wenn ein
solcher Staat wird errichtet seyn, in welchem alles nach
vollständigen Regeln des Rechts und der Moralitaet errichtet seyn
wird, so wird dieses eine Bedingung seyn, unter der sich ein
/Seite_718
/√jeder_\\_ieder⌡ wird vollkommener machen können. Ein solcher Staat
√existirt_\\_existiret⌡ zwar noch gar nicht, allein er ist
⌠Seite 659⌡
durch viele Revolutionen, so noch geschehen müßen zu hoffen. Was
dient nun dazu einen solchen √hervorzubringen_\\_hervorbringen⌡ zu
können? Hier ist man noch ungewiß, ob man von unten anfangen soll,
oder von oben. Soll erst ein solcher Staat errichtet werden, damit
ieder einzelne vollkommen gemacht werden könnte, oder soll erst
ein √jeder_\\_ieder⌡ einzelne durch die Erziehung so vollkommen
gemacht werden, damit hernach endlich, wenn √er_\\_es⌡ durch viele
Glieder gegangen ist, ein solcher Staat könnte errichtet
werden√?_\\_.⌡ Hängt die Vollkommenheit iedes einzelnen Menschen von
der Vollkommenheit des Staats ab, oder hängt die Vollkommenheit
des Staats von der Vollkommenheit iedes einzelnen
/Seite_719
/Menschen ab? Jst das erste die Bedingung vom zweyten⌠,⌡ oder das
√zweyte_\\_2te⌡ die Bedingung vom ersten. Es √schent_\\_scheint⌡
⌠Seite 660⌡
als wenn die Erziehung ├eines┤ √iedes_\\_ieden⌡ einzelnen Menschen
den Anfang machen soll, denn die Erziehung eines Menschen bildet
viele andere Menschen, die wieder andere bilden. Zuerst müste man
sehen, daß diejenigen gut gebildet würden, die hernach andere
bilden sollen. Wenn Lehrer und Prister gebildet wären, wenn unter
denen die Begriffe von der reinen √Moralitaet_\\_Moralitaet⌡
herrschen möchten, so ⌠möchten⌡ √<würden>_\\_würden⌡ sie sich auch
bald zum Throne √hinaufschwingen_\\_hinauf schwingen⌡, in die Schulen
der Regenten kommen, und durch diese könnte hernach das gantze
gebildet werden.
Damit wir den gantzen Plan des √fortganges_\\_Fortganges⌡ der
Vollkommenheit des
/Seite_720
/menschlichen Zustandes aus der Wildheit bis zur
√hochsten_\\_höchsten⌡ Vollkommenheit der bürgerlichen Verfaßung
übersehen können, so müßen
⌠Seite 661⌡
wir um des Zusammenhanges √willen_\\_Willen⌡ noch folgendes
wiederhohlen, und denn weiter gehen.
Es hat der Vorsicht gefallen aus der Wurtzel des Uebels das gute
herauszuziehen, denn aus der Bösartigkeit des Menschen, wie schon
oben angeführet, ist die gantze Erde √bevolckert_\\_bevölckert⌡, und
da keiner den andern zwingen ├zwingen┤ konnte, so √unterwar-
fen_\\_unterwarffen⌡ sie sich alle dem gemeinschaftlichen Zwange,
woher die bürgerliche Verfaßung und der bürgerliche Zwang
√zuwege_\\_zu wege⌡ gebracht wurden. Jn dieser Verfaßung entwickelten
sich alle Talente des Menschen, da nahmen seine
/Seite_721
/Bedürfniße zu, woraus alle Künste und Wißenschaften entstanden.
Da aber der √Obrigkeitliche_\\_obrigkeitliche⌡ Zwang auf nichts
weiter gehet⌠,⌡ als √aufs_\\_auf⌡ äußerliche bürgerliche Ordnung, und
auf
⌠Seite 662⌡
das Recht des andern, und nicht auf Anständigkeit und
Sittlichkeit⌠«,»⌡. So fehlt hier ein anderer Zwang, der einen in
dem Fall zwingen könnte, wo der bürgerliche Zwang übel angebracht
wäre. Da nun aber die Menschen durch den bürgerlichen Zwang immer
feiner wurden, und sich immer mehr und mehr cultivirten, so
entstand unter ihnen der Zwang der Anständigkeit, wo sich die
Menschen unter einander in √Ansehung_\\_Ansehung«s»⌡ des
Geschmacks├,┤ der Bescheidenheit, der
√Gefließenheit_\\_Geschliffenheit,⌡ der Höflichkeit und des Anstandes
selbst zwingen. Denn alles das anständige im Wohlstande ist durch
keinen
/Seite_722
/bürgerlichen Zwang hervorgebracht, darum bekümmert sich die
Obrigkeit gar nicht, wie man mit den Kleidern geht, ob man
reinlich geht, und nach Geschmack gewählt hat, ob man sich
bescheiden oder √grob_\\_Grob⌡ in der Gesellschaft
√aufführet_\\_auführt⌡, wenn
⌠Seite 663⌡
man einen nur nicht offenbar beleidigt, so bekümmert sich die
Obrigkeit um das übrige gar nicht. Allein die Menschen zwingen
sich in Ansehung der übrigen unter einander⌠,⌡ wegen der
Anständigkeit⌠,⌡ sie unterlaßen vieles, weil es nicht mit der
Meinung anderer übereinstimmt. So weit sind wir schon in unserer
bürgerlichen Verfaßung. Einen andern Zwang haben wir noch nicht.
Wenn aber unsere Vollkommenheit in der bürgerlichen Verfaßung
nicht weiter
/Seite_723
/steigen sollte, so haben wir noch immer mehr verlohren als
gewonnen. Allein das menschliche Geschlecht schreitet in der
Vollkommenheit noch immer weiter fort. Was √könnte_\\_konnte⌡ hier
wohl noch für ein Zwang gedacht werden? Das ist der moralische
Zwang, welcher darinn bestehet, daß sich jeder Mensch vor dem
moralischen Urtheil des andern fürchtet⌠,⌡ und dadurch
√genothiget_\\_genöthiget⌡ wird⌠,⌡ Hand-
⌠Seite 664⌡
lungen der Rechtschaffenheit und der √Reinen_\\_reinen⌡ Sittlichkeit
auszuüben. Die Menschen haben unter einander den Zwang der An-
ständigkeit errichtet, unter welchem alle stehen, und wo sich
√einjeder_\\_ein ieder⌡ in Ansehung der Anständigkeit nach der
Meinung des andern kehrt. Allein die Menschen haben eben ein
solches Recht auch
/Seite_724
/über das √Sittliche_\\_sittliche⌡ Verhalten des Menschen ein Urtheil
zu fällen. Erst müßen die Begriffe der √Moralitaet_\\_moralitaet⌡
gereinigt, und Achtung für das menschliche √Geschlecht_\\_Gesetzt⌡
eingeflößt werden, das Hertz würde sich √alsdenn_\\_als denn⌡ schon
ändern. Alsdenn √mögte_\\_möchte⌡ sich √jeder_\\_ieder⌡ für eine Ehre
halten, daß er von iedem für einen rechtschaffenen Mann gehalten
wird, und nicht, daß er in einer √Kutschen_\\_Kutsche⌡ fahren √könne«n»_\\_könne.⌡
Hieraus würde folgen⌠,⌡ daß kein Mensch mit einem solchen├,┤ der
nicht mora-
⌠Seite 665⌡
lisch lebte umgehen müste, man würde denjenigen, der schon
√einmahl_\\_einmal⌡ gelogen hat, √verachten_\\_verrathen⌡, und seinen
Umgang scheuen, eben so wie sich ieder scheut mit demjenigen
umzugehen├,┤ der schon √einmahl_\\_einmal⌡ gestohlen hat, und dadurch
in die bürgerliche Ordnung und
/Seite_725
/in die Rechte anderer √Eingriff_\\_Eingrif⌡ gethan hat. Warum sollte
es aber auch nicht so weit kommen, daß man mit einem solchen, der
wieder seine Moralitaet und die Pflicht gegen sich selbst
gehandelt, nicht umzugehen begehrte. Wenn wir weiter gehen, so
folgt, daß wenn einer um ein Amt anhalten würde, man nicht so wie
jetzt auf die √äußerliche_\\_äußere⌡ Führung oder Geschicklichkeit
sehen würde, sondern auf den √moralischen_\\_moralischen⌡ Charackter.
Und ein jeder würde sich selbst zwingen, wenn ei-
⌠Seite 666⌡
ne solche Ehre bey ihm herrschte. Dieser moralische Zwang
√supplirte_\\_suplirte⌡ die Mängel des bürgerlichen und des anstän-
digen Zwanges, indem er aber auf der Meinung anderer beruhte, so
√wär_\\_war⌡ es doch nur ein äußerlicher Zwang. Demnach bleibt noch
ein Zwang übrig,
/Seite_726
/und das ist der Zwang seines Gewißens⌠,⌡ und zwar seines eigenen,
wo ein √jeder_\\_ieder⌡ Mensch über sein sittliches Verhalten durch
sein Gewißen nach dem moralischen Gesetz urtheilt, und auch so
handelt. Dieses ist das Reich Gottes auf Erden. Das √Gewis-
sen_\\_Gewißen⌡ wäre unser Oberster Richter, aber unser Gewißen ist
noch nicht recht cultivirt, indem noch viele √Cr ium_\\_Lücke⌡ für
ihr Gewißen nehmen. Wäre es ⌠aber⌡ √cultivirt,_\\_kultivirt⌡ so wäre
dieser Zwang├,┤
⌠Seite 667⌡
da er ein innerer ist, der stärckste, und √den_\\_denn⌡ wäre auch
keiner mehr nöthig. Hiezu haben wir würcklich von der Vorsehung
eine Anlage in uns, indem ein jeder sich selbst richtet, und auch
den andern bey sich moralisch richtet. Die Vorsicht hat uns also
würcklich
/Seite_727
/zu Richtern gemacht, nur wir äußern unser moralisches Urtheil
nicht, weil noch kein moralisches Etablissement errichtet ist.
Sollte es aber nicht möglich seyn, daß das menschliche Geschlecht
in der √bürgerlichen_\\_Bürgerlichen⌡ Verfaßung diesen Grad der
Vollkommenheit erreichen sollte, denn es scheint ⌠daß jede⌡
Creatur zu der Vollkommenheit gelangen √müße,_\\_müßte<müße>⌡ wozu
sie gemacht ist, also muß auch das menschliche Geschlecht diesen
Grad der Vollkommenheit, welcher der √Zweck_\\_Zweg⌡ seiner Bestimmung
ist├,┤ würcklich erreichen, und wenn
⌠Seite 668⌡
es noch Jahrhunderte dauret. Wenn es aber zu Stande kommt, so wird
es auch unabsehliche Jahre in einem Fortgang dauren, denn es ist
eine √Phylosophie_\\_Philosophie⌡ der faulen, wenn man glaubt, daß
/Seite_728
/es immer so bleiben wird⌠,⌡ als es jetzt ist. Denn so wenig es
vor 1000 Jahren so war wie jetzt, eben so wenig wird es nach 1000
Jahren so seyn, es sind also große Veränderungen zu hoffen.
√Mann_\\_Man⌡ ist immer gewohnt zu fragen├,┤ wo kommt das böse her?
aber man sollte lieber fragen wo kommt das gute her? √Mit_\\_mit⌡ dem
√Bösen_\\_bösen⌡ aus Freiheit wird der Anfang gemacht, denn das böse
gehört zur thierischen Vollkommenheit des Menschen├,┤ allein in
der Natur zielt alles ab zu seiner grostmöglichsten Vollkommenheit
zu
⌠Seite 669⌡
erlangen. So wie aus einem Embrion ein Mann werden muß, so muß
sich auch alles zu seiner Vollkommenheit erheben. Jn der
menschlichen Natur liegen Keime, die sich entwickeln├,┤ und zu
/Seite_729
/der Vollkommenheit gelangen können zu der sie bestimmt sind. Wie
viele Keime sind nicht schon entwickelt⌠,⌡ von denen man vorher
eben so wenig hätte glauben können, daß sie sich entwickeln
würden, als wir jetzt von denen glauben, so noch nicht entwickelt
sind. Wer einen wilden Jndianer und Grönländer sieht, sollte der
wohl glauben, daß in selbigem ein Keim liegt, eben ein solcher
Mann nach der Pariser Mode zu werden⌠,⌡ als ein anderer? Er hat
aber dieselben Keime als ein gesitteter Mensch, nur sie sind noch
⌠Seite 670⌡
nicht entwickelt. Eben so haben wir ⌠auch⌡ Ursache zu glauben, daß
da in der menschlichen Natur Keime zur größeren Vollkommenheit
liegen, dieselbe auch wohl können entwickelt werden, und die
Menschheit den Grad der Vollkommenheit wozu sie bestimmt ist, und
/Seite_730
/wozu sie die Keime in sich hat, wird erreichen müßen, und in den
Zustand, welcher der √grö«¿»stmöglichste_\\_großtmöglichste⌡ ist,
wird versetzt werden. Dieses kann nach eben demselben Grade
zugehen, als es schon zugegangen ist, denn so gut aus der Bös-
artigkeit des Menschen der bürgerliche Zwang entsprungen ist, aus
welchem wieder sehr viele gute Folgen entstanden sind√,_\\_;⌡ so gut
hernach durch die Verfeinerung der Menschen aus diesem bür-
⌠Seite 671⌡
gerlichen Zwange, als aus der Basis der Zwang der Anständigkeit
entsprungen ist, wo die √Neigungen_\\_Meinungen⌡ anderer eine große
Wichtigkeit auf uns haben, daß sich auch Menschen oft das Leben
nehmen, weil sie nicht wollen, daß andere solches von ihnen
├nicht┤ dencken sollen, und woraus
/Seite_731
/mehr Verfeinerung und Sittlichkeit entspringt, als aus der
Religion, und ohne welchen die Menschen ohnerachtet der
bürgerlichen Ordnung und Zwanges├,┤ doch noch sehr grob wären√,_\\_;⌡
√ebenso_\\_eben so⌡ gut kann auch ├durch┤ eine größere Verfeinerung
der Menschheit der moralische Zwang entspringen, zu welchem die
Keime in der menschlichen Natur gantz sicher liegen, indem die
Menschen sehr geneigt sind, einen nach der √Moralitaet_\\_moralitaet⌡
seines Charack-
⌠Seite 672⌡
ters zu beurtheilen. Sollte das nicht möglich seyn, daß sie alle
so gesinnt seyn könnten? Warum werden die √moralische_\\_moralischen⌡ Keime durch
die Erziehung nicht entwickelt? Große Herren sehen noch nicht die
Wichtigkeit der Erziehung ein, und verwenden darauf keine Mühe.
Man treibt die
/Seite_732
/Religion als ein Statutum, man zeigt nicht die Abscheulichkeit
einer Handlung aus der Handlung selbst, sondern weil es verboten
ist, man verbindet nicht die innere Moralitaet mit der Religion.
Also kann auch kein unmittelbarer Abscheu wieder die unmoralische
Handlung entspringen. Allein eben so gut wie den Kindern ein
unmittelbarer Abscheu vor der Spinne beygebracht wird, bloß
dadurch⌠,⌡ daß die Amme schaudert,
⌠Seite 673⌡
wenn sie selbige sieht, eben so ├gut┤ könnte auch den Kindern ein
unmittelbarer Abscheu vor den Lügen beygebracht werden dadurch,
daß man allezeit die √gröste_\\_größte⌡ Verachtung dawieder bezeigte.
Das Kind dürfte nicht √einmahl_\\_einmal⌡ wißen, was Lüge ist, es
lernt sie aber dadurch, daß man sie ihm oft vorredet.
/Seite_733
/Wenn es also gehörig erzogen würde, so müste es vor einer Lüge
eben einen solchen Abscheu haben als vor der Spinne. Wenn die
Menschen schon ⌠so⌡ weit gekommen wären, warum sollte sich nicht
der letzte Zwang, nehmlich der Zwang des Gewißens eben so gut
entspinnen, wo ieder nach seinem Gewißen über seine Handlungen
urtheilen möchte. Dieser läßt sich aber ohne Religion nicht
⌠Seite 674⌡
erlangen, die Religion kann aber keinen Effect haben ohne die
√Moralitaet_\\_moralitaet⌡, also zielt die Religion auf die höchste
Vollkommenheit des Menschen ab. Dieses wäre die Herrschaft des
Gewißens, und da das Gewißen Vicarius der Gottheit ist, so wäre
dieses das Reich Gottes auf Erden, √ja_\\_ia⌡ das Himmelreich, denn
darauf √kommt nichts_\\_kommts nicht⌡ an├,┤ wo der Himmel
/Seite_734
/oder die √«Erde»Hölle_\\_Hölle⌡ ist. Die Menschen können da, wo sie
sind Himmel und Hölle machen. Jst dieser Zustand der Voll-
kommenheit der Menschheit möglich und wenn ist er zu hoffen? Da
die Keime hiezu würcklich in der Menschheit liegen, so ists
möglich, daß sie durch √Cultur_\\_Cultur⌡ entwickelt werden und zur
Vollkommenheit gelangen können. Wenn ist das aber zu hoffen und
wie soll das zu
⌠Seite 675⌡
gehen, und was kann man dabey thun⌠,⌡ um solches zu
bewerckstelligen? soll man von der Erziehung der Kinder oder von
der Erziehung des gantzen Staats den Anfang machen? Da die
Regenten gezogen werden müßen⌠,⌡ so können sie nicht beßer seyn,
als die Gesinnungen so √im Publico_\\_in publico⌡ ausgebreitet sind.
Die Regenten werden schon von verderbten
/Seite_735
/Personen gezogen, wenn sie also übel regieren, so haben wir
solches unserm Vorfahren zu dancken, die selbige so erzogen haben.
Die Regierung kann also nicht beßer seyn als sie aus den Mitteln
und Verfaßung des Landes gezogen ist. Wir sehen daß sich Kriege
erheben, und ein Staat den andern niederreißt, mit der Zeit werden
die Fürsten
⌠Seite 676⌡
den Nachtheil empfinden müßen, indem sie selbst im Frieden mit der
Zurüstung eben solche Kräfte zu verwenden genöthigt sind, als im
Kriege. Damit aber alle Kriege nicht nöthig wären, so müste ein
Völckerbund entspringen, wo alle Völcker durch ihre
√deputirte_\\_Deputirte⌡ einen allgemeinen √Volcker_\\_Völcker⌡ Senat
constituirten, der alle Streitigkeiten der Völcker entscheiden
√müßte_\\_müste⌡, und dieses Urtheil
/Seite_736
/müste durch die Macht der Völcker executirt werden, denn stünden
√die Völcker auch_\\_auch die Völcker⌡ unter einem foro und einem
bürgerlichen Zwange√._\\_;⌡ Dieser √Völcker_\\_Volcker⌡ Senat wäre der
√erlauchteste_\\_erleuchteste⌡, den √jemals_\\_iemals⌡ die Welt gesehen
hat. Darinn scheint der Anfang zu suchen zu seyn, denn ehe die
Kriege kein Ende nehmen⌠,⌡ kann solches nicht
⌠Seite 677⌡
zu Stande kommen, denn der Krieg macht jeden Staat unsicher, daher
mehr auf die Zurüstung als auf die innere Beschaffenheit des
√Staats_\\_Staat⌡ gesehen wird. Wenn aber das ein Ende nimmt, so wird
die Verbeßerung der inneren Regierung erfolgen, wodurch die
Menschen zu solcher Vollkommenheit gebildet werden. Wie können wir
aber hiezu was beytragen⌠,⌡ und solches acceleriren? √Der_\\_der⌡
Philosoph muß seine Begriffe hievon bekannt machen, und sie zur
näheren
/Seite_737
/√Erwägung_\\_Erwegung⌡ vortragen. Die Lehrer müßen den Charackter bilden, damit
Regenten solches einsehen⌠,⌡ und bewerckstelligen möchten. Auf
solche Weise würde ein solcher Zustand seyn, den wir nicht Hofnung
zu erleben haben. Dieser Zustand kann nicht destruirt werden,
⌠Seite 678⌡
sondern so lange fortdauren, als es Gott gefällt, unsern Erdkörper
zu erhalten. Diese Betrachtung ist sehr angenehm, indem es eine
Jdee ist, die möglich ist, wozu aber ⌠noch⌡ Jahrtausende erfordert
werden. Die Natur wird immer zureichen, bis solches Paradies auf
Erden entstehen wird. So wie √sich_\\_sie⌡ die Natur immer
ausgebildet hat und noch ausbildet, und sich dem Zwecke der
Bestimmung nähert, welche man am Aeqvator und an der
√Eccliptic_\\_Ecliptic⌡ nachsehen kann, die sich nähert auf den
Aeqvator zu fallen und dadurch eine Gleichheit der Tage und
/Seite_738
/Nächte auf dem gantzen Erdboden entsteht, wozu aber noch 140000
Jahre erfordert werden; eben so bildet sich auch
⌠Seite 679⌡
das menschliche Geschlecht, und es können eben so viel
√Jähre_\\_Jahre⌡ verfließen, ehe es den großten Grad der
Vollkommenheit erreichen wird.
≥Von dem Unterschiede beyder Geschlechter.≤
Die Wurtzel des guten liegt in dem Uebel denn das Uebel ist die Ursache der Entwickelung der Talente, wodurch hernach alles gute entsprungen ist. Wir kommen jetzt auf einen Fall, wo uns sehr viele scheinbare Unvollkommenheiten vor Augen liegen, die in der Natur ihren Grund haben, und wo Philosophie angewandt werden muß, um zu sehen, daß diese Unvollkommenheiten zwegmäßig sind, und mit der Natur zusammen hängen, und √das_\\_daß⌡ ist die/Seite_739
/Untersuchung des √Unterscheides_\\_Unterschiedes⌡ beyder-
⌠Seite 680⌡
ley Geschlechter. Bey dieser Gelegenheit können wir Proben von der
Art geben, wie der Mensch studiert werden soll√._\\_:⌡ Dieses ist der
größte Fall, wo das Studium des Menschen √interessirt_\\_intereßirt⌡,
und wo auch das mehreste zweckmäßige in der Anlage der Natur
entdeckt wird. Demnach sagen wir also√:_\\_.⌡ Jn allen √Werck-
zeugen_\\_Werkzeugen⌡, wo durch kleine Kraft eben so viel
ausgerichtet wird, als durch große, da ├da┤ muß mehr Kunstmäßige
Einrichtung angebracht seyn, als in dem √Werzeuge_\\_Werckzeuge⌡ wo
größere Kraft ist├,┤ denn sonst könnte nicht eben dieselbe Wir-
ckung hervorgebracht werden. Je weniger Kraft und Macht also in
einem Werckzeuge ist, desto mehr Kunst muß da seyn. Da nun das
weibliche Geschlecht eben so viel Kraft hat
/Seite_740
/als das
⌠Seite 681⌡
männliche, und es eben so viele Wirckungen √hervor
bringen_\\_hervorbringen⌡ soll├,┤ als das männliche, denn sonst
möchte es zu kurtz kommen, und die Natur hätte ihm Unrecht gethan,
wenn es nicht mit dem männlichen Geschlecht gleich wäre, so wird
die Natur dem weiblichen Geschlecht mehr Kunst gegeben haben. Dem-
nach verdient das weibliche Geschlecht und die weibliche Natur
mehr √studirt_\\_studiert⌡ zu werden, weil sie mehr Kunst hat, und
die Natur das bey ihnen durch Kunst ausrichtet, was sie beym männ-
lichen durch Macht thut. Weil der Mann für die Natur gemacht ist,
so muß er Stärcke und Macht haben√,_\\_;⌡ welche √den_\\_denn⌡
Ungemächlichkeiten der Natur Wiederstand zu leisten √gemäs_\\_gemäß⌡
ist, aber keine Kunst. Da das Weib aber für
⌠Seite 682⌡
den Mann gemacht
/Seite_741
/ist, und durch den Mann für die Natur, so muß das Weib Kunst
haben, um durch den Mann der Natur und den
√Ungemächlichkeiten_\\_Ungemachlichkeiten⌡ derselben zu
wiederstehen⌠, und sie zu ihrem Nutzen anzuwenden⌡. Weil die
Deutsche gerne Complimente machen, so √mögte_\\_mochte⌡ das Wort:
Weib im gemeinen Leben beleidigen. Dem Mann ist das Weib entgegen
gesetzt, dem Herrn aber die Frau. So gut ich aber auf den König
ohne alle Beleidigung sagen kann: das ist ein wackerer Mann, so
gut kann ich auf eine Prinzeßin sagen: das ist ein schönes Weib,
da hab ich mehr gesagt, als wenn ich sagte: es ist eine schöne
Frau oder Prinzeßin, denn als ein schönes Weib ist sie die
schönste vom gantzen Geschlecht, wenn sie aber
⌠Seite 683⌡
eine √schöne_\\_schone⌡ Prinzeßin ist, so kann es noch schönere unter
andern Ständen geben.
/Seite_742
/ Der andere Grundsatz⌠,⌡ den wir voraus schicken müßen, ist
dieser√:_\\_;⌡ alles was in der Natur liegt├,┤ ist gut. Die Natur ist
die Bedingung⌠,⌡ und der Beziehungs Punckt des guten, und in der
Natur muß sich das gute vereinigen. Das böse liegt in der Freiheit
und im Misbrauch der Natur. Nun ist darauf zu sehen ob etwas durch
die Natur gut oder böse sey. Es ist schwer auszumachen, ob etwas
in der Natur liege oder nicht. Finden wir, daß das √Böse_\\_böse⌡ in
der Natur liegt, so ist es deswegen gut, daß es in der Natur
liegt, und es muß einen √Zweck_\\_Zweg⌡ und gute Absicht haben, wenn
es nur nicht durch Freiheit gemisbraucht wird. Wenn wir also
⌠Seite 684⌡
finden, daß ein Subject mit Uebel
/Seite_743
/√behaftet_\\_beschaffet⌡ ist, und √daß_\\_das⌡ Misbräuche statt finden,
und diese Misbräuche allgemein sind, so liegen sie doch in der
Natur, denn die Ursache, wodurch diese Uebel gemißbraucht werden,
muß doch in der Natur liegen, weil sie allgemein gemisbraucht
werden. Die Ursache der Uebereinstimmung des Misbrauchs⌠,⌡ der
Uebel kann doch nicht in der Freiheit gesucht werden, denn durch
die Freiheit geschehen nur zufällige Handlungen, sondern es muß in
der Nothwendigkeit der Handlung √steken_\\_liegen<stecken>⌡. Also muß
dieser Misbrauch betrachtet werden├,┤ als liege er in der Natur.
Was aber in der Natur liegt, das ist gut, denn die Natur
√würcket_\\_wircket⌡ so lange bis sie sich gleich
⌠Seite 685⌡
kommt, und mit sich übereinstimmt, und diese Uebereinstimmung ist
die Vollkommenheit.
/Seite_744
/ Wir werden √dahero_\\_also⌡ in dem Charackter des weiblichen
Geschlechts etwas finden, was ein bestimmtes Gesetz der Natur ist,
und deswegen, weil es in der Natur liegt, muß es gut seyn,
obgleich es sehr versteckt⌠,⌡ und uns als unvollkommen vorkommt.
Wir müßen demnach den Zweck zu entdecken suchen├,┤ und wenn wir
den Zweck⌠,⌡ wozu es gut ist, werden entdeckt haben, denn können
wir sagen, daß es gut ist. Wo sollen wir aber die Natur des
weiblichen Geschlechts aufsuchen, und in welchem Zustande sollen
wir sie √studiren_\\_studieren⌡? Es ist vorher bey der Natur noch dieser Un-
⌠Seite 686⌡
terscheid zu mercken. Die Natur kann in ihrer Einfalt betrachtet
werden, in dem √größten_\\_großten⌡ Grad ihrer Entwickelung⌠,⌡ oder
in ihrer √völligen_\\_volligen⌡ Entwickelung. Weil √nun_\\_nur⌡ in der
weiblichen Natur Kunst ist, und in der
/Seite_745
/männlichen Stärcke, so kommt die Natur mit der Einfalt der Natur,
die Kunst aber mit der Entwickelung der Natur überein. Demnach muß
die weibliche Natur nicht in der √Einfallt,_\\_Einfalt⌡ sondern in
ihrer Entwickelung studirt werden, in dem Zustande, wo die Anlage
der Kunst sich am meisten hat entwickeln können, in einem andern
Zustande kann die weibliche Natur nicht studiert werden. Wenn
√man_\\_mann⌡ rohe Nationen nimmt, so ist das Weib vom Manne gar
nicht zu unterscheiden⌠,⌡ sie hat die Reitze nicht,
⌠Seite 687⌡
die sie in der Entwickelung hat, √so_\\_sie⌡ muß eben so durch
Stärcke arbeiten, als der Mann, sie hat in dem rohen Zustande
keine Gelegenheit ihre Kunst zu entwickeln, dahero können wir
⌠«die»⌡ in diesem Zustande nicht die
/Seite_746
/Natur des weiblichen Geschlechts, sondern nur die Natur der
Menschheit überhaupt √studiren_\\_studieren⌡. Alle Kunst des Weibes
den √Man_\\_Mann⌡ zu gewinnen, ihre Reitze, ihre Annehmlichkeiten
sind in dem rohen Zustande ohne allen Effect, weil sie √<da>_\\_da⌡
nur Sinne der √Bedürfnis_\\_Bedürfniße⌡ haben, sie hängen an einander
in einer Verbindung durch √thierischen_\\_Thierischen⌡ Instinct. Es
ist also kein Unterscheid des Charackters des Mannes und des
Weibes in diesem Zustande, die Kunst des weiblichen Geschlechts
ist nur sichtbar in der Verfeinerung. Ehe wir also in diesen
⌠Seite 688⌡
Zustand kommen, sind sie √gäntzlich_\\_gantzlich⌡ ohnmächtig sich der
Kunst zu bedienen, √den_\\_denn⌡ Mann zu regieren, daher unter allen
√wilden_\\_Wilden⌡ das Weib als ein Hausthier anzusehen ist, ia weil
sie keine andern Hausthiere haben, so ist das
/Seite_747
/Weib das einzige Hausthier. Wenn der Mann also zu Felde in den
Krieg zieht, so trägt ihm das Weib seine Werckzeuge nach, denn
weil sie da ihre Kunst an den Mann nicht anwenden kann, ihre Kunst
auch auf ihn keinen Eindruck macht, weil der Mann nicht fähig ist,
die Kunst des Weibes zu acceptiren⌠,⌡ so kann sie sich durch
nichts seiner bemächtigen, muß also unterliegen. Also muß das
weibliche Geschlecht im verfeinerten Zustande studiert werden wo
die Anlage
⌠Seite 689⌡
der Keime ihrer Natur sich hat entwickeln können, die Natur der
Menschheit muß aber im rohen Zustande studiert
√werden_\\_seyn<werden>⌡. Die weibliche Natur äußert sich also im
verfeinerten Zustande ja wir können sagen, die Natur des weib-
lichen Geschlechts macht den Zustand
/Seite_748
/verfeinert. Diese weibliche Natur îdes weiblichen Geschlechts
macht den Zustand»┤ √heißet_\\_heißt⌡ Schwäche im
√physischen_\\_Physischen⌡ und mechanischen Sinn, und ist es auch
würcklich, aber als Triebfeder des Mannes ist diese Schwäche eine
große Triebfeder, wodurch die Stärcke des √Mannes_\\_Menschen⌡
gezwungen und moderirt wird. Also in Ansehung des
√männlichen_\\_Mannlichen⌡ Geschlechtes ist diese weibliche Schwäche
ein Mittel, wodurch es den Mann regieren und Macht über ihn haben
kann. Das Frauenzimmer ist auch niemals misvergnügt oder auf-
⌠Seite 690⌡
gebracht über den Schmertz den man über ihre Schwäche führt, ia
sie nehmen es nicht allein nicht übel, sondern suchen auch wohl in
dieser √Schwache_\\_Schwäche⌡ Z. E. in der Furchtsamkeit,
Zärtlichkeit, Feinheit, wodurch sie zu gröberen Arbeiten
/Seite_749
/unfähig sind, zu affectiren, weil sie wohl wißen, daß sie durch
diese Schwäche den Mann gewinnen und zwingen können├.┤ Der handelt
sehr √töhricht_\\_thörigt⌡, der vom Frauenzimmer männliche
√Stärcke_\\_Starcke⌡ fordert, und es deswegen geringe hält, weil es
dieselbe nicht hat, denn das ist eben so √ungereimt_\\_ungereimmt⌡,
als wenn ein Mann⌠,⌡ √«¿»Weiblichkeit_\\_Weiblichkeit⌡ haben sollte.
Jn Ansehung der Natur und derselben Bedürfniße würde dieses
Geschlecht √bedaurenswerth_\\_bedaurungs werth⌡ seyn⌠,⌡ wegen seiner
Schwäche, allein, weil es Stärcke über den Mann hat, ⌠so bedient
⌠Seite 691⌡
es sich der Natur durch den Mann,⌡ den sie durch ihre ⌠Schwäche
regiert. Der Zweck der⌡ Natur in Ansehung √beyder_\\_beider⌡
Geschlechter ist die vollkommene Einheit, die im menschlichen
Geschlecht zuwege gebracht werden soll. Die Natur hat 2 Absichten,
die Fortpflantzung und Erhaltung der Art, und √zu_\\_«um»zu⌡ diesem
√Zwec_\\_Zweg⌡k
/Seite_750
/hat die Natur den thierischen Unterscheid beyder Geschlechter
bestimmt, und dieses ist die Absicht in Ansehung der Thierheit.
Die zweyte Absicht der Natur in Ansehung beyder Geschlechter ist,
daß ein gesellschaftlicher Zustand seyn sollte. Dieser gesellige
Umgang ist die Absicht in Ansehung der Menschheit, und dadurch
unterscheiden wir uns von den Thieren. Um die erste Absicht der
Natur zu erreichen, hat die Natur Triebe in uns ge-
⌠Seite 692⌡
legt├,┤ die an sich klar sind, und über die wir nicht weiter
√phylosophiren_\\_philosophiren⌡ dürffen√,_\\_;⌡ wenn wir nur diesem
Trieb folgen, so erfüllen wir den Zweck der Natur, ohne denselben
Zweck √für Augen_\\_«der»für «Natur»Augen⌡ zu haben. Damit aber die
zweyte Absicht der Natur, daß eine gesellschaftliche Verfaßung und
/Seite_751
/Umgang seyn soll, könnte zu Stande gebracht werden, so muß ├in
uns┤ die
Natur √Qvellen_\\_Qvelle⌡ in uns gelegt haben, wodurch dieser gesell-
schaftliche Umgang zu Stande gebracht werden könnte. Dieser
gesellschaftliche Umgang wird zwar schon zum Theil durch die
bürgerliche Ordnung zuwege gebracht, das ist aber durch Zwang. Die
größte Vereinigung der Gesellschaft und der vollkommenste Zustande
der Gesellschaft muß ohne √Zwanck_\\_Zwang⌡ geschehen. Dieses geht
aber
⌠Seite 693⌡
nicht anders an als durch Neigung⌠,⌡ also durchs Frauenzimmer. Zu
diesem gesellschaftlichen Zustande, der eine Ursache von
unendlichen Folgen ist, ist das Frauenzimmer recht ausgerüstet⌠,⌡
durch Erziehung der Kinder, durch Gesprächigkeit, die ihnen
√nicht_\\_recht⌡ eigen ist, und worinnen oft eine
/Seite_752
/Schwester die immer zu Hause war, den Bruder der weit älter ist,
und auf Academien war, übertrift, durch √Hoflichkeit_\\_Höflichkeit⌡,
Bescheidenheit, Manierlichkeit, Anstand,
√Gefließenheit_\\_Geschlissenheit⌡, Verbeßerung des Geschmacks im
Umgange, alles dieses haben wir dem Frauenzimmer zu dancken,
wodurch der gesellschaftliche Umgang befördert wird. Die bürger-
liche Ordnung bringt zwar durch den Zwang eine bürgerliche
Gesellschaft hervor, allein es soll eine vollkommen
⌠Seite 694⌡
innigliche Einheit errichtet werden, und zu dieser inniglichen
Vereinigung⌠,⌡ die ohne Zwang geschicht, trägt das Frauenzimmer
alles bey, denn die Natur wollte einen Umgang ohne Zwang zu wege
bringen. Um diese Zwecke der
√gesellschaftlichen_\\_Gesellschaftlichen⌡ Vereinigung zu erreichen,
/Seite_753
/muste zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht eine
Einheit errichtet werden, die von solchen Folgen fruchtbar seyn
könnte, um solche Vereinigung zuwege zu bringen. Durch welche
Mittel ist aber die √großte_\\_größte⌡ Einheit und gesellschaftliche
Vereinigung möglich? Nicht durch die Einerleyheit, sondern durch
die Verschiedenheit. Die wahre Vereinigung beruht auf dem
⌠Seite 695⌡
Mangel des einen Theils, und den Besitz deßelben beym andern
Theil. Wenn das nun verbunden wird, so entspringt daraus ein
gantzes der vollständigen freundschaftlichen Vereinigung. Eben so
beruht die Vereinigung des Staats auf der wechselseitigen
√Bedürfniß_\\_Bedürfnis⌡ der Glieder
/Seite_754
/unter einander, und nicht auf der Einhelligkeit. Wenn also das
männliche Geschlecht das weibliche bedarf⌠,⌡ und das weibliche das
männliche, so wird die Einheit und √Gesellschaft-
liche_\\_gesellschaftliche⌡ Vereinigung nothwendig nicht allein in
Ansehung der Bedürfnis, sondern auch in Ansehung der Annehm-
lichkeit des Umganges. Damit also eine Verschiedenheit zwischen
√beiden_\\_beyden⌡ Geschlechtern sey, und aus der Ver-
⌠Seite 696⌡
schiedenheit eine Einheit entspringen √mögte_\\_möchte⌡, so muß der
Mann da √Stärcke_\\_Starcke⌡ haben, wo das Weib Schwäche hat, und da
Schwäche wo das Weib Stärcke hat. Der Mann ist aber starck in
Ansehung der Natur, das Weib ist darinnen schwach, dagegen hat das
Weib in
/Seite_755
/Ansehung des Mannes Stärcke, und der Mann in Ansehung des
√Weiches_\\_Weibes⌡
Schwäche⌠,⌡ und daher entspringt die Einheit, denn der Mangel des
einen├,┤ und der Besitz des andern Geschlechts ist die nothwendige
Bedingung, unter welcher eine solche vollkommene Einheit und
gesellschaftliche Vereinigung statt finden kann. Das männliche
Geschlecht wird vollkommen durch den Ersatz des weiblichen, und
das weibliche durch das männ
⌠Seite 697⌡
liche Geschlecht. Demnach wird der Mann in seiner Wirthschaft
nicht so thätig, rüstig⌠,⌡ sondern nachsichtlich seyn, die Frau
aber ist darinn sehr thätig und rüstig⌠,⌡ treibt alles zur Arbeit
an, und wenn es nicht geht├,┤ so ist ihr das sehr
√angemessen_\\_angemeßen⌡, daß sie
/Seite_756
/das Gesinde ausschilt, Händel und Krieg im Hause
√macht,_\\_angiebt<macht>⌡ und dadurch erhält sie sich
√thatig_\\_thätig⌡, und es bekommt ihr sehr wohl. Es wird sehr selten
eine Frau aus Aergerniß über ihr √Hausgesinde_\\_Haus Gesinde⌡ kranck
werden, wohl aber der Mann. Contrair diejenige Frauen, die solche
thätige Wirthschaft nicht haben, wo sie sich zancken und ärgern
können├,┤ werden kranck. Der Mann aber, der seine
√Beschäftigung_\\_Beschäfftigung⌡ außer dem Hause hat, und darinn
√weder_\\_wieder⌡ so thätig, rüstig
und
⌠Seite 698⌡
und dringend ist, mag in seinem eigenen Hause gerne Ruhe und
Frieden haben, weil das der eintzige Ort ist, wo er ausruhen kann,
also ist er darinn sehr nachsichtlich. Will nun
/Seite_757
/die Frau im Hauswesen was ausführen, welches sie aber ohne den
Mann nicht thun kann, so kann sie ihn dadurch regieren. Weil nun
der Mann darinn √nachsichtlich_\\_Nachsichtlich⌡ ist, so giebt er ihr
nach, welches ein √bescheidener_\\_beschiedener⌡ Mann gegen seine
Frau allemahl gerne thun wird, indem er dazu viel zu
√großmüthig_\\_grosmüthig⌡ ist, ihr solches auszuschlagen. Derjenige
Mann aber, der das nicht thut, sondern mit seiner Frau
√zangt_\\_zanckt⌡, oder √sich_\\_sie⌡ schlägt, von dem könnte man sagen,
daß er selbst schon ein Weib ist, denn
⌠Seite 699⌡
das schickt sich für den Charackter des Mannes gantz und gar
nicht. Der Mann ist leichtgläubig, die Frau √ist aber_\\_aber ist⌡
sehr scharfsichtig auf das, was ihr zum
/Seite_758
/Nachtheil gereichen könnte. Der Mann verräth sich bald, die Frau
aber hat solche Geschicklichkeit ihre Unschuld zu beweisen, daß
man gar nicht den geringsten Argwohn haben kann, sie hat solche
unschuldige √Mienen_\\_Miene⌡ und Augen, und kann sich so entrüsten,
daß man √daruber_\\_darüber⌡ gantz √stutzig_\\_stuzzig⌡ wird, und man
weiß nicht, daß solches gekünstelte Methode sey, die ihrem Talent
angemeßen ist, dieses hat der Mann gar nicht. Jhre Schmeicheleien
würcken eher auf den Mann, dadurch sie denn auch den Mann, wenn
sie ihn böse gemacht,
⌠Seite 700⌡
bald wieder gut bekommt. Demnach kann der Mann der Frau
√«ihr»eher_\\_eher⌡ vergeben, als die Frau ihm. Wenn ein
/Seite_759
/Frauenzimmer in einem Punckt etwas für Beleidigung aufnimmt, so
ist es nicht so leicht zu versöhnen. Dieser Punckt ist, wenn man
zu ihnen sagt, daß sie alt oder häslich sind. Diese Urtheile
können sie nicht so bald vergeben, in Ansehung der Häßlichkeit *1
sind unterschieden. Was dem einen √häslich_\\_häßlich⌡ vorkommt, kann
dem andern gefallen, aber das Altseyn hebt alle Bedingungen zu
gefallen auf. Das weibliche Geschlecht erwirbt sich thätigkeit im
häuslichen Zustande⌠,⌡ der Mann aber im bürgerlichen. Der Mann als
Bürger muß in Ansehung seines Hauswesens ein Herr
/Seite_760
/seyn, er muß erwerben, aber in √Ansehung_\\_Ansehungs⌡ des Gebrauchs
am Rand ab Z. 10
~ *1 nicht so als in Ansehung des Altseyns├,┤ denn die Urtheile in
Ansehung der Häslichkeit ~
⌠Seite 701⌡
√deßen_\\_dessen⌡, was der Mann erworben hat, muß er die
Oberherrschaft haben. Jn Ansehung der Angelegenheiten des Staats
nimmt der Mann √Antheil_\\_antheil⌡, und wenn er gleich √damit
nichts_\\_nichts damit⌡ zu schaffen hat, so urtheilt er doch gerne.
Der Frau ists aber einerley, wer da regiert, darum bekümmert sie
sich gar nicht. Das Frauenzimmer ist mehr Despotismus und Freiheit
einzuführen geneigt, wenn sie nur in der Gesellschaft die
Oberherrschaft haben⌠,⌡ so mag im Staate regieren wer da will⌠.⌡
Pohlen und Curland ist das einzige Land⌠,⌡ wo das Frauenzimmer das
mehreste √vom_\\_von⌡ Staatssachen spricht, denn
/Seite_761
/da interessirt sie die √Freiheit_\\_Freyheit⌡ gar sehr, denn wo der
Adel die Oberhand hat, da haben die Damen einen großen Rang⌠,⌡
welches aber wegfällt, wenn der Hof regiert. Die √zweyte_\\_zweite⌡
⌠Seite 702⌡
Hauptbestimmungen des Frauenzimmers sind√;_\\_:⌡ die Oberherrschaft
im Hauswesen⌠,⌡ und die Oberherrschaft in einer freywilligen
Gesellschaft. An dieser Herrschaft findet der Mann
√Vergnügen_\\_«v»Vergnügen⌡, er will beherrscht seyn, wenn es nur
nach der Art geschicht, wie es dem Mann gefällt, er fordert das
Frauenzimmer durch seine Schmeicheley zu solcher Herrschaft auf.
So bald sich der √Man_\\_Mann⌡ darinn von der Frau nicht mehr
beherrschen läßet, so hängt er auch nicht mehr zusammen. Der Mann
liebt
/Seite_762
/an der Frauen einen Mangel des Muths und der Selbst Zuversicht,
denn würde das die Frau haben, so würde er ihr mit seinem Muthe
nicht dienen. Würde die Frau selbst Stärcke und Muth haben⌠,⌡ sich
zu vertheidigen;
⌠Seite 703⌡
so brauchte sie keinen Mann zu haben, dahero der Mann solche
Mängel an seiner Frau liebt, und sie erhebt. Je edler ein Mann
denckt, desto mehr unterwirft er sich einer wohldenckenden Person,
denn dazu wird er nicht mit ⌠<durch>⌡ Gewalt gezwungen, sondern es
ist eine freywillige Unterwerfung⌠,⌡ wodurch er gewonnen ist, und
√ie mehr_\\_jemehr⌡ er sich unterwirft⌠,⌡ und sich willfährig gegen
seine Frau bezeigt, desto mehr √gewint_\\_gewinnt⌡ er, und
/Seite_763
/desto √großmuthiger_\\_großmüthiger⌡ erscheint er. Wenn wir die
Bestimmung dieses Geschlechts bemercken√._\\_,⌡ so finden wir, wie
ein iunges Mädchen in der Gesellschaft der größten Männer von den
größten Einsichten ohne Verlegenheit seyn kann, wo ein Jüngling
wenn er ihr an Einsichten weit über-
⌠Seite 704⌡
legen ist, in großer Verlegenheit geräth, und solches gefällt auch
dem männlichen Geschlecht, denn weil das Frauenzimmer die
Vollkommenheit des Mannes in den Wißenschaften nicht hat, so wird
√sie_\\_es⌡ das männliche Geschlecht deswegen nicht höher achten,
denn sie halten die √Vollkommenheiten_\\_Vollkommenheit⌡ des Mannes für grobe
Arbeiten, wozu der Mann Talente hat, also sind sie auch
/Seite_764
/deswegen in keiner Verlegenheit. Das Vergnügen des gesell-
schaftlichen Umganges halten sie hoch, und darinn sind sie auch
gantz Meister. Die Erziehung des Frauenzimmers möchte einen
größeren Einfluß auf die Sitten haben, als man glaubt, denn wie
wird das √Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ jetzt erzogen? Eigentlich
gar nicht, wenn es Vollkommenheiten √Besitzt_\\_besitzt⌡, so hat es
solche von der
⌠Seite 705⌡
Natur. √Music_\\_Musik⌡, √tantzen_\\_Tantzen⌡ und √andere_\\_andre⌡ Geschick-
lichkeiten rechnen wir gar nicht zur Erziehung, sondern die
Begriffe werden bey ihnen gar nicht entsponnen, und doch ist das
√Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ in den iüngeren Jahren weit
sittlicher als das männliche
/Seite_765
/Geschlecht. Durch √lesen_\\_Lesen⌡ der Bücher erwirbt es sich nicht
diese Geschicklichkeit, denn weil dadurch mehr Kunst
entspringt√,_\\_;⌡ so verdirbt auch wohl diese Kunst ihre natürliche
Fähigkeiten. Eine iunge natürliche Person von natürlichen
Fähigkeiten hat gantz was anderes in ihrem Verstande, so wir gar
nicht haben. Wenn Z. E. eine Schwester einen Brief schreibt, so
wird darinn mehr Naivitat, natürlicher Witz, Munterkeit⌠,⌡ Schertz
und Lebhaftigkeit stecken, als wenn der Bruder der schon auf der
Academie gewesen ist, einen schreibt, der wird seinen Brief mit
allen nur √möglichen_\\_mochlichen⌡ √Formularien_\\_formulirien⌡ Ante-
⌠Seite 706⌡
Antecedenzen und
/Seite_766
/√Conseqvenzen_\\_Conseqventzen⌡ mit √vieler_\\_viele⌡ Mühe so zu
sagen├,┤ √auswürgen_\\_aus würgen⌡. Also bedarf das
√Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ keiner weiteren Erziehung, als der
Negativen, wodurch sie von Grob und Ungezogenheit abgehalten wird,
sie brauchet nur einen gesellschaftlichen Umgang, so wird sie sich
schon selbst bilden. Allein sie sind auch einer näheren
Instruction fähig, wodurch ihr Charackter gebildet wird. Der
Grundsatz der Ehre ist zwar bey ihnen der wichtigste, auf diesen
Grundsatz kann alles bey ihnen gebaut werden, allein sie sind auch
des wahren innern Werths fähig, der Sittlichkeit⌠,⌡ Großmuth und
anderer männlichen Bestrebungen, nur sie sehen
/Seite_767
/diese Bestrebungen aus einem gantz andern
√Gesichtspunckte_\\_Gesichts Puncte⌡ an, nicht in so ferne sie solche
besitzen, sondern ihr
⌠Seite 707⌡
Mann oder ihr Liebhaber. Allein man √solte_\\_sollte⌡ doch bey ihrer
Erziehung auf wahre innere moralische Begriffe sehen, denn würden
solche √Perschonen_\\_Personen⌡ von moralischen Begriffen den Werth
des Mannes zu beurtheilen wißen, so würden sie manchem
schmeichlerischen Laffen von keinen moralischen Werthe gar nicht
folgen. Das männliche Geschlecht hat für das weibliche Achtung,
von der Liebe versteht es sich ohnedem. Das weibliche Geschlecht
aber hat nicht solche Achtung fürs männliche, sie halten sich im-
mer für wichtig und erheblich genung vom Manne, wenn er auch noch
so viele Verdienste hat, geachtet zu werden. Die Frauenzimmer
/Seite_768
/sind Richter des Geschmacks im Umgange. Der Umgang ohne sie ist
grob, stürmisch und ungesellig. Jn einer Gesellschaft von lauter
Männern verfält man
⌠Seite 708⌡
in Streit, Rechthaberey und √Zank_\\_Zanck⌡, √das_\\_daß⌡ ist aber nicht
in der Gesellschaft der Frauenzimmer. Die Gefälligkeit der Männer
läßt das Frauenzimmer den Ton angeben, allein wenn die
Frauenzimmer immer den √Ton_\\_Thon⌡ angeben, so wird die Unterredung
nicht interessant, allein solcher √ge-
sellschaftliche_\\_Gesellschaftliche⌡ Umgang soll auch nicht in-
teressant seyn, sondern zur Erhohlung dienen. Das Frauenzimmer hat
daher gute Manier der ernsthaften Unterredung der Männer ein Ende
zu machen⌠,⌡ und die wichtigsten Materien
/Seite_769
/in Spaas zu √verwandeln_\\_ver«richten»<wandlen>⌡, welches in der
Gesellschaft sehr schön ist. Auch nur ein Frauenzimmer ist für
√wohldenckende_\\_wohldenkende⌡ Männer hinlänglich sie in ihren
ernsthaften Gesprächen in Schrancken zu halten. √Was_\\_Wo⌡ das
Frauen-
⌠Seite 709⌡
zimmer von der Gesellschaft ausgeschloßen ist├,┤ als im Orient, da
ist die Gesellschaft der Männer grob. Die Verfeinerung der Ge-
sellschaft haben wir also dem Frauenzimmer zu verdancken. Es wird
demnach die Erziehung des Frauenzimmers nicht dem Mann
anzuvertrauen seyn, denn die Männer würden sie nach ihrem Cha-
rackter bilden. Wir müßen also die Erziehung in den Händen
√lassen_\\_laßen⌡ in denen sie ist. Die Wißenschaften dienen ihnen
nur in so ferne als sie eine Unterhaltung und ein Spiel für sie
sind, sie √müssen_\\_müßen⌡ nur durch Umgang gezogen
/Seite_770
/werden. Sie sind auch viel zu delicat, als √das_\\_daß⌡ sie sich mit
Kopfarbeit abgeben sollten, daher ist auch die
√Pedanterie_\\_Pedanterie⌡ am Frauenzimmer unausstehlicher als am
√Mann_\\_Manne⌡.
⌠Seite 710⌡
Sie sind mehr zum Spiel als zur wichtigen
√Beschäftigung_\\_Beschaftigung⌡ aufgelegt, und das ist auch der
Natur gemäß. Etwas √Soliditat_\\_Soliditaet⌡ aber müste ihnen das
männliche Geschlecht beybringen, die im Hauswesen sehr dienlich
ist. √Man_\\_Mann⌡ muß etwas mehr auf Grundsätze⌠,⌡ Sentimens und
häusliche Pflicht in ihrer Erziehung sehen, denn von Pflichten
wollen sie ohnedem √nichts_\\_nicht⌡ wißen√,_\\_;⌡ sondern es soll alles
bey ihnen von bloßer √Gefälligkeit_\\_Gefalligkeit⌡ und Güte √abhän-
gen_\\_abhangen⌡. Jn Ansehung der Pflicht ist also noch vieles in
ihrer Erziehung zu verbeßern. Man müste auch suchen ihnen in ihrer
/Seite_771
/Erziehung mehr Wichtigkeit├,┤ Ansehen und Würde in ihren
Geschäften einzuflößen. Jn Ansehung der 3 Articel⌠,⌡ der Küche⌠,⌡
Kinder und Kranckenstube ist das Frauenzimmer von großer Wichtig-
⌠Seite 711⌡
keit, und ein Object der Hochachtung.
/Dieses waren die Qvellen, wodurch die Natur ihre zweyte
Absicht├,┤ durch das weibliche Geschlecht erhielt,
√nehmlich_\\_nemlich⌡ √die Gesellschaftliche_\\_gesellschaftliche⌡
Verfaßung, und der gesellige Umgang unter den Menschen. Damit aber
die Natur ihre erste Absicht die Erhaltung der Gattung erreichen
möchte, so hat sie darinn große Zärtlichkeit bewiesen. Weil diese
Absicht dem weiblichen Schooß anvertraut ist, so hat die Natur das
weibliche Geschlecht furchtsam gemacht. Diese Furchtsamkeit in
Ansehung der √körperlichen_\\_korperlichen⌡ Verletzung ist beym weiblichen
/Seite_772
/Geschlecht allgemein, und obgleich die Weiber unter den
√wilden_\\_Wilden⌡ nicht so zärtlich sind, als die im gesitteten
Zustande, so sind sie doch in Ansehung der cörperlichen Verletzung
furchtsam, dahero sie sich nicht gerne auf
⌠Seite 712⌡
das Waßer wagen, und an einem Ort wo Gefahr zu besorgen ist,
√ja_\\_ia⌡ wenn sich ein √paar_\\_Paar⌡ Weiber schlagen, so hütet sich
eine jede, daß ihr die andere nicht ins Gesicht kömmt, sie halten
die Hände vor, und hüten sich sehr vor √körperliche_\\_körperlicher⌡
√Verletzung<en>._\\_Verletzung⌡ *1 zu besorgen ist⌠,⌡ sind sie nicht
so furchtsam, √ja_\\_ia⌡ da übertreffen sie noch das männliche
Geschlecht. Wenn es daher auf die Behauptung des Rechts ankommt,
oder was zu erlangen, so sind sie √darinn_\\_darinnen⌡ weit dreister,
beredter und weniger
/Seite_773
/furchtsam, als der Mann, dahero wird man finden, daß der
Handwercker immer lieber seine Frau aufs Rathhaus und beym
√Stadtrath_\\_StadtRath⌡ schickt, als daß er selbst geht, indem sie
beredter ist, und auch mehr Nachsicht von der Obrigkeit findet,
am Rand ab Z. 7
~*1 Jn andern Stücken├,┤ wo keine √cörperliche_\\_corperliche⌡
Verletzung~
als
⌠Seite 713⌡
findet, als der Mann. Diese Einrichtung der Natur ist
unvergleichlich, denn √würden_\\_würde⌡ sich die Frau eben so in alle Gefahr
wagen, als der Mann, so würde sie auch ihre Furcht in Gefahr
setzen, und dadurch könnte die Art nicht so erhalten werden, als
es √jetzt_\\_ietzt⌡ durch solche weise Einrichtung├,┤ die sich auch
über die Thiere vollstreckt⌠,⌡ vollzogen wird. Die Beobachtung des
Unterschiedes beyderley Geschlechter ist ein wichtiger
√Punckt_\\_Punkt⌡, und ist wohl der √Phylosophie_\\_Philosophie⌡ würdig,
daß man die Menschen Gattung aus einem gewißen Gesichts Punckt
betrachte,
/Seite_774
/und die Zwecke ieden Geschlechts aufsuche. Da wir schon die
Hauptzwecke der Natur in Ansehung der Geschlechter angeführet
haben, so ist es noch nöthig allgemeine √Bemerkungen_\\_Bemerckungen⌡
aus der Erfahrung zu nehmen.
⌠Seite 714⌡
Jn Ansehung des Streits zwischen √beiden_\\_beyden⌡ Geschlechtern der
√Menschen Gattung_\\_Menschengattung⌡, die mehr zur angenehmen
Unterhaltung als zur steifen Behauptung dient├,┤ kann man diese Frage
aufwerfen: Welches Geschlecht ist in Ansehung der
√Neigungen_\\_Neigung⌡ und Empfindungen der Liebe zärtlicher├,┤ der
Mann oder die Frau. Die Frage geht hier nicht auf die √zärtlich-
keit_\\_Zärtlichkeit⌡ der Beurtheilung⌠,⌡ sondern auf die
Zärtlichkeit in der Empfindung der Geschlechter Neigung. Hier
müßen wir sagen, daß der √man_\\_Mann⌡ zärtlicher ist wie die Frau.
Der Mann hat einen
/Seite_775
/feinen Geschmack, die Frau aber einen gröberen. Denn hätte die
Frau einen feinen Geschmack in Ansehung der Geschlechter Neigung,
so √müßte_\\_müste⌡ der Mann von zarterer und √feinerer_\\_feineren⌡
Bildung
⌠Seite 715⌡
seyn, und hätte der Mann einen √gröberen_\\_groberen⌡ Geschmack und
gröbere Empfindung, so müste die Frau von √groberer_\\_gröberer⌡
Bildung seyn. Nun ists aber umgekehrt, die Frau ist von zarterer
und √feinerer_\\_feineren⌡ Bildung, weil der Mann von feinerer und
√delicaterer_\\_delicaterer⌡ Empfindung ist, solche feine Bildung zu
empfinden. Der Mann ist aber von √gröberer_\\_groberer⌡ Bildung, weil
die Frau einen gröberen Geschmack hat, und gar nicht solche
Zärtlichkeit in der Bildung am Manne sucht, die sie aber
√für_\\_führ⌡ ihn besitzt. Hieraus ⌠aber⌡ kann man erklären, wie es
oft kommt, daß schöne├,┤ zarte, feine
/Seite_776
/Frauens grobe ruppige Männer haben, ⌠und mit ihnen sehr zufrieden
sind,⌡ indem sie gar nicht auf die Feinheit und zarte Bildung der
Männer sehen, da sie gar nicht so delicat in ihrer Wahl
⌠Seite 716⌡
sind, sondern mehr auf die Tüchtigkeit und männliche Stärcke des
Mannes ausgehen. Dieses dienet zum Beweise der Beantwortung dieser
Frage. Nun wollen wir den Zweck der Natur aufsuchen, und die
Ursache davon anführen. Es war eine wesentliche Bedingung der
Natur, daß das Weib gesucht werden muste. Der Mann muß das Weib
suchen⌠,⌡ und nicht das Weib den Mann. Der √«m»Mann_\\_Mann⌡ muste
also werbend, das Weib aber weigernd seyn. Der Mann kann wählen
indem er sich eine Frau aussuchen kann. Das Weib aber kann nur
dadurch wählen⌠,⌡ daß sie abschlägt bis auf den, den sie Lust
/Seite_777
/hat zu nehmen. Derjenige aber der gesucht wird, und warten muß
⌠Seite 717⌡
bis √jemand_\\_iemand⌡ kommt, der kann nicht so delicat in der Wahl
seyn, und viel auslesen├,┤ sondern muß mit demjenigen vorlieb
nehmen, was der Himmel giebt, der andere Theil aber, der die Wahl
hat├,┤ kann delicat in seiner Empfindung seyn, denn indem er
wählen kann, so kann er seinen delicaten Empfindungen gemäs
wählen. Es hat die Natur hier gute √Einrichtung_\\_Einrichtungen⌡
getroffen, denn wenn die Frau zärtlicher in der Empfindung wäre
als der Mann, so würde sie sehr √zu_\\_«s»zu⌡ kurtz kommen, indem sie
an dem Mann nicht einen solchen Gegenstand der
√zärtlichkeit_\\_Zartlichkeit⌡ finden möchte. Da sie aber jetzt nicht
so zärtlich in der Empfindung sind, so ist das, was schon
angeführt ist,
/Seite_778
/⌠nehmlich,⌡ nemlich, daß die feinsten und schönsten Frauens oft
die häßlichsten Män-
⌠Seite 718⌡
ner haben√;_\\_,⌡ sehr gut zu erklären. Der delicate Geschmack
⌠Geschmack⌡ in der Neigung ist eine Art von Bedürfnis, die sehr
schwer zufrieden gestellt werden kann, wer einen solchen zarten
Geschmack hat├,┤ mit dem ist es übler bestellt, als mit dem,
welcher einen derben Geschmack hat, und auf das delicate nicht so
sieht, so wie es mit dem beßer √bewand_\\_bewandt⌡ ist, der mit √jeder_\\_ieder⌡
Kost vorlieb nehmen kann, als mit dem, der in seinem Geschmack der
Speisen so delicat ist, daß er ihn nur mit Ortolanen und Pasteten
sätigen kann, und wenn er dieses nicht √bekommt_\\_bekömmt⌡, so ist
er übel dran. Daher hat auch die Natur dafür gesorgt, und dem
Frauenzimmer nicht solchen delicaten
/Seite_779
/Geschmack in der Empfindung gegeben, weil sie nicht diejenigen
sind, die ihrem Geschmack nach wählen können, sondern
⌠Seite 719⌡
gesucht werden. Einige glauben⌠,⌡ dieses ließe sich der Natur
abdisputiren, so wie man etwas auf dem √Catheter_\\_Catheder⌡
√abdisputirt_\\_abdisputirt⌡, und glauben es sey eine Sache der Mode,
allein was allgemein und beständig ist, kann kein Gegenstand der
Mode seyn, sondern muß in der Natur liegen. Wenn wir dieses weit
√herausholen_\\_heraushohlen⌡ wollen, so finden wir, daß bey den
√thieren_\\_Thieren⌡, wo viel √Männchen_\\_männchen⌡ sind und ein
Weibchen, daß männliche Geschlecht schläfrig seyn muß, das
Weibchen aber muß Reitze anwenden um einen oder den andern vom
männlichen Geschlecht auf sich zu ziehen Z. E. bey den Bienen.
Würden da die Männchen
/Seite_780
/eben so hitzig seyn, so müste das Weibchen⌠,⌡ unter so vielen
unterliegen. Auf der einen Seite aber, wo ein Männchen viele
Weibchen hat, da muß das weibliche Geschlecht schläfrig seyn, und
das Männchen
⌠Seite 720⌡
muß Reitze anwenden, um eines oder das andere vom weiblichen
Geschlecht auf sich zu ziehen, denn würden die Weibchen eben so
starck in der Empfindung seyn, so müste das Männchen unterliegen.
Wo aber ein Weibchen und ein Männchen ist, da sieht man, daß das
√Weibchen_\\_weibchen⌡ der weigernde, √das_\\_da«ß»s⌡ Männchen aber der
werbende Theil ist Z. E. bey den Katzen├,┤ bey den Hunden, da
schlagen sie sich so gar um das Weibchen. Die Natur wollte, daß in
der Begattung die größte Lebhaftigkeit seyn sollte, damit hieraus
die √großte_\\_größte⌡
/Seite_781
/Fruchtbarkeit entspringen möchte. Die √größte_\\_großte⌡ Lebhaftig-
keit wird aber durch die Neigung erreicht, woraus hernach die
√fruchtbahrsten_\\_fruchtbarsten⌡ Folgen entspringen, wenn der
weigernde Theil nachgiebt. Der Haupt Grund der Natur ist aber
dieser, weil das empfangen leichter
⌠Seite 721⌡
ist als das geben, so muß demjenigen Theil⌠,⌡ der da giebt, die
Wahl überlaßen werden, wem er geben will, dem empfangenden aber
steht es nicht frey zu wählen, was er empfangen will, sondern├,┤
sich nur zu weigern⌠,⌡ dasjenige zu √empfanden_\\_empfangen⌡, was man
ihm geben will. Da nun das männliche Geschlecht der ertheilende⌠,
das weibliche aber der empfangende⌡ Theil ist, so muß √da«s»r_\\_der⌡
gebende Theil oder das männliche Geschlecht die Wahl zu werben
haben, das weibliche Geschlecht aber der weigernde Theil seyn.
Demnach
/Seite_782
/werden wir finden, daß das Frauenzimmer der weigernde Theil
ist├,┤ und daß sich √jedes_\\_iedes⌡ Frauenzimmer bewirbt in der
Gesellschaft sittsam und anständig zu seyn, und gantz kalt gegen
das andere Geschlecht zu √scheinen_\\_erscheinen⌡. Dieses ist sehr nothwendig, und
je
⌠Seite 722⌡
höher es solches zu treiben weiß, desto mehr zieht es das andere
Geschlecht auf sich. Jhre Liebe gegen das männliche Geschlecht, ob
sie gleich auch solche starcke Liebe der Neigung ist, können sie
durch √Zauberhafte_\\_zauberhafte⌡ Kunst mehr als eine Gunst gegen den Mann zu
äußern, als das √«sie» <es>_\\_es⌡ eben solche Neigung seyn sollte.
Obgleich dieses offenbar ist, daß das weibliche Geschlecht eben
solche Geschlechts Neigung und Trieb hat als das männliche, so
besitzt es doch solche Kunst diese
/Seite_783
/Neigung zu verbergen, daß man an dem vorigen zweifeln sollte.
Diese Kunst der Verbergung und Weigerung ist aber sehr nöthig,
denn würde das weibliche Geschlecht ihre Neigung √aus_\\_und⌡ Trieben
gegen das männliche äußern, so würde es vieles in den Augen des
männlichen Geschlechts
⌠Seite 723⌡
verlieren, und alsdenn √d«¿»ürfte_\\_dorfte⌡ sich der Mann um sie
nicht bewerben, sondern sie müsten, weil sie eben solchen Trieb
hätten, dem Manne unterliegen, alsdenn wären sie durch ihre
Neigung gezwungen, sich dem Manne zu ergeben. Der welcher bedarf,
muß dem andern unterliegen, wer aber nicht sucht├,┤ und nicht
bedarf, der kann herrschen. Weil nun das Frauenzimmer seine
Neigungen so künstlich zu zähmen weiß, daß es scheint, als wenn
/Seite_784
/sie nichts bedürfen; der Mann aber seine Neigung und seine
√Bedürfniß_\\_Bedürfniße⌡ äußert, so muß der Mann werben, und das
Weib kann durch ihre Kaltsinnigkeit├,┤ welches ein Affect ist,
√den_\\_denn⌡ ├Mann┤ beherrschen. Diese Weigerung und Kaltsinnigkeit
fordert so gar der Mann von der Frau. Der Mann hat große Neigung
⌠Seite 724⌡
dem Frauenzimmer zu schmeicheln, und je mehr ein Frauenzimmer
darinn einen Stoltz und Selbstgenügsamkeit √sezt_\\_setzt⌡, desto
lieber siehts der Mann. Dadurch versetzt der Mann dieses
Geschlecht in ein solches Ansehen, √das_\\_daß⌡ dem weiblichen
Geschlecht dadurch alles ersetzt wird, was ihm in Ansehung der
Natur entgeht. Denn weil der Mann⌠,⌡ √derjenige_\\_derienige⌡ Theil
ist, der über die Natur herrscht, der das Gewerbe treibt, durch
/Seite_785
/den alle Künste und Wißenschaften getrieben werden, so würde hier
das weibliche sehr viel verlieren, wenn das männliche demselben
solches nicht auf der andern Seite ersetzt √hätte_\\_hatte⌡. Würde
der Mann dem Weibe nicht solches Ansehen geben, so wäre unter
√beyden_\\_beiden⌡ Geschlechtern keine Gleichheit, die Natur wollte
aber, daß eine
⌠Seite 725⌡
Gleichheit seyn sollte.
Wir bemercken ferner, daß das Weib empfindlich, der Mann aber
empfindsam ist. Die Zärtlichkeit des Mannes ist empfindsam des
Weibes aber empfindlich. Das weibliche Geschlecht fordert vom
Manne Zärtlichkeit, und ist sehr unversöhnlich gegen √gede_\\_iede⌡
Geringschätzigkeit, die sie sehr genau wahrnehmen. Das
Frauenzimmer wirft oft dem männlichen Geschlecht vor, daß es nicht
zärtlich ist, allein das
/Seite_786
/wird von ihnen nicht so gemeint, als wenn der Mann nicht genung
Zärtlichkeit hat, sondern nicht genung Zärtlichkeit ⌠gegen sie⌡
bezeugt. Von der Natur ist √also_\\_<also>⌡ der Mann in der Liebe
√zärtlicher_\\_zartlicher⌡ als das Weib, das Weib liebt aber nicht so
zärtlich. Der Beweis ist dieser: Derjenige Theil, der geneigt ist
alle Beschwerlichkei-
⌠Seite 726⌡
ten und Ungemächlichkeiten des andern Theils über sich zu nehmen
ist doch zärtlicher als der Theil⌠,⌡ der das fordern kann, daß der
√andere_\\_andre⌡ Theil solches thun soll. Nun findet man, daß das
männliche Geschlecht geneigt ist├,┤ sich dem weiblichen gefällig
zu beweisen, und ihnen alle Beschwerlichkeiten ├und
Ungemachlichkeiten┤ abzunehmen, und auf sich zu nehmen, und
√ie_\\_je⌡ mehr solches das weibliche Geschlecht bedarf⌠,⌡ und das
männliche es leisten kann, desto lieber siehts der
/Seite_787
/Mann. Es wird sich demnach der Mann manchem unterziehen, wodurch
er der Frau gefällig werden kann, er wird sich manches entziehen,
um es nur der Frau zu geben. Das männliche Hertz ist demnach
empfindsam, und zu einer zärtlicheren Liebe aufgelegt⌠,⌡ als das
weibliche. Das weibliche ist aber zärt-
⌠Seite 727⌡
lich in der Empfindlichkeit, die empfindsame Zärtlichkeit des
Mannes anzunehmen, daher wird man finden, daß eine Frau sehr
empfindlich ist in Ansehung der Zärtlichkeit des Mannes, sie wird
bald was übel nehmen, √iede_\\_jede⌡ rauhe Antwort des Mannes macht
sie böse, so daß sie mit ihm nicht sprechen will, denn muß der
Mann ihr schmeicheln, und alles anwenden, um wieder gut Wetter zu
bekommen. Dadurch wird aber├,┤ der Mann in seiner Empfindsamkeit
cultivirt.
/Seite_788
/Jn den ordentlichen Ehen wo das Loos gut ausgefallen ist, ist der
Mann gleichgültig gegen die √Neigung der_\\_Neigungen an⌡ andern
Frauen, und ist damit zufrieden, wenn er nur die Neigung und die
Gunst seiner Frauen hat, er bekümmert sich nicht um die Gunst und
das Gefallen anderer Frauen,
⌠Seite 728⌡
aber die Frau ist √niemahlen_\\_niemalen⌡ gleichgültig gegen das
Gefallen anderer √Männer_\\_Männern⌡ ob sie √gleich schon_\\_schon
gleich⌡ einen Mann hat, sie ⌠sie⌡ renunciirt niemals gantz
indifferent auf alle Neigung der Männer zu seyn, sie übt noch
immer gegen das männliche Geschlecht Reitze aus. √Man_\\_Mann⌡ muß
aber nicht glauben, daß diese Beeiferung in den Ehen eine
Coqvetterie sey, sondern sie ist sehr unschuldig├,┤ und hat ihren
Grund in der Natur. Das Frauenzimmer
/Seite_789
/hat von Natur mehr allgemeine Anhänglichkeit├,┤ weil es der
Gegenstand ist, der vom andern gesucht werden soll, also müßen sie
allgemein zu gefallen suchen, bis sie einen treffen, dem sie
anstehen. Dieses √bestreben_\\_Bestreben⌡ allgemein zu gefallen,
bleibt auch √<hernach>_\\_hernach⌡ in der Ehe. Ein anderer Grund ist
dieser: weil die Frau immer besorgt
⌠Seite 729⌡
ist, daß wenn der Mann stirbt, sie wieder versorgt werde. Sie ist
in Ansehung ihrer Versorgung immer in Verlegenheit. Stirbt dem
Manne die Frau, so kann sich der Mann noch immer selbst
unterhalten, stirbt aber der Frauen der Mann√;_\\_,⌡ so muß sie
suchen wieder versorgt zu werden, daher muß die Frau nicht gäntz-
lich auf alles Gefallen bey den Männern Verzicht thun, indem sie
wieder suchen muß
/Seite_790
/zu gefallen, wenn ihr Mann gestorben ist. Die Natur hat es darauf
angelegt, daß die Frau in der Ehe noch nicht gantz gleichgültig
ist, wie sie den andern Männern gefallen √kann_\\_soll<kann>⌡, son-
dern ihre Augen noch in der Ehe herumwirft um zu gefallen.
Die Frauenzimmer putzen sich für andere Frauenzimmer und nicht
für
⌠Seite 730⌡
den Mann. Für den Mann sind sie auch in ihrem Negligée gut
geputzt, sie wißen, daß sie in Ansehung der Mannes Reitze genung
haben durch die Annehmlichkeit ihrer Person⌠,⌡ auch ohne Putz
ihrer Kleider, aber für andere Frauens putzen sie sich. Sie fragen
nicht darnach, was die Männer sagen werden, denn diesen gefallen
sie ohnedem durch die
/Seite_791
/Reitze ihrer Person, aber beym andern Frauenzimmer hält es
schwer, indem die Reitze auf das andere Frauenzimmer nicht
√würcken_\\_wircken⌡, sondern nur auf den Mann, demnach müßen sie
√bey_\\_«s¿¿»bey⌡ denen durch Putz hervorzuragen suchen, denn eine
√Dame_\\_Dame⌡ zergliedert die andere vom Kopf bis auf die Füße⌠,⌡
und kleidet √s«ich»ie_\\_sie⌡ in den Augen gantz aus, und betrachtet
√jedes_\\_iedes⌡ √stück_\\_Stück⌡ des Putzes,
⌠Seite 731⌡
sie ist fein genung, die Fehler der andern zu beobachten, und das
besondere nachzuahmen. Jst nun eine in der Gesellschaft, die die
andere darinn übertrift, so sieht sie sich als die vornehmste
unter ihnen an, und übersieht die andere mit hohen Augen. Jn
diesem Punckt sind sie auf einander sehr feindseelig, und man
sucht der andern darinn vorzukommen. Der
/Seite_792
/√man_\\_Mann⌡ aber putzt sich nicht für andere Männer, sondern fürs
Frauenzimmer. Jn der Gesellschaft der Männer sucht ers sich lieber
so kommod als möglich zu machen, aber in der Gesellschaft vom
Frauenzimmer sucht er √galant_\\_galant⌡ zu seyn. Wenn gefragt würde,
von √wem_\\_wenn⌡ sich √das Frauenzimmer lieber_\\_lieber das
Frauenzimmer⌡ beurtheilen ließe, von ihrem Geschlecht, oder vom
männlichen, und vor wel-
⌠Seite 732⌡
chem Richterstuhl würden sie lieber erscheinen, wo das männliche
oder weibliche Geschlecht das Urtheil fält? so ist gewiß├,┤ daß
ein jedes Frauenzimmer lieber vor dem Richterstuhl des männlichen
Geschlechts erscheinen würde, denn das würde gegen sie
nachsichtlich seyn, das weibliche √würde aber_\\_aber würde⌡
√jedes_\\_iedes⌡ Haar zu beurtheilen wißen. Daher geschicht es, daß
das Frauenzimmer lieber Schutz
/Seite_793
/bey dem männlichen Geschlecht sucht, und mit demselben
Freundschaft macht, als unter einander. Jhre Eifersucht gegen ein-
ander in Beziehung eines gewißen Punckts ist sehr groß. Es darf
sich nicht ein Frauenzimmer gegen das andere mercken laßen, daß
sie im Stande wäre durch ihre Reitze ihren Mann ein
⌠Seite 733⌡
zunehmen, denn sonst ist die Freundschaft mit
√ein«ander»<mahl>_\\_einmahl⌡ aus, und sie sind unversöhnlich auf
einander verbittert. Diese Eifersucht hat auch ihren Grund in der
Natur; wenn ein Frauenzimmer in einem Hause unter der Aufsicht
ihrer Freundinnen ist, oder auch in ihrer Gesellschaft, so wird
sie auf alle Art suchen, aus dem Hause √loßzukommen_\\_loszukommen,⌡
und dadurch wird sie genöthiget, sich der Vorsorge des Mannes zu
übergeben.
/Seite_794
/ Die Partheilichkeit der Geschlechter geht immer auf das
gegenseitige Geschlecht. Man wird dahero finden, daß der Vater die
Tochter vorzieht, die Mutter aber den Sohn. Der Vater disciplinirt
scharf den Sohn, die Mutter aber die Tochter. Warum hat aber die
√Mutter_\\_«Toch»Mutter⌡ den Sohn lieber,
⌠Seite 734⌡
und trägt mehr Sorge in Ansehung seines Fortkommens, so daß sie
sich oft dadurch arm macht, als für die Tochter? Je mehr der Sohn
wacker und rüstig ist, desto mehr sieht die Mutter├,┤ in ihm ihre
künftige Stütze, und der Vater sieht in seiner Tochter seine
künftige Wirthin, wenn ihm die Frau abgehen sollte. Ein
wohlgerathener Sohn wird demnach iederzeit gegen seine Mutter
Achtung haben, und ihre Befehle noch immer├,┤ wenn er es auch
nicht nöthig hat├,┤ respectiren. Daher ist
/Seite_795
/das Sprüchwort√,_\\_:⌡ daß es nicht gut sey, des Mannes Mutter⌠,⌡
wohl aber der Frauen Mutter im Hause zu haben. Denn wenn der Mann
seine Mutter im Hause hat, so gehorcht er √noch_\\_nach⌡ seiner
Mutter aus Achtung├,┤ die er für
⌠Seite 735⌡
sie hat, die Frau sieht das aber nicht gerne, sie hat
√darinnen_\\_dar innen⌡
vieles zu befürchten, damit ihm nicht die Mutter etwas zu ihrem
Nachtheil sagen möchte. Dieses aber hat der Mann von der Mutter
seiner Frauen nicht zu befürchten, denn wenn die Tochter
verheurathet ist, so gehorcht sie nicht mehr der Mutter, sie
denckt: nun ist der Contract aus, nun bin ich eben so gut eine
Frau. Also kann der Mann ohne Besorgnis die Mutter seiner Frauen
ins Haus nehmen√,_\\_;⌡ die Frau hat aber immer was zu besorgen, die
Mutter des Mannes ins Haus zu nehmen,
/Seite_796
/weil der Mann seiner Mutter noch immer gehorsam ist. Eben
dieselbe Enthaltsamkeit, die das Frauenzimmer vor der Ehe
beweiset, fordert der Mann auch in der Ehe.
⌠Seite 736⌡
Der Mann ist darinn sehr delicat, er fordert die strengste
Sittsamkeit ⌠und Enthaltsamkeit⌡ von seiner Frauen vor der Ehe.
Die Frau sieht aber nicht so sehr auf die Enthaltsamkeit des
Mannes vor der Ehe. Dieses hat seinen Grund in der ├«That»┤ Natur.
Der Mann will gesichert seyn, daß die Kinder, welche er in der Ehe
haben wird, seine Kinder sind, für die er Sorge tragen soll√,_\\_.⌡
√die_\\_Die⌡ Frau ist aber immer gesichert, denn sie kann ja keine
√andern_\\_andere⌡ Kinder haben, als die so sie zur Welt bringt, demnach sieht
der Mann sehr auf die Enthaltsamkeit der Frau vor der Ehe, denn er
denckt so: Wenn eine Perschon vor der Ehe also zu der
/Seite_797
/Zeit⌠,⌡ wenn sie in Gefahr ist keinen Mann zu bekommen, es
wagt⌠,⌡ sich ⌠«wagt»⌡ √<mit>_\\_mit⌡ andern gemein zu
⌠Seite 737⌡
machen, so wird sie es um desto mehr thun, wenn sie schon einen
Mann hat, und vor der Gefahr gesichert ist⌠,⌡ und wo alle Folgen
ihrer Gemeinschaft können verborgen bleiben. Es ist immer ein
großes Wagstück von Frauenzimmern ohne Condition der Ehe sich
vorher zu gemeinschaften, denn wenn solches nicht verborgen
bleibt, so ist sie in Gefahr nicht versorgt zu werden. Durch eine
Ehe wird die Frau frey, aber der Mann verliert die
√Freiheit_\\_Freyheit⌡. Ein unverheurathetes Frauenzimmer ist sehr
gebunden, sie kann nicht ausgehen⌠,⌡ wo sie will, weder in die
Comoedie gehen noch sonst wohin ohne ├einen┤ Begleiter ihres
Hauses zu haben. Es schickt
/Seite_798
/sich vieles für sie nicht├,┤ weder zu reden noch zu thun, √ia_\\_ja⌡
sie eßen sich
⌠Seite 738⌡
nicht √einmahl_\\_einmal⌡ recht satt, weil es sich nicht schickt, daß
eine Jungfer viel isset. Sie werden durch den Zwang der Eltern und
√Vormündern_\\_Vormünder⌡ so gezwungen als durch den Zwang der
Anständigkeit, aber in der Ehe haben sie viel √Freiheit_\\_Freyheit⌡,
da sind sie gleich beredter und dreister, sie haben keinen mehr zu
fürchten, denn sie haben ihren Mann, sie können gehen und fahren,
√wo hin_\\_wohin⌡ sie wollen, wenn es ihnen nur der Mann erlaubt. Der Mann
aber verliert durch die Ehe sehr viel Freiheit, er ist sehr
eingeschränckt und gebunden, er kann nicht mehr so leicht was
unternehmen, er muß sich nach der Frauen richten, er kann nicht
mehr so oft
/Seite_799
/fremde Gesellschaften besuchen├,┤ sondern er muß zu Hause
bleiben├,┤ er kann nicht mehr├,┤
⌠Seite 739⌡
so wie er will, seine Freunde aufnehmen, sondern er muß sich nach
der Wirthschaft seiner Frau richten. Hat er nun keinen Ersatz
durch seine Frau, wird er nicht durch was anderes belohnt, so ver-
liert er erstaunend von seiner vorigen Freiheit. Demnach wäre er
ein Thor, wenn er dadurch seine Freiheit verlieren sollte, daß er
eine √Frauen_\\_Frau⌡ nimmt⌠,⌡ und wäre nicht einmahl in dem Punckt
sicher, ob die Kinder welche er in der Ehe bekommt und für die er
sorgen soll, seine wären. Wenn sie nun darinn nicht gesichert
sind, daß das, was sie versorgen sollen├,┤ ihnen gehöre, und sie
heurathen dennoch, so verlieren sie viel. Demnach fordert
/Seite_800
/der Mann von der Frau dieselbe √Enthaltsamkeit_\\_enthaltsamkeit⌡ in
der Ehe, als vor der Ehe, und ist darinn sehr
⌠Seite 740⌡
√eifersüchtig_\\_Eifersichtig⌡. Die Frauens spotten oft über die
Eifersucht der Männer aus Schertz, allein sie sehens gerne, daß er
es ist. Die Eifersucht ist entweder die intolerante⌠,⌡ oder die
mistrauische Eifersucht. Jeder Mann der eine tolerante
Gleichgültigkeit in Ansehung seiner Frau zeigt├,┤ wird von andern
verachtet, auch so gar von seinem eigenen Weibe. Vom Mann ist es
immer unedel und ungroßmüthig gehandelt, wenn er eine Person hat,
die sich ihm gantz ergeben, und er verläßt sie und schweift aus.
Er ist verhaßt, wenn er ausschweift⌠,⌡ aber verachtet├,┤ wenn
seine Frau ausschweift, und er gleichgültig ist, wenn
/Seite_801
/andere seine Gerechtsame schmälern. Er muß Spott aushalten, wenn
die Frau ausschweift, der Mann muß also nicht in Ansehung des
Betragens der Frau gleichgültig seyn, wäre er nicht √Ei-
⌠Seite 741⌡
fersüchtig,_\\_eifersüchtig⌡ so dürfte er keine Frau nehmen, denn wäre es ihm
gleich viel, wenn er seiner Neigung den Lauf ließe, und in was für
einen Zustand kommen alsdenn die Frauenzimmer? Sie würden zu dem
Range der Coqvetten abfallen⌠,⌡ wo sie nur darauf warten müsten,
wenn dieser oder jener seine Neigung befriedigen wollte. Also kann
das Frauenzimmer allen Spott über seine Schwäche gerne
vertragen⌠,⌡ nur über die Ehre nicht. Denn Spott über die Ehre
nehmen alle √übel_\\_Uebel,⌡ so gar alte Personen die niemals
heurathen werden. Die Ursache ist klar, denn durch die Ehre
erhalten sie ihren Werth.
/Seite_802
/Der Mann wäre ein Thor, wenn er eine Frau für √andere_\\_andern⌡ nehmen
sollte, und dadurch seine Freiheit verlieren, wenn er nicht
√einmahl_\\_einmal⌡ in Ansehung des Punckts seiner Kinder sicher
wäre. Wenn die Männer darinn nicht
⌠Seite 742⌡
eifersüchtig seyn √solten_\\_möchten,⌡ so würden die Frauens dadurch
ihren Werth verlieren, der Mann aber wird ausgelacht, wenn er
solches leidet, und seine Gleichgültigkeit in Ansehung seiner
Eifersucht scheint so gar in den Augen seiner eigenen Frau sehr
niedrig, weil das ein Zeichen ist, daß sie vom Manne verachtet
wird, daher die Frauens solches von ihren Männern
√fördern_\\_fordern⌡, und ihr Spott darüber ist nur Schertz.
Junge Männer herrschen über alte √Frauens_\\_Frauen;⌡ und
√iunge_\\_junge⌡ Frauen herrschen über alte Männer. Der Grund liegt
/Seite_803
/in der Eifersucht. Jst der Mann alt und die Frau iung, so
herrscht die Frau, weil der Mann Ursache hat eifersüchtig zu seyn,
daher er ihr √schmeichlen_\\_schmeicheln⌡ muß, wodurch sie ihn be-
herrscht, ist aber die Frau alt, und der Mann jung, so hat die
Frau Ursache eifersüchtig zu seyn, denn muß sie ihm √schmeich-
⌠Seite 743⌡
len_\\_schmeicheln⌡ und hiedurch beherrscht er sie. Dahero mögen die
Frauen gerne auf die Jahre des Mannes renunciiren, und lieber ei-
nen älteren Mann nehmen, weil sie als denn den Mann beherrschen
können. Junge Leute haben darauf sehr zu sehen, daß sie hernach in
der Ehe kein Spiel vor den Frauens werden, sie müßen demnach ihre
√jugend_\\_Jugend⌡ Jahre nicht aufopfern, sondern sehr enthaltsam
seyn, denn unter der Bedingung können sie √nur sicher seyn,_\\_<nur
sicher seyn⌡ daß √sie die_\\_<sie die>⌡ Herrschaft
/Seite_804
/behaupten werden. Jn einigen Ländern gereicht es dem √Frau-
enzimmer_\\_Frauens Zimmer⌡ zum Nachtheil, wenn sie unverheurathet
bleibet, denn die Frau stellt durch den Mann eine bürgerliche
√Person_\\_Perschon⌡ vor, an sich hat sie keinen Rang in der
bürgerlichen Verfaßung. Jm Orient ist der kinderlose Zustand
verachtet, denn dort hat die Frau nicht solche gleiche
⌠Seite 744⌡
Gewalt im Hause mit dem Mann wie hier, und wenn sie noch dazu
keine Kinder hat, denn wird sie als gantz unnütz im Hause
angesehen.
Wenn gefragt wird: wer herrscht im Hause, der Mann oder die Frau?
so findet man bey kultivirten Menschen in ordentlichen Ehen, wo
Ordnung im Hause herrscht├,┤ √daß_\\_«aber der»daß⌡ die Frau
herrscht, aber der Mann regiert. Dieses scheint einerley zu seyn,
/Seite_805
/allein es wird sich bald der Unterscheid zeigen. Es scheint, als
wenn der Mann Recht hat, im √hause_\\_Hause⌡ zu herrschen, allein wir
finden, daß er Neigung hat├,┤ beherrscht zu werden. Giebt sich die
Frau Mühe den Mann zu beherrschen, so hat sie ihn noch lieb, und
dieses ist dem Mann angenehm. Wüste ein Liebhaber, daß seine Frau
ihn hernach nicht eben so beherrschen würde⌠,⌡ als vorher, so
möchte er niemals heu
⌠Seite 745⌡
rathen. Zwar √werfen_\\_werffen⌡ die Frauens den Männern vor, daß sie
sich wohl vor der Hochzeit beherrschen laßen├,┤ und viel schmei-
cheln, aber nach der Hochzeit nicht einmahl ein gut Wort
√gäben_\\_geben⌡, allein wir finden in der Natur, daß der Mann,
obgleich er nach der Hochzeit nicht so
√schmeichelt_\\_schmeichel«n»t⌡, als vorhero, welches er
√ietzt_\\_jetzt⌡ auch nicht thun darf,
/Seite_806
/dennoch Neigung hat sich beherrschen zu laßen, die Frau hat aber
Neigung zu herrschen, sie √tracktirt_\\_traktirt⌡ den Mann wie einen
begünstigten Liebhaber, sie √erzeug_\\_erzeigt⌡ ihm ihre Liebe nicht
aus Pflicht, sondern aus Gunst, dieses sucht der Mann zu er-
halten├,┤ in dem Fall aber ist es offenbar, wenn ihre Liebe Gunst
ist, so ist sie diejenige die da herrscht, fordert es ├aber┤ der
Mann so ist es eine Grobheit von ihm. Die Herrschaft im Hause ist
die Sache der Frau√._\\_,⌡ √Die_\\_die⌡ Regierung aber des Mannes. Die
Herr-
⌠Seite 746⌡
schaft kann geschehen nach Laune├,┤ die Regierung aber nach
Gesetz. Die Frau muß darüber herrschen, wie was im Hause angewandt
werden soll. Die Frau geht darauf, was der Zweck ist, der Mann muß
es zu dirigiren wißen, daß
/Seite_807
/alles auf diesen √Zweg_\\_Zweck⌡ abzielt, er muß seine Einkünfte,
sein Maas, seinen Aufwand wißen├,┤ und das Gesetz im Kopf haben,
nach welchem er regieren soll, damit eines mit dem andern
übereinstimme. Wenn daher die Frau etwas auf Putz, Ergötzlichkeit
und Geselligkeit verwenden will, so muß er solches √der Frau nicht
so gleich_\\_so gleich der Frau⌡ simpliciter abschlagen, sondern sie
durch Vorstellungen dahin zu bereden suchen, indem sie das
Befehlen nicht recht leiden kann. Er kann sagen: das geht zwar an,
allein das wäre ├doch┤ beßer. Er muß also regieren, die Frau aber
⌠Seite 747⌡
muß herrschen. Eben so wie in einem Königreich, wo ein blöder
Monarch ist, der König herrscht, der Minister aber regiert, wenn
der König was haben will
/Seite_808
/so nicht angeht, so muß ihm der Minister vorstellen und
sagen√;_\\_:⌡ es geht zwar an, allein ich meine√,_\\_:⌡ es wäre ⌠doch⌡
beßer dieses zu befehlen. Der Mann muß aber nicht Befehlshaber
seyn und Gehorsam fordern, sondern es muß Gefälligkeit seyn,
treibt aber der Mann die Galanterie zu hoch, so ist die Frau
Befehlshaberin, und denn geht das Hauswesen zu Grunde, indem die
Frau nicht das Gesetz im Kopf hat, auch nicht die
√Bürgerlicher_\\_bürgerliche⌡ Ordnung einsieht, und die Qvellen der
Einkünfte nicht weiß. √Alsdenn_\\_Als denn⌡ aber hat die Frau niemals Schuld
daran, sondern der Mann⌠,⌡ √den_\\_denn⌡ der muß regieren, gehts
nicht durch Gefälligkeit├,┤ so durch abschlägige Antwort.
⌠Seite 748⌡
Der Unwillen der Frauen wird sich denn wohl legen, aber nicht das
Unglück des
/Seite_809
/Hauses. Ja selbst die Frau sieht es hernach ein, daß es die
Pflicht des Mannes war zu regieren, denn wenn das Unglück schon
geschehen ist, so sagt sie zum Manne: warum hast du mir den Willen
gelaßen, davor √bist_\\_bis⌡ du Mann. Es kann eine Frau eher ein
gantzes Reich regieren als ein Haus, denn im Lande regiert sie
nicht, sondern sie herrscht nur, und die Minister regieren. Wenn
aber keiner im Hause ist, der da regiert, so kann sie allein das
Hauswesen nicht regieren. Das Weib beherrscht den Mann, der Mann
aber regiert das Weib, denn die Neigung herrscht├,┤ und der
Verstand regiert. Die Neigung giebt die Zwecke an die Hand, der
Verstand aber restringiert sie auf den Zweck, der
⌠Seite 749⌡
mit dem Wohl übereinstimmt, er dirigirt und beurtheilt es nach
keinen Regeln. Die Neigung des
/Seite_810
/Menschen ist aber Liebe, also muß das Weib von der Seite dieser
Neigung anfangen den Mann zu beherrschen√,_\\_;⌡ so bald aber diese
Neigung beym Manne √nachlaßt_\\_nachläßt,⌡ so verliehrt sie auch die
Herrschaft. Was den specifischen Unterscheid der Tugenden und der
Laster des weiblichen Geschlechts anbetrift, so müßen wir vorhero
mercken, daß die Natur √zwey_\\_Zwey⌡ Zwecke und Absichten für Augen
gehabt hat, auf der einen Seite Vereinigung, auf der andern aber
Uneinigkeit, damit nicht alles durch eine Vereinigung in Un-
thätigkeit versincke, daher sind bewegende Kräfte, damit solches
nicht untergehe. Die Menschen haben also Neigung zur Gesellschaft
aber auch zum Kriege, es
⌠Seite 750⌡
ist vis activa und reactiva, denn sonst möchten die Menschen durch
eine beständige Einigkeit
/Seite_811
/√zusammenschmeltzen_\\_zusammen schmelten⌡, wodurch hernach eine
völlige Unthätigkeit und Ruhe entspringen √würde«n»_\\_würde⌡. Also
ist √in der Ehe auch_\\_auch in der Ehe⌡ eine Anlage zur Einigkeit
und zum Kriege. Das weibliche Naturell giebt Anlaß zum Zwist und
Krieg, welches zur neuen Vereinigung dient, und selbst der
Friede├,┤ der nach solchem Kriege gestiftet wird, wenn nur
⌠dadurch⌡ keine Unterwürffigkeit, sondern völlige Gleichheit ge-
blieben ist, dient dazu, daß er das Hauswesen belebt. Die
männliche Tugend ist in Ansehung der Uebel duldend, die weibliche
aber geduldig. Der Mann duldet das Uebel, wenn er es auch
überwinden √konnte_\\_könnte⌡, √Gedu«¿¿»ld_\\_Gedult⌡ ist aber eine
weibliche Tugend. Der Mann
⌠Seite 751⌡
ist in Ansehung der Uebel empfindsam, das Weib aber empfindlich.
Der Mann empfindet sogleich die Ungemächlichkeit├,┤ und den
Unwillen der Person,
/Seite_812
/die er √so gleich_\\_sogleich⌡ abzuwenden sucht. Das Weib aber em-
pfindet in Ansehung ihrer selbst das Uebel mehr. Wenn der Mann bey
jedem Uebel empfindlich wäre, so würde das weibisch seyn. Des
Mannes Wirthschaft ist das Erwerben⌠,⌡ der Frauen ihre das Er-
sparen. Der Mann ist Meister über die Natur├,┤ er muß also
erwerben, weil die Frau aber nur vermittelst des Mannes die Natur
genießen kann, so muß sie das, was der Mann erwirbt zu
√ersparen_\\_spaaren⌡ suchen. Weil die Frau nichts erwirbt, so giebt
sie auch nichts ab, ihre √Gütigkeit_\\_Güttigkeit⌡ erstreckt sich nur
auf eine Fürsprache, und auf das Freygebige der
√Abgänsel_\\_Abgängsel⌡, sie
giebt nichts weg, als
⌠Seite 752⌡
was sie nicht mehr recht brauchen kann Z. E. alte Kleider, weil
sie √nichts_\\_nicht⌡
/Seite_813
/erwerben kann, denn alles Vermögen ist durch den Mann erworben,
und obgleich die Frau auch erben kann, so kommts doch vom Manne
her├,┤ der es erworben hat. Der Mann kann aber großmüthig und
√freymüthig_\\_freygebig⌡ seyn. Die Frau inclinirt also eher zum
Geitz als der Mann, obgleich auch √öfters_\\_ofters⌡ der Mann. Der
Mann├,┤ der schon in der Jugend geitzig ist, an dem ist kein gutes
Haar. Es ist solches wiedersprechend, indem er in dem Zustande
ist, wo er alles erwerben kann, beym Frauenzimmer ist es aber
nicht wiedersprechend, die √<sind>_\\_sind⌡ schon von Jugend auf √zum
Spaaren_\\_zu spaaren⌡ √aufgelegt_\\_auf erlegt⌡. Jn Ansehung des Geschmacks hat der
Mann Neigung nach Geschmack befriedigt
⌠Seite 753⌡
zu werden, die Frau will aber selbst gerne ein Gegenstand des
Geschmacks
/Seite_814
/seyn. √Daher_\\_Dahero⌡ putzt sich die Frau und dadurch verfeinert
sie den Geschmack am Mann. Die Frau sieht im Hause in ihren
Zimmern darauf├,┤ wodurch sie bey andern gefallen kann, auch
schöne Mobilien. Wenn sie allein speiset, so speiset sie schlecht,
weil alsdenn keiner ist, dem sie dadurch ein Gegenstand des
Geschmacks werden kann, sie ersparet es lieber├,┤ und wendet es
auf Kleider an. Der Mann ist aber darinn nicht gleichgültig⌠,⌡ und
wenn er schon √<ge>he«¿¿»urathet_\\_geheurathet⌡ hat, so putzt er sich
nicht mehr für andere aus, sondern hat den Geschmack für sich, er
wendet lieber alles auf den Putz, und die Pracht der Frauen an.
Die Ehre der Frau geht darauf was die Leute sagen├,┤ die Ehre des
Mannes aber darauf was die Leute
/Seite_815
/dencken, das Frauenzimmer √kehrt_\\_kert⌡ sich nicht daran├,┤ was
die Leute den-
⌠Seite 754⌡
cken, wenn sie es nur nicht sagen. Die Ehre des Mannes ist die
wahre Ehre, weil es eine Hochachtung vor dem innern Urtheil
anderer ist, die Ehre des √Frauenzimmers_\\_Frauens Zimmers⌡ ist aber
nur ein Ehrenschein, weil es sich nur an das √Leute_\\_<Leute>⌡
Urtheil kehrt. Die √Weibliche_\\_weibliche⌡ Ehrbegierde ist mehr
Eitelkeit, die des Mannes aber mehr Ehrbegierde, die Ambition
heißen kann. Ehre in Ansehung deßen, was nicht zu unserer Person
gehört├,┤ ist Eitelkeit, in Ansehung deßen aber⌠,⌡ was zu unserer
Person gehört ist Ambition. Demnach wird die Frau mehr auf Kutsch
und Pferden├,┤ Kleidung und Mobilien, Kostbarkeiten und
√Titel_\\_Titel⌡ sehen√;_\\_,⌡ wenn die Männer auch darauf verfallen, so
sind sie auch eitel, und
/Seite_816
/das ist Weiblichkeit. Der Mann sucht die Ehre darinn, was zum
⌠Werth⌡ unserer Person gehört, obgleich er auch nur oft den Schein
zu erreichen sucht Z. E. Hertz-
⌠Seite 755⌡
haftigkeit, Großmuth├,┤ Stärcke, Tapferkeit, das ist alles eine
Ehrliebe der Männer. Der Grundsatz des Frauenzimmers ist√,_\\_:⌡ was
alle Welt sagt, ist wahr, und was alle Welt thut├,┤ ist wahr,
daher berufen sie sich in √jedem_\\_iedem⌡ Fall darauf⌠,⌡ und
sagen√:_\\_,⌡ die gantze Welt thut √ja_\\_ia⌡ anders, und sagt anders.
Ein solches Frauenzimmer, das mit Aenderung der Religion anfängt
und frey denckt, zeigt schon große Uebertretung des Charackters
ihres Geschlechts an, verräth aber keine √Schwache_\\_Schwäche⌡ der
Seele. Ehe sie sich mit solchen Grundsätzen abgeben, so folgen sie
lieber dem gemeinen Urtheil. Sich über das Urtheil anderer wegzu
√setzen_\\_sezzen⌡ schickt sich
/Seite_817
/nicht für das Frauenzimmer. Wenn ein Frauenzimmer auch nur in
einer platonischen Gesellschaft mit einer Manns Person stünde und
die Menschen √Uebel_\\_übel⌡ urtheilen möchten, so möchte es sich
nicht schicken├,┤ wenn sie dawieder gleichgültig wäre, der Schein
⌠Seite 756⌡
ist bey dem Frauenzimmer was wesentliches, der Mann kehrt sich
nicht an den Schein⌠,⌡ also sucht das Frauenzimmer ihre Ehre in
dem Schein√;_\\_,⌡ weil sie auch diejenigen sind, so gewählt werden,
so müßen sie allen Schein vermeiden, weil sie dadurch ihr Glück
wegwerfen möchten, indem sie nicht gewählet wurden. Die Art⌠,⌡ wie
das Frauenzimmer die Gegenstände beurtheilet, ist von der Art
unterschieden├,┤ mit welcher der Manns Person die Gegenstände
beurtheilet Z. E. Milton
/Seite_818
/verfocht die republicanische Freiheit. Als ihm nun eine
königliche Bedienung von vielen Einkünften unter König
Carl √II_\\_2⌡. angeboten wurde, so wollte er √nicht dem Hause_\\_dem
Hause nicht⌡ dienen, wieder welches er zuvor geschrieben hatte. Da
nun seine Frau in ihm drang, daß er es thun sollte, so sagte er:
meine √Liebe_\\_liebe⌡, sie haben recht, denn sie und alle ihres Ge-
schlechts wollen in Kutschen fahren, ich
⌠Seite 757⌡
aber will ein ehrlicher Mann bleiben. Er sah ein, daß dies beßer
war, es auszuschlagen, als sich Lügen zu strafen, die Frau aber
konnte es nicht begreifen, wie der Mann wegen seiner Grillen eine
solche Tollheit begehen können⌠,⌡ eine Stelle von solchen
Einkünften auszuschlagen. Man kann solches auch √nicht dem
Frauenzimmer_\\_dem Frauenzimmer nicht⌡
/Seite_819
/vorwerfen, weil es ihrer Natur angemeßen ist, sie sind solcher
Grundsätze nicht fähig, sondern gehen auf die Erhaltung des
Hauswesens, und das übrige √alles schlagen sie_\\_schlagen sie alles⌡
in den Wind, das wären nur Grillen, daher sie auch nicht sehr
scrupuloes sind in Ansehung des Geldes⌠,⌡ das der Mann erworben⌠,⌡
und nach Hause gebracht hat⌠,⌡ er mags bekommen haben├,┤ wie er
will, wenn es nur sicher hat. Die weiblichen Laster sind Laster
eines schwachen Geschöpfs, welches das durch List ausführet├,┤ was
ein anderes
⌠Seite 758⌡
durch Gewalt thut, sie werden also Hinterlist brauchen⌠,⌡ um zu
gewinnen, Verstellung, Zancksucht und Misgunst. Misgünstig sind
sie besonders gegen ihr eigenes Geschlecht, daher sind sie auch
eifersüchtig gegen solche
/Seite_820
/Personen ihres Geschlechts die wohl Liebhaber haben √konn-
ten_\\_könnten⌡, wenn sie auch selbst nicht lieben, da der Mann nur
denn √Eifersüchtig_\\_eifersüchtig⌡ gegen sein Geschlecht ist├,┤ wenn er verliebt
ist. Die Ursache liegt schon im vorigen, weil sie, wenn sie gleich
versorgt sind, doch noch zu gefallen suchen⌠,⌡ welches ihnen nach
dem Tode des Mannes zu statten kommt.
Jn Ansehung der Erziehung ist das männliche Geschlecht von Natur
roher, es muß also mehr disciplinirt werden, das weibliche
Geschlecht ist von Natur feiner, dahero sich das Frauenzimmer nur
durch den Umgang bilden darf├,┤
⌠Seite 759⌡
ihre Erziehung muß also nicht mit solchem Zwange geschehen ⌠Jhre
Beredsamkeit⌡. Jhre Beredsamkeit ist eine Art von natürlicher
Wohlredenheit, und nicht
/Seite_821
/so gezwungen, dogmatisch und demonstrativisch als des Mannes
seine. Jhre Beredsamkeit ist so viel als Redseeligkeit, die
Sprache liegt in ihrem Munde √viel_\\_weit⌡ feiner. Jhr Verstand ist
nicht Sachen und √Gegenstande_\\_Gegenstände⌡ sondern Menschen zu
erforschen. Weil sie nicht bestimmt sind, über die Natur und
Einrichtung im gemeinen Wesen zu herrschen sondern nur über den
Mann⌠,⌡ so müßen sie auch nur Menschen erforschen.
√Frauenszimmer_\\_Frauenzimmer⌡
erforschen √dahero_\\_daher⌡ leicht andere, sie sind aber nicht so
leicht zu erforschen, dahero sie leicht fremde Geheimniße ausplau-
dern, aber ihre √eigene_\\_Geheimniße⌡ bekommt keiner heraus,
besonders solche, so ihre Per-
⌠Seite 760⌡
son und ihr Geschlecht angehen, die erforscht nicht einmahl ihre
gute Freundin. Die Männer können weit weniger
/Seite_822
/ihre Geheimniße vorenthalten, und da sie oft dem Frauenzimmer
√vorwerfen_\\_vorwerffen⌡, √da«s»ß_\\_daß⌡ es plauderisch
√sey_\\_«ist»sey⌡, so sollten sie sich selbst lieber bey der Nase
ziehen. Die Natur hat also alles so geordnet, daß dasjenige, was
man für Fehler ansehen möchte├,┤ eine nothwendige Bedingung der
Erhaltung der Einigkeit und der Gesellschaft ist. Hieraus können
viele √practische_\\_Practische⌡ Folgen in Ansehung der Erziehung des
Frauenzimmers gezogen werden, die von gantz anderer Art seyn muß
als die des männlichen Geschlechts. Jn Ansehung der Moral muß der
Unterricht gantz anders seyn, denn weil sie nicht gerne von
Pflichten hören mögen⌠,⌡ und dieser Grundsätze nicht fähig
sind√:_\\_;⌡ so muß die gantze Mo-
⌠Seite 761⌡
ral aus dem Gesichts Punckt der Ehre und
/Seite_823
/Anständigkeit vorgetragen werden, weil der Grundsatz der Ehre⌠,⌡
der einzige ist, deßen sie vorzüglich fähig sind.
≥Von der Erziehung≤
Ueber die Erziehung sind schon viele Vorschläge und Schriften von Philosophen vorhanden, man √soll sich Mühe geben_\\_hat sich Mühe gegeben⌡ zu untersuchen, worinn der Hauptbegrif der Erziehung bestehe. Die √jetzigen_\\_ietzigen⌡ Basedowschen Anstalten sind die ersten, die nach dem vollkommenen Plan geschehen sind. Dieses ist das größte Phaenomen⌠,⌡ was in diesem Jahrhundert zur Verbeßerung der Vollkommenheit der Menschheit erschienen ist⌠,⌡ dadurch werden alle Schulen in der Welt eine andere Form bekommen, dadurch wird das menschliche Geschlecht aus dem Schulzwange gezogen, es ist zu- gleich eine Pflantzschule vieler/Seite_824
/Lehrmei-
⌠Seite 762⌡
ster. Es belohnt sich also der Mühe einige Betrachtungen √darüber zu_\\_und⌡ verlieren.
Die Erziehung wird eingetheilt in die Erziehung der Menschen als
Kinder und in die Erziehung derselben als Jünglinge. Die Erziehung
der Kinder kann in 4⌠.⌡ Epochen eingetheilt werden, dahin gehört
die Entwickelung der Natur, die Leitung der √Freyheit_\\_Freiheit⌡, die
Unterweisung des Verstandes, und die Entwickelung der Vernunft und
des Charackters.
Was die Entwickelung der Natur betrift, so frägt es sich: wie
soll das Kind gezogen werden, daß sich seine Natur entwickelt.
Dieses fängt schon von der Geburt an, und sind medicinische Be-
trachtungen. Viele laßen sich auch durch Philosophie beurtheilen.
Es muß mit gehöriger Gesundheit gezogen wer-
⌠Seite 763⌡
den⌠,⌡ mit dem gehörigen Gebrauch seiner Kräfte
/Seite_824
/und sinnlichen Organen⌠,⌡ mit Munterkeit,
√Geschäftigkeit_\\_Geschaftigkeit⌡ und Stärcke, mit Freiheit zu
spielen und sich zu bewegen, man muß ihm Gelegenheit geben sich
√abzuhärten_\\_abzuharten⌡ und Beschwerlichkeiten auszustehen. Jn
Ansehung der Leitung der Freiheit ist zu mercken: der Mensch ist
von Natur wild und roh, also muß er disciplinirt werden. Der
Mensch will von Natur √seinen_\\_seinem⌡ Sinn und seinen Neigungen
folgen. Das erste Schreien des Kindes ist ein Schreien der Noth,
wenn es aber √Aelter_\\_älter⌡ wird, und sieht das sein Schreien
Effect hat, daß man ihm alles zu Gefallen thut⌠,⌡ um nur das
Schreien ├zu┤ verhüten, so bedient es sich dieses Mittels bey
√jeder_\\_ieder⌡ Gelegenheit um zu verhüten, daß man ihm nichts
abschlägt, und dadurch wird es frühzeitig angewöhnt zu
⌠Seite 764⌡
√tyrannisiren_\\_tyranisiren⌡ und zu commandiren, woraus
/Seite_826
/hernach √Bosheit_\\_bosheit⌡ und erhitzter Zorn entspringt. Die
Disciplin muß also früh angefangen, und kann erst nur negativ
seyn. √Mann_\\_Man⌡ muß auf keine Weise einem Kinde das
√zugestehen_\\_zegestehen⌡,
was es durchaus haben will, man muß sich an sein Geschrey nicht
kehren, es muß doch √einmal_\\_einmahl⌡ aufhören zu schreien. Man muß
ihm alles abschlagen, und seinen Willen also discipliniren. Jn
Ansehung der Unterweisung des Verstandes ist zu mercken, daß der
Verstand auch √Disciplinirt_\\_disciplinirt⌡ werden muß⌠,⌡ so wie der
Wille. Die Erziehung des Verstandes kann negativ seyn, wenn man
die √eindringenden_\\_eindringende⌡ Jrrthümer vom Verstande
abzuhalten sucht. Dieses ist der Plan des Rousseau, der ein feiner
Diogenes ist und die Vollkommenheiten in der Einfalt der Natur
⌠Seite 765⌡
setzt⌠,⌡ und also die Erziehung negativ seyn muß. Allein die
Disciplin
/Seite_827
/des Verstandes kann auch eine √positive_\\_Positive⌡ Unterweisung
des Verstandes seyn. Kein Thier braucht Unterweisung, sondern was
es √thun_\\_thu«t»n⌡ soll, das thut es aus Instinct. Der Mensch aber,
der Verstand hat, muß unterwiesen werden. Bey rohen Menschen
√darf_\\_darff⌡ die Unterweisung ⌠nur⌡ klein seyn, weil sie nur wenig
Bedürfniße haben, √ie_\\_je⌡ größer aber der Luxus ist⌠,⌡ desto mehr
muß man unterwiesen werden. Die geschickte Manier der positiven
Unterweisung ist, daß man frühe und auf eine leichte Art die
Sprachen erlernen, und damit nicht lange nach der
√grammaticalischen_\\_Grammaticalischen⌡ Methode geqvält werde, damit man hernach Zeit
gewinne seinen Fleiß auf andere Sachen zu verwenden. Durch eine
gute Manier kann ein Kind im 12ten Jahr die Sprachen
⌠Seite 766⌡
so erlernet haben, daß es dieselben so spricht als die
Muttersprache, davon ist das Basedowsche Philantropin ein
/Seite_828
/Beyspiel. Jn Ansehung der Ausbildung der Vernunft und des
Charackters ist darauf zu sehen, daß das Kind alles aus Gründen
erkenne, und aus Grundsätzen handele. Es soll in den Erkenntnißen
Vernunft, und in den Gesinnungen Charackter haben. Hier muß die
Erziehung √dreien_\\_dreyen⌡ Stücken angemeßen seyn, der Natur⌠,⌡ dem
gemeinen Wesen und der Gesellschaft. Man muß in der Erziehung
nicht den Jahren voreilen, sondern den Jahren gemäß in der
Erziehung verfahren. Die Jugend Jahre müßen nicht aufgeopfert
werden├,┤ um den Nutzen des männlichen Alters zu erreichen. Man
muß der Jugend die √Ergotzlichkeiten_\\_Ergötzlichkeiten⌡ nicht
nehmen, man muß ihnen die Kenntniße die sie als Männer haben
sollen⌠,⌡ nicht zu früh beybringen⌠,⌡
⌠Seite 767⌡
damit sie viel Wißenschaft auskramen,
/Seite_829
/und auf den √Examinibus_\\_examinibus⌡ prangen können√,_\\_.⌡
√dadurch_\\_Dadurch⌡ verlieren sie die Jugend Jahre, um nur das Alter
zu genießen. Das Kind muß frey erzogen werden, aber so daß es
andere frey läßt, und bey der √Freyheit_\\_Freiheit⌡ sich selbst
nicht nachtheilig wird. Die Freiheit ist die einzige Bedingung├,┤
wo der Mensch aus eigener Gesinnung was gutes thun kann, wer ein
Sklav ist, der thut nichts von sich selbst├,┤ als aus Gehorsam und
nicht aus eigener Gesinnung. Das Kind kann also frey seyn├,┤ aber
√dergestalt_\\_dergestallt⌡, daß es andere auch frey läßt⌠,⌡ wenn es
dahero unruhig ist, so ist es nicht frey. Es muß frey das Ansehen
und die Gewalt der Gesetze kennen lernen, es muß bey aller
Freiheit gehorchen lernen, und sich der Ordnung passiv unterwerfen
Z. E. den Observanzen und Gebräuchen der Schule und des Haus-
⌠Seite 768⌡
wesens. Gewöhnt es
/Seite_830
/sich an die Gesetze, so kann es mit dem gemeinen Wesen in
Harmonie stehen. Das Kind muß die Schwäche die es als Kind hat├,┤
empfinden, es muß nicht gebieterisch werden, und einen Vorzug vor
andern √«S»suchen_\\_suchen⌡, es muß von keinem Vorzuge wißen, als
√den_\\_denn⌡ ein großer vor einem √kleinen_\\_Kleinen⌡ und schwachen hat; das ist
schon eine schlechte Erziehung, wenn Kinder wegen ihres Verstandes
Vorzüge vor andern suchen⌠,⌡ und großen Leuten, die bey den Eltern
in diensten stehen⌠,⌡ auch zu gebieten das Recht zu haben glauben,
und sie wohl gar noch schlagen, wenn sie dieses thun, so müßen sie
von derselben Person wieder zurückgeschlagen werden⌠. Wenn sie nun
sehen werden⌡, daß sie nichts mit Gewalt bekommen, so werden sie
sich aufs √bitten_\\_Bitten⌡ legen, und von √iedem_\\_jedem⌡ das
erbitten, was
⌠Seite 769⌡
sie haben
/Seite_831
/wollen, denn wird es ihnen nicht in den Kopf kommen zu fordern.
Sie müßen √genügsam_\\_ge«¿¿»nügsam⌡ abgehärtet, fröhlichen Geistes,
wacker, rüstig und √geschäftig_\\_geschäftigt⌡ erzogen werden. Es ist
sehr leicht ein Kind gnügsam zu erziehen. Kuchen, Milch und
√weises_\\_weißes⌡ Brod sind schon Delicatessen für daßelbe. Die
Weichlichkeit ist ihnen sehr schädlich√._\\_;⌡ √Damit_\\_damit⌡ sie
abgehärtet werden, muß man sie ohne √Mützen_\\_Müzzen⌡ gehen├,┤ und
bey Regen├,┤ Schnee und √Kälte_\\_Kalte⌡ ausgehen laßen.
√Loecke_\\_Locke⌡ will haben├,┤ daß sie solche √Schuhe_\\_Schue⌡ tragen
sollen⌠,⌡ die Waßer ziehen. Sie müßen mit Lust unaufhörlich thätig
seyn. Wenn sie also wacker erzogen sind, so sind sie so erzogen,
wie es Rousseau haben will. Wenn sein Kind mit aller Sorgfalt
erzogen ist, so ist es √nichts_\\_nicht⌡ anders als was man sonst für
einen Gassenjungen
/Seite_832
/hält. Rousseau sagt: es wird keiner als ein wackerer Mann
erzogen, wenn er nicht vorher ├gantz roh┤ als ein √Gaßeniung_\\_Gaßen
Jung⌡
⌠Seite 770⌡
⌠gantz roh⌡ erzogen ist. Die Delicatesse der feinen Manier lernt
sich hernach von selbst├,┤ wenn nur der Charackter vorher
ausgebildet ist. Jetzt aber werden die Kinder schon von
√Jungend_\\_Jugend⌡ auf geputzt⌠,⌡ und gantz √tändelnd_\\_tandelnd⌡
erzogen, man lehrt sie alle √feinen_\\_feine⌡ Manieren und
Complimente in Gesellschaft anzubringen, giebt ihnen ├auch┤ wohl
noch Uhren und Dose in der Tasche, so lernen sie √galant_\\_galant⌡
in der menschlichen Gesellschaft zu erscheinen, wo weder ihre
Vernunft noch ihr Charackter ausgebildet ist. Durch solche
Weiblichkeiten bekommen sie niedrige ├kleine┤ Seelen, und sind zu
nichts erhabenem und √großmüthigem_\\_großmuthigem⌡ fähig. Das Kind muß nicht
gezwungen werden⌠,⌡ sich zu
/Seite_833
/verstellen und zu affectiren. Dieses geschicht dadurch, wenn man
ihm Dinge aufträgt, wozu √er_\\_es⌡ gar keine Neigung hat Z. E. man zwingt
es andächtig zu seyn, da ihnen nun nicht so zu √Muhe_\\_«m»Muthe⌡
seyn kann├,┤ so verstellen sie sich⌠,⌡
⌠Seite 771⌡
und ihr Charackter wird ├dadurch┤ corrumpirt. Jn Sprachen muß
⌠muß⌡ man sie √angewöhnen_\\_angewohnen⌡ Wahrhaftigkeit zu beweisen. Dieses
geschicht dadurch, daß man es ihnen nicht nothwendig macht zu
√lügen_\\_Lügen⌡, und ihnen lieber ihre Fehler verzeiht, damit sie
selbige hernach nicht zu verheelen suchen. Man muß bey jeder
Lüge⌠,⌡ die sie begehen├,┤ Abscheu blicken laßen⌠,⌡ und sie nur
bey diesem einzigen beschämen, √ja_\\_ia⌡ es scheint, daß die
Schamhaftigkeit deswegen von Gott in uns gelegt ist, daß sie ein
Verrath der Lüge seyn soll, denn
/Seite_834
/sonst hat sie gar keinen Nutzen als diesen. √Laßt_\\_Last⌡ uns also
selbige auch hiezu gebrauchen. Bey keiner anderen Gelegenheit muß
man ein Kind roth machen├,┤ und es beschämen, denn dadurch werden
die Kinder bey jeder Gelegenheit √schamhaft_\\_schamhafft⌡ und
verlegen seyn, sie werden dadurch mehr über die Beschämung als
über die Ursache derselben in Verlegenheit gerathen. Wenn sie sich
also Z. E. auf-
⌠Seite 772⌡
lehnen, oder in den Zähnen √pückern_\\_päckern⌡, oder sich
√entblösen_\\_entblößen,⌡ so kann man ihnen gantz kalt sagen, das
sollen sie nicht thun, es sey nicht gebräuchlich, und da müßen sie
gehorchen, aber beschämen muß man sie darüber nicht, denn sie
sehen die Ursache nicht ein, warum sie sich darüber schämen
sollen,
/Seite_835
/wie es denn auch würcklich ist. Wenn aber das Kind lügt, so muß
man es so beschämen und so verachten, als wenn sich kein Mensch
mit ihm abgeben wollte, und es nicht werth hält, daß man mit ihm
redet. Man muß es so ansehen, als ob man sich für ihn scheut, als
√ob_\\_wenn⌡ es mit Koth beworfen wäre⌠,⌡ und dieses √oft_\\_offt⌡
wiederhohlt⌠,⌡ so wird ihm die Lüge im Halse stecken bleiben, er
wird es niemals wieder thun, und bleibt ein ehrlicher Mann
zeitlebens. Man suche ferner den Wahn der Meinung ab-
⌠Seite 773⌡
zuhalten, daß er nicht durch die Meinung abgehalten werde├,┤ was
zu thun oder zu unterlaßen, sondern nach Beschaffenheit der Sache.
Die Meinung anderer von ihm selber muß ihm nicht
/Seite_836
/gleichgültig seyn, also muß Anständigkeit in ihm anfangen
würcklich zu seyn⌠. Würde es ihm gleichgültig seyn⌡, so würde er
sich nicht so führen, daß er andern √wohlgefällt_\\_Wohlgefällt⌡.
Ferner muß das Kind zur Menschlichkeit angehalten werden, daß es
nicht Thiere qväle, denn dieses macht harte Seelen, ⌠und⌡ daß es
auch Menschlichkeit gegen andere auszuüben bereit sey; das letzte
ist, daß √es_\\_er⌡ das Recht der Menschen hochachten lerne, und die
Würde der Menschheit in seiner Person. Dieses sind die zwey Stücke
in der Welt├,┤ die heilig sind. Das Wort Recht muß bey ihm so viel
bedeuten, als eine Mauer, die nicht zu ersteigen ist,
⌠Seite 774⌡
und als ein Ocean der nicht zu erreichen ist. Hat ein Mensch
√recht_\\_Recht⌡, so muß er sich nicht unterstehen einen
/Seite_837
/Finger dagegen zu heben. Das Achten der Würde der Menschheit in
seiner Person ist der letzte Grad der Education, und
√grenzt_\\_grentzt⌡ schon an √das_\\_des⌡ Jünglings Alter.
Als Jüngling muß seine Unterweisung positiv seyn. Er muß erstlich
Pflichten erkennen die er hat in Ansehung des menschlichen
Geschlechts und denn Pflichten, die er in der bürgerlichen Ordnung
hat; da muß er zwey Stücke beobachten: Gehorsam und Achtung fürs
Gesetz. Der Gehorsam muß nicht sklavisch seyn⌠,⌡ sondern aus
Achtung fürs Gesetz. Denn muß ⌠muß⌡ er vorbereitet werden zur
Ehrliebe und zum Verdienst in Ansehung anderer. Jn Ansehung der
Ehrliebe ist die Unterweisung negativ├,┤ er muß nur
⌠Seite 775⌡
den Werth
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/seiner Person empfinden lernen. Durch Verdienste aber muß er
√sehen_\\_suchen⌡ der Ehre würdig zu werden. Endlich muß er lernen in
Ansehung der Menschen Pflichten der Großmuth auszuüben. Zuletzt
kommt die Religion durch Einsicht wo er das wahre Verhältnis mit
Gott einsieht. Hier entsteht die Frage: √Zu_\\_zu⌡ welcher ⌠Zeit⌡ muß man
mit der Religion den Anfang machen? Jn dem Punckt, da das Kind
einsehen kann, daß ein √Urheber_\\_Uhrheber⌡ seyn muß. Wenn die
Kinder früher zur Religion angewöhnt werden, wo sie Gebete
nachplaudern lernen⌠,⌡ so hat das keinen Effect. Wenn sie dadurch
sollten seelig werden, so √könnten_\\_könnte⌡ die √Elster_\\_Aelster⌡, die man
auch
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/√auslernen_\\_aus lernen⌡ kann nachzureden, auch seelig werden. Wenn sie aber
einsehen Ordnung der Natur und Spur von einem Urheber, denn muß
man ihnen sagen, daß ein √Ur-
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heber_\\_Uhrheber⌡ ist, und was dieser √Uhrheber_\\_Urheber⌡ haben will,
welches sein Wille und sein Gesetz ist, und denn kann man ihm die
Danckbarkeit gegen Gott einflößen. Jm Anfang kann die Moral nur
negativ seyn. Die Kaltsinnigkeit der Menschen in Ansehung der Re-
ligion kommt daher, weil sich die Kinder schon von Jugend auf dazu
angewöhnt haben, welches ihnen hernach gantz gleichgültig wird,
weil sie oft genung vieles davon gehört haben. Je später ihnen
solches bekannt gemacht wird, desto
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/√größeren_\\_großeren⌡ Eindruck wird es ├in┤ ihnen machen.
≤ Ende. ≥
Schnörkel