3. Januar 1990 // vers 1 ⌠399⌡ ├400┤

/Seite_1

/├kein Foto┤

/⌠Seite 1
/ Zum Geschenk für meinen lieben
/ Bruder David Friedlander von
/ seinem
/%Königsberg, den 19ten %August ergebenen Bruder
/1782. Simon Friedlander

/

/

/Seite_2

/├kein Foto┤

/⌠Seite 2
/leer⌡

/⌠Seite 3⌡

/Seite_3

/ ≥Prooemium_\\_Proemium

/Alle Geschicklichkeit, die man besitzt, erfordert
am Ende eine √kenntniß_\\_Kenntnis⌡ von der Art, wie wir
davon Gebrauch machen sollen. Die Kenntnis die
in der Anwendung zum Grunde liegt, heißt
die Kenntnis der Welt. Die Kenntnis der
Welt ist eine Kenntnis des Schauplatzes, auf
dem wir alle Geschicklichkeit anwenden kön-
nen. Die Kenntniße sind von zwiefacher
Vollkommenheit, theoretische und √pracktische_\\_praktische⌡
Vollkommenheit. Die theoretische besteht da-
rinn, daß wir wißen, was zu gewißen
Entzwecken erfordert wird, und geht also
den Verstand an, die pragmatische besteht
in der UrtheilsKraft sich aller Geschicklich-
keit zu bedienen, sie ist nötig zum Sie- 

/⌠Seite 4⌡

/gel aller

/Seite_4

/unserer Geschicklichkeit. Der Grund
der pragmatischen Kenntnis ist die √Kenntnis_\\_Kennt⌡
der Welt, wo man von allen theoretischen
Kenntnißen Gebrauch machen kann. Durch
die Welt √wird_\\_wir⌡ hier verstanden der Innbegrif
aller Verhältniße├,┤ in die der Mensch kom-
men kann, wo er seine Einsichten und Ge-
schicklichkeiten ausüben kann. Die Welt als
ein Gegenstand des äußeren Sinnes ist
Natur, die Welt als ein Gegenstand des in-
neren Sinnes ist der Mensch. Also kann der
Mensch in zwiefache Verhältniße kommen,
in die Verhältniße, wo er die Kenntni-
ße der Natur, und in die Verhältniße,
wo er die Kenntniße des Menschen nöthig
hat. Das Studium der Natur und des Men-
schen, macht das Studium_\\_Studium⌡ oder die Kenntnis

/⌠Seite 5⌡

/der Welt

/Seite_5

/aus. Wer viel theoretische Kennt-
niße hat, der viel weiß, aber keine Geschick-
lichkeit hat, davon einen Gebrauch zu machen,
der ist gelehrt für die Schule nicht aber für
die Welt √und_\\_. Und⌡ diese Geschicklichkeit ist die Pedan-
terie. √Man_\\_Mann⌡ kann für einige Verhältniße
Geschicklichkeit haben √z_\\_Z⌡. E. so schickt sich einer gut
zur Schule, allein es fehlt uns eine allgemei-
ne Geschicklichkeit in allen √Verhältnißen_\\_Verhaltnißen⌡, in
die wir gerathen. Weil der Mensch nun nicht
weiß⌠,⌡ in was für Verhältniße er kommen
kann, so ist nöthig sich unbestimmt in allen
Verhältnißen Kenntniße zu erwerben. Die
Kenntnis aller Verhältniße ist die Kenntnis
der Welt. Um die Welt Kenntnis zu haben,
muß man ein √Gantzes_\\_gantzes⌡ studiren, aus wel-
chem Gantzen hernach die Theile bestimmt

/ werden

/⌠Seite 6⌡

/Seite_6

/werden √können_\\_konnen⌡, und daß ist ein System, so
ferne das manigfaltige aus der Idee des
Gantzen entsprungen ist, und der hat ein √Sy-
stem_\\_System, der dem manigfaltigen im gantzen
der Erkenntniße eine Stelle zu geben weiß,
welches sich vom √Agregat_\\_Aggregat⌡ unterscheidet, wo
ein Gantzes nicht aus der Idee, sondern durch
Zusammensetzung entstehet. Wenn ich nun
die Verhältniße der Dinge studire, und den
manigfaltigen Theilen im Gantzen eine Stel-
le anzuweisen im Stande bin, √dann hab_\\_denn habe⌡ ich
eine Kenntnis der Natur. Ich kann aber
den Dingen eine Stelle anweisen in den
Begriffen, √dann_\\_denn⌡ wäre dieses ein Natur √Sy-
stem_\\_System, oder ich kann den Dingen eine Stelle
in den Oertern anweisen, und dieses ge-
schiehet in der physischen Geographie.

/Seite_7

/Diese

/⌠Seite 7⌡

/gehört als der erste Theil zur Kenntnis der
Welt, in so ferne sie pragmatisch ist. Hier fal-
len viele physische Beobachtungen weg, es wird
nur das genommen, was in Ansehung der
√Kenntniß_\\_Kenntnis⌡ der Welt├,┤ so ferne sie nur pragma-
tisch ist, nöthig ist. Der zweyte Theil der Kennt-
nis der Welt ist die Kenntniß des Menschen,
der betrachtet wird so ferne uns √sein_\\_seine⌡ Kennt-
nis im Leben √intereßirt_\\_interessirt⌡. Also nicht specu-
lativ sondern pragmatisch nach Regeln der Klug-
heit seine Kenntnis anzuwenden├,┤ wird der
Mensch studirt, und das ist die Antropologie.
Uns √interessirt_\\_intereßirt⌡ nichts so sehr als ein anderer
Mensch, nicht die Natur ist der Gegenstand √un-
seres_\\_unsers⌡ Affects, sondern der Mensch. Wir besor-
gen nichts so als was uns in Ansehung an-
derer Menschen zu

/Seite_8

/Theil werden kann. Die

/ Natur

/⌠Seite 8⌡

/Natur kann uns nichts gewähren als Gemäch-
lichkeit und Unterhalt, welches nur unter Men-
schen gebraucht werden kann, und alle elende
Umstände in Ansehung der √Gemachlichkeit_\\_Gemächlichkeit⌡ und
des Unterhalts können wir nur in so ferne
nicht ertragen, als so √fern_\\_ferne⌡ es wir mit an-
dern Menschen nicht gemein haben können.
Wir beschweren uns nicht über die Natur selbst
in Ansehung unserer dürftigen Umstände,
sondern weil es andere Menschen beßer
haben als wir. Wenn jederzeit meine Mahl-
zeit Waßer und √Brodt_\\_Brod⌡ ist, so √grämmt_\\_grämt⌡ mich das,
weil ich weiß daß es andere Menschen be-
ßer haben; wenn aber die Stadt belagert
wird, und alle ├zusammen┤ in der Stadt daßelbe eßen⌠,⌡
müßen, so bin ich bey meiner schlechten
Kost vergnügt und

/Seite_9

/fröhlichen Hertzens, weil

/ mir

/⌠Seite 9⌡

/mir keiner darinnen vorzuziehen ist. Es
intereßirt uns also der Mensch mehr als die
Natur, denn die Natur ist wegen des Men-
schen, der Mensch ist der Zweck der Natur.

/ √Man_\\_Mann⌡ sagt: der Mensch kennt die Welt,
wenn er gereist ist, und sie gesehen hat. Al-
lein da ist noch keine Kenntnis der Welt,
derjenige aber kennt die Welt, der den Men-
schen kennt√, d_\\_. D⌡ie Kenntniß des Menschen kann
aber zwiefach √sein_\\_seyn⌡.

/1. Das zufällige Betragen oder Verhalten
der Menschen, oder der Zustand

/2. Die Natur der Menschheit

/Die Antropologie ist aber nicht eine totale⌠,⌡
sondern eine generale Antropologie. √Man_\\_Mann⌡
lernt darinnen nicht den Zustand der Men-
schen sondern die Natur der

/Seite_10

/Menschheit ken-
nen, denn die totalen Beschaffenheiten der

/ Menschen

/⌠Seite 10⌡

/Menschen verändern sich immer, die Natur
der √Menschen_\\_Menschheit⌡ aber nicht. Die Antropologie
ist also eine pragmatische Kenntnis deßen
was aus seiner Natur fließt, aber nicht ei-
ne √Physische_\\_physische⌡ oder √Geographische_\\_geographische⌡, denn die sind
an Zeit und Ort gebunden├,┤ und nicht be-
ständig. Wer gereist ist, und viele Menschen
hat kennen lernen, den Zustand und
die Moden von den berühmtesten Städten
gelernt hat, von dem kann man doch
nicht sagen, daß er den Menschen kennt,
denn er ├hat┤ nur den Zustand kennen
gelernt, der sehr veränderlich ist, wenn
ich aber die Menschheit kenne, so muß
die auf alle Arten der Menschen paßen.
Es ist

/Seite_11

/also die Antropologie nicht eine

/ Beschreibung

/⌠Seite 11⌡

/Beschreibung vom Menschen, sondern von
der Natur des Menschen. Also betrachten
wir die Kenntnis des Menschen in Ansehung
seiner Natur. Die Kenntnis der Mensch-
heit ist zugleich meine Kenntnis. Zum Grun-
de muß also eine natürliche Kenntnis
liegen, nach welcher wir urtheilen kön-
nen, was √bei_\\_bey⌡ √jedem_\\_iedem⌡ Menschen zum
Grunde liegt; alsdenn haben wir sichere
Principia_\\_principia⌡├,┤ nach denen wir verfahren
können. Dahero müßen wir uns selbst
studiren, und weil wir das auf ande-
re anwenden wollen, so müßen wir
die Menschheit studiren, nicht aber psycho-
logisch oder speculativ, sondern pragma-
tisch, denn alle pragmatische Lehren sind

/ Klugheits

/⌠Seite 12⌡

/Klugheits Lehren├,┤ wo wir zu allen

/Seite_12

/unsern
Geschicklichkeiten auch die Mittel haben, von
allem einen gehörigen Gebrauch zu machen,
denn wir studiren den Menschen um klü-
ger zu werden, welche Klugheit zur Wi-
ßenschaft wird. Wir dürfen also nicht rei-
sen um den Menschen zu studiren, son-
dern wir können seine Natur allenthal-
ben erwegen. Der Mensch aber, das Sub-
ject_\\_Subiect⌡ muß √studirt_\\_studiert⌡ werden, ob er auch das
praestiren kann, was man fordert, das
er thun soll√._\\_:⌡ Die Ursache├,┤ daß die Moral
und Kanzelreden, die voll von Ermah-
nungen sind, in denen man niemals
müde wird, weniger √Effect_\\_Affekt⌡ haben, ist
der Mangel der √Kenntniß_\\_Kenntnis⌡ des Menschen.

/ Die

/⌠Seite 13⌡

/Die Moral muß mit der Kenntnis der Mensch-
heit verbunden werden.

/Seite_13

/Die Enthaltung
von vielen Lastern ist nicht die Folge von
der Moral und Religion, sondern von der
Verfeinerung. Man unterläßt Laster
nicht deswegen, weil sie wieder die Mo-
ral sind├, sondern weil sie so grob sind┤. Damit aber die Moral und die
Religion ihren Entzweck erhalten, so muß
die Kenntnis der Menschen damit ver-
bunden werden. Die Natur hat ihre
√Phoenomene_\\_Phaenomene⌡, aber der Mensch hat auch sei-
ne √Phoenomene_\\_Phaenomene⌡. Es hat noch keiner ei-
ne Welthistorie geschrieben, wo zu-
gleich eine Geschichte der Menschheit war,
sondern nur den Zustand und die Ver-
√änderung_\\_anderung⌡ der Reiche, welches zwar als

/ ein

/⌠Seite 14⌡

/ein Theil was großes, aber im √Gantzen_\\_gantzen⌡
genommen, ist es eine Kleinigkeit. Alle

/Seite_14

/Ge-
schichte der Kriege kommen auf eins √hinaus_\\_heraus⌡,
indem sie nichts mehr als die Beschreibun-
gen der Bataillen_\\_Bataillen⌡ in sich enthalten. Ob nun
eine Schlacht mehr oder weniger √gewon-
nen_\\_gewesen⌡, das macht im Ganzen nichts aus.
Es √sollte_\\_solte⌡ aber dabey mehr auf die Mensch-
heit gesehen werden. Hume gab durch
seine Geschichte von √Engeland_\\_Engelland⌡ einen Be-
weis davon√. Den_\\_, denn⌡ Menschen zu beobachten,
und sein Verhalten, seine √Phaenomena_\\_Phoenomena⌡
unter Regeln zu bringen├,┤ ist der Zweck
der Antropologie⌡Antropologie⌡. Alle Antropologien⌡Antropologien⌡,
die man noch zur Zeit hat, haben noch
die Idee nicht gehabt, die wir hier von
uns haben. Alles was kein Verhältnis

/ zum

/⌠Seite 15⌡

/zum klugen √Verhalten_\\_Verhälten⌡ des Menschen hat,
gehört nicht zur

/Seite_15

/Antropologie. Dasjenige
gehört nur in die Antropologie, wovon auf
der Stelle ein kluger Gebrauch im Leben
genommen werden kann. Alles wo die
√Ideen_\\_Ideen entspringen, gehört zur Speculation_\\_speculation⌡ und
nicht in die Antropologie, so wie Platt-
ner es gemacht hat.

/Wodurch entspringt die Antropologie? Durch
Sammlung vieler Beobachtungen von Men-
schen solcher Auctoren_\\_Autoren⌡, die scharfe Kenntnis
des Menschen gehabt haben. Z. E. √Scheackes
pears_\\_Scheakespaars⌡ theatralische Wercke, der englische Zu-
schauer und Montagne Versuche nebst
deßen Leben, ist auch ein Buch fürs Leben
und nicht für die Schule√:_\\_.⌡ das Feld des Men-
schen ist schon sehr ausgebreitet, und es ver- 

/ dient

/⌠Seite 16⌡

/dient also, daß es zusammen als ein

/Seite_16

/Gantzes, und nicht neben andern Wißen-
schaften vorgetragen werde, denn die Phy-
sic_\\_Physik⌡ ist die Kenntnis des Gegenstandes der
äußeren Sinne, und die Kenntnis des Men-
schen als des Gegenstandes der √inneren_\\_innern⌡
Sinne, macht ein eben solches Feld aus,
folglich verdient es eben solche Mühe,
und als solche Wißenschaft auf Academien_\\_Akademien⌡
√tractiret_\\_traktiret⌡ zu werden, als die Physik. Und
im Grunde betrachtet, ist der Mensch eher
der Mühe √wert_\\_werth⌡ √studiret_\\_studirt⌡ zu werden, und
daß man ihn solcher Betrachtungen wür-
dige⌠,⌡ als die ganze √Körperliche_\\_körperliche⌡ Natur.
√Man_\\_Mann⌡ glaubte, es sey zuwenig in einer
Wißenschaft hievon zu sagen, dahero schob
man es in die √Methaphisik_\\_Metaphysik⌡ ein, und zwar

/ in

/⌠Seite 17⌡

/in die Psychologie_\\_Psychologie⌡, welches die empirische

/Seite_17

/Psychologie ausmacht, wo es doch √ganz_\\_gantz⌡ und
gar nicht hingehört, in dem die Metaphysic_\\_Metaphysik⌡
mit keinen empirischen Wißenschaften et-
was zu √tun_\\_thun⌡ hat.

/

/≥ Nähere Abhandlung der Antropologie

/ Von der Selbstheit des Menschen├.┤

/ Es ist kein Gedancke der andern zum Grun-
de liegt als der Gedancke vom Ich. Diese
Vorstellung vom Ich und das Vermögen den
Gedancken zu faßen⌠,⌡ ist der wesentliche Un-
terschied des Menschen von allen Thieren.
Dieses ist die Persönlichkeit sich seiner selbst
bewust zu seyn. Kinder bedienen sich spät
des Worts Ich. Sie können sich selbst noch nicht
betrachten, und haben noch nicht das Ver- 

/ mögen

/⌠Seite 18⌡

/mögen ihre Gedancken auf sich selbst zu
richten. Dieser

/Seite_18

/Begrif vom Ich ist von
großer Fruchtbarkeit, es ist die Qvelle wor-
aus vieles hergeleitet wird.

/1. Die Substantialitaet. Die Seele ist das
eigentliche Ich, es ist ein Subject_\\_Subiekt⌡, welches
kein Praedicat_\\_Praedikat⌡ vom andern ist.

/2. Die Einfachheit, denn es ist eine Einheit
im stricktesten Verstande, und hat kei-
nen pluralis_\\_Pluralis⌡, es kann nicht vertheilt
werden, es können nicht viele ein Ich
ausmachen folglich ist es ein einfa-
cher √Begriff_\\_Begrif⌡.

/3. Die⌡ Spontaneitaet folgt auch daraus, denn
wenn ich sage: ich thue, so werde ich nicht
bewegt.

/Das Ich selbst bedeutet die Seele, oder das
√Innere_\\_innere⌡. Der Körper ist ein äußerer Ge-

/ genstand

/⌠Seite 19⌡

/Seite_19

/genstand meiner Sinne, aber das Ich sehe
ich nicht durch den √äußeren_\\_äußern⌡, sondern durch
den inneren Sinn, ich schaue mich selbst an.
Wir können bei der Seele unterscheiden
Geist und Gemüth. Das Gemüth ist die Art,
wie die Seele von den Dingen afficirt
wird, es ist das Vermögen über seinen
Zustand ├zu reflecti-
ren, und seinen Zustand┤ auf sich selbst und seine Persönlich-
keit zu beziehen. Der Geist oder die See-
le ist das Subject_\\_Subiekt⌡ das da denckt, es ist also
thätig, das Gemüth aber ist leidend. Der
hat ein gut Gemüth, der gelehrig ist, und
sich gut ziehen läßt. Der Begrif des Gei-
stes aber setzt den Begrif √de«s»r «Geistes»_\\_der⌡ Thätig-
keit zum voraus. Ein cörperlicher Schmertz
geht unsere Seele an, die Betrübnis aber
geht das Gemüth an, und

/Seite_20

/hat daselbst ihren
Sitz. Es giebt viele Uebel in unserer

/ Seele

/⌠Seite 20⌡

/Seele aber nicht in unserm Gemüth. Wir
fühlen nicht allein den Schmertz in der
Seele, sondern wir betrüben uns noch
über diesen Schmertz in unserm Gemüth,
⌠und⌡ wir fühlen nicht allein eine Freude in
unserer Seele, sondern wir vergnügen
uns noch darüber, daß wir freudig sind
in unserm Gemüth. Es ist keine Schwäche⌠,⌡
über ein erlittenes Unglück Schmertzen
in unserer Seele zu empfinden, aber
die Betrübnis über diesen Schmertz wird
einem gesetzten Manne übel genom-
men. So ist es auch keine Schwäche über
ein Glück Freude zu empfinden, allein
sich über diese

/Seite_21

/Freude außerordentlich zu
vergnügen, ist kindisch. Wenn also der
Schmertz aus der aus der Seele ins Ge-
müth übertritt, so macht er Betrübnis,

/ und

/⌠Seite 21⌡

/und wenn die Freude der Seele ins Ge-
müth übergeht, so entstehet dadurch ein
kindisches Vergnügen. Man verlangt al-
so von einem weisen Mann, daß er von
dem entfernt ist, was zum Gemüth ge-
höret. Das Gemüth ist also ein Vermögen
dasjenige zu empfinden, was man em-
pfindet√: dahero_\\_. Daher⌡ ist animus und anima
unterschieden. √Man_\\_Mann⌡ nennt auch animus
sonst mens⌠,⌡ allein mens möchte auch schon
Geist bedeuten. In der Seele ist also das
Gemüth was anderes, was wir sonst Ge-
müth oder Gefühl nennen. Die Thiere sind
weder

/Seite_22

/der Betrübnis noch der Freude fä-
hig, weil sie nicht über ihren Zustand
reflectiren können, folglich sind sie auch
keiner Glückseeligkeit und keines Unglücks

/ fähig

/⌠Seite 22⌡

/fähig, ├denn durch das reflecktiren ist der Mensch
nur des Glücks und des Unglücks fähig,┤ er hat es also in seiner Gewalt.
Der Begrif vom Ich pragmatisch betrach-
tet, ist der √allerinteressanteste_\\_allerintereßenteste⌡ Gedancke,
auf den man alles anwendet oder
reducirt_\\_reduciert⌡. Der Mensch ist sehr geneigt in
Gesellschaft immer von sich selbst zu spre-
chen, obgleich die Klugheit dieses etwas
einschränckt. √Jeder_\\_Ieder⌡ Mensch ist in √seinem_\\_seinen⌡ Ge-
dancken ein Egoist√,_\\_-⌡ weil aber jeder so ist,
so schränckt einer den andern ein. Dem

/Seite_23

/Montagne wird es vorgeworfen, daß
er immer von sich redet. Der Deutsche
hält diese Selbstheit durch Bescheidenheit
zurück, indem er das ich in den √Briefen_\\_Briefe⌡
immer nachsetzet. Das √wir_\\_Wir⌡ ist eigentlich
ein Ausdruck der Bescheidenheit, indem
der König alsdenn die Räthe mit rechnet,

/ allein

/⌠Seite 23⌡

/allein √jetzo_\\_ietzo⌡ solls bedeuten, daß der König
das gantze Volck repraesentiret. Im mo-
ralischen Beurtheilen├,┤ ist das Vermögen
nöthig sein Ich zu versetzen⌠,⌡ und sich in
den √Standpunckt_\\_Stand Punckt⌡ und die Stelle des andern
zu setzen, so daß man mit ihm denckt, und
sich in ihm fühlt. Wenn wir von andern
Menschen urtheilen wollen, so müßen wir den
Standpunckt verändern und zwar

/Seite_24

/1. meinen Standpunckt versetzen und denn

/2. mich in des andern seinen versetzen, und
alsdenn können wir den Werth der Handlun-
gen eines andern bestimmen, wenn wir
die zwey √Standpunckte_\\_Stand Punckte⌡ verändern kön-
nen. Standpunckte zu √nehmen_\\_«machen»nehmen⌡ ist eine Ge-
schicklichkeit, die man sich durch Uebung er-
werben kann. Man findet in der Gesell- 

/ schaft,

/⌠Seite 24⌡

/schaft, daß sich Menschen in die Stelle der an-
dern nicht setzen können, daß sie mit ihm
fühlen, empfinden⌠,⌡ und sehen wie das vor-
kommt, sondern sie sehen immer auf sich.
Alle Regeln, von dem was da läßt, und
sich schickt sind Regeln├,┤ wo ich mich aus einem
andern Standpunckt anschauen kann, und
der √weiß sich_\\_sich weis⌡ geziemend aufzuführen,
der solche Standpunckte außer sich nehmen kann.

/Seite_25

/Der Mensch kann also √zwiefach_\\_zwifach⌡ betrach-
tet werden, als Tier und als Intelligenz.
Als Thier ist er der Empfindungen, Eindrücke
und Vorstellungen fähig, als Intelligenz_\\_Intelligenz⌡
ist er sich seiner selbst bewust, welches allen
obern Kräften zum Grunde lieget; als In-
telligenz hat er √«m»Macht_\\_macht⌡ über seinen Zustand
und über seine Thierheit, und in so ferne

/ heißt

/⌠Seite 25⌡

/√heißt_\\_heist⌡ das Geist. Wenn die √Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ bey
Seite gesetzt wird├,┤ so ist der Mensch als Thier
betrachtet. Wenn er was als Intelligentz_\\_Intelligenz⌡
betrachtet, so betrachtet er es durch den
Verstand. So fürchtet sich der Mensch vor √vielen_\\_vielem⌡
aber als Thier √z_\\_Z⌡. E. wenn er auf einem
hohen Thurm steht; sein Verstand sagt ihm
daß dazu keine Ursache ist. Er tadelt das
als Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ was er als Thier

/Seite_26

/begehrt.
Wir tadlen auch an andern ihr Tempera-
ment, und rühmen ihren √Charakter_\\_Charackter⌡. Das
Temperament betrift die Thierheit. Kein
Mensch haßet sich selbst, und wünschet sich was
böses, aber er ärgert sich über sich selbst,
besonders der √unbesonnene_\\_Unbesonnene⌡ und √unbe-
dachtsame_\\_Unbedachtsame⌡. Woher √komt_\\_kommt⌡ das√._\\_?⌡ Im Menschen
ist ein zwiefaches Subject_\\_Subiekt⌡, wenn er sich selbst

/ tadelt,

/⌠Seite 26⌡

/tadelt, so thut er es als Intelligentz_\\_Intelligenz⌡, wenn
er von sich getadelt wird, so wird er als
Thier getadelt. Also betrachtet sich der Mensch
aus zwey Gesichtspunckten als Thier und
als Intelligentz_\\_Intelligenz⌡. Die Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ macht die
Persönlichkeit aus, die aber mit der Thier-
heit combinirt @¿sich¿@. In der combinirten

/Seite_27

/Per-
sönlichkeit ist immer ein natürlicher Wie-
derstreit, indem die Thierheit auf der
Dependenz der Seele vom √Körper_\\_Cörper⌡ be-
ruht, und die Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ auf der Herr-
schaft der Seele über den √Körper_\\_Cörper⌡. Also
muß die √Personlichkeit_\\_Persönlichkeit⌡ Harmonie bey
sich führen, die durch den √Zwang_\\_Zwanck⌡ erlangt
wird, durch √Selbstbeherrschung_\\_Selbstbeherschung⌡ nach gewi-
ßen Regeln und durch Disciplin. √Beide_\\_Beyde⌡
unterscheidet der Mensch bey Gelegenheit
der ├Sinne und bey Gele-
genheit der┤ Urtheile nach Reflexion_\\_Reflection⌡. Nach der Thier

/ heit

/⌠Seite 27⌡

/heit √urtheilt_\\_urtheilet⌡ er, was ihm wohl schmeckt, und
auf der andern Seite urtheilt er als Intel-
ligentz_\\_Intelligenz⌡ ob es gut ist, so auch bey Gelegen-
heit der Sinne √z_\\_Z⌡. E. nach der Thierheit wird
geurtheilt,

/Seite_28

/daß sich alles um die Erde be-
wege, und die Erde stille stehe, nach der Intel-
ligentz_\\_Intelligenz aber nicht. Wenn das Bild des Mon-
des beym Aufgange größer ist, so urtheilt
man als Thier, daß der Mond größer ist,
obgleich man als Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ weiß, daß der
Mond beständig gleich groß ist. Und diese
Erscheinung kann der größte Astronom_\\_Astronom⌡ nicht
verhindern, ob √gleich er_\\_er gleich⌡ es gantz gewiß an-
ders √weiß_\\_weis⌡.

/Wenn der Mensch alles auf seine Intelligentz_\\_Intelligentz⌡
bezieht, so ist das die Selbstsichtigkeit, denn alle
unsere √Empfindungen_\\_Empfindung⌡ ist entweder ausschlie-
ßend oder theilnehmend. Selbstliebe ist bil- 

/ lig.

/⌠Seite 28⌡

/lig. Eigenliebe und Eigendünckel ist aus
schließend. Wenn wir etwas lesen eine
Geschichte oder einen Roman,

/Seite_29

/so setzen wir
uns immer in die Stelle des andern, und
das ist die Theilnehmung. Jeder Mensch als
Person oder als Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ vermöge des
Ichs bezieht alle √Gedanken_\\_Gedancken⌡ auf sich⌠,⌡ es ist
ihm in der gantzen Welt nichts näher
als er selbst, also ist er in Ansehung seiner
focus der Welt, wenn er aber √ausschlie-
ßend alles_\\_alles ausschließend⌡ auf sich bezieht, so macht er sich
zum Centro Focus_\\_Centro Focus⌡ der Welt├,┤ ist √ieder_\\_jeder⌡ Mensch⌠,⌡
aber nicht Centrum_\\_Centrum⌡. So spricht jeder Mensch
gerne von sich⌠,⌡ und ist bemüht sich zum
Centro_\\_Centro⌡ zu machen. Also ist immer ein
Streit, damit aber dieses nicht geschicht,
so muß ein jeder die Grentze beobachten,

/ und

/⌠Seite 29⌡

/und die Distanz der Gleichheit halten, so daß
zwischen mir und einem andern ein In-
terwall ist, und man sich

/Seite_30

/nicht völlig gantz
berühre, welches dadurch geschiehet, wenn
man etwas von seiner Person dem an-
dern Preis giebt. Dahero ist es auch von
einem Autor bescheiden⌠,⌡ wenn er durch
wir spricht, denn alsdenn theilt er seine
Urtheile mit dem andern. Warum wird
in einigen Sprachen allgemein das ihr
gebraucht, und in andern das Sie? Der
Grund scheinet in der Achtung für die Men-
ge zu liegen, die wir einer Person bey-
legen, dahero unsere Sprache, die das all-
gemeine √Ihr_\\_ihr⌡ nicht hat, sondern einen Unter-
scheid beobachtet, zwischen √Du_\\_du⌡, √Er_\\_er⌡ und √Sie_\\_sie⌡
solche Leichtigkeit nicht hat, sondern eine

/ Peinlichkeit,

/⌠Seite 30⌡

/Peinlichkeit, und einen √Zwanck_\\_Zwang⌡ bey sich
führet in Austheilung dieser Worte, wel-
che auf das Genie einen

/Seite_31

/Einfluß √hat_\\_haben⌡. Es
wäre also gut, wenn das abgeschaft wür-
de, welches auch in den Sitten eine Ver-
änderung machen möchte. Der Franzose
sagt zum Vornehmen Vous, und der Vor-
nehme zum niedrigen auch vous_\\_Vous, folglich
ist da keine Peinlichkeit, welche √doch bey uns allmählich_\\_bey
uns doch allmälich⌡ das Genie feßelt. Der
√Körper_\\_Cörper⌡ als √Subject_\\_Subiekt⌡ der Thierheit ist so
wichtig, daß er durch diesen Cörper eben
der Mensch ist, und durch einen andern √Cor-
per_\\_Cörper⌡ ein anderer Mensch seyn würde.
Der Cörper giebt uns oft den Werth, und
die Intelligentz_\\_Intelligenz⌡ wird oft nicht verlangt;
so wirbt der officier_\\_Officier die Thierheit an dem

/ Menschen

/⌠Seite 31⌡

/Menschen nicht die Intelligentz.

/

/Seite_32

/

/ ≥ Von den verschiedenen Hand-
/ lungen der Seele.

/Das Bewustseyn ist zweyerley seiner selbst
und der Gegenstände. So ist ⌠oft⌡ ein Mensch
der sich der Gegenstände außer ihm bewust
ist, und darüber sehr in Gedancken ist, seiner
selbst sich nicht bewust. Das Bewustseyn
der Gegenstände ist also etwas anderes
als seiner selbst. √Je_\\_Ie⌡ mehr wir uns der Ge-
genstände bewust seyn, desto mehr sind
wir in uns. Die Beobachtung der Dinge
ist nicht so beschwerlich als die Beobachtung
seiner selbst, ├«kurz ist»┤ obgleich die Beobachtung sei-
ner selbst kurtz ist. Die Gewohnheit sich
selbst zu beobachten, ist schädlich, giebt Ge- 

/ legenheit

/⌠Seite 32⌡

/legenheit zur Schwärmerey├,┤ und macht⌠,⌡
daß man die Welt verkennt. Die Selbst-
beobachtung ist schwer und

/Seite_33

/unnatürlich, und
kann ⌠wohl⌡ √einmahl_\\_einmal⌡ zur Revision gesche-
hen, muß aber nicht lange dauren. Die
Hauptsache muß in der Thätigkeit bestehen.
Es giebt eine Art von Gedanckenlosigkeit
und Gedancken Entschlagung nicht von an-
dern Gegenständen sondern seiner selbst,
und diese ist eine wahre Erholung, wenn
man sich selbst beobachtet hat. Der √anali-
tische_\\_analytische⌡ Theil der Philosophie, wo man seine
Begriffe √analysirt_\\_analisirt⌡, und auch sich selbst be-
obachtet, ist der √ermüdenste_\\_ermüdendste⌡ Theil der Phy-
losophie_\\_Philosopie⌡. Aber die Selbstbeobachtung seiner
Empfindungen und nicht seiner Begriffe

/ macht

/⌠Seite 33⌡

/macht einen zum Phantasten.

/Die Erholungen bestehen oft nicht in Ruhe
sondern in andern Beschäftigungen, so spielt
der Schmidt Kegel um sich zu erholen, und der
Philosoph √Charten_\\_Carten⌡.

/Die Selbstbeobachtung in Ansehung der

/Seite_34

/äußeren Erscheinung, oder wie man dem
andern in die Sinne fallen möchte ist Affe-
ctation_\\_Affektation⌡. Die Maniren eines solchen sind ge-
zwungen und genirt, oder sie ist affectirt,
das ist gekünstelt. Hiezu werden die Kin-
der dadurch angewöhnt, wenn man zu
ihnen sagt: wie läßt das, wie schickt sich
das, man bringt sie dadurch auf die Art
Acht zu haben, wie sie dem andern in die
Sinne fallen möchten. Derjenige √fällt_\\_fält⌡ am
besten in die Augen, der gar nicht daran

/ denckt,

/⌠Seite 34⌡

/denckt, wie er wohl andern in die Au-
gen fallen möchte. Anfangs muß man
sich wohl Mühe geben, aber im gemeinen
Leben muß man solches nicht beobachten,
da muß man schon darinn fertig seyn.
Wer etwas erzählt, der muß nicht mehr
auf sich selbst Acht haben, hat er das, und
künstelt an seinen Ausdrücken, so gefällt
er nicht mehr,

/Seite_35

/und ist peinlich, die Fertigkeit
⌠aber⌡ muß er sich schon erworben haben.
√z_\\_Z⌡. E. ein Acteur_\\_Akteur⌡. Wenn einer √nicht auf sich_\\_auf sich
nicht⌡ Acht haben darf, so gewinnt er die √Naivität_\\_Naivitaet⌡
und Natur, denn die Kunst giebt den Ver-
dacht des Scheins und nicht der Würck-
lichkeit.

/

/ ≥Von den duncklen Vorstellungen der
/ Seele

/ Die duncklen Vorstellungen enthalten die

/ gehei

/⌠Seite 35⌡

/geheime Feder von dem was im Lichten
geschiehet, daher müßen wir sie erwegen.
Dunckle Vorstellungen sind solche, deren man
sich nicht bewust ist. Woher kann man √sie denn_\\_sich⌡
betrachten? Unmittelbar nicht, allein ich kann
schließen, daß in mir solche Vorstellungen
sind, deren ich mir nicht bewust bin √z_\\_Z⌡. E. ich
sehe die Milchstraße als einen weißen Strei-
fen und durch

/Seite_36

/den Tubum sehe ich eine Men-
ge von Sternen. Eben diese Sterne habe
ich auch mit den bloßen Augen gesehen,
denn sonst hätte ich √nicht die Milchstraße_\\_ die Milchstarße nicht⌡ sehen
können, und ich war mir deßen nicht bewust;
ich hatte also dunckle Vorstellungen von den
Sternen. √Man_\\_Mann⌡ mercke überhaupt von √de-
nen_\\_den⌡ duncklen Vorstellungen folgendes

/1. Die menschliche Seele thut das meinste

/ in

/⌠Seite 36⌡

/in der Dunckelheit

/2.) ihr größter Schatz an Erkenntnißen be-
steht in der Dunckelheit √z_\\_Z⌡. E. wenn der Mensch
lieset, so giebt die Seele auf den Buchsta-
ben acht, √denn_\\_den⌡ buchstabiret sie├,┤ √den_\\_denn⌡ lieset
sie, denn giebt sie darauf √Acht_\\_acht⌡, was sie lie-
set. Alles deßen ist sich der Mensch nicht be-
wust. Ein Musicus_\\_Musikus⌡, der da phantasirt muß
seine Reflexion anstellen auf jeden Fin-
ger den er setzt, auf das Spielen, auf das
was

/Seite_37

/er spielen will, und auf das neue was
er hervorbringen will. Thäte er das
nicht├,┤ so könnte er auch nicht spielen, er ist
sich aber deßen nicht bewust. Hier muß
man die Kürtze der √Seelen_\\_Seele⌡ bewundern,
√indem_\\_in der⌡ sie auf alle √Fingern_\\_Finger⌡, auf das was
gespielt wird, und auch auf was man

/ den

/⌠Seite 37⌡

/den Augenblick spielen will reflectirt. Die-
ses geschiehet alles in den duncklen Vorstel-
lungen. Dieses zu beobachten, ist ein gro-
ßes Geschäfte √des_\\_der⌡ Philosophen.

/Der √größte_\\_großte⌡ Schatz der Seele besteht in der
√Dunckelheit_\\_Dunkelheit⌡. Ein großer Theil philosophischer Ge-
dancken ist schon vorher im duncklen prae-
parirt. Die Urtheile, die aus den duncklen
Vorstellungen entspringen├,┤ müßen wir
erklären und noviren_\\_noviren⌡ √z_\\_Z⌡. E. warum kann
man einen solchen, der alles zusammen
√zuraffen_\\_zu raffen⌡ sucht, um es hernach zu ver-
schwenden, eher

/Seite_38

/leiden, als einen kargen
filzigen Menschen, obgleich der Karge keinem
Unrecht thut, und daß er in Ansehung sei-
ner √filtzig_\\_filzig⌡ lebt, was geht uns das an, wel-
ches auch solche karge geitzige vorwenden.

/ Worinn

/⌠Seite 38⌡

/Worinn √liegt_\\_ligt⌡ die Ursache? √es_\\_Es⌡ muß doch
eine seyn├,┤ weil es allgemein ist: die Grün-
de müßen doch in der Vernunft zusammen
stimmen. Die Ursache ist: er setzt den Ge-
brauch der Güter, so viel an ihm ist außer
der Menschheit. Was allgemein √geurthei-
let_\\_geurtheilt⌡ wird durch den gesunden Verstand,
muß man nicht für √ungeräumt_\\_ungereimt⌡ halten,
weil es keinen Grund hat, der Grund
ist aber in der Vernunft, denn sonst könn-
ten die Menschen nicht allgemein urthei-
len. Der Grund ist aber √doch_\\_noch⌡ in der √Dunk-
kelheit_\\_Dunckelheit⌡, und den muß man zu

/Seite_39

/noviren
suchen √z_\\_Z⌡. E. ein betrunckener Mann ist
leidlicher als ein betrunckenes Weib, je-
dermann √urtheilet_\\_urtheilt⌡ so, wo ist der Grund?
Das Frauenzimmer ist der Anfechtung un- 

/ ter

/⌠Seite 39⌡

/terworfen. Warum giebt man dem √Frem-
den_\\_fremden⌡ die rechte Seite? Die rechte Hand ist
geschäftig, also laßen wir ihm diese frey.
Warum nehmen wir den √Vornehmsten_\\_Vornemsten⌡ von
dreyen in die Mitte? Weil er √alsdenn_\\_alsden⌡
von beyden Seiten reden kann. Das lag
alles in der Vernunft, nur wir waren
uns deßen nicht bewust. Ja├,┤ es giebt Wi-
ßenschaften von der Art, und das ist die
√analitische_\\_analytische⌡ Philosophie, wo man durch Aus-
wickelung dunckle Vorstellungen √licht_\\_leicht⌡ macht.
So ist es in der Moral durch Erklä-
rung der Tugend, da muß man einen
auf seine eigene Gedancken, denn der
Begrif

/Seite_40

/der Tugend liegt schon in ihm. √So-
krates_\\_Socrates⌡ sagt: er √ware_\\_wäre⌡ die Hebamme der

/ Gedancken

/⌠Seite 40⌡

/Gedancken seiner Auditorum.

/Wenn ich mir in einem Augenblick aller
√dunckeln_\\_duncklen⌡ Vorstellungen auf einmahl be-
wust werden möchte, so √würde_\\_möchte⌡ ich mich
über mich selbst sehr wundern müßen.
So ist auch das, was in meinem √Gedachnis_\\_Gedächtnis⌡
ist, √dünckel_\\_dunckel⌡, und bin ich mich deßen nicht
bewust. Was schon einmahl im Gemüth
des Menschen ist, das verliert er nicht mehr├,┤
nur es in ihm dunckel, und er braucht Mit-
tel solches aus der Dunckelheit zu noviren.
Bey manchem fällt es sehr schwer. Wenn
man dahero was erzählen soll: so √weiß_\\_weis⌡
man von nichts, obgleich man, wenn man
alles √erzahlen_\\_erzählen⌡ sollte, was man √weiß_\\_weis⌡, ei-
nen √Qvartanten_\\_Qvartanten⌡

/Seite_41

/schreiben könnte bis
eine
⌠Seite 41⌡
eine Materie gegeben ist. Der Verstand wird durch dunckle Vorstellungen irrig gemacht, und daraus entstehen ⌠die⌡ Skrupel.
Wir haben √Belieben_\\_belieben⌡ unser Gemüth im √duncklen_\\_dunklen⌡ √spaciren_\\_spaziren⌡ gehen zu laßen, welches die versteckte und verblümte √Redensarten_\\_Redens Arten⌡ beweisen. Iede Dunckelheit die sich plötzlich √auf klärt_\\_aufklärt⌡, macht √Annehmlichkeit_\\_Annemlichkeit⌡├,┤ und √ergözt_\\_ergötzt⌡ sehr├,┤ und darinn besteht die Kunst eines Autors seine Gedancken so zu verstecken, daß der Leser sie gleich von selbst auflösen können, hiezu gehören die Schertze und Einfälle. Das klare aber ermüdet bald. Allein wir spielen nicht allein mit solchen duncklen Vorstellungen, sondern wir sind auch selbst ein Spiel der duncklen

/Seite_42

/√Vorstellungen_\\_Vorstellung⌡. So benennt man oft natürliche Dinge mit
einem
⌠Seite 42⌡

/einem Ausdruck der fremden Sprache lieber als mit einem teutschen Ausdruck, obgleich der andere eben so gut den Ausdruck der fremden Sprache versteht, als seiner eigenen. Allein der fremde Ausdruck muß doch √allererst_\\_erst⌡ im Gemüth übersetzt werden, und den kommt der Begrif erst ins Gemüth, also ists ein Umschweif√,_\\_;⌡ durch den Umschweif aber wird der Begrif √schwacher_\\_schwächer⌡, so wie ein √Lichtstrahl_\\_Lichtstral⌡ durch öftere Brechung, und daher gefällt uns der fremde Ausdruck beßer Z. E. √hofieren_\\_Hofieren⌡, dafür Cour machen, wenn aber der fremde Ausdruck schon gar zu oft gebraucht wird, und eben so als der eigene aufgenommen wird, denn verliert

/Seite_43

/er den √Schleier_\\_Schleuer⌡, den er erst hatte Z. E. man sagte an statt der √spanischen_\\_Spanischen⌡ Po- 
cken
⌠Seite 43⌡
cken, ⌠die⌡ Franzosen, welches aber schon eben so allgemein aufgenommen ist. So sagt man oft einem √Großen_\\_großen⌡ und √Vornehmen_\\_vornehmen⌡ verdeckt die Wahrheit, der es eben so versteht, als wenn sie offenbar wäre.
Ein jeder Einfall, der im Anfange ein Rathsel ist, auf welches aber der Aufschluß gleich folget, ist auch eine Uebersetzung und ein Umschweif im Gemüth, und das Gemüth freut sich eine Schwierigkeit aufgelöset zu haben. Also geht es im Gemüth so zu als im optischen Kasten. Die Kunst so zu √ver- dunckeln_\\_verduncklen⌡, daß der andere durchschauen kann, erfordert viel Witz, und gehöret zur Bescheidenheit und zur Manierlichkeit,

/Seite_44

/die erworben werden muß.
Zu den dunckeln Vorstellungen gehören
auch
⌠Seite 44⌡
auch noch die vorläufigen Urtheile. Ehe der Mensch ein Urtheil √fällt_\\_fält⌡, welches bestimmt ist, so fällt er schon im voraus im √Dunckeln_\\_Duncklen⌡ ein vorläufiges Urtheil. Dieses leitet ihn um etwas zu suchen Z. E. wer unbekannte Länder sucht⌠,⌡ wird doch nicht gerade zu ins Meer fahren, sondern er urtheilt vorher. Ein √iedes_\\_jedes⌡ bestimtes Urtheil hat also ein vorläufiges Urtheil. √Daher_\\_Dahero⌡ ist das Studium des Gemüths in Ansehung des geheimen Verfahrens der Seele des Menschen sehr wichtig. Auf der andern Seite mercken wir auch, daß der Mensch selbst ein Spiel der Dunckelheit ist. Wir lieben die Dunckelheit

/Seite_45

/sehr, und haben Neigung zum Aberglauben, Wahrsagungen und mystischen Sachen├,┤ denn alles dieses macht größere
Erwartung
⌠Seite 45⌡
Erwartung im Gemüth, als es hernach ist, wenn man es im √Lichten_\\_lichten⌡ einsiehet. So wie in der Dämmerung alles größer erscheint├,┤ als im Lichten, so macht auch die Dunckelheit größere Erwartungen.

Von der Deutlichkeit.

Vor aller Deutlichkeit geht Ordnung vorher. Die Deutlichkeit ist ein Werck des Verstandes und die Klarheit ein Werck der Sinne, denn die Deutlichkeit beruht auf der Reflexion. Der Deutlichkeit ist die Undeutlichkeit, der Ordnung die Verwirrung ent- gegengesetzt. Also ist die Ordnung

/Seite_46

/die Bedingung der Deutlichkeit, und die Verwirrung der Undeutlichkeit. Im dencken und handeln muß Ordnung herrschen. Alle
Ordnung
⌠Seite 46⌡
Ordnung hat aber eine Regel, und darinn sind die Menschen sehr verschieden. Einige Menschen haben schon von Natur einen Geist der Ordnung, es fehlt ihnen nur an Materien├,┤ die sie ordnen könnten; sie bringen aber auch das wenige, was sie wißen, in gewißer Ordnung hervor, so daß der Geist der Ordnung gleich zu sehen ist, ob er gleich übrigens gantz leer ist, und weil die Ordnung nur die Bedingung ist, so fehlt es ihnen an Materie Z. E. so hält jemand Ordnung mit seinen Büchern und leidet nicht,

/Seite_47

/daß sie sich auf dem Tisch herumtreiben, und deswegen lieset er sie auch nicht um sie nicht aus der Ordnung zu bringen, daher viele den gantzen Tag nur ordnen und
auf
⌠Seite 47⌡
aufräumen. Solche Ordnung kann auch im Dencken statt finden, und das ist denn eine ⌠«h»⌡Peinlichkeit der Regel ├, welche man Pedanterie nennt. Die Regel┤ muß uns nicht regieren, wir müßen nicht was machen, um eine Regel heraus zu bekommen├,┤ also der Regel zu gefallen, denn sonst ist man dem Zwange der Regel unterworfen. Eine solche formale Ordnung nennt man Schulgerecht. Also erfordert die Deutlichkeit Ordnung, und der Geist der Ordnung im

/Seite_48

/Vortrage ist ein großes Talent. So hat oft ein Mensch ein großes Genie aber keinen Geist der Ordnung, um √dasjenige_\\_das wenige⌡ zu ordnen├,┤ was sein Gemüth hervor bringt. Der Geist der Deutschen ist methodisch und ordentlich, vieles bringen sie vor um
der
⌠Seite 48⌡
um der Ordnung Willen. Den √Engeländern_\\_Engelländern⌡ fehlt der Geist der Ordnung und der Abtheilung, wodurch man einen deutlichen Begrif vom Gantzen haben könnte.

Vom mannigfaltigen der Vollkommenheit und Unvollkommenheit der √Erkentniße_\\_Erkenntniße⌡.

Die Vollkommenheit der √Erkenntniße_\\_Erkentniße⌡ ist dreyfach
1.) Das √Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ der √Erkentniße_\\_Erkenntniße⌡ zum

/Seite_49

/Object.
2.) Das √Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ der Erkentniße zum Subject.
3.) Das √Verhältnis_\\_Verhältniß«e»⌡ der Erkenntniße unter einan- der⌠.⌡
√Zudem_\\_Zu dem⌡ Verhältnis der Erkenntniße zum Object und zwar der Qvalitaet nach gehöret, Wahrheit und √Gewißheit_\\_Gewisheit⌡. Das Mittel zu beiden ist die Deutlichkeit. Der Qvalitaet_\\_Qvantitaet nach ist die √Erkenntniß_\\_Erkenntnis⌡ in Ansehung des Objects vollkommen├,┤ der Größe, der Vollständigkeit⌠,⌡ der Ab-
gemeßen
⌠Seite 49⌡
gemeßenheit nach. Zu der Vollkommenheit der Erkenntniße dem Subject nach gehört Leichtigkeit Lebhaftigkeit und Neuigkeit. Ich erkenne den Gegenstand deswegen nicht beßer, wenn er mir leicht, neu und √Lebhaft_\\_lebhaft⌡ vorkommt, sondern der Unterschied betrift den Menschen selbst, und nicht den

/Seite_50

/Gegenstand, er liebt das neue, weil er seine Erkenntnis vermehrt├,┤ und größer ist, als das alte.
Zu der Vollkommenheit der Erkenntniße unter einander gehört Vergesellschaftung, Ordnung, Einheit, und den auch √Mannigfaltigkeit_\\_Manigfaltigkeit⌡ und √Abstechung._\\_Abstehung⌡
Die Wahrheit der Erkenntniße ist die Grund Vollkommenheit⌠,⌡ und zwar in Ansehung des Gegenstandes; das intereßirt
zwar
⌠Seite 50⌡
zwar nicht so, aber es ist die Bedingung von allen übrigen Vollkommenheiten. Der Schein ist von der Wahrheit zu unterscheiden, ist beqvemer und wird von dem Menschen lieber gesehen. Man muß bey der Erkenntnis nicht zuerst auf den √Nutzen_\\_Nuzzen⌡, sondern auf die Wahrheit sehen. So ferne uns ein Erkenntnis ein Gesetz

/Seite_51

/entdeckt, so ist sie wichtig, wenn wir auch keinen andern Nutzen davon einsehen Z. E. der zuerst die √geometrischen_\\_Geometrischen⌡ Sätze entdeckte, der hat nur eine Regel entdeckt, die damals keinen Nutzen hatte, aber hernach in vielen Fällen gebraucht werden konnte, ob er sie gleich damals nicht √einsahe_\\_einsache⌡. Man muß also auf Hofnung des Nutzens sich mit der
Wahrheit
⌠Seite 51⌡
Wahrheit begnügen laßen.
Das Gegentheil der Vollkommenheit der Erkenntniße ist Irrthum und ├Unwißenheit. Die┤ Unwißenheit ist eine Unvollkommenheit der Faulen, und der Irrthum ist eine Unvollkommenheit der thätigen. Die Thätigkeit der Versuche ist oft die Mutter der Irrthümer. Eine Erkenntnis kann klein, aber sicher √von_\\_vor⌡ Irrthümern seyn, aber auf der andern Seite kann eine Erkenntnis √groß_\\_gros⌡

/Seite_52

/und erweitert aber unsicher vor Irrthümern seyn. Die Irrthümer folgen unsern Urtheilen, besonders wenn wir auf dem Wege sind, und sind nicht zu vermeiden⌠,⌡ und auch nicht so gleich zu heben ohne die Hülfsmittel die dazu gehören. Es ist also ge- 
nung
⌠Seite 52⌡
nung, wenn man seine Erkenntnis von Irrthümern sichten kann, aber ungeduldig dürfen wir nicht so gleich über einen Irrthum werden, wenn er auch von andern begangen wird, √den_\\_denn⌡ wer im dencken läuft, kann eher einen Irrthum begehen als der ├da┤ √krichet_\\_kriechet⌡. √Diejenige_\\_Diejenigen⌡ Erkenntniße, die den Irrthum verdächtig machen, sind die paradoxen_\\_Paradoxen Erkenntniße, welches befremdende Erkenntniße sind, dahero man von einem Autor der

/Seite_53

/Paradox ist├,┤ was neues lernen kann, wenn man ihn beurtheilt, weil er vom alten Wege abweicht, und einen neuen wählt. Allein ein solcher Autor ist ein Waghals nach der
Vernunft
⌠Seite 53⌡
Vernunft, indem er sich √sowohl_\\_so wohl⌡ dem Gewinnen als dem √Verlieren_\\_Verliehren⌡ Preis giebt. Schlägts ihm ein, so hat er den Vortheil davon, schlägts ihm fehl, so verdient er doch deswegen Lob, weil er so viel Hardiesse gehabt zu wagen. Ein anderer, der nicht so hardu ist, hält sich an der √gemeinen_\\_Gemeinen⌡ Meinung, damit er nicht fehle. Die Franzosen lieben sehr die Hardiesse der Gedancken, indem sie was wagen, und sich dadurch dem Lob oder dem Tadel √aussezzen_\\_aussetzen⌡. Das ist ein kleiner Geist, der in einem unausgearbeiteten Buch, wo

/Seite_54

/Irrthümer sind, doch die Idee des Genies nicht einsieht, das sie doch gewagt hat, solches zu sagen. √Man_\\_Mann⌡ muß solche Autoren
die
⌠Seite 54⌡
die paradox sind, lesen, indem man viel neues darinn findet.
Unsere Erkenntniße können Klarheit haben im Verstande, und Stärcke in Empfindung. Wir können im Vortrage unterscheiden die emphatischen⌠,⌡ und hypostatischen Erkenntniße. Diese Eintheilung ist vom Aristoteles entlehnt, der die √Materien_\\_Meteoren⌡ so eintheilte. So ist der Regenbogen emphatisch, und der Blitz hypostatisch. Emphatisch wäre also, was eine √Stärcke_\\_Starcke⌡ der √Empfindung_\\_Empfindungen⌡ macht, und hypostatisch wo eine selbstständige √Schonheit_\\_Schönheit⌡ ist. Der englische Zuschauer hat selbstständige

/Seite_55

/Schönheit der Ausputz der Rede in Bildern gehört zur
emphatischen
⌠Seite 55⌡
emphatischen √Schönheit_\\_Schonheit⌡.

Von dem Unterschied der Sinnlichkeit und Verhältnis gegen den Verstand.

Wir hören über die Sinnlichkeit, als über den √Qvell_\\_Quell⌡ aller Verwirrungen und Irrthümer klagen; sie wird also beschuldigt, daß sie die Ursache der Irrthümer sey, und man klagt, daß der Verstand nicht mehr herrsche⌠,⌡ als die Sinnlichkeit. Von der andern Seite hat sie ihre Verdienste, indem sie das was der Verstand √kalt_\\_«k¿¿t»<kalt>⌡ reflektirt├,┤ anschauend macht, und da wird der Verstand getadelt, daß er nicht mehr sinnlich ist. Was sollen wir nun hievon halten? Unsere Vollkommenheit bestehet darinn, daß wir

/Seite_56

/unser Vermögen
und
⌠Seite 56⌡
und Fähigkeiten der freien Willkühr unterwerfen können; wenn das aber auch ist, so ist noch nöthig, daß noch eine Macht und Kraft sey├,┤ solches auszuüben, was die √freye_\\_freie⌡ Willkühr entwirft. Sie ist also die Bedingung, unter der die Kräfte ge- braucht werden können. Es sind also √zwey_\\_zwei⌡ Stücke zur Vollkommenheit nöthig, die potestas rectoria und executoria. Die rectoria ist ohne die executoria blind√:_\\_,⌡ √Die_\\_die⌡ Sinn- lichkeit ist ein Hauptstück des Menschen so ferne sie eine executive Gewalt hat, wodurch der Verstand einen Effect hat, wenn er mit den Sinnen verbunden ist. Auf der andern Seite sind die Sinnen nicht fähig zu regieren, und sind oft
eine
⌠Seite 57⌡
eine √Hinderniß_\\_Hindernis⌡. So sind sie einerseits √vortheilhaft_\\_Vorteilhaft⌡, √andernseits_\\_anderseits⌡

/Seite_57

/hinderlich. Unsere Imagination ist der √freyen_\\_freien⌡ Willkühr schlecht unterworfen, denn der Mensch kann nicht √wizzige_\\_witzige⌡ Einfälle haben wenn er will, sondern er muß abwarten, und so ist es auch mit den Trieben und Neigungen der Menschen beschaffen, und das ist der Fehler der Sinnlichkeit. Dieser Fehler der Sinnlichkeit ist nur in so ferne sie nicht disciplinirt ist, soll sie der freien Willkühr unterworfen werden, so muß sie disciplinirt seyn, damit sie ein Werckzeug des Verstandes sey, ├die er braucht um seine Ideen anschauend zu machen. Also ist es falsch, daß die Sinnlichkeit die Ursache des Irrthums sey,┤ denn die Sinne urtheilen nicht, folglich können sie auch nicht irren. Bey den Sinnen entsteht
zwar
⌠Seite 58⌡
zwar √der_\\_ein⌡ Schein, der aber

/Seite_58

/im Verstande vorgeht, also betrügt sich der Verstand selbst. Was wir der Sinnlichkeit zum Nachtheil sagen können├,┤ ist daß ihre Stärcke für die Stärcke des Verstandes der Proportion nach zu groß sey. Der Verstand kann nichts ausführen, sondern die Sinnlichkeit muß ihm Materie geben. Es ist eine große Vollkommenheit dem Verstande viel Sinnlichkeit zu geben, denn die enthält die Materie, die der Verstand in Ordnung bringt. Die Sinnlichkeit macht das anschauend├,┤ was der Verstand überhaupt urtheilt. Also hat die Sinnlichkeit zur Funcktion das, was der Verstand √reflektirt_\\_reflecktirt⌡ anschauend zu machen. In Ansehung des Willens sind die Sinne
eine
⌠Seite 59⌡
eine Triebfeder, der Verstand √hat aber_\\_aber hat⌡

/Seite_59

/keine Triebfeder. √Man_\\_Mann⌡ sieht gar nicht wie der Verstand das was er einsieht, √den_\\_denn⌡ Sinnen beybringen kann, und wie er in die Sinne √würckt, _\\_wirckt⌡, da er keine bewegende Kraft hat. Wir sind leidend, und die passive_\\_Passive Seite der Menschen ist die Sinnlichkeit, aber die Sinne sind auch zugleich leidende Instrumente des Verstandes, dahero muß die Sinnlichkeit excoliret_\\_exculiret⌡ werden, daß sie Brauchbarkeit hat, und denn muß sie disciplinirt_\\_discipliniret⌡ werden, daß sie ein Instrument des Verstandes sey.

Von der Leichtigkeit und Schwierigkeit

Es giebt eine innre Leichtigkeit und
Schwierig
⌠Seite 60⌡
Schwierigkeit. Der Ueberschuß der Kräfte

/Seite_60

/zur Wirckung ist die innere Leichtigkeit, und je weniger Ueberschuß ist, desto schwerer ists. Die äußere Leichtigkeit ist die Entfernung der Hinderniße, die äußere Schwierigkeit ist⌠,⌡ wo die Hinderniße sind. Beschwerlich bedeutet die Schwierigkeit⌠,⌡ die zufälliger Weise von Umständen begleitet wird. √Cerimonien_\\_Cerimonien, √Formalitäten_\\_Formalitaeten und √Complimente_\\_Complimente sind beschwerlich. Es giebt auch gesellschaftliche Beschwerlichkeiten Z. E. Gratulationen├,┤ Ge- sundheiten. Es ist nichts lächerlicher als einen gesellschaftlichen Umgang beschwerlich zu machen. Es kann etwas weniger beschwerlich seyn aber doch schwerer als ein von Cerimonien gereinigter
Gebrauch
⌠Seite 61⌡
Gebrauch in der Religion. Wo es aber mehr auf die Moralitaet √ankommt_\\_ankomt⌡├,┤

/Seite_61

/ist weniger beschwerlich, aber doch schwerer├,┤ √etwas_\\_Etwas⌡ leichtes zu thun, ist kein Ruhm, aber etwas leicht zu machen, und etwas schweres zu thun, ist ein Ruhm. Einem kommt etwas leicht vor, und das ist das leichtfällige, und einem kommt etwas schwer vor⌠,⌡ und das ist das √schwerfällige_\\_Schwerfällige⌡.
Etwas erfordert einen anhaltenden Fleis ohne starcke Anstrengung und das ist √Einsinnigkeit_\\_Emsigkeit⌡, etwas erfordert einen anhaltenden √Fleiß_\\_Fleis⌡ mit starcker Anstrengung⌠,⌡ und √daß_\\_das⌡ ist Faulheit. Alle Faulen arbeiten sich zu √tode_\\_Tode⌡, sie √sehnen_\\_scheuen⌡ sich viel Arbeit in kurtzer Zeit zu thun, um viel Zeit zur Muße übrig zu behalten. Es
frägt
⌠Seite 62⌡
frägt sich also, was beßer ist├,┤ die Arbeit in kurtzer Zeit √zu_\\_«gantz»<zu>⌡ verrichten, um die übrige Zeit gantz zur

/Seite_62

/Muße zu haben, oder dieselbe Arbeit in langer Zeit ganz √allmählich_\\_allmählig⌡, ohne Zeit zur Muße ├übrig┤ zu haben zu verrichten? Der √Unterscheid_\\_Unterschied⌡ beruht auf den √Temperamenten_\\_Temperamenten des Menschen. Der √Cholerische_\\_cholerische⌡ ist von Natur beschäftigt, der wählt ⌠beständig⌡ Beschäftigungen zu aller Zeit. Der √Phlegmatische_\\_pflegmatische⌡ wählt schwere Arbeiten in kurtzer Zeit√,_\\_.⌡ √der_\\_Der⌡ √Sangvinische_\\_Sangvinische⌡ leichte Arbeit in kurtzer Zeit√._\\_,⌡ √Der_\\_der⌡ √Melancholische_\\_melancholische⌡ mühsame Arbeit in langer Zeit. Das Urtheil der Menschen in Leistung einer Sache ist bey einigen zuerst leicht, und das sind Leichtsinnige, ein anderer hält sein erstes
Urtheil
⌠Seite 63⌡
Urtheil für schwer, und das sind peinliche. Die größte Vollkommenheit der Gemüths Kräfte beruht darauf, daß wir sie unter unsere Willkühr bringen, und

/Seite_63

/je mehr sie der freien Willkühr unterworfen werden, desto √großere_\\_größere⌡ Vollkommenheit der Gemüths Kräfte haben wir. Haben wir sie nicht unter der Gewalt der freyen Willkühr, so ist aller Vorrath zur solcher Vollkommenheit vergeblich, wenn wir nicht mit den Gemüths √Kraften_\\_Kräften⌡ machen √konnen_\\_können⌡ was wir wollen. Um deswillen ist die Attention_\\_Attention⌡ und √Abstracktion_\\_Abstraktion⌡ als die zwey √formale_\\_formale Vermögen unseres Gemüths uns nur als denn nützlich, wenn sie unter der freien Willkühr stehen, so daß die unwillkührliche Aufmercksamkeit und Ab- 
stracktion
⌠Seite 64⌡
stracktion vielen Schaden thut. Wir finden√._\\_,⌡ daß Menschen unglücklich werden, daß sie √unwillkürlich_\\_unwillkührlich⌡ auf etwas attendiren, oder abstrahiren Z. E. beym Affect der Liebe attendirt_\\_attendirt⌡ der

/Seite_64

/Mensch unwillkührlich auf die Schönheit der Gestalt einer Person, und darüber vergießt er auf alles übrige zu attendiren_\\_attendiren⌡, was sein Glück dauerhafter macht. So attendirt der Mensch auf eine unwillkührliche Art auf eine Beleidigung, die ihm in einer Gesellschaft zugefügt ist, sie geht ihm im Kopf herum, und er kann sich ihrer nicht entschlagen, aber das Vermögen davon zu abstrahiren_\\_abstrahiren⌡, beruhigt das Gemüth sehr, ist das nicht, so bringt das Gemüth √Haß_\\_Has⌡ hervor, welches sehr unangenehm ist⌠,⌡ und das Gemüth befindet sich in
der
⌠Seite 65⌡
der Verfaßung, die ihm selbst unangenehm ist, und ihn stets √incommodirt_\\_inkommodirt⌡ und tadelt. Wenn ich aber die Kräfte des Gemüths unter der freyen Willkühr habe, und attendiren und abstrahiren

/Seite_65

/kann, wenn ich will, so schlag ich mir das aus dem Sinn, so ist das Uebel getilgt, und die Ungemächlichkeit und die Ursach. Denn wenn ein Mensch über jemanden aufgebracht ist, und der andere merckt es, und wird ihn noch mehr beleidigen, schlägt er sich das aber aus dem Sinn⌠,⌡ so ist der Beleidiger desto williger ihm ab- zubitten.
Ich muß abstrahiren vom Uebel das nicht mehr zu √andern_\\_ändern⌡ ist, und von allen √Ungemähligkeiten_\\_Ungemächlichkeiten⌡, so empfinde ich das Schöne der Welt. So wie man die Häs
lichkeit
⌠Seite 66⌡
lichkeit einer Person übersieht, wenn gute Gemüths Gaben sich zeigen, auf die man mehr √attendirt_\\_attendirt⌡. Ein Gedancke ist bey mir nicht in der Gewalt der mir aufstößt über alle Uebel, allein ich kann ihm dadurch √abhelfen_\\_abhelffen⌡,

/Seite_66

/daß ich davon √abstrahire_\\_abstrahire⌡ und ihn aus dem Gemüth schlage. So entspringen viele Uebel in der Gesellschaft dadurch, daß sich ein √ieder_\\_jeder⌡ selbst geltend machen will, und ein anderer darauf √attendirt_\\_attendirt⌡, aber man muß davon zu √abstrahiren_\\_abstrahiren⌡ suchen.
Das √eintzige_\\_einzige⌡ was «ein»der Mensch in Ansehung aller Uebel und Ungemächlichkeiten des Lebens thun kann, ist dieses, daß er von alle dem zu abstrahiren sucht, und wenn er sein Gemüth in sol- 
cher
⌠Seite 67⌡
cher Gewalt hat, √dann_\\_denn⌡ hat er auch sein √Schicksal_\\_Schicksaal⌡ in seiner Gewalt und ist im Stande das Angenehme zu genießen. Hypochondrische Leute haben den Fehler, daß sie durch die √unwillkührliche_\\_unwillkürliche⌡ Aufmercksamkeit worauf

/Seite_67

/√attendiren_\\_attendiren⌡, und sie sich gerne was √aus_\\_au«f»s⌡ dem Gemüth schlagen wollten, wenn sie nur könnten. Zerstreute √Leute_\\_Leuthe⌡ haben wieder den Fehler, daß sie von allem abstrahiren. Wenn die √hypochondrischen_\\_Hypochondrischen⌡ was gehört├,┤ oder gesehen haben, so geht ihnen das immer im Kopf herum, und es plagt sie beständig Z. E. wenn sie bey einer Hinrichtung zugegen sind. Es ist nicht zu befürchten, daß sie auch eine Mißethat begehen werden, sondern es ist der Fehler ihrer Willkühr, die nicht Macht
hat
⌠Seite 68⌡
hat zu abstrahiren.
Einem einzigen Gedancken muß man niemals ├lange┤ nachhängen, es mag der Gedancke seyn, von welcher Art er will, denn dadurch wird die Organisation des Gehirns

/Seite_68

/├gleichsam┤ laedirt. Einer Materie kann man lange nachdencken, aber nicht einem Gedancken, denn die Spur löschet sich im Gemüth nicht so leicht ab, indem √sich_\\_sie⌡ da├,┤ wo die Theile √geschwächt_\\_geschwacht⌡ sind, alle Uebel hinziehen, und alle Ge- dancken √da hinaus_\\_dahin aus⌡ laufen, so wie an einem Schaden, den man am Fuß hat alle ungesunde Säfte sich hinziehen. Also weder einem Gedancken der Freude noch der Andacht⌠,⌡ noch des Grams, noch der Speculation muß man lange
nachhängen.
⌠Seite 69⌡
nachhängen. Wer sich darinn geübt hat, der kann sein Gemüth den Augenblick in eine andere Stellung bringen, er kann vergnügt werden├,┤ wenn er kurtz vorhero misvergnügt war.
Der

/Seite_69

/Attention setzen wir die Discipation_\\_Dissipation oder die Zerstreuung des Gemüths entgegen. So kann man in einer Gesellschaft dissipiren├,┤ und von andern Dingen reden, und nicht davon wovon man √denckt_\\_denkt⌡, denn da man doch reden muß, so denckt man dem nach, was man redet, und vergißt darüber das vorige. Wer aber nur zuhört, der adhaerirt dem einen Gedancken an.
Die √Abstracktion_\\_Abstraktion⌡ scheint was willkührliches zu seyn, allein sie ist eine würckliche Ar-
beit
⌠Seite 70⌡
beit und Bemühung. Hat mans nicht in seiner Gewalt zu abstrahiren, so läuft die √Imagination_\\_Imagination ihren Weg⌠,⌡ so wie ein Strom Z. E. wenn ich einen Menschen sehe, so stelle ich mir sogleich seine gantze Gestalt vor,

/Seite_70

/und wenn ein Punckt an ihm merckwürdig ist, so adhaerirt das Gemüth ├immer┤ der merckwürdigen Stelle Z. E. es fehlt einem ein Knopf an dem Rock, oder es ist einem ein Zahn ausgefallen, so sieht man immer auf den fehlenden Knopf und auf die Zahnlücke. Ueberhaupt hat das Gemüth einen Hang alles zu vollenden⌠,⌡ und ein gewißes √Gantze_\\_gantze⌡ zu machen, daher ist es schwer zu abstrahiren. Wenn etwas zum Gantzen der Vorstellung gehört, ├und es fehlt etwas im Gantzen,┤ so gehört eine Bemühung dazu solche ver- 
bindende
⌠Seite 71⌡
bindende Vorstellungen abzusondern. Zu der Attention hat das Gemüth eine natürliche Kraft, und es wäre im

/Seite_71

/Stande sich auf einmahl alles vorzustellen⌠,⌡ wenn nicht Hinderniße wären. Die Abstracktion muß also das hindern, dahero auch solche Wißenschaften, die Abstracktion nöthig haben, schwerer sind. Durch die √Abstracktion_\\_Abstraktion⌡ wird das Gemüth in Schrancken gesetzt⌠,⌡ und abgehalten von der Bemühung zu dencken. Also braucht das Vermögen zu abstrahiren, mehr Cultur, als zu attendiren. Es ist dem Menschen schwer zu abstrahiren, und besonders denn⌠,⌡ wenn er sich die größte Mühe giebt Z. E. wenn man in einem Zeitpunckte ehrbar, und ernsthaft aussehen soll Z. E. wenn alle vom Tische auf- 
stehen
⌠Seite 72⌡
stehen und beten wollen, oder in der Kirche, und es √fällt_\\_fält⌡ was lächerliches vor: so

/Seite_72

/zwingt man sich sehr, und es hält schwer davon zu abstrahiren, obgleich die √Ersthaftigkeit_\\_Ernsthaftigkeit⌡ nur in Formalitaet beruht.

De perceptionibus complexis⌠,⌡ primitivis et adhaerentibus.

Wir müßen jede Vorstellung nackt und abgesondert von √allen_\\_allem⌡ betrachten, oder mit gewißen angehörigen und anhängenden Vorstellungen unter gewißer Begleitung sie erwegen und zwar deshalb um die Aufmercksamkeit zu reitzen, und die √Stärcke_\\_Starcke⌡ des Eindrucks zu vermehren Z. E. so √nimmt_\\_nimt⌡ ein Herr viele Bediente mit, wenn er sie auch nicht braucht, um sich einen
Eindruck
⌠Seite 73⌡
Eindruck zu geben⌠,⌡ und die Aufmercksamkeit

/Seite_73

/anderer zu reitzen. Das √gute_\\_Gute⌡ können wir auch nicht andern √rekommandiren_\\_recommandiren⌡ als durch die Begleitung⌠,⌡ und durch die Hinzuthuung von andern Vorstellungen. Rabner sagt√:_\\_,⌡ ein gesunder Verstand ist so wie Rindfleisch und Schweinfleisch für den Tisch der Bauren, aber eine Ragout_\\_Ragout⌡ von Thierheit mit der Säure von Witz, ist für einen fürstlichen Tisch. Wozu dienen die Bilder in der Rede, als daß sie die Haupt Vorstellung nur mit Brillanten auszieren √sollen_\\_solten⌡, und ein Ramen um das Bild auszuzieren. So macht man mehr √Complimente_\\_Complimente vor einen solchen Menschen├,┤ der schöne Kleider hat├,┤ als der sie nicht hat, und solche anhängende Vor- 
stellun- 
⌠Seite 74⌡
stellungen⌠,⌡ fließen

/Seite_74

/auf die Haupt Vorstellung, und verstärcken dieselbe.
Wo die Hauptvorstellung nicht mit adhaerirenden Vorstellungen ausgefüllt ist, so ist die Vorstellung trocken. Diese Trockenheit der Vorstellung ist oft nöthig um die √Hauptvorstellung_\\_Haupt Vorstellung⌡ desto reiner vorzutragen und einzusehen, indem durch die adhaerirende Vorstellungen die Hauptvorstellung verdunckelt wird. So geht es mit der Andacht, so daß die Menschen die adhaerirende Vorstellung eher für Andacht halten⌠,⌡ als die Hauptvorstellung selbst. Wenn also eine gantze Gemeine in einer einstimmigen Absicht zusammen ⌠kommt⌡, so ist das eine Art von Eindruck, der nur in der √For- 
malitaet_\\_Formalitaet
⌠Seite 75⌡
malitaet besteht, und den nennen

/Seite_75

/die Menschen Andacht, indem sie, wenn sie aus der Kirche kommen, nicht ein Wort aus der Predigt als aus der Hauptvorstellung wißen. Also wird oft die adhaerirende Vorstellung für die Hauptvorstellung genommen.

Von den Sinnen.

Die Sinne sind dasjenige, wodurch wir uns Dinge √unmittelbar_\\_unmittelbahr⌡ vorstellen. Wir können uns zweyerley Sinne gedencken, einen innren Sinn, wodurch wir uns selbst anschauen, und einen äußern Sinn, wodurch wir die Gegenstände außer uns wahrnehmen. Der innere Sinn giebt √dem_\\_den⌡ Menschen den Vorzug vor den unvernünftigen Thieren⌠,⌡ hierauf beruht
⌠Seite 76⌡
seine Persönlichkeit, daß er sich selbst anschauen und √beurtheilen_\\_betrachten⌡ kann.

/Seite_76

/Dadurch daß er sich seiner selbst bewust ist, ist er alles Glücks und Unglücks fähig, denn der Schmertz über ein Uebel ist nicht das Unglück⌠,⌡ sondern der Gedancke über ⌠diesen Schmertz, so ist auch die Freude über eine Glückseeligkeit nicht das Glück, sondern der Gedancke über⌡ diese Freude. Z. E. ein √Mädchen_\\_Mägdchen⌡, das den andern Tag auf den Ball geht, empfindet ein Vergnügen über die Freude, die es daselbst haben wird. Empfindet ein Mann ein Vergnügen über die Freude die er genießen √«soll» <will>_\\_will⌡⌠,⌡ so ist er kindisch. Also die √Betrübnis_\\_Betrübniß⌡ über den Schmertz und √des_\\_das⌡ Vergnügen über die Freude├,┤ kommt
vom
⌠Seite 77⌡
vom √Bewustseyn_\\_Bewust seyn⌡ des √innern_\\_inneren⌡ Sinnes. Es ist angenehm sich mit den äußeren Sinnen zu beschäftigen aber die Aufmercksamkeit über den ineren

/Seite_77

/Sinn ist beschwerlich und √Gewaltsam_\\_gewaltsam⌡, ob es gleich zur Revision nöthig ist, nur muß es nicht anhaltend seyn. Wer daher auf seine Empfindungen und Geschmack sieht⌠,⌡ der ist phantastisch. Der Landmann hat gar nicht auf sich acht, und bemerckt kaum⌠,⌡ daß er kranck ist, bis er im Bette liegt, das macht sein Geschäfte des äußeren Sinnes hält ihn davon ab, und das macht ihn auch gesund.
Wer keinen Gegenstand des äußeren Sinnes √statuiret_\\_statuirt⌡, der ist ein Idealist. Es giebt
auch
⌠Seite 78⌡
auch Idealisten des Geschmacks, die da sagen: es ist kein wahrer allgemeiner Geschmack, sondern Gewohnheit und angenommene √«Gewohnheit» Meinung_\\_Meinung⌡. Dieses Princip ist ein √Grund Satz_\\_Grundsatz⌡

/Seite_78

/der Ungeselligkeit, √wenn_\\_we«il»nn⌡ wir nicht einen allgemeinen Geschmack hätten, so könnten wir nicht zusammen aus einer Schüßel eßen. So √konnen_\\_können⌡ wir uns einen vernünftigen √Idealismus_\\_Idealismus⌡ vorstellen, der besteht darinn√:_\\_;⌡ daß unser Glück nicht von den äußern Dingen abhängt, sondern die Dinge den Werth haben, den wir ihnen geben. Sie müßen erst die Censur des Gemüths passiren Z. E. wenn jemand erben soll, und sich da- 
durch
⌠Seite 79⌡
durch ein √paradisisches_\\_paradiesisches⌡ Glück vorstellt, so ist nicht die Erbschaft solches Glück⌠,⌡ sondern die Vorstellung├,┤ die er davon hat√;_\\_,⌡ er hält es für ein großes Glück⌠,⌡ und her- nach sieht er, daß es ein Unglück ist, indem er sich Feinde

/Seite_79

/zugezogen, die auch √erben wollten_\\_Erben wolten⌡, und sich mehr √sorgen_\\_Sorgen⌡ auf den Hals geladen hat; hernach schreibt er das Unglück den Dingen zu. Also besteht das Glück nicht in den Dingen, sondern in der Art wie das Gemüth es aufnimmt. Das Gemüth kann darinn sehr viel thun, es kann sich die gantze Welt umformen. Hiezu giebt uns Gelegenheit die Nichtigkeit aller Dinge├,┤ und die Kürtze des Lebens. Dieses ist das einzige wodurch
wir
⌠Seite 80⌡
wir einsehen, daß die äußern Dinge nicht das Glück ausmachen. Das Gemüth kann also leicht einsehen, daß das wahre Glück in der Idee beruhe, und dieses ist der wahre Idealismus der vernünftig und practisch ist.
Die äußern Sinne afficiren den Cörper.

/Seite_80

/Einige afficiren ihn äußerlich⌠,⌡ andere innerlich. Die √ersten_\\_erstern⌡ sind Sinne der Anschauung├,┤ die andern Sinne der Empfindung.
In allen Sinnen sind zwey Stücke zu unterscheiden⌠,⌡ Anschauung und Empfindung. Die Sinne der Anschauung sind Objectiv⌠, die der Empfindung sind subjectiv. Die ersten stellen uns Gegenstände dar, die andern
⌠Seite 81⌡
bestehen in der Art, wie wir von ihnen afficirt werden Z. E. beym Sehen nehme ich Gegenstände war, aber beym Richen empfinde ich einen Eindruck.
Die Objectiven Sinne sind. Das Fühlen tactus welches von dem Gefühl überhaupt unterschieden ist, das √Horen_\\_Hören⌡ und Sehen. Die subjectiven Sinne sind der Geruch und Geschmack, Wenn wir das Gefühl mitrechneten, so √wären_\\_waren⌡ √Sechs_\\_6⌡ Sinne, aber dieses ist ein allgemeiner Sinn,

/Seite_81

/und heißt nicht tactus sondern Sensus_\\_sensus.

/Durch Objective Sinne erkenne ich die Gegenstände mehr, √aber durchs Subjektive_\\_als durch subjective nehme ich mehr den Genuß wahr. Durch den Tactum_\\_tactum erkennen wir die Substanzen_\\_substantzen, ohne welchen Sinn wir sie nicht erkennen könn- 
⌠Seite 82⌡
ten, sondern wir würden nur Erscheinungen wahrnehmen.
Das Hören ist ein Sinn, der in der Ferne wahrnimmt. Durch das √Hören_\\_Gehör <Hören>⌡ bekommen wir keinen Begrif vom Erkenntnis des Gegenstandes, sondern es ist nur ein Spiel der Empfindung. Das Hören stellt uns √den Gegenstand_\\_die Gegenstände⌡ ├nicht in ihrer Gestalt┤ dar√;_\\_,⌡ wir haben keine Vorstellung⌠.⌡ und Begrif √vom Gegenstande_\\_von Gegenständen⌡ als daß nur ein Gegenstand da sey. Weil das Gehör

/Seite_82

/uns keinen Gegenstand, sondern nur einen Eindruck davon √vorstellt_\\_darstelt⌡, so hat es folgenden Nutzen: es ist ein Sinn der Geselligkeit, es dient die Zeichen der Gedancken mitzutheilen, also ist es ein Mittel der Sprache, es dient
zum
⌠Seite 83⌡
zum Zeichen des Gegenstandes, also können die Figuren uns keine Zeichen der Gegenstände geben, sondern der Gegenstand selbst. Durchs Gehör theilen wir die Zeit ein. Alle Töne sind gleiche Eintheilungen der Zeit durchs Gehör. Unser Gemüth hat √groste_\\_große⌡ Feinheit, die Eintheilung der Zeit auf das genaueste einzusehen, indem es alle Schwingungen der Seite, die doch √proportionirt_\\_proportionirt⌡ sind, einsieht, obgleich eine Seite 6000 Schwingungen in einer secunde_\\_Secunde ausmacht.

/Seite_83

/Durchs Sehen erkenne ich die Gegenstände und bestimme sie. Das Gesicht stellt uns die Gestalten der Dinge im Raume dar und theilt den Raum ein. Also erkennen wir durchs Gefühl die √Substanzen_\\_Substanzen durchs
⌠Seite 84⌡
Gehör theilen wir, die Zeit und durchs Gesicht den Raum. Substanzen⌠,⌡ Raum und Zeit sind aber die √drey_\\_3⌡ Stücke der äußern Gegenstände.
Die √subjectiven_\\_Subjectiven Sinne sind, die unsern Zustand verändern, dahin gehört der Geruch und der Geschmack. Der bloße Zustand ohne Beziehung auf andere Dinge ist das Gefühl generaliter, und also kein besonderer Sinn, sondern er liegt allen zum Grunde Z. E. so √überfällt_\\_überfält⌡ einen Menschen ein Schaudern in einem tragischen

/Seite_84

/Stücke├,┤ in Zügen der Grosmuth, oder so schaudert einem, wenn jemand mit einem steinernen Griffel über den Stein fährt, oder wenn man auf was spitziges oder kanti- 
⌠Seite 85⌡
ges scheuert, wovon √kein Grund im Gefühl_\\_im Gefühl kein Grund⌡ anzugeben ist, als dieser: daß die Nerwen durch diese scharfe Töne aus ihrer Faßung gebracht werden. Der √Ge«b»r«a»uch_\\_Geruch⌡ und der Geschmack sind beide Sinne der Empfindung, wo die √Wir- kung_\\_Wirckung⌡ auf unsern √Körper_\\_Cörper⌡ chimisch ist, so wie bey den vorigen Sinnen die Wirckung mechanisch war. Chimisch ist ein Einfluß durch Auflösung der Säfte, wodurch der Cörper afficirt wird, mechanisch aber ist⌠,⌡ wenn die √Wirckung Würckung⌡ auf der Oberfläche geschiehet, als beym Gefühl durch den Druck,

/Seite_85

/beym Sehen durch den Stoß des Lichts, und beym Hören durch den Stoß der Luft. Aber
⌠Seite 86⌡
beym Richen und Schmecken, werden die Theile des Geruchs⌠,⌡ und die Saltze von den Säften des Cörpers erst aufgelöset, dann von den Organen abgenommen, und dann machen sie √<erst>_\\_erst⌡ ihre Wirckung. Daher kann keiner mit trockenem Munde schmecken. Beym Schmecken ist die saliva das vehiculum_\\_Vehiculum, diese löset die Theile des √Körpers_\\_Cörpers⌡ auf, sie ist flüßig und vom Speichel zu unterscheiden. Beym Geruch ist das vehiculum die Luft, welche die Theile auflöset⌠,⌡ die durch die Nase vermittelst der Luft in die Lunge gezogen werden. Also sind Geruch und Geschmack √zwey_\\_2⌡ Sinne des Genußes. Was wir
⌠Seite 87⌡
riechen, vermischt sich mit

/Seite_86

/unserm Geruch├,┤ und das Schmecken vermischt sich mit den Säften, also sind das die mächtigsten Sinne. Daher giebt es keinen andern Sinn des Eckels als diese √zwey_\\_Zwey,⌡ es sey denn⌠,⌡ wenn ein anderer mit ihnen verbunden wird, es kann wohl was Wiederwillen hervorbringen, aber Eckel entsteht durch die Berührung, daher der Eckel schwer zu beschreiben ist; es ist ein Wiederwille├,┤ ein besonderer Abscheu, der nur bey dem Genuß statt findet. Der Sinn des Geruchs hat das wenigste Urtheil, dahero auch Kinder und viele Wilden nichts riechen, er ist der feinste├,┤ und muß √informirt_\\_informirt⌡ werden, und man
⌠Seite 88⌡
kann ihn √vor_\\_von⌡ allen Sinnen am meinsten entbehren. Die äußere Sinne

/Seite_87

/sind Sinne der Beurtheilung, diese aber der Empfindung, wir werden dadurch am √meisten_\\_meinsten⌡ √afficirt_\\_afficirt⌡, also dienen sie nicht dazu den Gegenstand kennen zu lernen, sondern nur meinen eigenen Zustand zu empfinden, sie gehen uns also am √meisten_\\_meinsten⌡ an, denn wenn ich sehe, so gebe ich auf den Gegenstand acht, wenn ich aber rieche und schmecke⌠,⌡ so gebe ich auf die Malification acht├,┤ wie mein Cörper afficirt wird, dahero sind sie Sinne des √größten_\\_großten⌡ Eindrucks. Beym Sehen ist das Object stärcker als das Subject, bey den andern Sinnen aber ist
⌠Seite 89⌡
das √Subject_\\_subject √stärcker_\\_starcker⌡ als das Object. Ein häslicher Gegenstand des Gesichts afficirt mich nicht so sehr, als ein häslicher Gegenstand des Geruchs, denn durch den

/Seite_88

/Geruch wird der Gegenstand innigst aufgenommen, und mit dem Cörper vermengt.
Die objectiven_\\_Objectiven Sinne geben mehr √Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡, und geben Anlaß zur Reflexion, die √subiektiven_\\_subjectiven Sinne aber haben mehr Sensation als Reflexion_\\_Reflexion⌡. Die Sinne kommen der Bearbeitung und der Vorstellung des Verstandes näher, je feiner der Stof von ihnen ist. So ist das Gefühl dem Stof nach der gröbste Sinn, indem wir die Körper nur in so ferne fühlen als sie undurchdringlich sind, der
⌠Seite 90⌡
Geschmack ist schon feiner, den wir schmecken etwas vermittelst der Auflösung der Materie des Saltzes, also ist der √Stoff_\\_Stof⌡ schon feiner; der √Stoff_\\_Stof⌡ des Geruchs ist noch feiner, denn da löset die Luft den Cörper auf, welche Auflösung feiner ist, als die durch

/Seite_89

/die saliva. Das Gehör ⌠geschiehet⌡ geschiehet ⌠nur⌡ durch pure Luft, und das Gesicht ist das feinste, indem es vermittelst des Lichts geschiehet. Die Sinne sind edler⌠,⌡ √je mehr_\\_jemehr⌡ Menschen einen Antheil an ihnen nehmen können, und je mehr sie uns die Gegenstände gemeinschaftlich machen, und die sind auch die gesellschaftlichsten Z. E. das Gesicht ist der gemeinschaftlichste Sinn, denn
⌠Seite 91⌡
ein Haus kann beständig von etlichen 1000 Menschen zugleich gesehen werden. Er ist also ein Hauptsinn des Geschmacks, denn der Geschmack bezieht sich auf eine allgemeine Mittheilung, daher Menschen die gesellschaftlich sind, solche Gegenstände der allgemeinen Mittheilung lieben Z. E. Schildereien. Das Gehör ist der √zweite_\\_zweyte⌡ Sinn⌠,⌡ der sich mittheilen läßt, die Mittheilung ist aber nicht so lange, wie beym Gesicht Z. E. eine Rede, eine Music

/Seite_90

/können viele anhören. Wenn ich was sehe oder höre so urtheile ich nicht bloß durch meinen Sinn, sondern auch vermittelst der Sinne anderer Menschen. Mit dem Geruch ist es
⌠Seite 92⌡
auch so √bewand_\\_bewandt⌡, dahero wird jeder darauf sehen, damit ein Gegenstand auch andern gut riechen möchte. Der Geschmack ist weniger mitzutheilen, denn wenn ich aus meinem Teller speise, so bekümmere ich mich nicht, wie es andern schmeckt, aber der Gegenstand des Geschmacks läßt sich √doch_\\_<doch>⌡ auch verthei- len, wohl nicht so, √als_\\_wie⌡ bey der Music, denn die speiset alle Ohren √auf einmahl_\\_aufeinmahl⌡. Das Gefühl nimmt gar keine Theilnehmung, es beruht also der Vorzug der Sinne⌠,⌡ auf die allgemeine Mit- theilung derselben.

/Seite_91

/Das Gehör giebt keine Gestalt und
⌠Seite 93⌡
Begrif vom Gegenstande├,┤ aber Empfindung. Das Gesicht giebt keine Empfindung, aber Gestalt. Demnach ist das Gehör ein Spiel der Empfindung, und das Gesicht ein Spiel der Gestalt. Das manig- faltige der Zeit nach ist ein Spiel, dahero ist Music ein Spiel der Empfindung. Das manigfaltige dem Raum nach ist Gestalt, dahero ist das √Tanzen_\\_Tantzen⌡ ein Spiel der Gestalt. Ein Spiel kann es in so ferne heißen, weil es nach und nach geschicht, also in Relation der Zeit. Ein Spiel afficirt mehr als die Gestalt, weil es Empfindung ist. Wenn das Spiel das √Gantze_\\_gantze⌡ des Menschen erhält, so wird der
⌠Seite 94⌡
Mensch belebt, das Spiel der Gestalt hat auch Empfindung, es geht aber mehr auf den

/Seite_92

/Gegenstand, deswegen werden wir nicht so afficirt√,_\\_;⌡ es ist doch aber Empfindung durch das Licht und durch die Farbe, diese machen die √verschiedenen_\\_verschiedene⌡ Arten der Empfindung, also könnten wir auch ein Spiel der Empfindung durch die Augen haben. Die Gestalt ist nur die Form⌠,⌡ aber die Farbe ist ein Spiel der Empfindung. Man dachte schon durch die Farben Consonanzen und Dissonanzen, so wie durch die √Tönen_\\_Töne⌡ beym Gehör geschicht hervor zu bringen, und ein Spiel der Empfindung durch die Augen zu machen. Allein bey den Tönen
⌠Seite 95⌡
kommt eine Menge von Tönen in kurtzer Zeit, das Licht ist aber nicht so starck, wie die Luft die auf uns würckt. Der Schall summt und klingt

/Seite_93

/uns noch, also ist der Eindruck länger, indem ein Ton den andern erreicht, folglich ist beym Gehör eine Continuitaet_\\_Continuitaet, aber wenn die Farbe vorbey ist, so ist auch der Eindruck vorbey. Indeßen ist es doch √eini- germaaßen_\\_einigermaßen⌡ ein Spiel der Empfindung. Dieses ist auch der Grund, warum diese oder jene Kleider den Menschen beßer kleiden als andere Z. E. Menschen √von_\\_vom⌡ blonden Gesicht, müßen blaße Kleider tragen. √Uberhaupt_\\_Ueberhaupt⌡ kann man mercken√:_\\_.⌡ Wenn zwey zusammengemischte Far- 
⌠Seite 96⌡
ben eine vollständige Farbe herausbringen, so kleidet es dem Menschen, wo das aber nicht geschiehet, so kleidets ihm nicht. Die Ursache ist√:_\\_.⌡ An den √Grenzen_\\_Grentzen⌡ der Farben werden die Farben in den Augen vermengt├,┤ √kommt_\\_komt⌡

/Seite_94

/eine vollständige Farbe heraus, so kleidet das, kommt nicht eine vollständige Farbe heraus, so gefällt es nicht. Z. E. wenn viel blau ⌠ist⌡, und wenig gelb, so kommt eine vollständige Farbe nemlich grün heraus, dahero kleidet ein blauer Rock und eine √gelb_\\_gelbe⌡ Weste├,┤ aber wenn viel gelb und wenig blau vermengt wird, so kommt eine schmutzige Farbe heraus, dahero kleidet auch nicht ein gelber Rock und eine blaue
⌠Seite 97⌡
Weste. So kleidet auch ein blauer Rock zu einer rothen Weste⌠,⌡ aber nicht umgekehrt. Darnach kann man den Gout des Menschen beurtheilen. Das Gehör ist der √einzige_\\_eintzige⌡ Sinn, der in das lebhafteste Spiel

/Seite_95

/kann √versetzt_\\_versetzet⌡ werden, und es ist auch pure Empfindung. Die Sphäre und der Umfang des √Gefühls_\\_Gesichts⌡ ist der √größte_\\_Größte⌡, nachdem aber √auch die_\\_die auch⌡ des Gehörs. Der entbehrlichste Sinn beym √Alten_\\_alten⌡ wäre das Gehör, bey den Kindern ⌠aber⌡ das Gesicht. Denn das Gehör ist ein Organon der Vernunft√;_\\_,⌡ ohne Gehör kann keine Sprache, und ohne der Sprache kein Zeichen der Begriffe, und ohne das kein Gebrauch des Verstandes statt finden. Ein √Alter_\\_alter⌡ aber, der das schon hat, kann das Gehör entbehren; das Kind aber ohne Gesicht macht sich andere Erfindun-
⌠Seite 98⌡
gen Gegenstände zu erkennen. Das Gehör ist also der wichtigste Sinn in Acqvisition_\\_acqvisition der Erkenntniße, aber in √Ansehung_\\_Ansehung«s»⌡ des Gebrauchs der Welt das Gesicht. Alle Sinnen haben

/Seite_96

/eine eigenthümliche Benennung Z. E. √Beym_\\_beym⌡ Gesicht ist roth, grün, gelb⌠,⌡ beym Geschmack ist süß, sauer p⌠.⌡ aber der Geruch kann keine eigentliche Benennung haben, sondern wir entlehnen die Benennung von andern Sinnen Z. E. es richt sauer, oder hat Rosen, Nelcken Geruch, es richt wie Biesam. Das sind aber alles Benennungen anderer Sinne. Mithin können wir den Geruch nicht beschreiben. Der Geruch kann excolirt werden. √Es_\\_Er⌡ belebt und vergnügt uns nicht so sehr durch seine Annehmlichkeit als wie er uns durch seine √Unannehmlichkeit_\\_Unnehmlichkeit⌡ √incom- 
modiret
⌠Seite 99⌡
modiret_\\_incommodirt⌡. Wir empfinden wohl zehn unangenehme Gegenstände des Geruchs, ehe wir einen

/Seite_97

/angenehmen empfinden, dahero sich auch einige Personen⌠,⌡ als Frauenzimmer balsamiren, nicht so, daß sie den angenehmen Geruch √empfinden_\\_empfänden⌡, als √daß_\\_das⌡ sie von andern möchten gerochen und empfunden werden. Der Geschmack aber vergnügt mehr als der Geruch. So intereßirte jenen Wilden in Paris nichts so sehr als die Garküche, und so liefen alle Zuhörer der Gedichte Homers weg⌠,⌡ als die Fischglocke gezogen wurde⌠,⌡ bis auf einen der es nicht hören konnte. Wer seinen Geruch verfeinert hat, dem reitzt er auch sehr die Nerwen, so daß├,┤ wenn der gesunde Geruch gar zu starck ist, man in Ohnmacht fallen √kann_\\_ka«ö»nn«te»⌡. Der Geschmack erfor- 
⌠Seite 100⌡
dert die

/Seite_98

/mehreste Befriedigung, indem durch den alles paßirt, was zur Erhaltung des √Cörpers_\\_Körpers⌡ gehört, und er ist auch mit dem Wohlbefinden des Menschen connectirt├,┤ denn der gantze Speise √Canal_\\_Canal hat Empfindsamkeit, durch welche er alle das √respi- cirt_\\_respicirt, was dem √Cörper_\\_Körper⌡ zuwieder ist, und das acceptirt⌠,⌡ was ihm angenehm und dienlich ist. Die Natur hat uns den Geschmack dazu gegeben, daß wir durch ihn examiniren sollen, was unserm √Cörper_\\_Körper⌡ dienlich ist, welches wir auch ohne darauf zu sehen thun. Und nach der Verschiedenheit der Disposition des Cörpers ist auch sein Geschmack verschieden. Ist der √Cörper_\\_Körper⌡ kräncklich, so hat man Eckel

/Seite_99

/für Fleisch und Appetit zu etwas saures, welches eben auch dem Cörper dien 
⌠Seite 101⌡
lich ist. Also müßen die Driesen, Eingeweide und alles zusammen ein System ausmachen, und der Geschmack √annimirt,_\\_examinirt⌡ was demselben zuträglich ist.

Von Unterschiede der Sinne├,┤ ob sie scharf oder fein, stumpf oder zart sind├.┤

Der Sinn ist scharf zur Wahrnehmung, und fein zur Untersuchung und Beurtheilung. Ein zarter Sinn ist, bey dem das Subject durch den Einfluß und Eindruck √verandert_\\_verändert⌡ wird. Zart in Ansehung der Sinne ist keine Vollkommenheit├, aber scharf und
/Seite 100
/fein ist eine Vollkommenheit┤ der Sinne. Ein Mann von einem scharfen Sinn wird durch einen Eindruck nicht bloß verändert, aber er ist scharf in Wahrnehmung und fein in Beurtheilung. Die Frauenzimmer und Kinder sind von
⌠Seite 102⌡
zarten Sinnen. Wer seinen Zustand des √Körpers_\\_Cörpers⌡ nicht fühlt, der ist gesund, wir fühlen nur die größeren Hinderniße und Beförderung des Lebens, daher fühlt der Mensch seine √Ausdünstungen_\\_Ausdünstung⌡ und den Umlauf des Bluts nicht. Aber eine √größere_\\_äußere⌡ Aufmunterungs Trieb zur Bewegung fühlt er. Wer seinen Magen fühlt⌠,⌡ der ist am Magen kranck.

/Seite_101

/Wir rechnen zu den Sinnen nicht nur Empfindung und Anschauung, sondern auch Urtheil und Beurtheilung, deßen wir uns aber nicht mehr bewust sind, weil wir schon von Jugend auf √geurtheilet_\\_geurtheilt⌡ haben.
Die Sinne müßen √instruirt_\\_instruirt⌡ und excolirt werden. So kann ein Blinder sein Gefühl excoliren, so daß er die Gegenstände gut unterscheiden kann, er kann es also √kulti 
⌠Seite 103⌡
wiren_\\_cultiviren⌡. So übt ein Jäger sein Gesicht. So hatten jene, die einen Ancker Wein im Felde truncken⌠,⌡ ihren Geschmack so excolirt, daß der eine sagte: der Wein schmeckt nach Eisen, und der √andre_\\_andere⌡ sagte: er schmeckt nach Leder; beide hatten

/Seite_102

/recht, denn es war ein Schlüßel mit einem ledernen Bande im Ancker.

/Einige Sinne sind stumpf⌠,⌡ und andere fein. So hat einer einen stumpfen Sinn, und ein feines Urtheil, und der einen feinen Sinn hat⌠, der hat⌡ ein stumpfes Urtheil. Das Urtheil erwirbt man sich durch die Uebung. Ein √alter_\\_Alter⌡ urtheilt beßer als ein Junger√,_\\_;⌡ denn er hat Uebung gehabt. Also ist zu untersuchen, ob die Feinheit des Sinnes oder das Urtheil vorzuziehen ist. √Je_\\_Ie⌡ stumpfer ein Sinn ist, desto lieber mag er
solche
⌠Seite 104⌡
solche Gegenstände haben├,┤ die starcken Eindruck √machen_\\_haben<machen>⌡. Die √orientalischen_\\_Orientalische⌡ Völcker haben stumpfe √Sinne_\\_Sinnen⌡, deswegen bedienen sie sich starcker Gewürtze. √Je_\\_Ie⌡ feiner der

/Seite_103

/Sinn ist, je weniger liebt er solche Gegenstände, die starcken Eindruck machen. Die √Orientalische_\\_orientalischen⌡ Volcker haben stumpfe √Sinne_\\_Sinnen⌡. So verrathen Leute einen stumpfen Sinn, wenn sie Gegenstände von starckem Eindruck haben Z. E. in Kleidern├,┤ oder Speisen oder im √Tranck_\\_Getränck⌡. Zu Anfang gebraucht man mildere Sachen Z. E. süßen Wein, oder wohl richenden Toback, wenn aber die Sinne stumpfer werden, so √nimmt_\\_nimt⌡ man das √stärckste_\\_starckste⌡. In der neuen Zeit hat man einen neuen Sinn erfunden, von dem die √Alten_\\_alten⌡ nichts gewust haben, nemlich einen Geschmack der Nase⌠, welches kein⌡

/Anfang Lücke 399
geht aber
auf saltzige Theile. Wer starcke Vorstel-
lungen im tragischen Stück verlangt

/ hat

/Seite_104

/hat einen stumpfen Sinn. Das Alter macht
alle Sinne, die äußeren und inneren
stumpf.

/Von diesem stumpfen Gefühl dependirt
aber das Wohlbefinden des alten. Er fühlt
nicht die Uebel der destruction seines Cör-
pers.

Beförderung der Empfindung und
Schwäche der Sinne.

/Durch oftere Empfindung wird das Urtheil
der Sinne über den Gegenstand leichter@¿,¿@
aber desto schärfer wird der Eindruck des
Gegenstandes. So weiß ein Musicus gut
die Music zu beurtheilen, aber sie macht
auf ihn nicht mehr solchen Eindruck, sie
reitzt ihn nicht so wie einen andern.
Andere Dinge schwächen die Empfindung

/ der

/Seite_105
/der Sinne als der Schlaf, die Schläfrigkeit
das Opium.
/In Ansehung des Betragens des Men-
schen, so schwächen die Zerstreuungen die Em-
pfindung. So schwächte ein Uebelthater die
Empfindung der Schmertzen, indem er die
Tortur ansah, so bald ihm aber die Au-
gen zugebunden wurden, so konnte er
es nicht aushalten. So verliert ein Dispu-
tir Geist die Schmertzen des Podagra, wenn
man sich mit ihm streitet, so wie oft eine
Kranckheit durch ein pletzliches erschreken
verlohren wird. So glaubte eine Magd
der ein Funcken auf die Hand fiel und
@¿sie¿@ an den Schmertz im Fegfeuer dachte,
daß man sich deßen mit der Zeit ange-
wöhnen könne. Die Einerleyheit schwächt
/ die

/Seite_106

/die Empfindung der Sinne. So schläfert
So schläfert die Monotonie des Predigers,
wenn er auch laut redet, die Sinne ein,
so bald er aber still ist, wachen sie alle
auf. Die Neuigkeit stärckt die Empfindung.
so starckt der Morgen des Tages Empfin-
dung des Menschen, weil er neu ist, da-
her der Morgen sehr gerühmt wird.
Die Abwechselung gehört auch dazu, wenn
zwischen allen Vorstellungen andere
dazwischen kommen, so werden die alten
wieder neu. Daher muß man ein
Vergnügen, durch die Seltenheit solches
zu genießen, neu erhalten, so wird
es immer angenehm seyn. Die Abste-
chung erhebt auch die Vorstellung. So
werden die Gegende im Morgen ge- 

/ prie- 

/Seite_107

/priesen, weil sie mit Wüsten umgeben
sind. So gefällt es den Stadtleuten in der
Landluft, weil sie in der Stadt eingeschlo-
ßen sind.

/Es giebt Abstechungen, die bloß aus der
Unerwartung kommen, und die uns
gefallen, bloß weil wir es nicht ver-
muthet haben. So gefält uns ein kluges
Kind, weil wir es uns nicht von ihm vor-
stellten, so gefält uns ein kluges Frauen-
Zimmer aus eben demselben Grunde.
Eben so Soldaten und Officire die gelin-
de sind, und Vornehme, die herablaßend
sind, also macht das Eindruck, weil wir
uns das nicht vermuthet haben, und
wir schieben solches auf die Rechnung der
Gegenstände.

/ Vom

/Seite_108

/ ≥ Vom Schein

/Ein Schein ist ein Grund der aus subjecti-
ven Gesetzen hergeleitet ist, er ist ein sub-
jectiver Grund des Urtheils, ein solcher Grund
ist immer zweydeutig, die Gründe müßen
aus den Gegenständen entlehnt seyn,
und nicht aus den subjectiven Gründen
des Gemüths, er ist zwar ein Grund,
aber nicht hinreichend. So fern der Schein
unrichtig ist, denn ist er entweder eine
Illusion oder ein Betrug. Der Schein
ist kein Urtheil, sondern ein Grund zum
vorläufigen Urtheil. Es wäre sehr
nötig, wenn in der logic auch ein
gantz apartes Capitel von den vorläu-
figen Urtheilen wäre, die zu mehre-
ren Empfindungen Anlaß geben möch- 

/ ten

/Seite_109

/ten. Aller Schein ist zuerst eine Pension
wenn er mit der Erkenntnis der Wahr-
heit zusammenstimmen kann. Aller
Schein ist aber Betrug, so bald er nicht
mit der Erkenntnis der Wahrheit über-
einstimmt. So sind die Kleider ein Schein
der Illusion, wir haben für einen Men-
schen, der schone Kleider hat schon mehr
Achtung, sie machen in uns einen Ein-
druck für den Menschen, obgleich wir ihn
sonst sehr gut kennen. So gefällt der Sohn
dem Vater im neuen Rock beßer, den er
ihm doch selber machen ließ. So machen
die Menschen in gewißen Gerichten als
in Franckreich mit ansehnlichen Kleidern
einen Eindruck auf den Menschen, und
obgleich der Mensch jeden von diesen Ge- 

/ richts

/Seite_110

/richts Herren kennt, so geht doch bey
ihm eine Illusion vor. So machen die
Kleider der Frauenzimmer die eine Net-
tigkeit bey sich führen eine Illusion
auf uns, obgleich wir sie recht gut ken-
nen. Solche Illusion in Kleidern ge-
fällt aber, weil der Schein mit der Erkennt-
nis der Wahrheit übereinstimmt. Der Be-
trug gefällt aber nicht, denn er ist blos
eine Schmincke, und wenn die abge-
wischt ist, so kommt eine Todte Bläße
zum Vorschein. Ich weiß also, daß mein
Urteil hier mit der Erkenntnis der
Wahrheit nicht übereinstimmt, deswe-
gen misfällt es mir, weil ich weiß,
wie ich betrogen werde Z.E. Taschen- 

/ spieler

/Seite_111

/spieler. Eben so betrügen die Sinnen den
Verstand, daher muß der Verstand zur
Vergeltung der Sinne wieder betrügen.
Gewalt kann man dem Betrug der Sin-
ne nicht entgegen setzen, weil es ei-
ne List der Sinne ist, dieser List aber
muß der Verstand eine andere List ent-
gegen setzen, und das thut der Verstand
auch und hintergeht die Sinne mit List.
Alle sinnliche Vergnügungen und Lei-
denschaften hintergehen den Verstand,
indem sie mehr versprechen und größe-
re Hofnung machen, als sie hernach würck-
lich leisten, und man traut gleich den
Versprechungen der Sinne. So verspricht
sich jemand auf Reisen sehr viel neues

/ zu

/Seite_112

/zu sehen und verhoft sich, das im frem-
den Lande zu finden, was in seinem Lan-
de nicht ist, und hernach findet er, daß alle
Länder gleich sind. So gehts mit allen
Neuigkeiten, und alles was uns die Sin-
ne versprechen betrügt sehr den Verstand.
Allein auf der andern Seite hintergeht
der Verstand die Sinne wieder, und die-
ses Kunststück liegt in der Natur des
Menschen Z.E. in der Geschlechter Meinung
liegt etwas zum Grunde, was bey allen
Thieren ist, allein der Verstand betrügt
hier die Sinne, die auf das thierische
gehen, er beschreibt ihnen gantz enthusi@¿a¿@-
wistisch die Schönheit der Person, er formirt
ihnen ein Ideal wodurch sie sich hinterge- 

/ hen

/Seite_113

/hen, sie halten sich dennnoch dabey auf
und vergeßen das andere, daher betrügt
der Umgang mit Frauenszimmern die
Sinne, sie werden durch den Umgang
davon abgelenckt, worauf sie gehen
wollen, sowie man ein Kind durch ein
Spiel von was anderm abzuhalten sucht,
so werden auch die Sinne vom Ver-
stand «abgehalten» <hintergangen>. Die Hofnung eines
künftigen beßeren Zustandes hält uns
schadlos in dem gegenwärtigen Unglück.
Es ist eine Aussicht in die Zukunft, so wie
in einen optischen Kasten, und keine
Realitaet, es vergnügt uns, so lange
wir es sehen. So ist einem 70jährigen
Greise der Tod sehr nahe, aber er weiß

/ sich

/Seite_114

/sich doch durch Hofnung zu schmeicheln,
er hat keine Furcht vor dem Tode, ob
er gleich weiß, daß er sterben muß,
und ihn auch die Erfahrung täglich da-
von belehret, allein er macht Projecte
sein Leben täglich angenehm zu ma-
chen, der Tod dünckt ihm noch sehr ent-
fernt er berechnet die Zeit nicht,
und betrügt sich also hierinn selbst.

/Ueberhaupt spielt der Mensch im
gesitteten Zustande eine Rolle, und
die menschliche Gesellschaft ist im ge-
sitteten Zustande eine Schauspieler
Gesellschaft, und in einer Gesellschaft
ist der Mensch immer im Zustande des
Zwanges. So hat jeder in der Gesell- 

/ schaft

/Seite_115

/schaft vor dem andern Achtung, er
wählt jederzeit das, was auch andern
gefält, er hat eine Sorgfalt in den Klei-
dern, er nimt eine solche Stellung
an, in welcher er gefällt, er führt
sich bescheiden auf, und spielt immer
die Rolle des Zwanges, welche sehr künst-
lich ist. Wir fordern auch wohl oft, daß
Personen in einer Gesellschaft einen
Schein oder eine fremde Rolle anneh-
men sollen. Z.E. von einem Prediger
wollen wir haben, daß er sich nicht so
natürlich in einer Gesellschaft zeigen
soll, als andere Menschen, sondern daß
er etwas ernsthaft erscheine. Ein je-
der spielt immer die Rolle des Zwanges

/ in

/Seite_116

/in der Gesellschaft. So führt sich das Frau-
enzimmer in der Gesellschaft sittsam auf,
obgleich wir wißen, wie sie sonst beschaf-
fen ist, und es macht doch uns eine
Illusion. Und wenn ein Parlaments Rath
so ernsthaft ist, als wenn er die wichtig-
sten Sachen im Kopfe hat, so macht das
bei uns eine Illusion, obgleich wir wi-
ßen, daß er zu Hause spaashafte Hand-
lungen treibt. Ueberhaupt ist das mensch-
liche Leben und seine Handlungen
ein Spiel. Solche Illusionen sind gutar-
tig und machen das Leben angenehm,
sie gefallen allen, und wer sie aus-
rotten wollte der thäte dem Menschen
keinen Gefallen. Indem sie die Menschen

/ zwingen

/Seite_117

/zwingen Achtung für einander zu ha-
ben, so gewöhnen sie sich mit der Zeit dar-
an. So zwang sich der Mann und die Frau
ihre Gäste denen sie nicht viel zu Mit-
tage vorsetzen konnten, sehr höflich auf-
zunehmen, so daß sie sich hernach würcklich
daran gewöhnten, und die Gäste mit
dem großten Vergnügen von ihnen schie-
den. So ist man in der Gesellschaft mit
Wohlwollen und guten Gesinnungen
gegen einander angefüllt; obgleich in ei-
ner solchen Freundschaft und ei-
ner solchen Geschlechter Meinung, wo
man dergleichen gute Gesinnungen
gegen andere äußert, man noch viel
Selbstliebe und Eigennutz in sich be- 

/ hält

/Seite_118

/hält; so gefällt einem doch eine solche
sanfte Illusion und man will die De-
cke des Eigennutzes von sich abnehmen.
Der Mensch äußert gegen andere ein
großes Wohlwollen, und er betrübt sich
und andere, wenn sich ein Fall
ereignet, daß der andere in Noth und
Verlegenheit geräth, so zieht man sich
zurück, dahero Socrates mit Recht sagt:
Meine Freunde, es giebt keine Freun-
de. Eine solche Erklärung der Freund-
schaft gefällt uns doch aber, und wir
freuen uns einen solchen Freund
zu haben von dem wir doch wißen,
daß er uns in der Noth nicht so bey-
stehen würde, wie er sich äußert dem- 

/ nach

/Seite_119

/nach muß man niemals einen Freund
in der Noth um so etwas ansprechen,
was ihm Geld kostet, denn sonst verliert
man ihn. Alle Aeußerungen in der Wahr-
heit werden in der Gesellschaft für Schein
gehalten, und es ist auch so, dahero in
einer solchen Gesellschaft, wo man die
Rolle des Zwanges nicht spielt, wo sich
keiner was übel nimmt, alles gantz
dissolut zugeht. Es ist also eine solche Il-
lusion in der menschlichen Gesellschaft
sehr nötig.

/Der Betrug ist aber ägerlich, weil ich weiß
daß ich betrogen werde, dahero hat kein
Mensch der Hang zur Wahrheit hat ein
Vergnügen an den Taschenspieler, aber der
optische Schein gefält.

/ Von

/Seite_120

/ ≥ Von den Vorstellungen, wie sie durch
die Verschiedenheit einen Unterscheid
gegen einander machen, und die ei-
ne die andere dadurch ins Licht setzt;
also von der Abstechung, Abwechselung
und Wiederspruch

/Wir können Dinge contrastiren, um sie
zu unterscheiden, und jedes derselben
in die Augen fallen zu machen. So ist es
nöthig, einen Menschen, der im Wohlle-
ben gewesen, in eine Gesellschaft von
elenden und arbeitenden Menschen zu
bringen, damit er den Abfall einsieht.
So ist es ein Contrast oder Abstechung, wenn
man einen Menschen aus einer lermen-
den Gesellschaft mit einmahl in eine

/ gantz

/Seite_121

/gantz Stille versetzt. Wenn man also
Dinge die sich wiederstreiten mit ein-
ander vergleicht, so entsteht eine Abstechung
Z.E. der Reitz der Tugend verglichen mit
der Abscheulichkeit des Lasters.

/Durch den Wiederspruch werden die Vor-
stellungen auch in ein anderes Licht ge-
setzt. Dieses geschieht, wenn wir Dinge, die
sich wiederstreiten mit einander ver-
einigen und verknüpfen. Bey der Ab-
stechung vergleichen wir nur wiederstrei-
tende Dinge, wenn sie aber vereinigt
werden, so wird ein Wiederspruch. Wo
der Contrast comisch ist so ist des Virgils Koran
ein Heldengedicht. So ists ein comischer Con-
trast Z.E. prächtige Kleider und schwartze
Wäsche, gutes Aussehen und schlechte Manie- 

/ ren

/Seite_122

/ren, Armuth und Hoffarth, pöbelhaftes
betragen und Anmaßung guter vorneh-
mer Erziehung. Solche Schriften die comisch
contrastiren sind die launigsten Schriften
und gefallen sehr. Launigt ist der einige
Anschau, den wir den Dingen geben aus
der Disposition des Gemüths aus der wir
es beschauen, wovon unten ein mehre-
res. So kann das Laster als Abscheulich
und als ungereimt vorgestellet wer-
den. Es ist die Frage, was beßer ist, das
Laster mit dem Merckmahl des Abscheues
und des Zornes zu declariren, oder in
einer Laune es ungereimt, läppisch
und lächerlich zu machen. Das letzte ist
vorzuziehen. Der Mensch wird mehr durchs
Auslachen, als durch zornigen Tadel cor

/ rigirt

/Seite_123

/rigirt. Der Zustand und die Situation
des Gemüths ist beßer, wenn man einen
Spott aufs Laster wirft, als wenn man
es mit Zorn und Abscheu betrachtet. Fil-
ding schreibt so launigt, er mahlt den Gei-
tzigen in der lacherlichsten Gestallt, wo er
verächtlicher wird als wenn ich ihn von
der bösen Seite schildern wollte. Diese
Art zu contrastieren ist die beste Manier,
die das Gemüth aufgeweckt und zugleich
den lasterhaften lächerlich macht. So kann
man den Schertz aus den Reden der Menschen,
die voll von Wiedersprüchen sind, solche Wie-
dersprüche aufsuchen und vorbringen. Die
Engelländer geben darauf sehr acht, und
nennen das alsdenn einen Ballen, indem
sie als dann sagen: der oder jener hat einen

/ Ballen

/Seite_124

/Ballen gemacht. Es dient mit zu den Ein-
fällen des Witzes.

/Um das Gemüth durch Abwechselung in
Klarheit zu versetzen, gehört Neuigkeit
welche der Einerleyheit entgegen gesetzt
ist. Seltenheit Manigfaltigkeit dienen durch
das Verhältnis darinn sie stehen dem Ge-
müth Vorstellungen zu machen. Unser Ge-
müth geräth in Schlaf, wenn es mit einer-
ley beschäftigt ist. Zur Seltenheit gehört ein
eingeschränkter Kopf Z.E. ein solches Buch
zu halten, was in wenigen oder nur in
einer Hand ist. Es liegt nicht allein in der
Relation und in der Art dem Gemüth gewi-
ße Eindrücke zu geben, sondern auch dem
Grade nach. Die Monotonie schläfert ein,
dahero muß der Aufsprung und Herabla- 

/ ßung

/Seite_125

/ßung gewächselt werden. So gar pur Inter-
walle in der Vorstellung machen schon Klar-
heit, so wie in gewißen Gedancken Striche,
wo man sich besinnt, den Gedancken auffaßt,
und ihn verfolgt. So vergroßern auch die
Interwalle den Eindruck zwischen einem
Vergnügen und dem andern welches
abgeschmackt wäre, wenn es continuirlich
dauren sollte. Ein schneller Absprung, der
dem continuirlichen Uebergang entge-
gen ist, vergrößert den Eindruck des Ge-
müths. Die continuitaet macht die Ver-
änderung im Gemüth unmercklich. So
kann man einen, der gewohnt ist, viel
und gut zu eßen, allmählich an eine
schlechte Kost und Mäßigkeit gewöhnen.
Alle Absprünge in Gestallten offendiren

/ schon

/Seite_126

/schon die Augen. So erweckt ein Ab-
sprung in der Rede die Aufmercksamkeit
der Zuhörer.

/Das unerwartete gehört zur Neuigkeit
und vergrößert den Eindruck. Wenn et-
was einen starcken Eindruck machen soll,
so muß man es nicht vorher erwarten,
denn sonst verliert sich der Eindruck. Ein
Mensch, von dem man sich große Erwar-
tungen gemacht hat, erregt solchen Ein-
druck nicht auf uns, wenn wir ihn sehen,
weil man sich eine größere Vorstellung
gemacht hat, als die Sache selber ist. Wenn
daher ein Gegenstand einen Eindruck auf
uns machen «kann» <soll>, so muß man keine gro-
ße Erwartung haben, damit der Gegen-
stand die Erwartung übertreffe. Auf der

/ andern

/Seite_127

/andern Seite kann man wieder umgekehrt
sagen; daß die Vorbereitung zu einer Sache
in uns stärckeren Eindruckt macht. Wenn wir
uns zuvor zu etwas vorbereitet haben,
so sind wir aufmercksamer, und können uns
so gleich in der Sache finden. So findet man
in einer Rede viel Verstand, weil man
es vermuthet hat, denn was man ver-
muthet, das findet man auch. So kann
man einen anticipiren, wenn man ihm
etwas in den Kopf setzt, daß er es ver-
muthet, welches hernach nicht erscheint. So
kann man, aber nur in einer bekannten
Gesellschaft iemanden einbilden, daß der
andre gestört ist und dieser wird solches
von ihm vermuthen, auch ihm auf eine
Art als einem Gestörten begegnen.

/ Einen

/Seite_128

/Einen wozu vorzubereiten, ist zwar
sehr gut z.E. zu einer Comedie, man muß
einen aber nicht praeoccupiren, und
ein bestimmtes und entscheidendes Urtheil
von dem Gegenstande sagen, denn alsdenn
enthält der Gegenstand nichts mehr als
eine Bestätigung deßen was er schon
weiß.

/Die Vorstellung verliert durch die Länge
der Fortdauer ihre Klarheit. So gefallen
zu Anfange alle Reisenden, indem sie die
Geschichtchens, die sie gesammlet haben auf
einmahl vorbringen, allein nach drey
Wochen verliert sich ihr Ansehen, und sie
können sich nicht mehr so erhalten, weil
sie schon gantz leer geworden sind; ihr
Vorrath von Brodtspeisen schon aller ist,

/ und

/Seite_129

/und sie denselben Witz nicht zwey mahl
vorbringen können, sonst wird er ver-
eckelt, denn der Witz ist sehr delicat und ge-
hört nur für fürstliche Tafel, wie Rabner
sagt. Also tilgt und verringert die lange
Fortdauer den Eindruck der Vorstellung;
der ist aber sehr glücklich, bey dem der Ge-
genstand in der Fortdauer den Eindruck
lange behält. So erlöscht die allzu große
Liebe zu Anfange des Ehestandes bald,
und verwandelt sich oft so gar in Eckel,
wenn sie aber gemäßigt und mit Ver-
nunft begleitet ist, so ist sie dauerhafter.

/Der Zustand des Gemüths, wo man
nicht bey sich selbst ist, und in Ansehung
der Leidenschaften seiner selbst nicht mäch-
tig ist, versetzt unsere Klarheit der Vor-

/ stellungen

/Seite_130

/stellungen sehr in die Dunckelheit. So
ist der Mensch durch große Freude oder
Schmertz außer sich selbst gesetzt, und das
ist die Extasie, welches denjenigen Zu-
stand des Gemüths bedeutet, wo der Mensch
außer sich selbst ist, und nicht vermögend
ist sich seines würcklichen Zustandes be-
wust zu werden, indem er durch die
Stärcke der inneren «Beweg» <Vorstell>ungen hin-
gerießen ist, wo die Stärcke der inneren
Vorstellung ihn dahin bringt, daß sie die
Stärcke der äußeren Vorstellung ver-
treibt. Dahin gehört der Geschmack der
Geisterwelt, wo einer vorgiebt, die Ge-
meinschaft der Geister empfunden zu ha-
ben, solche Schwärmereien geben Anlaß
zu Extasie. Wer in Gedancken herum

/ wandelt

/Seite_131

/wandelt, ohne sich der würcklichen Welt
bewust zu seyn, der träumt, welches
natürlich ist, wer aber außer sich selber
ist, der ist ein Träumer im Wachen, welches
so schädlich ist, wie das Wandlen im Schlaf.
Unsere Vorstellungen werden durch Em-
pfindung eines neuen Eindrucks z.E. Ge-
träncks rege gemacht. Wir nehmen hier
die vortheilhafte Seite des Geträncks, wo-
durch das Gemüth in eine künstliche Bewe-
gung gesetzt wird, denn das Gefühl
einer größeren Belebung ist Freude.
Die Alten hatten nicht solche nachtheilige
Begriffe vom Trincken. Es ist zu unter-
scheiden der gesellige und ungesellige
Tranck, der letztere ist unanständig und
niedrig. Das Trincken muß gesellig

/ seyn

/Seite_132

/seyn, und wenn es zu einem gewißen
Grad der Lebhaftigkeit heraufsteigt, so
befordert es die Erweckung des Gemüths
und macht es gesellig. Ferner so nimmt
es auch den Hang zur Verstellung weg,
und macht offenhertzig, denn in allen
Gesellschaften ist ein Zwanck, den man
sich schon aus der öfteren Uebung ange-
wöhnt hat. So bald aber die Fröhlichkeit
in der Gesellschaft durch einen mäßigen
Trunck aufgeweckt wird, wo aber der
Verstand noch nicht benebelt werden muß,
sondern nur der Grad der Gesprächigkeit
erreicht wird, so legt man den Zwanck
ab, und wird offenhertzig. Wenn die
Fröhlichkeit überhand nimt, so redet jeder
was ihm vorkommt, und keiner legt

/ die

/Seite_133

/die Worte des andern auf die Waag-
schaale, daher eine Gesellschaft von solchen
Leuten nicht gerne einen gantz nüchter-
nen unter sich leidet, indem ein solcher
auf «sich» sie acht hat, und mit seinem Verstan-
de auf der Wache ist, wenn sie aber alle
gleich sind, so nimmt einer dem andern
nichts übel. Wer aber in solcher Gesellschaft
nicht trincken will, weil er die Folge sei-
ner Offenhertzigkeit voraussieht, dem
ist nicht viel zu trauen, denn er hütet
sich offenhertzig zu seyn, und muß viel
zu reserwiren haben, er traut sich selbst
nicht, und will dahero die Schildwache sei-
nes Verstandes nicht ablösen. Wer also
darauf sieht, was sich schickt, muß viel
zu vertheidigen haben, weil er sich nicht

/ bloß

/Seite_134

/bloß geben will. Wenn wir aber un-
ter keinem Zwange sind, so dürfen wir
auch keine Wache über uns halten. Al-
lein das Frauenzimmer muß auf der
Wache über sich stehen, weil sie beobachtet
und angefochten wird. Die Alten Deutschen
faßten ihre Rathschlöße beym Trunck, damit
sie muthig seyn möchten, und überlegten
sie nüchtern, um ihnen durch den Ver-
stand Moderation zu geben. Der Trunck
des Brandtweins ist aber kein Mittel
der Geselligkeit, sondern macht stumpf, da-
her sind alle Brandtweinetrincker sehr
behutsam, und trincken insgeheim. Da-
zu sind die Italiaener aufgelegt, wo
aber eine Nation an sich Gesprächig
ist, die führt den Trunck alsdenn zu ei- 

/ ner

/Seite_135

/ner unanständigen Art der Freiheit, wo
alle Achtsamkeit sich verliert. Daher findet
man in solchen Ländern als in Franckreich
keine Trincker, aber in den nordlichen Län-
dern ist es stärcker im Gange, und bey
rohen Nationen am meisten; weil die
sich durch nichts Ideales belebt machen kön-
nen, so müßen sie es durch Geträncke wer-
den. Alles was Ursach hat, behutsam zu
seyn, das erhält sich nüchtern z.E. das
Frauenzimmer. Die verschiedenen Tem-
peramente bringen auch verschiedene Wir-
kungen des Truncks hervor, so macht im
heißen Clima der Trunck rasend. Das
thut nicht allein Opium, sondern auch
Wein, dahero Mahomed sehr wohl that,
da er solches als eine Obserwantz der

/ Religion

/Seite_136

/Religion vorschrieb, welches eher beobach-
tet wird, als wenn es mit unter der
Moral begriffen ist. Das Getränck macht
auch verschiedene Wirckungen nach der
Verschiedenheit der Materie, woraus es
besteht. So scheint das Bier nicht ein solches
Mittel der Geselligkeit zu seyn als der Wein;
es macht mehr andächtig. Durch ander Ge-
träncke, als durch Wein wird man zu Schertz
Lustbarkeiten und Producten des Witzes
gereitzet.

/Es ist für einen Psychologen ein Stück zu
untersuchen, wie das Opium und auch an-
dere Benebelung, die aber von der Be-
schaffenheit unterschieden werden muß,
solche schöne Bilder in der Einbildung
hervorbringt. Nicht allein die Benebe- 

/ lung

/Seite_137

/lung macht, daß wir nicht bei uns selbst
sind, sondern auch die Betäubung, welche
der Stillstand unseres gantzen Bewust
seyns ist. So macht auch die Verzuckung,
daß wir nicht bey uns selbst sind. Verzuckt
wird aber gebraucht von der phantasti-
schen Verzuckung. Die Entzückung ist aber
die Versetzung in die Geisterwelt, die
an sich nicht möglich ist, aber in der Ein-
bildung statt findet. So kann man durch
vieles aus seiner Faßung kommen, so
auch, wenn man was zu reden hat
und man sich püncklich darauf prae-
parirt. Daher ist beßer allgemein dar-
über nachzudencken. Es ist überhaupt ei-
ne Hauptbedingung des Gemüths sich selbst
in der Gewalt zu haben. Durch die fanatische

/ Entzückung

/Seite_138

/Entzückung vergießt der Mensch sei-
nen Cörper, und gewöhnet sich an, außer
sich selbst zu seyn. Ueberhaupt ist der Zu-
stand der Verzückung und Entzückung der
Zustand der Verrückung. Alle Regungen
können mir durch Phantasie und nicht durch
Realität erlangt werden. Die transcen-
dente Entflügelung unserer Einbildung
muß in Schrancken gehalten werden.

/Der Stillstand aller Empfindung ist
Ohnmacht, kann man aus diesem Zustan-
de der Empfindung nicht herauskommen
so ist das der Tod. Der Schlaf ist der Still-
stand aller Empfindung im gesunden
Zustande, es ist eine Unempfindlichkeit
und Unbewustseyn der äußeren Gegen
stände. Die Schläfrigkeit kann habituell

/ werden

/Seite_139

/werden, es ist nöthig, sich darinn eine
Regel zu machen. Viele Talente sind da-
durch stumpf geworden, der Schlaf be-
nimmt uns die Behändigkeit und Fein-
heit der Säfte. Durch das wenige schla-
fen werden die Säfte verfeinert und
verdiennt. So zeigen die neuen Beobach-
tungen an, daß das Blut im Schlafen
weit kälter ist, als im Wachen, daher
friert einem wenn man schläfrig wird.

/ ≥ Von der Phantasie.

/Wir haben außer dem Vermögen zu
empfinden, noch ein Vermögen Gegen-
stände abzubilden, und das was in die
Sinne fällt, durch besondere Kraft im
Gemüth zu schildern und zu bilden. Die-
se ist die facultas informandi impres

/ siones

/Seite_140

/siones sensuum. Wer eine starcke Phan-
tasie hat, und hat was gesehen, dem
bleibt das Bild davon in seinem Gemüth
unauslöschlich. Dieses ist das Vermögen
der Abbildung. Die Nachbildung ist ein
Bild des vorigen Zustandes des Gegen-
standes, es ist ein Vermögen, den Gegen
stand einmahl vorzubringen, so ist je-
de Erinnerung eine Nachbildung. Ein-
bildung ist ein Bild der Erdichtung,
facultas fingendi, es ist ein Bild von
einem Gegenstande, der weder gegen-
wärtig, noch zukünftig noch vergan-
gen ist, sondern es ist eine fiction, es
ist ein Symbolum so sind die Typi Bil-
der von Gegenständen, die nicht da sind.
Das Vermögen zum voraus was

/ vor- 

/Seite_141

/vorzubilden ist facultas praefagiendi.
Es macht sich unser Gemüth von allein
was man hört, ehe man es noch sieht,
ein Bild zum voraus, so macht sich <ein> jeder
ein Bild von einem Könige, wenn er ihn
sehen soll. Hat er von ihm gehört, daß er
ein großer Held ist, so macht er sich ein
zimlich massives und corpulentes Bild
von ihm, als wenn es darinn bestünde,
sieht er ihn hernach, so wird er Confus,
wenn der König anders aussieht, als
das Bild, daß er sich von ihm gemacht.
Das Vermögen zu bilden, hat einen
Hang alles in unserm Gemüthe auszu-
bilden. Wenn wir dahero etwas gewahr
werden, so machen wir uns einen Be-
grif davon. Stimmt der Gegenstand nicht

/ mit

/Seite_142

/mit unserm Begrif überein, so ist das
Gemüth unabläßig bemüht es auszubil
den z.E. ein unvollkommen Stück in der
Comoedie, ein galanter Reuter und ein
schlechtes Pferd, daher ist man mit so et-
was weniger zufrieden, als wenn es
gar nicht da wäre, oder, wenn jemand so
lange betrogen hat, daß er 900 %.Florin ge-
wonnen, so betrügt er noch so lange
bis er 1000 %.Florin voll hat. So glaubt mann
wenn man von jemanden 11 Ducaten
geschickt erhält, daß der Bediente den
12ten hat, weil man praesumirt, der Herr
werde ein Duzend voll geschickt haben.
So werden 11 paar Taßen schlechter bezahlt
als das 1. Paar ausmacht, was da fehlt,
obgleich man sie eben so gebrauchen

/ kann

/Seite_143

/kann, als wenn das Duzzend voll ist,
und als wenn 13 Paar wären. Das eine
Paar wird alsdenn nur obenhin gerech-
net, damit es einmahl das Duzzend sup-
plirt, wenn eins zerbrochen wird. Wenn
dahero was unvollständig ist, so ersezzen
wir es durch Erdichtung, was der Ausfül-
lung fehlt. Dieses ist natürlich und für
uns sehr gut; so sucht man in dem Le-
ben des Socrates seine kleine Fehler
aus, und füllet sie durch Erdichtung aus
um einen vollständigen Weisen zu bil-
den. Dieses ist das Vermögen auszubil-
den, facultas perficiendi. Das Nachbil-
dungs Vermögen müßen wir noch be-
sonders durchgehen. Das Nachbildungs
Vermögen hat sein Gesetz, es folgt dem

/ Gesetz

/Seite_144

/Gesetz der Association oder Vergesell-
schaftung der Vorstellungen. Dieses ist
ein merckliches Stück des menschlichen Ge
müths, und es kommt viel darauf an,
seine Vorstellungen zu vergesellschaften.

/Die Association gründet sich auf drey
Stücke auf die Begleitung, Nachbarschaft
und auf die Verwandschaft. Die Beglei-
tung ist in so ferne die Vorstellungen
der Zeit nach entweder auf einander
folgen, oder zugleich seyn. Wenn also
eine Vorstellung vorkommt, so wird
die andere so gleich herbey gerufen.
Z.E. wenn wir Rauch sehen, so kömmt so
gleich die Vorstellung vom Feuer. Wenn
die Uhr schlägt, um welche Zeit man ge-

/ wohnt

/Seite_145

/wohnt ist, zu eßen, und man hört sie
schlagen, so kömmt sogleich die Vorstellung
vom Eßen. Wenn die Begleitung von
Vorstellungen nicht wäre, so könnten
wir keine Ursachen und Wirckungen
haben. Die Begleitung ist der erste und
größte Grad der Association. Der zwei-
te Grund der Association ist die Nachbar-
schaft. So wie die Einheit *1 des Orts die
Nachbarschaft. So fallen einem die Schul
Iahre ein, wenn man die Schule vor-
bey geht. Denckt man an den Ort, wo
man vergnügt war so fallen einem
die Personen ein, die da zugegen wa-
ren. Reiset man an einen Ort, wo vie-
le Begebenheiten vorgefallen waren

/~am Rand ab Z. 9

/ *1der Zeit die Beglei-
tung ausmacht,
so mach die Einheit~

/Ende Lücke 399
⌠Seite 145⌡
waren⌠,⌡ so erinnert man sich an denselben├,┤

/Seite_146

/und das Gemüth wird gegen solche Begebenheiten rege. So macht der Ort, an dem was vorgenommen werden soll⌠,⌡ einen großen Eindruck, so erschrickt der Spitzbube stärcker, wenn er an den Ort kommt├,┤ wo er examiniret werden soll. Der dritte Grund der Association ist die Verwandschaft, so ferne die Vorstellungen der Beschaffenheit nach verwandt sind. Sie sind aber √verwandt_\\_Verwand⌡ der Aehnlichkeit und Abstammung wegen. Die Verwandschaft der Abstammung ist in so ferne sie aus einem Grunde kommen, also die Verwandschaft der Ursach und Wirckung macht die Verwandschaft der Wirckung Z. E. wenn es regnet, und die Sonne scheint, so sieht
man
⌠Seite 146⌡
man sich gleich herum, ob nicht ein Regenbogen ist. Die √Verwand_\\_Verwandschaft⌡ der

/Seite_147

/Aehnlichkeit √ist aber_\\_aber ist⌡, wenn wir Z. E. alles in gewiße √Claßen_\\_Classen bringen, damit uns das andere einfällt, wenn wir an eins dencken.

/Die √beyden_\\_beyde⌡ Associationen der Begleitung und Nachbarschaft, weil sie sich auf Zeit und Raum beziehen sind Associationen der √Sinnlichkeit,_\\_«Verwandschaft» Sinnlichkeit⌡ die Association der Verwandschaft ist aber eine Association des Verstandes. Wenn also unsere √Phantasie_\\_Phantasie nach der sinnlichen Vergesellschaftung, der Begleitung und der Nachbarschaft läuft; so ist das dem Verstande wiedersinnig. So kann einer⌠,⌡ wenn er √vom Englischen Pferd_\\_von englischen Pferden⌡ redet auf √Engelland_\\_Engeland⌡ selbst kommen⌠,⌡ deßen Regierung und Krieg in √America_\\_Ameria. Es muß aber in solchen gesellschaftlichen Gesprächen
⌠Seite 147⌡
Mannigfaltigkeit und Einheit seyn,

/Seite_148

/es muß Zusammenhang im Verstande herrschen, denn alsdenn √mißfällt_\\_misfällt⌡ es iedem⌠,⌡ wenn kein Zusammenhang ist. Oft kann man das Mittel des Ueberganges von einem Discours zum andern errathen Z. E. man redet von Betrügern, und mit einmal redet √iemand_\\_jemand⌡ von einem Mann├,┤ so denckt ieder, er redet deswegen von dem Mann, weil der ein Betrüger seyn muß. Die Behutsamkeit den Zusammenhang deßen, was man gedacht hat, nicht zu verrathen, ist eine Feinheit, die man beobachten muß, daher muß man einen Zwischen Gedancken einschieben laßen.
√Die Stärcke der Phantasie_\\_
Die Stärcke der Phantasie ≤⌡ √die_\\_Die⌡ Imagination ist da stärcker, wo andere Sinne schwächer sind Z. E. die

/Seite_149

/Imagination eines Blin- 
⌠Seite 148⌡
den ist weit stärcker als eines andern, denn sie ist nicht durch äußere Gegenstände gestört. So giebts in Paris blinde Wegweiser.

/Die √Phantasie_\\_Phantasie wirckt stärcker, wenn sie mit der Neigung verbunden ist, wodurch sie rege gemacht worden. Die √Phantasie_\\_Phantasie ist größer⌠,⌡ wenn der Gegenstand abwesend ist, als wenn er da ist. Ist der Gegenstand da, so ist der √sinnliche_\\_Sinnliche⌡ Eindruck da, und die √Phantasie_\\_Phantasie ist durch den sinnlichen Eindruck verdunckelt, ist aber der Gegenstand abwesend⌠,⌡ so ist die Phantasie stärcker, daher wird durch Wegbringung des Gegenstandes der sinnliche Eindruck geschwächt, die √Phantasie_\\_Phantasie aber vermehrt Z. E. beym Verliebten, denn in der Abwesenheit fallen alle Fehler des

/Seite_150

/Gegenstandes weg, die √man_\\_mann⌡ aber doch wahrnimmt, wenn er gegenwärtig ist.
⌠Seite 149⌡
Es giebt Grade und Qvalitaet_\\_Qvalitaeten der √Phanta- sie_\\_Phantasie. Schwache √Pantasie_\\_Phantasie ist keines Eindrucks fähig. Es kommt auf die Starcke der √Phan- tasie_\\_Phantasie an, sich das Bild nach gewißen Graden vorzustellen, die Schilderung deßelben macht die Starcke nicht aus. Wenn aber die √Phantasie_\\_Phantasie starck ist, so kann auch die Stärcke unmäßig seyn, so daß die √Phantasie_\\_Phantasie oft den sinnlichen Eindruck überwiegt, dahero kann den Wahnsinn nichts hindern als die Gegenwart der Sache. Leidenschaften ├machen┤ machen eine verkehrte √Phantasie_\\_Phantasie, so kann man sich etwas als häslich mahlen⌠,⌡ was man aus bloßer

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/Leidenschaft gesehen hat Z. E. ein schöner schattigter Wald kommt mir schrecklich vor, weil ich daselbst unglücklich war.
Bey √Hypochondrischen_\\_Hypochondrischen⌡ Personen ist die
Phantasie
⌠Seite 150⌡
Phantasie √Zügelloß_\\_Zügellos⌡, indem sie sich vieles vorstellen und einbilden, was ihnen selbst nicht lieb ist, und was sie nicht gerne haben wollen. Sie besteht in der Unwillkührlichkeit des Verstandes, sie muß der Willkühr unterworfen werden, und das ist das Hauptstück sie auszulöschen, wenn sie verführend ist, sie ist alsdenn oft der Weg vieler Laster.
Man hat √Regellose_\\_regellose⌡ √Phantasie_\\_Phantasie, so nicht unter der Regel des Verstandes steht, und sie ist von der Zügellosen zu unterscheiden. Die Regellosigkeit ist die Wirckung der Heftigkeit.

/Seite_152

/Die Imagination die ihr Spiel treibt hat ihren natürlichen Lauf, so daß sie nicht in unserer Willkühr steht. Die Willkühr kann nur so ferne was thun, daß sie der Imagination eine Direction giebt, und denn geht sie √so gleich_\\_sogleich⌡ nach ihrer neuen Richtung, wie das Waßer im Fluß Z. E. √Wenn_\\_wenn⌡
⌠Seite 151⌡
man in der Gesellschaft nur ein Wort reden hört, so läuft die Imagination so gleich ihren Lauf so lange, bis man ein neues Wort reden hört, und √den_\\_denn⌡ läuft die Imagination wieder nach dieser neuen Richtung. Wer seiner Imagination einen natürlichen Gang frey giebt von dem sagt man⌠:⌡ er träumt. Die Willkühr bringt nicht neue Bilder hervor, sondern nur neue Richtungen. Wer nun seiner Imagination keine neue

/Seite_153

/Richtung zu geben weiß, der ist ein Träumer. Solche Leute dencken wenig, und wißen selbst nicht⌠,⌡ was sie gedacht haben. Die Ausschweifung der Imagination ist, wenn die geringste Klei- nigkeit der Imagination zu laufen Anlaß giebt. Daher weiß man oft nicht, wie jemand zu etwas gekommen ist, wenn man die Kette seines Laufs der Imagination nicht weiß.
⌠Seite 152⌡

Vom Witz und der Urtheils Kraft.

Wir haben ├aber┤ auch ein willkührliches Vermögen├,┤ Bilder und Vorstellungen zu vergleichen. Dieses Vermögen ist thätig. Die Vergleichung ist die Zusammenhaltung der Vorstellungen. Das Vermögen Vorstellungen zusammen zu halten nach der Verschie- denheit ist die UrtheilsKraft├.┤

/Seite_154

/├Dieser Theil der UrtheilsKraft┤ ist das Iudicium √disoretiuum_\\_disoretivum. Jeder├,┤ der eine Einerleyheit und Aehnlichkeit der Vorstellungen finden kann, hat noch nicht Witz, sondern der es auf eine eminente Art thun kann. Beyde so wohl den Witz als die UrtheilsKraft nennt man fein. Ein √feinster_\\_feiner⌡ Witz ist der die kleinste Aehnlichkeit mercken kann, und feine UrtheilsKraft ist√._\\_,⌡ die die geringste Verschiedenheit mercken kann. UrtheilsKraft so ferne sie fein ist, ├wird Scharfsinn genannt, und Witz so fern er fein ist,┤ heißt sinnreich. Der Witz dient
⌠Seite 153⌡
zu vorläufigen Urtheilen Z. E. wenn von der √Misgunst_\\_Mißgunst⌡ gesprochen wird, so muß der Witz alles √anflieten_\\_aufbieten⌡, was in die Misgunst einschlägt Z. E. Abgunst, wo man

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/einem andern etwas nicht √gönnt_\\_gönnet⌡, wenn man es auch selbst nicht braucht, so giebt es eine √Mißgunst_\\_Misgunst⌡ in Ansehung der Ehre, der Gesellschaft und des Vergnügens, so ist bey Kindern eine √Mißgunst_\\_Misgunst⌡ pp. kurtz der Witz bietet alle Fälle auf⌠,⌡ und sucht einen Vorrath von vorläufigen Urtheilen. Vorläufiges Urtheil ist ein Grund über Dinge zu √urtheilen_\\_Urtheilen⌡, der aber unzureichend ist. Aber ein √bestimtes_\\_bestimmtes⌡ Urtheil zu fällen, gehört für die Urtheils Kraft. Der Witz streift herum, wo er was findet, und dient also zur Erfin- dung, deswegen verleitet er auch zu Jrrthümern, denn wenn er die unzureichende Gründe zu √urtheilen_\\_Urtheilen⌡ für bestimmte hält,
⌠Seite 154⌡
so verleitet er zum Jrrthum, welches denn

/Seite_156

/geschiehet, wenn man nicht Lust hat, über den Witz und deßen vorläufige Urtheile nachzudencken, und sie mit der UrtheilsKraft zu verbinden. Die UrtheilsKraft aber dient zum bestimmten Urtheil, und deswegen hält sie auch √vom Jrrthum_\\_von Jrrthümern⌡ ab. Daß der Witz zum Jrrthum verleitet, davon ist auch dieses die Ursache, weil der Witz √belustiget_\\_belustigt⌡ und die UrtheilsKraft befriedigt, die Menschen aber mehr auf die Belusti- gung als auf die Befriedigung sehen, dahero ist der Witz beliebter und gefällt beßer, und ob √mann_\\_man⌡ ⌠es⌡ gleich weiß, daß es unrichtig ist, so gefällt es doch, weil es belustigt. Der Witz ist eine leichte Beschäftigung des Gemüths und dem natürlichen Trieb zu wißen angemeßen. Es ist leich- 

/Seite_157
⌠Seite 155⌡
ter Aehnlichkeit als Verschiedenheit aufzusuchen, denn ich habe einen unermeßlichen Raum von allen Aehnlichkeiten zu finden. So machen die Franzosen eine Aehnlichkeit zwischen dem Franzosen und dem Kochtopf. Es ist mehr belustigend für den├,┤ der da zuhört, als für den der seinen Witz martern soll. Wenn ich Verschiedenheit von 2 Dingen aufsuchen soll, so kann ich nicht ein drittes herbey ziehen, so wie bey dem Witz alles √aehnliche_\\_ähnliche⌡ kann herbey gezogen werden, ich kann nicht so herumschweifen. Der Witz ist also √freyer_\\_freier⌡ und die UrtheilsKraft gebunden├.┤ Zur UrtheilsKraft bin ich durch die Bedürfniße genöthigt, nehmlich nicht in Jrrthum zu fallen. So ist beym Eßen mehr auf die Gesundheit als auf die Annehmlichkeit zu

/Seite_158

/sehen,
⌠Seite 156⌡
aber wir sehen doch lieber auf den Geschmack⌠,⌡ weil er √angenehm_\\_angenehmer⌡ ist. Daß der Witz belustiget, kommt ferner davon her, weil alle Aehnlichkeit eine Regel an die Hand giebt, aus der man hernach eine allgemeine Regel macht. Alle Regeln √erweitern aber_\\_aber erweitern⌡ den Gebrauch der √ErkenntnißKraft_\\_Erkenntnis Kraft⌡. Jeder Gebrauch des Witzes ist aber in allen Fällen eine Regel herauszubringen, und denn gefällt das, wo √mann_\\_man⌡ eine Regel hat heraus bringen können Z. E. es reiset jemand⌠,⌡ und findet es in den beyden ersten Wirthshäusern schlecht√;_\\_,⌡ so macht er sich gleich eine Regel├,┤ und sagt, hier sind auch allerwegen schlechte Wirthshäuser. So sagte auch jemand├:┤ in Engelland sind alle Leute grob und die

/Seite_159

/Wirthe
⌠Seite 157⌡
höflich, in Franckreich sind aber die Leute höflich und die Wirthe grob√._\\_;⌡ So sind auch alle bons Mots_\\_chots. Also sind die Handlungen des Witzes belustigend. Der Witz hat Einfälle├,┤ und die UrtheilsKraft macht daraus Einsicht. Der Witz bringt mehr hervor⌠,⌡ und die UrtheilsKraft sichtet das. So hat der Franzose Einfälle⌠,⌡ und der √Engelländer_\\_Engeländer⌡ hascht nach Einsichten√,_\\_;⌡ daher ist der größte Grad der Arbeit der Urtheilskraft grüblerisch, und die √großte_\\_größte⌡ Arbeit des Witzes ist ⌠ein⌡ Spiel. Wenn der Witz gefallen soll, so muß er auch leicht seyn, er gefällt aber nicht├,┤ wenn er schwer ist. Dahero sagt man: Der Witz der Engelländer ist Centner schwer. Z. E. Youngs' Satyren_\\_Jungs Satyren⌡. Es ist ein großer Witz darinnen, allein er √belustiget_\\_belustigt⌡ nicht, so wie der

/Seite_160

/Franzosen
⌠Seite 158⌡
ihr Witz, aber er befriedigt mehr. Die Handlungen des Witzes können Geschäfte und Spiel seyn. Der Witz soll dem Verstande dienen, aber nicht demselben substituirt werden, denn der Verstand ├besteht┤ besteht im Urtheilen, folglich kann er nicht in seine Stelle gesetzt werden, aber er muß den Verstand administriren├,┤ und ihm Einfälle geben├,┤ über die der Verstand urtheilen kann, denn sonst kann der Verstand nicht urtheilen, wenn er keine Materie an die Hand giebt. Es gehört also zur Philosophie viel Witz. Der Witz dient dem Verstande zur Erfindung, und dient ihm auch zur √Erläuterung_\\_Erlauterung⌡ deßen was schon gedacht ist, indem er Beyspiele Analogien und Aehn- lichkeiten erfindet, und macht dadurch dasjenige sinnlich, was durch √denn_\\_den⌡

/Seite_161

/Verstand allgemein gedacht wird. Es wird aber
der
⌠Seite 159⌡
der Witz oft der UrtheilsKraft untergeschoben. Dieses geschiehet bey solchen Personen die sich die Erkenntniße nicht wißenschaft- lich erworben haben, sich auf schöne Wißenschaften gelegt, und hernach in den gründlichen Wißenschaften √denn_\\_den⌡ Witz eben so als in den schönen anbringen. Allein es ist doch oft nöthig, daß an die Stelle der UrtheilsKraft die Wißenschaft untergeschoben werde⌠,⌡ besonders in der Gesellschaft. Wenn man Materien über die man sich streitet, gründlich und als entschieden in der Gesellschaft vorbringt, so √ists_\\_ist es⌡ nöthig, daß man als denn mit einem Einfall ankommt, und dadurch der gantzen und strittigen Untersuchung ein Ende macht, als denn fängt alles darüber an zu lachen, die ernsthafte Miene hört auf, und dadurch befördert man den √Zweg_\\_Zweck⌡ der

/Seite_162

/Gesellschaft, der
⌠Seite 160⌡
gar nicht dieser ist, um wichtige Materien_\\_Materien⌡ abzumachen, sondern √sich_\\_sie⌡ zu erheitern. Jch mache alsdenn eine Diversion durch den Einfall, die allen zusammen willkommen ist, denn der Witz gefällt allen ohne Unterscheid, demnach ist er sowohl denen die sich √streiten_\\_stritten⌡, als denen die da zuhören müßen├,┤ angenehm und belustigend. Jn diesem Fall kann der Witz der Urtheils Kraft untergeschoben werden. Der Witz ist ein Spiel ⌠*1⌡ den Verstand unterhalten, ⌠so muß er sinnreich seyn und den Verstand unterhalten,⌡ woraus der Verstand etwas machen kann, allein der faselnde Witz ist leer, und solcher Witz wird auch ein falscher Witz genannt. So sagte √jemand_\\_iemand⌡ als er an einem fremden Tische mit Suppe begoßen ward√._\\_:⌡ Summum √jus_\\_Ius⌡ summa iniuria. Launigter
am Rand ab Z. 10
⌠~*1 er kann aber auch als ein Spiel~⌡
⌠Seite 161⌡
Witz ist

/Seite_163

/der wo man eine Miene annimmt, aber nicht von dem was man sagen will, sondern vom Gegentheil, und deswegen sticht es ab. Unter solche witzige Schriften gehört Hudibras, deßen Witz ist launigt, das Lachen darüber ist geistreich man hat den Kopf voll von Gedancken. Der Witz geht mehr aufs neue, dahero ist er veränderlich, er geht darauf um neue Aehnlichkeiten zu erfinden, die UrtheilsKraft aber geht mehr aufs alte.
Wer viel Wercks vom Witz macht, der ist ein Witzling, ein solcher ist zwar nicht hassens aber belachens werth, weil er doch durch seinen Witz zu gefallen sucht. Wenn es ihm aber fehl schlägt, so kann er doch nicht wegen der Absicht⌠,⌡ die er hatte gehaßt werden. Wer viel √Wercks_\\_Werck⌡ von der Urtheils Kraft macht⌠,⌡ ist ein Klügling, und dieser

/Seite_164

/wird schon gehaßt und mehr beneidet. Die Ursache ist: jeder Mensch
⌠Seite 162⌡
giebt eher etwas Preis von seinem √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡, aber ein √jeder_\\_ieder⌡ denckt von seinem Verstande das Beste⌠,⌡ denn er beurtheilt seinen Verstand mit seinem Verstande und nun ist es natürlich, daß jeder Verstand das Beste von sich √urtheilet_\\_urtheilt⌡, und des andern ⌠seinen⌡ Verstand beurtheile ich nicht beßer, und sehe nicht mehr in ihm als in meinem, denn den Verstand des √andern_\\_anderen⌡ beurtheile ich vermittelst meines Verstandes. Nun kann ich in des andern seinem Verstande nichts mehr finden, als in meinem ist, denn wodurch sollte ich es finden. Daher bringt ein Klügling, der Parade mit seinem Verstande macht, andere auf, weil ein jeder mit seinem Verstande Parade machen will,

/Seite_165

/indem jeder von seinem Verstande die beste Meinung hat. Wo dahero eine Gemeinschaft der Geschicklichkeit ist, da leidet
⌠Seite 163⌡
der andere nicht gerne, wenn man davon viel Wercks macht, wo aber kein √Uebereinkommen_\\_übereinkommen⌡ ist, da kann ein jeder das seinige auskramen Z. E. wenn in der Gesellschaft ein gelehrter Kaufmann und Soldat ist, so kann ein √jeder_\\_ieder⌡ von dem seinigen recht viel reden. Der Witzling ist seicht, wenn er nach √Einfallen_\\_Einfällen⌡ geht√:_\\_;⌡ Ueberhaupt muß der Witz nicht mühsam zu seyn scheinen, sondern ungesucht in den Kopf kommen. Der Witz ist √Schaal_\\_schaal⌡, wenn keine √Urtheils Kraft_\\_UrtheilsKraft⌡ dazu kommt. √Man_\\_Mann⌡ nennet einen solchen abgeschmackt, allein um abgeschmackt zu seyn, gehört Witz, dahero kann keiner so √sehr_\\_<sehr>⌡ dumm seyn├,┤ als ein √witziger_\\_Witziger⌡, denn weil er mehr wagt,

/Seite_166

/so geräth er auch eher in Verwirrung├,┤ deßen Kopf aber gantz leer ist├, der ist┤ durch Unwißenheit vor Jrrthum und Verwirrung
⌠Seite 164⌡
gesichert. Der Witz wird unangenehm, wenn er √schaal_\\_Schaal⌡ ist. Der Mangel des Witzes heißt ein stumpfer Kopf⌠,⌡ wiewohl das dem Scharfsinn entgegen gesetzt wird. Den Mangel des Witzes nennt man auch √Trockenheit_\\_«t»Trockenheit⌡. Wer √Trocken_\\_trocken⌡ ist, und hinter der Trockenheit einen scharfen beißenden Witz nachläßt, der ist durchtrieben, daher nennt man ⌠einen⌡ solchen √dreyhärig_\\_dreyhörig⌡. Voltaire hat diese Gabe, der Landprister von √Wackefild_\\_Wakefeld⌡ und Schwifts Satyren_\\_Satyren⌡. Der erste Anschein läßt unschuldig, und wenn es sich hernach aufklärt, daß hinter her was versteckt war, so ist das dreyhärig. Ein solcher durchtriebener kommt mit iedem zurecht. Solche

/Seite_167

/Menschen haben Gelaßenheit und Treuherzigkeit und einen √kalten offenen_\\_offenen kalten⌡ Kopf. Die Grüblerey der Urtheilskraft
⌠Seite 165⌡
nennt man Grillen. Grille ist eine Heuschrecke├,┤ wer solche Heuschrecken fängt ist ein Grillenfänger. Wer also leeren Gedancken nachgeht die ohne Nutzen sind, der ist ein Grübler und Grillenfänger. Der ist dumm, dem es an √Urtheils Kraft_\\_UrtheilsKraft⌡ fehlt. Die √Dumheit_\\_Dummheit⌡ ist nicht ein Mangel des Witzes. Der langsame und stumpfe Kopf scheint ein √DummKopf_\\_DumKopf⌡ zu seyn⌠, allein das ist falsch.⌡ √Denn_\\_Dumm⌡ wenn er gleich nicht Einfälle hat, so kann er doch Einsicht haben, daher muß man den √Dummkopf_\\_Dumkopf⌡ vom Stumpfkopf unterscheiden. So wolte man einen, der Mangel am Witz hatte zum Grobschmidt geben, allein, wie er unter mathematische Bücher kam, so zeigte sich seine Einsicht. Also ist der noch nicht ein √Dummkopf_\\_Dumkopf⌡, der Mangel an Witz hat. Der Witz ist flüchtig, so

/Seite_168

/wie die √Urtheils Kraft_\\_UrtheilsKraft⌡
⌠Seite 166⌡
√schweerfällig_\\_schwerfällig⌡ ist. So sind die √Erkenntniße_\\_Erkentniße⌡ des Witzigen vorübergehend, sie machen zwar einen Eindruck⌠,⌡ aber sie haften nicht, und dringen nicht ein. Wenn man also √einen_\\_eine⌡ flüchtigen ermahnet, so machen zwar diese Ermahnungen einen Eindruck, aber sie haften nicht, und dringen nicht ein. Wenn man also einen flüchtigen √ermah- net_\\_ermahnt⌡, so ist das ein vergebenes Werck. Ueberhaupt ist das menschliche Gemüth ein Stück. Wer Urtheils Kraft hat, der hat auch Stätigkeit, wer aber √witzig_\\_Witzig⌡ ist⌠,⌡ der ist auch flüchtig, √behalt_\\_behält⌡ nichts, und ist in keiner Sache beständig.

Vom Gedächtnis├.┤

Das Gedächtnis ist die Macht der Willkühr die Vorstellungen zu produciren. Un- 
⌠Seite 167⌡
sere √Phantasie_\\_Phantasie hat ihren natürlichen Fluß und Gang. Nun hat aber unsere Willkühr die

/Seite_169

/Macht⌠,⌡ Bilder der Imagination zurückzurufen√;_\\_,⌡ wenn man will, und nicht so wie sie in der Imagination gefloßen, sondern willkührlich. Das √Gedächtniß_\\_Gedachtnis⌡ ist also ein Vermögen der Willkühr über die Imagination. Zum √Gedachtnis_\\_Gedächtnis⌡ gehört das Vermögen zu erinnern. Erinnern aber heißt das Bild der Vorstellungen ⌠zurückrufen. Gebe ich mir Mühe das Bild der Vorstellungen⌡ herbey zu rufen, so ist das⌠,⌡ das Besinnen. Das Besinnen ist also ein Mittel des Erinnerns und der Reproduction√,_\\_;⌡ das macht keine geringe Mühe den Fluß der Imagination aufzuhalten√; das_\\_. Das⌡ Gemüth greift sich √starck_\\_sehr⌡ an, wenn man sich besinnt⌠, ⌡und den √Strohm_\\_Strom⌡ der √Phantasie_\\_Phantasie aufhält, um das aufzusuchen
⌠Seite 168⌡
was verlohren war. Vom √Gedachtnis_\\_Gedächtnis⌡ ist dreyerley zu unterscheiden, das leichte faßen, lange behalten, und leicht erinnern. Dieses beruhet auf

/Seite_170

/gewißen Kunststücken. Ueberhaupt kann aus unserm √Gedächtniß_\\_Gedächtnis⌡ nichts verlohren gehen├,┤ was schon einmahl war, und nicht ausgelöscht werden. Verdunckelt kann es zwar werden, und denn gehört nur ein gutes Mittel dazu, solches wieder zu produciren und √klar_\\_Klaar⌡ zu machen√. Zum_\\_, zum⌡ Faßen gehört das mechanische. Memoriren_\\_Memoriren⌡, daß ist eine oftere Wiederhohlung von einerley Sachen√;_\\_.⌡ So lernen Z. E. die Kinder das Einmahl √eins_\\_Eins⌡ durch öfteres Vorsagen. Das mechanische memoriren_\\_Memoriren⌡ beruht auf einer gewißen Ordnung. Will man sich besinnen, so muß man der Ordnung folgen. Wenn man dahero die Kinder das
⌠Seite 169⌡
Einmahl Eins außer der Ordnung frägt, so beten sie das von Anfang an, bis sie auf die Zahl kommen, sie

/Seite_171

/folgen also der Ordnung, in der sie es gelernt haben. Jst die Ordnung unterbrochen, so kommt man nicht auf das Glied der Kette, sondern man muß noch einmahl von Anfang anfangen. Wenn man dahero einen Menschen der da memorirt_\\_memoriret⌡, unterbricht, so weiß er vom vorigen nichts, und muß von Anfang an memoriren, Das mechanische memoriren_\\_Memoriren⌡ hat großen Nutzen. Es ist die Grundlage der Beurtheilung der Erkenntniße. Wäre das nicht, so möchten wir keine Erkenntniße für den Verstand haben. Das iudicieuse √Memoriren_\\_Memoriren⌡ entstehet vermittelst der Urtheile, wenn man was in Vergleichung stellt√, dieses_\\_. Dieses⌡ geschiehet mit dem
⌠Seite 170⌡
Verstande oft mit dem schaalen Witz. So machte einer Z. E. zu diesem √Titul_\\_Titel⌡ de haeredibus suis legitimis

/Seite_172

/folgende Vergleichung. Er machte einen Kasten⌠,⌡ der solte die Erbschaft bedeuten,*1 und hernach den Moses mit √zwey_\\_2⌡ Gesetztafeln├,┤ das solte legitimis heißen. Solches ist dem Verstande schädlich, man kann √ja_\\_ia⌡ lieber die Umstände, die Zeit, den Ort, in Vergleichung halten, Z. E. √wer_\\_war⌡ Iulius Caesar war.
Das lange Behalten scheint auf der Stärcke der Association zu beruhen. Jch faße etwas starck, wenn ich es mit vielen Dingen associiren kann. Fällt es mir denn bey einem nicht ein, so geschichts beym andern.
Das leichte Erinnern scheint darauf zu beruhen, wenn der Gegenstand interessant ist, dahero man das leicht behält, was einem gefällt.

/am Rand ab Z. 5

/~*1 hernach ├ein┤ Schwein⌠,⌡ das √sollte_\\_solte⌡ suis bedeuten,~
⌠Seite 171⌡

/Seite_173

/Bey alten Leuten sagt man ist das √Gedachtniß_\\_Gedächtnis⌡ schwach, allein in Ansehung deßen was sie schon wißen, ist es eben so starck als bey den √iungen_\\_Jungen⌡, und jetzt da sie alt sind faßt das Gedächtnis √nichts_\\_nicht⌡ neues mehr, daher alte Leute das alte noch genau wißen├,┤ allein das neue können sie nicht faßen. Die Eindrücke sind bey ihnen √schwacher_\\_«S»schwächer⌡, also auch die √Erinnerung_\\_Erinnerungen⌡. Bey den iungen aber ist es umgekehrt, die faßen das neue bald⌠,⌡ aber behaltens nicht lange. Daß die Alten eben so gut das alte wißen⌠,⌡ ist die Ursach, weil sie es sich so gut imprimirt haben. Ingenieuse Leute faßen bald, ⌠witzige Leute faßen auch bald,⌡ vergeßen aber auch bald, indem sie das mit andern Sachen verwechseln, denn ihr Witz macht ihnen viele Aehnlichkeiten. Die Bücher haben das Gedächtnis geschwächt, weil man das, was

/Seite_174

/man in
⌠Seite 172⌡
einem Buche finden kann⌠,⌡ sich nicht Mühe giebt⌠,⌡ zu behalten. So kann man auch sagen, daß das Schreiben das √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡ schwächet. So hat das Schreiben in den Vorlesungen gar keinen Nutzen, wenn man es bloß dazu hat, daß es dazu diene, um zu behalten, wenn es aber eine Form des Ge- dächtnißes ist, wenn man sich aus der Wißenschaft ein System zu machen sucht, so hat es freilich seinen Nutzen. Wer sich angewöhnt hat, dasjenige was er behalten will, so gleich aufzuschreiben, der hat sein Gedächtniß sehr √geschwächt_\\_geschwacht⌡, so daß wenn er einmahl seine Schreibtafel vergeßen hat, sich Gewalt anthun muß├,┤ um es zu behalten. Also kann man es √so weit durch Kunst_\\_durch Kunst so weit⌡ bringen, daß man des Gedächtnißes nicht viel bedarf. Die Eigenschaft sich wor- 
⌠Seite 173⌡
auf leicht zu besinnen⌠,⌡

/Seite_175

/ist √vortreflich_\\_vorträflich⌡, und kommt darauf an, daß es nicht durch Gewohnheit der Unterlaßung erlösche. Die Vergeßlichkeit ist ein großes Unglück. Die vom √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡ √geringschatzig_\\_gerinschätzig⌡ reden⌠,⌡ bedencken nicht, daß es eine große Hülfe der Erkenntniße ist. Tantum scimus⌠,⌡ qvantum memoria tenemus. Wer ein stumpfes √Gedächtnis_\\_Gedachtnis⌡ ├hat┤, der ist gantz leer an Erkenntnißen. Es ist also nöthig sein Ge- dächtnis zu erhalten. Jm 40⌠ten⌡ Jahr wird das Gedächtnis schwach. Man kann da nichts neues lernen, wohl aber das gelernte erweitern. Das lebhafte Gedächtnis geht nur bis ins 30te Jahr. Jn diesen Jahren müßen die materialien_\\_Materialien⌡ herbeygeschaft werden, um hernach Materie zum Dencken zu haben. Dahero in der Schule von der Philosophie abstrahiret werden sollte, und nur Sachen
⌠Seite 174⌡
fürs √Gedächtniß_\\_Gedachtnis⌡ vorgenommen werden,

/Seite_176

/weil dieses die beste Zeit fürs Gedächtnis ist. √Romainen_\\_Romanen⌡ √ruiniren_\\_ruiniren⌡ das Gedächtnis├,┤ denn da schweift das √Gemüth_\\_Gemuth⌡ aus⌠,⌡ denckt vieles hinzu, und macht sich Hirngespinste. Denn die da Romanen_\\_Romanen⌡ lesen, wißen daß es Romanen sind, dahero lesen sie selbige als etwas⌠,⌡ das sie nicht behalten dürfen. Der Schaden ist nicht der, daß man den Roman nicht behält, welches noch ein Glück wär├,┤ wenn man sie alle aus dem Kopf wegschaffen könnte, sondern weil man √niemals_\\_niemahls⌡ einen Roman lieset⌠,⌡ um ihn zu behalten; so acqviriret man sich Gewohnheit Bücher zu lesen ohne zu behalten was man gelesen. Daher behalten Menschen die erst Romanen und √denn_\\_den⌡ andere Bücher lesen nichts von dem⌠,⌡ was sie gelesen haben.
⌠Seite 175⌡
Die Untreue des Gedächtnißes kommt daher, wenn man etwas nicht vor erheblich hält, darauf zu attendiren, und sich daraus nichts macht in der

/Seite_177

/√Erzahlung_\\_Erzählung⌡ einen Umstand für den andern zu setzen, weil sie es für einerley halten, dahero solchen gemeinen Leuten besonders in einer Erzahlung nicht viel zu trauen ist, ob es gleich nicht √Lügen_\\_lügen⌡ sind, die sie mit √fleis_\\_Fleis⌡ vorredeten, sondern solche Nachrichten von denen sie selbst nicht wißen, daß sie falsch sind. √Dahero_\\_Daher⌡ entspringen alle √Gespeinster Historien_\\_Gespensterhistorien⌡. Die Püncktlichkeit im Beobachten und Wiedersagen was man gesehen und gehört hat, ist sehr nöthig das Gedächtnis «¿»√treu_\\_Treu⌡ zu erhalten, wenn aber Leute püncktlich worauf sehen, so kommen falsche Nachrichten aus guter Meinung. Es giebt Beyspiele vom ungeheuren Gedächt- 
⌠Seite 176⌡
nis Z. E. ein schlechter Junge fand √Be«¿»lieben_\\_belieben⌡ an einem gedruckten Buche ohne daß er lesen konnte. Man lehrte ihn lesen, hierauf konnte er alles was er gelesen, auswendig hersagen, so daß er zu

/Seite_178

/einer Zeit ein Manuscript √das_\\_daß⌡ er gelesen, und so man vor verlohren gab, von Wort zu Wort dictirte. Er war ein Oracel der Gelehrten, aber gegen die gantze Welt gleich gültig.

Vom Vermögen zu Dichten.

Dichten heißt neue Erkenntniße und Vorstellungen schaffen. Dieses ist entweder willkührlich oder unwillkürlich. Es ist schon oben gesagt, daß unsere Imagination ihren Strom fortläuft. Diejenige Kraft aber neue Vorstellungen zu machen, ist eine thätige √will- kührliche_\\_Willkührliche⌡ Kraft, sie liegt allen Unternehmun- 
⌠Seite 177⌡
gen zum Grunde. Ehe wir was ausüben, geben wir doch Plan und Mittel an, die wir uns alle dichten. Das Dichten dient zur Un- terhaltung, und ie mehr Menschen ihre Gemüths Kräfte erweitern, desto mehr

/Seite_179

/sind sie mit der Gegenwart unzufrieden, und machen sich andere neue Vorstellungen, es √gehört_\\_gehör⌡ also zur Natur.
Entdecken heißt das zuerst antreffen├,┤ was zwar da aber nicht bekannt ist, es ist vom ⌠«Emp»⌡Erfinden unterschieden.
Erfinden heißt etwas aus sich selbst hervorbringen, was gar nicht da war, entdecken aber heißt nur dasjenige beobachten, was gar nicht bekannt war, so ist die magnetische Kraft nicht erfunden⌠,⌡ sondern entdeckt, so auch fremde Länder, aber ein Experiment kann man erfinden⌠. Wir
⌠Seite 178⌡
erfinden⌡, was auf uns selbst ankommt.
Erdencken heißt etwas finden was seinen Ursprung lediglich in den Gedancken und in dem Kopf hat; so kann sich ein Spitzbube etwas zur Vertheidigung erdencken. Ausdencken ist sich etwas willkühr- lich gedencken.

/Seite_180

/Was das Dichten besonders betrift├,┤ so ist es generaliter Erkenntniße hervorbringen, die gar nicht im vorigen Zustande waren. Erdichten √<aber>_\\_aber⌡ ├ist┤ etwas falsches dichten.
Das Dichten wird in vielfacher Beziehung gemacht√,_\\_;⌡ Mann erdichtet sich etwas zum Vortheil der Vernunft um etwas zu erfinden. So erdichtet man sich √ZirkelsZirckels⌡ am Himmel. Ferner erdichtet man sich etwas nicht zum Erfinden, sondern zum Erläutern, und dieses dient zum Vortheil
⌠Seite 179⌡
des Verstandes Z. E. Gleichniße, moralische Fabeln. Jede Fabel soll also eine Erdichtung zur Erläuterung des Verstandes seyn, und passet am Besten in der moralischen Welt um die moral_\\_Moral⌡ selbst verständlich zu machen. Also was in der moral_\\_Moral durch allgemeine Begriffe gesagt ist, wird in der Fabel

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/sinnlich gemacht, welches den Verstand erläutert. Sie machen großen Eindruck auf Personen die in Concreto urtheilen Z. E. die Fabel vom Magen. Fabeln sind nicht für Kinder⌠,⌡ denn die attendiren nicht auf die Moralitaet, sie divertiren sich nur am äußern ├Z. E.┤ am Fuchs, Raben, Käse p├.┤ Das Verdienst der Fabel ist den Verstand sinnlich und die moral_\\_Moral anschauend zu machen. Endlich so giebt es noch Erdichtungen, die dem gesunden
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Verstande entgegen sind, und das sind Mährchen, die den Fabeln entgegen gesetzt werden, welche letztere zur Befriedigung des Verstandes, die ersteren aber zum Nachtheil deßelben dienen. Wenn wir die Erdichtungen der √Volcker_\\_Völcker⌡ durchgehen Z. E. die Mythologie, so können wir ⌠dadurch⌡ das Genie der Völcker beurtheilen Z. E. der Grichen, der Römer und Jndianer. Die √grichische_\\_Grichische⌡ und √Romische_\\_Römische⌡ Theogonie wird

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/sich so lange erhalten, als die Geschichte bleiben wird.
√≥Begrif des Dichters und der Dichtkunst._\\_Begriff des Dichters und der Dichtkunst.⌡
Das √harmonische_\\_Harmonische⌡ Spiel der Gedancken und Empfindungen ist das Gedicht. Das Spiel der Gedancken und Empfindungen ist die Uebereinstimmung der subjectivischen Gesetze;
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wenn die Gedancken mit meinem Subject √ubereinstimmen,_\\_übereinstimmen⌡ so ist das ein Spiel derselben. Zweyerley ist bey den Gedancken zu beobachten, daß sie in Beziehung auf den ⌠Gegenstand stehen, und da müßen die⌡ Gedancken wahr seyn, und daß der Lauf der Gedancken mit der Natur der Gemüths Kräfte also mit dem Subject übereinstimme und also die Succession der Gedancken mit den √Kraften_\\_Kräften⌡ des Gemüths. Dieses harmonische Spiel der Gedancken und Empfindungen ist das Gedicht. Gedicht und

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/Beredsamkeit unterscheiden sich darinn√; das_\\_. Das⌡ Gedicht ist ein harmonisches Spiel├,┤ in welchem sich die Gedancken dem Spiel der Empfindungen accommodiren, die Beredsamkeit ist auch ein harmonisches Spiel, aber hier muß sich die Empfindung den
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Gedancken accommodiren. Die Empfindungen müßen die Gedancken √befördern_\\_befordern⌡ und beleben. Beleben heißt├,┤ Stärcke, Klarheit, Anschauung den Gedancken geben. Das Spiel der Gedancken, so ferne sie sich den Empfindungen accommodiren⌠,⌡ treibt der Dichter. Der Dichter hat ein √Sylbenmaas_\\_Silbenmaas⌡ oder einen Reim. Solche Nationen, die Prosadie haben, haben keinen Reim, die aber einen Reim haben, haben keine Prosadie. Also ist da immer ein gleichförmiges Spiel, das geht auf den Ausdruck⌠,⌡ und beym Gedicht ist es das Hauptstück. Fällt das weg, so

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/fällt ein großer Theil der Empfindung weg. Daher hat die Poesie eine große Aehnlichkeit mit der Music├,┤ wo eben ein hoher und niedriger Ton ist, der durch das Silbenmaas
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in gewißen Intervallen abgetheilt ist. Jn dieser Dichtkunst hat der Dichter große √Freiheit_\\_Freyheit⌡ in Gedancken und Worten, aber in An- sehung des harmonischen des Spiels hat er keine Freyheit. Dahero ist ein Fehler des Reims ein unvergeblicher Fehler. Die Dichtkunst ist eher gewesen als die Beredsamkeit, man hat eher Poesien als Reden gehabt. Die Ursache ist: die Empfindungen sind eher √gewesen als die Gedancken,_\\_als die Gedanken gewesen;⌡ dahero hat man die Gedancken den Empfindungen accommodirt_\\_accomodiret,⌡ bis der Verstand zuwuchs, und da hat man es umgekehrt. Bey der Beredsamkeit wird das Spiel der Gedancken befördert und belebt.

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/Der Redner ist in Ansehung der Empfindungen √eingeschrenckt_\\_eingeschränkt⌡, sie müßen so gewählt werden, daß sie die Gedancken des
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Verstandes befördern, wählt er Bilder so wird er ⌠zum⌡ Dichter. Redner und Dichter seyn, stimmt sehr überein. Die Beredsamkeit macht die Poesie √gedancken_\\_«g»Gedancken⌡ voll, die Poesie macht die Beredsamkeit √empfindungs_\\_«e»Empfindungs⌡ voll. Wenn die Dichtkunst leer ist├,┤ so muß die Beredsamkeit das √gedancken leere_\\_Gedanckenleere⌡ ersetzen, und wenn in der Beredsamkeit wenig Empfindung ist, so wird sie durch die Poesie ersetzt.
Viele Gedichte sind bloß Spiele der Empfindung Z. E. Liebes Gedichte. Ein Dichter von Talent muß sich damit nicht abgeben, weil es sehr leicht ist solche Empfindungen zu erregen, indem schon √jeder_\\_ieder⌡ von selbst solche Empfindungen hat. Aber die Tugend und derselben Empfindungen in

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/ein harmonisch Spiel zu
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bringen, das ist ein Verdienst, denn es ist was intellectuelles, und diese anschauend zu machen, ist ein wahres Verdienst Z. E. Pope⌠.⌡ Versuch vom Menschen. Dieses Buch hat gesucht die Dichtkunst durch die Vernunft zu beseelen. Was die Erdichtung betrift, so kann √die_\\_sie⌡ bloß zur Unterhaltung geschrieben werden, und denn heißt sie ein Roman. Es ist eine √Erzählung_\\_Erzahlung⌡ die mit der Analogie der Weltbegebenheiten erdichtet ist, so aber die Begebenheiten der Welt übertrift. Man setzt den Menschen in den Romanen in allerhand Stellen, so daß sich zuletzt einige √Charaktere_\\_Characktere⌡ zeigen, allein die Characktere aus der wahren Geschichte gefallen beßer. Es wäre gut aus der Geschichte der

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/Charaktere √der_\\_den⌡
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Menschen zu beschreiben. So sagt Richardson⌠:⌡ Menschen├,┤ die von Natur ein gutes Hertz haben und Laster begehen, die gehen darinn weiter als die von Natur böse sind. Er gab ein Beyspiel aus der Geschichte. Sylla war von Natur böse, lebte aber nach vielen Blutvergießen in Ruhe. Nero hatte von Natur ein gutes ⌠Hertz⌡ √<Gemüth>_\\_Gemüth⌡, er verfiel aber aus Leichtsinn in Wollust und Grausamkeit. Solche Reflexionen_\\_Reflectionen über Menschen, die aus der Geschichte bestimmt sind, sind beßer als Romanen.
Erdichtungen die für Wahrheiten ausgegeben werden sind lügen. Diese Eigenschaft ist bey vielen Menschen ein Dichtungs Vermögen├,┤ die bloß ohne Absicht ihrer Fähigkeit zu dichten⌠,⌡ den Zug geben.
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/ ≥Vom Zustand des Menschen im Schlaf √und_\\_oder im⌡ Traum.

Träume sind selbst geschaffene Bilder des √mensch- lichen_\\_Menschlichen⌡ Gemüths deren man sich im √Wachen_\\_«w»Wachen⌡ erinnert. Viele Träume kommen beym Menschen überein Z. E. wenn man in der Luft schwebet⌠,⌡ welches ein Zeichen der Gesundheit ist, die aus der Leichtigkeit des √Geblüths_\\_Geblüts⌡ kommt. So √können_\\_konnen⌡ auch Träume die Disposition des Tages anzeigen Z. E. ein Lerm mit Hunden zeigt Händel an, besonders bey Leuten die darauf attendiren. Die Ursache ist⌠,⌡ weil ihnen schon im Schlafe der Kopf nicht recht gestanden hat, und stehen sie auf, so ist ihr Gemüth auch so übel disponirt_\\_disponiret⌡, daß sie über alles ärgerlich werden, und

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/Händel machen. Solche Träume können immer was bedeuten, denn es ist natürlich. Man glaubt auch im Schlafe Mei- 
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ster √Stücke_\\_Stucke⌡ des Witzes hervorgebracht zu haben Z. E. ein √schönes_\\_schones⌡ Gedicht, allein das ist eine √Jllusion_\\_Illusion⌡. Vorbedeutende Träume sind wohl möglich, in so ferne sie aus dem Zustande des √Cörpers_\\_Corpers⌡ fließen Z. E. √iemanden_\\_jemanden⌡ √Träumt_\\_träumt⌡ von einer ⌠Kranckheit, so bringt die ⌡Kranckheit die schon im Cörper ist, solchen Traum hervor. Viele Träume entspringen aus der Beklemmung des Bluts, welches aus der Hertz Cammer dringt├,┤ besonders auch aus ⌠der Hertz Cammer und ⌡dem Athemzuge├,┤ der beym Wachen willkührlich, im √Schlaaf_\\_Schlaf⌡ aber sehr schwach ist. Die Träume hat man für Vorbedeutungen künftiger Dinge angesehen, dahero hat man sie ausdeuten wollen. Alle wilden Völcker

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/halten die Träume für etwas göttliches. Ein Phantast ist, der seine Bilder in der Imagination für würckliche Gegenstände hält, er ist
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vom Schwärmer zu unterscheiden. Der Phantast bildet sich ein⌠,⌡ Gegenstände dieser Welt zu sehen, der √Schwarmer_\\_Schwärmer⌡ aber glaubt Gegenstände der Geisterwelt zu sehen. Wer seine Empfindungen aufspähet, und darauf sehr acht hat, geräth in die Phantasterey, wer aber außer sich ist, ist davor sicher.
Der √Entusiasmus_\\_Intusiasmus⌡ ist eine Phantasterey in Ansehung der Gegenstände des Verstandes Z. E. Enthusiasmus der Tugend des Patriotismus, wenn ein Ideal für etwas reelles_\\_reelles⌡ gehalten wird. Wahnsinn oder Delirium ist die habituelle

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/Phantasterey, so die Bilder für würckliche äußere Gegenstände hält. Der ist wahnsinnig, der seine chimaeren_\\_Chimairen für würckliche Gegenstände seines vorigen Zustandes hält Z. E. er sey ein √Prinz_\\_Printz⌡ gewesen, der ist aber verrückt, der da glaubt äußere Gegenstande zu sehen, beides ist
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das Delirium. Wahnsinnige Kinder giebt es nicht, sondern der Wahnsinn stellt sich mit der Vernunft ein. Der Wahnsinn aus Kranckheit ist das Phantasiren oder Faseln.
Blödsinnig ist der, der seinen Zustand in der Welt nicht wahrnimmt Z. E. die Cretens in Wallis, auch die Albiner. Wenn die √Kräfte_\\_Krafte⌡ in Ansehung des Gebrauchs schwach sind, so sind das √Blödsinnige_\\_Blodsinnige⌡. Wenn aber die Kräfte in Ansehung des Gebrauchs der Sinnlichkeit irre sind, so sind das Wahnsinnige. Der Blödsinnige ist

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/unbrauchbarer, weil er seine Fähigkeiten gar nicht anwenden kann, er kann sein Gedächtnis nicht anwenden, das zu reproduciren, was er gesehen hat. Die Phantasterey ist das Genus├,┤ wo man Bilder und Erdichtungen für würckliche Gegenstände hält. Diese Phantasterey ist zwiefach├,┤ der Begrif- 
⌠Seite 191⌡
fe und ├der┤ Empfindung. Die Phantasterey der Begriffe entspringt aus einer Empfindung des Beyfalls, des Gefühls des guten, rührenden und reizenden. Dieses Gefühl des Begrifs macht, daß man das ideale realisirt, und daß wenn es würcklich wäre, es großen Wohlgefallen bey uns hätte. Dieses zeigt schon die Erfahrung, daß man das am Gegenstande zu sehen glaubt, was man davon denckt.

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/So setzt man, wenn man eine Geschichte erzählt, vieles hinzu, wovon man glaubt, daß es noch daran gefehlt hat. Diese Phantasterey aus Ideen_\\_Ideen⌡, ob sie gleich nur eine Wirckung des Dichtungs Vermögens ist, aber doch nach Regeln des Verstandes geschiehet, heißt der √Entusiasmus_\\_Enthusiasmus⌡. Er ist ein Phantast des Ideals_\\_Ideals⌡. Dieses Enthusiasmi sind nicht alle fähig, es ist eine edle Phantasterey,
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sie setzt ein Talent voraus, wo sie ist. √Vielen_\\_Viele⌡ so sich über den Enthusiasmum aufhalten sind nicht durch den Verstand von demselben frey, sondern durch ihre Stupiditaet_\\_stupiditaet. Der Enthusiasmus setzt voraus, daß man sich ein Ideal_\\_Ideal⌡ wovon √macht_\\_mache⌡. Es giebt √Erkenntniße_\\_Erkentniße⌡ die Urbilder der Sache sind, so daß die Dinge nach der

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/√Erkenntnis_\\_Erkentnis⌡, die ein Urbild von ihnen ist├,┤ möglich sind. Dieser vollkommene Begriff von einer Sache ist die Idee_\\_Idee⌡, fingirt man sich aber ein dieser Idee_\\_Idee⌡ gemäßes Bild, so ist das ein Ideal. Weil diese Idee das Muster der Vollkommenheit ist, so gefällt es uns so, daß wir verleitet werden zu glauben, daß solches würcklich in der Welt statt finden kann. So hat jeder eine Idee der Freundschaft in ihrer gantzen Reinigkeit in seinem Kopf, obgleich sie in der gantzen Welt nicht angetroffen wird. Nach dieser Idee kann man alle Freund
⌠Seite 193⌡
schaft beurtheilen. Wer aber diese Idee realisirt_\\_realisirt⌡, wer da erwartet, daß sie würcklich in der Welt statt finden soll, und selbst in dem Grad, den er sich in

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/seinem Kopf davon macht, der geräth in den Enthusiasmus der Freundschaft. So giebts einen Enthusiasmum des Patriotismus, wo man sich ein Ideal der vollkommenen Verbindung der bürgerlichen Gesellschaft zu einem allgemeinen Wohl der gantzen bürgerlichen Gesellschaft macht. Wer diesem Ideal mit affect nachhängt, √das_\\_daß⌡ doch nicht erreicht werden kann, der ist √enthusiastisch_\\_Enthusiastisch⌡. Solcher Enthusiasmus macht große Ausschweifungen, so daß der⌠,⌡ der durch diese Idee begeistert wird, √so wohl_\\_sowohl⌡ Freundschaft als natürliche Verbindung und alles aufopfert. Wird nun ein solches Ideal nicht erreicht⌠,⌡ so macht ein solcher Enthusiasmus misantropische_\\_misantropische⌡
⌠Seite 194⌡
Menschen. Ein solcher fliehet die Menschen nicht aus böser Absicht,

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/weil er sie nicht leiden kann, sondern weil er nirgends solche √Menschen_\\_Leute⌡ findet, wie er sie haben will, nicht solche √danckbare,_\\_danckbaare⌡ solche wohlwollende gegen das gantze √menschliche_\\_Menschliche⌡ Geschlecht. Er ist also ein √Tugendhafter_\\_tugendhafter⌡ Phantast, er verfolgt das Ideal mit Affect. Solches Ideal kann zwar zur Regel und zur Beurtheilung dienen, kann aber nicht würcklich erreicht werden. Solche Enthusiasten sind nicht böse Menschen, sondern sie sind angefült mit Grundsätzen von Wohlwollen gegen das gantze menschliche Geschlecht, und indem sie solches nicht antreffen können, werden sie Misantropen├.┤ Z. E. Rousseau und werden für wiedersinnig gehalten, indem sie solche Grundsätze haben, wornach sie von

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/andern beurtheilet werden√;_\\_.⌡ Man pflegt
⌠Seite 195⌡
zu rühmen, daß der Enthusiasmus viel großes thut, und alle große Veränderungen ⌠in der Welt ⌡aus dem Enthusiasmus entstünden⌠,⌡ nicht aus kalter Beurtheilung sondern aus der Anschauung. Den Phantasten der Empfindung kann man Träumer nennen. Dergleichen sind die Alohymisten, √Chimisten_\\_Chymisten⌡ p. Die bilden sich noch immer ein den Stein der Weisen zu erlangen. Solche Träumerey findet statt aus Mangel der Erfahrung. Den Wahnsinn in Ansehung der innern Empfindung nennt man Schwärmerey. ⌠«Alle»⌡ Alle Träumer durch einen geistigen Sinn sind Schwärmer, der hat schon Hang dazu, der es theoretisch für möglich hält. So nobel_\\_nobel⌡ der Enthusiast ist, so niedrig ist der

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/Schwärmer. Der Enthusiast hat doch ein wahres Urbild zum Gegenstande, dieser aber
⌠Seite 196⌡
folgt Undingen und Hirngespinsten. Je mehr sich einer der äußeren Welt entzieht, desto schädlicher ist es. Der Schwärmer ist nun aber ein solcher, der sich dieser Welt gantz entzieht, folglich ist er für die gegenwärtige Welt gantz unbrauchbar. Alle Schwärmer haben keine richtige Philosophie_\\_Philosophie⌡, wohl aber die Enthusiasten, nur sie folgen ihren richtigen Begriffen mit vollem Affect.

Vom Voraussehen

Das Voraussehen ist die Bedingung, unter der alle unsere Handlungen geschehen. Das √gegenwärtige_\\_gegenwartige⌡ genießen wir, auf das künftige machen wir Zubereitung. Je

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/thätiger ein Mensch ist, desto mehr Reitz hat er sein Augenmerck aufs künftige zu richten, der aber so wenig √bedürfniße_\\_Bedürfniße⌡ hat, sieht sich wenig auf die Zukunft vor. Mit den Jahren nimmt die Praevision zu. Junge Leute sehen nicht
⌠Seite 197⌡
so in die Zukunft wie √alte_\\_Alte⌡, denn die iunge haben nicht solche eingewurtzelte Angelegenheiten des Lebens, sie haben sich noch an vieles nicht √gewöhnt_\\_angewöhnt⌡, sie können noch ihre Lebens Art ändern, und zu allem sich entschließen. Der Alte hat aber ├«mehr»┤ eher Vorsicht in Ansehung des Künftigen, weil er mehr Zurüstungen braucht├,┤ als der iunge, indem der iunge lebhafter ist. Daher kommt es, daß alte Leute geitzig sind, weil sie auf die Zukunft sehen, obgleich die Jungen eher Ursache hätten zu sparen⌠,⌡ weil sie länger zu leben

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/haben. Allein die Ursache bey dem Alten ist diese⌠,⌡ sie finden sich im Alter unfähig für ihr weiteres Unterkommen zu sorgen, dahero suchen sie sich ein künstliches Vermögen zu erwerben, und daher sparen sie, der Junge aber denckt├,┤ kommt Zeit kommt Rath. Ob gleich die Vorstellung
⌠Seite 198⌡
vom künftigen noch so kräftig ist, als vom gegenwärtigen, so interessirt_\\_interreßirt⌡ es uns doch mehr Z. E. ein Vergnügen, was man genießen soll⌠,⌡ kommt einem weit angenehmer vor, als man es hernach würcklich findet. So sind alle Ehen, in denen man sich himmlische Vergnügungen zu genießen vorstellt, die doch hernach kaum ein mittelmäßiges Glück ausmachen. Die Sache kommt niemals mit dem Ideal überein, was man sich davon gemacht hat, als es noch in

/Seite_201

/der Zukunft war. Die Ursache ist, weil wir uns das Künftige verschönern und umformen können, so wie wir wollen, das √gegenwärtige_\\_Gegenwärtige⌡ aber können wir uns nicht beßer vorstellen, als es ist, daher gehen die chimaeren_\\_Chimairen auf die Zukunft.
So wie uns das künftige angenehme Vergnügen oder Glück sehr ergötzt, so ist uns
⌠Seite 199⌡
im Gegentheil das künftige Unglück desto fürchterlicher, als es würcklich an sich ist. Daher wünscht man, daß es bald vorbey wäre. Ueberhaupt theilen die Menschen die Zeit in Ansehung des Angenehmen und unangenehmen besonders ein. Wenn ein jeder 20 oder 30 ├lauter┤ Uebel├,┤ √Sklaverey_\\_Sklawerey⌡ und Wiederwärtigkeiten auszustehen hätte⌠,⌡ und hernach die übrige Zeit lauter Glück und Vergnügen, so wird ein jeder die √Jahre_\\_Iahre⌡

/Seite_202

/des Unglücks lieber eher ausstehen wollen⌠,⌡ damit er nur gegen das Ende lauter Annehmlichkeiten zu genießen habe. Genießt er √das Unglück_\\_des Unglücks⌡ zuerst, so vergnügt er sich ├darinn┤ mit dem Prospect_\\_Project in das √künftige_\\_künftig⌡ angenehme Leben. Würde er aber die angenehmen Jahre zuerst zu genießen haben, so möchte ihn das künftige Unglück immer qvälen. So sind alle Romanen eingerichtet, sie geben
⌠Seite 200⌡
dem Jüngling erst alle Verdrieslichkeiten ├und Wiederwärtigkeiten ┤
des Lebens auszustehen, und alles Vergnügen und Wohlleben verschieben sie bis an das Ende seines Lebens. So ist es auch im Eßen. Das beste bleibt immer zuletzt. So giebt man den besten Wein zuletzt zu trincken. Würde

/Seite_203

/der √beste_\\_Beste⌡ zuerst kommen, so würde der schlechte hernach nicht schmecken. So verschmachten auch die Leute die den Hof haben meiden müßen, obgleich ihre Lebens Art ⌠hernach ⌡nicht die schlechteste ist. Es kommt also auf die Ordnung der Erfindung an, und die √Praevision_\\_Provision⌡ richten wir alle so ein.
Es giebt Menschen die sich mit Hofnungen nähren. Einige stellen sich vor, daß ihnen das Uebel eher √begegne«n»_\\_begegne⌡ was ihnen droht, als das Glück eintreffe, wozu sie sich Hofnung machen √könnten_\\_konnten⌡. Wer in seinen Wünschen
⌠Seite 201⌡
gemäßigt ist, der ist eher besorgt, daß er unglücklicher werde, weil er mit seinem gegenwärtigen Zustande zufrieden ist. Wer aber mit dem gegenwärtigen Zustande unzufrieden ist, der hat große Hofnung

/Seite_204

/zum künftigen Glück. Man sagt, was man wünscht, das hoft man auch zu erlangen, allein man hat oft was anderes zu hofen als man wünscht. Macht man sich von etwas Hofnung⌠,⌡ und sie schlägt fehl, so wird der Mensch verzweifelt, ist sie noch nicht ausgefallen, so unterhält sie ihn, indem man noch √hofft_\\_hoft⌡ es künftig zu erreichen Z. E. ein Spiel⌠.⌡
Die Jugend ist voller Hofnung und zwar mit Recht, denn sie hat Talente⌠,⌡ solches √ins_\\_in⌡ Werck zu stellen, der alte hoft weniger, und sucht sich nur in dem Besitz deßen zu erhalten, was er hat.
⌠Seite 202⌡
Die Menschen sind sehr begierig vom entfernten künftigen etwas zu wißen und darinn etwas zu veranstalten. Das √entfernt_\\_entfernte⌡ künftige zu wißen, hat seinen natürlichen Hang, √nehmlich_\\_nemlich⌡ seine Kenntniße zu vermehren. Es ist uns also nicht gleichgültig zu wißen├,┤ was über 1000 Jahre geschehen würde

/Seite_205

/Z. E. die Astronomischen_\\_Astronomischen⌡ Bemerckungen in der künftigen Veränderung interessiren uns sehr. Die vergangene Zeit aber ist in Ansehung unserer, als wenn sie nicht da gewesen wäre.
Der mindeste Grad des künftigen Vorhersehens ist die Erwartung⌠,⌡ Expectation. Ein großerer Grad des Vorhersehens ist Vermuthen, und der größte Grad ist das Wißen. Die Erwartung ist auch den
⌠Seite 203⌡
Thieren gemäß. Jn der Reihe der Folgen⌠,⌡ ist eine gewiße Ordnung├,┤ die wir in Ansehung des vergangenen wahrnehmen, nach der alles geschehen ist. Nach ⌠eben⌡ dieser Ordnung sehen wir auch ins künftige. Die Erwartung aehnlicher Fälle ist also der mindeste Grad unseres Vorhersehens. Je länger √jemand_\\_iemand⌡ lebt, und je mehr er auf die Fälle der Erfahrung Acht gegeben hat⌠,⌡ nach welchen Regeln sie geschehen sind, desto mehr ist er im Stande ins Künftige zu prospiciren, indem ihm die Erfahrung

/Seite_206

/viele Regeln an die Hand giebt├,┤ wornach er nach dem Gesetz der ähnlichen Fälle etwas vorhersehen kann. Diese Klugheit, die aus √solche@¿m¿@_\\_solchem⌡ Alter entspringet, fließt nicht aus dem
⌠Seite 204⌡
Verstande, sondern aus der Erfahrung und gründet sich auf die √aehnlichen_\\_ähnlichen⌡ Fälle.
Ungewiß etwas vorher sehen├,┤ ist Vermuthen, Provision, und etwas mit Gewißheit vorhersehen ist Wißen. Vermuthen setzt Schließen zum voraus, also nicht allein die Erfahrung├,┤ sondern auch die Vernunft. Das Wißen setzt aber völlige Vernunft zum voraus, so kann ein Astronom etwas wißen. √Freie_\\_Freye⌡ Handlungen der Menschen kann man nicht wißen, wohl aber vermuthen, und das ist die Klugheit. Allein diese √drey_\\_3⌡ Vermögen sind mit den Regeln des Verstandes einstimmig, und wenn auch die

/Seite_207

/Erwartung mit der Einbildung correspondirt, so ist sie doch dem Verstande √gemäß_\\_Gemäß⌡. Es giebt aber einige Praevisionen_\\_Provisionen, so mit dem Ver- 
⌠Seite 205⌡
stande gar keine Gemeinschaft haben, ⌠ia die sogar wieder den Verstand gehen, ⌡und das sind die Ahndungen. Die Ahndung soll eine unmittelbare Anschauung des Künftigen seyn, nun können wir aber nur das gegenwärtige anschauen. Ahndungen sollen also nicht Vermuthungen sondern Anschauungen des künftigen seyn. Diese Ahndung macht bey einem unrichtigen und eingeschränckten Verstande den √größten_\\_großten⌡ Theil des Wißens aus. Dasjenige was sie vermuthen und wißen⌠,⌡ ist wenig. Wenn solchen Personen besonders altern Weibern was ahndet, so geschicht es nicht nach Regeln der Ordnung und der Vernunft, sondern es soll durch gewiße Zauberkraft geschehen, sie

/Seite_208

/empfinden solches schon so in sich√:_\\_.⌡ Er frägt sich: ob die Ahn- 
⌠Seite 206⌡
dungen √den_\\_denn⌡ ohne allen Grund sind? Jm vernünftigen Sinn kann schon in unserm Gemüth ein Grund zur Ahndung seyn⌠,⌡ den wir nur nicht auswickeln können Z. E. es ahndet jemand er werde Kranck werden, so liegt der Grund schon in ihm├,┤ oder im Spiel, er würde verlieren. Oft ist die Ahndung die Ursache wovon, so kann einem ahnden, daß er glücklich werde, welches beym frohen Gemüth geschehen kann, oder √das_\\_daß⌡ er unglücklich werde, welches auch leicht bey einem übel disponirten Gemüth geschehen kann, und denn sind die Ahndungen natürlich. Aber wenn einem etwas ahndet, ohne Verknüpfung der Regel mit dem √gegenwarti- gen,_\\_gegenwärtigen⌡ ohne alle Gesetze durch einen Sprung, da gehören die Ahndungen zu den

/Seite_209

/Hirngespinsten. Und so machen die Neigungen und Begierden, die aus ihren Schrancken treten, den Menschen abergläubisch, da glaubt
⌠Seite 207⌡
er das zu sehen und das zu erfahren, was
er sich schaft.
Prognostitiren_\\_Prognostiziren⌡ heißt etwas √vorher sagen_\\_vorhersagen⌡. So ferne kann ein √erfahrner_\\_Erfahrner⌡ und belesener Mann in Staats und Rechtssachen oft nach den Gesetzen des Verstandes vieles prognosticiren⌠. Es giebt aber Prognostiren ⌡├,┤ die bloß auf einzelne Personen gerichtet sind, und diese nennt man Wahrsagungen, oder die an die gantze Welt gehen, und die nennt man Weißagungen. Beyde können Divinationes heißen. Mann kann oft an einem Menschen Z. E. aus seinem Gesicht zeigen, was aus ihm werden wird, und also prognosticiren. Das sind vernünftige Wahrsagungen. Allein √viele_\\_<viele>⌡ Wahrsagungen von einzelnen Personen

/Seite_210

/geschehen aus den √Lienien_\\_Linien⌡ der Hände, die gar kein Grund des Prognosticirens_\\_prognosticirens⌡ seyn können. Das was die Astronomen_\\_Astronomen⌡ vorher sagen können, sind keine
⌠Seite 208⌡
Weissagungen. Bey der Weissagung muß nichts aus der Vernunft entspringen, sondern es muß eine Offenbarung seyn. Das Wahrsagen kann möglich seyn durch den Prospect der Entfernung √im_\\_ein⌡ Raum und in der Zeit√, allein_\\_. Allein⌡ in Ansehung des Künftigen giebt es keine Prospecte. Viele Philosophen glaubten das Z. E. Leibnitz sagte: Wenn man sich das gegenwärtige vollständig bewust wäre, so würde darinn der Keim des künftigen liegen, so wie in der Astronomie in Ansehung der Constellation des Himmels. Da wir aber bey den freien Handlungen der Menschen unmöglich die

/Seite_211

/bestimmten Ursachen erkennen können, um das künftige vorher zu sagen, so ist es nicht möglich. Die √prophetische_\\_Prophetische⌡ Gabe muß also auf die freien Handlungen⌠,⌡ der Menschen gehen, und solche ist unmöglich. Die Begebenheiten der Natur voraus zu sehen, ist möglich, und √jemer_\\_ie mehr⌡ wir die Natur √studieren_\\_studiren,⌡
⌠Seite 209⌡
und die Ursachen einsehen können, um desto eher geht es an, aber wenn wir √auch noch so den Menschen_\\_den Menschen auch noch so⌡ kennen lernen, so geht es doch nicht an. Prophet bedeutet bey den Alten nicht den Wahrsager selbst, sondern den Ausleger. Die Sprüche und verworrenen Redensarten eines √tollen_\\_Tollen⌡ gestörten Menschen, der alles durch einander redet, halten die √orientalischen_\\_Orientalischen⌡ Völcker für heilig, und sagen, daß die Seele eines solchen Menschen schon bey Gott ist. So

/Seite_212

/ist einer├,┤ der da stammelte und schiefe Gesichter machte, von den dortigen Einwohnern für einen √Heiligen_\\_heiligen⌡ gehalten worden, so daß sie ihm von Stund an sorgfältig durch alle Länder durchhalfen.

Von der Facultate_\\_facultate characteristica.

√Characktere_\\_Charactere und Symbola sind zu unterscheiden. Symbolum ist ein Sinnbild, √Charackter_\\_Character ist nur eine Bezeichnung. Sinnbild ist ein Bild, was eine Aehnlichkeit mit der Sache
⌠Seite 210⌡
selbst hat. √Charackter_\\_Character bedeutet an sich selbst nichts, sondern ist nur ein Mittel etwas zu bezeichnen, so sind Z. E. die Ziffern, die Buchstaben. Sie dienen dazu, um andere Vorstellungen als durch einen Custos vorzubringen. So ist der Nahme des Menschen ein Custos von dem Menschen, an dem ich mich erinnere, wenn ich ihn

/Seite_213

/gesehen bey √Nennung_\\_«n»Nennung⌡ dieses Nahmens, die nach der Analogie unmittelbar etwas bedeutet Z. E. Heinrich der Löwe. Zu unsern √Erkentnißen_\\_Erkenntnßen⌡ als Zeichen des Verstandes schicken sich nichts so gut als Worte, weil sie an sich nichts anderes bedeuten, so kann der Verstand den gehörigen Begrif damit verknüpfen, aber wenn es Bilder sind, so was anderes bedeuten, so wird der Verstand verwirrt⌠,⌡ er hat alsdenn 2 Bilder, anstatt daß er eins haben soll. Simbola_\\_Symbola können nur da gebraucht werden, wo die Vorstellungen
⌠Seite 211⌡
nicht schwer sind, alle Simbola_\\_Symbola sind also Mittel der größeren Vorstellung. Wer durch Symbola spricht, zeigt an, daß es ihm am Verstande fehlt. Solche Nation_\\_Nationen⌡ die eine sym- bolische_\\_Symbolische⌡ Sprache √hat_\\_haben⌡, bey der sind die richtigen Begriffe

/Seite_214

/des Verstandes sehr schwer. Könnten sie sich was durch Begriffe vorstellen, so brauchten sie keine Bilder. So sind alle ori- entalischen_\\_orientalische⌡ Völcker, die stellen alle ihre Begriffe durch Bilder vor, dahin √gehöret_\\_gehört⌡ die Geschichte des Schach Nadir. Solche die zu √unserer Zeit_\\_unseren Zeiten⌡ √diese SchreibArt_\\_die Schreibart⌡ nachahmen├,┤ thun dem Verstande großen Tort. Den orientalischen_\\_Orientalischen⌡ Völckern ists fast gantz unmöglich durch √begriffe_\\_Begriffe⌡ zu reden. Wir haben es den Grichen zu verdancken, die sich zuerst von dem Wust der Bilder befreiten.
Ein Vorbild des künftigen soll ein Zeichen des künftigen bedeuten, nicht als eine
⌠Seite 212⌡
Ahndung, sondern eine Auslegung und Ausdeutung des künftigen. Man hat die Prodigia_\\_prodigia portenta

/Seite_215

/oder auch √Träume_\\_Traume,⌡ ja auch die Characktere des Menschen in der Hand als Zeichen des künftigen angesehen. Prodigium ist, was nach den bekannten Gesetzen der Natur nicht verstanden wird. Der gemeine Mann frägt gleich bey einem solchen Prodigio, was soll das bedeuten√? Der_\\_, der⌡ geht also auf das künftige, welches ihn sehr interessirt. Der Philosoph aber frägt: wo mag das herkommen? Weil er speculativ ist, so geht er auf die Ursachen. Die Traumdeutung ist ein Gegenstand, der bey allen Nationen √sehr_\\_<sehr>⌡ viel Aufsehens gemacht hat, und vorzüglich bey den Wilden. So nimmt einer dem andern was weg, weil es ihm geträumet hat, der andere aber weiß sich durch eben solchen Traum zu revangiren.
⌠Seite 213⌡

/Seite_216

/≥Vom Ober Erkenntnis Vermögen.

Das √Obererkenntniß_\\_Obererkenntnis⌡ Vermögen ist das Vermögen über die uns gegebene Vorstellungen zu reflectiren. Generaliter heißt dies Obererkenntnis Vermögen der Verstand⌠,⌡ und der wird unterschieden von der Sinnlichkeit, oder dem Untererkenntnis Vermögen, wodurch die Vorstellungen erzeugt werden. Der Verstand ist die Kraft von allen Vorstellungen √Gebrauch_\\_gebrauch⌡ zu machen. Verstand und Sinnlichkeit wiederstreiten sich. Der Verstand ohne Sinnlichkeit ist nichts├,┤ und nur ein bloßes Vermögen, eben so als die Regierung ohne Unterthanen, und die Wirthschaft ohne etwas worüber ├man┤ wirthschaften kann. Der Verstand allgemein genommen, so ferne

/Seite_217

/er das gantze Erkenntnis √Vermögen_\\_Vermogen⌡ in sich faßt⌠,⌡ ist das Vermögen zu reflectiren und zu dencken. Nicht jedes memoriren ist dencken. Das dencken setzt durchaus Reflexion
⌠Seite 214⌡
zum voraus d. h. Vorstellungen unter die allgemeine Regeln der Erkenntniße zu bringen. Dencken ist nicht, sich Dinge vorstellen, welches durch die Sinnlichkeit geschiehet, sondern die Bearbeitung der Materien, so die Sinnlichkeit darreicht. Das √Obererkenntnis_\\_Obererkenntniß⌡ Vermögen √faßt_\\_fast⌡ dreyerley in sich: Verstand insbesondere, so ferne er der Vernunft entgegen gesetzt wird, Urtheils Kraft und Vernunft. Verstand ist das Ver- mögen der Begriffe. Urtheils Kraft ist das Vermögen der Anwendung der Begriffe im gegebenen Falle√,_\\_;⌡ und die Vernunft

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/ist das Vermögen der Begriffe a priori in abstracto. Der Verstand ist das Vermögen der Regel, Urtheilskraft das Vermögen der Anwendung der Regel├,┤ und Vernunft die Anwendung der Regel a priori.
Wenn ich etwas nach einer allgemeinen Regel erkenne, so ist mein ⌠Seite 215⌡
√Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡ kein Verstandes Erkenntnis. √Alle_\\_Alle«in»⌡ Verstandes Erkenntniße sind allgemeine Erkenntniße, und alle allgemeine Erkenntniße sind Regeln.
Verstand ist nöthig um etwas zu verstehen. Verstehen ist aber von Einsichten zu├«verstehen»┤ unterscheiden. Das Einsehen geschicht durch die Vernunft, das Verstehen durch den Verstand, daher ist nicht alles kennen ein Verstehen,

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/sondern nur durch den Verstand.

/Der Verstand wird unterschieden in den behenden und unrichtigen. Der behende ist, der etwas geschwinde versteht, der sich leicht einen Begrif machen kann, und ist bey witzigen Personen besonders zu finden. Ein behender √Begrif_\\_Begriff⌡ ist nicht allemahl ein richtiger √Begrif_\\_Begriff⌡, ein behender ist auch ein geschwind √hervor gebrachter_\\_hervorgebrachter⌡ √Begriff_\\_Begrif⌡, aber ein richtiger entsteht langsa-
⌠Seite 216⌡
mer. So können sich witzige Personen bald allgemeine Begriffe machen, allein es fehlt ihnen an Unterscheidung und Richtigkeit der Begriffe. Ferner unterscheidet man denn Verstand in den gemeinen und in den speculativen Verstand. Der gemeine Verstand ist das Vermögen in concreto zu urtheilen, der speculative aber in abstracto_\\_Abstracto

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/zu urtheilen. Der gemeine und gesunde Verstand heißt nicht darum ein gemeiner, weil er bey gemeinen Menschen angetroffen wird, sondern weil er allerwegen und von allen gefordert wird. Solche Menschen von gemeinem Verstande urtheilen in concreto. Wenn man ihnen dahero etwas allgemeines und abstractes vorlegt, so fordern sie sogleich ein Exempel, ihr Verstand ist nicht geübt in abstracto zu urtheilen, aber in concreto urtheilt er
⌠Seite 217⌡
richtig. Der speculative Verstand muß allemal ein gesunder seyn, das folgt nothwendig, aber ein gesunder ist nicht speculativ. Der √Gesunde_\\_gesunde⌡ ist zugleich der practische Verstand, weil er nur in gegebenen Fällen urtheilen kann, aber um Plane zu

/Seite_221

/machen, wird ein speculativer Verstand erfordert.
Das vorzüglichste Hauptstück das von √iedem_\\_jedem⌡ Verstande zu erwarten ist⌠,⌡ und von √iedem_\\_jedem⌡ gefordert wird ist die Urtheils Kraft. Man muß von allen Regeln die man in abstracto eingesehen hat, einen Gebrauch zu machen, und sie anzuwenden √«suchen» <wißen>_\\_wißen⌡. Der gantze Verstand mit seiner Erkenntniß ist fruchtlos ohne die Urtheils Kraft. Der Mangel der Erkenntniße und Begriffe macht einen stumpfen Kopf, der Mangel der Urtheils Kraft ⌠macht einen Dummkopf. Der Mangel der Urtheils Kraft ⌡fällt ins lächerliche⌠,⌡ aber nicht der Mangel der √Erkenntnis_\\_Erkenntniße⌡ des
⌠Seite 218⌡
Verstandes. Wer viel √Einsichten und Erkenntniße,_\\_Kenntniße und Einsichten⌡ aber keine Urtheils Kraft hat, seine Kenntniße in gegebenen Fällen anzuwenden, der ist ein

/Seite_222

/Pedant. Es fehlt einem solchen nicht am Vermögen der UrtheilsKraft, sondern sie ist nur nicht geübt alle Erkenntniße in der Welt anzuwenden. Diese entsteht aus Mangel der √Weltkenntniße_\\_WeltKenntniße⌡. Der Mangel der Urtheils Kraft ist unersetzlich, weil er nicht durch Unterricht ersetzt werden kann. Denn die Urtheils Kraft läßt sich nicht informiren wohl aber der Verstand. Die UrtheilsKraft kann weder durch Schulen noch durch andere Unterweisungen mitgetheilt werden, sondern sie ist schon von der Natur gegeben, aber man kann sie üben. Man muß das, was der Verstand √urtheilt_\\_Urtheilt,⌡ sich üben anzuwenden, und denn übt man die Urtheils Kraft. So redete die Königin Christina klug⌠,⌡ und handelte √törigt_\\_töhrigt⌡.
⌠Seite 219⌡
Der Autor redet hier gelegentlich von der Distraction. Man kann sich willkührlich

/Seite_223

/dissipiren, aber unwillkührlich wird man distrahirt besonders durch die Vielheit der Gegenstände und Vorstellungen, die wir √im kurtzen_\\_in Kurzem⌡ wahrgenommen, und die uns vom attendiren distrahiren. Was das Gemüth in √unwillkührliche_\\_unwillkürliche⌡ Stellung versetzt, ist ein Grund der Zerstreuung. So ist ein √jeder_\\_ieder⌡ Hang zur √unwillkührlichen_\\_unwillkuhrlichen⌡ Einbildung, wenn er habituell wird⌠,⌡ ein großer Grad der Zerstreuung. Personen⌠,⌡ die abstract nachdencken werden oft distrahirt, so wuste z. E. Newton nicht⌠,⌡ ob ihm ein anderer sein Huhn √aufgegeßen_\\_aufgegessen⌡ hatte oder nicht. Aus dem unwillkührlichen Nachdencken wo Personen in Gesellschaft und auf den Straßen √nach dencken_\\_nachdencken⌡, entspringt eine solche Zerstreuung. So gieng ein solcher ohne Paruck und in Pantoffeln auf die Straße⌠,⌡ ohne daß er es wuste. Weil die Gedancken ihn
⌠Seite 220⌡
aufgenommen

/Seite_224

/haben√,_\\_;⌡ so weiß er nicht, wo er ist. Solches dencken ist ohne √Nutzen_\\_«n»Nutzen⌡, sie wißen nicht, was sie dencken, sie versetzen sich gantz außer sich, und daß ist kein Zeichen eines nachdenckenden Kopfes. Ein nachdenckender Kopf sucht sich wieder in Gesellschaft zu dissipiren und von seinen Gedancken loß zu seyn. Die Gedanckenlosigkeit ist entweder eine √Lebhafte_\\_lebhafte⌡ oder eine Todte. Die lebhafte ist, die einen Menschen durch Vergnügen und lebhafte Unterhaltung beywohnt, die todte ist, wo der Mensch in eine Inaction versetzt wird, und macht seinen Zustand zum neuen Gebrauch seiner Gemüthskräfte unbelebt. Durch die lebhafte Gedanckenlosigkeit erhält man sich, obgleich die Unterhaltung nicht interessant ist, so heitert sie doch auf. Aus der ist sich nicht

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/allein leicht zu sammlen, sondern man kann auch beßer und Activer nachdencken.
⌠Seite 221⌡

Vom Gebrauch des Verstandes.

Der Verstand kann entweder unter der Anleitung anderer⌠,⌡ oder auch ohne die Anleitung anderer gebraucht werden. Der erste ist unmündig├,┤ der andere ist mündig. So sind die Chineser in der Mathematic unmündig, obgleich sie in Ansehung des Urtheils und des Erkentnißes das gemeine Wesen für unmündig halten. So sagte ein Professor als ihm sein Bedienter die Nachricht brachte, daß in seinem Hause Feuer wäre, daß solche Sachen für seine Frau gehörten. So halten die geistlichen die gemeinen Leute √in Ansehung der Religions Erkenntniße für unmündig_\\_für unmündig in Ansehung der Religions Erkenntniße⌡, und nennen sie Layen, sich selbst aber nennen √sie_\\_sich⌡ √Hirthen_\\_Hirten⌡, √welcher_\\_welches⌡ ein sehr stoltzer √Name_\\_Nahme⌡ ist, denn alsdenn ist alles übrige

/Seite_226

/Volck als Vieh anzusehen. So nennen sich die Regenten √Vater_\\_Väter⌡ des Volcks, da sie alsdenn die Unterthanen für unmündige Kinder halten. So werfen sich auch Philosophen
⌠Seite 222⌡
zu Vormündern auf, und halten die übrigen für Ideoten_\\_Jdeoten⌡, welches so viel ist als die Layen in Ansehung der Clerisey. Der √Geistliche_\\_geistliche⌡ hat noch mehr Recht das Volck in Ansehung der Religions Erkenntniße für unmündig zu halten, indem er ein göttliches Privilegium und Autoritaet hat, aber der Philosoph nicht. Es giebt gewiße Jahre, wo die Unmündigkeit des Verstandes aufhört, allein es giebt auch √zeitlebens_\\_Zeitlebens⌡ unmündige Menschen. So sagte √jemand_\\_iemand⌡ von den Rußen, daß sie niemals Meister und Lehrer der Wißenschaften seyn werden, sondern nur gute Lehrlinge sind, die Lehrer aber

/Seite_227

/müsten sie stets aus fremden Landern haben. Zwar √könnten_\\_konnten⌡ sie in der Mathematic Meister werden, weil es da nach Vorschriften geht, aber nicht in andern Wißenschaften. Und da man nun immer gewohnt ist von den Wißenschaften nichts mehr zu lernen, als √man_\\_wenn⌡
⌠Seite 223⌡
nothdürftig zu einer Bedienung brauchet├,┤ so werden zuletzt gar keine Bücher seyn, denn ein ├«Product»┤ Lehrer muß nicht das Product der Wißenschaften, sondern den Geist derselben kennen. Die Grichen sind die Franzosen des Alterthums, sie litten keine Despoten in den Wißenschaften, hernach aber unterwarf sich alles als unmündig der Philosophie des Aristoteles, welches Joch √iezo_\\_jetzt⌡ abgewältzt ist.
Es scheint, daß wenn einige Menschen als unmündige behandelt werden möchten⌠,⌡ sie in Ansehung ihrer Umstände beßer

/Seite_228

/fortkommen würden, aber im gantzen ist es nicht gut, denn der √Zwanck_\\_Zwang⌡ rottet das Genie aus, und laß auch mancher in seiner Sache ein √Narr_\\_Naar⌡ seyn, wenn er nur die Freyheit hat, es zu seyn. Die allgemeine √Freiheit_\\_Freyheit⌡ excoliret das Genie, und alle Reden, die für den Zwang gehen Z. E. der Edelleute, die da sagen, die Unterthanen √konnen_\\_können⌡ sich wegen
⌠Seite 224⌡
ihrer Stupiditaet nicht selbst führen, sind sehr ungegründet, denn die Stupiditaet kommt aus dem Zwange. Und sie glauben, daß solche Stupiditaet immer dauren werde, da doch diese Uebel nur folgen des Zwanges sind. Der Zwang macht niederträchtig und dumm. Wer daran √gewöhnt_\\_gewohnt⌡ ist, begiebt sich zuletzt seines Verstandes. Eben so kann einer den Brandtwein nicht müßen, der sich einmahl daran √gewöhnt_\\_gewohnt⌡ hat. Als denn können sich solche Leute

/Seite_229

/freilich nicht selbst regieren, aber hätten sie völlige √Freiheit_\\_Freyheit⌡, so würden sie sich allmählich wieder angewöhnen sich selbst zu regieren, denn diese Stupiditaet ist die Folge der Sklawerey. Wir können zwar freylich allen √Uebeln_\\_Ueblen⌡ und Vorurtheilen das Wort reden, allein es kann doch einmahl das Uebel ein Ende nehmen, und dazu muß auch ein Anfang gemacht wer- den.
⌠Seite 225⌡
Die Weiber werden von den Männern als unmündige gehalten, welches⌠,⌡ aber schon zum Theil in ihrer Natur liegt. Wenn mündig so viel hieße als seinen Mund gebrauchen, so wären sie wohl die mündigsten, indem sie eine große Gesprächigkeit haben, welche unvergleichliche Gabe ihnen die Natur gegeben hat, damit sie was einnehmendes hätten. Aber was die Besorgung der Angelegenheiten betrift, so sind die Weiber

/Seite_230

/so, daß sie sich eines Führers nicht entschlagen können, denn so wie sie schon auf der Straße ohne einen Führer nicht gehen können, so √bedürffen_\\_bedürfen⌡ sie auch denselben in allen ihren Angelegenheiten. Der weibliche Verstand ist zwar fein⌠,⌡ in Beurtheilung, in Angebung der Mittel, sie sind überhaupt sehr schlau, wenn es aber auf die Frage kommt, was ist der √Zwang_\\_Zweck⌡ davon, so sind die Weiber unmündig, und darinn besteht der √mannliche_\\_Männliche⌡ Ver- 
⌠Seite 226⌡
stand. Nicht als wenn ihn alle Männer würcklich haben, sondern sie sollten ihn doch haben.
Die √«Unm»Mündigkeit_\\_Unmündigkeit⌡, so ferne sie von den Jahren abhängt, ist die bürgerliche Majorennitaet, wenn Leute nicht allein ihre eigene bürgerliche Angelegenheiten, sondern auch die des gemeinen Bestens zu besorgen im Stande sind. Das Weib kann

/Seite_231

/in Ansehung der Jahre für den Verstand, den sie ihrer Natur nach erreichen können eher und früher mündig werden. Daher wird man finden, daß Frauenzimmer von 16 bis 18 Jahren schon im Stande sind der gantzen Wirthschaft vorzustehen, da die √Mannspersonen_\\_Manns Personen⌡ in solchen Jahren noch keiner Sache vorzustehen im Stande sind. Die Majorennitaet├,┤ die erfordert wird, über seinen Zustand und seine Umstände Acht zu haben, kann sich im 20 ten Jahre_\\_Jahren⌡ einfinden, aber in Ansehung des Geldes muß sie erst
⌠Seite 227⌡
später √ertheilt_\\_ertheilet⌡ werden.
Die Erfahrung lehrt, daß Leute in solchen Jahren mit dem Gelde noch gar nicht wirthschaften können. Die Ursache ist weil sie in solchen Jahren noch nichts erwerben, also auch nicht wißen, was für Mühe es koste. Ein Fürst muß also mehr Jahre zur

/Seite_232

/Majorennitaet haben, indem er mehr zu verwalten hat⌠,⌡ als ein Bauer, der seine Wirthschaft früher bestreiten kann. Also nach Verhältnis der Geschäfte und nicht nach Jahren überhaupt, muß die Majorennitaet ertheilet werden.

Von der Kranckheit des Verstandes.

Die Kranckheit des Verstandes √besteht_\\_bestehet⌡ entweder in Mangel des Verstandes, und das ist Dummheit, oder in der Verkehrtheit deßelben und das ist Wahnwitz⌠,⌡ oder Aberwitz. Der Mangel des natürlichen Verstandes heißt Dummheit, der Mangel des geübten Verstandes heißt
⌠Seite 228⌡
√Einfalt_\\_Einfallt⌡. Die Dummheit ist nicht eine Langsamkeit des Verstandes. Ein langsamer Verstand ist der wenig feine Unterscheide bemerckt, als denn ist er stumpf, aber noch nicht dumm. Er ist zwar langsam, nicht behend aber doch richtig. So muß man Z. E.

/Seite_233

/einem Richter von langsamen Verstande eine Sache sehr weitläuftig und langsam vortragen, bis er sie faßet, aber alsdenn urtheilt er auch richtig über sie. Die √Treuhertzigkeit_\\_Treuherzigkeit⌡ muß man nicht für Dummheit halten. Wenn √jemand_\\_iemand⌡ die schlaue √Räncke_\\_Rancke⌡ und Ueberlistungen für wahr hält, das kommt nicht aus Dummheit, sondern es verräth ein gutes Gemüth. Sie trauen dem andern Menschen nicht zu, daß er so überlistend wäre, sie glauben immer von √jedem_\\_iedem⌡ das beste⌠,⌡ und legen alles auf der besten Seite aus. Dieses kommt √bloß_\\_blos⌡ aus Mangel der Erfahrung.
Man sagt der Betrüger ist immer klüger als der Betrogene. Das ist gantz falsch.
⌠Seite 229⌡
Der Betrogene kann eben in der Sache gantz unerfahren seyn, denn ist er aber sonst nicht dummer. Und wer

/Seite_234

/sich betrügen läßt, der verräth dadurch, daß er gute Gesinnungen habe, indem er solches von andern nicht vermuthet, daß er ein Schelm seyn soll. Es ist beßer betrogen werden, als solche Gesinnungen gegen andere zu hegen. Der andere kann mich betrügen, ich muß mich in Acht nehmen. Wer so von andern denckt, der hat schon betrügerische Gesinnungen, darum nimmt er sich auch für andere in Acht, weil er √«sich» <daßelbe>_\\_daßelbe⌡ auch in ihnen zu finden vermuthet. Eben so ists auch falsch, wenn man sagt: der ehrliche ist dumm. √Freylich_\\_Freilich⌡ ein √dummer_\\_ehrlicher⌡ kann nicht betrügen, weil er nicht die List hat, allein die Rechtschaffenheit besteht gar nicht mit der Dummheit denn da ist man ehrlich aus Grundsätzen.

/Seite_235

/Mit der Dummheit ist die Dreistigkeit verbunden. Es √gehöret_\\_gehört⌡ Verstand dazu,
⌠Seite 230⌡
um zu wißen, daß man keinen Verstand habe. Da nun ein dummer keinen Verstand hat, so sieht er auch nicht ein, daß er einen Mangel daran habe, denn ├«da»┤ womit will ers einsehen? Demnach ist ein Dummer in Ansehung seiner selbst kein Tadler⌠,⌡ er ist recht gut mit sich zufrieden√;_\\_,⌡ und denn will er auch, daß andere ihn ebenfalls für einen solchen halten sollen, wofür er sich selbst hält, und das ist die Dummdreistigkeit. Die Selbst- schätzung aus Verstand ist edel, daß man √nemlich_\\_nehmlich⌡ von sich selbst hält, man ist eben so viel werth als andere. Diese √Selbstschät«z»zung_\\_Selbstschätzung⌡ ist aber auch zugleich mit der Bescheidenheit verbunden. Bey der Dummheit √aber_\\_<aber>⌡ ist

/Seite_236

/nicht eine solche Milderung seiner Selbstschätzung. Die Erfahrung lehrt⌠,⌡ daß die Dummdreistigkeit zu ihrem Zweck gelangt. Solche Menschen bringen es in der Welt am weitesten. So sind vie- 
⌠Seite 231⌡
le Gelehrte, die so hoch gehalten werden, nicht √so wohl_\\_sowohl⌡ durch ihre Verdienste so empor gekommen, als dadurch⌠,⌡ daß sie zuerst von sich ⌠selbst⌡ ein Geschrey machten, und sich in den Ruf brachten. Denn die Menschen so √halsstarrig_\\_halssterrig⌡ als sie sind⌠,⌡ mögen sich zuletzt doch gerne von einem, der sich ├dann┤ aufwirft, gebieten laßen. Man wird oft in √Gesellschaft_\\_Gesellschaften⌡ sehen, daß wer √storrig_\\_störrig⌡ ist und auf sich selbst einen Werth legt, daß man ihm auch ⌠hernach einen⌡ √<solchen>_\\_solchen⌡ ⌠Werth⌡ läßt, und sich accommodirt⌠,⌡ und das ist ein Dummdreister.
Wenn die Einfalt sonst bey einem richtigen aber in der Erfahrung noch nicht gegründeten Verstande urtheilt├,┤ so ist sie angenehm und auffallend.

/Seite_237

/ ≥Vom Gebrauch der Vernunft in Ansehung des Practischen├.┤

Zur Erfahrung und zur Beurtheilung der Erscheinungen wird Verstand er- 
⌠Seite 232⌡
fordert. Die Erfahrung giebt Regeln und Gesetze so der Verstand beobachtet. Um aber √von_\\_vor⌡ der Erfahrung a priori zu urtheilen, wo uns keine Erfahrung mehr leitet├,┤ gehöret Vernunft. So braucht ein Ministre_\\_Minister um die √Befehle_\\_Befehl⌡ des Königes auszuführen├,┤ nur Verstand, aber um selbst Plane zu machen Vernunft. Die Vernunft ist eben so schöpferisch in den Oberkräften, als die Facultas fingendi in den √UnterKraften_\\_Unterkräften⌡. Durch den Verstand urtheilen wir nur, aber durch die Erfahrung erkennen wir etwas aus allgemeinen Gründen und principiis_\\_Principiis. Wenn wir nichts mehr könnten⌠,⌡ als √nur_\\_nür⌡ über

/Seite_238

/die Erfahrung urtheilen, und nicht aus allgemeinen Gründen etwas ausziehen, so würden unsere Urtheile nur so weit gehen, als unsere Erfahrung geht√._\\_;⌡ Nun aber haben wir Ver- 
⌠Seite 233⌡
mögen etwas aus allgemeinen Gründen auszuziehen.
Vernünfteln heißt├,┤ seine Vernunft über die Grentzen des practischen Gebrauchs erheben. Jch kann practisch und speculativ die Vernunft gebrauchen. Wer über die Erfahrung geht, und die Vernunft speculativ gebraucht⌠,⌡ der vernünftelt. So sollen die Unterthanen⌠,⌡ die Soldaten gehorchen, aber nicht vernünfteln. Man sucht dahero den Menschen den Gebrauch der Vernunft zu benehmen, um √sich_\\_sie⌡ beßer regieren zu können.

/Seite_239

/Dieses geschicht, wenn man sie abergläubisch macht, und an √Vorurtheilen_\\_Vorurtheile⌡ √heftet_\\_hefftet⌡. So wie ⌠die⌡ Kinder durch Gespenster können gezwungen werden, eben so auch Menschen durch falsche Vorstellungen so der Vernunft zuwieder sind. So verbieten oft Fürsten ├«derselben»┤ die Dru- 
⌠Seite 234⌡
kerpreße, denn die √Freiheit_\\_Freyheit⌡ derselben ist ein Mittel die Vernunft zu beleben, die Kenntniße zu bilden, und also ver- nünftelnde Menschen zu machen. Die Untersagung derselben bringt nun das Gegentheil hervor. Denn die Vernunft macht √aufrührerisch_\\_aufrürerisch⌡ wieder unrechtmäßigen √Zwanck_\\_Zwang⌡, sie will Gründe haben. Eine solche Regierung die das zu verhindern sucht ist sehr schwach in der Folge⌠,⌡ in Ansehung der sie regiert, ist es zwar sehr leicht, allein je unwißender und

/Seite_240

/stupider die Leute sind, desto halsstarriger sind sie auch. Der Gebrauch der Vernunft über das practische_\\_Practische⌡ ist oft lächerlich und wiedrig Z. E. wenn ein Weib vernünftelt in Ansehung der Religion oder über den Staat. Jhr practischer Gebrauch erstreckt sich nur über das
⌠Seite 235⌡
Hauswesen, da können sie vernünfteln, wozu sie auch ein gutes Talent beßer als der Mann haben. Eben so⌠,⌡ wenn Kinder vernünfteln, da man sie alsdenn super klug nennt. √Ueberhaupt_\\_Uberhaupt⌡ wo man vernünftelt, und doch die Regeln a priori hergenommen sind, so √ists_\\_ist es⌡ für den wiedersinnig, der seine Vernunft zur Speculation gebraucht hat.
Nachläßigkeit im Gebrauch der Vernunft scheint ein Mangel der Vernunft zu seyn. Allein oft √ists_\\_ist⌡ schwerer die Vernunft zu

/Seite_241

/gebrauchen als den Verstand, dahero die Menschen auch gerne die Vernunft in Fällen die verwickelt sind├,┤ gebrauchen├,┤ da ist nicht √Mangel_\\_«m»Mangel⌡ des Talents der Vernunft sondern Nachläßigkeit, dahero der Unterricht auf Academien eigentlich dieser ist die Fähigkeit der
⌠Seite 236⌡
Vernunft zu excoliren, und die Methode zu vernünfteln anzugewöhnen, und die gehörigen Maximen der Vernunft fest- zusetzen, dadurch wird man kein Gelehrter⌠,⌡ indem man nicht lernt⌠,⌡ sondern nur die Vernunft zu gebrauchen übt. Wenn der Mensch erst gewohnt ist über alles zu raisoniren und zu reflectiren, was dieses oder jenes für Gründe hat, denn kann er seine Vernunft in der Welt genung brauchen, und die Einsichten wird man sich schon hernach erwerben, die

/Seite_242

/Nachläßigkeit muß man zuerst haben.
Der Zwang der Nachthuung ist der Ruin der Vernunft. Die Nachahmung ist nur eine Abformung, aber nicht was selbst eigenes. Alle Gelehrsamkeit entspringt aus Sentenzen, und durch vieles Auswendig lernen, alsdenn habe ich √die Erkenntniße zwar_\\_zwar die Erkenntniße⌡ erweitert, aber
⌠Seite 237⌡
nicht die Fähigkeit der Vernunft über alle allgemeine Principia zu urtheilen √angewöhnt_\\_angewohnt⌡.
Wenn der Gebrauch der Vernunft schwierig ist, und man sich nicht mit dem Vernünfteln abgiebt, so ist es dem Menschen sehr willkommen, wenn er die Ursachen und Gründe einer Begebenheit auf eine allgemein angenommene Meinung schieben kann, und dadurch den Gebrauch der Vernunft aufgiebt. Die beyden

/Seite_243

/Hauptqvellen, worauf man sich zu berufen pflegt, wenn man die Vernunft nicht gebrauchen will⌠,⌡ sind das √Schicksaal_\\_Schicksal⌡ und √das blinde Ohngefehr_\\_ein blindes Ohngefahr⌡├. Die blinde Nothwendigkeit ist das Schicksal und das blinde ohngefehr┤ ist das Glück Z. E. √iemand_\\_jemand⌡ bleibt Todt im Felde, so sagt man, wer schon bleiben soll, wird nicht davon kommen, das muß schon so seyn. Oder im Spiel⌠,⌡ da schreibt man vieles
⌠Seite 238⌡
dem blinden Glück zu. Hier ist der Gebrauch der Vernunft etwas √lästig_\\_lastig⌡, daher entzieht man sich gerne solcher Principien um nur nicht zu vernünfteln. Es giebt noch viele andre Arten von Methoden sich des Gebrauchs ⌠der Vernunft⌡ zu überheben, dahin gehören die Wunderdinge Z. E. die √Mutter Mähler_\\_Muttermähler⌡, die Wirckung der Einbildung schwangerer Frauen. √Hierinn_\\_Hierin⌡ √mögen_\\_mogen⌡ politische Ursachen

/Seite_244

/liegen um den Mann wodurch still zu machen. Wieder die Muttermähler schreibt Rickert├.┤
Ferner Bedeutungen der Träume, welches großer √Aberglauben_\\_Aberglaube⌡ ist. √Frauenzimmer_\\_Frauenszimmer⌡ nehmen wir es nicht übel und halten sie deswegen auch nicht gering⌠,⌡ wenn sie etwas abergläubisch sind, indem sie alsdenn mehr weibliches haben, und die nicht so sind, die haben mehr männliches, welches an ihnen eben so gut zu
⌠Seite 239⌡
tadeln ist, wie an den Männern das weibische. Die Ursache⌠,⌡ daß solches dem Frauenzimmer anständiger ist, ist weil sie der Leitung des Mannes √bedürffen_\\_bedürfen⌡. Wenn sie aber vom Aberglauben frey sind, so ist das eine Ueberzeugung, daß sie keiner Leitung bedürfen, also ein

/Seite_245

/Signal zum häuslichen Aufruhr. Ferner der Aberglaube der Sympathie, der Aberglaube der √Wünschelruthe_\\_Winschelruthe⌡, die sich dahin wenden soll, wo Mineralien_\\_Mineralien⌡ sind√,_\\_;⌡ bey einigen ist Betrug⌠,⌡ bey andern Wahn. Ferner die Mon- des Einflüße. Diese sind nicht recht wiederlegt, obgleich auch nicht recht erwiesen. Ueberhaupt schreibt man dem Himmel viel zu; die Direction der Schicksaale, so auch das Gedeihen der Gewächse werden dem Einfluß des Mondes zugeschrieben, welches noch nicht recht erklärt ist, und der
⌠Seite 240⌡
Landmann attendirt besonders darauf. Weil wir aber √nicht die Gesetze_\\_die Gesetze nicht⌡ besonders erklären können, so müßen wir uns auch nicht dem Hange überlaßen, solches zu glauben. Zuletzt kann man auch noch anführen den

/Seite_246

/Einfluß der magnetischen Kraft auf den menschlichen Körper, welches in neueren Zeiten anfing den Gebrauch der Vernunft zu untersagen.
Gesunde Vernunft ist diejenige deren richtiger Gebrauch durch Erfahrung √bestätigt_\\_bestätiget⌡ werden kann. Sie betrift nicht die Größe der Vernunft, denn eine kleine Vernunft kann auch gesund seyn. Gesunde Vernunft ist aber doch schon eine Einschränckung, denn es bedeutet die Genungsamkeit der Vernunft in ihren engen Schrancken, die sich nur auf die Erfahrung beziehen. Jeder will gesunde Vernunft haben. Woran
⌠Seite 241⌡
erkennt man √aber_\\_<aber>⌡ die gesunde Vernunft√?_\\_.⌡ An den Maximen, wenn ihre Maxime so beschaffen ist, daß ihr √gröster_\\_größter⌡

/Seite_247

/Gebrauch durch sie möglich ist. Wir tadlen einen Menschen, der nicht gesunde Vernunft hat, so als wenn er Schuld daran hätte, wir fordern von iedem das Mittelmaas der Vollkommenheit der mensch- lichen Vernunft, so wie wir von √jedem_\\_iedem⌡ das Mittelmaas der Größe des Cörpers √fordern_\\_fodern⌡. Welchen Grad zu dem Mittelmaas des gesunden Verstandes und der gesunden Vernunft und allen GemüthsKräften auch zu der Größe des Cörpers erfordert wird⌠,⌡ ist nicht möglich zu bestimmen, obgleich alle Menschen darinn einig sind, so wie eine Frau witzig von einem häslichen Manne sagte: Er misbraucht die Erlaubnis der Männer häslich zu seyn. Gesunde Vernunft
⌠Seite 242⌡
ist schwerer zu

/Seite_248

/determinieren als der künstliche Gebrauch derselben. Die √gesun- de_\\_Gesunde⌡ Vernunft hat gewiße Maximen. Die Maxime der gesunden Vernunft ist folgende√._\\_,⌡ √Keine_\\_keine⌡ andere Regeln gelten zu laßen im Gebrauch derselben als diese, wodurch der allgemeinste Gebrauch der Vernunft möglich ist, und wodurch ihr Gebrauch erleichtert wird. Jede Natur unterhält ├sich selbst, daher hält┤ sich die Vernunft auch selbst, wenn sie keine andre Regeln √einräummt_\\_einräumt⌡ als solche, wodurch ihr Gebrauch √möglich_\\_möchlich⌡ ist. Daher √heben_\\_haben⌡ alle Wunderdinge und Historien von den Erscheinungen der Geister und Gespenster den Gebrauch der Vernunft auf. Da sich nun aber die Vernunft selbst erhält, so giebt sie das nicht

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/zu, wodurch ihr Gebrauch aufgehoben wird. Wenn also angenommen werden sollte, daß Geister als Wesen, deren
⌠Seite 243⌡
Natur wir gar nicht kennen, ihr Spiel in dieser Welt treiben, und einen Einfluß auf uns hätten, so hörte der Gebrauch der Vernunft auf. ├Da sie nun aber die Vernunft selbst erhält, so giebt sie das nicht zu, wodurch der Gebrauch aufgehoben wird. Wenn also angenommen werden sollte, daß Geister als Wesen deren Natur wir gar nicht kennen, ihr Spiel in dieser Welt treiben und einen Einfluß auf uns hätten, so hörte der Gebrauch der Vernunft auf.┤ Damit dieses also nicht geschehe, so √verwirft_\\_verwirrth⌡ solches die gesunde Vernunft. Dieses ist kein theoretischer Satz, sondern eine

/Seite_250

/Maxime der Vernunft. Ein theoretischer Satz wäre es, wenn die Vernunft ausmachen wollte, daß es solche Wunderdinge nicht gebe, aber nun ist es eine Maxime sich niemals auf solche Wunderdinge zu berufen, es mag dergleichen geben oder nicht, weil sonst √iedes_\\_jedes⌡ alte √Weib_\\_«w»Weib⌡ durch solche Wunderhistorien und √Zaubereyen_\\_Zaubereien⌡ dem Gebrauch der Vernunft ein Ende machen √könnte_\\_konnte⌡ Z. E. so meinen die alten Weiber vom Waßerkopf, daß dergleichen Kinder von Geistern untergeschoben worden, ob es gleich natürliche Ursachen sind, weilen man bey einigen Kinder unter dem Gehirn Waßer, daß sich zusammen
⌠Seite 244⌡
gezogen hat, findet√, so_\\_. So⌡ auch

/Seite_251

/vom Wahrwolf. Wahr heißt so viel als Krieg. Es hat sich oft im Kriege zugetragen, daß Wölfe auf dem Schlachtfelde Menschen √fraßen_\\_freßen⌡. Da sie sich nun an das Fleisch des Menschen angewöhnt haben, so haben sie auch oft Menschen angefallen und niedergerißen, woher nun der Wahn entstanden ist, daß es eine Art Menschen gebe, die andere Menschen freßen, und die √mann_\\_man⌡ denn Wahrwölfe nennt. Räumt man nun solches ein, daß es dergleichen Dinge gebe, so ist da gar kein Gebrauch der Vernunft möglich. Epicur sagte: man müste sich weder auf Götter, noch Geister⌠,⌡ noch auf sonst was berufen. Damit wollte er nicht das sagen, daß er solches leugnete,

/Seite_252

/als wenn es dergleichen Dinge nicht gebe, sondern daß man als denn, wenn man solches annimmt, einen Schritt über die Grentzen des Gebrauchs der
⌠Seite 245⌡
Vernunft thut.
Die √gesunde_\\_Gesunde⌡ Vernunft hat also Maximen und die speculative hat Regeln. Die √gesunde_\\_Gesunde⌡ Vernunft dirigirt_\\_dirigiret⌡ durch ihre Maximen unsere Urtheile. Wenn also Menschen Gespenster √historien_\\_Historien⌡ erzahlen, denen mans nicht beweisen kann, daß es keine Gespenster geben könne, so erzählen sie welche so noch wiedersinniger sind, und schaden einem damit, indem sie noch was mehreres, was noch wiedersinniger ist├,┤ √erzählen, daher_\\_erzahlen. Daher⌡ muß man

/Seite_253

/sich dabey so verhalten, daß √mann_\\_man⌡ sie gar nicht annimmt wegen des Gebrauchs der Vernunft. Die Vernunft kann sich ⌠also⌡ nur unter solcher Bedingung erhalten, denn wenn solche Wunderdinge vorausgesetzt werden├,┤ so ist das eine Destruction der Vernunft.
Viele Dinge sind so beschaffen, daß
⌠Seite 246⌡
man sie nur lediglich aus der Vernunft erkennen kann, also nicht durch denn Verstand. Es sind zwar auch viele Dinge die man durch die Vernunft aber auch durch den Verstand aus der Erfahrung erkennt, wo alsdenn die Erkenntnis durch die Vernunft deutlicher ist, allein es giebt viele, die nur bloß durch die Vernunft erkannt werden. Diese sind

/Seite_254

/solche, wo die Vernunft dem Grunde die Jdee giebt Z. E. die Tugend. √Jch_\\_Ich⌡ erkenne sie zwar durch die √gemeine_\\_Gemeine⌡ und gesunde Vernunft, allein es ist doch durch die Vernunft. Die Erfahrung giebt uns zwar Beyspiele der Tugend, allein ich muß doch den Begrif haben solche zu beurtheilen. Jn allen Fällen der Erkenntniße, wo gefragt wird⌠,⌡ nicht wie was ist, sondern wie was seyn soll, da ist allemahl Vernunft
⌠Seite 247⌡
nöthig, √denn_\\_den⌡ die Vernunft zeiget wie die Dinge seyn müßen, die Erfahrung aber nur⌠,⌡ wie sie sind. Wenn ich also von einer Regierung oder Erziehung rede,

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/wie sie ist, so ist da nur Erfahrung nöthig, sage ich aber wie sie seyn soll├,┤ so ist dazu Vernunft nöthig. Diejenige √Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡ von Dingen, die das Muster ist├,┤ wornach was eingerichtet werden soll, diese Erkenntnis ist die Jdee. Demnach √giebts_\\_giebt es⌡ viele Erkenntniße⌠,⌡ denen Jdeen zum Grunde liegen. Die √Jdee_\\_Idee⌡ ist also von der Erfahrung unterschieden, sie ist in der Vernunft und nicht in der Erfahrung ⌠unterschieden, sie ist in der Vernunft und nicht in der Erfahrung⌡. Daher ist es falsch zu sagen, ein tugendhafter Mann, sondern einer so der Jdee der Tugend √nach geht_\\_nachgeht⌡ um ihr zu gleichen. Plato_\\_Plato⌡ sagt, das vornehmste Werck des Philosophen_\\_Philosophen⌡ ist die
⌠Seite 248⌡
√Jdee_\\_Idee zu entwickeln. Dieses Vermögen

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/etwas nach einer √Jdee_\\_Idee zu entwerfen, ist Vernunft. Die Vernunft kann sich √Jdeen_\\_Ideen machen von ihrer Bestimmung, ihren Grentzen des Gebrauchs. Diese Erkenntnis ihrer Sphäre ist der architectonische Gebrauch der Vernunft. Der technische_\\_Technische⌡ Gebrauch der Vernunft ist, so nur in der Ausführung├,┤ aber nicht in der Entwerfung der Plane besteht. Hierauf beruht aller Unterscheid des √Vernunft künstelns_\\_VernunftKünstelns⌡ und des Gesetzkündigen der menschlichen Vernunft. Hier ist der √unterschied_\\_Unterscheid⌡ eben so als zwischen einem Chirurgus und Medicus. Dieser hat die √Jdee_\\_Idee⌡├,┤ welche der Chirurgus ausführt. So ist der Mathematicer und Physicer ein Vernunft Künstler. Der

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/√Gesetz Kündige_\\_Gesetzkündige⌡ der menschlichen Vernunft ist im wahren Verstande ein Philosoph. Dieser muß die ersten Gründe entwerfen,
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und die obersten Regeln und Principien_\\_Prinzipien⌡ der Bestimmung der Vernunft und ihre √Grentzen_\\_Grenzen⌡ einsehen, und das ist der Philosoph. Dieser Nahme ist ├also┤ auch nur eine √Jdee_\\_Idee, der man sich bestreben muß zu gleichen. Wir können zwar die Gesetze und Regeln wohl einsehen, allein der Geist der Regel und das Feld des Gebrauchs der Vernunft einzusehen, ist gantz was anderes. Der Mensch kommt also dem Philosophen näher, √je_\\_ie⌡ mehr er der Bestimmung der √menschlichen_\\_Menschlichen⌡ Vernunft nachdenckt. Die Vernunft ist

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/ferner ein Vermögen der √Erkentnis_\\_Erkenntniß⌡ aus Begriffen. Verschiedene Menschen haben einen Gebrauch der Vernunft bey Gelegenheit der Anschauung, aber nicht aus reinen Begriffen, welches der reine Gebrauch der Vernunft ist. Die etwas einsehen nach der Analogie durch Bilder, die haben einen Gebrauch der Vernunft aber
⌠Seite 250⌡
nicht aus Begriffen. Es ist ein großer Theil des menschlichen Geschlechts von denen es scheint, daß ihnen die Natur das Vermögen zu urtheilen aus Begriffen versagt hat. Dahin gehören alle orientalische √Völcker_\\_Volcker⌡. Hieraus folgt, daß die gantze Moral bey ihnen nicht rein seyn kann, weil die aus Begriffen er- kannt werden muß. Jhrer Moral fehlt der reine moralische √Begrif_\\_Begriff⌡, dahero kann bey ihnen

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/nichts aus dem Grundsatz der Moralitaet entspringen. Die Ehrbegierde der orientalischen √Völcker_\\_Volcker⌡ ist gantz unterschieden von der Ehrbegierde der rien»ccidentalischen_\\_occidentalischen⌡. Bey diesen ist der √Begrif_\\_Begriff⌡ der Ehre ein wahrer √begrif_\\_Begriff⌡, allein die orientalischen Volcker suchten Z. E. in der Gewalt ihre Ehre, also aus der Sinnlichkeit und nicht aus Begriffen. Selbst in der √Bau Kunst_\\_Baukunst⌡ muß ein
⌠Seite 251⌡
√Begrif_\\_Begriff⌡ zum Grunde liegen, wenn sie Geschmack und √Beyfall unserer gantzen Seele_\\_den gantzen Beyfall unserer Seele⌡ haben soll. So sind die Gebäude im Orient zwar reich an Gold und Edelgesteinen, also für die Sinnlichkeit, aber sie sind aus keiner √Jdee,_\\_Idee aus keinem Plan √des gantzen_\\_das gantze⌡ entsprungen. Orient_\\_Orient⌡ ist das Land der Empfindung, Occident aber der gesunden und reinen

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/Vernunft. Das Verdienst des Occidents ist durch Begriffe bestimmt zu urtheilen, √dahero_\\_daher⌡ muß dieser Vorzug des occidentalischen Ta- lents_\\_Talents⌡ nicht durch Analogien und Bilder verdorben werden, denn sonst wäre das der Verfall des occidentalischen Geschmacks. Es ist ein großer Unterscheid zwischen der Guthertzigkeit der Orientalischen Völcker, und zwischen der Rechtschaffenheit der occidentalischen. Die Guthertzigkeit findet auch ohne Begriffe statt, sie ent- 
⌠Seite 252⌡
steht bloß aus der Sympathie, allein ein solcher √Guthertziger _\\_Guthhertziger⌡wird auch oft aufgebracht, daher fehlt dieser Guthertzigkeit ein √Begrif_\\_Begriff⌡, daß man auch unter allen Fällen die einem entgegen stoßen⌠,⌡

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/dennoch guthertzig sey, und dieses ist die Rechtschaffenheit, diese fehlt den orientalischen_\\_Orientalischen⌡ Völckern, und deßen sind sie auch nicht fähig, daher alle √Personen_\\_Perschonen⌡, so der Begriffe nicht fähig sind, sondern mit Bildern der Anschauung von Geistern spielen, die tropisch sind, in die √Schwarmerey_\\_Schwärmerey⌡ verfallen.
Unvernunft bedient man sich im Practischen_\\_Praktischen⌡. So ist Unvernunft ein Verfahren nach practischen Regeln. Unsinnig ist vernunftwiedrig im Reden und Ausdruck. Man findet oft bey Menschen eine Mysologie oder √Has_\\_Haß⌡ wieder die Vernunft. Mangel der Vernunft ist
⌠Seite 253⌡
zwar nichts ungewöhnliches⌠,⌡ aber Mysologie nicht. Sie entsteht aus vergeblicher

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/Bemühung der Vernunft. Es ist eine Eigenschaft nachdenckender Personen⌠,⌡ welche Untersuchungen anstellen über ihre künftige Bestimmung und Hauptzwecke, die sich zuletzt darinn endigen, daß der Mensch seine Unwißenheit einsieht. Kann nun die Vernunft dem Wißen nicht Genüge thun⌠,⌡ kann sie den Menschen hierinn nicht befriedigen, verläßt sie ihn hierinn, so daß der Mensch das Ziel und Ende aller Dinge nicht absieht, so begiebt sich der Mensch in die Einfalt und entsagt der Vernunft gäntzlich, eben so wie jemand aus Empfindung der Tugend ein Misantrop wird, nicht weil er die Menschen √hasset_\\_haßet⌡, sondern weil er sie nicht so findet, wie

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/er sie wünschet. Uebrigens wünscht er ihnen alles Wohl.
⌠Seite 254⌡
So wird man auch ein Misolog nicht aus Has gegen die Vernunft⌠,⌡ man √schätzt_\\_schatzt⌡ sie zwar, weil sie √einem aber_\\_aber einem⌡ schlechte Dienste leistet, so entsagt man ihr. Hat sich aber iemand schon angewöhnt die Vernunft zu gebrauchen, so ists umsonst sich derselben zu entschlagen, wer schon einen Hang dazu hat, der denckt Zeitlebens nach. Auf gleiche Weise findet die Miolo- gie_\\_Myologie oder Weiberfeindschaft statt, die auch aus einer üblen √laune_\\_Laune⌡ entsteht, nicht weil man sie √hasset_\\_haßet⌡, sondern weil man nicht das an ihnen findet, was man glaubt, also aus gar zu großer Forderung ihrer Vollkommenheiten. Ein Liebhaber

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/der durch eine Coqvette betrogen wird⌠,⌡ wird ein Weiberfeind. Es giebt auch eine Feindschaft der Vernunft bey solchen⌠,⌡ die keine Ver- 
⌠Seite 255⌡
nunft Fähigkeit haben, und das sind √Schwärmer_\\_Schwarmer⌡. Es giebt Schwärmer der Religion und des Geschmacks. Weil sie nun des Gebrauchs der Vernunft nicht fähig sind, so haßen sie diejenigen, so diese Fähigkeit haben.
Was die Kranckheit der Vernunft betrift, so mercke man, daß es sowohl in Ansehung des Verstandes, als auch der Vernunft und aller Gemüths Kräfte eine Kranckheit gebe, erstlich eine Indisposition, denn Kranckheit⌠,⌡ und endlich Gebrechen. Das Gemüth wird durch viele √Umstände_\\_Umstande⌡ wohl disponirt. So macht der

/Seite_265

/√Schlaf_\\_Schlaaf⌡ eine Revolution in der Disposition des √Mensch- lichen_\\_menschlichen⌡ Gemüths, und die Palingenesie oder Wiedergeburt des menschlichen Gemüths geschiehet alle Nacht in uns. Wir sehen die Nacht als ein Intervall zwischen dem Morgen und √nächstfolgenden_\\_nächstfolgendem⌡
⌠Seite 256⌡
Tage an. Dahero können wir den folgenden Tag anders disponirt seyn⌠,⌡ als den vorigen. So ist das Gemüth des Morgens disponirter als des Abends, weil es da noch nicht so ermüdet ist. Die Disposition des Gemüths ist überhaupt sehr veränderlich von einem Tage zum andern, √ja_\\_ia⌡ von einer Stunde zur andern√:_\\_.⌡ √die_\\_Die⌡ Disposition des Gemüths richtet sich besonders nach der Gelegenheit und nach den Umständen. So ist man vielleicht zum tiefen Nachdencken

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/übel disponirt, wenn man aus der Comoedie kommt. Man wird disponirt, wenn man aus einer großen Zerstreuung und Verwüstung des Gemüths in eine √Mässigung_\\_Mäßigung⌡ kömmt√;_\\_,⌡ oder von einer schweren Arbeit in eine angenehme Gesellschaft geht. Die Kranckheiten des Gemüths können zwiefach seyn. Sie bestehen in der Schwäche und in der Störung der
⌠Seite 257⌡
Gemüths Kräfte. So kann man oft sein Gedächtnis nicht brauchen, weil es durch vielen Gram geschwächt ist. Die GemüthsKräfte √aber können_\\_können aber⌡ gestört werden Z. E. durch hitzige Fiber. Weil √dieser_\\_dieses⌡ aber Kranckheiten sind, die man sich zugezogen hat, so können sie eben so gehoben

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/werden, als dergleichen Kranckheiten des Körpers.
Gebrechen des Gemüths sind eben ein ├solcher┤ krippelhafter Zustand des Gemüths, als Gebrechen des √Körpers_\\_Cörpers⌡ ein krippelhafter Zustand für den √Körper_\\_Cörper⌡ sind. Die Gebrechen sind keine Hinderniße der √Gemüths Kräfte_\\_Gemüths Krafte⌡, sondern ein Mangel, dieser aber ist, wenn die Bedingung des √regelmä- ßigen_\\_Regelmaßigen⌡ Gebrauchs der Kräfte dem Gemüth fehlt. √Blodsinn_\\_Blödsinn⌡ und Wahnsinn betreffen die Fehler des Verstandes, von
⌠Seite 258⌡
denen wir schon oben gehandelt haben. Aber Aberwitz ist die Verkehrtheit in Ansehung des Gebrauchs der Vernunft, und beruht in der Verkehrtheit falscher Schlüße.

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/Wahnwitz ist auch Verkehrtheit des Gebrauchs der Vernunft, und ist, wenn man falsche Grundsätze im gemeinen Gebrauch der Vernunft heget Z. E. man glaubt, man habe was erfunden.

Das eigenthümliche eines ieden Kopfes.

Kopf ist die Summe_\\_Summe⌡ aller Erkenntnis √Kräfte_\\_Krafte⌡, so wie das Hertz die Summe_\\_Summe⌡ aller Begehrungs Kräfte ist. Das eigenthümliche des Kopfes kommt auf die Proportion der Gemüths Kräfte an. Es beruht nicht auf die Größe des Menschen, wenn er schön seyn soll, sondern auf die Proportion seiner Glieder. Jedes
⌠Seite 259⌡
Gesicht hat etwas eigenthümliches, wodurch es von allen andern

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/unterschieden werden kann, und seine √Schonheit_\\_Schönheit⌡ beruht auf die Proportion seiner Theile. Eben so ist es auch mit dem Gemüth bewandt. Das eigenthümliche des Kopfs beruht auf der Proportion seiner Kräfte. Oft hört man über den Witz klagen der vielen fehlt, allein wenn der Mensch mehr Witz bekommen sollte, so √müste_\\_müßte⌡ er auch mehr Verstand haben, denn es kann √ja_\\_ia⌡ nicht eine Kraft vermehrt werden, und die andere nicht, denn alsdenn wäre keine Proportion, eben so⌠,⌡ als wenn ein Theil im Gesicht vergrößert werden sollte und der andere nicht. Also ist das ein großer Fehler⌠,⌡ wenn man mehr Witz als Verstand hat. Der Verstand ist denn zu schwach den
⌠Seite 260⌡
Witz in Schrancken zu halten. So

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/wünscht man sich auch oft viel Gedächtnis zu haben, allein alsdenn müste man auch mehr Urtheils Kraft besitzen⌠,⌡ denn viel Gedächtnis und wenig Urtheils Kraft bildet einen völligen Narren. Entweder √müssen_\\_müßen⌡ alle Kräfte vergrößert werden, oder es muß alles so bleiben, wie es ist, denn sonst wird die Proportion gehoben; würden aber alle Gemüths Kräfte verändert, so wäre man nicht derselbe Mensch. Also muß √ein ieder_\\_einjeder⌡ mit seinen Kräften zufrieden seyn. Man ist zwar mit √einem_\\_1⌡ Menschen Z. E. mit Schülern von wenigen √Kraften_\\_Kräften⌡ unzufrieden, aber nicht mit seinen √Kraften_\\_Kräften⌡, man muß aber mit √den_\\_dem⌡ √letztern_\\_letzteren⌡ √zu frieden_\\_zufrieden⌡

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/seyn. Demnach ist niemals eine große Nase für das Gesicht, auf welches sie steht⌠,⌡ √zu groß_\\_zugroß⌡. Würde der Mensch eine kleine
⌠Seite 261⌡
Nase haben, so √wäre_\\_ware⌡ keine Proportion, welches man oft wahrgenommen hat, wenn Personen die ihre große Nase verlohren├,┤ sich eine kleine machen und ansetzen laßen. Es muß also bey der Erziehung nicht auf die √Große_\\_Größe⌡ der Kräfte gesehen werden, sondern auf die geschickte Proportion der Gemüths Art, es muß dahero nicht das Gedächtnis allein cultivirt, und die UrtheilsKraft √vernachläßigt_\\_vernachläßiget⌡ werden, eben so wenig als man den Witz allein bilden muß und den Verstand nicht. Allein dieses ist noch ein

/Seite_272

/Problem. Man sieht es zwar ein├,┤ wie es geschehen sollte, es müste nehmlich das Gedächtnis √zu erst_\\_zuerst⌡ cultivirt werden, damit die UrtheilsKraft und der Verstand √Materie_\\_materie⌡ hätten, alsdenn müste man den Verstand mehr cultiviren als die Vernunft, weil derselbe nöthiger ist, und der Witz nur im kleinen Maas. Allein
⌠Seite 262⌡
die Regel fehlt um die Proportion der Cultur zu bestimmen. Jn dem menschlichen Gemüth ist zu unterscheiden, Naturell, Talent_\\_Talent⌡ und Genie. Der Unterscheid zwischen Naturell und Talent_\\_Talent⌡ ist dieser. Naturell ist Gemüths Fähigkeit, Talent_\\_Talent⌡ aber GemüthsGabe. Naturell ist die Gelehrigkeit etwas zu faßen, Talent_\\_Talent⌡ aber etwas hervorzubringen.

/Seite_273

/Die Leichtigkeit gebildet zu werden├,┤ ist Naturell, aber Talent_\\_Talent⌡ um etwas zu erfinden Z. E. Gedächtnis gehöret zum Naturell. Der √Unterscheid_\\_Unterschied⌡ zwischen Talent_\\_Talent⌡ und Genie ist√;_\\_:⌡ das Talent ist der Grad der Gemüths Kräfte, wodurch etwas kann hervorgebracht werden, wenn die √Unter«scheid»<weis>ung_\\_Unterweisung⌡ vorher gehet. Genie ist aber ein Talent_\\_Talent⌡, was √kein_\\_ein⌡ Product der Unterweisung seyn kann. Genie entbehrt alle Unterweisung, und ersetzt alle Kunst. Was zum Genie gehört ist alles angebohren, und also der Kunst ent- 
⌠Seite 263⌡
gegen gesetzt. Ein Werck der Unterweisung ist Kunst. Genie ist aber ein √schopferisches_\\_schöpferisches⌡ Talent_\\_Talent⌡ d. h. etwas hervorzubringen ohne alle Anleitung

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/ohne alle Regel. Es ist also die Freyheit von der Leitung der Regel. Das Genie ist frey von Regeln, weil es keine braucht, dahero Leute die keine Genies sind, und doch dafür gehalten werden wollen, die Regeln verlaßen, und sich das Ansehen des Genies zu geben suchen. Die Regeln behalten aber ihren Werth. Wer kein Genie ist muß sich nicht unterstehen dieselben zu √verlassen_\\_verlaßen⌡. Das Genie kann nicht hervorgebracht werden. Wir finden Erkenntniße, so durch keine Unterweisung hervorgebracht werden können z. E. dichten├,┤ √schon_\\_schön⌡ zu schreiben. Man kann das Genie zwar erwecken, aber nicht aus dem Talent_\\_Talent⌡ ein Genie machen, denn es ist kein

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/Product der Unterweisung. So kann man √keinem_\\_keinen⌡ die Philosophie_\\_Philosophie⌡ lehren, aber sein Genie zum
⌠Seite 264⌡
Philosophiren erwecken, da zeigt es sich ob er Genie habe oder nicht√?_\\_.⌡ Die Philosophie ist eine Wißenschaft des Genies. Mathematic aber kann durch Unterweisung erlernt werden√;_\\_.⌡ Man kann darinn sein Talent_\\_Talent⌡ durch Unterweisung so perfectioniret haben, daß man nach Anleitung der Regeln der Mathematic vieles darinn erfinden kann. Aber eine neue Methode zu erfinden, kann man durch keine Unterweisung lernen. Methode muß man also aus sich selbst erfinden, denn es ist keine Methode um wieder eine Methode zu erfinden. Geist und

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/Genie ist auch zu √unterscheiden_\\_Unterscheiden⌡. Man ⌠hat⌡ Genie ohne Geist, und Geist ohne Genie. Geist ist eine besondere Eigenschaft des Talents_\\_Talents⌡. Es beruht darauf, daß das Gemüth dadurch belebt werde, denn Geist ist der Grund der Belebung. Jn der Chymie ist Waßer das Phlegma und Spiritus der Geist. Wer
⌠Seite 265⌡
das Talent_\\_Talent⌡ hat zu beleben⌠,⌡ der hat Geist z. E. eine Gesellschaft durch einen Discurs_\\_Discours. Ein Buch hat Geist, wenn seine Lesung belebt. Es kann zwar ein Buch unterrichten, aber nicht beleben. Das Beleben ist in allen Producten Z. E. in √Gemälden,_\\_Gemählden⌡ es hat kein Leben⌠,⌡ aber eine Belebung. Die Producte des Verstandes zu beleben ist also

/Seite_277

/Geist. Man wird oft den Geist im Discurs_\\_Discours wahrnehmen. Ein solcher ist kein Genie, aber er hat die besondere Eigenschaft zu beleben, auf einmahl einen neuen Trieb zu geben. Der Witz ist nicht immer Geist. Der Geist ist das unbeschreibliche in allen Producten. Das Genie √muß_\\_mus⌡ Geist haben, oft √haben aber_\\_<aber> haben⌡ Per- sonen Geist und kein Genie. Wir √konnen_\\_können⌡ das Talent unterscheiden in das Talent_\\_Talent⌡ der Nachahmung und in das schöpfe- 
⌠Seite 266⌡
rische Talent_\\_Talent⌡, und dieses ist das Genie. Zur √Erfindung_\\_Erfündung⌡ der Wißenschaften gehört Genie, zur Erlernung derselben Naturell, und solches auch andere zu lehren Talent_\\_Talent⌡. Alle schöne Wißenschaften

/Seite_278

/sind Wißenschaften des Genies, Dichter, Bildhauer, Mahler. Zum Copiren gehört aber nur Talent_\\_Talent⌡, denn alle diese Stücke können nicht durch Unterweisung erlangt werden. Genies sind selten, d.h. nicht alle Tage wird etwas erfunden. Würde alle Tage etwas erfunden, so wäre das Finden nicht selten, sondern etwas gewöhnliches. Mittelmäßiges Genie ist eine Contradiction, dieses ist alsdenn nur ein Talent_\\_Talent⌡. Genie muß immer was außerordentliches seyn. Genie ist nicht unter dem Zwange der Regel, sondern ein Muster der Regel, denn Regeln können wir lernen, das Genie aber kann nicht erlernt werden. Weil
⌠Seite 267⌡
aber doch alles, was herfürgebracht

/Seite_279

/wird├,┤ regelmäßig seyn muß, so muß das Genie der Regel gemäß seyn, ist es der Regel nicht gemäß√;_\\_,⌡ so muß aus ihm selbst kei- ne Regel gemacht werden können, und denn wird es zum Muster. So sind Z. E. die Genies des Alterthums Homer, Cicero Muster, und ihre Producte sind Muster├,┤ auf denen die Regeln abgezogen werden. Der Zustand der Nachahmung ist dem Genie √entgegen gesetzt_\\_entgegengesetzt⌡, so wie auch die peinliche Beobachtung der Regeln dem Genie entgegen gesetzt ist, dahero auch der Mechanismus, oder die Fertigkeit etwas nach Regeln hervorzubringen, dem Genie entgegen ist. Wenn also in der Unterweisung ein gewißer Mechanismus_\\_Mechnismus

/Seite_280

/eingeführt ist, so wird das Genie dadurch unterdrückt. Dieses ist der Fehler aller unserer Schulen, und
⌠Seite 268⌡
der Grund warum wenige Genies aus derselben kommen. Die √Erfahrung_\\_Einführung⌡ des Mechanismus macht zuerst das Genie entbehrlich├,┤ und zuletzt auch verlustig. Es ist zwar ein gewißer Mechanismus in allen unsern Erkenntnißen zuerst nöthig Z. E. in der Historie und Geographie. Man muß aber dem Talent_\\_Talent⌡ eine freie Ausübung verschaffen├,┤ denn äußert sich das Genie. Der Mechanismus entspringt aus der Gewohnheit, die Gewohnheit macht √zuerst_\\_erst⌡ Leichtigkeit⌠,⌡ und hernach Nothwendigkeit. Es giebt auch fehlerhafte Gewohnheiten Z. E. im Schreiben, im Spielen,

/Seite_281

/so sehr schwer abzubringen sind. Unwillkührliche Gewohnheit ist Angewohnheit. Kopf hat √jemand_\\_iemand⌡, so ferne er zu einer oder der andern Erkenntnis aufgelegt ist. So findet man ein Talent_\\_Talent⌡ zur Mathematic, Physic p. Dieses ist die Geschicklichkeit des Subjects zu einer oder der √anderen_\\_andern⌡ Wißenschaft.
⌠Seite 269⌡
So hat einer einen empirischen, der andere einen speculativen Kopf. Ob der Hang und Talent zu etwas in einem Gemüth zusammen sind? Es wäre sehr gut, wenn es wäre├,┤ aber leider ist es nicht. Der Hang geht auf etwas anderes als das Talent_\\_Talent⌡. So be- schäftigt sich der Mensch gerne damit, was seinem Hange aber nicht seinem Talent gemäß ist. Mit dem

/Seite_282

/Talent beschäftigt er sich nur, wenn er muß. Wenn √beides_\\_beydes⌡ vereinigt ist, so ist noch die Frage ob alsdenn Genie sey? Genie ist √freilich_\\_freylich⌡ nicht allemahl nöthig.
Was zu einem mathematischen, philosophischen, physischen_\\_Physischen⌡, musikalischen Kopfe erfordert wird, dazu gehöret viel├,┤ solches zu examiniren, es wäre aber von sehr großem Nutzen. Denn es gehöret nicht eben daßelbe zu einem Talent, was zum andern gehört. So ist das mathematische Talent_\\_mathematische Talent⌡ vom philosophischen_\\_philosophischen⌡ sehr
⌠Seite 270⌡
unterschieden, denn die eine √Erkenntnis_\\_Erkenntniß⌡ ist intuitiv, die andere Discursiv_\\_discursiv. Es gehöret aber zu einem vollständigen Talent nicht so wohl der Grad des Erkenntnißes,

/Seite_283

/als die Proportion derer Kräfte und Ausbildung derselben.
Hiemit haben wir den ersten Theil der h»sychologischen_\\_Phychologischen⌡ Betrachtungen, nemlich des Erkenntnis Vermögens geendigt, nun folgt das √zweite_\\_zweyte⌡ Vermögen⌠,⌡ der Seele⌠,⌡ √nemlich_\\_nehmlich⌡ das Gefühl der Lust und Unlust, worauf alsdenn das dritte Vermögen folgen wird, nehmlich das Begehrungs Vermögen.
√Der_\\_Die⌡ zweite Qvell der Phaenomenorum der Seele ist⌠,⌡ das Gefühl der Lust und Unlust, der Billigung und Mäßigung, des Wohlgefallens und √Misfallens_\\_Mißfallens⌡. Dieses Vermögen muß vom √Erkenntniß_\\_Erkenntnis⌡ Vermogen wohl unterschieden werden.
⌠Seite 271⌡

/Seite_284

/Etwas erkennen, und an etwas ein Wohlgefallen haben, ist zweyerley. Jch kann von etwas eine Vorstellung haben, aber die ├die┤ Wirckung die die Dinge aufs gantze √des Gemüths_\\_<des Gemüths>⌡ machen, ist das √Vermögen_\\_Vermogen⌡ der Lust und Unlust.

/Das Gefühl von der Hindernis des Lebens ist der Schmertz oder die Unlust. Das Gefühl von der Beförderung des Lebens ist das √Vergnügen_\\_Vermögen⌡ oder die Lust. Das Leben ist das Bewust seyn eines freien und regelmäßigen Spiels aller Kräfte und Vermögen der Menschen. Das Gefühl von der Beförderung des Lebens ist das⌠,⌡ was Lust ist und das Gefühl von der √Hinderniß_\\_Hindernis⌡ des Lebens ist Unlust. Es

/Seite_285

/kann ein Vergnügen seyn, welches das Leben vermindert, aber das Gefühl vermehrt. Das Gefühl der Belebung ist das Vergnügen, wenn das Blut und die Le- 
⌠Seite 272⌡
Lebens Geister in starcke Bewegung gesetzt werden, und wenn es an einer Stelle stärcker empfindet, so ist dieses Gefühl ein Vergnügen, obgleich das Leben dadurch selbst verhindert wird. So kann auch ⌠wieder⌡ die √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ des Lebens klein seyn und der Schmertz groß, und die Hinderniß des Lebens kann groß seyn⌠,⌡ und der Schmertz klein Z. E. ein Nadelriß ist √kein_\\_keine⌡ große √Hinderniß_\\_Hindernis⌡ des Lebens⌠,⌡ aber der Schmertz ist groß, und ein Schaden der

/Seite_286

/Lunge ist ein kleiner Schmertz├,┤ aber ein großes Hindernis des Lebens. Die Ursache hievon ist, wo die Nerwen keinen Reitz haben, da ist auch der Schmertz nicht groß, in der Hand aber haben die Nerwen die stärckste Empfindung, dahero ist auch der Schmertz darauf sehr groß. Die Schmertzen betreffen nicht die Proportion des Uebels⌠,⌡ sondern die Proportion des Gefühls des
⌠Seite 273⌡
Uebels. Es hat oft etwas, was die Natur dazu aptirt hat, ein Gefühl von großem Vergnügen und Schmertz gemacht, √ob gleich_\\_obgleich⌡ das erstere keine Beförderung und das letztere keine √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ des Lebens ist. Es giebt Vergnügen bloß im

/Seite_287

/Genuß des Lebens ohne die Ursache zu empfinden, die das Leben befördert. Der Schmertz ist das Gefühl der Hindernis an einem Ort des Lebens; wenn man die gantze Summe des Lebens fühlt, und den Schmertz davon abzieht, so hat es mehr Gefühl des Vergnügens als der √Hinderniß_\\_Hindernis⌡ des Lebens, dennoch wollen die Menschen lieber Schmertzen aushalten, als das gantze Leben aufgeben, über- trift aber der Schmertz die gantze Summe des Lebens, und macht er uns unthätig das Vergnügen des Lebens zu fühlen, so will man lieber das gantze Leben
⌠Seite 274⌡
aufgeben um den Schmertz zu √verlieren_\\_verliehren⌡. Das Vergnügen ist sensuell, ideal und intellectuell.

/Seite_288

/Sensuale Vergnügen sind Vergnügen der Sinne, die leicht einzusehen sind, aber die ideale_\\_Ideale Vergnügen √bedürfen_\\_bedürffen⌡ mehrere Erläuterung, sie beruhen auf dem Gefühl des freien Spiels der Gemüths Kräfte. Die Sinne sind die Receptivitaet der Eindrücke, die unser sinnliches Vergnügen be- fordern, wir können aber unsere Gemüths Kräfte in Agitation bringen durch Gegenstände nicht ⌠in⌡ so ferne sie einen Eindruck auf uns machen, sondern in so √ferne_\\_fern⌡ ⌠«sie einen Eindruck»⌡ wir sie uns dencken, und das sind die Idealen Vergnügen, sie sind zwar sinnlich, aber nicht Vergnügen der Sinne. Ein Gedicht, ein Roman eine Comoedie sind Vermö- 
⌠Seite 275⌡
gend in uns ideale

/Seite_289

/Vergnügungen zu verschaffen├,┤ sie entspringen aus der Art⌠,⌡ wie das Gemüth aus allerhand Vorstellungen der Sinne sich selbst Erkenntniße macht. Wenn nun das Gemüth ein freies Spiel der Kräfte empfindet⌠,⌡ so ist das, was dieses freie Spiel macht, ein ideales_\\_ideales⌡ Vergnügen. Es giebt einen Schmertz der zum Vergnügen dient Z. E. in der Tragoedie_\\_Tragoedie⌡. Wie geht das zu? Wir müßen das Resultat nehmen. Alle solche Eindrücke sind der Grund von der √Beforderung_\\_Beförderung⌡ des Lebens√, das_\\_. Das⌡ Gemüth, welches bey solchen √trauerspielen_\\_Trauerspielen⌡ zugegen ist, kommt dadurch in Agitation, alle Organen_\\_Organen⌡ werden durchgearbeitet, es ist also eine innere Motion├,┤ nach

/Seite_290

/welcher man sich wohl befindet.
Montagne sagt├:┤ das Gemüth trägt
⌠Seite 276⌡
mehr zur Gesundheit und √Beforderung_\\_Beförderung⌡ des Lebens bey, als alle Medicin. Soll der Mensch belebt werden, so muß sein Gemüth agitirt_\\_agiret⌡ werden. Weil dieses nun ein Gefühl hervorbringt, so vergnügt es⌠.⌡ Das Spiel der Gemüths Kräfte muß starck √lebhaft_\\_lebhafft,⌡ und frey seyn, wenn es beleben soll. Intellectuale Lust besteht in dem Bewustseyn des Gebrauchs der Freiheit √und_\\_nach⌡ Regeln. Die Freiheit ist das √großte_\\_größte⌡ Leben des Menschen, dadurch exercirt_\\_exerciret⌡ er seine Thätigkeit ohne √Hindernis_\\_Hinderniß⌡. Durch √einige Hinderniß der_\\_<einige Hinderniß der>⌡ Freiheit ist das Leben eingeschränckt, weil die Freiheit nicht unter dem Zwange der Regel steht. Wäre dieses, so wäre sie nicht frey, da dieses aber eine

/Seite_291

/Regellosigkeit mit sich √führt_\\_führet⌡, wenn der Verstand dieselbe nicht dirigirte, die Regellosigkeit ⌠aber⌡ sich √selber_\\_selbsten⌡ hindert, so kann uns keine √Freiheit_\\_Freyheit⌡ gefallen, als die un- 
⌠Seite 277⌡
ter der Regel des Verstandes steht√._\\_;⌡ Dieses ist die intellectuale Lust, die aufs moralische geht.
Obgleich unsere Vergnügen den Objecten nach nicht gleichartig sind, so können sie doch hernach zusammen gezählt werden, da sie alsdenn das gantze Wohlbefinden ausmachen, so als wenn sie gleichartig wären. Obgleich diese Vergnügen sehr verschieden sind, und eines ein ideales das andere ein sensuales ist, so vergleichen wir sie doch zusammen und nehmen sie in eine Summe. Die Ursache ist: Alle Vergnügungen

/Seite_292

/beziehen sich aufs Leben. Leben ist aber eine Einheit, und in so ferne sie alle darauf abzielen, √sie sind_\\_sind sie⌡ alle gleichartig√, die_\\_. Die⌡ Qvellen aus denen sie entspringen⌠,⌡ mögen seyn wie sie wollen.
Die Vergnügungen in Ansehung der Objecte können verschieden seyn nehmlich
⌠Seite 278⌡
in Ansehung des Objects der Erscheinung und des Verstandes. Das Gemüth verhält sich in Ansehung der Gegenstände├,┤ erstlich gleichgültig. Diese Gleichgültigkeit kann aus Fühllosigkeit entspringen, oder aus Unempfindlichkeit⌠,⌡ oder aus Gleichgewicht. Die Unempfindlichkeit ist eine Gleichgültigkeit in Ansehung des Eindrucks, und die Gleichgültigkeit des Gleichgewichts ist eine

/Seite_293

/Gleichgültigkeit in Ansehung der Wahl.
Gleichgültigkeit ist von der Gleichmüthigkeit zu unterscheiden. Gleichgültigkeit aus Unempfindlichkeit ist Stupiditaet, aber die Gleichmüthigkeit ist eine Wirckung der √Stärcke_\\_Starcke⌡ und nicht der √Schwache_\\_Schwäche⌡, sie besteht im Besitz des Wohlbefindens ohne Unterscheid der Bedingung des äußeren Gegenstandes, und in dem Bewustseyn der
⌠Seite 279⌡
√Größe_\\_Große⌡ des Wohlbefindens, welche alle äußere Umstände überwiegt. Die Gleichmüthigkeit kommt Philosophen zu√._\\_,⌡ Empfind- samkeit ist die Fähigkeit der Receptivitaet idealer Vergnügen, sie ist der Gleichgültigkeit, aber nicht der Gleichmüthigkeit entgegen gesetzt.
Empfindlichkeit ist eine Schwäche, nach welcher der gantze Zustand eines Menschen

/Seite_294

/verändert wird Z. E. man wird über Grobheiten empfindlich, oder wenn einem ein Geschirr zerbrochen wird.
So wie die Gleichgültigkeit der Empfindsamkeit entgegen gesetzt wird, so wird die Gleichmüthigkeit der Empfindlichkeit entgegen gesetzt. √Gleichmüthig_\\_Gleichmüthigkeit⌡ ist eigentlich ein √Selbst Gefühl_\\_Selbst-Gefühl⌡ einer gesunden Seele, so wie das √Selbstgefühl_\\_Selbst Gefühl⌡ eines gesunden √Körpers,_\\_Cörpers⌡ die völlige Gesundheit
⌠Seite 280⌡
ist. Man fühlt in sich den Qvell des Lebens. Die Gesundheit der Seele und des Cörpers ist freylich das größte Glück, es ist die größte Summe √de«s»r_\\_der⌡ ⌠«Glücks»⌡ Lust und des Vergnügens, welche größte Summe der Lust man doch immer fühlt,

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/wenn auch Schmertzen sind. Hievon liegt der Grund in dem Menschen selbst. Wer solche Stärcke des Gemüths hat, daß er die gantze Summe_\\_Summe⌡ der Lust und des Vergnügens fühlt, deßen Vergnügen wird weder durch neue Zusätze von Vergnügen vermehrt, noch durch einigen Schmertz betrübt, ein solcher freut sich √nicht_\\_mit⌡ über das Vergnügen, und betrübt sich nicht über den Schmertz. Mann √kann_\\_kan⌡ Schmertz und Vergnügen empfinden, ohne √uber_\\_über⌡ das eine sehr betrübt, und über das andere sehr vergnügt zu seyn. Menschen die ├durch┤ jede Kleinigkeit erfreut
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werden, werden auch durch √jede_\\_iede⌡ Kleinigkeit betrübt. Das Wohlbefinden muß also eine bestimmte

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/Summe seyn, die ich in mir fühle, und welches durch keine kleine Zusätze von Vergnügen außerordentlich vermehrt, oder durch Wiederwärtigkeiten vermindert werden kann. Der Schmertz ist, wie schon gesagt, nicht die Hindernis des Lebens, als vielmehr das Gefühl der √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ des Lebens. Fühlen wir unser Leben nicht mehr, so ist √das_\\_daß⌡ nicht deswegen, weil kein Hindernis ist, sondern weil wir kein Gefühl mehr haben. So fühlt man auch zuletzt nicht mehr eine √heftige_\\_hefftige⌡ √Krangheit_\\_Kranckheit⌡, und denn wird der Tod selbst nicht schmertzhaft weil wir kein Gefühl mehr haben. Derjenige Tod ist aber schmertzhaft, wo das Gefühl noch übrig bleibt. Es kommt

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/also darauf an, wie wir die √Hindernis_\\_Hinderniß⌡
⌠Seite 282⌡
des Lebens fühlen. Wie können wir aber unsere Seele gesund erhalten√._\\_?⌡ Wer sich allen Vergnügungen ohne Abhaltung gantz √¿umgestimt/ungestüm¿_\\_unstimmig⌡ √überläst_\\_überläßt⌡, aber auch auf der andern Seite im Stande ist allen Schmertz zu empfinden. Wer aber recht glücklich seyn will, der muß gleichgültig gegen Schmertz und Vergnügen bleiben, ein solcher fühlt ein beständiges Vergnügen in sich. Es dependirt auch vom Cörper. Wie wird aber solche Gleichmüthigkeit erhalten? Eine Ueberlegung im einzelnen Fall kann das nicht thun, sondern es muß durch Uebung erlangt werden, dahero muß man frühe anfangen eine

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/gewiße Gleichmüthigkeit zu äußern. Das Temperament thut wohl das mehreste dabey. Da wir nun √nicht einmahl_\\_einmahl nicht⌡ Meister über den Ausgang der Dinge
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sind, so müßen wir schon unserm Gemüth eine gleichförmige Faßung geben. Das menschliche Leben ist ohnedem von lauter Kleinigkeiten zusammen gesetzt. Wir √hängen_\\_hangen⌡ mehr unserer Neigung⌠,⌡ als unserm wahren Glück nach. Nicht große Uebel drucken den Menschen, sondern kleine Beleidigungen seines Steckenpferdes. Sieht man nun ein, daß es nur alles Kleinigkeiten sind, und gewöhnt man sich schon frühzeitig an, solchen Kleinigkeiten nicht √anzuhangen_\\_anzuhängen⌡, so erwirbt man sich solche

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/√Gleichgültigkeit_\\_Gleichmüthigkeit⌡. Das vornehmste ist zwar sein Leben ohne Vorwürfe zu erhalten. Kann man es darinn √zur_\\_zu⌡ gewißen √Ehrenstelle_\\_Ehrenstellen⌡ bringen, so ists beßer├.┤ Jst es nicht, so ists auch gut, √mir_\\_nur⌡ ist keine Sache in der Welt im Stande Kränckungen zuzufügen Z. E. ob mir jemand ein gerades oder ein schie-
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fes Maul macht, ob er mir ein großes oder kleines Compliment macht⌠,⌡ und aus dem Wege geht oder nicht. Wer aber über solche Kleinigkeiten ärgerlich wird, der verliert immer dabey├,┤ hernach ärgert er sich selbst darüber, daß er ärgerlich geworden ist, er sieht es ein, allein er kann sich nicht √so bald_\\_sobald⌡ wieder in die vorige Faßung bringen.

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/Ueberhaupt schaden solche Kleinigkeiten und Aergerniße sehr, sie nehmen einem solchen den Geschmack des Lebens. Setze ich mir dieses einmahl vor, so kann ich mit großer Gleichmüthigkeit sehr vieles so passiren laßen. Wenn noch die √Kürtze_\\_Kürze⌡ des Lebens dazu kommt, und man dieses bedenckt, so wird ein √jeder_\\_ieder⌡ √vernünftige_\\_Vernünftige⌡ die Kürtze des Lebens zu genießen suchen. Bey Gelegenheit├,┤ da wir von der Gleichmüthigkeit reden, kommen wir auf die Betrachtung.
⌠Seite 285⌡

Von der Laune.

Die Laune ist der Zustand⌠,⌡ in welchem der Mensch nach seiner Disposition die Dinge in der Welt beurtheilt. Wir können nach den Gegenständen

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/Beobachtungen anstellen, und das ist eine speculative Beobachtung, wir können aber auch eine launigte anstellen, nicht nach den Gegenständen, sondern daß die Dinge solche Gestalt nehmen, wie uns der Kopf steht. Die Laune nach dem Verstande der französischen Sprache bedeutet eine √ueble_\\_üble⌡ Laune, wo der Mensch √übel_\\_ubel⌡ disponirt ist, und auch alle Menschen so an- sieht. Es giebt einen murrischen Zustand des Menschen, in welchem er alles für verkehrt hält, *1 und er glaubt auch recht zu haben. Bey solcher Laune sieht √«der» ein_\\_der⌡ Mensch die Welt für Narren und Bösewichter an. Nach dem Verstande der
am Rand ab Z. 16
~*1 wo ihm alles was er sieht├,┤ √misfällt,_\\_mißfält⌡ «¿»~
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englischen Sprache bedeutet Laune

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/einen Humor, oder eine gewiße Selbst Disposition des Gemüths über alle Dinge und Gegenstände √schmertzhaft_\\_scherzhaft⌡ zu urtheilen, und alles für Spiel anzusehen. √Jst_\\_Ist⌡ jemand von dieser Laune, so macht er aus allem einen Spaas und das ist eine gute Laune. Diese äußert sich oft bey Personen bis ans Ende seines Lebens Z. E. Thomas Morus ließ seinen Bart wachsen, weil er deswegen mit dem Könige in einem Process war. Accommodiren wir das deutsche Wort dem französischen Verstande⌠,⌡ so bedeutet das launigte das falsche und murrische. So sagt der Bauer, das ist ein √lünscher_\\_lauscher⌡ Hund, nemlich wenn er so ist, daß man bald mit ihm Händel bekommen

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/kann, ehe man sichs versieht, welches man ihm vorhero nicht hat ansehen können. Accommodiren wir ⌠aber⌡ das
⌠Seite 287⌡
deutsche Wort dem √Englischen_\\_englischen⌡ Verstande, so ist es eine schertzhafte Laune. Jn diesem Verstande muß die Laune willkührlich seyn. So muß auch die üble Laune willkührlich seyn, ist die üble unwillkührlich, so ist es schon eine Grille, daher ist die ⌠gute⌡ schertzhafte Laune von der grillenhaften zu unterscheiden. Die gute willkührliche Laune ist aufgeräumt, solche Laune gefällt uns auch am Autor. Es kann aber auch die unwillkührliche Laune nicht aufgeräumt seyn, wenn √sich_\\_sie⌡ nemlich Autores vornehmen √uber_\\_¿bet⌡ etwas launigt zu spotten. Wenn wir das Laster

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/sinnlich machen wollen, so können wir es aus melancholischer zorniger, eckelhafter und launigter Gemüths Art ansehen. Durch die Melancholische_\\_melancholische⌡ Gemüths Art werden wir auf das Laster entrüstet, durch die zornige finden wir es strafbar, durch
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die eckelhafte abscheulich und durch die launigte √ungereimmt_\\_ungeräumt⌡. Unter den 4 Gemüths Situationen sind zwey, die sich am besten mit der Gemüths Verfaßung des Menschen schicken, √nemlich_\\_nehmlich⌡ die zornige und launigte. Die Melancholische_\\_melancholische⌡ und eckelhafte Situation ist eine solche, in welcher der Mensch selbst nicht gerne ist. Der Eckel ist an sich selbst unangenehm, demnach ist der Tadel des Lasters aus dem Gesichts Punckt des

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/Eckels wegzulaßen. Es giebt Laster deren Misbilligung allezeit Eckel hervorbringt⌠,⌡ und das sind Laster wieder die Natur, daher sie auch √unnennbar_\\_unnennbahr⌡ sind. Der Eckel ist unter allen Empfindungen ohne Ersatz├,┤ weil er die √Qvellen_\\_Qvelle⌡ des Lebens √hemmet_\\_hemmt⌡. Die Traurigkeit hemmt nicht die Qvelle des Lebens, sondern ist eine Hindernis, die überwogen werden
⌠Seite 289⌡
muß. So sind bittere Speisen eher zu genießen als eckelhafte.

/Alle andere Gemüths Verfaßungen Z. E. Zorn sind Bewegungen, also auch Belebungen, aber der Eckel ist ein Niederschlag der Bewegung, und also keine Belebung.

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/Autores tadeln das Laster auf eine zwiefache Art, erstlich bitter mit Tadel Zorn und Unwillen gegen das Laster⌠,⌡ √zwei- tens_\\_Zweitens⌡ aber launigt, wo sie die Ungereimtheit des Lasters zeigen. Solche Schilderung des Lasters muß in der Gesellschaft beobachtet werden. Z. E. man erzählt einen häslichen Streich, so muß solches nicht mit Abscheu geschehen, so wie selbiger es würcklich verdiente, sondern er muß launigt in den Spott gezogen werden. Man kann darüber lachen⌠,⌡ und doch dafür einen Abscheu haben, und solche Schilderung ist weit mehr
⌠Seite 290⌡
im Stande Abscheu in uns gegen das Laster zu erregen, als die

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/bittern. Hievon kann man Fildings Thomas Jones_\\_Iones lesen. Alles ist in der Gesellschaft unangenehm, was die Gemüths Disposition stört, daher muß man solches verhüten, und deswegen über alles Unglück und Schmertzen launigt und gleichmüthig seyn. Was unangenehme Empfindungen in der Gesellschaft verursachen könnte, √daß_\\_das⌡ muß launigt erzählt werden, denn die Empfindung bleibt doch ohnedem├,┤ ohne daß man sie rege macht. Launigte Autores sind auch in der Moral unvergleichlich, denn auch das √großte_\\_größte⌡ Verbrechen ├hat Poßen bey sich, und es ist auch möglich das größte Verbrechen┤ launigt zu schildern, zuletzt kommts denn wohl traurig.

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/Man kann die Laune auffordern, und sich in die Gesellschaft versetzen alles für Spaas anzusehen, und alles zum
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Spaas zu ⌠«anzusehen»⌡ machen.
Die englischen Autores behalten selbst im Lachen und in der Laune die √richtigsten_\\_richtig«¿»sten⌡ Sentiments. Es wäre zu wünschen├,┤ daß die Deutschen hierinn den √Engelländern_\\_Engeländern⌡ nachahmten. Sie sind dazu geschickt, ob sie gleich nicht einen solchen rührenden Witz haben, so haben sie doch bey aller Laune ein vernünftiges Urtheil. Ueberhaupt kann alles in einer Laune vorgetragen werden, Moral p├.┤ aber für den Prediger möchte es sich auf der Cantzel wegen der Anständigkeit nicht schicken.

/Seite_309

/Denn im Grunde betrachtet sind alle Handlungen des Menschen ein Spiel und voller Thorheit, er mag sich noch so in einem ernst- haften Ornat einhüllen, so ist er doch, wenn er nach Hause und in Gesellschaft kömmt, wieder der spaashafte Mann, ist er ernst
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haft, so spielt er allemahl eine falsche Rolle. Also ist es auch am besten ihm an dieser Seite beyzukommen.
Zur Bedeutung des Ausdrucks der Laune der gewöhnlich ist, gehört auch noch ein Zustand der Menschen, in welchem sie √nichts_\\_nicht⌡ vergnügen kann, wo sie zwar kein Schmertz aus besondern Ursachen affizirt, aber wo sie doch keines Geschmacks fähig sind, weder der Freude

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/noch des Schmertzes. Dieses ist ein Zustand des Eckels vor der langen Weile, es ist ein Zustand der grillenhaften Laune. Der Mensch ist √verdrieslich_\\_verdrüslich⌡, daß er lange Weile hat, daß ihn nichts unterhalten kann, daß er an nichts Geschmack findet, er mag dieses oder jenes vornehmen, so wird ihm alles zum Eckel. Woher √entspringt aber_\\_aber entspringt⌡ dieser Eckel der langen Weile? Es ist hier
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ein horror vocui_\\_vacui so die Seele hat. Das Gemüth ist √lehr_\\_leer⌡, es hat an nichts einen Geschmack, es qvält es nichts als der leere Raum, diesen Zustand verachtet die Seele. Die Natur hat Abscheu vor solchem leeren Zustand, und daher

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/entsteht die Unzufriedenheit. Diese Unzufriedenheit erstreckt sich so weit, daß auch Leute ihr Leben √hassen_\\_haßen⌡. Das Leben wird ihnen selbst zur Last. So hängt sich ein √Engellander_\\_Engeländer⌡ auf um die Zeit zu passiren. So schoß sich Lord North todt um zu sehen, wie es doch in der andern Welt aussieht, indem hier nichts mehr zu thun war als √gasteriren_\\_Gasteriren⌡ und Cour zu machen, und das einen Tag um den andern. Dieses ist dem Menschen nicht natürlich├.┤ √der_\\_Der⌡ Mensch kann, wenn ihn nur nichts qvält⌠,⌡ natürlich immer vergnügt seyn, wenn er auch leer von Gedancken und Empfindun- 
⌠Seite 294⌡
gen ist, so wie die Wilden, die den √ganzen_\\_gantzen⌡ Tag mit einem Angel am Waßer sitzen

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/können. Wer aber seine GemüthsKräfte schon einmahl in Bewegung gesetzt hat, der will immer Unterhaltung haben. Woher entspringt aber dieser √leere_\\_Leere⌡ und √scha«l»ale_\\_schaale⌡ Zustand. Jn der ge- sitteten Verfaßung wo das Gemüth schon √einmal_\\_einmahl⌡ in Bewegung gebracht worden, entspringt dieser Zustand aus 2 Gründen, entweder├,┤ daß durch √starcke_\\_stärcke⌡ Eindrücke die √Empfindsamkeit_\\_Empfindung⌡ √geschwacht_\\_geschwächt⌡ ist, oder daß durch gar zu große Ergrüblung der Vergnügen die √Manigfaltigkeit_\\_Mannigfaltigkeit⌡ √erschöpft_\\_erschopft⌡ ist. So wie man sich immer in Ansehung des Genußes der Speisen und des Trancks √zu erst_\\_zuerst⌡ des sanften bedienet, hernach aber immer √starckere_\\_stärckere⌡ Geträncke nimmt, bis zuletzt

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/auch die für uns zu
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schwach sind Z. E. zuerst schlechten Brandtwein⌠,⌡ oder süßen Wein, oder √wohlrichenden_\\_wohlrüchenden⌡ Toback. Je mehr aber die √Starcke_\\_Stärcke⌡ der √Empfindung_\\_Empfindsamkeit⌡ zunimmt, desto stärckerer Mittel bedient man sich, bis zuletzt die spirituesen_\\_spiritueusen Brandtweine keinen Eindruck auf seine Empfindsamkeit machen. So geht es auch mit dem √Vergnügen_\\_Vermögen⌡ des Menschen, genießt der Mensch zuletzt die stärcksten Vergnügen, so erschöpft er alles Vergnügen, und kein Vergnügen macht einen Eindruck auf seine Empfindsamkeit. Dies beruht auf unserm Nerwen System. Wenn die Nerwen √über- spant_\\_überspannt⌡ werden, so werden sie √zu letzt_\\_zuletzt⌡ gantz schwach, so ist

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/√ein_\\_eine⌡ ⌠«Grad»⌡ gar zu große Freude im Stande √den_\\_einen⌡ Menschen zu √tödten_\\_todten⌡, und zwar noch eher als eine große Betrübnis, denn bey der Freude über- 
⌠Seite 296⌡
läßt sich der Mensch derselben gantz, und er empfängt den gantzen Eindruck auf die Nerwen. Bey der Betrübnis ⌠aber⌡ setzt er sich etwas in Positur. Man hat in Engelland aus einer Todtenliste gesehen, daß mehr Leute an der Freude als Betrübnis gestorben sind. Wenn man also die Vergnügen des Lebens genoßen hat bis auf den spiritueusesten Grad derselben, so werden zuletzt die Nerwen stumpf, und es rührt sie nichts mehr. Dagegen giebt es ausge- grübelte und studirte

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/Vergnügen nach aller √Mannigfaltigkeit_\\_Manigfaltigkeit⌡. Wenn sich nun √ie- mand_\\_jemand⌡ so gar aufs √Studieren_\\_Studiren⌡ der Vergnügen legt, und kann keine neue Manigfaltigkeit mehr hervorbringen, und nichts mehr ersinnen, so √verfällt_\\_verfält⌡ er in einen leeren Raum von Vergnügen, denn lebt er⌠,⌡ und hat keinen Geschmack des
⌠Seite 297⌡
Lebens. Es ist schon vorhero gesagt, und wird nochmals erinnert, daß das Vergnügen und der Schmertz in den Sinnen und im Gemüth seyn können. Sie sollten in dem Sinn seyn, aber nicht im Gemüth. Wir verlangen von einem Mann der einen Schmertz in seinen Sinnen empfindet, solchen nicht ins Gemüth √ubergehen_\\_übergehen⌡ zu laßen.

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/√Ueberlaßt_\\_Ueberläßt⌡ sich der Mensch solchen Eindrücken, denn geht der Schmertz oder das Vergnügen ins Gemüth über. Deswegen ist der Mensch des Glücks und Unglücks fähig, deßen die Thiere nicht fähig sind. Das Glück muß also nicht durch einen einzigen Eindruck vermindert werden Z. E. man stelle sich einen wohlhabenden Mann vor dem sein Bedienter aus Unvorsichtigkeit einen Pokal zerbrochen hat, welcher
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darüber gleich auffährt und aufgebracht wird, als wenn ihm das größte Unglück begegnet wäre, ja es giebt Personen die deswegen kranck werden├,┤ und Pulwer einnehmen √müßen_\\_mußen⌡. Möchte dieser Mann

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/bedencken, daß das im gantzen nichts macht, ob er einen Pokal mehr oder weniger hat, und wie viele Menschen sind⌠,⌡ die der- gleichen gar nicht haben⌠,⌡ und doch glücklich leben, so würde er sein Glück durch solchen Eindruck nicht verringern. Das sind verwöhnte Menschen, die bey Wiederwärtigkeit in Ungedult gerathen. Menschen die über Unglück klagen, klagen nur deswegen├,┤ weil sie immer glücklich waren. Wären sie öfter unglücklich gewesen├;┤ so hätten sie auch gelernt solches ertragen. Da- 
⌠Seite 299⌡
her ist es sehr weislich, wenn Gott dem Menschen einige Wiederwärtigkeiten zuschickt, denn

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/lernen sie dieselbe ertragen, und werden nicht gleich bey jedem kleinen Vorfall ungeduldig. Die Hauptsache ist immer die Eindrücke vom Gemüth abzuhalten, außer nicht im moralischen_\\_moralischen⌡, da muß man sich alle seine Vergehungen zu Gemüthe ziehen. Wie würde das seyn, wenn ein Mensch von einer solchen standhaften Seele √wäre_\\_ware⌡, daß er sich nichts zu Gemüthe zöge, so wie andere weichherzige Seelen, wenn sie iemanden einen schelmischen Streich gespielt haben.
Die √Vergnügungen_\\_Vergnügüngen⌡ sind unterhaltende und belebende. Zu den ersteren Gehört Z. E. √lesen_\\_Lesen⌡ der Bücher,

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/wozu die Instruction auf der Universitaet geschickt
⌠Seite 300⌡
macht. Die Wißenschaften unterhalten also sehr. Auch sinnliche √Beschaftigungen_\\_Beschäftigungen⌡ Z. E. zeichnen, √Mahlen_\\_mahlen⌡, Music, Optische ⌠Künste, Garten⌡ Künste sind ein Qvell einer Menge von Unterhaltungen des Gemüths. Es giebt aber auch Vergnügungen die belebend sind. Das Gemüth kann nicht lange in Ruhe seyn, sondern es muß einen neuen Stoß bekommen. Dahin √gehören_\\_gehoren⌡ die Gesellschaften⌠,⌡ so das wesentliche Vergnügen ausmachen, und eine wahre Medicin des Gemüths sind├,┤ ferner die Lustspiele und Music, √Tantz_\\_Tanz,⌡ Charten und Spiel, da ist das Gemüth bey

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/einem jeden Spiel in einer neuen Situation, weil daßelben einiges Interesse mit sich führet, entweder den Vorzug im Gewinn⌠,⌡
⌠Seite 301⌡
oder die Ehre p├.┤ so hat man zuerst eine Hofnung, denn macht man einen Anschlag, denn zweifelt man⌠,⌡ und denn hoft man wieder. Wenn sich das Spiel aufklärt, denn freut man sich. Auf solche Art wird das Gemüth starck in Bewegung gesetzt. Zuletzt, wenn das Spiel aufgehört hat, so ist das Gemüth in einer gantz andern Faßung und jeder ist nach dem Spiel vergnügt├,┤ √sowohl_\\_so wohl⌡ der Gewinner⌠,⌡ als der Verspieler. So ferne aber dieses nicht ist, so ist es kein unterhaltendes oder belebendes Vergnügen gewesen.

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/Die unterhaltende √Vernügungen_\\_Vergnügen⌡ nennt man auch ruhige, und die belebenden rauschende. Jn der Gesellschaft die belebt ist, will jeder reden, und √ie_\\_je⌡ mehr solches geschiehet, desto belebter
⌠Seite 302⌡
√oder_\\_und⌡ rauschender ist die Gesellschaft. Den andern Tag ist der Mensch gantz belebt. Wer grobe Empfindsamkeit hat, der liebt lermende Vergnügungen Z. E. Tafel Music⌠,⌡ welche schon immer einen Menschen von groben Empfindungen verrathen, denn bey einer Tafel Music fallen alle unterhaltende und belebende Vergnügungen weg. Die Vergnügungen ermüden, und die Kräfte ermangeln zuletzt, also brauchen sie auch eine Erhohlung. Der Brunnen des Lebens

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/muß einen neuen Vorrath ziehen, dahero derjenige, so zwey Tage in Gesellschaft gewesen ist, gerne den dritten Tag zu Hause bleibt um sich zu erhohlen. Einige Vergnügen sich abwechselnd, und andere anhaltende und daurende
⌠Seite 303⌡
Vergnügen. Die daurende sind Z. E. eine Mahlzeit in einer ⌠Gesellschaft. Eine Mahlzeit ist immer⌡ Gesellschaft, sowohl dem Geschmack als dem Discurs_\\_Discours nach. Dieses Vergnügen kann lange dauren, und alle Tage wiederhohlt werden ohne Erschöpfung oder Eckel. Ferner der Umgang. Die Lecture ist auch ein daurendes Vergnügen. Abwechselnde Vergnügen sind Z. E. die Music, die Jagd, da ist Zeit nöthig, bis der alte Eindruck verschwindet. So

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/sind Spiele abwechselnde Vergnügen, die eine größere Bewegung und Motion_\\_Motio des Gemüths machen als Hand Arbeit. Man sehe Z. E. einen unaufgeräumten auf einem Pferde. Er wird durchs Reiten nicht so wie durchs Spiel aufgeräumt. Es giebt √Vergnügungen_\\_Vergnügen⌡ im Vorschmack
⌠Seite 304⌡
und im Nachschmack. √Alles süße hat_\\_Z. E. im Gaumen ist⌡ An- nehmlichkeit im Vorschmack⌠,⌡ aber nicht im Nachschmack. Solche Vergnügen so im Vorschmack und nicht im Nachschmack angenehm sind, deren werden wir bald überdrüßig, aber solche die im Vorschmack bitter├,┤ und im Nachschmack angenehm sind, die werden beybehalten. So √tringt_\\_trinckt⌡ man zuerst Wein mit Zucker, aber hernach den

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/√Sauren_\\_sauren⌡. So hat man ein Vergnügen im Nachschmack durch eine Comoedie die_\\_Commoedie sie⌡ sich gut schließt, man bekommt eine √Jdee_\\_Idee und man sieht zuletzt ein, daß es gut überlegt war⌠,⌡ und denn vergnügt es. So kann ⌠wieder⌡ eine Comoedie_\\_Commoedie in der Action gefallen, aber im Schluß bekommt man nicht das, wornach man schnappte. Es giebt Gesellschaften, die mehr im Nachschmack gefallen als
⌠Seite 305⌡
im Vorschmack, und in solchen hat Geist √geherscht_\\_geherrscht⌡, √den_\\_denn⌡ wir darinn nicht √so gleich_\\_sogleich⌡ wahrnehmen├,┤ aber hernach empfinden. So giebt ein witziger Einfall ein Vergnügen im Nachschmack⌠,⌡ wenn man hinterher einsieht, was in ihm √stekt_\\_steckt⌡. So giebt es Personen

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/die im Nachschmack beßer gefallen, andere aber im Vorschmack. Reisende gefallen alle beßer im Vorschmack. So gefällt auch öfters das Vergnügen der Geschlechter Neigung Z. E. bey einem Bräutigam mehr im Vorschmack, er stellt sich das Vergnügen √großer_\\_größer⌡ vor├,┤ als er es hernach findet. Das Vergnügen im Genuß giebt das Maas der Empfindung zu erkennen. Das Vergnügen im √Vorschmack_\\_Nachschmack⌡ entspringt aus der Reflexion über die Empfindung der vorhergegangenen Z. E. wenn die Comoedie aus ist, so √hat_\\_macht⌡ jeder eine Recapitulation, gefällt sie im Nachschmack so ist das der wahre
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Maasstab des Vergnügens. So ist auch das Vergnügen

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/in der Gesellschaft im Nachschmack das wahre Vergnügen. So sagt der Ruße: den Fremden nimmt man auf nach seinen Kleidern, wenn er aber weggeht, so beurtheilt man ihn nach seiner Aufführung. Der Schluß einer jeden Sache decidirt vom gantzen Urtheil das in uns erregt wird. Der Schluß einer Gesellschaft, einer Comoedie oder einer Rede muß wohl gewiß seyn⌠,⌡ weil er das ist, wornach wir das gantze beurtheilen, und wodurch der Nachschmack erregt wird. So macht der Reim Dichter in Gedancken den letzten Reim zuerst, auf den er hernach den ersten reimt. Solche Verse sind sehr

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/auffallend, indem sich das Wort im zweyten Verse so genau paßt, als wenn es ein großes Glück wäre, daß er sich auf den ersten so genau reimt, da es doch in der Kunst des
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Dichters bestand, der den letzten Vers in Gedancken schon zuerst hatte. So ists auch in der Gesellschaft. Es würde uns übel gefallen, wenn wir zuerst darinn gut aufgenommen würden, und zuletzt der Wirth murrisch würde. So ists auch im Schicksaale, man mag lieber die Wiederwärtigkeiten zuerst aushalten und zuletzt das √beste_\\_Beste⌡, indem solches einen Nachschmack hervorbringt. So ist es auch empfindlicher, wenn ein Kaufmann im späten Alter banqverot wird.

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/Also √kömmts_\\_kommts⌡ darauf an, daß das unterhaltende √zuletzt_\\_Zuletzt⌡ kommt. Es ist daher gut, wenn man zum Vergnügen praeparirt wird, dadurch daß das Beschwerliche vorhergeht, so sind alle Romanen abgefaßt. Jn der Tragoedie ist aber doch der Schmertz zuletzt. Die Begebenheit in der Tragoedie gefällt uns auch nicht. Alle Vergnügungen laufen am Ende
⌠Seite 308⌡
aufs Wohlbefinden heraus, daher haben wir alle Eindrücke nöthig, tragische, comische, melancholische√;_\\_.⌡ Nun kommts darauf an, ob der Mensch solche √Bearbeitung_\\_bearbeitung⌡, solche Beklemmung des Hertzens, solche Bewegung des Gemüths

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/nöthig hat. Jst ihm alles dieses heilsam, so gefällt ihm das Stück. Deßen Cörper aber solcher Bewegungen nicht bedarf, dem misfällt die Tragoedie_\\_Tragoedie⌡, daher iunge Leute gerne tragi- sche und alte Leute gerne komische Stücke sehen, wo sie viel zu lachen haben, welches sehr sonderbar ist, daß das Alter gerne lachen und die Jugend gerne etwas tragisches sehen mag. Man könnte das zur Reflexion_\\_Reflection ziehen, wie es mit dem iugendlichen Leben bewandt ist, daß solches demselben angemeßen √sey«n»_\\_sey⌡. Die Jugend muß alle ihre Organa exerciren und zwar auf allerhand Art, damit sich die Organen auf allerhand Art auswickeln können, dahero

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⌠Seite 309⌡
auch iunge Leute gerne muthwillig sind, welches ein √Natur Trieb_\\_Naturtrieb⌡ ist, dahero die Bewegung des Gemüths bey vergangenen Vorstellungen zu schwach ist, die Jugend aber starcke Bewegungen des Gemüths haben muß, dahero gefällt ihnen das tragische, welche Eindrücke aber auch nicht lange bey iungen Personen haften zwar im √Gedächtnis_\\_Gedachtniß⌡ aber nicht in der Empfindung.
Es giebt Vergnügungen, deren man bey √Verlängerung_\\_Verlängerungen⌡ derselben satt wird Z. E. Taschenspiele, witzige Einfälle. Auf der andern Seite √giebts_\\_giebt⌡ Vergnügen⌠,⌡ deren man nicht satt wird bey Verlängerung derselben⌠,⌡ und nicht überdrüßig durch Wie- derhohlung. √Dahin_\\_Dahero⌡ gehören √geistliche_\\_geistische⌡ Ver- gnügen Z. E. an

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/Wißenschaften.
Jn der √Schatzung_\\_Schätzung⌡ des Resultats des Einflußes und der Wirckung die der Schmertz
⌠Seite 310⌡
und das Vergnügen auf das gesammte √wohlbefinden_\\_Wohlbefinden⌡ hat, gehört nicht allein der Sinn, sondern auch die Vernunft. So steht es einem gesetzten √Mann_\\_Man⌡ √übel_\\_Uebel⌡ an, sich über Kleinigkeiten, die keinen Einfluß in sein gantzes Glück oder Unglück haben, zu vergnügen oder zu betrüben. Man kann zuletzt von der Vernunft abfallen⌠,⌡ und den Werth der Sache nicht nach Proportion des gantzen Wohlbefindens oder Wohlhabens├,┤ sondern an und vor sich selbst schätzen. So wird ein reicher Mann eben so gut wie ein anderer Bedencken tragen├,┤ eine Sache die zum Vergnügen

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/und √annehmlichkeit_\\_Annehmlichkeit⌡ dient├,┤ und Z. E. schon über 10 %Reichsthaler kostet zu kaufen, obgleich die 10 %Reichsthaler in Proportion des Vermögens des Reichen eine geringe Kleinigkeit betragen, so schätzt doch der Reiche diese Verschwendung nicht im
⌠Seite 311⌡
√Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ mit seinem gantzen Vermögen, sondern an und vor sich selbst nach den Bedürfnißen⌠,⌡ √nemlich_\\_nehmlich⌡ daß er für dieses Geld etwas nöthigeres haben könnte. Also ist die richtige Schätzung der Sache in Vergleichung mit dem gantzen Wohlbefinden sehr √rar_\\_war⌡. Darauf beruhen alle Ungereimtheiten so die Menschen begehen, wenn sie die Summe_\\_Summe⌡ und nicht die Vernunft schätzen laßen Z. E. wenn reiche Leute 1000 %Reichsthaler verlohren haben, so

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/grämen sie sich sehr, welches sie doch nicht √thäten_\\_thaten⌡, wenn ⌠sie selbige nicht gehabt hätten, wenn⌡ sie nicht so reich gewesen wären. Sie schätzen also die 1000 %Reichsthaler an sich und nicht nach Proportion ihres gantzen Vermögens.
Wenn der Besitz des Wohlbefindens groß ist, so ist die Verminderung deßelben im kleinen Grad *1 des Wohlbefindens, wenn
am Rand ab Z. 18
~*1 unangenehm als ein kleiner Grad~
⌠Seite 312⌡
man deßen schon gewohnt ist, und die Steigerung meines Wohlbefindens macht einen √größere_\\_großern⌡ Grad des Vergnügens, als wenn man selbiges schon lange in einem größern Grad genoßen hätte. Was der Mensch zum √Etat_\\_Etat seines Wohlbefindens rechnet, das empfindet er nicht mehr so, er rechnet nur

/Seite_334

/das Zunehmen und die Verminderung seines Wohlbefindens Z. E. wenn jemand eine Erbschaft von 10000 %Reichsthaler gethan hat, und er verliert 1000 %Reichsthaler davon├,┤ so ist der Schmertz größer, als wenn er nur die Hälfte von diesem Gelde √nehmlich_\\_nemlich⌡ nur 5000 %Reichsthaler geerbt hätte. Und ein Bedienter ⌠rechnet⌡ sein beständiges Gehalt seinen Etat nicht zur Vermehrung seines Vermögens, sondern nur das Zunehmen, das Steigern durch Accidentien und Geschencke. Demnach muß ein √ieder_\\_jeder⌡
⌠Seite 313⌡
eine solche Einrichtung in seinem Leben treffen, daß er in seinem Leben immer steigen könne, und sich nicht solches Vergnügen und Sachen angewöhnt, deren Abschaffung

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/schmertzlich ist. Es ist gut sich in der Jugend vieles zu versagen, indem man alsdenn immer steigen, und das Wohlbefinden zunehmen kann, denn eine gewiße Abkürtzung ist empfindlicher √«d»als_\\_als⌡ der noch kleinere Grad des Wohlbefindens den man gewohnt ist, dahero sind √geistliche_\\_«g»Geistliche⌡ undanckbar gegen ihre Wohlthäter, denn sie rechnen das schon zum Etat ihres Wohlbefindens, und empfinden das ihnen erzeigte gute nicht, weil sie daßelbe als etwas beständiges ansehen, nur die Steigerung dieses Wohlbefindens rechnen sie. Weil nun in solchem Zustande kein Zuwachs möglich ist, sondern noch die Verminderung dazu kommt, so klagen sie
⌠Seite 314⌡
über das

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/Schicksal├,┤ und fühlen die kleine Verminderung.
Ferner √konnen_\\_können⌡ wir √jemanden_\\_iemanden⌡ bey Empfindung seines Schmertzens eine Diversion machen Z. E. wenn ein √Kaufmann_\\_Kaufman⌡ seinen einzigen Sohn verlohren hat⌠,⌡ welches ihm sehr schmertzlich nachgeht, so kann man ihm sagen, daß dieser Schmertz nicht so groß wär├,┤ als wenn ihm sein Schiff mit seinem gantzen Vermögen in der See √unterginge_\\_untergienge⌡. Wenn er das nun einsieht⌠,⌡ und es kommt die Nachricht, daß sein Schiff gut angekommen⌠,⌡ so verliert er den ersten Schmertz bey der Freude des zweiten Falles. Also kann ein Chagrin durch einen andern vertrieben werden, und ist der zweite

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/vorbey├,┤ so verliert sich auch der erste. Das Gemüth kann also von der Aufmercksamkeit, die es worauf hat,
⌠Seite 315⌡
gestört werden durch ein anderes Object, wodurch es √Aufmersamer_\\_aufmercksamer⌡ gemacht wird.
Kleine Vexationen und Verdrießlichkeiten machen ungeduldiger als große Uebel, und man kann sich eher in einem großen Unglück finden, als in einem kleinen Verdruß. Die Ursache ist: wieder kleine Wiederwärtigkeiten nimmt das Gemüth nicht seine gantze Macht zusammen denselben zu wiederstehen, es entrüstet sich nicht mit allen Kräften⌠,⌡ wieder die kleine Wiederwärtigkeiten, weil es dieselben gering achtet und sie nicht werth hält sich gegen sie zu √sezzen_\\_setzen⌡. Begegnet uns

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/aber ein großes Uebel, so trößtet man sich dagegen mit aller Macht und allen Kräften, und deswegen ist es eher zu ertragen. Es kommt also auf die
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Rüstung des Gemüths an. Wo also der Fall ist, wo die Ertragung des Uebels uns keine Ehre bringt, da rüsten wir uns auch nicht √dawieder_\\_darwieder⌡, dennoch erschütterts uns desto eher├,┤ aber ein großes Unglück zu ertragen macht uns mehr Ehre, es ist auch Werth⌠,⌡ daß man sich dawieder setzt, folglich erschüttert uns daßelbe nicht so sehr.
Wenn Menschen unglücklich werden so beklagen wir sie nicht nach der Dürftigkeit der Natur, nach der sie √nicht_\\_Nicht⌡ unglücklich wären, sondern nach dem Maas

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/wie sie gewohnt waren das Glück zu empfinden. Z. E. ist jemand √von_\\_vom⌡ Hofe verwiesen, und ist auf seinem √Land Gute_\\_Landgute⌡, so schätzt er sich sehr unglücklich, weil er gewohnt war am Hofe zu leben, obgleich ein anderer sich sehr glücklich schätzen
⌠Seite 317⌡
möchte⌠,⌡ wenn er das hätte, was ihm weggeblieben ist. Sehen wir einen solchen Menschen, so beklagen wir ihn, allein er selbst muß nicht darüber klagen. Selbst erworbene Vergnügen sind angenehmer als durch Zufall erlangte, und auf der andern Seite ist das Unglück doppelt unangenehm, wenn wir es uns selbst zugezogen haben, als wenn es sich durch Zufall ereignete Z. E. im Chartenspiel sind die Charten so

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/gut gewesen, daß ich es gewinnen muste⌠,⌡ hier ist das Vergnügen nicht so groß als wenn sie schlechter gewesen √<wären>_\\_wären⌡, ⌠«daß ich es gewinnen muste»⌡ und ich durch √meine_\\_eine⌡ Geschicklichkeit das Spiel gewonnen √hatte_\\_hätte⌡, und auf der an- dern Seite ist es unangenehm, wenn ich das Spiel durch meine Schuld verlohren hätte, als wenn ich es nach √den_\\_denn⌡ Charten
⌠Seite 318⌡
hätte √verlieren_\\_verliehren⌡ müßen. Die Ursache ist, so bald der Erfolg in meiner Geschicklichkeit ist, so sehe ich in mir einen Qvell von mehr guten Folgen. So √ists_\\_ist es⌡ auch im Gegentheil. Jst das Unglück durch meine Ungeschicklichkeit und Unvorsichtigkeit geschehen, so habe ich in mir den Qvell von mehreren solchen Uebeln. So

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/schmertzen auch die Uebel wo man unschuldig ist nicht so sehr als diejenigen├,┤ wo man schuldig ist. Man hört Leute im Unglück klagen und ausrufen: bin ich doch nicht Schuld √darann_\\_daran⌡, sind wir aber Schuld daran, so schmertzet es uns desto mehr, denn alsdenn kommt die SelbstReproche dazu, ist man aber unschuldig├,┤ so fällt diese weg, ist man selbst schuldig so empfindet man Kummer, ist man aber unschuldig, so hat man keinen Kummer, sondern einen Wiederwillen und
⌠Seite 319⌡
Entrüstung gegen andere Personen├,┤ die etwa Schuld daran haben. Vergnügen √oder_\\_«und»oder⌡ Schmertz sind bisweilen √ange- nommen_\\_angenommene⌡ und auch ungereimte. Die √an- genommen_\\_angenommenen⌡

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/sind, in so ferne wir uns andere Personen fingiren, und durch √Ficktion_\\_Fiktion⌡ in die √Perschon_\\_Person⌡ des andern übergehen, das ist das Recht eines theatralischen Genies sich in andere Personen zu versetzen, deren er aber nicht fähig ist, und die auch an ihm nicht haften. Er kann sich eben so gut in die Stelle eines Patrioten als des ärgsten Spitzbuben versetzen. Also müßen solche Personen leer von eigenen und voll von fremden Empfindungen seyn. Voltaire ist darinn Meister, er kann alle mögliche Empfindungen leihen, aber in seiner Person hat er keine Empfindungen. So ist auch Yung leichtsinnig und von schlechtem Charack- 
⌠Seite 320⌡
ter

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/gewesen, er hat zwar eine Schule angelegt, ist aber von seinen eigenen Schülern mit Verachtung begraben worden. Woher konnte er aber so gut lehren? Weil er selbst keine Empfindungen hatte. Der Mensch der keine √eigenen_\\_eigene⌡ Empfindungen hat, und Geist besitzt andere anzunehmen├,┤ kann solches am besten thun. Hat er eigene Empfindung, so hat er keine Ausdrücke und Worte in seiner Gewalt. Ueberhaupt sind Poeten leer von eigenen Empfindungen. Daher war der Ausdruck des Scheflers eines Directoris einer theatralischen Gesellschaft gegen einen √Gelehrten_\\_gelehrten⌡, der ihm gerathen, er möchte doch zu seinen Acteurs solche Personen nehmen, die

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/eigene Empfindung hätten, sehr richtig, wenn er sagte: kein Acteur soll seine eigene √Empfindung_\\_Empfindungen⌡ hab 
⌠Seite 321⌡
ben. Solche geborgte Empfindungen machen nur eine Motion bey einem solchen Menschen, allein an des andern Stelle und unter seinem Nahmen zu empfinden, ist anders als mit ihm zugleich zu empfinden. Das letzte ist Sympathie, sie beruht nicht auf uns├,┤ sondern ist unwillkührlich und auch den Thieren eigen Z. E. wenn ein Schwein geschlachtet wird, so schreien die andern, aber bey dem Menschen ist sie noch im √höheren_\\_höhern⌡ Grad. So zittert der Mensch, wenn er einen andern im Waßer untergehen sieht,

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/oder auf dem Eise einbrechen. Das ist kein Spiel der ├Empfindung wie die abgeborgten, sondern es ist eine wahre┤ Empfindung, die zwar idealisch ist, denn wir treten in seine Stelle und empfinden mit ihm. Es kann ein Gegenstand unangenehm seyn, aber der Schmertz darüber kann doch gefallen, denn nennt man ihn
⌠Seite 322⌡
einen süßen Schmertz √Z. E._\\_«dahero»Z. E.⌡ wer seine Geliebte verlohren hat, der überläßt sich gerne diesem Gram⌠,⌡ er findet √Süssigkeit_\\_Süßigkeit⌡ mitten in diesem Schmertz, und liebt ihn. Es ist zwar Wiederspruch am Schmertz ein Vergnügen zu haben, denn es ist ein Schmertz der Billigung, der ist edel, er ist aber auch nicht rathsam. √Ueberläst_\\_Ueberläßt⌡ sich der Mensch diesem Schmertz ohne

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/Zurückhaltung├,┤ so ist es auch nicht gut.
Auf der andern Seite kann wieder der Gegenstand angenehm seyn und das Vergnügen √darüber_\\_daruber⌡ √tadelhaft_\\_Tadelhaft⌡ und bitter Z. E. eine reiche Erbschaft von Eltern oder Freunden. Die Erbschaft ist immer ein angenehmer Gegenstand├,┤ aber das Ver- gnügen darüber ist √Tadelhaft_\\_tadelhaft⌡. Dieses ist die bittere Lust, wohin auch gehört, wenn der Adjunctus auf den Tod seines Seniors wartet. Wir haben aber auch
⌠Seite 323⌡
reine Vergnügen, wo wir uns nichts vorzuwerfen haben.
Es giebt einen Schmertz über Gegenstände, wo der Schmertz selbst misfällt Z. E. einer verlohrnen Erbschaft, da √verheelt_\\_ver«¿¿lt»<eelt>⌡ man den Schmertz, weil

/Seite_347

/er nicht √gebilligt_\\_gebilliget⌡ werden kann. Der Schmertz, der bis zur Traurigkeit ausschlägt├,┤ misfällt jederzeit. Das erste ist natürlich aber nicht das zweyte. Natürlich ist es sich über den Tod⌠,⌡ nicht aber über die verlohrne Erbschaft zu betrüben, weil wir den Schmertz billigen.
Einige Vergnügen nennt man vernünftige nicht wegen des Gebrauchs der Vernunft, sondern es können auch Vergnügen der Sinne seyn. Da √gefallt_\\_gefällt⌡ nicht der Gegenstand, sondern das Vergnügen über den Gegenstand √gefält_\\_gefällt⌡ der Vernunft⌠,⌡ Z. E. Reisen um die Welt, den Sinnen
⌠Seite 324⌡
aber gefällt nur das, was angenehm ist, das unangenehme misfällt ihnen.
Das dritte Vermögen der Seele ist

/Seite_348

/das Begehrungs Vermögen. Das Wohlgefallen an der Weichlichkeit des Gegenstandes ist die Begierde. Genau kann man die √Begier- den_\\_Begirden⌡ nicht erklären, doch in so weit es zur Antropologie gehört, so ist das im denckenden Wesen, was in der √corperlichen_\\_Cörperlichen⌡ Welt die bewegende Kraft ist. Es ist die thätige Kraft der Selbstbestimmung der Handlungen des denckenden Wesens. Dieses ist etwas subtil.
Wir können einen Wohlgefallen an Gegenständen haben, obgleich uns die Würcklichkeit des Gegenstandes √gleichgültig_\\_gleich gültig⌡ ist Z. E. wenn wir reisen⌠,⌡ und wir sehen ein Haus an der Landstraße⌠,⌡ so kann uns dieses gefallen, obgleich es
⌠Seite 325⌡
uns auch gleich viel

/Seite_349

/ist, daß es da ist├,┤ nun es aber schon einmahl da ist, so gefällt es uns. Das Object gefällt uns, aber das Daseyn kann uns gleichgültig seyn. Demnach ist die Beurtheilung des Gegenstandes unterschieden von der Würcklichkeit des Objects des Daseyns. Alle Begierden sind auf thätigkeit gerichtet, denn lebendige Wesen thun etwas nach dem BegehrungsVermögen, und leblose ⌠Wesen⌡ thun etwas so, als wenn sie durch fremde Kraft getrieben werden. Die Beziehung der Begierden ist die √Thätigkeit_\\_«t»Thatigkeit⌡ zu bestimmen.
Die Begierden können zwiefach seyn müßige und treibende Begierden. Müßige sind, die kein √Verhältnis_\\_Verhaltniß⌡ auf unsere Thätigkeit haben, die

/Seite_350

/keine Beziehung haben unsere Thätigkeit zu bestimmen, sondern die nur auf eine Jdee
⌠Seite 326⌡
gerichtet sind. Treibende Begierden sind der Grund der Bestimmung⌠,⌡ der Thätigkeit den Gegenstand würcklich zu machen⌠,⌡ und zu verschaffen.
Haben die müßigen Begierden den größten Grad, so sind es Leidenschaften. Ein großer Grad der müßigen Begierden ist Sehnsucht, ein mittlerer Grad derselben ist Wunsch. Treibende Begierden leisten in uns eine Bestimmung, so wie der Stoß bey leblosen Dingen, aber aus den müßigen wird nichts. Eine Begierde ist nicht müßig, wenn sie vorläufig ist, ├wenn
/Seite 351
/sie ein Grund ist,┤ so uns zur Thätigkeit bestimmt. Aber es giebt welche, die dazu gar nicht dienen, sondern nur das Gemüth bewegen, woraus gar nichts wird.
Je mehr Qvellen der Thätigkeit ein Mensch in sich empfindet, desto mehr sind
⌠Seite 327⌡
seine Begierden treibend Z. E. √Cholerische_\\_cholerische⌡ Menschen fühlen in sich einen Qvell der Thätigkeit, daher ihre Begierden treibend sind. Dagegen ist bey phlegmatischen Personen ein großer Hang zu müßigen Begierden. Die Romanen machen bey uns müßige Begierden rege, und √treiben_\\_bringen⌡ uns zur Fertigkeit selbst müßige Begierden zu hegen. Sie machen uns leer, und die leere

/Seite_352

/Bemühung erschöpft den Menschen⌠,⌡ und √benimmt_\\_bestimmt⌡ ihm die Wackerheit, sie machen ihn welck und stumpf. Solche Begierden aber, die nicht in leeren Wünschen ⌠bestehen⌡, sondern eine Be- ziehung auf unsere Thätigkeit haben├,┤ machen eine wackere Denckungs Art beym Mann und eine rüstige Frau, die aber durch die Romane schmachtend wird⌠.⌡ Z. E. es hat sich eine Person aus
⌠Seite 328⌡
dem Roman das Jdeal eines Liebhabers formirt, so sucht sie das Ideal zu erreichen und nicht darauf zu sehen, wie sie als eine rüstige Frau ihrem Hauswesen vorstehen könnte.
Nota_\\_Nota Ob das Zufriedenseyn alsdenn kann gebraucht werden, wenn jemand

/Seite_353

/nichts begehrt? Ein solcher Zustand ist ein Zustand des Ueberdrußes. Wer unendlich viel begehrt, kann doch zufrieden seyn, bin ich aber bewust, daß ich nichts zur √Bedürfnis_\\_Bedürfniß⌡ begehre, so bin ich zufrieden. Nicht alles was wir begehren⌠,⌡ ziehen wir zur Bedürfnis Z. E. man begehrt Music zu hören, gehts aber nicht an, so vergießt man es. Der Genuß des Gemüths, nach welchem die √Bedürfnis_\\_Bedürfniß⌡ ein Minimum ist, nach welchem man die Bedürfniße durch die geringst möglichste
⌠Seite 329⌡
Bedingung erhalten kann, daß ist der glücklichste Zustand der √Genügsamkeit_\\_Genugsamkeit⌡, worauf sich die Zufriedenheit gründet. Die Zufriedenheit kann zwiefach seyn. Man ist entweder

/Seite_354

/zufrieden, wenn man das besitzt, was man begehrt, oder wenn man das entbehrt, was man zur Bedürfnis rechnet. Die erstere ist die natürliche und heißt die Genügsamkeit, die andere ist die erworbene Zufriedenheit.

Von der Veränderlichkeit der Begierden├.┤

Die Begierden sind im Wiederstreit, wenn eine gegen die √andere_\\_andre⌡ würckt. Wenn √beider_\\_beyder⌡ Wiederstreit gleich ist, so ist ein Gleichgewicht, wird aber auf einer Seite das Gleichgewicht erhoben⌠,⌡ so ist ein Uebergewicht. Der √«T»thätige_\\_Thätige⌡ Zu- 
⌠Seite 330⌡
stand, wo der Wiederstreit der Begierden im Gleichgewicht steht, ist die Unentschloßenheit.

/Seite_355

/Die Begierden √können_\\_konnen⌡ eingetheilt werden ⌠in⌡ sinnliche und in Verstandes Begierden. Die sinnlichen Begierden sind Begierden der Empfindungen des Eindrucks. Die Verstandes Begierden sind Begierden der Wirckungen der Ueberlegung, und dieses sind Begierden, die auf Begierden überhaupt gehen. Sie gehen darauf, daß sie im gantzen √den_\\_die⌡ Begierden eine Uebereinstimmung in uns machen, sie gehen auf √nicht,_\\_nichts⌡ als auf den Zustand der Ueberlegung, auf die Harmonie aller unserer ├Begierden überhaupt. Die vernünftigen┤ Begierden √können_\\_konnen⌡ ein Wunsch nach Begierden seyn, sie kommen also nicht aus dem Eindruck der Gegen
⌠Seite 331⌡
stände, sondern sind ein Wunsch nach

/Seite_356

/solchen Begierden Z. E. es ist kein Mensch da├,┤ der wenn er ein √Bösewicht_\\_Besewicht⌡ ist, nicht wünschen √sollte_\\_solte⌡ auf einmahl gut zu werden, wenn es ihm nur keine Mühe verursachte. Dieser Wunsch ist eine vernünftige Begierde, er wünscht sich solche Neigungen, solche Begierden, wie andre zu haben. Hier ist kein Gegenstand, der ihn lockt, ia der Gegenstand der sinnlichen Begierden ist ihm angenehmer. Ein gutartiger Mensch sucht die Begierden der Eindrücke in sich zu unterdrücken├,┤ er richtet seine Begierden darauf, was das gantze Begehrungs Vermögen überhaupt mit sich selbst kann übereinstimmend machen Z. E. es gefällt ihm der Schlaaf,

/Seite_357

/er zwingt sich aber und unterdrückt die √sinnlichen_\\_sinnliche⌡ Begierden
⌠Seite 332⌡
und das sind √vernünftige_\\_vernunftige⌡ Begierden├,┤ und beziehen sich besonders aufs moralsche_\\_moralische⌡. Diese vernünftige Begierde Z. E. von einem √Bösewicht_\\_Bosewicht⌡ ein gutartiger Mensch zu werden, scheint auf jedes seinen Willen anzukommen, daher man iedem, der es wünscht zu sagen pflegt, du darfst √ja_\\_ia⌡ nur wollen, es ist aber schlimm so einen Willen zu haben.
Wenn wir den Verstand zu nichts gebrauchen als die Befriedigung sinnlicher Begierden ausfindig zu machen, so ist das noch keine vernünftige Begierde, sondern wenn die Vernunft den Zweck der Begierde √festsetzt_\\_fest setzt⌡, so ist es eine vernünftige Begierde, der

/Seite_358

/Nahme wird also nicht von den Mitteln sondern von dem Zweck hergenommen. Ueberhaupt ist die vernünftige Be- 
⌠Seite 333⌡
gierde √diejenige_\\_dieienige⌡, was wir begehren sollen⌠,⌡ und nicht was wir begehren.
Die √sinnlichen_\\_sinnliche⌡ Begierden sind dreyfach menschliche die etwas zum Gegenstande haben was die Sinne rührt, worinn aber der Verstand herrscht Z. E. Music die andere heißen thierische wo der Verstand nicht herrscht Z. E.┤ Hunger, und einige heißen viehische, wo die Thierheit im Menschen der Vernunft wie- derstreitet, wo die Menschheit √verlezzet_\\_verletzet⌡ wird⌠.⌡ Z. E. Fräßigkeit, Unersätlichkeit in allen Begierden, welche in einem gemäßigten Grade animalisch_\\_animalisch⌡ wären,

/Seite_359

/aber im unersätlichen √vieh«¿»isch_\\_viehisch⌡. Sie wiederstreiten der Animalitaet und heißen Brutalitaet.
Hang und Neigung ist zu unterscheiden. Hang ist der innere Grund möglicher Begierden Z. E. alle wilden Nationen haben Hang zum Saufen,
⌠Seite 334⌡
aber keine Neigung, weil sie es noch niemals gekostet haben, aber man gebe ihnen nur was, so haben sie Hang dazu. Künftige Begierden sind schon vorbereitet durch einen natürlichen Hang des Menschen Z. E. der Hang bey Kindern zur Geschlechts Liebe.
Anlage ist die Vorherbestimmung des Talents der Menschen, so wie die Vorherbestimmung künftiger Begierden

/Seite_360

/Hang heißt. √So«h»lches_\\_Solches⌡ ist sehr künstlich bey Kindern wahrzunehmen. Der Hang kann zum bösen seyn, aus dem doch keine böse Neigung hervorkommen √darff_\\_darf⌡, wenn √nemlich_\\_nehmlich⌡ der Hang erstickt wird. Wir haben alle einen Hang zum bösen aber keine Neigung. Viele verkennen den Hang. Bey der Neigung muß man den Gegenstand kennen⌠,⌡ aber nicht
⌠Seite 335⌡
beym Hange. Der Hang ist angebohren, die Neigung durch Kenntniße erworben. √Mann_\\_Man⌡ kann sich aber auch einen Hang √erworben_\\_erwerben.⌡ Z. E. zur Jagd, √welcher_\\_welche⌡ √«@¿nur¿@»durch_\\_durch⌡ die Gewohnheit zur Nothwendigkeit wird Z. E. alle Menschen haben Hang zu Faulheit, so nur bey vielen durch ihre √Bedürffniße_\\_Bedürfniße⌡ unterdrückt wird. Der Wilde ist faul,

/Seite_361

/weil er keine Bedürfniße hat. Die Ruhe ist der √Geschichts Punct_\\_Gesichts Punckt⌡ aller Menschen, ieder denckt erst was zu lernen, hernach ein Amt zu bekleiden, denn ein Weib zu nehmen├,┤ und ruhig zu sterben, und diese Faulheit Ruhe zu genießen macht ihn fleißig. Der Vorschmack der künftigen Ruhe, der mit √Ergotzlichkeiten_\\_Ergötzlichkeiten⌡ verbunden ist, ist das was alle Menschen suchen. Also
⌠Seite 336⌡
haben alle Menschen einen Hang zur Faulheit, der nur durch andere Umstände unterdrückt wird. So hat das Alter einen Hang zum Geitz. So haben viele Staaten einen Hang zur Barbarey, wenn sie nur nicht so nahe an einander wären, denn die Naheit befördert die Cultur.
Wir können eine Neigung

/Seite_362

/vermehren. Das Vermehren geschicht entweder durch Vergrößerung, oder durch √Vervielfaltigung_\\_Vervielfältigung⌡. Die Vervielfäl- tigung ist die Verfeinerung der Neigung. Der Zustand der verfeinerten Neigung ist Luxus, der Zustand der vergrößerten Neigung ist luxuries, wenn √nemlich_\\_nehmlich⌡ die Neigung auf den Grad des √Maaßes_\\_Maases⌡ nicht auf die Qvalitaet, son
⌠Seite 337⌡
dern auf die Neigung geht, die luxuries ist viehischer, der Luxus aber schon dem verfeinerten Geschmack näher. Luxuries ist nicht die Ueppigkeit, sondern die Menge. Der Gierige hat nicht viel genung├ und dem andern ist es nicht gut genung┤. Die Luxuries ist also der Brutalitaet näher, der Luxus_\\_luxus ⌠aber⌡ macht

/Seite_363

/den Menschen weichlich. So sagt ein Autor; alles was den Menschen weich macht, gehört zum Luxus Z. E. in Kutschen fahren, reiten √gehört_\\_gehort⌡ aber nicht zum Luxus.

Vom Gegenstande der Neigung.

Wir können uns zwey Gegenstände der Neigung, die gantz general sind, dencken, wo die Neigungen kein Object haben⌠,⌡ sondern auf Mittel gehen die Neigungen zu befriedigen√, das_\\_. Das⌡ ist Freiheit und Vermögen. Bin ich frey, so be-
⌠am Rand ab Z. 17
~Freiheit ist ein negatives Vermögen.~⌡
⌠Seite 338⌡
komme ich dadurch nichts. Man kann immer frey, und doch dürftig seyn√, die_\\_. Die⌡ √Freyheit_\\_Freiheit⌡ ist aber eine negative Bedingung aller Befriedigung unserer Neigung. Wer nicht frey ist, kann nicht so

/Seite_364

/leben⌠,⌡ wie er will, ist er aber frey, so kann er nach seinem Sinn leben, wenn er nehmlich ein anderes Vermögen voraus setzt. Die Freiheit wird also √hoch geschätzt_\\_hochgeschätzt⌡, weil sie die einzige Bedingung ist seine Neigung befriedigen zu können├.┤ Z. E. es übernimmt iemand für des andern Glück zu sorgen, aber so⌠,⌡ daß er gäntzlich seine Freiheit √verliert_\\_verliehrt⌡, und es bloß auf seinen Willen beruhen √so«¿¿»lle_\\_solle⌡, so wird das einen √jeden_\\_ieden⌡ beunruhigen und im Kopf herumgehen, von Morgen an sich völlig dem Willen
⌠Seite 339⌡
eines andern in Besorgung seines Glück zu unterlegen, denn er kann mich als denn nicht nach meiner Neigung glücklich machen. Die Freiheit ist also ein allgemeiner

/Seite_365

/Gegenstand die gesammte Neigung zu befriedigen. Dieses ist das erste √Gut_\\_gut⌡ was sich die Menschen wünschen, und sie können sich derselben doch nicht bedienen, sondern sie muß eingeschränckt werden. Doch vom Misbrauch der √Freiheit_\\_Freyheit⌡ Z. E. eines vorigen √Sklawen_\\_Sclawen⌡ muß man nicht immer schließen, daß er dieselbe misbrauchen werde, und ihm deswegen gar keine Freiheit geben. Er wird schon lehren sich derselben gut zu bedienen, und wenn er auch Anfangs durch ihren √Misbrauch_\\_Mißbrauch⌡ etwas unglücklich ist; so ist dieses Unglück
⌠Seite 340⌡
aus seiner Schuld für ihn nicht zu groß. Durch die Freiheit ist auch alles gute möglich, denn wer nicht frey ist, dem kann wohl nichts

/Seite_366

/imputirt werden. Der Mangel der √Freyheit_\\_Freiheit⌡ wird nicht so empfunden als der Verlust, denn wer sie verlohren hat, der hat sie schon geschmeckt√._\\_,⌡ Wer sie aber niemals gehabt hat, der empfindet nicht ihren Mangel, weil sie nichts positives ist. Der Verlust ist die Hemmung aller Kräfte. Je thätiger ein Subject ist├,┤ desto mehr empfindet es den Verlust der Freyheit⌠,⌡ ie träger man aber ist, desto weniger empfindet man es. Beym thätigen Subject ist also die Freyheit eine √Haupt Bedingung_\\_Hauptbedingung⌡. Jm gesitteten Zustande ist man im gesellschaftlichen und bürgerlichen Zwange. Hiezu müßen die Kinder in der Erziehung angewöhnt werden d. h. man

/Seite_367

/muß sie discipliniren. Man muß sie aber nicht angewöhnen alle Freyheit abzulegen, denn als denn wer- 
⌠Seite 341⌡
den sie den Verlust nicht gewahr, müßen durch andere determinirt werden, und sind alsdenn eines fremden Zwanges nicht allein fähig, sondern auch bedürftig, √dahero_\\_daher⌡ muß ein Kind Freyheit genießen⌠,⌡ doch so├,┤ daß es ein Gesetz erkenne, welchem √gemäß_\\_gemäs⌡ es handele, und doch dencke aus Freiheit zu √handeln_\\_handlen⌡.
Der zweite allgemeine Gegenstand alle gesammte Neigung zu befriedigen, ist Vermögen, wodurch wir hier nicht bloß Geld verstehen, sondern einen positiven Grund uns die √Würcklichkeit_\\_Wircklichkeit⌡ des Gegenstandes zu verschaffen.

/Seite_368

/Die 3 Arten vom √Vermögen_\\_Vermogen⌡ können wir am besten durch √Star- cke_\\_Stärcke⌡, Mittel und √Ansehen_\\_Ansehn⌡ ausdrücken, mit denen Gesundheit, Ehre und Reichthum parallel gesetzt wird. Zur Stärcke √gehört_\\_gehöret⌡ Stärcke des Cörpers⌠,⌡ des Verstandes⌠,⌡ des Muths der Entschloßenheit. Also Gesundheit Ehre und Reichthum sind die √3_\\_drey⌡ Arten des Vermö- 
⌠Seite 342⌡
gens. Gesundheit ist der Besitz aller Lebens Kräfte auch der Stärcke und Macht die das complette Leben begleitet, das ist die complette Gesundheit und eine Gattung vom Vermögen, wodurch sie angenehm wird├.┤ Reichthum nennt man √Vorzugsweise_\\_vorzugsweise⌡ ein Vermögen, weil es den Gebrauch hat von der Erwerbung desjenigen, was

/Seite_369

/unsere Neigung befriedigen kann. Alles was der √menschliche_\\_meinschliche⌡ Fleiß├,┤ hervorbringt, kann man vor Geld haben. Viele ziehen den Reichthum der Gesundheit vor, weil sie auch durch Geld Gesundheit zu erlangen glauben, wenn sie nehmlich geschickte √Aertzte_\\_Aerzte⌡ halten. Aber ich halte dafür, daß √eine_\\_meine⌡ complette Gesundheit des √Cörpers_\\_Corpers⌡ und der Seele das √größte_\\_großte⌡ Glück sey, denn alsdenn kann man sich alles erwerben, und denn braucht man auch nicht viel, denn etwas zu begehren⌠,⌡ ist schon eine Kranck- 
⌠Seite 343⌡
heit der Seele.
Der Engelländer setzt zuerst die √Freyheit_\\_Freiheit⌡, denn Ehre⌠,⌡ Gesundheit und Reichthum, also die Ehre vor der Gesundheit. Der Holländer setzt Reichthum vorher, weil

/Seite_370

/er ein Kaufman ist.

/Ansehen und Mittel oder Ehre und Reichthum sind Vermögen, so in der Gesellschaft anderer Menschen bestimmt werden, um eine Neigung zu befriedigen, daher diese beyde Vermögen größere Neigungen nach sich ziehen, als das Vermögen der Stärcke und der Gesundheit, weil Ehre und Reichthum in der Gesellschaft bestimmt werden, die √Stärcke_\\_Starcke⌡ aber nur ├auf┤ uns selbst geht, die Gesellschaft aber eine große Neigung macht √als_\\_alle⌡ unsere Triebe rege zu machen.
Das Ansehen oder die Ehre ist entweder die Ehre der Hochschätzung oder die Ehre der Macht. Durch das Ansehen der Hochschätzung können wir

/Seite_371

/viel ausrichten├,┤ was
⌠Seite 344⌡
√unsere_\\_unsre⌡ Neigung befriedigt, aber durch das Ansehen der Macht├,┤ können wir andere nöthigen unsern Willen zu befriedigen. Die Menschen mögen lieber ein gebietendes als ein einnehmendes Ansehen haben. Man kann sich ein Ansehen und einen Vorzug anmaaßen und usurpiren, daß andere nicht einmahl wißen, wie man dazu ge- kommen ist. So kann man in einer Gesellschaft eine Praetension auf sich machen und nur darauf bestehen├,┤ so erlangt man sie auch. √Mann_\\_Man⌡ darf nur einen herrschenden Ton annehmen⌠,⌡ so erwirbt man sich bald einen Vorzug, ⌠und⌡ ist er schon √einmahl_\\_einmal⌡ √darinn_\\_drinn⌡, so √ists_\\_ist es⌡ schlimm ihm solchen zu nehmen, denn geben ihm viele den

/Seite_372

/Vorzug ohne zu wißen warum, und denn untersteht sich keiner ihm selbigen zu benehmen, weil er sehr viele für sich hat Z. E. Gellert. Zuerst haben wir die Neigung vom
⌠Seite 345⌡
Hange durch die Möglichkeit und Wircklichkeit unterschieden, jetzt wollen wir Neigung vom Instinct unterscheiden. Beydes sind würckliche Begierden. Denn Instinct ist eine Begierde nach einem Gegenstande, denn man nicht kennt, Neigung aber ist ein bestimmtes Principium zu begehren einen Gegenstand so ferne er mir schon bekannt ist. √D«er»ie_\\_Die⌡ Instincte sind also Principien der Begierden├,┤ die auf einen unbestimmten Gegenstand gerichtet sind, sie lernen uns den Gegenstand

/Seite_373

/kennen. Wir können √2_\\_zwey⌡ Grund Instincte der menschlichen Natur annehmen, so die mächtigsten sind, den Instinct zur Nahrung und zur Erhaltung seiner eigenen Person, und den Instinct zur Begleitung oder zur Erhaltung seiner ⌠<ihrer>⌡ Art. Man weiß, daß Kinder⌠,⌡ die kaum gebohren sind, Instinct zur Nahrung zeigen, ohne daß sie wißen was ihnen fehlt⌠,⌡ und gleich
⌠Seite 346⌡
die Kunst des physischen √Gesetzzes_\\_Gesetzes⌡ die Brust zu saugen, ausüben√;_\\_,⌡ hätten sie den Instinct nicht, sondern man √müste_\\_müßte⌡ sie erst dazu √angewohnen_\\_angewöhnen⌡, so würden viele umkommen. Wir haben aber eben einen solchen Instinct zur Erhaltung der Art√, das_\\_. Das⌡ ist der Instinct zum Geschlecht. Dieser Instinct ist also auf Personen und

/Seite_374

/nicht auf Sachen gerichtet, und ist das principium_\\_Principium der Erhaltung der √menschlichen_\\_Menschlichen⌡ Natur, so wie der erste Instinct ein principium_\\_Principium der Erhaltung eines ieden Menschen ist. Daß der Instinct zum Geschlecht ein natürlicher Instinct sey, sehen wir daraus, weil Personen bey denen die Pubertaet kommt, und wenn sie auch im Kloster wären, doch von dem Instinct beunruhiget werden, und die Bedürfnis vom Gegenstande √fühlen_\\_fiehlen⌡, √den_\\_denn⌡ sie noch nicht kennen. Diese können wir die
⌠Seite 347⌡
√ursprünglichen_\\_urspringliche⌡ Instincte nennen, die auch die √stärcksten_\\_starcksten⌡ sind.
Die Liebe zum Leben und zur Glückseeligkeit ist keine besondere

/Seite_375

/Neigung├,┤ sondern die generale Bedingung der Befriedigung aller Neigungen.
Es giebt ⌠aber⌡ Triebe die von diesen ursprünglichen Grundtrieben abgeleitet sind Z. E. der Trieb zu seiner Sicherheit, der ist abgeleitet von dem Instinct der Selbsterhaltung, der auch den Thieren eigen ist. So sieht sich Z. E. ein Vogel immer herum, wenn er frißt. Ferner ist die Liebe der Eltern zur Erhaltung der Kinder ein Trieb, der von dem Instinct seine Art zu erhalten, abgeleitet ist. Dieser Trieb äußert sich bey den Thieren noch in einem stärckeren Grad, indem sie ihre Jungen keinem anvertrauen, sondern √sie_\\_sich⌡ bis aufs äußerste zu

/Seite_376

/vertheidigen
⌠Seite 348⌡
suchen, und sie mit der größten eigenen Gefahr beschützen. Daher ist es Barbarey den Thieren ihre Jungen zu rauben, die eine große Zuneigung zu ihnen haben. Bey Menschen aber können die natürlichen Triebe unterdrückt, und durch die √Vernünft_\\_Vernunft⌡ andere in die Stelle erfunden werden Z. E. eine Pariser Frau würde gerne das √Gebähren_\\_Gebahren⌡ überhoben seyn, und eine andere Frau für Geld für sich gebähren laßen, wenn es √angienge_\\_anginge⌡, wie denn auch in Paris auf 8000 Kinder außer der Stadt zur Erziehung gegeben werden. √Wilde_\\_Wielde⌡ die gar zu thierisch sind, und wieder andere die gar zu zärtlich sind,

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/legen solche Triebe ab. So hat ein √wildes_\\_Wildes⌡ Weib den √reisenden_\\_Reisenden⌡ ihr Kind angeboten. Und Menschen die sich in chimaerische Neigungen vertieft haben, verlieren die natürlichen. Wenn wir von der natürlichen Neigung
⌠Seite 349⌡
die sich in unserer Natur gründet, reden, so sehen wir, daß diese Neigung eine Privat Neigung und eine gesellschaftliche Neigung seyn kann. Die √Privat_\\_Privat Neigung ist die├,┤ so fern sie in uns allein die Gesellschafts Neigung aber ist├,┤ so fern sie nur in der Gesellschaft befriediget werden kann. Das allgemeine der Privat Neigung ist Gemächlichkeit und ├Ueberfluß.┤ Ueberfluß ist die Hinlänglichkeit des Besitzes. Einige Personen thun Verzicht auf Ueberfluß⌠,⌡ wenn sie nur Gemächlichkeit haben, die erstere ist eine Neigung der √faulen_\\_Faulen⌡.

/Seite_378

/Andere Neigungen sind nur die allein in der Gesellschaft be- friedigt werden können. Diese gesellschaftliche Neigungen sind entweder theilnehmende beßernde⌠,⌡ √verknupfende_\\_verknüpfende⌡ oder selbstische, selbstliebende Neigungen. Die verknüpfende Neigungen sind auf die Gesellschaft gerichtet. Die Menschen haben eine Neigung
⌠Seite 350⌡
in Gesellschaft zu seyn, dahero sie Familien machen, und gerne im Umgange stehen, woraus hernach größere Gesellschaften entstehen, und worauf wir die Volcks Neigung gründen können. Nun giebts aber gesellschaftliche Neigungen, die auf uns selbst gehen. Von der Art ist die Herrschbegierde, die Ehrbegierde und alle Eitelkeiten.

/Seite_379

/Dieses sind Neigungen die auf uns gehen, aber in der Gesellschaft √befriedigt_\\_befriediget⌡ werden können. Denn die Begierde nach Macht und Ehre dient nicht dazu die Gesellschaft zu verknüpfen, sondern andere in Ansehung seiner ⌠in⌡ √gewißer_\\_gewißen⌡ Distanz zu halten. Also sind nicht alle gesellschaftliche Neigungen auch gesellige Neigungen. Die ungeselligen Neigungen in der Gesellschaft sind.
1. Selbstvertheidigung und
2. Er 
⌠Seite 351⌡
weiterung seiner selbst. Die erste Neigung ist nur negativ_\\_Negativ,⌡ die andere Positiv. Wir haben viele Triebe uns selbst zu vertheidigen und gegen andere zur Gegenwehr zu setzen, so wie wir vorher einen Trieb hatten uns selbst

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/zu erhalten. Dieser Trieb ist sehr ungesellig und verbindet sich mit Furcht vor andern├,┤ und Mistrauen gegen andere. Allein die Erweiterung seiner Person oder seines Einflußes in √der_\\_die⌡ Gesellschaft ist auch ungesellig. Jeder sucht den Creis um sich zu erweitern, √jeder_\\_ieder⌡ will gerne mehr Bewunderer haben, er will das mehreste gelten, und in der Gesellschaft den Ton angeben, dem Verstande anderer gebieten. Solche Anmaßungen sehen wir täglich in der Gesellschaft, die aber offenbar ungesellig und auch nur in der Gesell- 
⌠Seite 352⌡
schaft √moglich_\\_möglich⌡ sind. Der Grund der √ungesell- ligen_\\_ungeselligen⌡ Neigung in der

/Seite_381

/Gesellschaft liegt im Mistrauen und Eifersucht. Das erste bezieht sich auf die Neigung sich selbst zu erhalten und zu vertheidigen⌠,⌡ wo man voraus setzt, daß sich √jeder_\\_ieder⌡ andere erweitern will, dahero wir in sie ein Mistrauen setzen, indem wir dabey zu Kurtz kommen möchten. Bey der Eifersucht besorgen wir, daß durch die Erweiterung anderer uns ein Abbruch geschehen möchte. Jm ersten Fall sind wir darum besorgt was wir schon haben├,┤ zu vertheidigen im letzen Fall aber sind wir besorgt das zu erlangen, was wir noch nicht haben. Es ist also im Menschen ein Principium der Gesellschaft ⌠und der Geselligkeit⌡, auf der andern Seite aber auch ein principium_\\_Principium der Ungeselligkeit und

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Foto fehlt!!

/Seite_383

/Trennung der Ge- 
sell
⌠Seite 353⌡
sellschaft. Hierinn collidiren beyde Principia_\\_principia mit einander⌠,⌡ welches aber vom Schöpfer weislich eingerichtet ist. Erstlich ha- ben die Menschen einen Trieb in Gesellschaft zu treten, damit aber die Gesellschaft nicht immer auf einen Haufen √bliebebleibe⌡, so haben die Menschen wiederum ein anderes Principium der Ungeselligkeit wel- ches sie trennt, daher kommts⌠,⌡ daß die gantze Erde √bevölckert_\\_bevolckert⌡ wird. Wenn also an einem Orte die Gesellschaft groß ist, so trennen sich die Leute⌠,⌡ und gehen an einen andern Ort Z. E. nach America, wenn es da auch überhand nehmen wird, so werden sie sich wieder trennen und neue Länder bewohnen. Zuletzt

/Seite_383
muß die gantze Erde bewohnt werden. Wenn viele Staaten zusammen sind, so vereinigen sie sich⌠,⌡ und einer verschlingt den andern. So bald der eine
⌠Seite 354⌡
aber sehr groß geworden ist, so spaltet er sich, und die Glieder suchen sich zu trennen. Dieses ist die besondere Verbindung und Trennung des Schöpfers, woraus das manigfaltige entsteht, und woraus hernach die völlige Vollkommenheit des menschlichen Geschlechts herkommen muß. Denn √wird_\\_wir⌡ eine Methode der Regierung entstehen, die auch beständig bleiben wird.

/Auf der andern Seite ist bey dem Menschen eine sympathetische Theilnehmung der Schicksaale und der Wohlfahrt,

/Seite_384

/wo die Menschen nicht eigensüchtig sind. Diese Triebe nennt man die Menschlichkeit├,┤ Humanitaet; √«e»Es_\\_Es⌡ gehört nicht zum Principio der Geselligkeit in der gesellschaftlichen Ordnung. Wir unterscheiden die Neigungen durch Wörter unserer Sprache, welche entweder die ausgebrei- 
⌠Seite 355⌡
tete oder die innere Größe der Neigung bedeuten. Jm ersten Fall √drücken_\\_drucken⌡ wir es durch Sucht Z. E. Ehrsucht, Geldsucht⌠,⌡ im √zweiten_\\_Zweiten⌡ Fall durch Geitz ⌠Z. E. Ehrgeitz, Geldgeitz⌡ aus. Also Sucht und Geitz betreffen die √Große_\\_Größe⌡. Ein Ehrsüchtiger und Geldsüchtiger kann niemals genung haben. Ein Ehrgeitziger und Geldgeitziger ist⌠,⌡ wenn er von dem, was

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/er hat, nicht das mindeste müßen will. So wird ein √ehrgei- tziger_\\_Ehrgeitziger⌡ beleidigt√,_\\_.⌡ in so ferne ihm die geringste Kleinigkeit von seiner Ehre abgeht. Ein √ehrsüchtiger_\\_Ehrsüchtiger⌡ aber übersieht die Kleinigkeiten├,┤ und ist damit nicht befriedigt, denn er ist nach vielem begierig.
√Im_\\_Jn⌡ Ansehung der Verhältnis der Neigung zum Zweck sind die Neigungen des Genußes und des Wahns. Die Neigungen des Genußes sind unmittelbar
⌠Seite 356⌡
auf den Gegenstand *1 der Sinne ist, gerichtet, allein Neigungen die √unmittelbar_\\_mittelbar⌡ auf den Genuß gerichtet sind, sind Neigungen des Wahns. Ehre hat nur einen Werth des Mittels, wer sie aber ohne Zweck zu erlangen

/Seite_386

/sucht, der sucht das Mittel als den Zweck selbst, und denn ist es eine Neigung des Wahns. ⌠Ehrsucht und Haabsucht sind Neigungen des Wahns.⌡
Wahn ist eine falsche Vorstellung, wenn man das, was nur ein Werth des Mittels ist, für die Sache selbst hält. So √giebts_\\_giebt es⌡ auch einen Religions Wahn, wenn man √nehmlich_\\_nemlich⌡ die Cerimonien für den Gottesdienst selbst hält. So ist auch der Geitz eine Neigung des Wahns. Das Geld hat den Werth als Mittel, der Geitzige aber schätzt das Geld unmittelbar, nicht als ein Mittel sich dafür ein Vergnügen anzuschaffen, sondern er hat ein Vergnügen
am Rand ab Z. 3
~*1 in so ferne er ein Gegenstand~
an
⌠Seite 357⌡
an dem leeren Gelde. Zwar fängt es der Geitzige an als Mittel zu schätzen├,┤ welches er sich anhäufen will, daher

/Seite_387

/erspart er den Gebrauch dieses Mittels, in Hofnung es einmahl zu gebrauchen, weil er sich aber zuletzt √angewöhnet_\\_angewöhnt⌡ dasjenige zu entbehren, wozu er das Geld sammlet, so sieht er hernach das Geld für den unmittelbaren Zweck an. Der Mensch hat also eine Torheit an sich⌠,⌡ die kein Thier hat, denn die Thiere haben nur ein Vergnügen des Genußes. Durch diesen Wahn bringt aber die Vorsicht was zu Stande, worauf die Menschen nicht gekommen wären. So sucht der Ehrbegierige oft die Glückseeligkeit anderer zu befördern, um nur die Ehre zu haben, und der Geitzige sammlet das Geld für seine Nachkommen, ohne daß er solches deswegen thut, sondern er

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/sammlet für sich, aber eben dadurch wieder seinen
⌠Seite 358⌡
Willen auch für seine Nachkommen.

Von den Gemüths Bewegungen.

Das Gemüth ist entweder in Ruhe oder in Bewegung. Beydes findet statt in Ansehung des Gefühls der Empfindung und in Ansehung der Begierden. Wir können empfinden und begehren, wenn das Gemüth in Ruhe ist, aber seine √Gemüthsbewegung_\\_Gemüths Bewegung⌡ ist mehr als empfinden und bloß begehren. Es können Empfindungen im Gemüth angetroffen werden, so daß das Gemüth in Ruhe ist Z. E. die Empfindung an einem schönen heiteren Morgen. Man kann auch Begierden im Gemüth antreffen,

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/so daß das Gemüth dennoch in Ruhe ist├.┤ Z. E. die √Beschaftigung_\\_Beschäftigung⌡ mit einem Plan⌠,⌡ oder wenn man mit seinem Amt √beschaftigt_\\_beschaftiget⌡ ist. Denn es ist nur eine Uebung des √Gemuths_\\_Gemüths⌡ daßelbe auf einen
⌠Seite 359⌡
gewißen Zweck zu √«er»richten_\\_richten⌡, und auch denselben zu erlangen.
Nota Es kostet sehr viel Mühe und Uebung das Gemüth in Ruhe zu erhalten. So beunruhigen Z. E. die nachtheiligen Reden das Gemüth sehr. Allein hiebey muß man sich so verhalten, daß man sich festsetze nach Grundsätzen zu handeln, und denn muß man sich an die nachtheiligen Reden nicht kehren, man muß sich so aufführen, daß wenn Leute auch Uebels von uns sprechen, man

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/ihnen nicht glaubt. Man hüte sich andere zu beleidigen, weil man als denn von dem andern einen Haß gegen uns vermuthet, welches ├in uns┤ gegen ihn ├noch┤ einen größern Has erwecket. Man hüte sich mercken zu laßen, daß man weiß, daß der andere uns beleidiget habe. Der √Unterscheid_\\_Unterschied⌡ des Gemüths Zustandes in Ruhe
⌠Seite 360⌡
und Bewegung ist dieser√._\\_:⌡ Jn Ruhe ist der Mensch, wenn er in seiner Faßung ist. Jn seiner Faßung seyn, heißt⌠,⌡ wenn der Zu- stand des Gemüths unter unserer Willkühr ist. Gemüths Bewegung aber ist ein Zustand wo das Gemüth seine Empfindungen und Begierden nicht in seiner

/Seite_391

/Gewalt hat. Was das √Gemüth_\\_Gemuth⌡ aus der Faßung bringt, ist der Grund der Gemüths Bewegung. Wir können im Gemüth Empfindungen und Begierden √zu laßen_\\_zulaßen⌡, nur so daß wir dadurch nicht aus der Faßung kommen. Es giebt Motus animi spontaneos auch impressos√. Die_\\_, die⌡ willkührliche und gekünstelte├,┤ Gemüths √Bewegung«en»_\\_Bewegung⌡ könnte man auch die launigte nennen Z. E. wenn einer einen √«v»Verliebten_\\_verliebten⌡ agiren will, um nur hernach über die Närrin zu Hause zu lachen, die ├ihn┤ für bren- 
⌠Seite 361⌡
nend verliebt hält. Ein solcher kommt in seiner Rolle beßer fort, als der, welcher würcklich verliebt ist, denn dieser ist gantz tölpisch, weil er

/Seite_392

/√Empfindungsvoll_\\_empfindungsvoll⌡ ist. Er kann nicht reden, sondern er zittert und bebt nur.
Die Gemüths Bewegungen sind zwiefach├,┤ Affecten und Leidenschaften. Man hat dieses für einerley gehalten, allein Hut- cheson machte hier zuerst einen gantz richtigen Unterscheid. Affect ist ein Gefühl wodurch wir aus der Faßung kommen, √Leidenschaft_\\_Leidenschaften⌡ aber eine Begierde, die uns aus der Faßung bringt. Die Begierde ist nicht eine Wahrnehmung deßen was würcklich ist, sondern bloß was möglich und künftig ist. Gefühl √geht aber_\\_aber geht⌡ aufs √Gegenwärtige_\\_gegenwärtige⌡. Würckliche Affecten ge- hören⌠,⌡ also zum Gefühl und Leidenschaften zu den Begierden. So ist das Schrecken
⌠Seite 362⌡
ein Zustand des Gefühls, denn da

/Seite_393

/begehren wir nichts, es gehört also zum Affect. Sehnsucht aber ist eine Leidenschaft. Traurigkeit ist Affect. Ehrsucht ist Leidenschaft. Beydes sowohl Affecten als Leidenschaften sind Gemüths Bewegungen und nicht ein √da«¿¿»render_\\_daurender⌡ Zustand. Daher kann man nicht sagen: der Mensch hat Leidenschaft zum Geitz, weil eine Leidenschaft kein daurender Zustand ist, man nennt aber schon den Hang zur Leidenschaft die Leidenschaft selbst. Leidenschaft ist von der Neigung zu unterscheiden. Neigung ist ein daurendes Principium der Begierden beym Menschen, Leidenschaft aber nicht. Neigung ist Gemüths Beschaffenheit, Leidenschaft und Affecten gehören aber zum Gemüths Zustande.

/Seite_394

/Wenn das Gemüth aus der Faßung kommt, so geräth
⌠Seite 363⌡
es in Affect oder Leidenschaft, kommt es aber nicht aus der Faßung, so könnte man dieses gemäßigte Empfindungen und Begierden nennen. Die Bestimmung deßen├,┤ wodurch sich Affect von dem gewöhnlichen Gefühl und Leidenschaft von den gewöhnlichen Begierden unterscheiden, muß genau getroffen werden. Wenn man den Unterscheid in einen gewißen Grad setzt, so ist es ein Conceptus vagus, der gar nicht bestimmt ist, so wie Z. E. Baumgarten den Geitz für einen größeren Hang und Neigung zur Enthaltsamkeit von Ausgaben und Sparsamkeit hält. Sparsamkeit aber

/Seite_395

/ist Tugend und Geitz ein Laster. Alsdenn aber wären Tugend und Laster dem Grade nach unterschieden, und ├es┤ könnte aus der Tugend durch Verminderung der Grade ein Laster und aus diesem
⌠Seite 364⌡
durch Vergrößerung der Grade eine Tugend werden, √daß_\\_das⌡ ist aber nicht allein falsch├,┤ sondern auch schädlich. Wenn also jedes Gefühl sich durchs Vergrößern dem Affect, und jede Begierde der Leidenschaft nähern √sollte_\\_solte⌡, so wüste man nicht das Maas zu bestimmen, in welchem Grad das Gefühl zum Affect und die Begierde zur Leidenschaft wird. Es ist also ein specifischer Unterscheid und nicht der Größe nach. Wenn die Tugend noch so vermindert wird, so wird

/Seite_396

/kein Laster daraus, und aus der Verminderung des Vergnügens kein Schmertz. Wenn bey dem Gefühl und bey den Begierden die Faßung des Gemüths ist, so mag die Empfindung und die Begierde noch so starck seyn, so wird aus der Empfindung kein Affect, und aus der Begierde keine Leidenschaft. Wir haben große Man
⌠Seite 365⌡
nigfaltigkeit von Empfindungen von Gegenständen afficirt zu werden. Derjenige Grad der Empfindung, der uns unvermögend macht den Gegenstand mit der Summe aller unserer Empfindung zu √schäz- zen_\\_schätzen⌡ und zu vergleichen⌠,⌡ ist Affect. Z. E. Freude ist Affect, wenn man sich über einen Gegenstand freut├,┤ der keinen mercklichen Einfluß

/Seite_397

/in unser gesammtes Wohlbefinden hat, oder wenn man über ein ent- zwey gebrochnes Geschirr aufgebracht wird, welches keinen mercklichen Einfluß in unser gesammtes Wohlbefinden macht, ist Affect.
Derjenige Grad und Zustand der Begierden, so uns unvermögend macht den Gegenstand mit der Summe aller Neigung zu schätzen, ist Leidenschaft Z. E. wenn ein Mensch eine Person heurathen will,
⌠Seite 366⌡
und sie nicht nach einer Neigung, sondern nach allen Neigungen begehrt, wenn er auf ihre Eigenschaften├,┤ Tugend├,┤ Stand und Geschicklichkeit sieht, so entspringt seine Liebe aus √überlegter_\\_uberlegter⌡ Wahl, also nicht aus Leidenschaft. Wenn aber √jemand_\\_iemand⌡ eine

/Seite_398

/Person zu heurathen trachtet nicht die er liebt, sondern in die er verliebt ist, welches einen großen Unterscheid machet, so geschicht es aus Leidenschaft, denn bey der Liebe kann sein Gemüth in Ruhe seyn. √Jst_\\_Ist⌡ er aber verliebt, so ist sein Gemüth in Bewegung, er schätzt √denn_\\_den⌡ Gegenstand nicht nach allen sondern nur nach einer Neigung⌠,⌡ √nemlich_\\_nehmlich⌡ nach der die aus dem Geschlechts Triebe entspringt. Durch diese Neigung wird er fortgerißen, und wählt nicht nach Proportion aller Nei- 
⌠Seite 367⌡
gungen, er setzt alle Vortheile hinten an, die seine übrigen Neigungen befriedigen könnten, wenn er nur diese seine

/Seite_399

/eine Neigung befriedigt. Er stellt sich alles übrige nur √gering_\\_geringe⌡ vor. Sagt man: die Person ist arm, so meint er solches durch seinen Fleiß zu ersetzen, oder sie ist eine schlechte Wirthin, so meint er: sie wird noch wirthschaften lernen. Ein solcher heurathet aus Leidenschaft.
Es ist bey dem Affect und den Leidenschaften eine gewiße Ungereimtheit, indem der eine Theil größer ist, als √das Gantze_\\_der gantze⌡, denn eine Empfindung und eine Begierde ist auch ein Theil unserer gesammten Empfindung, und wenn diese eine Empfindung √starcker_\\_stärcker⌡ würckt und treibt, so ist sie als ein Theil größer als das gantze der
⌠Seite 368⌡

/Seite_400

/Empfindung und der Begierden. √Dennoch_\\_Demnach⌡ sind die Affecten und Leidenschaften etwas vernunftwiedriges, denn die Vernunft will aus dem allgemeinen das besondere bestimmen. Wenn ein Affect oder Leidenschaft auf etwas gutes gerichtet ist, so sind sie dadurch noch nicht entschuldigt, denn alsdenn müßen sie auch der Form nach so beschaffen seyn. Das √Gute_\\_gute⌡ muß nur durch den Verstand erkannt werden, also müßen die Leidenschaften auch der Vernunft gemäß seyn, aber alsdenn wären sie nicht mehr Leidenschaften, denn eine Leidenschaft ist ja eben das, was nicht unter unserer Willkühr und Vernunft stehet. Die edelsten Bewegungen des Gemüths

/Seite_401

/sind also die schädlichsten,
⌠Seite 369⌡
denn wenn der Gegenstand ├<kein Gegenstand>┤ der Sinne und der √Erfahrungen_\\_Erfahrung⌡ ist, so bedarf man der Leitung der Vernunft Z. E. in der Religion, da kann ihn keine Erfahrung lei- ten. Wenn dieses nun zur Leidenschaft wird, so √verläst_\\_verläßt⌡ ihn auch die √Vernunft_\\_Vernuft⌡, denn das ist eben Leidenschaft, und alsdenn leitet ihn nichts. Demnach sind die edelsten Bewegungen des Gemüths, so ferne sie in Affect und Leidenschaften gerathen die schädlichsten. Affecten und Leidenschaften haben noch einen Grad, wo sie besondere Nahmen bekommen, √nemlich_\\_nehmlich⌡ der Affect heißt ein ausgelaßener wilder Affect⌠,⌡ und die Leidenschaft eine blinde Leidenschaft. Derjenige Affect, der sich selbst um seine eigene

/Seite_402

/natürliche Wirckung bringt, ist ein wilder Affect Z. E. man sieht ein Kind ins Waßer fallen, welches man aber
⌠Seite 370⌡
durch eine kleine Beyhülfe retten könnte, allein man erschrickt so, daß man dabey nichts thun kann. Das Schrecken betäubt einen so, daß man dabey gar nichts zu thun √vermogend_\\_vermögend⌡ ist. So kann man auch von Freude über ein unerwartetes Glück gantz betäubt werden, und zwar auch so, daß man gantz todt bleibt, da doch im Gegentheil die Freude √gute_\\_Gute⌡ Folgen haben sollte, allein da der Affect wild ist, so bringt er sich um seine Wirckung. So geht es auch mit dem Affect des Zorns. Der Zorn soll doch die Wirckung des Scheltens

/Seite_403

/und der Vorwürfe haben, allein oft wird ein Zorniger so betäubt, daß er sich ärgert, zittert und bebt, und nicht ein Wort sagen kann, das ist ein ausgelaßener Affect. Eben so geht es auch mit der Leidenschaft. Derjenige
⌠Seite 371⌡
Grad der Leidenschaft der sich selbst um seine eigene Absicht bringt⌠,⌡ ist eine blinde Leidenschaft. Alle Leidenschaften sind zwar √blind_\\_Blind,⌡ und haben das an sich, daß sie den Menschen um den √vernünftigen_\\_Vernünftigen⌡ Zweck bringen, der mit der Summe aller Neigungen übereinstimmt. Diese Leidenschaften können aber doch so seyn, daß sie wenigstens ihren Gegenstand erreichen können Z. E. ein Verliebter kann es doch bey seiner Leidenschaft

/Seite_404

/dahin bringen, daß er seinen Gegenstand erreichen kann, √ob gleich_\\_obgleich⌡ klug und verliebt zu seyn, contradictorisch ist. Allein diejenige Leidenschaft, wodurch √der Mensch sich_\\_sich der Mensch⌡ selbst verfängt, und gantz unvermögend ist, sich wegen der Leidenschaft den Gegenstand selbst zu verschaffen, wodurch er gantz aus der Faßung kommt, √daß_\\_das⌡ ist eigent- 
⌠Seite 372⌡
lich die völlig blinde Leidenschaft. Man könnte sie auch passionem brutam nennen, zum Unterscheide von andern⌠,⌡ die auch blind sind. Also bringt dieser Grad der Leidenschaft den Menschen nicht allein um seine Glückseeligkeit, sondern auch so gar wegen ihrer eigenen Heftigkeit um seinen eigenen Gegenstand und um seine

/Seite_405

/Absicht.
Damit man die Affecten in verschiedenen Gegenständen betrachten kann, indem sie aufs Gefühl gerichtet sind, so mercken wir einige Anmerckungen ohne √systemathische_\\_systematische⌡ Ordnung. Empfindungen haben √daher_\\_dahero⌡ an sich Stärcke, welche daher rührt, weil sie unvorhergesehen sind, und √denn_\\_den⌡ nennt man sie √auffallend_\\_aufwallend⌡. Diese Empfindung ist nicht √ein- dringend_\\_ein dringend⌡, sondern hat ihre Stärcke daher, weil sie überraschend und unvor
⌠Seite 373⌡
hergesehen ist Z. E. freudige Nachricht, ist sie aber zugleich eindringend, so nennt man sie Ueberfall oder Alteration, der aus guten und schlimmen Ursachen entsteht. Was den Ueberfall in Ansehung der Empfindung des Cörpers betrift, so nennt man den Schauer eine Empfindung des

/Seite_406

/Cörpers⌠,⌡ die nur einen Augenblick dauert, und vom Schauder der eine daurende Furcht bedeutet unterschieden werden muß. Man nennt das einen Schauerregen⌠,⌡ der so heftig kommt⌠,⌡ daß man sich dafür nicht verbergen kann. Dieser Schauer überfällt unsern √Cörper_\\_Körper⌡ Z. E. wenn wir hören, daß jemand auf einen hohen Thurm auf dem Rande eines √Wollms_\\_Wolms⌡ eingeschlafen ist, bey einem grosmüthigen erhabenen Zug in der Comoedie├,┤ denn das erhabene hat
⌠Seite 374⌡
mit dem schreckhaften eine Gemeinschaft, und wenn es eine Theilnehmung ist, so überfällt mich √solcher_\\_solche⌡ Schauer. So ist auch das √Grießeln_\\_Grißeln⌡ ein Ueberfall der nicht eindringend ist. Der Schrecken ist mit √grausen_\\_Grausen⌡ verbunden, das √Grisseln_\\_Grißeln⌡ ist aber der √Anfand_\\_Anfang⌡ davon.

/Seite_407

/Der Gegenstand des Gefühls kann angenehm seyn, aber die Empfindung davon unangenehm, und umgekehrt kann der Gegenstand unangenehm, aber die Empfindung angenehm seyn. So kann √<Z. E.>_\\_Z. E.⌡ bey einer freudigen Nachricht der Gegenstand bey Betrachtung der Reflexion angenehm seyn├,┤ aber die Empfindung unangenehm d. i. auffallend und eindringend. Aber wenn der Gegenstand unangenehm ist⌠,⌡ so kann die Empfindung an- 
⌠Seite 375⌡
genehm⌠,⌡ aber nur indirecte seyn, wenn sie nur zur Abwechselung dient. So sind Z. E. alle Dissonantien_\\_Dissonanzien unangenehm, aber als eine Abwechselung von Tönen in der Music angenehm, also nur als ein Mittel sind sie indirecte angenehm. Aber auch auf der andern Seite ist die

/Seite_408

/Empfindung des angenehmen Gegenstandes doch angenehm, wenn wir nehmlich unsere Gemüths Art, wodurch √uns_\\_<uns>⌡ etwas schmertzt, empfinden, Z. E. der Schmertz über den Tod eines Freundes, so ist es auch eine boshafte Freude Z. E. über den Tod eines Freundes wo der Gegenstand angenehm aber die Freude tadelhaft ist.
Wir verwechseln oft den empfinden den Schmertz mit √dem_\\_de«m»r⌡ √reflektirenden_\\_reflecktirenden⌡ und die Empfindung der Lust ⌠mit der
⌠Seite 376⌡
reflektirenden Lust⌡, dahero nicht ieder Schmertz betrübt, sondern nur der empfindende.
Der Ueberfall einer angenehmen Empfindung, der den Menschen in einen andern Gegenstand versetzen kann, zeigt sich Z. E. bey √einem_\\_<einem>⌡ Pardon, und auf der andern Seite in der √Anschauung_\\_Anschaung⌡, und denn sagt man: der Mensch

/Seite_409

/√stuzt_\\_stutzt⌡ über das was unerwartet ist. Die Continuation davon ist die Befremdung, ein √großerer_\\_größerer⌡ Grad ist├,┤ die Erstaunung⌠,⌡ und dieses Erstaunen kann eine Betäubung werden. Die Bewunderung ist das angenehme, denn es ist nur ein Gefühl, Erstaunen aber ist ein Affect, der gemischt ist vom angenehmen weil er belebt, und vom unangenehmen⌠,⌡ wegen der Verlegenheit in die ein Mensch kommt, weil er es
⌠Seite 377⌡
nicht zusammen reimen kann, und sich nicht darinn zu finden weiß. Die Menschen, die so gleich über alles erstaunen, zeigen, daß sie schwach sind├,┤ theils weil sie es so gleich empfinden├,┤ besonders aber weil ihnen vieles unbekannt ist, dahero sie dadurch in

/Seite_410

/Erstaunen gesetzt werden, was ihnen unbekannt ist. Ueberfall des Uebels ├von der Vorstellung des Uebels┤ ist ein Schreck. Das Gemüth was zum Schreck aufgelegt ist, ist vom furchtsamen Gemüth unterschieden, denn beym schreckhaften Gemüth├,┤ faßt das Gemüth wieder Muth, wenn der Schreck vorbey ist, aber nicht beym furchtsamen Gemüth. Der Schreck ist der Eindruck, der sich vor der Reflexion des √dargestelten_\\_dargestellten⌡ Uebels erzeugt. Es giebt einen Schreck und eine Furcht in Ansehung gewißer Gegenstände der Einbildung Z. E. vom Dach
⌠Seite 378⌡
zu fallen. Die Furcht aus Einbildung ist die Blödigkeit, Schüchternheit Z. E. man glaubt in einer Rede⌠,⌡ wo man wegen der Menge erschreckt, obgleich nicht wegen eines

/Seite_411

/einzelnen unter der Menge stecken zu bleiben. Diese Blödigkeit ist von der Muthlosigkeit├,┤ die würckliche √Gegenstände_\\_Gegenstande⌡ hat├,┤ unterschieden. Der Muth ist der Furcht entgegen gesetzt, und die Hertzhaftigkeit dem Schrecken. Der Muth ist mehr geistisch⌠,⌡ und die Hertzhaftigkeit mehr cörperlich. Der Muth beruht auf der Reflexion, die Hertzhaftigkeit auf der Empfindsamkeit. Hertzhaft ist der so nicht erschrickt, Muth aber hat der, so sich nicht fürchtet. Von der Hertzhaftigkeit muß die Dreistigkeit unterschieden werden, welche der √Blödigkeit_\\_blödigkeit⌡ entgegen gesetzt ist, und in dem Mangel der ein- 
⌠Seite 379⌡
gebildeten Furcht besteht. Der die Urtheile anderer in Ansehung seiner für nichts hält ist dreist Z. E. ein Petit Maitre, der in der Gesellschaft ein kleiner

/Seite_412

/Gesetzgeber ist, der den Ton immer angiebt⌠,⌡ sich an keine Mode kehrt, sondern selber eine macht, wenn das├,┤ was er thut⌠,⌡ zur Mode wird. Er muß von allem reden können, und wenn er es nicht versteht, abbrechen, auch so gleich von etwas anderm zu reden anfangen, er muß alles durch einander thun können, √pfeiffen_\\_pfeifen⌡, singen sprechen p⌠.⌡ Wenn die Dreistigkeit sich vor dem Urtheil anderer in Ansehung der wahren Ehre nicht scheuet⌠,⌡ so ist das die Unverschämtheit Z. E. um alles zu bit- ten⌠,⌡ zu schmarotzen.
Zur Dreistigkeit kann man durch Uebung angewöhnt werden, und es ist
⌠Seite 380⌡
ein großes Talent_\\_Talent⌡.
Kühnheit ist Muth ohne Reflexion. Würde der Mensch reflectiren, so würde keine

/Seite_413

/Kühnheit statt finden. Junge Leute sind kühn wegen ihres iungen Bluts, besonders aber aus Leichtsinnigkeit, weil sie nicht reflectiren. Das Alter hat aber mehr Muth, weil es vorsichtiger ist⌠,⌡ und daher reflectirt. Bleibt der Muth nach der Reflexion⌠,⌡ so ist es ein gesetzter Muth. Tapferkeit geht auf Menschen⌠,⌡ Kühnheit aber auf √Gegenstände_\\_Gegenstande⌡ der Natur Z. E. ein Seefahrer muß Kühn seyn. Alles dieses ist unterschieden von der √Standthaftigkeit;_\\_Standhaftigkeit,⌡ sie findet statt bey einem daurenden Uebel. Wer seinen Muth bey einem daurenden Uebel nicht verliert├,┤ ist standhaft. Nun kann einer bey fortdaurenden Uebeln standhaft seyn⌠,⌡ obgleich er zu Anfang des Uebels ├einen
/Seite 414
/Schreck empfunden hat. Es giebt Menschen die beym Anfange des Uebels┤ Z. E. beym Gefecht einen
Schreck empfunden, aber bey daurenden
⌠Seite 381⌡
Uebeln Z. E. beym Tode √Standhaft sind. Personen_\\_sind Personen standhaft⌡ die der Empfindung der Sinne √Unter- worfen_\\_unterworfen⌡ sind, sind auch dem Schreck unterworfen, aber beym fortdaurenden Uebel sind sie √Standhaft_\\_standhaft⌡. So gerathen Personen beym Duell in einen Schreck, weil der Eindruck der Sinne für sie auffallend war, aber sie können wieder mit entschloßenem Muth sterben. Wer also Mangel an Hertzhaftigkeit hat, der kann wieder viel Muth haben √dieses_\\_. Dieses⌡ beruht bloß auf

/Seite_415

/der Uebung und Angewohnheit. So erschrickt der Fleischer nicht so bald als der Schneider. So √weis_\\_weiß⌡ der Dachdecker und der √Gemsenjäger_\\_Gemsen Iäger⌡ in der Schweitz nichts vom Schwindel. Schwindel ist eine Uebelkeit, die mehr in der Einbildung als in der That besteht√,_\\_.⌡ Wer in eine fanatische Furcht geräth├,┤ bekommt den Schwindel. Bey einem zaghaften entspringt die Furcht aus Reflexion├,┤ bey einem schreckhaften aber aus
⌠Seite 382⌡
den Sinnen. Von alle dem ist die √Gedult_\\_Gedul«d»t⌡ unterschieden, welche eine weibliche Tugend ist, dahingegen ist die Standhaftigkeit eine √männliche_\\_Männliche⌡ Tugend. Gedult erfordert keinen Geist, sondern

/Seite_416

/Gewohnheit sich in das Uebel zu schicken√,_\\_.⌡ Standhaftigkeit aber erfordert Geist. Hertzhafte und muthige Personen sind √ungeduldig_\\_ungedultig⌡, nicht aus Mangel des Muths⌠,⌡ sondern weil sie Muth haben, den sie aber hier nicht anwenden können, denn bey den Uebeln des Lebens⌠,⌡ wo kein Muth hilft, da muß Gedult seyn es zu ertragen, aber Muth muß seyn beym Uebel der Größe nach⌠,⌡ aber nicht von langer Dauer. Traurigkeit ist eine reflektirende Betrübnis. Urtheilt man, daß gar nichts zu hoffen sey, so geräth man in Verzweiflung, welche √3.fach_\\_dreyfach⌡ seyn kann, die √Trozzige_\\_trozzige⌡, wilde├,┤
allem
⌠Seite 383⌡
Elend ein Ende zu machen, und die zaghafte √und_\\_oder⌡

/Seite_417

/niedergeschlagene Verzweifelung. Jn dieser ist das Gemüth nicht in solcher Bewegung als in der vorigen. Verzweifelung ist eine Wirckung der ungeduldigen ├Hertzhaftigkeit, welches man falsch mit der┤ Hertzhaftigkeit verwechselt. Jst es Zaghaftigkeit├,┤ so ist es schon bey dem Menschen ein √verwirrter_\\_verwirter⌡ Kopf, der nur den Abgrund der Uebel sieht, und weil er selbige nicht √weg schaffen_\\_Wegschaffen⌡ kann, so sucht er die Empfindung der Uebel wegzuschaffen. Dieses kann geschehen, wenn man die reflektirende Empfindung der Uebel wegschaft Z. E. wenn man an ein Uebel nicht denckt. So sucht sich ein Kaufmann, der an seine Handelsbücher nicht dencken will durch Zerstreuungen die Empfindung

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/wegzuschaffen, oder wenn man durch Opium, Saufen diese Empfindung wegschaft,
⌠Seite 384⌡
da sie aber alsdenn hernach wohl noch stärcker √wiederkommt_\\_kommt⌡. Wer also seine sinnliche Empfindungen wegzeschaffen sucht, der handelt wieder die Menschheit. Einige Ausdrücke in Ansehung der Uebel sind√,_\\_:⌡ sich etwas zu Hertzen nehmen und zu Gemüthe zu ziehen. Dieses gehört ├zum┤ reflectirenden Uebel. Etwas kann mir Schmertz verursachen, wenn ich aber diesen Schmertz ├«verursachen»┤ zu Hertzen nehme, so kränckt es mich, wenn ich ihn mir aber zu Gemüthe ziehen will, so betrübt es mich├,┤ wenn aber keines von beiden ist, so verdrießt es mich bloß. Die Leiden unserer

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/Freunde können wir zu Hertzen nehmen, aber uns nicht zu Gemüthe ziehen, ich kann des andern Wohl und Uebel zu Hertzen nehmen, ich kann den Schmertz fühlen, ziehe ich ihn mir aber zu Ge- 
⌠Seite 385⌡
müthe, so fühle ich ├mich unglücklich. Nun aber habe ich nicht nöthig┤ mich unglücklich zu fühlen, wenn andere unglücklich sind. Alle Physicalische_\\_physicalische⌡ Uebel können wir nur bloß zu Hertzen nehmen, aber uns nicht zu Gemüthe ziehen, allein im moralischen müßen wir uns alles zu Gemüthe ziehen√:_\\_.⌡ So schätzen wir uns unglücklich, wir sollen uns aber nur √alsdenn_\\_als denn⌡ unglücklich schätzen, wenn wir nicht mehr werth sind zu leben. Kein

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/äußeres Uebel aber kann uns so unglücklich machen, daß wir nicht mehr werth sind zu leben, als nur die Handlungen wieder die Moralitaet, √dennoch_\\_demnach⌡ sollen wir auch in den größten Uebel Muth beweisen, und als denn verdienen wir doch noch wenigstens Achtung. Wer sich aber solche Uebel zu Gemüthe zieht, der entehrt die Menschheit, und wieder einen solchen verliert man alle
⌠Seite 386⌡
Achtung.
Obgleich alles Gefühl subjectiv ist, zu welchem besonders Schrecken Furcht und Schmertz gehören, so könnte man doch auch ein Objectives_\\_objectives Gefühl √nehmen_\\_annehmen⌡. Das Objective_\\_objective Gefühl ist zwar √freylich_\\_freilich⌡ subjectiv, und ich brauche hier nicht das

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/subjective um meinen Zustand, sondern um den Gegenstand zu beurtheilen. Von der Art ist das Gefühl des Abscheues. Abscheu geht auf die Qvalitaet nicht auf meinen Zustand, sondern aufs Object. Der Abscheu ist entweder ein Abscheu des Eckels oder des Hasses⌠,⌡ oder der Verachtung. Es ist nicht einerley den Ge- genstand als einen Gegenstand des √Hasses_\\_Haßes,⌡ oder des Eckels, oder der Verachtung zu betrachten. Eckel hat unter allen Empfindungen das besondere,
⌠Seite 387⌡
daß er keinen Ersatz bey sich führet, und durch keine Abstechung angenehm wird, weil er die Qvelle des Lebens hemmt. Es ist ein Niederschlag der Bewegung, also keine Belebung. Andere Empfin- dungen, als Furcht, Traurigkeit führen in der

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/√Abstechung_\\_abstechung,⌡ und unter andere Empfindungen ein volles Maas des Vergnügens mit sich. Der Eckel kann aber nicht im mindesten Grad ein Vergnügen herfürbringen, weil er ein Abscheu ist aus der Qvalitaet des Gegenstandes, er ist an und für sich selbst schlechterdings ein Abscheu. Die Bewegungen des Gemüths aus Eckel schlagen alles Vergnügen nieder, er ist das Gefühl der Leblosigkeit, denn ist der Mensch auch zu andern Empfindungen nicht fähig. So kann ein Mensch in seinen Reden
⌠Seite 388⌡
misfallen, er kann √Has_\\_Haß⌡ auf sich ziehen├,┤ der nur von √Umstanden_\\_Umständen⌡ kommt, da er aber alsdenn √von_\\_vom⌡ andern minder gehaßt wird. Wird er aber √eckelhaft_\\_Eckelhaft⌡, so sinckt er am niedrigsten√, die_\\_. Die⌡ cörperliche

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/Bewegung des Hasses ist die Ohnmacht. So sind diejenigen Laster, die einen Eckel mit sich führen, unnennbar weil schon selbst in der Benennung ein Eckel liegt, und dadurch hervorgebracht wird. So ist ein besoffener Mensch, der die Speisen schon von sich giebt, ein Gegenstand des Eckels, welches Laster doch noch nennbar ist. Der Abscheu und Haß ist schon mehr Objectiv_\\_objectiv als aus Eckel. Der Gegenstand, welcher ein Abscheu aus Haß ist, ist nicht so wiedrig, als der des Eckels, denn ich kann nur von Feinden gehaßt werden, aber ein Gegen- 
⌠Seite 389⌡
stand des Eckels verursacht allen einen Eckel.
Der Gegenstand des Abscheues der Verachtung ist vom Gegenstande des Hasses und des Eckels gantz unterschieden. Man kann einen Gegenstand der Verachtung

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/immer lieben, gar nicht √haßen_\\_hassen⌡, aber doch verachten Z. E. einen Menschen der alles verschwendet, alles um sich frölich macht, lustig und gutes Muthes ist, warum √solte_\\_sollte⌡ ich den hassen? Jch liebe ihn, ich beklage ihn, aber ich verachte ihn, und kann ihn nicht schätzen. Die Verachtung geht auf den Gegenstand der Unwür- und Nichtswürdigkeit. Derjenige der die Pflichten gegen sich selbst übertritt, ist ein Gegenstand der Verachtung. Er hat dadurch keinen beleidigt, man kann ihn also auch nicht haßen, aber man verachtet
⌠Seite 390⌡
ihn. Z. E. ein Lügner ist ein √Gegestand_\\_Gegenstand⌡ der Verachtung, denn wer sich selbst seines eigenen Werths beraubt, der kann auch nicht fordern, daß ihm andere einen Werth geben. Verachtung geht also auf den √innern_\\_inneren⌡ Werth├,┤ und deswegen druckt

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/das weit mehr aus, wenn ich jemanden √ver«rathe»<achte>_\\_verrathe⌡, als wenn ich ihn ├hasse. Denn wenn ich jemanden┤ hasse, so folgt noch nicht, daß ihn alle √haßen_\\_hassen⌡, aber der Gegenstand der Verachtung ist in den Augen eines jeden ├Menschen┤ verachtet, also ein allgemeiner Gegenstand. Demnach ist es beßer ein Gegenstand des Hasses als der Verachtung zu seyn. Tiefe Verachtung wird hernach zum Eckel, und grentzt also eher mit dem Eckel als mit dem √Has_\\_Haß⌡.

Von den Bewegungen des √Cörpers_\\_cörpers,⌡ in so ferne sie mit den √Gemüths Bewegungen_\\_Gemüthsbewegungen,⌡ so durch Affect entspringen in Harmonie stehen.

⌠Seite 391⌡
Wir mercken √also_\\_<also>⌡ ohne ├eine┤ systematische Ordnung nur folgendes an: Einige Affecten bringen eine Blutbewegung hervor,

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/als die Schaam worüber, treibt das Blut ins Gesicht. Einige Affecten bringen eine Bewegung des Zitterns hervor. Das Zittern ist eine Schwanckung der Nerwen. Die Bewegung des Zorns spannt die Fasern und Muskeln des Cörpers an: die Nerwen und Fasern sind die 2 Qvellen und Principien des Lebens, die Nerwen zur Empfindsamkeit├,┤ und die Fasern zur Reitzbarkeit. Wer aus Zorn auf der Stelle roth wird, der ist nicht so gleich zu fürchten, er wird sich aber √hernach bey Gelegenheit_\\_bey Gelegenheit hernach⌡ rächen, er schiebt seine Rache auf, in dem er sich schämmt├,┤ sich so gleich zu rächen. Wer aber aus Zorn auf der Stelle bleich und blaß wird├,┤ der ist auf der Stelle zu fürchten. Jst der Zorn sehr √heftig_\\_hefftig⌡, so sind seine Fasern

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⌠Seite 392⌡
und Muskeln überspannt, so √das_\\_daß⌡ derjenige unfähig wird, willkührliche Bewegungen auszuüben. Die Bewegungen des Cörpers sind den Zwecken der Affecten √gemäß_\\_gemäs⌡, aber auch oft entgegen, so wie der gemessenste⌠.⌡ Zweck der Furcht⌠,⌡ die √Flucht_\\_Fluch⌡ vor dem Gegenstande ist, allein oft erschrickt der Mensch so, daß er √anstatt_\\_an statt⌡ zu fliehen, √hin- fält_\\_hinfällt⌡ und gar nicht fortkommen kann. Der Zweck des √zornigen_\\_Zornigen⌡ ist dem andern die √großten_\\_größten⌡ Vorwürfe zu sagen, allein er stottert. Die Natur bringt aber nicht solche Bewegungen, die den Zwecken zuwieder sind, hervor, sondern bey der Furcht √vergrößert_\\_vergroßert⌡ unsere Einbildung die Em- pfindsamkeit⌠,⌡ und bey dem Zorn schämmt sich der Mensch, und hat viele Bedencklichkeiten.
Zu was für einen Zweck sind aber

/Seite_428
⌠Seite 393⌡
solche Bewegungen des Cörpers von der Natur in uns gelegt├?┤ Z. E. daß auf die √Beschamung_\\_Beschämung⌡ eine Röthe im Gesicht hervortritt? Der Zweck der Schamhaftigkeit den die Natur in uns gelegt, ist√:_\\_,⌡ die Menschen zur Wahrhaftigkeit zu necessitiren_\\_necessiren⌡. Bey der Erziehung kann die unzeitige Schamhaftigkeit verhindert werden. Demnach muß man zu einem Kinde nicht bey einer jeden Gelegenheit sagen. Pfuy⌠.⌡ schäme dich, √daß_\\_das⌡ macht die Kinder blöd und schüchtern. Entweder muß man ihnen sagen√;_\\_,⌡ daß ihre Handlung gut oder böse sey. Wenn das Kind aber sich aufstützt oder sich die Zähne reinigt, so muß man nicht sagen√:_\\_;⌡ das √läßt_\\_läst⌡ nicht, denn das Kind sieht nicht ein, daß dieses an sich selber

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/böse seyn sollte. Solche Sachen muß es aus Gehorsam unterlaßen, weil man sie nicht leiden will. Gehorchen
⌠Seite 394⌡
muß es, allein beschämen muß man es nicht darüber. Wenn sein Charackter gebildet ist⌠,⌡ so sieht es hernach von selbst ein, daß dieses sich nicht schickt. Wenn es aber lügt⌠,⌡ so soll man sagen: Schäme dich, denn muß man es mit der größten Verachtung ansehen, als wenn man es gar nicht des Anblicks werth hielte.
Wird das nun immer wiederhohlt, so wird das Kind allemahl, wenn es wird lügen wollen roth werden, und es wird stottern⌠,⌡ und die Lügen werden ihm im Halse stecken bleiben, und dadurch muß es sich verrathen, daß es gelogen hat. Dieses ist also der Zweck der √Schamhaftigkeit_\\_Schamhafftigkeit⌡, denn

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/das Rothwerden ist ein Verrathen deßen, was wir verheelen wollen. Da dieses nun ein edler Zweck ist, so sollen Eltern verhüten├,┤ die Kinder
⌠Seite 395⌡
da √roth_\\_Roth⌡ zu machen, und zu beschämen wo es nicht nöthig ist.
Ferner bringt der Affect der Traurigkeit die Körperliche Bewegung des Seufzens hervor, und der Affect des Schreckens ein Geschrey. So √schreyen_\\_schreien⌡ die Frauenzimmer sogleich wenn sie erschrecken. Die Natur hat dieses Geschlecht furchtsam gemacht, weil es das Geschlecht ist, √daß_\\_das⌡ die Art erhalten soll, und leicht das was ihnen √wiederführt_\\_wiederfährt⌡ der Erhaltung der Art schaden kann. Obgleich dieses Geschlecht sehr dreist ist, so ist es doch in Ansehung der √Verletzung_\\_Verlezzung⌡ sehr

/Seite_431

/furchtsam. Daher halten die Weiber die Hände vor dem Gesicht, wenn sie sich prügeln. Es ist ihnen gesund, wenn sie nach dem Schrecken ein Geschrey ausstoßen, denn dadurch dissipiren sie das Blut, das durch das Schrecken in ihre Brust
⌠Seite 396⌡
gestoßen war, dahero man das Frauenzimmer unter den Masquen daran erkennet, denn sie können sich deßen nicht enthalten. Der Mann aber nimmt nicht die Flucht beym Schrecken, sondern setzt sich entgegen, dahero er mehr stumm bleibt. Das Seufzen ist eine Ausdehnung der Lunge, um das Ausgehen des Bluts zu erleichtern. Ueberhaupt ist das Poltern und Lermen besonders bey Krancken Personen eine Linderung des √Schmertzens_\\_Schmerzens⌡.

/Seite_432

/Dahero schreien auch Kinder nach ihrer √Geburt_\\_Geburth⌡, welches ihnen sehr heilsam ist, denn dadurch vertheilen sie das Blut aus der Lunge. Was also die Natur thut, das ist gut und hat seinen Zweck. Das Lachen und Weinen sind Bewegungen des Cörpers die durch Affecten die ihnen √gemäß_\\_Gemäß⌡ sind├,┤ hervorgebracht werden. Das Lachen
⌠Seite 397⌡
ist keine Blutbewegung, sondern eine Erschütterung des gantzen Systems der Fasern, und vermittelst dieser auch der Nerwen. Es ist keine Ausdehnung und Spannung der Fasern wie beym Zorn, sondern eine Bebung und Hin und Herschwanckung der Fasern. Das Zwergfell wird in Erschütterung gebracht, und die

/Seite_433

/Lunge kommt auch in Bebung. Dadurch wird alles aufgefrischt, und es bekommt alles eine größere Bewegung. Das Lachen wird im Gemüthe excitirt_\\_excitiret⌡ durch Gedancken├,┤ durch Auflebung des Lebens, oder auch mechanisch. Das Lachen kommt aus dem Gemüth und erschüttert den Cörper. Woher kommt das? Um dieses einzusehen, so müßen wir ├erst┤ erst das mechanische Lachen erklären. Dieses wird Z. E. durch Kitzeln excitirt_\\_excitiret⌡. Das Kützeln ist aber ein Zwicken und Zerren als wenn
⌠Seite 398⌡
⌠man⌡ was nehmen├,┤ und loß laßen will⌠.⌡ Also auch hier. Wenn ich einen Theil des Cörpers anfaße, und wieder loßlaße, so zerre ich die Muskeln. Dieses bringt die Bebung des √Zwerckfells_\\_Zwergfells⌡ hervor und die Erschütterung der Lunge├,┤ und das ist das Lachen. Mit dem √Lachen im_\\_<Lachen im>⌡ Gemüth ├hat┤ und in Gedancken geht es eben so zu. Denn

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/alle Materie des Lachens ist immer ein Absprung. Zuerst werden meine ├«Gedanken»┤ Nerwen auf einen gewißen Prospect gefüh- ret√;_\\_,⌡ das Gemüth sucht jetzt einer vernünftigen Sache zu folgen, wenn nun einmahl ein Absprung von dem Prospect folgt, und das Gemüth ehe es sich versieht, auf die andere Seite steht, so bricht es in Lachen aus. Die Repercussion macht also das Lachen. Völlig ungereimte Dinge
⌠Seite 399⌡
bringen nicht das Lachen hervor, sondern es muß zuerst einen Schein √«¿¿»des Wahren_\\_des wahren⌡ haben, und denn muß man davon repercutirt werden Z. E. es geht jemand ehrwürdig und gravitaetisch auf der √St«ok»raße_\\_Straße⌡ und es ist ihm hinten was angehängt worden, oder er fällt, so ist hier immer das Gegentheil vom gravitaetischen. Die Ueberraschung das √seltsahme_\\_seltsame⌡ das unerwartete├,┤ √«d»was_\\_was⌡ √hinterher_\\_hinter her⌡ kommt, macht

/Seite_435

/das Lachen √auch_\\_aus⌡, aber nicht die Geschichte an sich.
Das Vergnügen entspringt auch aus der Repercussion des Gemüths. Die Freude ist nicht eine Freude über die Geschichte, sondern über die Belebung⌠,⌡ es ist organisch und nicht idealisch, denn aus der Jdee kommt cörperliche Bewegung und die √Be«lebung»wegung_\\_Bewegung⌡ bringt Belebung hervor.
Das Weinen ist eine Wirckung der Be- 
⌠Seite 400⌡
trübnis, die nicht unangenehm ist. Die √Betrubnis_\\_Betrübniß⌡ ist zwar unangenehm aber nicht das Weinen über dieselbe. Nach dem Wei- nen wird das Hertz erfreut, eben so wie nach dem √Platzregen_\\_Platz Regen⌡ √Sonnenschein_\\_SonnenSchein⌡ kommt. Jn den √Thränen_\\_Tränen⌡ ist also was sanftes, es ist eine Erleichterung der Beklemmung die aus der Traurigkeit entspringt. Weiber weinen, aber Männer

/Seite_436

/fühlen den Schmertz. √Trähnen_\\_Tränen⌡ werden auch für eine Schwäche gehalten, die aber Kindern und Weibern angemeßen ist. Ueberhaupt bricht man mit Weinen aus, wenn das Hertz wodurch affiziert wird. Jede Handlung der Grosmuth Z. E. wenn einer den andern beleidigt hat, es ihm aber leid thut, und er ihn abbittet, der andere auch es ihm vergiebt, √ja_\\_ia⌡ noch mit Wohlthaten überhäuft, √affiziert_\\_afficirt⌡ das Hertz ├und bringt┤ Tränen hervor. Eine
⌠Seite 401⌡
große Wohlthat in der äußersten Noth bringt auch Tränen hervor. Woher kommt es, daß Handlungen der Großmuth Tränen auspreßen? Die √Grosmuth_\\_Großmuth⌡ bringt uns zur Wehmuth, denn der Mensch wird durch Sehnsucht ausgedehnt. Sehnsucht aber ist eine Begierde mit dem √Bewust seyn_\\_Bewustseyn⌡ des Unvermögens, daher auch

/Seite_437

/Erbitterung Tränen hervorbringt Z. E. bey Weibern⌠,⌡ weil sie unvermögend⌠.⌡ sind sich Genungthuung zu verschaffen. Mit dem Weinen ist vieles verwand. Sonst hat das Weinen eine Beruhigung des ├Gemüths. Es ist eine Entledigung des┤ √Schmerzes_\\_Schmertzens⌡. Wenn man daher über den Verlust einer Geliebten weint, so ist die Betrübnis mehrenteils von Hertzen entfernt, dahero man bey einem tiefen Schmertz so in die Seele dringt√;_\\_,⌡ nicht so leicht weinen kann. Männer⌠,⌡ die den Schmertz beßer empfinden,
⌠Seite 402⌡
weinen nicht.
Solche Bewegungen des Gemüths machen in uns einen größern Eindruck als andere, dahero ich an eine prächtige Mahlzeit nicht so lange dencken werde├,┤ als an ein Lachen welches willkührlich gewesen, und durch Empfindung unversehens

/Seite_438

/erregt wurde. Man lacht auch sonst, wenn man nur das Maul zieht├,┤ und so thut├,┤ als wenn man lacht, besonders wenn man dem √einen_\\_andern⌡ Gefallen thun will, der etwas lächerliches erzählt zu haben glaubt, welches aber doch nicht so war, daß es aus Empfindung Lachen verursacht hätte. Würde √man da_\\_da man⌡ nicht so thun als wenn es lächerlich wäre, so möchte √es_\\_das⌡ dem andern zum Tadel gereichen. Aber das willkührliche Lachen├,┤ welches aus Empfindung entspringt,
⌠Seite 403⌡
macht eine innigste Bewegung des Gemüths, dahero man auch einen solchen √drolligten_\\_drollichten⌡ Menschen, der alle Gegenstände auf eine launigte Art so einrichten kann, daß man in ein Lachen ausbricht, lieb hat, und in der Gesellschaft gerne leidet, weil er √dadurch_\\_<da>durch⌡ angenehme Empfindungen

/Seite_439

/hervorbringt. Alle Leute mögen gerne Lachen, √junge_\\_iunge⌡ Leute aber gehen √<gerne>_\\_gerne⌡ in alle √Empfindungen_\\_Empfindung⌡ über, indem sie alle ihre Kräfte probiren wollen um √si«ch»e_\\_sich⌡ zu üben. Dahero Kindern gerne alles entzwey brechen, Vögel √kneifen_\\_kneipfen,⌡ um zu hören wie sie schreien, höltzerne Trompeten zerschneiden⌠,⌡ um zu sehen⌠,⌡ wie es √darinn_\\_darinnen⌡ aussieht p. und iunge Leute vieles aus Leichtsinn thun├,┤ worinn wohl keine Bosheit steckt, um nur in viele Veränderungen zu kommen,
⌠Seite 404⌡
und darinn ihre Kräfte zu üben, um zu wißen, wie weit sie damit kommen⌠,⌡ und wozu sie mehr Hang haben indem sie sich noch in alles schicken können. Denn so wie die gleiche Stellung des Cörpers und seiner Glieder sehr unangenehm ist, ia man auch iemanden dadurch,

/Seite_440

/daß man ihn in einer egalen Stellung des Cörpers liegen läßt⌠,⌡ torturiren kann, und so wie die veränderliche Stellung des Cörpers sehr angenehm ist, daher sich Menschen ziehen, und ihre √Gliedmaaßen_\\_Gliedmaßen⌡ bald auf diese bald auf jene Seite ausdehnen, √ja_\\_ia⌡ √auch_\\_au«¿»ch⌡ ihre Glieder durchkneten laßen├,┤ worauf sie sich in einer sanften Mattigkeit befinden, und in einen wollenen Mantel eingekleidet werden, eben so ist auch die veränderliche Bewegung des Gemüths sehr
⌠Seite 405⌡
angenehm√:_\\_.⌡ So laßen sich iunge Leute durch eine Tragoedie durchkneten und ihre Empfindungen zerarbeiten, wenn nur die Bewegung den Empfindungen proportionirt ist, denn sonst könnte einem doch wohl ein Organum wehe thun. Wenn daher von den Bewegungen der Empfindungen im Gemüth etwas zurück bleibt⌠,⌡ so ist es

/Seite_441

/unangenehm, welches aber bey iungen Leuten nicht so geschiehet wie bey Alten, indem die Eindrücke bey ihnen nicht so eindringend sind. Bey dem sie aber eindringen und was nachlaßen, da bringen sie etwas unangenehmes √zu wege_\\_zuwege⌡.
Man kann den Menschen aus der Art├,┤ wie er lacht, beurtheilen, denn dem Lachen liegt die Jdee und sein Urtheil zum Grunde, welches das Lachen hervorgebracht
⌠Seite 406⌡
hat, zwar nicht aus dem habituellen Lachen, wo ⌠man alles, wo⌡ man alles auftreibt und aufbietet um nur zu lachen, wo also schon die Lust zum Lachen vorhergeht, sonst ist auch die gute Laune alle Objecte zum Lachen zu machen ein gutes Talent_\\_Talent⌡, wodurch man Dinge, die an sich unangenehm sind, auf eine komische Art lächerlich macht, und dadurch eine Gesellschaft aufgeräumt macht,

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/├«Allein»┤ und das unangenehme versüßet. Allein es giebt auch ein √bosartiges_\\_bösartiges⌡ Lachen⌠,⌡ wenn es auch gleich ├auch┤ wenig zu beweisen scheinet Z. E. wenn jemand auf der Straße geht, und mit einmahl in den Koth fällt, so erhebt sich bey vielen ein Gelächter darüber. Man wendet zwar ein, daß man nicht lachen würde, wenn man sehen möchte⌠,⌡ daß ein Schaden dadurch entstanden, wel- 
⌠Seite 407⌡
ches man auch √einräummt_\\_einräumt⌡, allein das helle Lachen über eine √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ die dem andern geschehen, obgleich nicht über ein Uebel Z. E. wenn jemand einen Bogen fertig geschrieben, und das Tintenfaß statt der √Sandbüchse_\\_Sandbüchße⌡ darauf √stürtzt_\\_stürckt⌡, das misfällt dem andern und verdrießt ihn, ob er sich zwar nicht äußert, daß er sich ├«zwar»┤ darüber beleidigt findet, indem er alsdenn noch mehr darüber ausgelacht würde, so √verdrießt_\\_verdrüßt⌡

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/es ihm doch. Wo aber der √andre_\\_andere⌡ √verdrißlich_\\_verdrüßlich⌡ ist⌠,⌡ da ist kein √Stof_\\_Stoff⌡ zum √Lachen_\\_lachen⌡. Solche Ge- müths Art, die über solche √Qveerstriche_\\_Querstriche⌡ lacht, hat schon einen gewißen Fond zur Malice, und wenn er sich auch hernach besinnt, und sich selbst √zurechtweiset_\\_zurecht weiset⌡, so sieht man doch, daß in seinem Gemüth die Ursache und ein Hang zu solchem Lachen war.
Anmerckung. Wir können unserm Cörper
⌠Seite 408⌡
auf eine 3fache Art beykommen nehmlich durch die Mechanische_\\_mechanische⌡ bewegende Kraft Z. E. durch Reiten⌠,⌡ fahren p⌠.⌡ durch die Chymische_\\_chymische⌡ bewegende Kraft wo die Säfte aufgelößt werden Z. E. durch Arzeney Mittel, durch Saltze und metallische Theile. Die dritte bewegende Kraft ist nicht durch √körperliche_\\_Cörperliche⌡ Dinge sondern √durchs_\\_durch⌡ Gemüth. Dieses ist die innigste bewegende Kraft. Die Aufmunterungen├,┤ Auffrischungen des Gemüths

/Seite_444

/können wir durch nichts körperliches oder mechanisches, viel weniger durch Medicin erhalten√, das_\\_. Das⌡ sind nur Mittel das erloschene Leben zu erhalten. Beym Gemüth soll aber nur die √Hindernis_\\_Hinderniß⌡ gehoben werden, √denn_\\_den⌡ es sind Kranckheiten, so die menschliche Machine_\\_Maschine⌡ √verletzen_\\_verletzet,⌡ andere die sie √verhindern_\\_verhinderen⌡. Die erste Qvelle des Lebens steckt aber im Gemüth. √Diese«s»_\\_Diese⌡ können wir
⌠Seite 409⌡
aber nicht durch cörperliche Bewegungen⌠,⌡ sondern √durch«s»_\\_durch⌡ Gemüths Bewegungen aufmuntern. Was ists⌠,⌡ was den Menschen Z. E. zum Chartenspiel nöthigt. Nicht der Gegenstand⌠,⌡ nicht das Interesse, indem es doch hier aufs Glück ankommt, daher man ├hier┤ nicht glauben kann├,┤ dadurch etwas zu gewinnen, sondern die Gemüthsbewegung, die Aufmunterung der √Ge- muths_\\_Gemüths⌡

/Seite_445

/Kräfte. Der Mensch denckt daran nicht, er folgt √denn_\\_dem⌡ aber doch, denn kaum wird eine Gesellschaft ohne Chartenspiel zugebracht. Das Chartenspiel ist deswegen unterhaltend, weil es eine Belebung des Gemüths ist, denn weil es hier auf den Zufall ankommt├,┤ so läßt der Mensch seine Phantasie herrschen⌠,⌡ beson- ders wenn die √Geschicklichkeit_\\_Gesellschaft⌡ dazu kommt. Das Chartenspiel ist auch eini- 
⌠Seite 410⌡
germaaßen eine Disciplin des Menschen, denn obgleich sich der Mensch wenn √iemand_\\_jemand⌡ ihm einen Streich gespielt hat, ärgert, so muß er sich doch solches nicht mercken laßen, indem es ja vom Glück abhängt⌠,⌡ er muß sich selbst beherrschen und mäßigen. Mit der Zeit gewöhnt man sich an solche Beherrschung. Wenn es aber durch Gewohnheit zur Neigung

/Seite_446

/wird, so hat es nicht den Effect. Die Absicht des Spiels ist die Empfindsamkeit des Menschen├,┤ denn indem das Spiel immer einen Wechsel⌠,⌡ der vom Zufall abhängt, in sich enthält, so haben wir auch ein Spiel der Empfindung⌠,⌡ und dieses ists⌠,⌡ wodurch man belebt wird. Jm gantzen Leben ist nichts⌠,⌡ was ein Gemüth in 5 Minuten in so viel Bewegungen der Empfindung
⌠Seite 411⌡
versetzen kann, als ein einziges Chartenspiel, und in √jedem_\\_dem⌡ Spiel ist das Gemüth in einer neuen Situation. Eine schwerfällige Gesellschaft mit Tabacks Pfeifen in der Hand, mit ehrwürdigem Dunst umgeben, die sich mit √Erzahlungen_\\_Erzählungen⌡ über das gemeine Wesen unterhält, hinterläßt nicht solche Belebung des Gemüths als das Spiel.

/Seite_447

/So lange die Medicin nur die mechanische ├und chimische┤ Mittel hat das Leben in Bewegung zu bringen, und nicht sucht durch pneomatische Mittel das Gemüth in Bewegung zu √bringen_\\_setzen <bringen>⌡, so sieht es darinn noch sehr schlecht aus, denn die mehresten Kranckheiten beruhen nur in Hindernißen, die im Nerwen System liegen, daher muß man die erste Lebens Qvell des Gemüths aufzumuntern suchen. Es wird √dahero_\\_daher⌡ bey einem
⌠Seite 412⌡
krancken Menschen ein guter aufgeweckter Freund mehr ausrichten als alle Recepte, denn die berühren nur die Oberfläche des Cörpers, aber die Aufmunterung des Gemüths dringt bis ins Principium_\\_principium des Lebens. Dahero muß sich ein Artzt bey dem Patienten zu erkundigen suchen, welches seine √Vergnü- gungen_\\_Vergnügen⌡ und Aufmunterungen waren,

/Seite_448

/und wenn er ihm solche Unterhaltung zuwege bringt, so wird ihm solches eher helfen als alle Medicin. Doch dies gehört mehr für einen Medicus als für einen Psychologen.
Zuletzt können wir √noch_\\_<noch>⌡ das sympathetische Gefühl betrachten. Sympathie muß nicht durch Mitleiden sondern durch Theilnehmung übersetzt werden. Das Mitleiden geht mehr aufs Unglück√._\\_,⌡
⌠Seite 413⌡
Sympathie aber haben wir auch im Glück. Mitleiden haben wir mit Schwachen√,_\\_.⌡ Sympathie aber auch mit Starcken. Sympathie ist also das Genus und Mitleiden die Species.
Das theilnehmende Gefühl├,┤ kann großen Effect hervorbringen. So nehmen wir √Antheil_\\_antheil⌡ wenn Z. E. iemand in der Predigt stecken bleibt. Wir nehmen an dem Verdruß und

/Seite_449

/Kränckung anderer Antheil. Diese Theilnehmung ist edel. Wenn jemand unglücklich geworden ist, so kann mir das wohl leid thun, aber ist jemand gekränckt, ist sein Recht verletzt, so sympathesire ich mich mit Zorn gegen den anderen. Die solche Sympathie nicht haben, schätzen das Recht anderer Menschen nicht hoch. Die Theilnehmung eines Unglücks, wo viele Tausend unglück- 
⌠Seite 414⌡
lich geworden sind, muß nicht so seyn, als wenn einem einzigen Menschen Unrecht √geschahen_\\_geschehen⌡ wäre. Dieses Theilnehmende Gefühl empfinden wir in der gantzen Seele. Denn wenn Menschen Z. E. unter dem Adel beständig im Druck sind, so verlieren sie die Jdee des Rechts der Menschheit, denn weil sie keine Beyspiele haben, wo das Recht herrscht, so

/Seite_450

/dencken sie├,┤ es muß so seyn. Da müßen wir mit dem Recht des √andern_\\_anderen⌡ sympathesiren, aber nicht mit dem physicalischen Uebel. Wir sympathesiren mit der Freude des √ander_\\_andern⌡ Men- schen, wir sympathesiren mit des andern seinen Schmertz├,┤ mit seinen Begierden, mit seiner Liebe mit seiner Beschwerlichkeit, mit seiner Arbeit Z. E. wenn jemand etwas sehr schwer hebt,
⌠Seite 415⌡
mit des andern seinem Zweck. Wir sympathesiren auch Z. E. wenn jemand fällt oder an einem gefährlichen Orte als auf dem Schiffe, wenn es sich nach einer Seite gebogen hat, wo er fallen kann, so liegen wir mit unserm Cörper auf der andern Seite über. So liegt man auch mit dem Fuß, wenn man Kegel schiebt, und die Kugel auf der einen

/Seite_451

/Seite schief gehet, auf die andere Seite über.
Anmerckung⌠.⌡ √Der_\\_der⌡ geringe Mensch hat Sympathie mit den Empfindungen des größeren⌠, aber⌡ der Vornehme hat keine Sympathie mit den Empfindungen des geringeren. Der geringere setzt sich in die Gesinnung des größeren und hat Mitleiden mit ihm, √obgleich_\\_ob gleich⌡ er nach seinem Unglück √recht_\\_nicht⌡ glücklicher ist, als der geringere.

/Sprung

/Seite_452
So hat man Mit- 
leiden
⌠Seite 416⌡
leiden mit einem unglücklichen Könige. Die Ursache ist├,┤ weil sich ein geringerer leicht in den Stand des größeren setzen kann, und √großere_\\_größere⌡ Gesinnungen sich fingirt√, allein_\\_. Allein⌡ der √Vor- nehmere_\\_Vornehme⌡ kann sich den Zustand des √geringeren_\\_Geringeren⌡ nicht so fingiren, daher er auch mit seinem Unglück nicht sympathesirt. Er denckt er ist doch einmahl ein √gemeiner_\\_geringer⌡ Mann, der das √vorneh- me_\\_Vornehme⌡ Leben nicht so gewohnt ├ist┤, daher kommt er immer fort, wenn er nur leben kann. Sie werden Z. E. die Distanz zwischen einem Bürger und Handlanger nicht so gewahr als nur die Distanz ihres Standes von dem bürgerlichen überhaupt. Dieses ist auch das

/Seite_453

/Unglück bey Königen√, sie_\\_. Sie⌡ können sich das Unglück ihrer Unterthanen nicht so vorstellen,
und
⌠Seite 417⌡
und haben auch keine Neigung dazu.

/Sprung

/Seite_451
(Wenn die Uebel natürlich sind Z. E. √Hungers Noth,_\\_Hungersnoth⌡ so sympathesirt der Vornehme mit dem geringen eben so gut, als dieser mit ihm, aber bey den Uebeln des gekünstelten Zustandes oder der idealischen Uebel sympathesirt der √vornehme_\\_Vornehme⌡ nicht mit dem √geringen_\\_Geringen⌡, wohl aber dieser mit √ienem_\\_jenem⌡. Das √Weibergeschlecht_\\_Weiber Geschlecht⌡ sympathesirt sehr mit

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/natürlichen Uebeln aber nicht mit idealischen besonders gegen ihr Geschlecht und √Personen_\\_Person⌡ die unter ihnen sind.)

/Sprung

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Das ist ein enger Kopf, der nicht aus der Sphaere seiner Erziehung kommen, und sich in eine andere versetzen kann. Das thierische der Sympathie ist, wenn wir nur das √empfinden_\\_Empfinden⌡, was den √körperlichen_\\_cörperlichen⌡ Schmertz macht. Die Sympathie nach Jdeen
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ist √fürtrefflich_\\_fürchterlich⌡, die Physicalische_\\_physicalische⌡ dient nur dazu├,┤ die idealische zu ersetzen, wer derselben nicht fähig ist. Es beruht nicht auf der Ueberlegung, sondern auf der Thierheit, wenn wir das, so wir nicht sehen, nicht so sympathesiren⌠,⌡ als wenn wir es sehen, oder an der Begebenheit eines Frauenzimmers eher Antheil nehmen⌠,⌡ als an eines andern. Die Erbarmung der

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/Thiere kommt von der Physicalischen_\\_physicalischen⌡ Sympathie. Wir haben nöthig solche Sympathie in unserer Natur zu erhalten, weil sie Mittel sind├,┤ die Grundsätze der Theilnehmung zu stärcken. Die √Ursache«n»_\\_Ursache⌡ unserer Pflichten gegen die Thiere ihnen nicht unrecht zu thun, ist nicht die √unmittelbare_\\_unmittelbahre⌡ Beleidigung derselben, sondern um unsere Sympa
thie
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thie zu schonen und die Menschheit nicht zu beleidigen├,┤ und diese Triebfeder in ihrer Reitzbarkeit zu erhalten.
Auf der andern Seite können wir auch das antipatische Gefühl hier anführen, wenn man Schmertz leidet, da der andere frohlockt, und wenn man Freude empfindet, da der andere Schmertz hat. Dieses Gefühl ist häslich und dem Geizigen eigen.

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/Das sympathetische Gefühl nennt man menschlich, wer daßelbe nicht hat, den nennt man unmenschlich. Wer aber das Gegentheil nemlich ein antipathetisches_\\_antipatisches⌡ Gefühl hat, den nennt man teufelisch. Menschlich nennt man das erste, weil der Mensch Anlage dazu hat, obgleich wenige es haben.
Es liegt doch in der Menschheit zu solcher Anthipathie ein Grund. Zwar
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haben die Menschen kein unmittelbares Wohlgefallen und Vergnügen am bösen, sondern in so ferne es nur ein Mittel ist├,┤ ihre Neigung zu befriedigen, und ihren Vortheil zu befördern. So freut man sich über den Tod seines Freundes, weil man dadurch erbt. Man hat keine unmittelbare Freude an seinem Tod, sondern man würde es gerne sehen, wenn er leben geblieben wäre, und

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/man nur ohne seinen Tod eine solche √Erbschafft_\\_Erbschaft⌡ thun können. Allein wenn wir uns ein unmittelbares Vergnügen und Wohlgefallen über den Schaden des andern concipiren, so ist √das_\\_es⌡ teufelisch⌠. Man nennt es teufelisch⌡ weil √man_\\_<man>⌡ es aus der Menschheit nicht begreifen
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kann, ⌠weil man nicht sehen kann,⌡ wie der Mensch eine Freude daran haben könne├,┤ welches ihm keinen Nutzen, dem andern aber Schaden zuwege bringt. Ueberhaupt nennen wir das was unter die Menschheit geht, in Ansehung des moralischen √Bösen_\\_bösen⌡ teufelisch. Dieses ist also ein Jdeal⌠,⌡ oder ein Maximum des moralischen √Bösen_\\_bösen⌡, so wie wir im Gegentheil dasjenige englisch nennen⌠,⌡ was im moralischen über die Menschheit geht⌠,⌡ welches ein Ideal_\\_Jdeal⌡ oder ⌠ein⌡ Maximum des Moralischen_\\_moralischen⌡ guten ist. Unter den geschaffenen Wesen sind die Engel das Jdeal des

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/√Guten_\\_guten⌡, und die Teufel das Jdeal des √Bösen_\\_bösen⌡. Der Mensch ist in der Mitte der auf keiner Seite extendirt. Dasjenige √böse_\\_Böse⌡ nun, was aus der Menschheit nicht kann begriffen werden, nennt man teufelisch. Zu solchen Eigenschaften gehört
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die Undanckbarkeit gegen seine Wohlthäter und die Schadenfreude. Die Undanckbarkeit gegen seine Wohlthäter ist, wenn man an dem Schaden des Wohlthäters einen unmittelbaren Wohlgefallen hat. Zum Neide oder zur Misgunst liegt in dem Menschen ein Hang. Diese Mis- gunst ist zwischen den √zwey_\\_2⌡ Geschlechtern verschieden. Unter den Männern ist sie nicht so als unter den Weibern. Um eine √neben_\\_Neben⌡ Anmerckung einzustreuen, so sagte ein Fremder. Der Mann ist eifersüchtig, wenn er verliebt ist, und die Frau ist √eifersüchtig_\\_Eifersüchtig⌡ ehe sie verliebt ist. Wenn sie auch keinen Antheil an einem

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/Gegenstande haben will, so ärgert sie sich doch, daß eine andere ihres Geschlechts denselben hat. Allein in der Menschheit liegt schon ein gewißer Hang zur √Mis
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gunst_\\_Mißgunst⌡ zum Grunde, aus welcher hernach die Schadenfreude entsteht. Die Menschen mögen gerne die ├«Schadenfr»┤ Unglücksfälle anderer erzählen, und sind begierig solche zu wißen, welches doch einen Wohlgefallen daran verräth. Sieht man das jemand mit star- cken Schritten zum Ansehen und zur Ehre steigt, und wir erfahren, daß er darinn gefallen ist, so empfinden wir doch keine Gleichgültigkeit, sondern wir äußern ein Wohlgefallen darüber. Welches ist die Ursache hievon? Die menschliche Natur hat rechtmäßige Praetension zur Gleichheit. Jst schon in den Ständen der bürgerlichen Ordnung eine

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/gewiße √Ungleichkeit_\\_Ungleich«k»heit⌡ eingeführt, so wird das ├schon┤ als eine Ord- nung der Natur angesehen, daher wir dieses nicht erwegen, aber bey Personen von gleichem Stande ist jeder √Bemüht_\\_bemüht⌡ die
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Gleichheit zu erhalten. Die Ungleichheit entweder in der Ehre oder Talent_\\_Talent⌡, oder im Reichthum empfindet der andere nicht mit Wohlgefallen, sondern ist besorgt herabgesetzt und unterdrückt zu werden├, dahero verachtet┤ ein Reicher den √armen_\\_Armen⌡, ein √vornehmer_\\_Vornehmer⌡ den Niedrigen, ia es geht noch weiter, der √Große_\\_große⌡ verachtet den Kleinen, der √gesunde_\\_Gesunde⌡ den Krancken⌠,⌡ der Starcke den Schwachen der Gelehrte den Dummen, denn der andere glaubt, daß die Schuld selbst in ihm liege, wenn er nicht so ist wie er. Der Gesunde denckt immer vom Krancken, er ist durch seine Schuld kranck geworden, daher

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/auch Menschen ihren Zustand nicht gerne verrathen. Alle Menschen sind daher aus diesem Grunde √gewaltthätig_\\_Gewalthätig⌡, wenn sie nicht durch die Obrigkeit eingeschränckt werden, welches in den Staaten geschicht,
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wo der Große den kleinen zu überwältigen sucht. Die gute Folge der Antipatie_\\_Antipathie ist: Die Menschen werden dadurch auf dem gantzen Erdboden verbreitet. Hätten sie nur ein Antipathetisches_\\_anthipatetisches⌡ und kein sympatheti- sches_\\_Sympathetisches⌡ Gefühl, so wären sie auf einem Klumpen der Erde. Zur Antipathie so fern sie allgemein und natürlich ist, rechnet man den Neid und Misgunst. Es giebt aber auch eine Antipathie so nicht natürlich ist. So ist zwischen 2 Haabsüchtigen⌠,⌡ zwischen 2 Ehrsüchtigen immer eine Antipathie, denn da ist der eine immer dem

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/andern entgegen, aber ein natürliches fundament der Antipathie ist die Misgunst so in der Menschheit liegt. √Ueberhaupt_\\_Uberhaupt⌡ haben wir Antipathie gegen die Affecten und Leidenschaften anderer, welches aus folgenden allgemeinen An- 
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merckungen zu sehen ist.
Wir sympathesiren zwar mit dem Glück und Unglück anderer, aber nicht mit √der_\\_den⌡ starcken √Bewegung_\\_Bewegungen⌡ des Gemüths an- derer. Wir sympathesiren zwar mit dem Glück des andern, welches er durch eine Erbschaft erhalten, allein wird er dadurch innigst bewegt, und fängt an zu iauchzen, so sehen wir ihn zu verlaßen. Wenn einer in der Lotterie gewonnen hat, und der andere sagt, ich freue mich mehr, als wenn √ichs_\\_ich es⌡ selbst gewonnen hätte, so √frägt_\\_fragt es⌡ √sichs:_\\_sich;⌡ in welchem Verstande ist das wahr?

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/Wir haben zweyerley Art von Freude: ein vernünftiges und sinnli- ches Wohlgefallen. Das vernünftige Wohlgefallen entspringt aus dem Antheil der Vernunft⌠,⌡ und das sinnliche aus dem Urtheil der Sinne. Sehe ich einen elenden Menschen⌠,⌡ der im
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Unglück ist, seine Familie zu Grunde gehen ⌠sieht⌡, so würde ich ihm, wenn √ich_\\_ichs⌡ im Stande wär ein Glück eher als mir zuwenden. Wird er nun durch einen Zufall glücklich, so freue ich mich mehr├,┤ als wenn ich selbst so glücklich gewesen wäre, denn wenn ich es vernünftig überlege├,┤ so ist es mir angenehm, daß hier der Zweck so √passend_\\_paßend⌡ war, indem es dieser √Elende_\\_elende⌡ eher braucht als ich. Die Freude aus dem Privat Leben ist eine sinnliche Freude. Wir gefallen uns selbst bey solcher Freude, die wir über das Glück

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/anderer haben, aber wir gefallen uns nicht über die Freude so wir über unser eigenes Glück haben.
Wir sympathesiren aber nicht mit den Gemüths Bewegungen anderer, ob wir gleich mit ihrem √Schicksal_\\_Schicksall⌡ sympathesiren Z. E. mit der Traurigkeit und
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mit dem Schmertz anderer sympathesiren wir, aber fängt er an zu klagen und in Heulen auszubrechen, so entfernen wir uns von ihm.
Wir sympathesiren nicht mit des √andern_\\_anderen⌡ seinen Leidenschaften├,┤ und √heifigen_\\_heftigen⌡ Gemüths Bewegungen, unsere Sympathie wird alsdenn vielmehr verringert, am wenigsten sympathesiren wir mit dem Zorn eines andern √ja_\\_ia⌡ wir erzürnen uns so gar selbst wieder den, der uns im Zorn etwas erzählt, ├wenn es uns auch nichts angeht,┤ denn

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/die Gemüths Bewegungen entziehen uns dem Zustande der Macht über uns selbst. Nun wollen wir nicht gerne durch andere unsern Gemüths Bewegungen unterworfen seyn, daher leiden wir es nicht, wenn der andere heult und ächzt. Beym Zorn sind wir in Antipathie
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mit dem andern, zwar sympathesiren wir mit seinem Unwillen aber nicht mit seinem Zorn Z. E. es erzählt uns √jemand_\\_iemand⌡ des andern √seinen_\\_seine⌡ schelmischen Streich gegen ihn aber gantz gelaßen, so erzürne ich mich über ihn⌠,⌡ und bin unwillig, daß er noch so gelaßen darüber ist, aber √erzahlt_\\_erzählt⌡ es jemand im Zorn⌠,⌡ so bin ich mit ihm in Antipathie, denn der Zorn ist ge- fährlich für jedermann, ⌠denn⌡ wenn man einmahl im Zorn ist, so ist man im Stande auch über den, der es √erhählt,_\\_erzahlt⌡ √zornig_\\_Zornig⌡ zu werden.

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/Wenn die Sympathie_\\_sympathie ein Affect wird, so ist es eine große Schwäche. √Unserer_\\_Unsere⌡ Sympathie ist ein Spiel, es wird aber Ernst, so bald es zum Affect wird, so bald wir die Sympathie in unserer Gewalt haben, so bald √wir_\\_wird⌡ sie nach belieben kön- nen aufhören laßen, so lange ist sie ein
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Spiel, so bald ich aber nicht Meister über sie bin├,┤ sondern wieder meinen Willen in selbige versetzt werde, so ist sie ein Affect, dahero wir nicht gerne mit den Affecten sympathesiren. Wir können den Menschen, der in der Sympathie_\\_sympathie so zart ist, welches eine Schwäche bey ihm ist, darum lieben, denn wir lieben einen Menschen, so ferne wir eine Schwäche von ihm wahrnehmen. Denn so haben wir Hochachtung gegen ihn√._\\_,⌡ wir lieben ihn also darum, weil er mit den Neigungen Zwecken und Absichten des

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/√andern_\\_anderen⌡ eine Vereinigung hat. Wären wir Wesen, die einen größeren Grad der Vernunft hätten, so brauchten wir keine Sympathie, denn könnten wir auf Grundsätzen des andern sein Wohl oder Unglück einsehen. Die Sympathie
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ist also nur ein √Ergänzungs_\\_Ergäntzungs⌡ Mittel des Mangels an Grundsätzen, in so ferne ist sie auch zugelaßen, wird sie aber zum Affect so streitet sie wieder die Grundsätze Z. E. wenn der Richter ein Unrecht an Personen betrafen soll, und er wird √von_\\_vom⌡ Mitleid so gerührt, daß seine Sympathie zum Affect wird, so setzt √ihn_\\_in⌡ der Affect aus der Faßung der Vernunft. Sympathie macht das Hertz welck. Der Stoiker_\\_Stoicker sagt: ich wünsche mir einen Freund, nicht der mir in der Noth helfe und an meinem

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/Unglück Theil nehme, sondern einen solchen, dem ich helfen, und auf den ich meine Kräfte verwenden kann. Auf der andern Seite sagt er√:_\\_,⌡ siehst du einen Freund im Elende und zu Grunde gerichtet, und kanst ihm nicht helfen, so sieh weg⌠,⌡ und sage: was geht er
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mich an? das heist: so viel, siehst du einen Menschen im Unglück so nimm an seinem Uebel so viel Antheil als du ihm helfen kannst. Kannst du ihm aber gar nicht helfen, steht dies gar nicht in deinen Kräften, so geh √gelaßen_\\_gelassen⌡ weg. Das Heulen, Beweinen √Beklagen,_\\_beklagen⌡ √hilft_\\_hielft⌡ doch √nichts_\\_nicht⌡. Der Weise soll nicht sympathesiren, sondern aus √Grundsätzen_\\_Grund Sätzen⌡ handeln, denn sympathesire ich mit jemanden, so mache ich mein Hertz durch das Klagen welck, und mache das Unglück des an- dern ihm dadurch

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/empfindlicher und unerträglicher. Die Leidenschaften sind entweder wackere Z. E. die Eifersucht⌠,⌡ oder schmachtende Z. E. √idealische_\\_idealische⌡ Liebe. Für schmachtende Leidenschaften muß man sich hüten Z. E. Romanen, man wünschet sie und kann ihnen nicht nachgehen. Einige √Leidenschaften_\\_Eigenschaften⌡ sind grüblend Z. E. ⌠der⌡ Geitz, einige sind belebend, andere verringernd Z. E. Sehnsucht
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hemmt die Thätigkeit. Einige Leidenschaften sind vorübergehend, andere bestehend Z. E. der Zorn ist vorübergehend, dem ist ent- gegen gesetzt der √Has_\\_Haß⌡, der ist bestehend. Traurigkeit ist übergehend, Gram bestehend. Der Zorn geht auf eine einzige Handlung, und sucht sich auf der Stelle zu rächen, der Haß ⌠aber⌡ macht sich gleich eine Regel, sucht sich bey Gelegenheit zu zeigen├,┤ und ist nachtragend.

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/Die übergehende Leidenschaften, wenn sie böse sind, sind eher zu entschuldigen⌠,⌡ als die bestehenden und eingewurtzelte, denn diese thun nach Regeln böse Handlungen, sind die √über- gehenden_\\_übergehende⌡ Leidenschaften gut, so sind sie desto weniger sträflich. So sind einige vom Wohlwollen gegen andere gantz eingenommen, und es √dauert_\\_dauret⌡ nicht lange, so haben sie ihn ⌠wieder⌡ vergeßen. Sie ge- 
⌠Seite 434⌡
fallen allen und so wie sie an fremde √Oerter_\\_Örter⌡ kommen, so haben sie eben so viel gute Freunde, da sie √denn_\\_den⌡ bald die Alten vergeßen. Die übergehenden Leidenschaften sind stürmisch, die bleibenden aber langsam. Die stürmischen richten die Uebel in kurtzer Zeit an, die √eingewurzelten_\\_eingewurtzelten⌡ aber machen mehr Schaden, weil sie sich eine Regel machen.

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/ ≥Generale Bemerckungen über die Leidenschaften und Affecten.

Es giebt einige Leidenschaften, die darum, weil sie Leidenschaften sind⌠,⌡ gutartig sind, und also √<als>_\\_als⌡ Leidenschaften einen √größen_\\_größeren⌡ Grad des Werths haben, als wenn es nur Neigungen wären⌠,⌡ so aus Reflexion oder aus √Grundsatzen_\\_Grundsätzen⌡ entspringen und die Handlung so aus √Leideschaft«en»_\\_Leidenschaft⌡ entspringt, bekommt dadurch einen Werth.
⌠Seite 435⌡
So siehts Z. E. ein Frauenzimmer nicht gerne├,┤ wenn sie von ihrem √Manne_\\_Mann⌡ nur aus Pflicht aus reifer Ueberlegung geliebt wird. Es ist ihr zwar angenehm, daß er für sie als ihr Mann sorgt, und ein wahres Wohlwollen gegen sie bezeugt⌠,⌡ allein sie schätzt├,┤ sich doch unglücklicher, wenn

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/sie der Mann aus Reflexion und nicht aus Leidenschaft liebt, so daß er von ihr nicht laßen kann. Die Ursache ist diese⌠,⌡ die Leidenschaft ist ein Mittel den andern zu regieren. Wer Leidenschaft hat, kann vermittelst derselben von dem auf den sie gerichtet ist, regiert werden, und deswegen hat die Frau, wenn der Mann sie aus Leidenschaft liebt⌠,⌡ Gewalt über ihn√, liebt_\\_. Liebt⌡ aber der Mann nur allein aus Neigung, so daß er nicht verliebt ist, so ist er desto weniger von seiner Frau zu re- 
⌠Seite 436⌡
gieren, denn dadurch, daß er schwach wird, wird seine Frau starck. Eine andere Leidenschaft aber wird dadurch daß sie Leidenschaft ist, ehrwürdig Z. E. wenn die Eltern ihre Kinder aus Leidenschaft lieben, so daß sie alles für sie wagen. Wir haben in uns

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/von Natur eigentlich √3._\\_drey⌡ Triebe. Der eine Trieb geht auf die Erhaltung seiner selbst, der andere auf die Erhaltung seiner Art├,┤ der √3te_\\_dritte⌡ auf die Erhaltung der Gesellschaft. Der letzte Trieb ist nur zufällig, die beyden √erstere_\\_ersteren⌡ sind aber wesentliche Triebe. Aus dem Triebe seine Art zu erhalten, oder aus der Geschlechter Neigung entspringt als eine Folge die Neigung zu den Kindern oder die √Elternliebe_\\_Eltern Liebe⌡. Dieser Trieb liegt in der Natur der Thierheit des Menschen, und natürlich dauert er nur so lange├,┤
⌠Seite 437⌡
als die Kinder ihre Eltern nöthig haben, hernach hört er auf, welches wir an allen Thieren sehen, daß sie nach der Zeit ihre Jungen verlaßen, und sie als fremde betrachten√;_\\_,⌡ es sey denn, wenn dieser Trieb bey den Menschen durch Kunst

/Seite_473

/excolirt ist. Aber auch bey dem Menschen wird dieser Trieb √ie_\\_je⌡ länger je kälter, und die Groß Enckel haben schon ihre El- tern lieber├,┤ als ihre Kinder, überhaupt ziehen die Kinder besonders eine √liebe_\\_Liebe⌡ nach sich, weil sie eine Vorsorge nöthig haben. Also ist die Leidenschaft der Eltern Liebe durch die Natur autorisirt. Allein├,┤ man √konnte_\\_könnte⌡ auch fragen, ob die Kinder Liebe gegen die Eltern auch in der Natur liege? Obgleich uns die Moral sagt⌠,⌡ daß die Kinder den Eltern Liebe und Gehorsam schuldig sind, und so sehr die Ver- 
⌠Seite 438⌡
bindlichkeit der Eltern gegen ihre Kinder dictirt; so hat doch die Natur in ihr Hertz keinen Trieb gelegt. Der Trieb der Eltern gegen ihre Kinder ist weit stärcker, als der Kinder gegen ihre

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/Eltern, denn der Trieb steigt herab und nicht herauf. Man √liebt_\\_lieb⌡ seine Kinder stärcker als seine Eltern. Denn der Trieb, der von der Natur in uns gelegt ist, ist das Geschlecht √fortzupflanzen_\\_fortzupflantzen⌡. Würde nun ein Trieb bey den Kindern seyn ihre Eltern zu lieben, so könnten diese Kinder nicht wieder einen Trieb haben ihre Kinder zu lieben. Dieses ist aber der Zweck der Natur. Die Liebe der Kinder gegen die Eltern ist auch im spätesten Alter mehr eine Liebe der Ueberlegung, der Pflicht, der Danckbarkeit, als ein natürlicher
⌠Seite 439⌡
Trieb. Jn der Natur herrscht die größte Harmonie mit ihren Zwecken⌠, und die Philosophie über die natürlichen Zwecke⌡ ist sehr angenehm. So wird man finden, daß die Tochter nicht eine solche Liebe zur Mutter hat⌠,⌡ als der Sohn, und die Mutter wird

/Seite_475

/auch den Sohn lieber haben als die Tochter, weil sie in ihm ihre künftige Stütze siehet. Die Ursache aber, daß die Tochter ihre Mutter nicht so lieb haben kann ist diese: die Tochter ist nicht die Schöpferin ihres Glücks sondern ihr Mann. Also geht ihr Trieb mehr darauf ihre Art zu versorgen als aus Großmuth andere zu verpflegen, daher man die Mutter der Frau immer ins Haus nehmen kann, aber nicht die Mutter des Mannes, denn die Tochter folgt ihrer Mutter gar nicht⌠,⌡ wenn sie
⌠Seite 440⌡
schon einen Mann hat, aber der Mann folgt noch immer seiner Mutter sehr gerne. Denn weil die Tochter selbst nichts erwerben kann⌠,⌡ sondern damit schaltet├,┤ was ihr Mann erworben hat, so geht sie mehr auf die Erhaltung des Hauses, und das Haus, woraus sie

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/gekommen ist, geht ihr jetzt gar nichts mehr an. Ueberhaupt sind die √Frauenszimmer_\\_Frauens immer⌡ sparsamer, sie nehmen immer gerne was an ohne Unterscheid, und geben nichts mehr weg, als was sie nicht mehr brauchen können Z. E. alte Kleider. Die Ursache ist, weil sie nicht √Uhrheber_\\_Urheber⌡ des Glücks sind, sondern nur vermittelst des Mannes, sie hat sich schon Glück genung gemacht├,┤ wenn sie nur einen rechtschaffenen Mann geheurathet hat. Da sie also selbst nichts erwirbt. Das Erben ist zufällig,
⌠Seite 441⌡
so kann sie auch nicht so freygebig seyn als der Mann, und sie muß auch weit wirthschaftlicher seyn, weil sie so zu sagen fremde Rechnung führt. Würde sie das weggeben⌠,⌡ was ihr Mann erworben hat, so möchte sie nichts haben, weil sie sich selbst nichts erwerben kann. Oft erwerben die Frauens mehr als der Mann, das ist aber nicht mehr natürlich. Dieses

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/√diente_\\_dienet⌡ zur Erläuterung, daß die √Elternliebe_\\_Elterliebe⌡, die eine Folge des Geschlechts Triebes ist⌠,⌡ als eine Leidenschaft ansehnlich sey. Die Liebe zum Leben als eine Leidenschaft ist nicht so ansehnlich als die Liebe aus Leidenschaft zu denen Kindern. Wir sehen lieber, wenn der Mensch eine überlegte Liebe zum Leben hat. √D«¿¿»ie_\\_Die⌡ Ursache, warum die Geschlechter Liebe und die Liebe zu den Kindern eher
⌠Seite 442⌡
als Leidenschaft was ansehnliches hat, als die Liebe zum Leben, wenn sie Leidenschaft ist, ist diese: Weil der Natur mehr daran gelegen ist die Natur zu erhalten als einen einzelnen Menschen an sich, denn die kann immer sterben, wenn er nur seine Art erhalten hat, also ist das Leben eines einzelnen Menschen in Ansehung seines gantzen Geschlechts an und für sich zufällig. Die Leidenschaft in der Geschlechter Liebe stimmt

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/aber mit den Zwecken der Natur überein, dahero wird die Liebe zum Leben als Leidenschaft oft nur gebilligt, als Geschlechter Liebe gereicht sie zur Ehre, aber die Leidenschaft der Elternliebe ist eine Erhöhung. Die unmittelbare Liebe zum Leben stimmt nicht √einmal_\\_einmahl⌡ mit der Vernunft √überein_\\_über ein⌡, denn um
⌠Seite 443⌡
recht elend zu seyn muß man auch leben, also ist das Leben eine Bedingung des Glücks und Unglücks, hat also ohne Bestimmung noch keine Annehmlichkeit, also ist die Liebe zum Leben als Leidenschaft nur √bediengter_\\_bedingter⌡ Weise zu billigen. Der Trieb des Lebens muß ⌠muß aber⌡ aus Ueberlegung kommen, den oft lebt einer sich selbst zur Schande. Wenn einem Menschen durch höhere Hand die Wahl sollte gelaßen werden, ob er lieber in alle Ewigkeit hier leben wollte, aber so daß er

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/├denn┤ auch leben √müste_\\_müßte⌡ und auch allem √Schick- sal_\\_Schicksaal⌡ unterworfen √wäre_\\_ware⌡, und Glück und Unglück zu erwarten hätte, oder ob er so sterben wolle⌠,⌡ wie es jetzt geschicht, so würde ein jeder vor dem
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unabsehlichen Ende zu leben erschrecken√._\\_;⌡ Dies war in so ferne einige Leidenschaften ansehnlich und ehrwürdig sind.
Auf der andern Seite zeigt der Mensch im Affect größere Stärcke, und ist in dem Zustande von mehr Gewicht und Macht, als wenn er im kalten Blute ist. Z. E. im Zorn hat der Mensch immer mehr Nachdruck, und ist auch in einigen Stücken wohlanständig. Solche Affecten haben was angenehmes an sich, wenn man an ihrem Rande ist, so daß man mit dem einen Fuß im Affect ist, aber mit dem √andern_\\_Andern⌡ nicht, so gar in der Traurigkeit, denn die √Grentzscheidung_\\_Grenzscheidung⌡ hat das an sich⌠,⌡

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/daß ich die wechselseitige Empfindung kann spielen laßen, und wenn ich sehe, daß es √auf_\\_aus⌡ der
⌠Seite 445⌡
einen Seite für mich nachtheilig ist, so kann ich √gleich den Fuß_\\_den Fuß gleich⌡ zurückziehen Z. E. in der Tragoedie. Wer √nun_\\_aber⌡ zürnt├,┤ ist am Rande des Affects, wer aber aufgebracht ist, der ist schon im Affect. Wer nicht zürnen kann, kann nur wenig affectuiren. Der Zorn hat also im wackeren Gemüth etwas erhabenes an sich Z. E. im Cato. So scheint es auch in andern Affecten zu seyn, daß sie in diesem Moment d.h. in ihrem Anfange mit den Grundsätzen zusammen stimmen können, und ohne Ueberlegung der Vernunft Nachdruck geben. Jn der Freundschaft muß man es nicht bis zum Affect kommen laßen, denn sonst wird man dadurch von dem andern, gegen den man sie hegt, regiert, und von ihm zuletzt

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/in all sein Unglück mit gezogen├,┤ aber das Moment der Freund- schaft ist gut√,_\\_;⌡ man muß nur immer auf
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der √Grentze_\\_Grenze⌡ seyn, daß man ├«ih¿»┤ immer im Stande ist, sich √zurückzuziehen_\\_zurück zuziehen⌡. Es ist also ein zwischen Zustand zwischen den Affecten und dem kalten Blute. Der Zustand des kalten √Blutes_\\_Bluts⌡ ist der Zustand der Ueberlegung und Erwegung des Gegenstandes durch die Vernunft, denn fehlt aber die- ser kalten Ueberzeugung eine Triebfeder├,┤ die ihr Nachdruck giebt. Diese Triebfeder ist Affect und Leidenschaft, sie muß aber unter der Direction der Vernunft stehen, daß sie im Moment erhalten werde, denn wenn sie einmal loß geht, so kann man sie nicht mehr aufhalten. Dieses nennt man das pathetische, wenn man nur am Rande des Affects ist Z. E.

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/wenn in einer Rede nur ein Moment_\\_Monent des Affects ist, deßen Rede ist pathetisch, wer aber im Affect ist, der kann gar nicht √Reden_\\_reden⌡, ist er wieder im kalten
⌠Seite 447⌡
Blute, so fehlt ihm der Nachdruck, aber im Moment_\\_Moment⌡ des Affects ists pathetisch.
Frage: Ob die Affecten und Leidenschaften gut sind, ob man sie also √befordern_\\_befördern⌡ oder √dämpfen_\\_dampfen⌡ müße√._\\_?⌡ Man muß hier 2 Stücke von einander unterscheiden: √Ob_\\_ob⌡ die Leidenschaften zur großen Ordnung der Natur gehören, oder ob sie zur Ordnung der Regel der Vernunft gehören? Die erste Frage wird beiahet, die andere verneinet. Denn nach der Ordnung der Vernunft ist der Mensch erstlich ein Tier. Die Thierheit ist die Basis. Als Thier lebt er, erhält sich selbst und seine Art, er ist aber

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/auch eine Intelligenz_\\_Intelligentz⌡ oder ein Mensch⌠,⌡ und da bedient er sich der Vernunft nach überlegten Mitteln seinen Zweck zu erreichen. Zur Thierheit gehören nothwendig die Affecten und Leidenschaften. Nach der Ordnung der Natur muß also der Mensch mit Affecten
⌠Seite 448⌡
und Leidenschaften ausgerüstet seyn, der Vernunft sind aber die Affecten und die Leidenschaften entgegen, denn ehe der Mensch zur Vernunft kommt, vertreten die Affecten und Leidenschaften die Stelle der Vernunft, wenn er aber zur Vernunft gekommen ist├,┤ so sollen sie durch dieselbe gebändigt werden. So ist Z. E. der Geitz der Ordnung der Natur √gemäß_\\_gemäs⌡, denn die Natur will haben├,┤ daß das Thier nicht für sich allein sorgen soll, sondern

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/daß es auch├,┤ wenn es stirbt etwas für die Nachkommenschaft zurücklaße, damit es denen leichter werde. Also ist in der Natur ein Hang im Alter zu kargen. Allein die Vernunft gebietet dieser Neigung zu wiederstreiten und nur nach Absicht zu sparen. Also ist etwas nach der Ordnung der Natur in so ferne wir als Thiere re- giert werden, gut, welches aber nicht gut ist, in √soferne_\\_so ferne⌡ wir als Menschen
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durch die Vernunft uns regieren laßen. So ist es mit allen Affecten √und Leidenschaften_\\_<und Leidenschaften⌡ bewandt. Affecten und Leidenschaften sind Mittel in der Thierheit unsere Kräfte anzustrengen, und vertreten die Stelle der Ueberlegung, so ist Z. E. der Zorn eine Vertheidigungs Kraft, ist aber schon die Vernunft da, so giebt sie andere Mittel an

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/die Hand. So ferne also in der Natur etwas hat provisorie liegen müßen, auf den Fall wenn die Vernunft nicht aufgekläret wäre, und der Mensch als ein Thier hätte leben müßen; in so ferne ist es gut und stimmt mit der Ordnung der Natur überein; so bald aber die Vernunft herrscht, so sind wir nicht berechtiget dasjenige├,┤ was bey der Thierheit eine Triebfeder war, auch als eine Triebfeder bey der Vernunft zu gebrauchen, als Menschen leben wir nach
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der Vernunft, demnach sollen wir durch die Maximen der Vernunft die Triebfeder der Thierheit einzuschräncken und keine Neigung ausarten zu laßen, suchen. Die Leidenschaften √gründen_\\_Gründen⌡ sich auf die Gemüths Art der Menschen, und √wählen_\\_wahlen⌡ sich ein Object nach der Beschaffenheit des

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/Gemüths. Die Leidenschaften sind eher als die Objecte derselben, der Mensch hat eher einen Hang zur Ehre├,┤ als er ein Object √der_\\_zur⌡ Ehre hat. Nun ⌠¿⌡ wählt sich der Mensch ein Object zu seinen Leidenschaften nach der Beschaffenheit seines Gemüths. So sind die zornigen sehr ehrbegierig, sie wählen die Ehrbegierde darum, weil ihre Gemüths Art rasch und würcksam ist. Die Ehre ist ein Object in der Jdee, sie reitzt ohne Empfindung, wer Ehre hat, der genießt dadurch nichts. Daher nennt man auch die Ehre einen Wahn, einen Dunst; der aber durch eine Jdee├,┤
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durch einen Dunst wozu bewegt wird, der muß √reizbarer_\\_reitzbarer⌡ seyn als der, der durch etwas sinnliches bewegt wird. Die Choleri- ker haben also

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/mehr Hang zur Ehre, der √phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ aber, der träg ist, der nicht solche Reitzbarkeit hat, der muß was anderes zum Object seiner Leidenschaft haben Z. E. Geitz, Wollust, Fräßigkeit. Also wählt der Mensch zum Object seiner Leidenschaft das, √wozu_\\_wobey⌡ er sich am besten befindet. Enge und eingeschränckte Gemüther sind geitzig, weil ihr Kopf nicht großer Entwürfe fähig ist, die aber deßen fähig sind, gehen mehr auf die Ehre. Selbstsüchtige sind neidisch, denn das Selbstbewustseyn seiner Schwäche macht die Furcht von andern überwogen zu werden, daher entspringt der Neid aus Furcht von andern übertroffen zu werden. Neid und Schadenfreude nennt man Bosheit├.┤ Personen
⌠Seite 452⌡
die selbst keine Freude haben├,┤

/Seite_488

/besitzen Schadenfreude. Wer in sich einen Qvell der Freude findet, der sieht die Freude an jedermann gerne, wer aber selbst keine genießt⌠,⌡ der √ärgert_\\_argert⌡ sich, wenn sie ein anderer hat. Leidet der andere an seiner Freude einen Schaden, √dann_\\_denn⌡ freut sich dieser, so wie ein hypochondrischer Mensch├,┤ der gantz finster den Tag über aussieht, es lieber hat, daß das Wetter √draußen_\\_draussen⌡ eben so finster und trübe ist. Wenn es aber ein heiterer √schoner_\\_schöner⌡ Tag ist, so ärgert er sich, weil er ihn nicht √genießen_\\_genüßen⌡ kann, es ist ebenso, als wenn einer vor ihm stehen├,┤ und lachen sollte, wenn er betrübt ist. So sagt man: der unglückliche ist boshaft, denn weil er an dem Glück des andern keinen Antheil hat, so dient er ihm zur Verspottung und größerer Empfindung seines Unglücks,

/Seite_489

/dahero ist er neidisch und
⌠Seite 453⌡
schadenfroh, folglich zu fürchten. Man pflegt einige Leidenschaften nicht vom Zweck, sondern von den Mitteln zu benennen, unter denen ist der Geitz die √einzige_\\_eintzige⌡ Leidenschaft die gar keinen Zweck, gar keinen Gegenstand hat, sondern nur bloß auf ein Mittel geht. Dahero ist auch der Geitz wiedersinnig, weil er sich selbst wiederspricht. Wer Geld √spart_\\_spaart⌡, um es hernach anzuwenden, um sich √hervorzuthun_\\_hervor zu thun⌡, oder um anderer Zwecke willen, der ist nicht Geitzig, sondern der, welcher ohne allen Zweck spart. Hier kann man philosophische Untersuchungen anstellen, wie der Geitz möglich ist. Niemals hat ein Moralist oder ├ein┤ Prediger einen √Geitzigen_\\_geitzigen⌡ gebeßert, man kann ihm wohl was abdringen⌠,⌡ aber denn ist auch gleich wieder der Geitz da. Hier

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/√hilft_\\_hielft⌡ die Vernunft nichts├,┤ weil er sich selbst wiederstreitet. Der
⌠Seite 454⌡
Werth des Menschen ist aber sehr gering, wenn er nur als ein Mittel dient, der Mensch ist kein Mittel sondern der Zweck, zum Menschen kann man nicht sagen: Warum ist der Mensch da? Denn es ist an und für sich selbst gut, daß ein Mensch sey. Also ist das eine große Erniedrigung⌠,⌡ daß ein Mensch als ein Mittel für an- dere Menschen da sey, obgleich dieses der Zweck der Vorsehung ist, daß der √Geizige_\\_Geitzige⌡ für seine Nachkommen spart, daher der Geitz das unedelste Laster ist. Also müßen die Leidenschaften nicht nach den Mitteln⌠,⌡ sondern nach den Zwecken benannt werden.
Die natürliche Disposition und Hang zu den Leidenschaften muß von denen Ursachen├,┤ von welchen die Leidenschaften erregt

/Seite_491

/wird├,┤ √unterscheiden_\\_unterschieden⌡ werden. Es giebt einige natürliche einige gekün- 
⌠Seite 455⌡
stelte oder wiedernatürliche Ursachen, so die Leidenschaften erregen. So erregt natürlich die Gegenwart eines andern bey den Beleidigungen meiner Ehre bey mir die Leidenschaft des Zorns, ich würde das nicht so aufgenommen haben, wenn keiner ├nicht┤ √zugegen_\\_zu Gegen⌡ gewesen wäre. Zu den wiedernatürlichen Ursachen gehört Z. E. der Trunck. Er macht die Leidenschaften rege, und erhebt die Neigung √der_\\_zur⌡ Leidenschaft. So sind viele im Trunckenen Muthe trotzig, muthig und dreist. So nehmen die ⌠die⌡ Türcken Opium im Kriege, damit sie √muthig_\\_müthig⌡ und kühn werden√,_\\_.⌡ So können auch Leidenschaften der Liebe durch √@¿Filtrium¿@_\\_filtrum rege gemacht werden. So können Medicamente seyn,

/Seite_492

/die einige Leidenschaften rege machen, und auch mäßigen können. So sagt √Bringmann_\\_Bringmann, wer Säure im Magen hat, der ist ein Poltron. Wer weiß also,
⌠Seite 456⌡
wo die Ursache oft liegen mag. So wird ein General, wenn ihn die Nachricht von einer Schlacht im Schlafrock antrift⌠,⌡ sich nicht so rüstig dazu finden, als in seiner völligen Montur. So wundern sich die √hypochondrische_\\_Hypochondrischen⌡ Leute über sich selbst, daß sie solche Einbildungen hatten, wenn die Hypochondrie weg ist. Es giebt also viele Ursachen Leidenschaften zu erregen.
So kann auch ein √Unterschied_\\_Unterscheid⌡ der Leidenschaften in Ansehung des Alters und des Geschlechts gemacht werden. Das Mittel Alter oder das Alter des Mannes ist das Alter der Klugheit, wo man den Werth

/Seite_493

/der Dinge nicht √schatzen_\\_schätzen⌡ kann. Dieses Alter kann man vom 30sten bis ├zum┤ 40sten Jahre annehmen. Man kann gewiß glauben, daß vor dem 40sten Jahre schwerlich ein richtiges Urtheil statt finde. Das Urtheil über den wahren Werth der Dinge, über das schickliche p. findet
sich
⌠Seite 457⌡
weder im hohen noch im iungen Alter. Dennoch mögen sich iunge Leute nicht gerne von den alten Leuten in ihrer Heurath binden laßen. Die Eltern haben schon den Zustand des √Verliebten_\\_verliebten⌡ vergeßen, daher sie gar nicht begreifen können, wie ein Mensch wegen eines schönen Gesichts auf Reichthum Verzicht thut├,┤ und der √junge_\\_iunge⌡ Mensch kann wieder nicht begreifen, wie er das Geld dem √Reiz_\\_Reitz⌡ vorziehen soll. Also muß doch ein Mittel Alter statt finden, wo sich beides

/Seite_494

/vereinigt, wozu noch die iugendliche Empfindung, die aber nicht so gantz verloschen ist⌠,⌡ als im hohen Alter, aber auch nicht so wütend ist als in der Jugend ⌠ist⌡, und denn die Urtheilskraft gehöret, die sich erst mit den Jahren einfindet, wozu also nicht ein großer Grad der Vernunft erfordert wird, denn die kann
⌠Seite 458⌡
ein junger Mensch auch haben, sondern eine reife Erfahrung und Urtheilskraft die man in der Jugend noch nicht hat. Es gibt also ein Mittel Alter, in welchem man den Werth der Dinge recht zu schätzen √weis_\\_weiß⌡. Denn es giebt √Thorheiten_\\_thorheiten⌡ der Jugend, so wie es Narrheiten des Alters giebt. Der Unterschied in Ansehung des Geschlechts ist√;_\\_:⌡ beym weiblichen Geschlecht sind die Affecten weit heftiger, aber sie dringen nicht so weit ein,

/Seite_495

/dahero ein Weib, wenn sie noch so zornig ist, daß sie das gantze Haus umgekehret hat, doch nicht vor Zorn kranck wird. So ist die Traurigkeit bey ihnen sehr heftig, aber sie wird bald ├bey ihnen┤ ausgelöscht. Beym Mann ist der Zorn schon viel todtlicher, und wenn er auch nicht traurig ist, so fühlt er den Schmertz mehr in der Seele. Die Natur hat die Maschiene des Frauenszimmers sehr biegsam eingerichtet, es geschiehet
⌠Seite 459⌡
alles bey ihnen nur bey der Oberfläche. Denn die Heftigkeit der Leidenschaften fordert Stärcke, dahero starcke Personen die Zufälle in einer Kranckheit heftiger empfinden, als die schwachen. Denn wo die √Lebens Kraft_\\_Lebenskraft⌡ schwach ist, da wird auch die unregelmäßige Bewegung nicht

/Seite_496

/mit solcher Kraft geschehen. Schon die Alten sagten: die Weiber verfallen leicht worauf, und sie werden auch bald etwas überdrüßig. Es bemächtiget sich bald ihrer etwas. Finden sie Schwierigkeit den Gegenstand zu erlangen, so werden sie neugieriger und heftiger├,┤ haben sie aber keine Schwierigkeit ihn zu erlangen, so werden sie deßen bald überdrüßig. Es ist eine all- gemeine Meinung, daß ohne große Leidenschaften niemals was großes in der Welt ausgeführet werden kann, daß sie also die Triebfedern der großen Handlungen
⌠Seite 460⌡
sind├,┤ welches diejenigen anführen, so die Leidenschaften vertheidigen, und also haben wollen, daß sie gar nicht unterdrückt werden möchten. Es ist wahr⌠,⌡

/Seite_497

/große Leidenschaften spielen große Rollen in der Welt. Sie machen Revolutionen und einen Bruch durch den alten Wahn und verkehrten Zustand. Allein √obgleich_\\_ob gleich⌡ sie zur Revolution taugen, so dienen sie doch nicht zur Anordnung. Sie müßen also einen über sich haben, der Kalt Blut hat sie zu regieren, oder der ihnen √nachbeßert_\\_nach beßert⌡; sonst können sie ein noch größeres Unglück machen. Wir können √also_\\_<also>⌡ den Leidenschaften an und für sich selbst einen Werth geben, der Mensch hat aber keine Ehre davon, wenn er Leidenschaften hat, denn sie liegen in der Thierheit. Es ist also die Regel der Weisheit und Klugheit die Leidenschaften im Gemüth nicht zu dulden,
⌠Seite 461⌡
sondern das Gemüth wacker zu erhalten, weil sie außer Stand setzen⌠.⌡

/Seite_498

/Ueberlegungen anzustellen, und nach der Vorschrift der Vernunft zum Zweck zu gelangen. Wir können aber dadurch die Wircksamkeit der Vernunft √befordern_\\_befördern⌡, und sie mit ihr verbinden, aber nicht herrschen laßen.
Die Empfindungen des Menschen erfordern Cultur_\\_Cultur⌡ und die Neigungen eine Disciplin. Die Empfindungen sollen verfeinert und die Neigungen gebändiget werden. Deßen Empfindungen keine Cultur bekommen haben, der ist roh, und deßen Empfindungen keine Cultur annehmen, der ist grob, daher Menschen├,┤ die roh sind, √des wegen_\\_deswegen⌡ noch nicht grob sind. Sie sind roh, weil ihre Empfindungen noch keine Cultur bekommen haben. Es √gehöret_\\_gehört⌡ dazu eine feine Empfindung Z. E. die Pflicht der Danckbarkeit zu

/Seite_499

/fühlen, oder das un- 
⌠Seite 462⌡
anständige über seinen Freund zu zürnen zu empfinden├,┤ und die vorige Freundschaft die zuletzt unterbrochen ist dennoch hoch zu halten.
Aus der gar zu großen Verfeinerung der Empfindungen entsteht die Galanterie und der √Ehrenpunct_\\_Ehren Punckt⌡. Point d'honneur. Die √Galanterie_\\_Galanterie ist die ausstudirte √Hoflichkeit_\\_Höflichkeit⌡, nach der man alles bemerckt was einem im mindesten schmeicheln, und was der delicateste Sinn empfinden kann. Jn Ansehung dieser Subtilitaet ist das Frauenzimmer empfindlich, aber der Mann soll √empfindsam_\\_Empfindsam⌡ seyn. Empfindsam ist aber hier die feine Urtheils Kraft in Ansehung des subtilesten Gegenstandes das angenehme beym Frauenzimmer zu empfinden├,┤ und alles unangenehme zu ersparen├,┤ und

/Seite_500

/in den √kleinsten_\\_kleinesten⌡ Eindrücken sehr delicat
⌠Seite 463⌡
zu seyn. Die Empfindlichkeit des Frauenszimmers aber ist: alle diese Delicatesse √wahr zunehmen_\\_wahrzunehmen⌡, und die geringste Unterlaßung der Gefließenheit die delicatesse_\\_Delicatesse √zu beobachten_\\_wahrzunehmen⌡. Die Empfindsamkeit oder die Galanterie stimmt mit der √Grosmuth_\\_Großmuth⌡ eines Mannes wohl √über ein_\\_überein⌡, so wie die Empfindlichkeit des Frauenszimmers mit ihrem Geschlecht wohl übereinkommt. In dem Spiel der Galanterie_\\_Galanterie⌡ ist große Kunst, wozu viel Zeit erfordert wird. Der Ehrenpunckt ist die übermäßige Verfeinerung in Ansehung der Ehre⌠,⌡ die wir einem √andern_\\_Andern⌡ zu erzeigen schuldig sind. Jetzt ist das Point d'honneur mehr mit Eigennutz als mit Ehrbegierde verknüpft.

/Seite_501

/Die Ehrbegierde war in den alten Zeiten sehr mächtig, allein die Subtilitaet war gantz unbekannt d.h. was wir Point d'honneur nennen. Diese
⌠Seite 464⌡
sophisterey_\\_Sophisterey so in subtilen Bemerckungen der Ehre besteht, und Point d'honneur heißt, ist nicht die wahre Ehre├,┤ Z. E. wenn mich der andere nicht auf dem Mittelstein gehen läßt, oder zur rechten Hand, oder durch einen kleinen Ausdruck meine Ehre be- leidiget, dieses alles ist kein Grund der Beleidigung. Diese Delicatesse in Ansehung der Bedingung der Ehre ist chimaerisch├,┤ und die Satisfaction ihrer Beleidigung ist eben so chimaerisch. Oft ist ein √tolpischer_\\_tölpischer⌡ Mensch der sonst auf keine innere √wahre_\\_<wahre>⌡ Ehre hält, aber in den renomistischen Thaten seinen Ruhm sucht, in Ansehung

/Seite_502

/der √Verlezzung_\\_Verletzung⌡ des Points_\\_Point d'honneur sehr delicat, und sucht sich gleich Satisfaction zu verschaffen. Jn- deßen ist doch etwas gegründetes darunter. Es hängen also 2 Stücke⌠,⌡ die Galanterie_\\_Galanterie⌡ und das Point d'honneur zusammen
⌠Seite 465⌡
und sind die zwey Triebfedern, und zwar die Galanterie_\\_Galanterie⌡ unserer Empfindung in Ansehung des Frauenzimmers und das point d'honneur in Ansehung unserer unter einander zu verfeinern. Sie dienen als Mittel eine gewiße Feinheit zu erhalten, und im Umgange √iede_\\_jede⌡ Grobheit auf der Stelle zu bestrafen.
So wie die Cultur_\\_Cultur⌡ auf die Empfindung geht, so geht die Disciplin auf die Neigungen. Deßen Neigungen keine Disciplin bekommen haben, der ist ungezogen, deßen

/Seite_503

/Neigungen ⌠aber⌡ keine Disciplin annehmen, der ist wild√; der_\\_. Der⌡ Mensch muß in Ansehung der √Neigung_\\_Neigungen⌡ gebändigt, so wie in Ansehung der Empfindungen verfeinert werden. Die Sittsamkeit⌠,⌡ so man in der Gesellschaft beobachtet, kommt nicht von selbst und von ohngefehr, sondern es muß viel Zeit
⌠Seite 466⌡
darauf gehen, daß unsere natürliche Wildheit gebändigt werden könnte, bis wir zur Sittsamkeit gelangen.
Jn Ansehung der Handlungen der Menschen, der Neigung und Abweichung zu handeln und zu thun, können wir anführen die Trägheit und Nachläßigkeit. Die Trägheit ist der √Lebhaftigkeit_\\_lebhaftigkeit⌡ entgegen gesetzt, und die √Nachlaßigkeit_\\_Nachläßigkeit⌡ der Emsigkeit. Ein lebhafter kann auch √nachlaßig_\\_nachläßig⌡ seyn├,┤ aber

/Seite_504

/nicht träge.
Wir nennen einige Menschen in Ansehung gewißer Handlungen leichtsinnig. Dieser Leichtsinn ist entweder Unbedachtsamkeit oder Unbesonnenheit. Die Unbedachtsamkeit ist, wenn der Leichtsinn sich in Ansehung der √Entschlüßung_\\_Entschließung⌡ und Ueberlegung des √Verstündes_\\_Verstandes⌡ äußert. Unbesonnenheit aber ist, wenn √mann_\\_man⌡ in Ansehung seiner Handlungen nicht einmahl seine
⌠Seite 467⌡
Sinnen braucht Z. E. wenn man wo läuft und gar nicht hinsieht, daß man fallen kann. Die √F«¿»latterhaftigkeit_\\_Flatterhaftigkeit⌡ ist ein Leichtsinn in Ansehung der Empfindung. Flatterhafte Personen bringt man so weit, daß sie Trähnen vergießen, aber es dauret nicht lange⌠,⌡ so haben sie es vergeßen.
Alle dem ist entgegen gesetzt die

/Seite_505

/Standhaftigkeit, die darinn besteht, daß man von seinem Vorsatz nicht abweicht, und auf seiner Entschließung fest beharret. Es ist nöthig Festigkeit in seinen √Entschießungen_\\_Entschlüßungen⌡ zu ha- ben, und nicht von seinem Vorsatz ├abzugehen, und lieber den Nachtheil erdulden, als den Vorsatz┤ fahren laßen. Alsdenn weiß der Mensch gewiß, daß er sich was vornimmt. Wer aber darinn nicht standhaft ist, der faßt oft einen Vorsatz, von dem er gewiß weiß, daß nichts daraus wird, weil er √wei«¿»ß_\\_weiß⌡, daß er ⌠schon⌡ oft Vorsätze gebrochen hat. Als denn ist der Mensch ein Windbeutel in seinen Au- 
⌠Seite 468⌡
gen⌠,⌡ er traut sich selbst nichts mehr zu, daraus entspringt die Hofnungslosigkeit. Das ist ein trostloser Zustand, wenn man seine Hofnung immer √Aufschiebt_\\_aufschiebt⌡. So gehts mit den späten

/Seite_506

/Bekehrungen. So gehts mit √anderen_\\_andern⌡ Sachen, die man sich abgewöhnen will Z. E. das späte Schlafen, denn heißt es immer├,┤ nur noch dieses einzige mahl├,┤ aber denn nicht mehr⌠,⌡ und so Philosophirt_\\_philosophirt⌡ man sich wieder von seinem Vornehmen loß. Jn solchem Zustande hat man niemals Hofnung sich zu beßern; dies ist ein wichtiger √Punckt_\\_Punct in der √Moral_\\_Moral. Man muß dahero sich selbst eben so püncktlich das Wort zu halten suchen, als andern. Daraus entspringt ein festes Zutrauen zu uns selbst. Wer sich so einzurichten weiß, daß er mit sich selbst zufrieden seyn kann, der ist √standhaft_\\_Standhaft⌡.
⌠Seite 469⌡

Pars II. Antropologiae

Nachdem wir in dem allgemeinen Theil den Menschen nach seinen Seelenkräften und Vermögen kennen gelernt haben,

/Seite_507

/so müßen wir nun im √besonderen_\\_besondern⌡ Theil die Kenntnis des Menschen anzuwenden suchen, und von derselben Gebrauch machen. Wir betrachten also hier die menschlichen Bestimmungen in √verknüpfung_\\_Verknüpfung⌡, und erwegen den Begrif, √den_\\_denn⌡ man sich vom Menschen macht, oder das unterscheidende der Menschen in Ansehung anderer. Hier können wir ihn in Ansehung seines ├Cörpers und in Ansehung seines┤ Gemüths betrachten. Jn Ansehung seines Cörpers √können_\\_konnen⌡ wir sehen auf die Figur und Gestalt des Cörpers, welches wir aber hier bey Seite setzen, besonders aber können wir hier beym √Körper_\\_Cörper⌡ erwegen die Constitution, Complexion und ⌠das⌡ Temperament.
⌠Seite 470⌡
Was die Constitution anbetrift, so ist dies die Beschaffenheit der festen Theile, das

/Seite_508

/Bauwerck, die Constitution des Cörpers, die Complexion aber betrift die Mixtur der √flüßigen_\\_fließigen⌡ Theile. Das Temperament betrift das Prin«p»cipium_\\_Principium des Lebens, so ferne es eine Verbindung √sowohl_\\_so wohl⌡ der Constitution als Complexion ist, sowohl in Ansehung der flüßigen als festen Theile, so ferne sie mechanische Kräfte ausmachen. Das Principium des Lebens in Ansehung des Cörpers sind die Nerwen, Muskeln und Fasern. Was die Constitution √an«¿»betrift,_\\_anbetrift⌡ so ist der Mensch entweder von starcker oder von schwacher Constitution. Die Constitution beruht nicht auf die Größe, sondern auf die Festigkeit der Nerven und Fasern. Die Complexion bedeutet mehr die Mischung der flüßigen Theile im Cörper. Wenn ich also nach dem

/Seite_509

/Principio des Lebens frage, so
⌠Seite 471⌡
finde ich es in den festen und flüßigen Theilen. Die Möglichkeit ein belebtes Wesen zu seyn ist die erste Condition├,┤ die Triebfe- der muß in den festen Theilen gesucht werden. Keine innere Bewegung der festen Theile ist möglich ohne Trennung⌠,⌡ aber bey den flüßigen Theilen ist eine Bewegung ohne Trennung möglich. Also sind die flüßigen Theile, ob sie gleich ihre Stelle √verandern_\\_verändern⌡, im Zusammenhange. Das Vehiculum aber, die erste bewegende Kraft der festen Theile oder vielmehr das Werckzeug der Lebensbewegung kann nur das flüßige seyn. Die Medici wißen noch nicht, ob die Kranckheiten in den flüßigen oder festen ├«Kranck-»┤ Theilen zu setzen oder zu suchen sind. Das Temperament ist das vereinigte principium_\\_Principium

/Seite_510

/des Lebens aus der Constitution und Complexion; hier wird das Temperament im √physischen_\\_phisischen⌡ Verstande genommen, und nicht im psycho- 
⌠Seite 472⌡
logischen├,┤ wo das Gemüth gar nicht Reflexion kommt. Das Temperament ist verschieden├,┤ in Ansehung der festen ⌠Theile, und auch verschieden in Ansehung der flüßigen⌡ Theile Z. E. wenn die Muskeln weich und biegsam sind, und die Nerwen Leichtigkeit der Bewegung haben, so √konnte_\\_könnte⌡ ein solcher sangvinisch heißen. Also bloß aus der Bewegung und aus der √Strucktur_\\_Structur der Theile, so man schon durchs Gefühl wahrnehmen kann├,┤ √konnte_\\_könntr⌡ man etwas aufs Temperament schließen. So schließen die √Aerzte_\\_Aertzte⌡ aus dem flüßigen Z. E. aus dem Blut aufs Temperament.
Wir theilen bey dem Menschen alles

/Seite_511

/ein in Natur und Freiheit. Zur Natur rechnen wir Naturell├,┤ Talent und Temperament├,┤ zur Freiheit aber Gemüth, Hertz und Charackter. Wegen der Natur kann mir etwas am Menschen misfallen├,┤ aber ich kanns ihm nicht zur Schuld anrechnen.
⌠Seite 473⌡
Wenn in Ansehung der Natur alles gut ist, denn nennen wir es glücklich. Was in Ansehung der Freiheit √misfällt,_\\_mißfällt⌡ das wird dem Menschen zur Schuld angerechnet. Wenn in Ansehung der Freiheit alles gut ist, √dann_\\_denn⌡ nennt man es die Gutartigkeit. Obgleich das Gemüth und das Hertz nicht so auf der Freiheit beruht, als der Charackter der Menschen, wir aber auch nicht wißen, wie viel in Ansehung ihrer Bonitaet auf die Natur des Menschen, und auf die Freiheit zu rechnen sey, so sehen

/Seite_512

/wir alles an, als wenn es der Freiheit ⌠beyzumeßen sey und bil- ligen oder misbilligen es. Was zur Freiheit⌡ gehört, das gehört unmittelbar zur innern Bonitaet des Menschen, √und_\\_«ist»<und>⌡ ist an sich gut oder böse. Was aber zur Natur gehört├,┤ √gefallt_\\_gefällt⌡ nicht unmittelbar⌠,⌡ sondern als ein Instrument, das noch ├«da»┤ wozu kann
⌠Seite 474⌡
√angewendet_\\_angewandt⌡ werden.
Jn Ansehung des Gemüths können wir die Principia der Thätigkeit eintheilen⌠,⌡ in das √Naturel_\\_Naturell⌡, Talent, und Temperament. Das Naturell ist die Fähigkeit der Receptivitaet gewiße Gegenstände zu empfangen. Naturell gehört also zur Fähigkeit. Talent ist √ein_\\_1.⌡ Vermögen Producte hervorzubringen, es gehört also zur Kraft. Temperament ist die Vereinigung von beyden. Jn Ansehung des Naturells nennt man einen Menschen langsam,

/Seite_513

/gelehrig, gelind, in Ansehung des Naturells *1 wird beym Lehrling erfordert, Talent aber beym Lehrer. Ein Jüngling muß Naturell haben, Producte anzunehmen, aber ein Mann muß Talent haben, selbst formen, um Producte hervorzubringen. So hat man ein Naturell zur Music├,┤ zu Gedächtnis Sachen, zu √Witzes_\\_witzes⌡ Sachen. Die-
am Rand ab Z. 14
~*1 ist er Passiv_\\_passiv. Naturell~
⌠Seite 475⌡
ses Naturell kann √stattfinden_\\_statt finden⌡ ohne Talent√,_\\_;⌡ so giebts Nationen, die nur fähige Schüler sind, ohne selbst was hervorzubringen. Was das Talent anbetrift├,┤ so giebt es Z. E. ein Talent der Erkenntnis zur Beobachtung zur genauen und feinen Wahrnehmung, ferner ein Talent des Muthes, des gegenwärtigen Geistes, ein Talent der Entschließung, des behenden Begrifs. So haben

/Seite_514

/viele einen großen Verstand, aber keinen behenden Begrif. So giebts auch ein Talent der behenden Resolution, solche Personen sind entschloßen. Dieses Talent ist ein Talent der Dreistigkeit, nach welchem man die Urtheile anderer gar nicht scheut, aber in Ansehung derselben sehr empfindsam ist, welches ein √ieder_\\_jeder⌡ ehrliebende seyn muß, aber nicht empfindlich, denn der ist in Ansehung der
⌠Seite 476⌡
Urtheile anderer schüchtern. Es giebt also allerley Talente, die auch die Bedingung unserer thätigen Kräfte sind. So giebts beym Redner viele Talente Z. E. die Naivitaet_\\_Naivitaet,⌡ wo man √Gedanckenvoll_\\_gedanckenvoll,⌡ √Gefühlvoll_\\_gefühlvoll⌡ auch √Geschmackvoll_\\_geschmackvoll⌡ seyn kann, nach der Einfalt der Natur ohne Kunst. Wenn die Natur als Kunst erscheint├,┤ so werden wir jederzeit frappirt, und

/Seite_515

/vergnügen uns daran, aber wenns umgekehrt ist, daß die Kunst als Natur erscheint, so gefält es noch mehr. Daher solche Gedancken und Reden├,┤ die doch Kunst sind, aber so erscheinen, als wenn sie natürlich von selbst gefloßen wären, sehr vergnügen. Dieses Talent ist zwar natürlich, es kann sich keiner geben, aber es muß auch sehr cultivirt werden. Voltaire ist hierinn Meister, welches auch sein einziger Werth
⌠Seite 477⌡
ist. Sein spottender Witz kommt so einfältig hervorgerollt⌠,⌡ als wenn er gar nicht daran gedacht hat. Das Temperament beruht auf der √Vereinbarung_\\_Vereinbahrung⌡ des Naturells und der Talente, auf dem pracktischen Vermögen und der Triebfeder des Gemüths in Ansehung des Naturells und Talents. Das Temperament ist freilich nur der sinnliche Gebrauch

/Seite_516

/der Vermögen und Fähigkeiten des Gemüths. Das Temperament kann in Ansehung des Gemüths und √Talents_\\_Talents sehr unterschieden seyn Z. E. wer seinem Naturell nach empfindlich ist, seinem Talent nach aber Stärcke und Unerschrockenheit besitzet, der ist √Cholerisch_\\_cholerisch⌡. Wer aber dem Naturell nach in Ansehung der Uebel des Lebens empfindlich ist, wer starcke Eindrücke von den √Uebeln_\\_Ueblen⌡ des Lebens √bekommt_\\_bekommet⌡, und
⌠Seite 478⌡
√von_\\_vo«n»m⌡ √schwermüthigen_\\_schwermüthigem⌡ Naturell ist, aber dem Talent nach keine Hofnung hat, keinen Muth faßt, der ist melancholisch⌠,⌡ er wird durch die Uebel des Lebens √gekränckt_\\_gekranckt⌡, da der √Cholerische_\\_cholerische⌡ aufgebracht wird. Der √Cholerische_\\_cholerische⌡ ist aber in Ansehung der Uebel durchtrieben und kann sich mit paradisischen Hofnungen abspeisen, er hat

/Seite_517

/das Talent nach seinem Vergnügen sehr √willkührliche_\\_willkührlich⌡ Einbildungen zu machen, es geht also eine Illusion bey ihm vor, er betrügt sich selbst. Also macht das Naturell √durch_\\_und⌡ das Talent die Temperatur. Vom Temperament muß die Disposition des Gemüths unterschieden werden. Das Tem- perament ├«muß»┤ bleibt immer, die Disposition kann man sich durch einen habitum in Ansehung der Gefühle und Neigungen √angewöhnen_\\_angewohnen⌡. Der Mensch der oft √Wie- 
⌠Seite 479⌡
derwartigkeiten_\\_Wiederwärtigkeiten⌡ ausstehen muste, der bekommt zuletzt eine misantrophische_\\_misantrophische⌡ Disposition. Wer sich zur Freundlichkeit zwingt, deßen Hertz wird hernach aufgeheitert, und wird hernach in der That √fröhlich_\\_frohlich⌡. Das eigenthümliche der Disposition ist die

/Seite_518

/Laune, wo man alles nach seinem Kopf beurtheilt. Nach der Laune ist √ein Lasterhafter_\\_der Lasterhafte⌡ ein Narr, und die √Unglücklichen_\\_unglücklichen⌡ den Kindern gleich, die über ihr weggenommenes Spielzeug weinen.
Jndem wir vom Naturell, Talent und Temperament geredet, so haben wir den Qvell der Gefühle und Neigungen der Menschen, und das Principium des Lebens erwogen. Jetzt wollen wir das Principium der Thätigkeit erwegen, diese Gefühle und Neigungen zu gebrauchen, also das practische beym Menschen. Jn
⌠Seite 480⌡
dieser Absicht unterscheiden wir das Hertz, Gemüth und Charackter. Zum guten Gemüth wird nicht viel erfordert, das gute Gemüth ist nur eine Biegsamkeit, die dem andern keinen Wiederstand leistet,

/Seite_519

/was gegen andere leidend ist, und ihnen keine Hinderniße macht. Es hat das gute Gemüth an sich keinen Werth, sondern es ist nur eine Gelengsamkeit in Ansehung anderer. Zum guten Gemüth wird kein Talent oder gute Gesinnung erfordert, sondern nur eine Geschwindigkeit sich √ieder_\\_jeder⌡ Form zu beqvemen. Dieses kann man thun, man mag gute oder √böse_\\_bose⌡ Gesinnungen haben. Es ist das kleinste, wenn ich von einem Menschen sage: er hat ein gutes Gemüth. Das Gemüth ist nur was negatives⌠,⌡ durchs gute Gemüth wird noch nichts gethan, sondern ich bin nur
⌠Seite 481⌡
dem andern nicht im Wege. Alle √DumKöpfe_\\_DummKöpfe⌡ haben ein gutes Gemüth, sie sind Instrumente_\\_Instrumente⌡ anderer. Ein gutes Gemüth ist ⌠also⌡ nur √duldenswerth_\\_duldens werth⌡. Zum guten

/Seite_520

/Hertzen wird schon mehr erfordert. Das Hertz ist das im practischen_\\_pracktischen⌡, was nach guten Trieben ein principium_\\_Principium der Thätigkeit ist. Hier ist man nicht mehr bloß leidend, sondern man muß thätig seyn. Guthertzig ist man, wenn man durch Instincte was gutes thut. Die Guthertzigkeit ist also eine Gutartigkeit aus Instincten. Die Gutartigkeit des Willens aus Grundsätzen ist Charackter. Wo nun böse Grundsätze sind, da ist ein böser Charackter. Wer √guthertzig_\\_Guthertzig⌡ ist, bey dem kann man auch einen guten Charackter bilden. Wer nicht √guthertzig_\\_Guthertzig⌡ ist, da folgt noch
⌠Seite 482⌡
nicht├,┤ daß er ein böses Hertz habe. Alles Mitleiden, alles √Theilnehmende_\\_theilnehmende⌡ Vergnügen, alles Wohlwollen aus Instinct gehört zur Guthertzigkeit. Guthertzige Leute sind selten püncktliche

/Seite_521

/Beobachter ihrer schuldigen Pflichten. Sie werden Geld lehnen, und es einem andern, der ihr Hertz wehmüthig rühren kann, schen- cken. Sie werden durch die √Süßigkeit_\\_Süssigkeit⌡ guter Handlungen berauscht und vergeßen die schuldigen Pflichten. Es geht bey ihnen eine große illusion_\\_Illusion vor. Die Handlungen, so sie aus Guthertzigkeit ausüben, schätzen sie als ein Verdienst, wenn sie aber Handlungen der Schuldigkeit ausüben sollen, so können sie darinn kein Verdienst legen. Daher geschichts⌠,⌡ √daß_\\_das⌡ die Menschen bey den Wallungen der
⌠Seite 483⌡
Guthertzigkeit die schuldigen Pflichten vergeßen, und den vorigen √Dienst_\\_Verdienst⌡ beylegen. Bey solchen Menschen ist man in Ansehung der schuldigen Pflichten nicht sicher, sie haßen die schuldige Pflicht, und wollen

/Seite_522

/lieber alles von selbst aus Guthertzigkeit und aus Wohlwollen thun. Wer bey einem solchen Guthertzigen eine Schuld zu fordern hat, der kann sie mit allem Recht fordern. Dies ist aber nicht für den Guthertzigen, √weil_\\_will⌡ er sie erlangen, so muß er wehmüthig darum bitten├,┤ und sein Hertz bewegen, welches er zwar nicht nöthig hat, allein alsdenn verlangt er es, denn alsdenn denckt der Guthertzige ihm einen Gefallen erzeigt zu haben, wenn er aber nur die Schuld bezahlt, so hat er mich obligirt√, denn_\\_. Denn⌡ jede
⌠Seite 484⌡
Gefälligkeit und Wohlthat obligirt den andern. Guthertzige werden oft durch die elende Figur des Bettlers bewogen Wohlthaten zu √erzeigen_\\_erzeugen⌡, im andern Fall ⌠aber,⌡ wo die Armuth √größer_\\_großer⌡ ist,

/Seite_523

/als beym Bettler, wo sie nur nicht so in die Augen fällt, da wird die Guthertzigkeit nicht so bewegt. Unsere Guthertzigkeit äußert sich besonders gegen iunge schöne Frauenzimmer, ja daß √sogar derjenige_\\_derjenige so gar⌡ ein Barbar genannt wird, der sich nicht durch sie bewegen läßet. Warum äußert sich nicht die Guthertzigkeit ⌠eben so⌡ gegen ein altes Weib? Weil es eine Di- rection des Willens aus Instinct├,┤ und nicht aus Grundsätzen ist. Die Guthertzigkeit ist √liebenswerth_\\_liebens werth⌡. Der Guthertzige ist ein Spiel der Eindrücke├,┤ die in ihm das Wohl- wollen erwecken. Es wird √also_\\_allso⌡ bey ihm
⌠Seite 485⌡
darauf ankommen, wie sein Hertz bewegt wird. Beym Menschen⌠,⌡ wo nichts mehr positives ist, als ein gutes Hertz, der ist gut oder böse,

/Seite_524

/nachdem ihn die √Umstande_\\_Umstände⌡ afficiren_\\_affiziren⌡. Er wird aus Guthertzigkeit auch böses begehen, er wird einem Geitzigen, der eine Forderung √am_\\_an einem⌡ andern hat, sein Recht absprechen; wenn ihn der andere beßer bewegen kann, und obgleich dieser ein Geitzhals ist, so ist seine Forderung doch √Gerecht_\\_gerecht⌡. Die Guthertzigkeit ist ohne Regel√,_\\_.⌡ √die_\\_Die⌡ Guthertzigkeit kann ihrer Seits allein geübt werden, indem man das Gemüth durch Eindrücke zu bewegen sucht. Allein es ist nicht gut, daß der Mensch allein durchs Hertz regiert wird. Diese Guthertzigkeit muß unter einer √Regel_\\_Regell⌡ stehen, so daß der Charackter mit gebildet wird, denn sonst überwiegt die Guthertzigkeit den Charackter,
⌠Seite 486⌡
und den folgt der Mensch seinem Instinct und seinen

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/sinnlichen Antrieben, aber nicht seinen Grundsätzen. Gellerts_\\_Gellerts⌡ Moral lehrt alles gute aus Guthertzigkeit und nicht aus Grundsätzen thun.
Der Charackter ist der Gebrauch unserer Willkühr nach Regeln und √Grundsatzen_\\_Grundsätzen,⌡ zu handeln. Der Charackter ist schätzens und √achtungs Werth_\\_achtungswerth⌡. Man liebt einen Mann von gutem Charackter nicht so, man sucht nicht seine Gesellschaft, aber man schätzt ihn. Wenn bey Menschen keine Einförmigkeit der Handlungen nach Regeln ist, denn mag immer Guthertzigkeit seyn├,┤ so ist doch kein Charackter. Menschen von denen ieder einen Charackter hat├,┤ können unter einander nicht in einem Charackter zusammen stimmen, und einen allgemeinen Charackter zusammen brin- 
⌠Seite 487⌡
gen. So hat

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/ein jeder √Engeländer_\\_Engelländer⌡ einen eigenen Charackter, deswegen hat die gantze Nation keinen Charackter, und die fran- zösische Nation hat einen allgemeinen Charackter, √<weil>_\\_weil⌡ kein Franzose seinen eigenen hat.
Der Charackter macht den Werth eines Menschen an und für sich selbst aus, und ist das Principium der freien Handlungen aus Grundsätzen. Es giebt Menschen⌠,⌡ die einen guten⌠,⌡ einen bösen⌠,⌡ auch gar keinen Charackter haben. Es giebt keinen Menschen der nicht ein gutes oder böses Hertz haben sollte, aber es giebt Menschen, die gar keinen Charackter haben. Also muß bey einem Menschen, ehe noch ein guter oder böser Charackter gebildet wird, ein Charackter überhaupt

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/gebildet werden, damit er erst generaliter einen Charackter habe├.┤ d.h. er
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muß erst angewöhnt werden nach Grundsätzen zu √handeln_\\_handlen⌡. √Diejenigen,_\\_Diejenige⌡ die gar keinen Charackter haben, nehmen einen Schein √von_\\_vom⌡ Charackter an, sie √erkünst«l»eln_\\_erkünsteln⌡ sich Regeln und Grundsätze, und ahmen was √charackteristisches_\\_Charackterisches⌡ nach, weil sie an sich keinen Charackter haben. Solche Menschen machen sich allgemeine Regeln Z. E. keinem was zu lehnen, oder keinem was glauben⌠,⌡ der ihnen etwas verspricht. Solche Menschen haben keinen bösen Charackter, sie haben nur keine Grundsätze, weil sie durch ihr gutes Hertz oft betrogen sind, und sich auf daßelbe gar nicht √verlaßen_\\_verlassen⌡ können, und weil es ihnen auch am Verstande und Urtheils Kraft fehlt selbst die

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/Regel einzusehen ohne sie auf einen ieden √besondern_\\_besonderen⌡ Fall anwenden zu können, so machen sie sich eine √allgemeine_\\_Allgemeine⌡ Regel. Ein Charack- 
⌠Seite 489⌡
ter überhaupt⌠,⌡ er mag gut oder böse seyn ist ein Charackter. √Man_\\_Mann⌡ muß einen Charackter überhaupt haben, er mag gut oder böse seyn d.h. man muß nach Grundsätzen handeln. Jst es beßer einen bösen Charackter zu haben als gar keinen? Der Mensch ohne allen Charackter ist nicht hassenswerth, aber er verdient Verachtung, daher ist es beßer einen bösen Charackter zu haben als gar keinen. Denn wer einen Charackter hat, er mag böse oder gut seyn, der zeigt doch schon eine Stärcke der Seele an, daß man fä- hig ist nach Grundsätzen zu handeln⌠,⌡ und wenn der Charackter auch böse ist,

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/so kann er doch durch Grundsätze verbeßert werden. Wer aber ⌠gar⌡ keinen Charackter hat, ist gar nicht einstimmig mit sich selbst, heute giebt er allen was, er ist sehr freygebig, morgen aber √wir_\\_wird⌡ er sehr karg und geitzig, weil er
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sieht⌠;⌡ daß er zu kurtz kommt, wenn er es alle Tage so macht. Daher faßt er geschwind eine andere Regel, und ist also bey ihm nichts zuverläßiges. Solche Personen sind wie √zahes_\\_zähes⌡ Wachs├,┤ iedem Augenblick faßen sie eine andere Regel. Zum bösen sind sie sehr langsam aber nicht zum guten, denn dazu werden schon Grundsätze erfordert. Beim weiblichen Geschlecht sieht man, daß es ihrer Natur schon nicht so angemeßen ist einen Charackter überhaupt zu haben. Das männliche ist aber mehr zum Grundsatz berufen, obgleich

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/viele gleichfalls keinen Charackter haben, so ist doch der Charackter ihrer Natur √angemeßen_\\_angemeßener⌡. Beym Frauenszimmer herrschen doch auch √Grundsatze_\\_Grundsätze,⌡ und √zwar_\\_<zwar>⌡ √Grundsatze_\\_Grundsätze⌡ der Ehre. Jn Ansehung der freygebigen Handlungen sind sie guthertzig, aber sie √konnen_\\_können⌡ nichts aus Grundsatzen thun, weil sie nichts erwerben, sondern der Mann, daher müßen
⌠Seite 491⌡
sie hierinn langsam seyn. Der Charackter der Ehrliebe aber vertritt bey ihnen die Stelle der Tugenden, daher muß in der Erziehung in der Tugend alles auf diesen Grundsatz gebauet werden. Wenn ich sage: Das Frauenzimmer hat Ehre oder ist √ehrliebig_\\_Ehrliebig⌡, so ist das schon sehr viel. Der Charackter macht also die √Guthertzigkeit_\\_Gutartigkeit⌡ des Subjects aus, und der Charackter ist auch dem Menschen eigenthümlich

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/zuzumeßen, dieses betrift gantz und gar meine √Freiheit_\\_Freyheit⌡. Obgleich des Gemüth und das Hertz auch zur Freiheit gehören, so liegt doch auch schon zum Theil in Ansehung ihrer der Grund in der Natur, aber der Charackter ist dem Menschen eigenthümlich zuzuschreiben. Das Gemüth und Hertz ist angebohren⌠,⌡ aber der Charackter ist nicht angebohren, sondern muß erworben werden√. Denn_\\_, denn⌡ weil die Gutartigkeit ├des Hertzens die Gutartigkeit┤ der Triebe und Neigungen ist, die Gutartigkeit des Charackters aber auf
⌠Seite 492⌡
der Gutartigkeit der Gesinnungen├,┤ beruht, die Neigungen und Triebe aber angebohren sind, aber nicht die Maximen Grundsätze und Gesinnungen√:_\\_,⌡ so folgt, daß der Charackter muß erworben werden, das Gemüth und Hertz aber

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/angebohren ist. √Beim_\\_Beym⌡ Charackter kommt der Verstand zur Hülfe, er gründet sich aber doch aufs gute Gemüth und Hertz. Dem guten Gemüth eignet man die Ehrlichkeit zu, dem guten Hertzen aber muß man die Wohlthätigkeit beymeßen, dem Charackter ⌠aber⌡ kommt die Rechtschaffenheit zu. Man pflegt zu sagen: Wer ehrlich ist, der ist auch dumm, ein guter Mann wäre der├,┤ der einfältig ist. Die Ehrlichkeit kann zwar mit der Simplicitaet_\\_simplicitaet übereinstimmen, bey der √Dummheit_\\_Dumheit⌡ aber kann sich die Ehrlichkeit immer finden, allein √das_\\_daß⌡ folgt noch nicht, daß derjenige, der dumm ist, auch allemal √ehrlich_\\_Ehrlich⌡ sey, und umgekehrt. Die Ehrlichkeit stimmt des
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wegen mit der Dummheit überein, weil die Ehrlichkeit den geraden Weg gehet, den geraden Weg zu gehen aber sehr leicht und kommod ist. Die

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/Schelmerey erfordert mehr Schlauigkeit und Speculation_\\_speculation den krummen Weg zu gehen, denn wenn ich um etwas gefragt werde, und ich bin ein solcher guter ehrlicher Kerl, so sage ich die reine Wahrheit heraus, so wie sie ist, und bemühe mich nicht mehr darauf zu dencken, sondern die Sache⌠,⌡ √wo_\\_wie⌡ sie gewesen ist, zu erzählen, und damit komme ich auch am besten fort├,┤ und brauche keine Verantwortung, wer aber schon lügen will, der muß gut nachdencken und sich anstrengen, so zu lügen, daß seine Lüge mit allen Umständen übereinstimmt, damit er nicht in Verlegenheit gerathe, folglich gehört dazu mehr Schlauigkeit, als zur Ehrlichkeit. Es ist demnach √nicht gut die Ehrlichkeit und Dummheit zusammen zu paaren_\\_die Ehrlichkeit und Dummheit zusammen zu paaren nicht gut⌡, denn sonst

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/wird einer, um nicht
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dumm zu seyn, den Schelm agiren. Die Rechtschaffenheit kann aber gar nicht statt finden bey der Dummheit, die erfordert schon Vernunft√;_\\_,⌡ denn der √rechtschaffene_\\_Rechtschaffene⌡ handelt nach Grundsätzen, Grundsätze √können aber_\\_aber können⌡ nur gefaßt werden, so ferne man ⌠fähig ist Grundsätze einzusehen, und so ferne man⌡ fähig ist Achtung für das Recht anderer Menschen zu haben, dazu wird aber Vernunft erfordert. Ein Mann von rechtschaffenem Charackter hat nicht bloß Vermögen nach Grundsätzen zu √handeln_\\_handlen⌡, denn das Vermögen √lie«¿»gt_\\_liegt⌡ im Verstande, sondern auch guten Willen und gute Gesinnung solche Grundsätze auszuüben. Dieses aber einzusehen├,┤ erfordert viel Verstand, mithin gehört zum rechtschaffenen Mann

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/Verstand, welcher zwar nicht speculativ, aber doch richtig seyn muß. Demnach ist der Charackter nicht angebohren, sondern muß erworben
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werden. Es kostet aber sehr viel Mühe⌠,⌡ und dauret sehr lange, bis man sich angewöhnt hat, nach Grundsätzen zu √handeln_\\_handlen⌡. Das √kömmt_\\_kommt⌡ erst mit den Jahren bey reiner Vernunft. Wir glauben alle wir sind in der Jugend erzogen, aber wir sind würcklich nicht erzogen, wir müßen uns noch in der Folge selbst ziehen, und unsern Charackter selbst bilden, welches nicht darinn besteht, daß man sich gewiße Regeln bekannt mache├,┤ sondern man muß die Grundsätze selbst √durchdencken_\\_durch dencken⌡. Die Grund- sätze müßen gelehrt und eingesehen werden. Von diesen Grundsätzen muß man hernach nicht

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/abgehen, denn die machen das Gesetz aus. Ein Gesetz aber leidet keine Ausnahme, welches man von einer Regel zu sagen pflegt. Wer aus einem Grundsatz Z. E. √Warhaft_\\_wahrhaft⌡ ist, der wird davon niemals abgehen; dieses ist aber sehr selten, und es dauret sehr lange, bis man aus √Grundsätzen_\\_Grundsatzen⌡
⌠Seite 496⌡
wahrhaft ist. Die Menschen sind denn auch wohl wahrhaft, aber sie gehen doch oft davon ab, weil diese Wahrhaftigkeit nicht aus Grundsätzen, sondern vielmehr aus der Politur entspringt. Wenn eine Bösartigkeit des Gemüths und des Hertzens ist, kann da ein guter Charackter √stattfinden_\\_statt finden⌡? Vom Socrates will man sagen, daß er von Natur ein bösartiges Gemüth und Hertz gehabt habe, seinen Charackter aber durch seinen Verstand nach richtigen Grundsätzen

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/gebildet hätte. Es geht also zwar an, dazu gehört aber Verstand, dem √man_\\_mann⌡ Gewalt geben kann nach Grundsätzen zu handeln. Wenn aber schon das Gemüth und Hertz bösartig sind, so hält solches schon sehr schwer. Einem solchen Menschen, der sich ohnerachtet der Bösartigkeit seines Hertzens und seines Gemüths bemühet hat einen guten Charackter anzunehmen, ist
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doch nicht so recht zu trauen, denn man weiß noch nicht ob dieser gute Charackter schon so weit Wurtzel gefaßt hat, daß er die Bösartigkeit des Hertzens und Gemüths überwiegen kann, man kann doch nicht wißen ob die √Bösartigkeit_\\_Bosartigkeit⌡ seines Hertzens und Gemüths den Charackter besieget.
Wir können den Charackter noch √«an»in_\\_in⌡

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/einen angenommenen und natürlichen eintheilen. Der angenommene entspringt aus den Grundsätzen, die in der Natur keinen Grund haben, sondern nur aus Ueberlegung angenommen sind. Der natürliche aber stimmt mit der Natur des Menschen überein. Menschen haben einen angenommenen Charackter wenn sie Z. E. guthertzig sind, wodurch sie oft hintergangen werden, denn schämen sie sich, daß sie auf allen Seiten zu kurtz kommen und machen sich Regeln auf denen sie fest be- 
⌠Seite 498⌡
stehen wollen, oder wenn sie in der Wirthschaft sehen, daß die kleinen Depensen doch zuletzt ein Qvantum aus machen, so nehmen sie sich vor, wenn sie auch sonst noch so karg sind, von nun an auf alle Kleinigkeiten zu achten,

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/denn machen sie sich √Reglen_\\_Regeln⌡ Z. E. keinem Bettler was zu geben. Es scheint als wenn solche Personen einen Charackter haben, indem sie nach Grundsätzen √handeln_\\_handlen⌡, allein diese Regeln haben sie nur bey einer Gelegenheit angenommen und sich zugeeignet. Allein die Regeln sind die Gängelwagen der unmündigen. Wer sich eine Regel macht├,┤ und √hartnäckig_\\_hartnäckigt⌡ darauf besteht Z. E. keinem mehr was zu leihen, der fehlt zwar überhaupt in der Summe aller Fälle am wenigsten, ob er gleich sehr √oft_\\_<oft>⌡ fehlt, und obgleich sehr oft Fälle waren, wo er gantz sicher von der Regel hätte abgehen können, allein, weil er nicht
⌠Seite 499⌡
weiß, welches solche Fälle sind, wo er von der Regel abgehen kann, so bleibt er immer bey der Regel, die Fälle mögen

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/seyn wie sie wollen. Es fehlt also├,┤ solchen Personen an der √Urtheils Kraft_\\_Urtheilskraft⌡ solche Fälle ├Fälle┤ zu bestimmen, wo die Regel anzuwenden ist. Deswegen werden viele ├viel┤ karg aus dem angenommenen Charackter, wo sie sich zur Regel gemacht haben, niemanden etwas zu geben oder zu leihen. Nun kann es sich √sehr_\\_<sehr>⌡ oft treffen, daß man Personen von Stand und Charack- ter so etwas nicht versagen kann, weil man sich dieses √<aber>_\\_aber⌡ oft vorgenommen hat, indem man nicht zu beurtheilen weiß, ob dieses der Fall sey, wo die Regel anzuwenden ist├,┤ oder nicht, so verliert man darüber seine Ehre und Reputation. Zu Grundsätzen gehört also reife Einsicht und Urtheilskraft den Fall zu bestimmen, ob er √diesmal_\\_dies mahl⌡ unter der Regel gehört oder

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/nicht, denn sonst machen
⌠Seite 500⌡
solche √Grundsätze_\\_Sätze⌡ pedantisch. Wenn man ein Talent zur Poesie hat, und man sucht sein Talent zu excoliren, so verhindert das den Charackter, daher auch Poeten, die ein natürliches Talent zur Poesie haben und nicht allein Hang√._\\_-⌡ Denn man kann auch Hang wozu haben ohne Talent√,_\\_-⌡ gemeinhin keinen Charackter haben, denn ein Dichter muß gewohnt seyn sich in alle Situa- tion_\\_Situationen zu stellen, und alle Characktere anzunehmen, alsdenn ⌠aber⌡ hat er keinen eigenthümlichen Charackter. Die Nachahmung verhindert auch den Charackter sehr, daher muß man in der Erziehung seine Kinder niemals auf des Nachbars Kinder verweisen, und ihnen viel von pfuy das läßt nicht vorreden, sondern ihren Charackter unmittelbar

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/bilden, Grundsätze vom √Guten_\\_guten⌡ und bösen, vom rechtschaffe- nen und edlen einflößen.
⌠Seite 501⌡
Da aber das Naturell, Talent und Temperament in ein glückliches und unglückliches zu unterscheiden ist, so wird ├hier┤ der Charackter in √einen_\\_einem⌡ guten und bösen unterschieden. Man kann immer ein glückliches Temperament haben, und doch einen bösen Charackter, und wieder ein unglückliches Temperament ⌠haben⌡, und doch einen guten Charackter. Wer ein unmittelbares Wohlgefallen am bösen hat handelt böse nach Grundsätzen├,┤ und hat einen bösen Charackter. Der böse Charackter kann eingetheilt werden in den betrüglichen und boshaften. Der betrügliche ist ein niederträchtiger und verachtungswürdiger Charackter, der boshafte

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/aber ein hassenswürdiger. Der boshafte Charackter äußert sich Z. E. in der Unterdrückung des Rechts anderer, in der Behauptung seines Willens und Eigensinns, im Vergnügen an der √Zerstö- 
⌠Seite 502⌡
rung_\\_Zerstöhrung⌡ des Glücks anderer, in dem Vergnügen einem andern einen schlimmen Streich zu spielen. Der boshafte Charackter äußert sich besonders, wo ein Gegenstand von Natur kein √gegenstand_\\_Gegenstand⌡ des Wohlgefallens, ja wohl gar des Misfallens ist, und man doch darüber ein Vergnügen empfindet Z. E. über das Unglück anderer. Wir müßen uns in Acht nehmen, Menschen vom √Unglücklichen_\\_unglücklichen⌡ Temperament so gleich als Menschen vom bösen Charackter anzusehen, denn √das_\\_daß⌡ ist das ärgste, was man sagen kann: der Mensch hat einen bösen Charackter, denn

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/alsdenn thut man das böse aus Grundsätzen.

Vom Temperament in specie.

Das Temperament ist die Proportion der sinnlichen Gefühle und Begierden. Beym Menschen kommt alles auf das √Verhältnis_\\_Verhältniß⌡ und nicht auf den Grad der einen oder an- dern Fähigkeit an. Die geschickte Proportion
⌠Seite 503⌡
der √ErkenntnisKräfte_\\_Erkenntnißkräfte, der Empfindungen und Begierden macht das aus, was in der Sinnlichkeit den Menschen in Ansehung seines Temperaments charactesiret. Beym Temperament handeln wir nicht nach Grundsätzen und Gesinnungen wie beym Charackter sondern nach Neigungen.
Zum Temperament werden 2⌠.⌡ Stücke erfordert: Das Gefühl und die Begierden. Die Proportion_\\_Proposition von beyden macht das

/Seite_545

/Temperament aus.
Alle Temperamente werden eingetheilt in Ansehung des Gefühls und der Thätigkeit. Die Temperamente in Ansehung des Gefühls machen die Einrichtung, nach welcher der Mensch des Wohlbefindens oder Uebelbefindens fähig ist. Hiezu werden 2 gerechnet√:_\\_;⌡ das sangvinische_\\_sangvienische⌡ und melancholische Temperament. Wenn der Mensch große Reitzbarkeit zum Vergnügen hat, denn ist er sangvinisch_\\_sangvienisch⌡, wenn er
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aber mehr Reitzbarkeit zum Misvergnügen hat, denn ist er melancholisch. Das Gefühl ist also der Grund vom Befinden des Menschen. Jn Ansehung des Verhaltens oder der Thätigkeit des Menschen werden die Temperamente auch in 2 eingetheilt, entweder fühlt man

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/in sich den Qvell der Thätigkeit oder der LebensKräfte, oder man fühlt in sich eine Unthätigkeit und Mangel der √LebensKrafte; das_\\_LebensKräfte. Das⌡ erste ist das cholerische_\\_cholerische⌡, das √zweyte_\\_zweite⌡ aber das phlegmatische Temperament. Das cholerische ist activ⌠,⌡ das phlegmatische aber inactiv.
Alle Temperamente müßen nicht aus einem √Gesichtspunckte_\\_Gesichtspuncte⌡ eingetheilt werden, und man kann nicht sagen: es sind 4 Temperamente⌠, sondern⌡ sie müßen aus verschiedenen √Gesichtspunckten_\\_Gesichtspuncten eingetheilt werden. Das sangvinische und melancholische betrift nicht die Thätigkeit sondern die Empfindung⌠,⌡ und
⌠Seite 505⌡
das cholerische und phlegmatische betrift wieder den Qvell der Thätigkeit. Das sangvinische und melancholische betrift wieder die Lebensfähigkeit⌠,⌡ das cholerische und phlegmatische aber die LebensKräfte.

/Seite_547

/Wenn wir nun die Temperamente √zusammensetzen_\\_zusammen setzen⌡ wollen, so können wir nicht sagen: √jemand_\\_iemand⌡ ist sangvinisch und melancholisch, denn das sind opposita in Ansehung des Gefühls, oder jemand ist cholerisch und phlegmatisch, denn das sind opposita in Ansehung der Thätigkeit.
Die Temperamente können nicht eingetheilt werden nach den Objecten derselben Z. E. der Sangvineus hat zum Object die Wollust, der cholerische die Ehre p. denn die Objecte kann der Mensch nicht eher haben als die Temperamente. Die Temperamente bringen wir auf die Welt, aber nicht die Objecte. Der Mensch wählt hernach die Gegenstände nach der Proportion seiner Objecte und Nei- 
⌠Seite 506⌡
gungen.
Was nun die Temperamente

/Seite_548

/insbesondere iedes für sich betrift, so ist der San- gvinische_\\_sangvinische⌡ nicht der, der alles Vergnügen und alles Wohlleben haben will, denn das will jeder haben, sondern der⌠,⌡ so deßen zu genießen fähig ist. Der sangvineus fühlt allerwerts sein Leben. Wir haben aber beym Vermögen der Lust und Unlust gesehen, daß das Leben das Gefühl vom freyen und regelmäßigen Spiel der Kräfte des Menschen ist√;_\\_,⌡ das Gefühl von der Hindernis des Lebens aber der Schmertz⌠,⌡ und von der Beförderung deßelben das √Vergnügen_\\_Vermögen⌡ sey. Nun sieht der sangvinische alle Gegenstände nicht als Hinderniße, sondern als Beförderungen seines Lebens an. Er √findet_\\_befindet⌡ sich immer wohl. Weil sein Blut leicht ist, so findet er sich durch den Qvell des

/Seite_549

/Lebens afficirt. Diese Disposition ist zur Heiterkeit
und
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Fröhlichkeit auferlegt, er ist aber auf der andern Seite flatterhaft und leichtsinnig, denn die √Veränderungen_\\_Veranderungen⌡ sind alle belebend├,┤ und geben immer einen neuen Stoß und Trieb zum Leben. Sangvinei gehen also aufs veränderliche und sind wandelbarer Gemüths Art und weil sie alles von der Seite aufnehmen, wie es ein Grund ihres Wohlbefindens seyn kann, so stellen sie sich keine Gefahr vor, sie sind sehr empfindlich und zärtlich, denn die leichte Bewegung der Organen des Lebens macht, daß sie so belebt sind. Es zeigt dieses aber auf der andern Seite eine Schwäche an, sie sind nicht abgehärtet, sie sind ├nicht┤ weichlich. Melancholische_\\_Melancholische⌡ haben einen Hang

/Seite_550

/zum Misvergnügen, sie fühlen in sich eine Hindernis des Lebens. Das kürtzt zwar das Leben nicht ab, sondern es ist ein Gefühl der √Hindernis,_\\_Hinderniß⌡ und das ist schon √genung_\\_genug⌡,
⌠Seite 508⌡
um in uns Unmuth zu erwecken. Demnach wird der melancholische alle Dinge in der Welt nicht wie der sangvinische für Beförderung seines Lebens halten, sondern sie von der Seite der Gefahr ansehen, denn weil er sich nicht gutes Muthes fühlt, so sieht er auch im √trüben_\\_Trüben⌡ √Lichte_\\_lichte⌡. Die Verfaßung des Sangvinei_\\_sangvinei belustiget das Gefühl des Lebens, der melancholische_\\_melancholische⌡ hat aber nicht solche Empfindungen des Vergnügens, er ist nicht so leichtsinnig, weil er nicht so be- lebt wird, nicht solche biegsame Organen

/Seite_551

/hat. Der Cholerische_\\_cholerische⌡ befindet sich thätig. Alle Cholerici müßen was zu thun haben, und sie machen sich auch zu thun, dahero sich ein Cholerischer_\\_cholerischer⌡ √geistliche_\\_Geistliche⌡ gerne in Staats Sachen menget. Sie mögen gerne √Proceße_\\_Processe führen, das ist so recht ihr Fach, dahero sie auch √ehrbegierig_\\_Ehrbegierig⌡ sind, denn der muß schon thä- 
⌠Seite 509⌡
tig seyn, der durch solchen kleinen Bewegungs Grund der Ehre zur √Thätigkeit_\\_thätigkeit⌡ bewogen werden kann. Die Natur hat schon in dem Temperamente_\\_Temperament solche Gegenstände, so demselben angemeßen sind├,┤ zugeeignet. Die Cholerischen_\\_Cholerischen⌡ sind demnach Polypragmatisten_\\_Polypragmatisten⌡, der phleg- matische_\\_Phlegmatische⌡ findet in sich keine Kraft der Thätig- keit⌠,⌡ er ist läßig in der Ausübung.
Obgleich man das sangvinische

/Seite_552

/Temperament mit dem Melancholischen_\\_melancholischen⌡ nicht zusammen setzen kann, so kann doch eines das andere moderiren, denn zusammen können sie nicht statt finden, weil sie sich entgegen sind. Allein so wie der Hang zum Spiel etwas durch Ernst moderirt werden muß, damit das Spiel ⌠nicht⌡ √a«l»us- gelaßen_\\_ausgelaßen⌡ werde, der Ernst aber schon ein Stillstand der Belustigung und ein Moment_\\_Moment⌡ der Traurigkeit ist. Denn wenn einer aus einer fröhlichen Miene auf einmahl eine
⌠Seite 510⌡
ernsthafte annimmt, so ist das schon als ⌠als⌡ wenn er traurig werden will, eben so muß das sangvinische Temperament durch das melancholische in so ferne wir auf das melancholische einen Grad von Ernst rechnen, den sie auf den Werth der Dinge legen moderirt werden. Denn sagen wir; das

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/sangvinische Temperament ist durch Ernst moderirt. Nun aber ist dieses keine Vermischung von beiden Temperamenten, sondern nur eine moderation_\\_Moderation des sangvinischen. Wenn man nun √beyde_\\_beide⌡ moderirt, so können sie sich näher kommen, und im melancholischen_\\_melancholischen⌡ sind die positiven Ursachen das Misvergnügen, im sangvinischen sind die positiven Ursachen das Vergnügen. So sagt man auch √vom_\\_von⌡ cholerischen,_\\_cholerischen:⌡ es wäre gut, wenn ein wenig Phlegma da wäre. Das kann nun zwar nicht statt
⌠Seite 511⌡
finden, daß sie etwas vermischt werden können, allein so ferne die cholerische_\\_cholerische⌡ Heftigkeit durch ein wenig Ueberlegung moderiret werden soll, so kann es statt finden. Das Phleg- matische_\\_phlegmatische⌡ Temperament ist im übelsten Ruf, das sangvinische ist das

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/liebenswürdigste, weil es zu Vergnügungen und Gesellschaften geneigt ist. Das Melancholische_\\_melancholische⌡ ist zwar nicht hassens aber bedaurens werth. Der Cholericus_\\_Cholerikus⌡ ist thätig⌠,⌡ auf der andern Seite aber hat er auch was nachtheiliges, allein durchs Phlegmatische_\\_phlegmatische⌡ werden alle Eigenschaften unnütze, und also auch der gantze Mensch, und deswe- gen ist es in großer Verachtung. Phlegma_\\_Pflegma⌡ ist keine würckliche Passion, sondern nur ein ├großer┤ Grad der Unthätigkeit, die fast immer beym Menschen anzutreffen ist. So thätig er auch immer ist, so bemüht er sich doch um die Ruhe. Wenn aber der Hang zur Ruhe├,┤ alles über
⌠Seite 512⌡
wiegt, so ist sie √verächtlich_\\_verachtlich⌡.
Wenn wir die Temperamente unter

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/einander combiniren wollen, so können wir sie ⌠nur⌡ auf √vierfache_\\_4 fache⌡ Art verbinden√:_\\_.⌡ Das sangvinische ist das Gegentheil vom melancholischen, und das cholerische_\\_cholerische⌡ das Gegentheil vom phlegmatischen, also auf diese Art können sie nicht verbunden werden. Wir können aber erstlich das sangvinische mit dem Cholerischen_\\_cholerischen⌡ combiniren, √das_\\_denn⌡ das sangvinische hat Lust zu leben, also √stimmet_\\_stimmt⌡ das sehr wohl überein. Hernach können wir das melancholische mit dem ├«melancholischen»┤ Phlegmatischen_\\_phlegmatischen⌡ verbinden, denn der √Melancholische_\\_«m»Melancholische⌡ hat Unlust zu leben, und der Phlegmatische Unlust zu √handlen_\\_handeln⌡, also stimmt das auch ⌠auch⌡ zusammen. Das sangvinische mit dem Cholerischen_\\_cholerischen⌡ ist das glücklichste, aber das melancholische mit

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/dem Phlegmatischen_\\_phlegmatischen⌡ das unglücklichste. Nun können wir sie noch auf eine √zwifache_\\_zweyfache⌡
⌠Seite 513⌡
Art verbinden, nemlich ins √Kreuz_\\_Kreutz⌡⌠,⌡ das sangvinische mit dem phlegmatischen und das Cholerische_\\_cholerische⌡ mit dem melancholischen_\\_melancholischen⌡. Wenn das sangvinische im Gefühl des Lebens besteht, so kann es wohl mit dem phlegmatischen zusammen stimmen, denn es giebt Menschen, so dem Vergnügen nachgehen, aber doch dabey sehr unthätig sind, die nichts thun├,┤ aber doch √gerne alles Vergnügen_\\_alle Vergnügungen gerne⌡ genießen mögen. Sie sind zwar thätig aber nur in so weit sie sich ein Vergnügen verschaffen können. Sangvinisch_\\_Sangvinisch⌡ phlegmatische_\\_phlegmatische⌡ sind mit wenigem zufrieden, und sind dabey vergnügt, denn das viele möchte ihnen Mühe kosten. Solche Menschen befinden

/Seite_557

/sich in Ansehung ihrer sehr wohl, aber in Ansehung anderer sind sie sehr unnütz. Das Cholerische_\\_Cholerische⌡ mit dem Melancholischen stimmt sehr gut zusammen, denn √das_\\_daß⌡ melancholische giebt dem Cholerischen_\\_Cholerischen⌡ eine Milderung und mehr √Über_\\_Ueber⌡
⌠Seite 514⌡
legung, aber auf der andern Seite ist es sehr schädlich in Ansehung anderer, ob gleich es in Ansehung ├«anderer»┤ seiner selbst gut ist. Denn wer in sich einen Qvell zu √allem_\\_allen⌡ Misvergnügen hat, der ist auch ein Feind √von Vergnügungen_\\_vom Vergnügen⌡ anderer, er empfindet sein Misvergnügen desto stärcker. Der sangvinisch_\\_sangvinische⌡ Phlegmatische_\\_phlegmatische⌡ hat aber einen Qvell des Vergnügens in sich, also nimmt er an dem Vergnügen anderer Antheil. Das sangvinisch_\\_sangvinische⌡ phlegmatische Temperament ist in Ansehung seiner √Selbst_\\_selbst⌡ glücklich, aber in

/Seite_558

/Ansehung anderer das unnützeste. Das Cholerisch_\\_Cholerische⌡ melancholische ist in Ansehung seiner selbst gut⌠,⌡ aber in Ansehung anderer das √schädlichste_\\_schändlichste⌡. Das sangvinisch_\\_sangvinische⌡ cholerische ist das glücklichste, das melancholisch_\\_melancholische⌡ phlegmatische aber das unglücklichste.
Was den Unterschied der Temperamente in Ansehung des äußeren Betragens betrift,
⌠Seite 515⌡
so wollen wir zuerst das sangvinische mit dem melancholischen vergleichen. Der Sangvineus ist lebhaft, veränderlich, der melancholische_\\_melancholische⌡ beständiger, gesetzter und √ein- förmiger_\\_einformiger⌡. Der Sangvineus ist in Ansehung des Umganges verträglich⌠,⌡ einschmeichelnd├,┤ und in Ansehung der Beleidigungen versöhnlich, er flieht seinen Beleidiger⌠,⌡ der Melancholische_\\_melancholische⌡ aber flieht

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/ihn nicht, sondern sinnt auf Rache und hat Has und Groll gegen seinen Beleidiger. Beym Sangvineo sind alle Empfindungen starck, aber dringen nicht tief ein. ⌠Beym melancholico aber sind sie nicht so starck, sie dringen aber tiefer ein.⌡ Der Sangvineus nimmt Antheil am Unglück seines Freundes, er nimmt es aber nicht zu Hertzen, und bleibt im Grunde indifferent. Der Melan- cholische_\\_Melancholische⌡ ist hier √wieder_\\_<wieder>⌡ das Gegentheil, zieht sich alles zu Hertzen und fehlt wieder hier- 
⌠Seite 516⌡
inn. Es ist nicht gut, sich alles zu Hertzen zu ziehen. Hierinn ist die Lehre der Stoiker gut, obgleich sie für die Stärcke des Menschen zu weit getrieben war. Der Sangvineus ist geneigt zum Umgange und Geselligkeit, er ist also ein gesellschaftlicher Freund, aber nicht ein unterstützender Freund, er ist in Gesellschaft lustig, und nimmt am Vergnügen

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/anderer Antheil, wenn aber sein Freund kranck wird, so geht er weg. Der melancholische empfindet Schmertz am Unglück seines Freundes, und ist sehr geneigt am großmüthigen Schmertz Vergnügen zu empfinden. Er nährt seinen Schmertz. Kein Schmertz muß aber genährt werden, als der über unsere Laster. Jn Ansehung seiner Uebel ist der Schmertz niedrig, aber nicht in Ansehung ⌠anderer. Der sympathetische Schmertz in Ansehung⌡ der Uebel anderer ist liebenswürdig und der moralische Schmertz
⌠Seite 517⌡
über seine Laster ist achtungswürdig. Jn der Freundschaft ist der melancholische afficirt, sie geht ihm von Hertzen, dem Sangvineo aber nicht. Wenn aber der melancholische in der Freundschaft beleidigt wird, so versöhnt er sich nicht so bald, und wenn er sich auch versöhnt⌠,⌡ so denckt er doch noch

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/an das vorige. Die Wunde heilt bey ihm nicht völlig zu, sie läßt noch immer eine Narbe. Der Sangvineus aber, wenn er auch beleidigt wird, ist gleich wieder gut, vergießt es auch und denckt gar nicht mehr √darann_\\_daran⌡. Jm Nachsinnen ist es eben so, wie in der Empfindung. Der Sangvineus ist witzig, der melancholische gründlicher. Der Witz beruht auf der Lebhaftigkeit des Geistes, √die_\\_der⌡ Einsicht aber erfordert mehr Nachforschung und Ernst. Der melancholische ist zum Ernst geneigt, √ja_\\_ia⌡ er macht aus mehr Dingen Ernst, die deßen nicht √einmal_\\_einmahl⌡ würdig sind.
⌠Seite 518⌡
Der Sangvineus ist weichhertzig⌠,⌡ der Melancho- lische_\\_melancholische⌡ weichmüthig und zärtlich, denn er empfindet nicht allein, sondern er eignet sich auch zu. Der Sangvineus ist

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/offenhertzig und bewahrt keine √Heimlichkeit_\\_Heimlichkeiten⌡, er √verheelt_\\_verhehlt⌡ gar nichts, weil er guthertzig ist, und weil er auch keine Absichten hat. Wer aber mehr Absichten und Zwecke hat, der muß mehr auf der Hut seyn, und das ist der Melancholische_\\_melancholische⌡. Weil der Sangvineus gesellschaftlich und auch offenhertzig ist, so entspringt daraus seine √Schwatzhaftigkeit_\\_Schertzhaftigkeit⌡, er behält also weder seine noch des Freundes Heimlichkeiten. Der melancholische ist aber ein beßerer Bewahrer der Geheimniße, er ist in der Gesprächigkeit zurückhaltender und die Ursache ist √:_\\_;⌡ der melancholische stellt sich alle Menschen schlimmer vor├,┤ als sie sind⌠,⌡ dagegen der Sangvineus alle Menschen für gut hält. Der Melancholische glaubt
⌠Seite 519⌡

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/von Feinden umgeben zu seyn, die ihm Hinterhalt stellen, und ihre Liebkosungen sieht er nur als Verblendungen und √Stacheln_\\_Stachlen⌡ an, also muß er in seinen Unternehmungen und √Gesprachen_\\_Gesprächen⌡ √geheimnisvoll_\\_Geheimnisvoll⌡ seyn. Der Sangvineus hat aber Neigung alles auszuplaudern, denn weil er gesellschaftlich ist, so sucht er sich darinn immer zu unterhalten, oft will er auch etwas verbergen, ehe er sich aber versieht, so hat er etwas ausgeplaudert, und denn ärgerts ihn, und thut ihm leid√, der_\\_. Der⌡ Melancholische aber ist still, weil er seinen Gedancken nachhängt, und ob er gleich gesprächig seyn könnte, ohne Geheimniße auszuplaudern, so hält ihn wieder dieses zurück, weil er in allen Sachen

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/Wichtigkeit setzt. Er will immer was gründliches vorbringen. Allein im gemeinen Leben ist der Sangvineus beßer, denn das gantze Leben ist doch nur ein Spiel. Die Gesellschaft muß nicht durch Gründ- 
⌠Seite 520⌡
lichkeit sondern durch √Tändeley_\\_Tandeley⌡ erhalten werden. Jn Ansehung der Treue ist der Sangvineus nicht bösartig, sondern leichtsinnig, er verspricht alles mögliche├,┤ und hernach thut er nichts, denn er weiß nicht was dazu gehört⌠,⌡ er glaubt hernach der andere wird so guthertzig seyn und ihn von seinem Versprechen dispensiren. Der Melancholische_\\_Melancholische⌡ verspricht nicht so bald was, er ist bedachtsam und besorgt, wenn er aber √einmal_\\_einmahl⌡ was verspricht, so kann man sich auf ihn verlaßen. Weil die Empfindung

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/des Melancholischen tiefer eindringt, so nimmt er sich auch eher und mit größerem Ernst der √unterdrückten_\\_Unterdrückten⌡ an; ist er ein Patriot, so ist er im Eifer schwärmerisch, aber so ist er auch ausschweifend in Ansehung der Religion. Der Sangvineus aber ist indifferent, es ist ihm alles einerley, er beqvemt sich nach der Mode, er laßt sich zu allem bereden, und alles
⌠Seite 521⌡
mit sich machen. Der Sangvineus ist leicht von seinem Vorsatz abzubringen, welches √andern oft_\\_oft andern⌡ angenehm ist, der melancholische aber ist fest, √beharrlich_\\_behaarlich⌡ und hartnäckigt├,┤ √dahero_\\_daher⌡ ist der sangvineus_\\_Sangvineus beliebt⌠,⌡ aber nicht zuverläßig. Der melancholische ist aber nicht so leicht in eine Absicht zu lencken├,┤ die ihm vorgelegt ist, hat er aber schon einmahl

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/den Vorsatz gefaßt, so ist er darinn unwandelbar, wird er aber hier böse, so ist es schlimm, denn hängt er seinem Vorsatz nach. Das Verfahren des Sangvinei ist ohne alle Maximen und Grundsätze⌠,⌡ das Verfahren des melancholici ist aber mehrerer Grundsätze fähig. Der Sangvineus handelt nach Instincten├,┤ der Melancholicus aber nach Grundsätzen. Der Sangvineus kann aber Gutherzigkeit├,┤ und auch bösartigkeit aus Instincten ausüben und der Melancholicus kann Gutartigkeit und auch bösartigkeit in seinen
⌠Seite 522⌡
Grundsätzen haben.
Wenn wir das Cholerische_\\_Cholerische⌡ Temperament mit dem phlegmatischen_\\_Pflegmatischen⌡ vergleichen⌠,⌡ so werden wir finden, daß da im Cholerischen_\\_Cholerischen⌡ Temperament ein Bewustseyn der

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/Triebfeder der Thätigkeit, und √im_\\_ein⌡ Phlegma- tischen_\\_phlegmatischen⌡ ein Gewicht der √Unterthänigkeit_\\_Unthätigkeit⌡ der Leblosigkeit ist, daß der Cholerische_\\_Cholerische⌡ √hefftig_\\_heftig⌡, leichter und entschloßen ist, der phlegmati- sche_\\_Phlegmatische⌡ aber unschlüßig. Der Cholerische_\\_Cholerische⌡ ist ungeduldig, der phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ geduldig, denn indem der cholerische_\\_Cholerische⌡ √thätig_\\_thatig⌡ ist, so hat er Muth und wird ungeduldig, wenn er nichts ausüben kann, und weil der phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ unthätig ist, so hat er solche Fühllosigkeit alles zu ertragen. Der Cholerische übereilt sich, der phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ schiebt auf, er vollendet nichts├,┤ weil er träg ist. Der Sangvineus vollendet zwar auch nichts├,┤ aber nicht weil er träge ist, sondern weil
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er in seinen Handlungen veränderlich ist und wechselt. Der Cholericus

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/aber übertreibt es, er ist zu heftig, weil er in kurtzer Zeit mehr Grade von Kräften anwendet├,┤ der phlegmatische_\\_Phlegmatische⌡ aber weniger Kraft in längerer Zeit verwendet, daher ist der cholerische_\\_Cholerische⌡ rüstig, und oft √übertreibt_\\_übertreib⌡ er die Kraft, daß sie nicht lange dauren kann. Jn Ansehung der Beleidigungen ist der Cholerische empfindlich d. h. er empfindet leicht was, der melancholische ist zwar auch empfindlich, aber er empfindet tief. Man sagt von einigen Personen, sie sind √hitzig_\\_Hitzig⌡, aber auch gleich darauf sind sie wieder sanftmüthig und auch wohl versöhnlich, indem sie wohl gar abbitten, allein das ist eine Ungezogenheit und ein Mangel der Disciplin seiner Wildheit, denn der Mensch ist von Natur ohne

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/Disciplin wild wie
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ein Thier und ohne Cultur roh. Nun ist aber unsere Freiheit durch andere Menschen eingeschränckt, daher muß unsere natürliche Wildheit disciplinirt werden. Hierauf haben vorzüglich Eltern bey der Erziehung ihrer Kinder zu sehen, daß sie ihre Wildheit discipliniren und √ih«r»nen_\\_ihnen⌡ ihren Willen nicht laßen, denn so ferne sie gewöhnt werden √al<le>s ihrem_\\_als ihren⌡ Willen √gemäs_\\_gemäß⌡ zu er- halten, so gewöhnen sie sich das herrschen an, welches man ihnen oft aus Zärtlichkeit nachsieht, und sie leiden hernach nicht, daß man ihnen wiederspricht, aber wenn sie selbst beherrscht werden, so fahren sie auf und werden hitzig. Es ist also nichts mehr an ihnen als eine Ungezogenheit, sie sind √abge«¿»sto«¿»ßen_\\_abgestoßen⌡, abpolirt, sie √«m»wüßen_\\_wißen⌡ nicht, daß

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/alle Menschen einander gleich sind. Hierauf muß auch in der Erziehung der √Printzen_\\_Prinzen⌡ √geschehen_\\_gesehen⌡ werden, und es
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schadet nicht⌠,⌡ daß wenn sie √einen_\\_einem⌡ von ihren Unterthanen einen Schlag geben, sie auf der Stelle einen ⌠Schlag geben, sie auf der Stelle einen⌡ wieder bekommen. √Man_\\_Mann⌡ sieht von den Creolen in Amerika, daß sie sich gar nicht beherrschen laßen, weil sie von Jugend auf an die Herrschaft über die Sclawen gewohnt sind, indem da ein kleiner Junge gantze Heere von Sklawen com- mandirt, so ihm gantz stricte gehorchen müßen. Es ist sehr befremdend und läppisch von Personen von Jahren und reifer Vernunft darüber zu klagen, daß ihnen die √Eltern_\\_Etern⌡ den Willen gelaßen, und ihnen den Sinn ├nicht┤ beßer gebrochen haben.

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/Freilich ist das ein Fehler von ⌠den⌡ Eltern, allein⌠,⌡ wenn ein Mensch schon reife Vernunft hat, und solches selbst einsieht, so kann er ⌠sicht⌡ √selbst sich auch_\\_sich auch selbst⌡ discipliniren und seine Wildheit ablegen, und wenn ers nicht
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thut, so werden andere über ihn herkommen, und die √Schlage_\\_Schläge⌡ nachholen, die an ihm √versäumt_\\_versäummt⌡ sind. Darüber kann man zwar über die Eltern klagen, daß sie einem nicht einige Stellungen des √Cörpers_\\_Corpers⌡ abgewöhnt haben, allein nicht über die Ungezogenheit, denn man hat √ja_\\_ia⌡ Verstand sich selbst zu ziehen. Vor solchen auffahrenden Personen muß man sich sehr hüten, indem man √von_\\_vor⌡ ihnen niemals recht sicher ist. Man sagt: solche Personen haben aber ein gutes Hertz⌠,⌡ allein das ist schlecht am Hertzen zu

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/gewinnen suchen, wenn man ├aber┤ auf der andern Seite was Preis gegeben hat. So verachten oft viele ihr Gedächtnis├,┤ und halten es für schlecht√. Damit_\\_, damit⌡ man ihnen desto mehr Vernunft zutrauen soll.
Obgleich der Cholerische auf der einen Seite fruchtbar √vom_\\_von⌡ vielen guten Folgen
⌠Seite 527⌡
ist, indem er, wenn er sich unter der Disciplin befindet, stets würcksam ist, so ist er auch auf der andern Seite wieder √fruchtbar_\\_furchtbar⌡ von schlimmen Folgen, er ist gebieterisch, herrschsüchtig, abwerfend, rechthaberisch, seinen Sinn zu behaupten, Proceßführerisch, in der Gesellschaft giebt er den Thon an, führt das Wort, und will auf keine Weise den Wiederspruch erdulden, und man √solte_\\_sollte⌡ nicht glauben, daß die Menschen doch im Grunde

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/so nachgebend sind├,┤ und daß die Gesellschaft so schwach seyn sollte. Man wird finden├,┤ daß ein solcher in Gesellschaft, der nur darauf besteht immer das Wort zu führen├,┤ gewinnt, man giebt ihm aus √friedliebenden_\\_freindliebenden⌡ Absichten nach, um sich nur nicht mit ihm zancken zu dürfen, und √den_\\_denn⌡ kommt er in den Besitz des Wortführers, und bleibt darinn, und denn ist er nicht so bald heraus zu bekommen.
⌠Seite 528⌡
Wenn nun der Cholerische das Wort führet, so ist er in seinem Vortrage sehr dogmatisch und gravitaetisch⌠,⌡ und weiß die Worte mit solchem Nachdruck √«¿¿»vorzutragen_\\_vorzutragen⌡, daß seine Reden dadurch ein Gewicht bekommen, und durch diese Manier erwirbt er sich ein Ansehen. Es traut ihm jeder eine Gründlichkeit zu⌠,⌡

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/es geht also eine Illusion vor√,_\\_;⌡ so bald er aber seine Reden aufschreibt, so hört das auf⌠,⌡ indem man da den Pomp und die Manier nicht mit lesen kann. Der Cholerische geht auf formalitaeten_\\_formalitaeten⌡, Observanzen_\\_Obserwanzen⌡ und püncktliche Beobachtungen der √Vernunft_\\_Ver«¿¿»schrift⌡, denn da kann er alsdenn seine Herrschaft zeigen. Er ist nicht offen- hertzig, sondern politisch, er läßt sich dahero nicht aus, er giebt vor viel zu wißen, aber er sagt es nicht√,_\\_,⌡ er ist zurückhaltend nicht aus Mistrauen wie der melancho
⌠Seite 529⌡
lische, sondern aus Ehrbegierde, denn wer zurückhaltend ist, giebt zu erkennen, daß er viel denckt. Er affectirt_\\_affektirt⌡ sehr⌠,⌡ so gar in seinem Gange, √den_\\_denn⌡ man wohl unterscheiden kann, indem er jeden Schritt aus √Bedacht_\\_bedacht⌡ setzt und √iedes_\\_jedes⌡ Glied

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/fühlt, wenn er es bewegt, so wie er ⌠auch⌡ √jedes_\\_iedes⌡ Wort⌠,⌡ so er spricht, höret, daher ist er auch in Schriften sehr püncktlich, √zimlich_\\_ziemlich⌡ gekünstelt, abgemeßen und jedes Wort √abgezirkelt_\\_abgezirckelt⌡. Der Cholerische scheint klüger zu seyn als er ist, er sieht also sehr auf Complimente, aber nicht auf Schmeicheleien, denn im ersten Fall hat man Ansehen├,┤ aber im andern Falle erniedrigt man sich, überhaupt ist √er_\\_es⌡ sehr eigenliebig. Jn der √Religion_\\_Religion ist er sehr Ortodox, und ein √strenger_\\_strengen⌡ Vertheidiger der Observanzen_\\_Observantzen⌡, denn da er auf der Seite der Gewalt ist, so
⌠Seite 530⌡
kann er herrschen, er geht aber nicht so auf das innere der Religion, als auf die Form Zucht und Beobachtung der Vorschriften. Jm Phlegmatischen_\\_phlegmatischen⌡ Temperament sind nicht solche Züge der⌡ Mannigfaltigkeit, weil es eine Einschränckung der Thätigkeit

/Seite_576

/ist. Der Phlegmatische ist √fühllos_\\_fühlloß⌡ und unempfindlich und hat Mangel der Triebfeder zu handeln. Jn Ansehung der Neigung ist er mehr dem Wunsche ergeben als das er seine Kräfte anstrengen sollte⌠,⌡ solches zu erlangen. Er füttert sich mit Hofnung. Jn öffentlichen √Geschaften_\\_Geschäften⌡ ist er sehr duldend und √nachsichtlich_\\_nachsichtig⌡, √si«¿»tzt_\\_sitzt⌡ er in einem Collegio, so ist er ein Jaherr. Jm Hause ist er ein beqvemer Ehemann√._\\_,⌡ er streitet sich nicht um die Herrschaft√._\\_,⌡ √ja_\\_ia⌡ es ist ihm lieb, wenn er damit nichts zu thun hat, er ist verträglich, weil er sich keine Mühe macht⌠,⌡ Hinderniße zu legen, er rächt keine Beleidigung, weil es
⌠Seite 531⌡
ihm Unruhe macht, er ist verträglich aus Faulheit. Der Sangvineus ist zwar auch verträglich aber aus Nachläßigkeit, welche von der

/Seite_577

/Trägheit unterschieden ist√._\\_,⌡ √Nachläßig_\\_Nachlaßig⌡ ist man├,┤ wenn man eine Arbeit nicht √zu_\\_zum⌡ Stande bringt, wenn man darauf nicht viel √Fleis_\\_Fleiß⌡ verwendet, träge aber wenn man gar nichts unternimmt. Der Phlegmatische hat keine lange Weile, ein geschäftigter thut lieber böses ehe er gar nichts thun soll. Er ist in der Gesellschaft freundlich, er giebt immer √lächelnd_\\_lächlend⌡ Beyfall, und hält sich mehrentheils am Glase. Es ist also in ihm ein Analogon der Gutartigkeit nicht aus Positiven sondern aus negativen_\\_Negativen Gründen, er wird nichts böses thun, nichts unternehmen, weil es ihm Mühe kostet, und das ist nicht seine Sache. Also behütet ihn sein Phlegmatisches Temperament

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/auch für einigen Lastern, denn einige Laster haben Valeur in sich, indem sie große Unternehmun- 
⌠Seite 532⌡
gen und Thätigkeit verrathen. Man kann auch beym √größten_\\_großen⌡ Verbrechen etwas hohes finden⌠,⌡ andere Laster aber verrathen die Niederträchtigkeit. Am phlegmatischen_\\_Phlegmatischen⌡ billigen wir zwar, daß er nicht solche Laster ausübt, allein wir √verrathen_\\_verachten⌡ ihn, indem er nicht einmahl eines solchen Muths fähig ist. Seine Gutartigkeit kommt also nicht aus der Bonitaet der Gesinnungen├,┤ sondern aus der Unthätigkeit. Der Phlegmatische ist nur da brauchbar├,┤ wo man ihm Zeit laßen kann, und wo man ihn immer treiben muß. Wo man ihm viel Arbeit auferlegt, wo er lange Zeit ohne Ruhe

/Seite_579

/zubringen muß, denn möchte er sich zu Tode √Arbeiten_\\_arbeiten⌡, um nur hernach zu √faullenzen_\\_faulenzen⌡. Der Phlegmaticus ist der ruhigste Bürger. Jm Bürgerlichen √Kriege_\\_Krüge⌡ ist er neutral und wartet ab, wie es werden
⌠Seite 533⌡
wird. Er ist geduldig aber nicht aus edler √Gemüths Art_\\_Gemüthsart⌡, sondern aus Fühllosigkeit. Er ist mit wenigem zufrieden, wenn ihm ein mehreres Mühe kostet. Der Sangvineus_\\_Sangvinicus ist ⌠zwar⌡ auch mit wenigem zufrieden, der macht aber keine Summe von seinem Wohlbefinden, der Taumel von Vergnügen bringt ihn aus seiner Reflexion.
Wenn wir alle Temperamente untereinander vergleichen, und die Talente dazu nehmen, so finden wir, daß der Sangvineus witzig der

/Seite_580

/cholericus_\\_Cholericus scharfsinnig und der melancholicus_\\_melancholische⌡ scharfsinnig ist, der Phlegmatische aber hat das Talent der Nachahmung. Die Lebhaftigkeit des Sangvinei macht ihn witzig, und er braucht auch Witz wegen der √Veränderlichkeit_\\_Veranderlichkeit⌡. ⌠Witz gehört auch zur Geselligkeit,⌡ √der_\\_Der⌡ Sangvineus ist aber gesellig, der Cholericus_\\_Cholerische⌡
⌠Seite 534⌡
aber nur √gesellschaftlich_\\_Gesellschaftlich⌡. Gesellschaftlich ist der, welcher gerne in Gesellschaft geht, wenn sie ihm auch die Thüre weisen, √Gesellig_\\_gesellig⌡ der├,┤ der in Gesellschaft geliebt wird. Der Cholerische ist scharfsinnig, weil er in allem einen Vorzug haben will, und weil er thätig ist. Seine Handlungen müßen zusammen hängen├,┤ und in allem püncktlich seyn. Des Melancholischen Tiefsinn

/Seite_581

/kommt daher, weil er in allem eine Wichtigkeit setzt, so ist er auch gewohnt alle Dinge aus einem wichtigen Punckt zu nehmen, und sie also als wichtig zu prüfen. Weil der Phlegmatische nicht Mühe verwendet selbst was √hervor zubringen_\\_hervorzubringen⌡, so ahmt er nach├,┤ deswegen hat er auch ein gutes Gedächtnis.
Was die Verschiedenheit der Nationen in Ansehung der Temperamente betrift, so ist der Franzose sangvinisch, der Itali-
⌠Seite 535⌡
aener Cholerisch, der √Engelländer_\\_Engeländer⌡ Melancho- lisch_\\_melancholisch,⌡ und der Deutsche Phlegmatisch. Der Deutsche mag gerne √nachahmen_\\_Nachahmen⌡, er mag gerne Muster und Methoden haben, und lieber unter einer Disciplin stehen├,┤ als sich selbst beherrschen. Er hat

/Seite_582

/keine Hardiesse von selbst was zu wagen, welches doch zum Genie gehöret.
Die Fehler der Temperamente sind: der Sangvineus ist leichtsinnig, unordentlich und ein Freiheits Geist. Des Cholerischen Fehler sind Trotz├,┤ Affection, Rechthaberey. Des melancholici Mistrauen, Heimlichkeit, √Hartnäckigkeit_\\_Hartnakigkeit⌡, Groll, des Phlegmatischen_\\_Phlegmatici Gleichgültigkeit, √Tregheit_\\_Trägheit⌡, Aufschub. Jn Ansehung der Handlung ist beym Sangvineus √Freymüthigkeit_\\_Freimüthigkeit⌡, beym Cholerischen Dreistigkeit├,┤ beym Melancholischen Selbstbesitz und √Entschlossenheit_\\_Entschloßenheit⌡, beym Phlegmatischen Kalt- blütigkeit. Jn Ansehung der Gesellschaft
⌠Seite 536⌡
ist der Sangvineus galant, der Cholerische_\\_Cholericus √hofmäßig_\\_hoffmäßig⌡, der Melancholische_\\_melancholische⌡ träumerisch├,┤ der Phlegmatische gehört

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/gar nicht zur Gesellschaft. Jn Ansehung des Geschlechts ist der Sangvineus ein guter Liebhaber, aber ein schlechter Ehemann, der Cholericus_\\_Cholericer ein guter Hausherr⌠,⌡ aber ein schlechter Ehegenoße, der Melancholische in der Ehe beständig und zärtlich, der Phlegmaticer_\\_Phlegmatische⌡ läßt sich alles gefallen. Jn Ansehung der √Gegenstände_\\_Gegenstande⌡ ist beym Sangvineus eine Ueppigkeit, alle Ergötzlichkeiten und Vergnügen⌠,⌡ der Gegenstand├,┤ √des_\\_der⌡ Cholerischen_\\_Cholerische⌡ ist √Herrschsucht_\\_Herr<sch>sucht⌡, Ansehen, Gewalt, Rechthaberey, der Gegenstand des Melancholischen in Ansehung der √bösartigkeit_\\_Bösartigkeit⌡ Neid⌠,⌡ Misgunst in Ansehung der Gutartigkeit aber Dauerhaftigkeit in den Gesinnungen, er geht nicht so auf den

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/äußern Schein├,┤ wie der
⌠Seite 537⌡
Cholerische├,┤ sondern auf Realitaet├,┤ seine Eigenschaften betreffen die Soliditaet und Gründlichkeit. Der Sangvineus ist offenhertzig, der Cholerische dreist, der melancholische_\\_«m»Melancholische⌡ √Mistrauisch_\\_mistrausch⌡ und der Phlegmatische √nichtswürdig_\\_nichtwürdig⌡. √Er_\\_Es⌡ läßt sich nicht einmahl das negative in dem Laster gut benennen, allein wer nichts thut⌠,⌡ der √gilt_\\_giebt⌡ auch nichts. Niederträchtig ist der, welcher keinen Werth in sich fühlt, auf seinen Werth nicht ├viel┤ hält, sondern ihn wegwirft, demnach wird bey einem Nichtswürdigen auch die √Niederträchtigkeit_\\_Niedertrachtigkeit⌡ angetroffen. Jn der Noth wird der Cholerische zuletzt den Degen, die Uhr und alles was seine Ehre erhält⌠,⌡ √verkauffen_\\_verkaufen⌡, denn er will

/Seite_585

/sich nicht gerne erniedrigen, welches auch gut ist, indem er alsdenn den andern nicht belästigt. Der Sangvineus wird nur zuletzt├,┤ weil er üppig ist, seine Kleider Manschetten p verkaufen p √indem_\\_in dem⌡ er die noch braucht um in Gesellschaft
⌠Seite 538⌡
zu erscheinen, der Phlegmatische ⌠aber⌡ wird alles verkaufen, ⌠«verk»⌡ wenn er nur hernach auf Stroh liegen kann, und wird hernach niederträchtig handeln und betteln⌠,⌡ oder Bettelbriefe herum schicken und auf die Gnade anderer zehren. Der Cholerische ist Haabsüchtig, der melancholische geitzig, weil er √mistrauisch_\\_mistrausch⌡ ist. Beym Phlegmatischen aber √herscht_\\_herrscht⌡ die filzige Kargheit, welche darinn besteht, daß man sich selbst Noth leiden läßt, denn weil er faul und träge ist, so sucht er √Macht_\\_«m»Macht⌡ und Thätigkeit durch Geld zu ersetzen.

/Seite_586

/ ≥Vom Charackter in Specie

Der Charackter ist beym Menschen die Haupt Sache, es läuft alles bey ihm darauf hinaus, daher ist es nöthig, daß wir den Qvell des Charackters aufsuchen. Der √Gute_\\_gute⌡ Charackter wäre der gute ⌠Wille. Der gute⌡ Wille ist unterschieden von dem guten In
⌠Seite 539⌡
stincten_\\_Jnstinckten⌡ und Antrieben. Wir haben Neigungen und verabscheuen sie, wir können das böse aus Neigung thun, und aus √Grundsätzen_\\_Grundsatzen⌡ verabscheuen, alsdenn hat man einen guten Willen, der etwas aus Grundsätzen begehrt. Wir haben einen Willen, vermöge deßen wir etwas aus Grundsätzen und aus Begriffen begehren, so daß man sich auch gute Neigungen wünschen kann, indem man aus Begriffen einsieht, daß dieselben √böse_\\_Böse⌡ sind.

/Seite_587

/Ein Mensch kann also ein unglückliches Temperament haben, aber doch einen guten Willen, der ein Grund zum guten Charackter ist. Denn Charackter nennt man auch die Denckungs Art⌠,⌡ dadurch aber wird nicht die Beschaffenheit des Verstandes angezeigt, denn so wie der Wille einen allgemeinen Verstand hat, hier aber nur darunter die Gesinnung verstanden wird, eben so hat auch der Begrif des Verstandes
⌠Seite 540⌡
eine allgemeine Bedeutung, worunter aber hier nur das Vermögen verstanden wird sich seines Verstandes gut zu bedienen. Wir schätzen etwas hoch, so ferne es ein Werckzeug des guten Gebrauchs ist, unbedingt ist nichts gut, sondern es kommt auf den Willen an

/Seite_588

/sich deßen gut zu bedienen. Der gute ⌠Wille⌡ ist an sich selbst gut und unbedingt. Jn so weit der Mensch einen guten Willen hat, ist er viel werth├,┤ durch den guten Willen ist er an sich selbst gut, sonst aber kann der Mensch nur als ein Mittel zum Zweck gut seyn. Dahero ist die Moral die höchste √Wißenschaft_\\_Wischenschaft⌡ unter allen, weil dadurch der Mensch an sich selbst gut ist. Der Qvell guter Zwecke ist der ⌠gute Wille, und der Qvell böser zwecke ist der⌡ böse Wille. Dieses nennt man auch Denckungs Art. Viele Menschen handeln
⌠Seite 541⌡
gar nicht, weil sie dencken, sondern weil sie empfinden, sie üben gute Handlungen aus, aber nicht nach der √DenckungsArt,_\\_Denckungsart⌡ ⌠sondern nach der Empfindung. Die Denckungs Art⌡ aber ist schon ein principium_\\_Principium nach Grund sätzen zu handeln. Worauf beruht nun ⌠aber⌡ diese Denckungsart nach Begriffen

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/zu handeln√, dieses_\\_. Dieses⌡ Vermögen der Maximen und Grundsätze nach denen der Mensch Macht hat über seine Neigung zu herrschen? Das Vermögen nach Grundsätzen und Maximen zu handeln├,┤ beruht darauf, daß der Mensch nach Begriffen handeln kann, die Begriffe aber müßen bey ihm zur Triebfeder werden. Die Begriffe sind zwar an sich keine Triebfedern, denn was ein Gegenstand des Verstandes ist, kann doch nicht ein Gegenstand des Gefühls seyn⌠,⌡ eine Triebfeder aber ist ein
⌠Seite 542⌡
Gegenstand des Gefühls⌠,⌡ damit sie uns bewegen könne. Obgleich nun die Begriffe vom guten und bösen nicht Gegenstände des Gefühls sind, so können sie doch dazu dienen, daß sie das Gefühl rege machen├,┤ nach diesen Begriffen zu handeln, alsdenn handelt man nach

/Seite_590

/Grundsätzen und Maximen. Man kann es zwar nicht einsehen├,┤ wie der Begriff Z. E. vom Unrecht├,┤ welches einem angethan ist, das Gefühl rege machen soll⌠,⌡ und es bewegen kann diesem Menschen beyzustehen, aber es geschicht doch. Denn die Instincte hat uns nur die Vorsicht gegeben in Ermangelung der √begriffe_\\_Begriffe⌡ und Grundsätze. Die Begriffe sollen also in uns Triebfedern werden, sie sollen das Gefühl rege machen, und uns bewegen nach solchen Begriffen zu handeln⌠,⌡ und also
⌠Seite 543⌡
nach Grundsätzen. Menschen die nicht ein solches Gefühl haben⌠,⌡ das durch einen Begriff rege gemacht werden kann, die haben kein moralisches Gefühl. Dieses ist die Reitzbarkeit, Empfindsamkeit oder das Gefühl durch alle Begriffe des Verstandes.

/Seite_591

/Allein man findet doch wenige Menschen, die durch den Begriff des √guten_\\_«Verstandes»<guten>⌡ und bösen rege gemacht werden könnten, sie thun zwar viele gute Handlungen, sie helfen dem dürftigen, allein nicht aus Begriffen sondern aus Instincten. Wenn man den Gegenstand durch deßen Anblick das Gefühl rege gemacht ist, wegnimmt, so wird es schwer halten├,┤ eben solche Handlungen auszuüben, die man vorher that, als man den Gegenstand selbst anschaute. So wird man auch eine üble Handlung kaum unterlaßen, wenn man durch die
⌠Seite 544⌡
Abscheulichkeit der Begriffe rege gemacht werden sollte. Jst die Handlung unserm Vortheil und unserer Neigung gemäs, so wird man durch die Abscheulichkeit des Begrifs nicht rege gemacht, solche zu unterlaßen Z. E. man

/Seite_592

/soll einem eine vortheilhafte Mariage antragen, und man behält sie für sich├,┤ hier muß man nicht sagen (obgleich es schwer wäre es nicht zu thun) daß in dem Falle⌠,⌡ wo es √so wohl_\\_sowohl⌡ den Vortheil als der Neigung gemäs ist, solches erlaubt sey, es ist zwar schwer, aber der Grundsatz muß doch bleiben, das Gesetz muß nicht verletzt werden. Man weiß nicht⌠,⌡ woran es liegt, daß Men- schen kein moralisches Gefühl haben, ob es an der Erweiterung oder ⌠an der⌡ Verfeinerung des Gefühls liegt, das kann man nicht einsehen├,┤ auch nicht erklären. Die
⌠Seite 545⌡
Triebfeder nach guten Grundsätzen zu handeln, könnte wohl die √Jdee_\\_Idee seyn, daß wenn alle so handeln möchten, so wäre diese Erde ein Paradies. Dieses treibt mich an, dazu was

/Seite_593

/beyzutragen, und wenn es nicht geschicht, so liegt es wenigstens nicht an mir. Jch von meiner Seite bin den doch ein Glied dieses Paradieses. Nun kommts nur darauf an, daß ein jeder so wäre. Also kann hier der Begrif des guten eine Triebfeder seyn├,┤ und denn ist es der gute Charackter.
Es ist am Menschen der schlechte, der gute und der böse Charackter zu unterscheiden. Menschen haben einen schlechten Cha- rackter, wenn in ihnen kein Vermögen angetroffen wird nach Grundsätzen zu handeln. Das ist aber noch kein böser Charackter, sie können übrigens ein gutes Gemüth haben. Der schlechte Charackter ver- 
⌠Seite 546⌡
räth eine kleine Seele, die sich an die Regeln wie an einen √Gängelwagen_\\_Gangelwagen⌡ bindet. Der Charackter ist schlecht wenn er

/Seite_594

/nichts ekeles in sich hat, er besteht in der Unfähigkeit nach Grundsätzen zu handeln. Der geringe und schlechte Charackter ist ein Uebel, was nicht ersetzt werden kann, es ist beynahe so, als wenn einem die Urtheils Kraft fehlt, da kann einer noch so viel unterrichtet werden⌠,⌡ und alle Schulen und Academien passiren, so giebt ihm dieses nur mehr Materie zu seiner Narrheit, denn er kann es nicht anwenden, sondern wird dadurch ein vollkommener Narr. Also kann auch ein schlechter Charackter nicht verbeßert werden, und wenn man einem auch die gantze Moral vorgelegt hätte, so giebt er zu allem Beyfall, und nimmt nichts an. Wo kein Keim ist, da kann keiner herein
⌠Seite 547⌡
gebracht werden. Wo ein böser Charackter ist, da ist doch noch ein Keim zum Charackter, aus dem kann noch

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/viel gutes herausgebracht werden.
Wir wollen die Qvellen des guten Charackters noch immer mehr und mehr aufsuchen. Der Mensch der keine Cultur bekommen hat, ist roh, der keiner Cultur fähig ist├,┤ ist grob. Der Mensch⌠,⌡ der keine Disciplin bekommen hat ist wild, der keine annimmt ist bös. Nun kann man sehen├,┤ ob der Mensch keine Cultur bekommen⌠,⌡ oder keine angenommen hat? Viele Menschen sind nur roh, aber noch nicht grob. Auf der andern Seite kann man sehen, ob der Mensch keine Disciplin bekommen, oder keine angenommen hat? Jm ersten Fall ist er nur wild, denn von Natur ist der Mensch wild, er hat Neigungen, die nur ihren Lauf gehen,
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wenn sie nicht durch Kunst gezähmt oder gebändiget werden. Der Zwang der Neigung nach Regeln ist die

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/Disciplin. Deßen Neigungen keine Disciplin bekommen haben, die folgen keiner Regel, sondern sind wild. Allein es giebt auch Menschen, deren Naturell gar keine Disciplin annimmt, und das sind böse Menschen. Dieses ist das Fundament des bösen Charackters. Die großten Bösewichter sind oft Menschen von den größten Talenten und √Stärcke_\\_Starcke⌡ der Seelen, die aber keine Disciplin angenommen haben, sondern ihrem Hange √Wild_\\_wild⌡ folgen√;_\\_,⌡ daher auch √Bösewichte_\\_Bosewichte⌡ unbändige √Stärcke_\\_Starcke⌡ und Hartnäckigkeit zeigen. Der ist schon gut⌠,⌡ der Disciplin annimmt├,┤ und ihrer fähig ist. Der schlechte Charackter ist zwar ein Mangel des Vermögens nach √Grundsätzen_\\_Grundsatzen⌡ zu handeln, allein der √böse_\\_bose⌡ Charackter √ist_\\_«und»ist⌡ ein

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Haß und Wiedersetzung gegen alles was nach guten Grundsätzen geschiehet, es ist ein √Vorsatz sich den_\\_<Vorsatz sich den>⌡ Grundsätzen, so die Leidenschaften und Neigungen bändigen⌠,⌡ und sie unter die Regel zu bringen, wodurch der Mensch nach Grundsätzen zu handeln geleitet wird, zu √wiedersetzen_\\_wiedersezzen.⌡ Der böse Charackter betrift die Beschaffenheit des bösen Willens. Der Mensch⌠,⌡ der nicht mitleidig ist, von dem sagt man, er hat ein böses Hertz und Gemüth, aber wer einen bösen Willen hat deßen Charackter ist böse. Der böse Charackter ist entweder betrüglich oder boshaft. Man ist dem bösen Charackter nach⌠,⌡ entweder ein Betrüger oder ein √Menschenf«reund»eind;_\\_Me«¿¿»nschenfeind.⌡ √diese_\\_Diese⌡ √zwey_\\_2⌡ Stücke machen den √bösen_\\_bosen⌡ Charackter aus. Der böse Charackter betrift die Rechte der Menschen.

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/Denn der Charackter geht auf die Moralitaet, so ferne er durchs
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gute oder √böse_\\_bose⌡ bestimmt wird. Jn der Moralitaet sind aber √2._\\_2⌡ Stücke unterschieden, der gütige und der gerechte Wille. Der gütige Willen bezieht sich aufs Wohlbefinden anderer Menschen, der Gerechte aber auf das Recht anderer Menschen. Jm ersten Fall ist man gütig⌠,⌡ im andern rechtschaffen. Der böse Charackter wiederstreitet der Rechtschaffenheit, so wie der gute Charackter in der Rechtschaffenheit besteht√._\\_;⌡ Man findet Menschen vom betrüglichen Charackter├,┤ und andere vom boshaften Charackter. Die vom betrüglichen Charackter sind nicht boshaft, sie finden kein Vergnügen in der Unterdrückung anderer, sie haben nicht die √Bosheit_\\_bosheit⌡ des Menschenfeindes, aber sie

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/suchen den andern durch √Niederträchtige_\\_niederträchtige⌡ Lügen zu hintergehen. Dieser Charackter ist niederträchtig und ohne
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Ehre, der boshafte aber ist gewaltig und dahero hassenswerth. Wenn ich nun auf einen Menschen sage: Er ist ein Mensch ohne Gewißen, und ohne Ehre, so ist √das_\\_da«ß»s⌡ alles was ich von ihm sagen kann, denn ohne Gewißen seyn, heißt boshaft seyn, ein solcher kränckt das Recht der Menschen. Um die Ehre ⌠aber⌡ kann uns √nicht@¿s¿@_\\_nichts⌡ bringen, als Lügen, Falschheit, Betrug das macht den Menschen zum Gegenstande der größten Verachtung, denn weil der Betrug und die Lüge schleichend und nicht offenbar ist, indem man es nicht √so leicht_\\_soleicht⌡ wahrnimmt√;_\\_:⌡ so kann man einem solchen keine Gewalt entgegen setzen, dahero muß

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/man ihn √verrathen_\\_verachten⌡. Wer Bosheit und Menschenfeindschaft hat, dem kann man aber Gewalt entgegen setzen, demnach ist dieses √Hassenswerth_\\_hassenswerth⌡. Von der Bosheit kann der Mensch mit Gewalt zurück
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gebracht werden, von der √Niederträchtigkeit_\\_Niederträchtiget⌡ √aber_\\_<aber>⌡ kann den Menschen nichts abhalten als die Ehre. Wenn also ein Mensch √gewißenlos_\\_Gewißenlos⌡ ist, so kann doch ein Funcken √der_\\_<der>⌡ Ehre in ihm seyn, was ihn zurückhalten kann. Wenn er aber ohne Ehre ist, so ist alles an ihm verlohren├,┤ denn kann man das gute auf nichts mehr gründen. Ehrlich kann der Mensch seyn aus Gemüths Art, √Rechtschaffen_\\_rechtschaffen⌡ aber nur aus Charackter, denn der Charackter setzt Verstand voraus. Nur der Mann von einem richtigen Verstande kann einen guten Charackter haben, wer

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/aber denselben nicht hat, ist zwar eines guten Gemüths und Hertzens, aber keines guten Charackters fähig. Wer einen bösen Charackter hat, der beweist doch dadurch, daß er Verstand hat, indem er die Grundsätze verachtet √oder_\\_und⌡ √haßet_\\_hasset⌡.
Kann auch ein Charackter erworben werden? Wer auch gleich keinen Charackter
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hat, in dem kann doch ein Naturell seyn, was eines √Charackters_\\_Characters⌡ fähig ist, und denn kann der Charackter nachgebildet und gegründet werden. Man erwirbt durch Unterricht Begriffe die man sich bekannt machen muß um darnach zu √handeln_\\_handlen⌡. Es wäre sehr gut├,┤ wenn man in der Erziehung der Kinder darauf sehen möchte, daß die Moralitaet auf Begriffe möchte gegründet werden, denn könnte man auch einen Charackter gründen, der Wille möchte sich als

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/denn auch nicht auf Instinct sondern auf Grundsätzen beziehen. Die √Grundsätze_\\_Grundsäzze⌡ können nun durch Begriffe errichtet werden. √Allein_\\_Alle⌡ unsere Lehren und Reden auch Canzelreden sind nur abstracte Begriffe der Instincte, die nur das Hertz bewegen aber nicht den Willen. %Qvaestio. Ob bey einer nicht gar zu besten Gemüths Art doch ein guter Charackter statt finden könne? Am Socrates hat ein Physio
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gnomist wahrgenommen, daß er ein böses Gemüth und Hertz verrathe, und als seine Schüler darüber böse wurden, weil sie ihn von einer andern Seite kannten, so bestätigte solches Socrates, weil er würcklich ein böses Gemüth und Hertz bey sich wahrnahm, aber durch gute Grundsätze unterdrückte er solches. Der Charackter

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/kann nicht geschaffen werden, sondern es muß ein Grund dazu seyn, man kann ihn aber hernach durch Disciplin auswickeln. Es muß also beym Socrates bey aller √«¿»Bösartigkeit_\\_Bösartigkeit⌡ eine √Stärcke_\\_Starcke⌡ der Seele und Macht des Verstandes gewesen seyn, seinen Willen nach Begriffen, die er durch den Verstand einsah, zu bewegen. Es kann der Verstand ohnmächtig seyn d. h. aber noch nicht unfähig; er kann alles einsehen, und er hat nicht √Macht_\\_«¿¿»Macht⌡ seinen Willen zu bewegen. Man kann zwar nicht einsehen, wie der
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Verstand Macht haben kann den Willen zu bewegen, allein wenn der Mensch einen bösen Charackter hat, so dirigirt da der Verstand den Willen nach den bösen Grundsätzen. Nun kann √bey_\\_beym⌡ Socrates solche Stärcke und Macht des Verstandes

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/gewesen seyn├,┤ seine Bösartigkeit des Hertzens und Gemüths zu unterdrücken. Es kann also seyn, daß der Mensch bey einem üblen Gemüth und Hertzen doch einen guten Charackter habe, allein wer √Merckmale_\\_Merkmale⌡ eines ⌠eines⌡ bösen Charackters hat, läßt sich da ein guter Charackter annehmen? Hier muß man die √Merckmale_\\_Merckmahle⌡ erst untersuchen. An der Jugend sind die Merckmahle des √bosen_\\_bösen⌡ Charackters schon zu kennen, denn die Jugend ist noch keiner Grundsätze fähig, allein sie äußern sich doch schon. Wenn ein Kind in seiner Jugend zum √Diebstal_\\_Diebstall⌡ geneigt ist, so ist das schon ein Merckmahl eines bösen Charackters, denn wenn da irgend ein Grund √ware_\\_wäre⌡ die Niederträchtigkeit einzusehen, so
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möchte doch das Kind doch davon

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/abstehen. Ein solcher Charackter ist schon schlimm zurecht zu bringen. Aber bey erwachsenen Menschen zeigt sich der Charackter durch einige √Merckmale_\\_Merckmahle⌡ Z. E. wenn einer Gefallen an dem Streich hat, der dem andern begegnet ist. Die √Lüge_\\_Lüge«n»⌡ ist auch schon ein Flecken im Charakter⌠,⌡ der nicht gebeßert werden kann. Ein etablirter böser Charackter kann wohl √niemahl_\\_niemals⌡ gut werden, denn da sind die Principia selbst verdorben. Der Charackter setzt sich sehr spät fest ohngefehr im 40ten Jahr├,┤ denn da kann man am besten die Begriffe von den Instincten separiren, da haben schon die Instincte und Neigungen ihre Kraft verlohren, und die Begriffe fangen an Platz zu nehmen, und denn macht man sich Grundsätze welche den Charackter ausmachen.

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⌠Seite 557⌡

Von der Bestimmung der Characktere der √Volcker_\\_Völcker.⌡

Es ist zwar viel gewagt⌠,⌡ die Characktere gantzer Völcker bestimmen zu wollen, allein es ist doch möglich, daß dennoch im gantzen eines Volcks, welches durch die lange Dauer, durch Clima und andere Ursachen endlich eine einmahl eingeartete Beschaffenheit bekommen, etwas characteristisches könne determinirt werden. Die Bestimmung des Charackters muß nicht von zufälligen Sachen Z. E. von Religion hergenommen werden, sonst beruht es auf ├den┤ Zufall, sondern es muß das erbliche eigenthümliche, √gleichformige_\\_gleichförmige⌡ der Bestimmung herausgesucht werden, welches unter allen √Veranderun- gen_\\_Veränderungen⌡ des Volcks dennoch ein √wesentliches_\\_Wesentliches⌡ Stück geblieben ist. Das √Charackterische_\\_Characterische⌡ √Betrift_\\_betrift⌡

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⌠Seite 558⌡
hier das √Unterscheidende_\\_unterschiedene⌡ in Ansehung des Gemüths des gantzen Volcks. Es soll hier der Charackter die allgemeine Bedeutung haben den eigentlichen Unterscheid in Ansehung des Talents und Gemüths zu bemercken, daher muß hier das herausgezogen werden, was zu allen Zeiten gegolten hat. Wenn wir den Charackter der orientalischen Völcker mit dem Charackter der Europaeer vergleichen⌠,⌡ so finden wir hier einen wesentlichen Unterscheid, der unter allen Regierungen und √Veranderungen_\\_Veränderungen⌡ dennoch bey den orientalischen Völckern geblieben ist. Zum Charackter wird ein Vermögen nach Begriffen und Grundsätzen zu handeln erfordert. Alle orientalischen_\\_orientalische⌡ Völcker sind der Beurtheilung nach Begriffen gäntzlich unfähig. Es ist ein

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/großer √unterscheid_\\_Unterscheid,⌡ die Sache nach Gestalt, Erscheinung und Anschauung
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und nach Begriffen zu beurtheilen. Alle Orientalischen_\\_orientalischen⌡ Völcker sind nicht im Stande eine einzige Eigenschaft der Moral oder des Rechts durch Begriffe √auseinander_\\_aus einander⌡ zu setzen, sondern alle ihre Sitten beruhen auf Erscheinung. Es scheint im Anfange dieser Unterscheid sehr klein zu seyn, allein in der Anwendung √leuchtet_\\_leichtet⌡ er hervor. Wer sich nur nach Gestalt und Anschauung vorzustellen etwas vermögend ist, der ist deßen gäntzlich unfähig was einen Begrif erfordert, daher sie weder einer Philosophie noch Mathematic fähig sind├,┤ noch durch Begriffe etwas einsehen können, daher werden alle ihre Gemälde zwar sinnliche Schönheiten haben, aber ⌠aber⌡ es wird in ihnen weder├,┤ die Jdee

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/des √Gantzen,_\\_gantzen⌡ noch der Geschmack anzutreffen seyn. Alle Künste├,┤ worinnen die Chineser
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besonders ¿»xcelliren_\\_excelliren⌡, sind eher excolirte Hand- griffe als √Produckte_\\_Producte⌡, die aus dem Begriff gefloßen seyn sollten. Die Schönheit der Music fällt bey den orientalischen √Volckern_\\_Völckern⌡ gantz weg, sie begreifen gar nicht, daß darinn eine Schönheit ist, wenn viele Jnstrumente zusammen in verschiedenen Tönen harmonisch spielen, sie halten das für Confusion├,┤ indem sie den Begrif des Thematis der in der Music herrscht, und ausgeführt ist, nicht fähig sind, einzusehen. Jn ihren Gebäuden ist weder Erhabenheit, Ordnung, Proportion├,┤ Delicatesse, Feinheit noch Geschmack, welches alles auf dem Begrif beruhet. Die wahre Schönheit besteht in der Uebereinstimmung der Sinnlichkeit mit dem Begrif, und

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/dieses fehlt ihnen. Da sie keines √Begrifs_\\_Begriffes⌡ fähig sind, so können √sie_\\_si«ch»e⌡ auch nicht der wahren Ehre fähig seyn, von der wißen
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sie auch gar nichts⌠,⌡ denn es ist was anderes Ehrliebe und Ehrbegierde zu haben, als mit dem Hochmuth zu prangen. Die Ehrliebe gründet sich auf einen √Begriff_\\_Begrif⌡, der einen andern Zweck hat. Ein √ehrliebiger_\\_Ehrliebiger⌡ wird also darinn seine Ehre suchen, daß er ein rechtschaffener, großmüthiger gütiger Mann sey√. Diese_\\_, diese⌡ Ehre beruht auf dem Begrif. Jhre Ehre aber wird sich auf Gestalt und Anschauung gründen. Sie suchen demnach ihre Ehre in der Macht, Gewalt, vornehmen Stande, in Eitelkeiten, die auf wunderliche Dinge hinaus laufen. Sie gehen also nicht auf Geschmack, sondern auf Pracht, Menge und Reichthum. Wenn worauf viel verwandt ist, und viel

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/Gold prangt, √das_\\_daß⌡ ist bey ihnen ein Gegenstand der Schönheit und der Ehre, aber keiner wird sich bestreben hochgeschätzt zu werden. Daher findet bey ihnen auch keine
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Liebe zum Vaterlande statt. Ob sie gleich sonst guthertzige Leute sind, so verrathen sie doch ihr eigenes Vaterland, denn sie sehen gar nicht ein, warum sie das nicht thun sollen, warum sie schuldig sind ihr Vaterland zu lieben, daher kein Minister_\\_Ministre für das Wohl des gantzen Landes sorgt, sondern wenn er es thut, so thut er es aus Gehorsam, wozu er vom Könige gezwungen wird, der aber wieder sein Interesse hat. Daher ist keine Treue bey ihnen├,┤ und keiner sucht deswegen geschätzt zu werden, weil er √treu_\\_Treu⌡ ist. Jn ihren Büchern sind sie keines Begrifs der Gottheit fähig, in ihren Schriften ist lauter Blumenwerck, ihr Stiel ist

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/weitläuftig, bilderreich und blumenvoll. Daher müßen wir gar nicht den √europaeischen_\\_Europäischen⌡ Stiel durch das Bilderreiche, welches einige thun wollen,
⌠Seite 563⌡
zu verbeßern suchen, √indem_\\_in dem⌡ sie ihn √alsdenn_\\_als denn⌡ √korrumpiren_\\_corumpiren⌡, und die wahren Erkenntniße durch Begriffe, welche das vorzügliche der Europäer ist ausrotten├,┤ und √bilder_\\_Bilder⌡ an die Stelle bringen. Zwar werden die Begriffe vollkommener, wenn sie √anschauend_\\_anschauend«er»⌡ gemacht werden, aber nicht├,┤ wenn ├«ihre»┤ Bilder an ihre Stelle kommen. Die √Grichische_\\_grichische⌡ Nation ist die erste in der gantzen Welt, welche die √Talente_\\_Talente des Verstandes ausgebildet, und die Erkenntniße durch Begriffe entwickelt hat. Alle √Mathematik_\\_Mathematic mit der Demonstration haben wir von den Grichen, √daher_\\_dahero⌡ Hypocrates und Euclides Muster

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/bleiben├,┤ so unnachahmlich sind. So übertreffen sie auch in den Wercken des Geschmacks alle Völcker, sie sind in der Philosophie, Redekunst, Mahlerey, Bildhauerkunst p. Muster, von denen wir nicht allein Schüler⌠,⌡ sondern auch ewige Nachahmer
⌠Seite 564⌡
bleiben werden, so daß wir auch √niemahls_\\_niemals⌡ was beßeres werden machen können. Hier ist das asiatische Talent der An- schauung mit dem √europäeischen_\\_Europäischen⌡ Talent der Begriffe in mittelmäßiger Proportion √vereinbaret_\\_vereinbahret⌡. Die Nordischen Völcker √Europas_\\_Europens haben ein √großeres_\\_größeres⌡ Talent der Begriffe, aber ein schwaches Talent der sinnlichen Anschauung.
Wenn wir aber die Europaeischen_\\_Europaischen⌡ Völcker an sich characterisiren wollen├,┤ so wird es hier mehr ein Spiel der Be- griffe,

/Seite_614

/als eine Behauptung seyn. Man muß hier keinen Character_\\_Charackter⌡ nehmen, wodurch die Nation gelobt wird, denn sonst wird dadurch eine andere Nation die gleichfalls Lob fordert├,┤ beleidiget vielweniger muß man Characktere des Talents_\\_Tadels⌡ anführen. Also wird der gantze √charakte- 
⌠Seite 565⌡
ristische_\\_Charakterischtische⌡ Unterscheid der √Volcker_\\_Völcker⌡ auf Kleinigkeiten auslaufen, über die √man_\\_mann⌡ lachen kann, die aber gleichwohl unterscheidende Merckmale sind. Von Alters haben die Phoenicier⌠,⌡ als sie nach Europa reiseten├,┤ die Länder nach ihren Producten genannt Z. E. Spanien⌠,⌡ das Pferdeland, Engelland das Zinnland. Also könnten wir auch eine ähnliche Weise nachahmen und sagen: Franckreich ist das Modeland⌠,⌡ Teutschland das √Tittelland_\\_Titelland⌡, Spanien das

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/Ahnenland, Engelland das Land der Laune p Franckreich können wir mit Recht das √ModenLand_\\_Modenland⌡ nennen, denn es ist eine Nation vom Geschmack. Zum Geschmack gehört Neuigkeit, zur √Schönheit_\\_Schonheit⌡ √Veränderlichkeit_\\_veränderlichkeit⌡ worinn sie alle Nationen übertreffen. Sie sind munter, lustig, sorgenlos, √fröhlichen_\\_frölichen⌡ Hertzens, gesprächig, geneigt √zum Singen_\\_zu singen⌡,
⌠Seite 566⌡
spielen, √tantzen_\\_tanzen⌡. Keine Regierung in der Welt, wenn sie noch so hart ist kann dieses in ihnen unterdrücken. Sie machen ihr gantzes Leben zum Spiel⌠,⌡ aus Sachen von Wichtigkeit machen sie eine Kleinigkeit und aus Kleinigkeiten⌠,⌡ Wichtigkeit√._\\_;⌡ √Das_\\_das⌡ ist auch der Gang, den der Mensch in seinem Leben nehmen muß, daß er es als ein Spiel √tracktirt,_\\_tractirt⌡ und sich nicht an Dinge hänget. Jn der Leichtigkeit├,┤ Freundlichkeit, Ungebundenheit⌠,⌡

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/übertreffen sie alle Nationen. Man nehme nur die Galanterie_\\_Galanterie⌡ nicht in Ansehung des Geschlechts sondern in allem Betragen und Unterredungen├,┤ welches eine Höflichkeit ohne Freundschaft ist, so sind sie darinn willfährig, höflich gegen √jedermann_\\_iedermann⌡ aber ohne attachement_\\_Attachement, es √geht_\\_«h»geht⌡ aufs modische und auf den äußeren Schein. Der Umgang mit dem fran- 
⌠Seite 567⌡
zösischen Frauenzimmer bildet sehr, weil sie gesprächig und gesellig sind, und sich sehr mit ihrem Talente zeigen. Wenn man unpartheiisch urtheilen soll, so wären wir √alle_\\_<alle>⌡ Bären in √unserem_\\_unserm⌡ Umgange, wenn wir nicht durch die Franzosen polirt gemacht würden. Jn keinem Lande ist die Conduite so allgemein als in √Frankreich_\\_Franckreich⌡ in dem ein √iedes_\\_jedes⌡ √Bauermädchen_\\_Bauren Mädchen⌡ sehr bald die Conduite

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/einer Fürstin erlangen kann.
Deutschland können wir das √Tittelland_\\_Titelland⌡ nennen, indem der √Deutsche_\\_Teutsche⌡ sehr auf die √Titel_\\_Titul⌡ hält. Die Frauen führen den Titel ihrer √Männer_\\_Manner⌡. Die Titel haben großen Einfluß bey den Deutschen, sie bewürcken auch viele Ehre. Selbst die deutsche Sprache verräth solches, denn sie ist ⌠voll⌡ Titulatur und Bemerckung des Unterscheides⌠,⌡ des Ranges├,┤ das du, er, ihr und sie sind lauter Bemerckungen des Unterscheides des Ranges, deswegen ist man sehr oft in Ver- 
⌠Seite 568⌡
legenheit, indem man nicht weiß, ob man auf seinen Schuster Er oder Sie sagen soll, das erste um nicht zu beleidigen, das letztere um sich nichts zu vergeben. Der Deutsche ist also sehr peinlich in Unterscheidung des Ranges. Die Folge ist diese, daß der niedrige Stand iederzeit an

/Seite_618

/seine Niedrigkeit erinnert wird, und in Verlegenheit geräth, wenn er mit einem √vornehmen_\\_Vornehmen⌡ spricht, woraus eine allgemeine Peinlichkeit und √Zwanck_\\_Zwang⌡ entsteht. So ist es auch in Briefen, die immer das √steife_\\_Steife⌡ behalten werden, und wenn man auch an einen Vornehmen mit einer freien Feder schreiben wollte, so hat man immer zu besorgen, er werde es für eine √Geringschatzung_\\_geringschatzung⌡ halten. Jn Franckreich aber wird ieder per Vous angeredet, der Unterscheid mag seyn wie er wolle√;_\\_,⌡ daher sind alle Unterredungen freymüthig├,┤ nicht gezwungen nicht peinlich. Jn Engelland
⌠Seite 569⌡
ist der völlige Mangel der Titel anzutreffen, woraus eine Art von Gleichheit und

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/Selbst-Zufriedenheit entspringt. Die Deutschen sind methodisch, regelmäßig├,┤ ordentlich und abgemeßen, daher beobachten sie in allen Formularitaeten √Beobachtung_\\_Beobachtungen⌡ der Stände Ordnung und Regeln, welches jetzt sehr hoch gestiegen ist, und beynahe nicht höher steigen kann. Je mehr nun der Mechanismus wächst, √desto mehr_\\_destomehr⌡ wird das Genie ausgerottet, daher bringen sie die Produkte des Genies anderer in Ordnung, und ihre Bücher enthalten viele Ordnung und Theile, aber nichts besonders darinn abgehandeltes. Sie halten sehr auf das, was gebräuchlich ist, daher werden sie nichts eigenthümliches anfangen, und neue Moden √können_\\_kommen⌡ bey ihnen auch nicht entstehen, weil sie

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/den der was √neue_\\_neues⌡ aufbringt ein Recht zu haben glauben, auszulachen.
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Diejenigen Moden kommen bey ihnen auf, die schon in Franckreich im Gebrauch waren, und den werden sie wieder zum Gebrauch. Sie sind also sehr an Regeln gebunden, und es ├ist┤ ihnen anzusehen, daß sie sich Zwang anthun. Vieles beruht schon auf der Erziehung⌠,⌡ indem die Kinder schon angewöhnt werden am Tisch nach gewißen Regeln zu √handeln_\\_handlen⌡, solche auch in Kleidern beobachten müßen, und auf das schickliche √«und»oder_\\_oder⌡ √Unschickliche_\\_unschickliche⌡ sehr oft verwiesen werden. So geht es auch in den Schulen zu, da wird alles nach Regeln der Grammatic

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/gelernt, die Chrieen nach einer gewißen Methode zugeschnitten, und die Briefe nach allen Regeln der Antecedenzen und Conseqvenzen_\\_Conseqvencen⌡ verfertiget, alle exertitia_\\_Exercitia immitirt, woraus eine solche allgemeine Peinlichkeit entsteht⌠,⌡
⌠Seite 571⌡
die niemals auch nicht in Gesellschaft abgelegt wird. Der Deutsche ist dauerhaft in der Arbeit, welches mit seiner Ordnung und Peinlichkeit nach Regeln zusammen stimmt. Daher ist der Deutsche der Pedant in der Welt⌠,⌡ weil er peinlich in √Beobach- tung_\\_Beobachtungen⌡ der Regel ist├,┤ und Mangel an Weisheit und UrtheilsKraft hat, diese Regel anzuwenden. Der Deutsche ist nicht so gesprächig als der Franzose, aber √gastfreier_\\_Gastfreier⌡, sie haben einen

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/Hang zur Geselligkeit, die sich nicht allein mit Worten begnügt, sondern auch für den Magen sorgt. Es ist eine Gutartigkeit des √Herzens_\\_Hertzens⌡.
Italien_\\_Jtalien⌡ ist ein Land der Schlauen, daher sind die Italiaener sehr zurückhaltend √acht-_\\_¿»cht-⌡ und behutsam. Jn Italien ist lauter Politic. √Man_\\_Mann⌡ findet √sich_\\_sie⌡ nirgends ⌠so⌡ als da,
⌠Seite 572⌡
es läuft alles bey ihnen auf Verschlagenheit √hinaus_\\_er»inaus⌡, und dadurch verdienen sie sich mehr √Brod_\\_Brodt⌡, als wenn sie etwas nützliches ausarbeiten. Sie zeigen einen schlauen und erfindungsreichen Geist├,┤ dem andern den Geschmack abzurathen├,┤ und ihn zu treffen, dahero √sie sich_\\_sind sie⌡ sehr auf Optische_\\_optische⌡ Sachen, Music, Mahlerey legen. Alles dient dazu um dem

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/√reichen_\\_Reichen⌡ das Geld schlau aus der Tasche zu locken. Die Künstler und überhaupt das Volck √weis_\\_weiß⌡ solche Eitelkeiten zu ersinnen, das Geld den Vornehmen, die es ihnen auf eine andere Art entzogen haben abzulocken. Es ist lauter √Täuschung_\\_täuschung⌡ der Sinne Z. E. die Lotterie_\\_Lotherie. Schöne √Künste_\\_Künsten⌡ sind bey ihnen eine Künstliche Manier. Jhre Schlauigkeit zeigt sich auch im Kriege und in denen √Feindseeligkeiten_\\_Feindseligkeiten⌡, daher sind sie
⌠Seite 573⌡
gute Banditen.
Spanien ist das Ahnenland. Sie halten sehr viel auf das Alter ihres √Abstammes_\\_Stammes⌡, auf das Ahnenblut├,┤ Ahnensatzungen und √Ahneng<e>bräuche_\\_Ahnengebräuche⌡ in der Religion. Demnach schätzen sie Z. E. das Gothische Blut sehr hoch, indem es mit keinem √Mohrenbluth_\\_Mohrenblut⌡ vermischt ist. Sie verachten mit

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/Hochmuth und Vorzugs Geist alle andere Nationen. Sie sind dem Aberglauben sehr ergeben, der √den_\\_denn⌡ auch von der √Unwißenheit_\\_Unwissenheit⌡ begleitet wird.
Engelland ist ein Land der Laune, welches eine Disposition des Kopfs √ist_\\_in⌡ alle Gegenstände nach besonderm Licht zu be- urtheilen. Das Land der Laune ist auch das Land der Characktere, √ieder_\\_jeder⌡ hat seine Disposition und seinen eigenthümlichen Charackter. √Dennoch_\\_Demnach⌡ giebt es keine Nach- 
⌠Seite 574⌡
ahmer unter ihnen. Die Deutschen hingegen sind die größten Nachahmer. Jn Engelland sind lauter Original Characktere. Wenn man √zehn_\\_10.⌡ Franzosen gesehen hat, so kennt man die gantze Nation, aber in Engelland ist die Verschiedenheit sehr groß, dahero

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/auch die gantze Nation der Engelländer keinen Charackter hat, weil ⌠ieder seinen eigenen hat; weil⌡ aber √jeder_\\_ieder⌡ Franzose keinen eigenthümlichen Charackter hat, so hat die gantze Nation einen. Menschen⌠,⌡ die ihre eigene Länder haben, beqvemen sich nicht gerne einem fremden Charackter. Daher das Volckrecht in Engelland sehr herrscht. Jn √Frankreich_\\_Franckreich⌡ thut man stoltz├,┤ daß der König alles ⌠König alles⌡ kann, aber die Unterthanen können weiter √nicht_\\_nichts⌡ aus- 
⌠Seite 575⌡
richten. Die Macht des Königes kommt daher, weil die Unterthanen nichts haben, welchen Vorzug man ihnen auch gerne √zugesteht_\\_Zugesteht⌡. Eine √Wirckung_\\_Würckung⌡ ihrer Laune ist auch der Selbstmord. Nirgends bringen sich solche Reiche, Vornehme und hohe Personen aus Laune um⌠,⌡ als in

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/Engelland. Die Originalität_\\_Originalitaet ist die √Wirckung_\\_Würckung⌡ davon. Die Gründlichkeit und der Tiefsinn ist demnach bey ihnen zu finden, aber nicht das Geschmackvolle der Franzosen√,_\\_;⌡ obgleich große Accuratesse, Dauerhaftigkeit, √Pro- prietaet_\\_Proprietaet in ihren Producten anzutreffen ist, so fehlt doch der Gout der Franzosen√:_\\_.⌡ Zwar √dauert_\\_dauret⌡ das Product der Franzosen nicht so lange⌠,⌡ es ist neu, mit einem mahl auch schon alt⌠,⌡ √alsdenn_\\_als denn⌡ bringen sie wieder was neues auf, und damit erhalten
⌠am Rand Z. 4
~(der Engelländer)~⌡
⌠Seite 576⌡
sie sich.
Jn den übrigen Ländern und Nationen von Europa ist der √Charackter_\\_Character schwer zu treffen, obgleich aus der Vereinigung des Charackters √zweyer_\\_zwoer⌡ Nationen ein dritter heraus kommt Z. E. so haben die Pohlen etwas vom

/Seite_627

/französischen und spanischen Charackter an sich, obgleich sich diese Characktere entgegen zu seyn scheinen. Bey den Pohlen herrscht eine gewiße √Gravitaet_\\_Gravitaet, woraus aber hernach eine Masurische Gleichgültigkeit herauskommt, es fängt sich alles bey ihnen mit Pomp und Pracht an, und √zuletzt_\\_zulezt⌡ kommts auf etwas gemeines und niedriges heraus. Die Rußen müßen sich noch mehr auf dem Theater der Welt sehen laßen, damit man ihren Charackter kennen und bezeichnen könnte, dahero ist es nicht rathsam aus einigen Kleinigkeiten die Nation zu
⌠Seite 577⌡
characterisiren, weil es √fehl schlagen_\\_fehlschlagen⌡ könnte. Die Pohlen und Rußen haben mehr orienthalische √Charackter_\\_Charackter«e»⌡ Mischung als alle andere Nationen in Europa. So ist

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/in der Beredsamkeit der Pohlen mehr Pomp von Declamationen als Begriffe.

Von der Physiognomie oder von der Bestimmung des Charackters am Menschen.

Alles⌠,⌡ was äußerlich den Charackter am Menschen verrathen kann, gehört zur Physiognomie. Auf dieses ist die Neubegierde √der_\\_des⌡ Menschen am meinsten gerichtet. Denn da es zum Theil eine Wahr- sager Kunst ist, √«m»so_\\_so⌡ uns die Natur gegeben hat, den Charackter der hervorragt zu entdecken, so schmeichelt die Entdeckung eines solchen Geheimnißes den Menschen sehr, denn √je mehr_\\_¿emehr⌡ einem etwas √Geheim_\\_geheim⌡ ist,
⌠Seite 578⌡
desto mehr bestrebt man sich es zu wißen. Dieses ⌠aber⌡ dient nicht allein die Eitelkeit und √den_\\_denn⌡

/Seite_629

/Scharfsinn des Menschen zu befriedigen, sondern weil wir mit Menschen umgehen, und sie √also auch_\\_auch also⌡ kennen lernen müßen, so ist sie auch nützlich. Nichts ist in der Natur ein Gegenstand des Affects und unserer Leidenschaft als ein anderer Mensch. Andere Sachen sind nur √Gegenstande_\\_Gegenstände⌡ unseres Appetits und unserer √Begierde_\\_Begierden⌡, aber nicht unseres Affects und unserer Leidenschaft. Daher interessirt_\\_intereßirt⌡ dieses den Menschen am meisten ihn kennen zu lernen und seinen Charackter zu wißen. Die Physiognomie lehrt uns, wie weit wir den Charackter aus dem äußern bestimmen √können,_\\_kennen⌡ und wie weit unser Scharfsinn geht. Die Physiognomie ist die √Gesichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡
⌠Seite 579⌡
des Menschen, aus der man das

/Seite_630

/innere deßelben √errathen_\\_verrathen⌡ kann. Sie sollte aber die √Wißenschaft_\\_Wi«sch»¿enschaft⌡ seyn solches unter die Regel zu bringen, damit man von dem äußeren auf das innere schließen könnte.
Die menschliche Bildung scheint dem vernünftigen Wesen die √aller angemeßenste_\\_allerangemeßenste⌡ zu seyn. Wir können uns keine Ge- stalt dencken, kein Dichter kann sein Dichtungs Vermögen so weit aufschwingen, daß er für den Menschen ein andere Gestalt aussinnen könnte, als diese Bildung des Menschen ist, die dem vernünftigen Wesen die geziemenste und √passendste_\\_paßenste⌡ ist. Die Ursache ist├,┤ weil uns keine Bildung von unsern bekannten Aeußerungen √bekannt_\\_bekant⌡ ist, als so wir haben. So wenig √wi«r»e_\\_wie⌡ wir uns eine andere von Sinnen vom Gebrauch der Welt

/Seite_631

/erdencken können,
⌠Seite 580⌡
als diejenige √die_\\_so⌡ wir haben, also können wir auch keine andere Organisation der Bildung erfinden, als die wir haben. So wie das ein guter moralischer √Gedancken_\\_Gedancke⌡ ist: der Mensch ist nach Gottes Bilde gemacht, so könnte man auf der andern Seite sagen√:_\\_;⌡ der Mensch macht sich Gott nach seinem Bilde, indem er sich keine neue Bildung von Gott machen kann. Er kann zwar die Bildung ├«von Gott»┤ *1 √«von»für_\\_für⌡ Gott √vergrößern_\\_vergrössern⌡ und √zusetzen_\\_Zusätzen⌡, aber keine neue √machen_\\_Machen⌡, er kann aus der ├Bildung┤ des Menschen nicht her- auskommen. So pflegt man √auch_\\_<auch>⌡ den Engeln denen man auch eine menschliche Gestalt giebt, noch Flügel √hin<zu>zusetzen_\\_hinzuzusezzen⌡, die aber sehr √unpassend_\\_unpaßend⌡ sind├,┤ indem ein solcher Mensch der Flügel an den Schultern hätte gar nicht fliegen

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/könnte, weil kein Gleichgewicht ist. Wir können also nichts zum Men- 
am Rand Z. 10
~*1 des Menschen~
⌠Seite 581⌡
schen hinzusetzen.
Jn dieser Bildung können wir Betrachten die Leibes Gestalt und die Geberdung oder Stellung. Jn der Leibes Gestalt ist der Schnitt des Menschen⌠,⌡ die Proportion ├aller seiner Glieder zu mercken. Die Proportion der Glieder ist noch nicht recht bestimmt, die man für eine allgemeine annehmen könnte. Denn es könnte auch seyn, daß man sich an eine gewiße Proportion angewöhnt hätte, und diese für die beste hielte, und denn wäre sie nur aus der Erfahrung hergenommen. So suchen die Chineser die Schönheit ihrer Bildung in einem dicken Bauch, allein man sucht und begehrt gemeinhin darinn die

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/Schönheit, woran man einen Mangel hat. Da nun die Chineser alle sehr √mager_\\_Mager⌡ sind, so sehen sie darauf⌠,⌡ wenn sie √völlig_\\_vollig⌡ werden, und √sezzen_\\_setzen⌡ in einem dicken Bauch die Schönheit der Proportion.
⌠Seite 582⌡
Allein man √könnte_\\_konnte⌡ doch aus der Natur die ächte Proportion und Bildung herausbekommen, ohne sie nach dem Geschmack zu nehmen. Wenn man die √wahre_\\_Wahre⌡ Proportion herausbekommen will, so √müßte_\\_müste⌡ man von 100 Menschen die Höhe meßen, hernach die Höhe des Gesicht⌠,⌡ √den_\\_denn⌡ die Höhe der Nase der √Stirne_\\_Stirn⌡ und √so weiter_\\_s. w.⌡ von allen Gliedern, als denn √müßte_\\_müste⌡ man eine jede Höhe besonders addiren, und denn wäre dieses ein Mensch der 100 mal größer wäre als alle 100, und diese Bildung wäre die Proportion der Bildung dieses großen Riesen, und das

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/Gesicht √ware_\\_wäre⌡ das proportionirte_\\_Proportionirliche⌡ Gesicht √dieses_\\_des⌡ großen Riesen. Dieses wäre nun ein Mensch von der proportionirlichsten_\\_proportionirtesten⌡ Bildung. Wenn ich nun diese Proportion mit 100 dividire, so bekomme ich die Proportion für √ieden_\\_jeden⌡
⌠Seite 583⌡
Menschen von den 100⌠,⌡ und dieses wäre die wahre Proportion der √Gesichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡. Wenn wir Z. E. die Gesichtsbildung der Griechen nehmen, die in ihrem √Profiel_\\_Profil⌡ eine gerade Linie von der √Stirn_\\_Stirne⌡ bis zur Nase ohne Absatz √hätten_\\_hatten⌡, welche Bildung was erhabenes anzeigt, sich aber mehr √für_\\_vor⌡ die Minerva als die Venus schickt, wenn wir hernach die Bildung der Negers nehmen⌠,⌡ die wieder eine eben gar zu sehr angedruckte und aufgeworfene Nase haben, wenn wir nun das zusammen nehmen, und hernach durch

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/dieselbe Menge dividiren so kommt die mittlere Proportion her- aus√;_\\_,⌡ weder das Profiel des Grichen noch das Profil des Negers, und das wäre die wahre Schönheit des Gesichts. Und so könnte man auch in der Bildung anderer Glieder die wahre Proportion heraus
⌠Seite 584⌡
bringen. Jn Jndien sollen die Schenckel größer seyn als hier. Die Proportion in der Taille bringt auch in uns das Urtheil von der wohlgebildeten Leibes Gestalt des Menschen hervor, daraus folget aber noch nicht, daß er im Gesicht schön seyn muß. Denn hier geht unser Urtheil nicht so auf die Proportion, obgleich auch auf die⌠,⌡ als auf den Reitz den die Gesichter haben. Daher sagt auch Winkelmann_\\_Winckelmann, daß wir unsere Begriffe von der Schönheit der √Gesichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡ corrumpiren, indem wir die Begriffe von

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/der Gesichtsbildung an sich und ihrer Schönheit mit den √Begriffen_\\_«b»Begriffen⌡ von der √Schönheit_\\_Schonheit⌡ der √Ge- sichtsbildung_\\_Gesichts Bildung⌡ der √Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ vermengen, denn da sehen wir nicht so auf die Schönheit der Proportion als auf den Reitz, und suchen hernach diesen Begriff von dieser Schönheit auf √alles_\\_alle⌡ anzuwenden,
⌠Seite 585⌡
da doch die Proportion bey dem Manne gantz anders ist, als bey √den Weibern_\\_dem Weibe⌡, in dem die √ihr«e»ige_\\_ihrige⌡ sowohl in der Brust als andern Theilen von der unsrigen unterschieden ist. Die Griechen sollen die beste Leibes Bildung gehabt haben, indem sie ihren Leib durch ihre Spiele so sie nackend hielten⌠,⌡ aus- gebildet und den Wuchs ihrer Natur durch keinen Zwang aufgehalten haben. Bey uns wird die Natur durch den √Zwank_\\_Zwang⌡ der Kleider √aufgeh«¿¿»alten,_\\_aufgehalten⌡ und

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/dadurch die √natürliche_\\_Natürliche⌡ Proportion des Leibes gehindert. So haben die Pohlen einen dickeren Hals, weil er frey ist, und die Engellander geschicktere Schenckel, weil da die Erziehung der Kinder nicht auf den Regeln des Schikens und Laßens beruht, sondern die √vornemsten_\\_vornehmsten⌡ Kinder eben so gut auf der Straße herumlaufen wie die √Bauer_\\_Bauren⌡ Kinder, welches auch Rousseau haben will, indem dadurch die Kin- 
⌠Seite 586⌡
der wacker erzogen werden. Die deutsche Nation ist aber sehr an Regeln und Gebrauch gebunden, daher auch die Erziehung der Kinder zwangsmäßig ist. Die Kinder werden immer commandirt, sie sollen so und nicht anders sitzen, denn das schickt sich nicht, oder es läßt nicht.
Was die Geberdung und Stellung betrift├,┤ so ferne sie

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/durch alle Hinderniße gehet, so hängt sie von der Gestalt und Leibes Bildung ab. Je weniger die Menschen mit ihrem Leibe unter dem Zwange sind, desto mehr sind die Geberden der Natur √gemäß_\\_gemäs⌡ und desto weniger ist was gekünsteltes⌠,⌡ sondern die Freymüthigkeit und Munterkeit der Natur strahlt iederzeit hervor, welche aber in unserer Erziehung durch die Beschämung sehr unterdrückt wird, und wenn auch durch das
⌠Seite 587⌡
√zwangsmäßige_\\_Zwangsmäßige⌡ eine geschickte Stellung und Geberde erworben wird, so artet doch dadurch der √Zwanck_\\_Zwang⌡ ein, so daß man in allen Geberden √denselben_\\_den selben⌡ blicken läßt, und man sich √Zeitlebens_\\_Zeit lebens⌡ nicht in die Freiheit der Natur √versetzen_\\_versezzen⌡ kann.
Man sagt vom Menschen: er ist hübsch

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/wohlgebildet. Dieses geht theils auf die Bildung der gantzen Leibes Gestalt, theils auf die Bildung des Gesichts. So sagt man auch√,_\\_:⌡ der Mensch ist häslich. √Häßlich_\\_Häslich⌡ kommt aber vom √hassen_\\_Hassen⌡ her. Wenn es aber daher kommt, so kann √man_\\_mann⌡ nicht sagen, daß ein solches Gesicht oder die Leibes √Gestalt_\\_gestalt⌡, die von der wahren Proportion abgeht, häslich sey, deswegen √darf_\\_darff⌡ √er_\\_es⌡ gar nicht gehaßt werden. Um häslich zu seyn, muß etwas im √Gesicht_\\_Gesicht«¿»⌡ liegen, was der Moralitaet wiederspricht, Tücke, Bosheit, Trotz, Wieder- 
⌠Seite 588⌡
spenstigkeit Grobheit, das ist nur allein am Menschen √häßlich_\\_häslich⌡. Die ├Die┤ unproportionirte Bildung des Leibes und des Gesichts aber darf deswegen nicht häslich seyn. Die Urtheile sind in Ansehung beyder Geschlechter, so wie es auch die Urtheile von der Schönheit √waren_\\_wären,⌡ sehr

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/verschieden, denn wir beurtheilen die Schönheit am √«Menschen»Mann_\\_Mann⌡ und am Weibe aus verschiedenen √Ge- sichtspuncten_\\_Gesichtspunckten⌡. Des Mannes seine Schönheit und √Häßlichkeit_\\_Häslichkeit⌡ betrachten wir aus dem √Gesichtspuncte_\\_Gesichtspunckte⌡ der männlichen √Starcke_\\_Stärcke⌡ und Tüchtigkeit ⌠aber die Schönheit und Häslichkeit⌡ des Frauenzimmers vergleichen wir mit unserer Neigung, daher sieht ein altes Weib immer √häßlicher_\\_häslicher⌡ aus als ein alter Mann, denn das Weib beurtheilen wir nach dem Reitz, den Mann aber nach seiner Mannhaftigkeit√:_\\_.⌡ √so_\\_So⌡ führt
⌠Seite 589⌡
iemand vom √Heideg_\\_Heydeg⌡ gar an, daß er solche üble Proportion im Gesichte hatte, daß man ihn nicht ansehen konnte ohne zu la- chen, so wie er auch selbst damit Spaas trieb, indem er einmal sagte, daß er der √häßlichste_\\_häslichste⌡ in der Gesellschaft wäre. Als nun gewettet wurde, so führte der andere, welcher mit ihm gewettet hatte, ein altes Weib herein. Ueber diese fing nun

/Seite_641

/alles noch mehr an zu lachen, worüber er seine Wette verspielte, er aber sagte: damit sey es noch nicht ausgemacht, weil hier die Beurtheilung aus 2 Gesichtspunckten geschiehet, man √solle_\\_solte⌡ dem Weibe die Peruqve und ihm die Dormaise aufsetzen, so bald dieses geschah, ward man gewahr, daß er Recht hatte, und sah worauf es hier beruhe. Die Männer √müssen_\\_müßen⌡ Mannhaftigkeit, √Stärcke_\\_Starcke⌡ und Tüchtigkeit, die Weiber
⌠Seite 590⌡
aber mehr Sanftmuth in ihrer Gesichtsbildung verrathen. Denn so wie das weibliche √Ges«chlecht»icht_\\_Ge«schlecht»sicht⌡ den Mann verdirbt, so verdirbt auch das männliche das Weib, welches letztere einige als ein Lob anführen, wenn √nehmlich_\\_nemlich⌡ ein Weib männlich aussieht, und doch weder das eine von einem, noch das andere vom √andern_\\_anderen⌡ gelten kann.

/Seite_642

/Wenn eine Disproportion in dem Gesicht des Menschen ist, so kann diese Disproportion durch die Veränderung eines √Gliedmaßes_\\_Gliedmaaßes⌡ nicht einmal aufgehoben werden, sondern es müßen alle Glieder verändert werden Z. E. wenn jemandes Nase für sein Gesicht zu groß gehalten wird, so daß man glaubt, dadurch entstehe eine Disproportion, so √frägt es_\\_frägts⌡ sich: ob eine kleinere Nase diesen Menschen kleiden würde? Wir können sagen, daß
⌠Seite 591⌡
keine andere Nase für sein Gesicht so gut passet, als die, welche er hat. Es ist durch Zufall geschehen, daß ein Mensch, der eine große Nase hatte, dieselbe verlohr, und als er sich eine kleine machen ließ, so stand ihm diese gar nicht wohl, weshalb er sich wieder eine eben so große Nase machen ließ, als die war⌠,⌡ so er verlohren

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/hatte. Also ist auch im disproportionirten Gesicht solche Proportion, daß √man_\\_«¿¿man»⌡ die Disproportion nicht durch Ver- änderung eines Gliedes haben kann⌠,⌡ sondern das gantze Gesicht √müste_\\_müßte⌡ alsdenn verändert werden. Um aber der Physiognomie näher zu kommen, so frägt es sich, ob auch eine Physiognomie möglich √sey_\\_seyn⌡, und ob auch das äußere als eine Entdeckung des innern von der Natur könne angesehen werden√,_\\_?⌡ und ob sich die Physiognomie unter gewiße Regeln
⌠Seite 592⌡
bringen läßt, so daß die Physiognomie eine Wißenschaft wäre? Jn wie weit sich etwas unter Regeln bringen √laßt_\\_läßt⌡, und in wie weit die Physiognomie eine Wißenschaft ist oder nicht, wird sich noch in der Folge mit mehrerem zeigen. Eigentlich kann die Physiognomie keine Wißenschaft seyn, weil keine Regeln und

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/Principia sind, aber es ist doch eine Kenntnis aus dem äußern das innere zu errathen, es ist doch ein Grund zu vermuthen, daß das innere sich durch das äußere entdecken, und wir durch den √Corper_\\_Cörper⌡ die Seele durchschauen können. Die Gründe├,┤ woraus dieses erhellen könnte sind: weil √sich_\\_sie⌡ das Gemüth durchs Gesicht verräth, wenn es in Bewegung ist, wie Z. E. beym Zorn.
Ehe wir anführen⌠,⌡ wodurch sich das Gemüth im Gesicht zeige, so müßen wir
⌠Seite 593⌡
vorhero sagen, woraus das Gesicht besteht. Das Gesicht bestehet aber aus der Gesichts Bildung, aus den Gesichts Zügen, und aus den Gesichts Mienen.
Die Gesichtsbildung beruht auf der Proportion des Gesichts, da kann das Gesicht proportionirt und disproportioniret_\\_disproportionirt seyn,

/Seite_645

/wovon schon in der Leibes Gestalt etwas gesagt ist. Der Zug des Gesichts bedeutet etwas charackteristisches in Ansehung des Gemüths. Daher sagt man, das Gesicht sagt nichts, wenn kein merck- licher Zug darinn ist, der etwas bestimmen sollte. Die Gesichts Züge sind also Anlagen zu den Mienen. Die Mienen sind in ein Spiel gesetzte Gesichtszüge. Jede √Gemüths Bewegung_\\_Gemüthsbewegung⌡ und Veränderung bringt Mienen hervor, so mit der √Verände- rung_\\_Veranderung⌡ des √Gemüths_\\_Ge«sichts»<müths>⌡ harmoniren├,┤
⌠Seite 594⌡
und es kann keine andere Miene für diese Bewegung des Gemüths ge- funden werden, daher ist die Miene eines Menschen├,┤ der da horcht, anders als der sich wundert, oder der da spottet, oder deßen der trotzig ist, oder deßen der von etwas versichert ist.

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/Die Mienen sind also sehr verschieden├,┤ und jede paßt für die Bewegung des Gemüths. Weil nun gar keine Gemüths Bewegung ist⌠,⌡ mit welcher nicht eine Miene harmoniren sollte, und weil die Ge- müths Bewegung bey allen Völckern einerley ist, und also auch einerley Mienen seyn müßen, so steckt hier was in der Natur, wo der Geist mit dem Cörper ├mit dem Cörper┤ √harmonirt_\\_harmonirt⌡. Demnach sind die Mienen allgemein gültige und natürliche Zeichen der Gemüths Bewegungen,
⌠Seite 595⌡
wir haben sonst nichts allgemeineres als die Mienen, denn die Worte sind nicht so allgemein, dahero könnte eine pantomimische Comoedie_\\_Comoedie⌡ gehalten werden, die für alle Völcker gelten könnte. Da nun die Gesichts Züge Anlagen zu den Mienen

/Seite_647

/sind, die Mienen aber Ausdrücke der √Gemüthsbewegungen_\\_Gemüths Bewegungen⌡, die √Gemüths Bewegungen_\\_Gemüthsbewegungen⌡ aber aus der Gemüths Art der Menschen entspringen, so sind auch die √Gesichts Züge_\\_Gesichtszüge⌡ Anlagen zu den Gemüths Bewegungen⌠,⌡ folglich zeigt sich die Gemüths Art in den Gesichtszügen. Es wird demnach der Gesichtszug des Menschen, wenn er schläft oder sonst was thut die Beschaffenheit und die Disposition seines Gemüths ausdrücken. Die Mienen drücken die Gemüths Bewegungen so aus, daß wenn man gewiße
⌠Seite 596⌡
√Mienen_\\_Miene⌡ annimmt, man in solche Gemüths Bewegungen gesetzt wird. Wer einen zornigen lebhaft schildern will, der darf nur Gesichter schneiden, und grimmige und zornige Mienen annehmen, so wird √er_\\_es⌡ auch so afficirt√,_\\_.⌡ Selbst einige Stellungen bringen

/Seite_648

/einen Gemüths Zustand hervor. Wer Z. E. schelten und auffahren will⌠,⌡ und sich hinsetzen muß, der kann nicht schelten. √Allemal_\\_Allemahl⌡ wenn er √loßziehen_\\_loß ziehen⌡ will, steht er vom Stuhl auf. So bringt auch die gerad geschobene Stellung des Cörpers Stoltz hervor, so bringt auch auf der andern Seite der Gemüths Zustand viele Mienen und Geberden hervor. Aber wie schon die Menschen die Mienen mit auf die Welt bringen, welche den Gemüths Zustand ausdrücken ist schwer├,┤ einzusehen. Der Cörper
⌠Seite 597⌡
kommt ins Spiel mit dem Gemüth⌠,⌡ und das Gemüth mit dem √Körper_\\_Cörper⌡. ⌠Wenn nun der Körper gebildet wird, so wird die Seele mit dem Körper⌡ harmonisch gebildet, weil beides eine Einheit ausmachet, also muß die Ausbildung des einen den Charackter des √andern_\\_anderen⌡ bestimmen. Also kann schon in der ersten

/Seite_649

/Organisation diese Harmonie gesucht werden. Reisende, welche in den Raspelhäusern von Amsterdam gewesen⌠,⌡ mercken an, daß gewaltige √Bösewichter_\\_Bosewichter⌡ starcke Gesichts Züge haben. Ein Physiognomist konnte da seine √Kenntniß_\\_Kenntnis⌡ sehr aus- bilden, und eine rechte Schule anlegen. Um in dieser duncklen Materie einige Eintheilung anzuführen, so mercke man diese als die beste an√: durch_\\_. Durch⌡ die Gesichts Bildung wird das Talent bestimmt durch die Gesichts Züge das Gemüth und durch die
⌠Seite 598⌡
Mienen oder durch den Blick der Charackter. Das √Profiel_\\_Profil⌡ enthält die Gesichts Bildung, die Phase enthält die Gesichts Züge⌠,⌡ und in der Action liegt der Blick. So urtheilt auch Lavater in seiner Physiognomie von der √Gesichts Bildung_\\_Gesichtsbildung⌡ auf das Talent des

/Seite_650

/Menschen. Jn Ansehung des √Profils_\\_Profiels⌡ des Menschen findet man auch viele √ähnlichkeit,_\\_Aehnlichkeit⌡ mit dem Profil einiger Thiere. So hat Z. E. das Skelet des Kopfs des Menschen viele Aehnlichkeit vom Skelet des Kopfs des Schaafs, nur die Proportion ist geändert, so artet das Profil einiger Menschen und das Profil einiger Thiere etwas aus. Daher könnte man aus der Aehnlichkeit des Profils eines Menschen mit dem Profil eines Thieres etwas auf die Aehnlichkeit des⌡ Talents schließen. Carrikatur ist die Uebertretung des Charackters, wel- 
⌠Seite 599⌡
ches dazu dient um das √charackteristische_\\_Charackteristische⌡ recht zu kennen. Wenn man nun die √Karrikatur_\\_Carikatur⌡ ├der Menschen mit der Carrikatur┤ der Thiere vergleicht, so √scheint_\\_schein«¿»t⌡ es als wenn nur die Thiere eine größere Uebertretung des Charackters haben und also sich auch hieraus

/Seite_651

/aufs Temperament schließen läßt. Was die Gesichts Züge betrift, die nicht durchs Profil⌠,⌡ sondern durch die Phase abgedruckt werden, so kann man aus denselben das Gemüth beurtheilen, welches wir auch im gemeinen Leben gemeinhin thun. Denn wenn wir einen Menschen zum ersten √male_\\_mahl⌡ im gemeinen Leben sehen, so beurtheilen wir ihn so gleich aus dem Gesicht, es ist uns nicht gleichgültig was er für Gesichts Züge hat, die Natur hat ├«uns»┤ √schon_\\_<schon>⌡ solches in uns gelegt. Das schwerste aber ist⌠,⌡ den Charackter aus den Blicken zu bestimmen. Es ist uns √freilich_\\_freylich⌡ daran gelegen zu wißen, was der Mensch für ein Gemüth und Hertz habe, allein es ist uns √«au»noch_\\_noch⌡ mehr daran ge- 
⌠Seite 600⌡
legen⌠,⌡ was der Mensch für einen Charackter habe,

/Seite_652

/und was er für Grundsätze hege sich seiner Talente zu bedienen. Der Charackter des Menschen liegt im Blick. Einige Menschen haben einen Blick den wir gar nicht ertragen können, andere aber haben einen solchen Blick, auf den unsere Augen recht ruhen können, so wie auf dem blauen des Himmels, wo sie rechte Erqvickung finden. Wir sehen in ihnen die ruhige Seele. Weil der Charackter zweyerley ist, der betrügerische und der boshafte, so finden wir auch zwey- erley Merckmahle, des arglistigen Betruges und der tiefen Bosheit. Weil wir aber keinen √Gesichtszug_\\_Gesichts zug⌡ viel weniger einen Blick unter Regeln bringen und beschreiben können├,┤ obgleich das Profil unter Regeln gebracht werden kann, so kann die Physiognomie

/Seite_653

/eigentlich keine Wißenschaft seyn. Die andere Ursache ist auch diese, weil wir durch
⌠Seite 601⌡
keinen Verstand einsehen, was für ein Zusammenhang zwischen dem Zustande des √Gesichts_\\_Gemüths⌡ und der Bewegung des Gesichts seyn kann. Die Regeln der Vernunft sind allgemein, und verstatten keine Ausnahme, aber wenn wir nur empirische Regeln haben, so verstatten dieselben viele Ausnahmen. Die Physiognomie wird also mehr nützlich seyn zur Uebung unserer UrtheilsKraft als zum Unterricht des Verstandes, woraus die Ausübung folgen könnte. Die Vorsicht scheint uns hier wohl ein Urtheil an die Hand und auch im Gesicht eine Ankündigung gegeben zu haben, damit sich der Mensch nicht gantz verdecken├,┤ sondern sich durch das

/Seite_654

/Gesicht ankündigen kann, aber die Vorsicht hat auch diese Bestimmung zugleich nicht gar zu deutlich zeigen wollen, sondern es nur bis zu der Vermuthung gelaßen, indem dieses für die Umstände des Menschen sehr schäd- 
⌠Seite 602⌡
lich √ware_\\_wäre⌡. Denn gesetzt, es verstünde jemand die Kunst den Charackter des Menschen genau zu bestimmen, so wäre dieses nicht allein eine Vermeßenheit über jeden zu urtheilen, sondern es würde sich auch ieder dafür hüten, welches die Gesellschaft der Menschen trennen möchte. Weil es doch aber in der Natur liegt, und die Natur uns selbst Gelegenheit dazu an die Hand giebt, welches Lavater zu beweisen sucht, so verdient es doch cultivirt zu werden, wodurch hernach die Mahler und

/Seite_655

/Bildhauer Kunst sehr vieles gewinnen möchte. Obgleich die Menschen in ihren Urtheilen sehr verschieden sind, so kommen sie doch mehrentheils hierinn überein. Lavater zeichnete in seiner Physiognomie den Judas ab, und jeder urtheilt von ihm, daß er einen solchen Menschen nicht zu seinem Freunde wählen möchte. Das Urtheil
⌠Seite 603⌡
schwebt oft auf einer Haarspitze, wenn man nun ein klein wenig sein Gesicht ändert, so fällt das Urtheil gleich anders aus. Die Frauenzimmer sind in √treffung_\\_Treffung⌡ deßelben √Glück- licher_\\_glücklicher⌡, weil sie schon von Natur schlauer sind, welches ihre Schwäche √ergäntzen_\\_ergänzen⌡ muß. Dieses √führt_\\_fürt⌡ auch Lavater von seiner Frau an, daß sie oft beßer traf wie er. Hogarth_\\_Hogarth⌡ der die Handlungen und Sitten der Menschen zu schildern suchte, √wußte_\\_wuste⌡ gut den

/Seite_656

/Charackter √auszudrücken_\\_auszu drucken⌡, so daß der Augenschein so gleich vom Charackter √überzeugte_\\_überzeigte⌡, ohne daß man erst die Erklärung davon lesen √durfte_\\_dürfte⌡. Er suchte in Gesellschaften die Handlungen, die er schildern wollte, die Gesichter⌠,⌡ derer die sie ausübten⌠,⌡ zu copiren, und hernach wenn er eine solche Handlung schildern wollte, so suchte er dasjenige Gesicht aus, was sich dazu am besten schickte, und vermehrte
⌠Seite 604⌡
es durch Fiction_\\_Ficktion⌡. Wenn aber schon der Keim zu dem Charackter in der Natur liegt, wie ⌠wie⌡ stimmt damit die √Vorsicht_\\_Vorschrift⌡ überein? Dieses ist verborgen. Zwar kann der Mensch mit seinem Charackter streiten, aber ihn nicht ändern, so wenig er sein Gesicht ändern kann. Man will bemerckt haben, daß wenn Menschen solche Personen zum

/Seite_657

/√Gegenstand_\\_Gegenstande⌡ ihrer Liebe und Neigung gemacht haben, die ihnen ähnlich sind, wenn sie lange leben⌠,⌡ die eine √Person_\\_Perschon⌡ die Manier der andern annimmt, so daß zuletzt eine Aehnlichkeit in Mienen und Gesichts Zügen anzutreffen ist√._\\_:⌡ Weil sich einige Gesichter schlachten├,┤ so kann man auch auf Aehnlichkeit des Charackters schließen. Wenn daher die Tochter der Mutter ähnlich sieht, so kann man vom Charackter der Mutter auf den Charackter der Tochter schließen. %.Qvaestio Wem
⌠Seite 605⌡
schlachten die Kinder mehr dem Vater oder der Mutter⌠.⌡ Linne_\\_Linné sagt: nach der Mutter schlachtet man der Schaale nach, dem Vater aber dem Kerne nach, alsdenn aber müste das Temperament und der Witz nach der Mutter schlachten, das Talent und der Charackter aber nach dem Vater. Es ist hier aber nichts gewißes.

/Seite_658

/ Die Mienen charackterisiren den Menschen. So zeigt ein unstäter Blick einen lügenhaften Menschen. Leute die √lügen,_\\_Lügen⌡ haben in ihrem Blick was unstätes. So wie ihre Gedancken rechts und lincks gehen, so richten sich auch ihre Mienen darnach. Leute die nicht schielen├,┤ √so_\\_sich⌡ aber auf die Nase sehen, die lügen doch, denn so wie sie im Kopf dencken⌠,⌡ so drehen sie ⌠auch⌡ die Augen. So zeigt ein unsicherer Blick einen √verstohlenen_\\_verstohlnen⌡ Menschen, welches man an den Leuten aus dem Diebs Handwerck findet. √So_\\_Es⌡ liegt also schon √«d¿¿r»im_\\_im⌡
⌠Seite 606⌡
Blick der Charackter des Menschen. Hier kann man den Ausdruck eines Principals von einer Schauspieler Gesellschaft mercken, der aus den √Gesichtszügen_\\_Gesichts Zügen⌡ eines Menschen, der ihm als Acteur vorgestellt wurde, schloß

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/und sagte: √wenn_\\_Wenn⌡ der Kerl kein Schelm ist, so schreibt der Schöpfer keine leserliche ├«hat»┤ Hand. Dieses konnte aber nur der sagen, der eine solche Hand ⌠hat⌡ lesen √konnen_\\_konnte⌡. So führt auch Bernetti von der Brenvillge_\\_Brevillge an, welche das boshafteste Frauenzimmer gewesen, so man gekannt hat, daß als ihr √Bildnis_\\_Bild⌡ in einer Stube unter verschiedenen andern gehangen, und von einigen Zuschauern besehen worden, einer von ihnen seine Augen besonders auf dieses Bild warf, und dem Eigenthümer sagte. Wenn ja der Mahler den Charackter durch diese Jdee getroffen hat, so muß das Weib den Teufel gehabt haben, welches √denn auch_\\_auch denn⌡ der Eigenthümer
⌠Seite 607⌡
bestätigte. Obgleich ├also┤ ihre Gesichtsbildung sehr √schön_\\_schon⌡ war, so

/Seite_660

/zeigten doch die Züge die Bosheit des Charackters an, welches in den Blicken liegt. Man sagt von einigen Menschen⌠,⌡ sie haben ein vornehmes├,┤ von andern sie haben ein gemeines Gesicht. Jndem sich dieses auf den Stand bezieht, so könnte man dencken, es wäre eine angenommene Miene, allein man findet doch Personen, die gar nicht vornehm sind, und doch ein vornehmes √Aussehen_\\_Ansehen⌡ haben, und wieder Vornehme von einem √Gemeinen_\\_gemeinen⌡ Aussehen. Ein gemeines Gesicht hat die Eigenschaft eines niedern Geschmacks und der Grobheit, welches man bey vielen Vornehmen findet. So findet man auch bey geringen Personen ein Vornehmes √Ansehen_\\_Aussehen⌡, obgleich der Ausdruck durch den Blick fehlt, weil sie

/Seite_661

/daran nicht gewohnt sind. Es beruht vieles auf der Gewohnheit und der angenommenen Manier. So haben die √adeli- 
⌠Seite 608⌡
chen_\\_adeliche⌡ und bürgerlichen Frauenzimmer gantz verschiedene Manieren, die adelichen zeigen in ihrem Blick Dreistigkeit, die bürgerlichen aber Furchtsamkeit. Also zeigt sich bey Personen, die würcklich vornehm sind in ihrer Manier was vornehmes, obgleich ihre Gesichtsbildung gemein ist. Es könnte aber auch seyn├,┤ wenn Personen vom reinen Stamm des Adels herstammen├,┤ den die Natur durch Verdienste geadelt hat, daß in ihren √Gesichts Zügen_\\_Gesichtszügen⌡ etwas erhabenes liege, was noch von voriger nobler Denckungs Art herrührt. Ein solcher Stamm von wohldenckenden könnte immer erhalten werden⌠,⌡ gantz rein├,┤

/Seite_662

/wenn die Ausschößlinge ausgemertzt würden, denn würde in ihren Zügen immer was edles bleiben. Es können auch Mienen angenommen werden, die einen Zug ausdrücken, der hernach bleibend ist.
Was die √Gesichtszüge_\\_Gesichts Züge⌡ betrift, die sich auf
⌠Seite 609⌡
die verschiedenen Stände und Metiers der Menschen beziehen, so findet man⌠,⌡ daß sich selbige sehr darnach richten. So ist √so gleich_\\_sogleich⌡ ein Unterscheid der √Gesichtszüge_\\_Gesichts Züge⌡ in den Stadt und Landleuten. Die Stadtleute verrathen was verfeinertes⌠,⌡ die Landleute aber was unbiegsames in ihren Gesichts Zügen. Denn in der Stadt muß man eine gewiße Geschmeidigkeit und Urbanitaet annehmen, indem man mit vielen um- geht, dagegen hat der Landmann nicht so viele Objecte vor sich, die

/Seite_663

/ihn nöthigen├,┤ sich zu verfeinern. Er ist in allen Sachen, in Kleidern im Umgange gezwungen, welches ihm auch zeitlebens eigen bleibt. Daher schickt man iunge √Personen_\\_Leute⌡ in die Stadt, damit sie verfeinert werden.
Was die Metiers betrift, so haben sie einen großen Einfluß auf die Gesichtsbildung,
⌠Seite 610⌡
so daß man √einem beynahe_\\_beynahe einem⌡ ansehen kann, ob er ein Schneider oder Fleischer ist, denn indem eines √jeden_\\_ieden⌡ √Lebens_\\_«l»Lebens⌡ Art anders ist, so beqvemen sich auch die Züge darnach. So ist die Lebens Art eines Fleischers die rüstige, wackere⌠,⌡ trozzige Lebens Art, welches ihm denn auch eigen bleibt. Wenn 2 Brüder die sich so √ziemlich_\\_zimmlich⌡ schlachten, eine verschiedene Lebens Art ergreifen, und der eine ein Soldat, der andere ein geistlicher wird, so √würden_\\_werden⌡ sie hernach gantz verschieden aussehen, indem

/Seite_664

/sich die Ausdrücke ihrer Züge nach jedes seiner Lebens Art ge- richtet haben. Die Gelehrten haben einen sanften Ausdruck in ihren Zügen, weil die Wißenschaften den Menschen sehr verfeinern. Die Männer sehen weit √mehr_\\_<mehr>⌡ auf das √charackterische_\\_Charackterische⌡ der Weiber, die Weiber
⌠Seite 611⌡
aber sehen darauf gar nicht, denn sie sind nur dazu bestimmt⌠,⌡ die Art zu erhalten. Wenn der Mann nun alle √möglichen_\\_mögliche⌡ Bedingungen des Standes⌠,⌡ des Erwerbs der Standhaftigkeit hat, so sehen sie weiter auf das √charackteristische_\\_Charackterische⌡ nicht, und sie √können_\\_konnen⌡ hierinn auch nicht so delicat seyn, weil sie diejenigen sind├,┤ die gewählt werden├,┤ und die nicht wählen können. Und denn ⌠so⌡ ist der böse Charackter des Mannes der Frau auch nicht so schädlich als andern, seine √Bosheit_\\_bosheit⌡ √interessirt_\\_interessirt⌡ nicht die

/Seite_665

/Frau, denn wenn er andere betrügt, so √schleppt_\\_schlept⌡ ers nach Hause. Der Mann ist aber √schon darinn_\\_darinn schon⌡ bedencklicher. Was die Physiognomie gantzer Völcker betrift, so ist es wohl sehr schwer├,┤ etwas bestimmtes davon zu sagen. Die Türcken haben ein offenes √Gesichts_\\_Gesicht⌡, was den Trotz aber auch den Geist
⌠Seite 612⌡
√charackterisirt_\\_characterisiret⌡. Sie nehmen keine Ver- feinerung├,┤ keine Disciplin an. Die Deutschen haben zwar kein Genie, laßen sich aber verfeinern und Discipliniren_\\_discipliniren⌡. Viele Nationen laßen sich wohl discipliniren aber durch Gewalt⌠,⌡ und nicht aus Achtung fürs allgemeine Gesetz. Die Freiheit, die aus Achtung fürs Gesetz entspringt⌠,⌡ stimmt mit √jeder_\\_ieder⌡ Freiheit, aber die Licens_\\_Licenz stimmt nicht mit jeder Freiheit. Das zeigt schon ein

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/erhabenes Talent an, wenn Menschen √vermögend_\\_Vermögend⌡ sind durch Gesetz und nicht durch Gewalt disciplinirt zu werden. Das ist das edle der bürgerlichen Ordnung, daß wenn ein Gesetz da ist, sie es alle respectiren, aber √mehr_\\_wehe⌡ dem⌠,⌡ der wieder daßelbe etwas übernimmt. So sind Z. E. die Engelländer. Die Pohlen aber achten kein Gesetz
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und wollen in der Licens_\\_Licenz leben. Jede Nation hat doch was √besonders_\\_besonderes⌡ und apartes in ihren Zügen, denn man kann Z. E. einen Franzosen am Gesicht ohne auf seine Tracht zu sehen erkennen, und so auch die Italiäner_\\_Italiaener und andere Nationen.

Vom Charackter der Menschheit überhaupt

Dieses ist ein wichtiges Stück, worüber sich schon sehr viele Autores √ge«¿¿»wagt_\\_gewagt⌡ haben├,┤

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/zu schreiben, unter denen Rousseau der vornehmste ist. Was soll man von der Menschheit überhaupt urtheilen? Was hat sie für einen Charackter unter den Thieren├,┤ und unter allen Wesen? Wie viel gutes und wie viel böses ist darinn√?_\\_.⌡ Hält er ├in sich┤ einen Qvell zum bösen oder guten? Erstlich muß der Mensch √charackterisirt_\\_characktesirt⌡ werden als
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ein Thier⌠.⌡ Linné_\\_Linne sagt, daß er nach allem Nachdencken an dem Menschen als an einem Thier nichts besonderes findet, dahero er ihn auch mit dem Affen in eine Claße setzen muß. Wenn man hieraus auch auf den Charackter schließen wollte, so wäre ├es┤ sehr schlimm, denn die Affen sind sehr boshafte und falsche Thiere. Hier aber vergleichen wir den Menschen mit allen Thieren überhaupt, und da

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/fragen wir erstlich: Wenn der Mensch im wilden Zustande wäre⌠,⌡ und keinen Gebrauch der Vernunft hätte, was wäre er da wohl √vor_\\_für⌡ ein Thier? Würde er ein √schönes_\\_schones⌡ oder häsliches├,┤ geschicktes oder ungeschicktes Thier seyn? Er würde nicht unter die schönen Thiere gehören, aber er wäre ein sehr geschicktes Thier, denn er hat geschickte Organen, und deswegen möchte
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er nicht ein schwaches Thier seyn├.┤ Beyspiele bestätigen, daß Menschen auch in diesem Zustande, wenn sie nur √hertzhaft_\\_herzhaft⌡ genung wären, Wölfe √bezwungen_\\_gezwungen⌡ haben, ob sich gleich √ietzt_\\_jetzt⌡ keiner zu solchem Duell wagt. Wegen seiner Geschicklichkeit und √Stärcke_\\_Starcke⌡ würde er also im Walde sehr sicher seyn. Ein schönes Thier

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/aber wäre er nicht. Man stelle sich vor, wenn der Mensch im wilden Zustande nackend wäre⌠,⌡ und den Bart behalten möchte, welcher √aber_\\_<aber>⌡ auch im nackenden Zustande wegfallen könnte, indem als denn die √Saffte,_\\_Säfte⌡ die jetzt durch die Kleider zurückgehalten werden, und den Bart verursachen├,┤ mehr ausdünsten möchten├,┤ und denn natürlich auch sonst gantz rauch seyn möchte, so würde dieses ein sehr √häsliches_\\_häßliches⌡ Thier seyn. Ueber die √Schonheit_\\_Schönheit⌡ läßt sich also noch sehr streiten. So führt auch Dem
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pier an, daß die √wilden_\\_«w»Wilden⌡ Weiber sehr häslich aussehen, indem sie ihre langen √Brüste_\\_Brüsten⌡ hängen laßen, oder sie über die Schultern werfen. Jetzt macht sich der Mensch durch den Verstand schön. Der Sitz der Schönheit

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/besteht in dem Gesicht, wo die Muskeln in Action kommen, und die Mienen zu spielen anfangen, welches aber im wilden Zustande nicht anzutreffen wäre. Seine Geschicklichkeit ist aber nicht zu leugnen. Ferner √frägt_\\_fragt⌡ es sich, wie wäre seine Gestalt be- schaffen? möchte er auf 2 oder 4 Füßen gehen? Dieses ist eine wichtige Frage⌠,⌡ nachdem sie rege gemacht ist. Es ist dieses noch nicht recht untersucht, die Frage muß etwas bestimmt werden. Weil der Mensch Vernunft haben sollte√;_\\_,⌡ so ist er bestimmt auf 2 Füßen zu gehen, indem sie dadurch am besten excolirt wird, und
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weil die Sprache durch die Vernunft excolirt wird, so muß √der Mensch doch_\\_doch der Mensch⌡ so beschaffen seyn, daß er sich

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/√hat welche_\\_welche hat⌡ machen können, denn wenn auch die erste Sprache √geoffenbaret_\\_geoffenbahret⌡ wäre, so könnte doch der Mensch in √einen_\\_einem⌡ solchen Zustand kommen, wo er sie vergeßen möchte. Wenn wir uns aber den Menschen ohne Vernunft und ohne Sprache gedencken, wie würde doch alsdenn der Mensch am besten leben können? Würde es für ihn beßer seyn auf 2 oder 4 Füßen zu gehen? Hievon muß man die Abhandlung des Herrn %.von Mos«o»catii_\\_Moscatii aus Pavie nachlesen⌠,⌡ die von dieser Art die beste und schönste ist, und mit vieler anatomischen Geschicklichkeit geschrieben worden. Der Zweck der Natur an dem Menschen war seine Art zu erhalten├,┤ er ist also von der Natur so gebaut,
⌠Seite 618⌡
daß

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/er in jedem Zustande leben könnte. Wäre er nur allein für den civilisirten Zustand gebaut, so müste er umkommen, wenn er in die Wildheit gerathen möchte. Wäre er für die Wildheit allein gebaut, so könnte er seine Vernunft nicht excoliren. Damit er sich als ein Thier erhalten könnte, so √müste_\\_müßte⌡ er so gebaut werden, daß ihm daßelbe auch zu statten kommen könnte, wenn er seine Vernunft excoliren würde, welches doch noch immer zufällig wäre. Hätte er Vernunft, so könnte er sich hernach zwingen auf 2 Füßen zu gehen, denn die Vernunft kann sich immer erhalten. Die Natur ├hat┤ aber auch für ihn so gesorgt, daß er auch bestehen könnte, wenn er keine Vernunft hätte. Aber

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/unser Bau ist ja zu 2 Füßen eingerichtet. Die Affen haben
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auch solchen Bau⌠,⌡ und gehen doch auf 4 Füßen, ob sie gleich auch auf 2 gehen können├,┤ welches aber nicht nothwendig ist. Zwar sind unsere Arme für unsere Füße zu kurtz, und der Affen ihre sehr lang, so daß sie beynahe aufrecht gehen, wenn sie auf den Vorderfüßen gehen. Aber auf der Insel_\\_Jnsel⌡ Madagaskar_\\_Madagascar⌡ giebt es Menschen├,┤ die auf 4 Füßen gehen├,┤ und auch solche lange Hände haben, denn √das_\\_daß⌡ kann sich durch die Länge der Jahre und durch den langen Gebrauch sehr √ändern_\\_andern⌡. √Demnach_\\_Dennoch⌡ kann man die erste Bildung nicht recht bestimmen.
Der Mensch als ein Thier ist ein sehr unverträgliches Thier. Jn der √Wildniß_\\_Wildnis⌡

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/fürchtet es nichts so sehr als einen andern Menschen. So erschrack Robinson auf der Insel_\\_Jnsel⌡, als er Fußstapfen von Menschen
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gewahr wurde. Der Mensch kann sich vor allen Thieren sehr hüten, wenn er schon √einmahl_\\_einmal⌡ ihre Art und Natur kennt├,┤ aber nicht für seines √Gleichen_\\_gleichen⌡, denn weil dieses ein listiges Geschöpf ist, so kann er seine √Fallstrike_\\_Fallstricke⌡ nicht entdecken, er kann sich freundlich stellen, und doch boshaft handeln, er weiß sich zu verstellen, und zu verheelen, und immer neue Mittel auszudencken, dem andern gefährlich zu werden. Jeder fühlt schon in sich, wenn er lange allein auf der Jnsel wäre, und also sich schon sicher zu seyn glaubte, daß er in große Furcht

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/gerathen würde, wenn er einen Menschen gewahr werden möchte, denn jetzt wär er nicht mehr recht sicher, jetzt hätte er einen Feind, der ihm gefährlicher ist⌠,⌡ als alle √wilden_\\_wilde⌡ Thiere, denn vor denen könnte er sich ⌠doch⌡
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hüten, und sie überlisten├,┤ aber nicht den Menschen, denn dieser kann ihm nachstellen, auf alle seine Handlungen Acht haben, und ihm in iedem Stück hinderlich ⌠«seyn»⌡ und gefährlich seyn. Es sey denn, wenn sie gleiche Bedürfniße haben, und in gleicher Noth sind, daß sie sich einer dem andern entdecket├,┤ mit √ein ander_\\_einander⌡ bekannt werden, und gesellschaftlich leben, aber √auch_\\_<auch>⌡ denn kann einer dem andern nicht recht trauen, er weiß doch nicht, ob der andere nicht

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/wieder ihn etwas im Sinne hat. Unter der Thier Art ist er wohl nicht unter die Raubthiere zu rechnen, indem es nicht scheint, daß er einen unmittelbaren Appetit nach dem thierischen Blut anderer hätte, um √al«t»les_\\_alles⌡ zu zerreißen, und zu zerfleischen, überdem ist auch seine Bauart nicht so wie eines √Raubthiers_\\_Raubthirs⌡, es
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scheint also, daß er sich mehr an den Vegetabilien halten möchte√:_\\_.⌡ Allein in Ansehung seiner eigenen Species, in Ansehung anderer Menschen ist er doch als ein Raubthier anzusehen, indem er gegen seines gleichen √mißtrauisch_\\_mistrauisch⌡, gewalthätig und feindseelig ist, welches sich im bürgerlichen Zustande nicht mehr so zeigt,

/Seite_677

/indem da der Mensch unterm Zwange gehalten wird, welches aber doch noch sehr hervorkeimt, und uns noch sehr vieles vom thierischen Zustande anklebt. Man gebe nur auf eine Gesellschaft acht, ob nicht in derselben √jeder_\\_ieder⌡ den andern für seinen Feind hält, und sehr mistrauisch gegen √jeden_\\_ieden⌡ ist, denn er noch nicht kennt, und daher ist er sehr zurückhaltend. Gesetzt, aller √Zwanck_\\_Zwang⌡ der bürgerlichen Ordnung würde auf √einmal_\\_einmahl⌡ aufhören, so würde keiner in seinem Hause sicher seyn, √jeder_\\_ieder⌡ würde
be- 
⌠Seite 623 ⌡
fürchten es würde des Nachts iemand in sein Haus einbrechen, und Gewalt √aus«brechen»<üben>_\\_ausüben⌡. Man darf nicht sagen: dieses würde nur der Poebel

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/thun, von Natur sind alle Menschen Poebel├,┤ und die es jetzt nicht sind, die sind durch die √bürge«l»rliche_\\_bürgerliche⌡ Ordnung und Disciplin verfeinert. Würde die aber aufhören, so würde auch die Verfeinerung aufhören, und alle Menschen würden solcher Poebel seyn. Diese bösartigkeit liegt allen Menschen in der Natur. Da nun √dieses_\\_diese⌡ eine allgemeine Anordnung der Na- tur ist, obgleich es unmittelbar auf etwas böses √abzielet_\\_abziehlet⌡, so muß es doch mittelbar einen √Zweck_\\_Zweg⌡ haben. Dies ist eine allgemeine Regel so man mercken muß, und die sehr philosophisch_\\_phylosophisch⌡ ist, daß man √allemal_\\_allemahl⌡ den Zweck und die Absicht von etwas aufsuche, was

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/allgemein in der Natur ist, wenn es auch unmittelbar auf etwas
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böses √abzielet_\\_abziehlet⌡, denn die Natur wird nicht umsonst solche allgemeine Ordnung machen. Der Menschen ihre Begierden, ihre Eifersucht, Mistrauen, Gewalt, Hang zur Feindseeligkeit gegen die so außer der Familie sind, alle diese Eigenschaften haben einen Grund├,┤ und eine Beziehung auf einen Zweck. Der Zweck der Vorsicht ist√:_\\_,⌡ Gott will daß die Menschen die gantze Erde bevölckern sollen. Alle Thiere haben ihre gewiße Climata, aber die Menschen sind allenthalben zu finden. Die Menschen sollen sich nicht in einem kleinen √Bezirck_\\_Bezirk⌡ aufhalten, sondern sich über die gantze

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/Erde ausbreiten. Das beste Mittel dieses zu befördern, ist die Unvertragsamkeit, Eifersucht und Uneinigkeit in Ansehung des Eigenthums. Dieses hat die Menschen von einander getrennt, und sie über die gantze Erde ausgebreitet,
⌠Seite 625⌡
denn wenn eine Familie zusammen ist├,┤ und sich sehr mehret und zuwächst, so werden daraus neue Familien, diese werden mit ein- ander uneins und trennen sich, denn müßen sie doch auseinander gehen, und auf solche Art sich auf dem gantzen Erdboden verbrei- ten. Man findet dahero allenthalben Menschen auf den wüstesten und unfruchtbarsten Jnseln. Was bewegt sie dahin zu gehen? Nicht der Mangel der Wohnplätze, es sind noch viele Länder in Africa und America unbewohnt. Was bewegt aber die Menschen nach √Gronland,_\\_Grönland⌡ Otahiti_\\_Ostahiti

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/und √andern_\\_andre⌡ √Länder_\\_Lander⌡ zu gehen? Nichts anders als die √Unvertraglichkeit_\\_Unverträglichkeit⌡. Würden die Menschen ver- träglich seyn, so würden sie alle auf einem Haufen wohnen, und keiner würde sich von der Gesellschaft trennen. √Das_\\_Daß⌡ ist also der eine große Nutzen, der aus der √bösartigkeit_\\_Bösartigkeit⌡ entspringt, ferner⌠,⌡ wenn Menschen neben einander wohnen├,┤ und ├sie┤ √sich_\\_si«nd»ch⌡ zu
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cultiviren_\\_kultiviren⌡ angefangen, wenn sie aus den einfältigen √Bedürfnissen_\\_Bedürfnißen⌡ der Natur zu den künstlichen heraufsteigen, so fängt das Eigenthum an, und denn gerathen die Menschen immer in einen Krieg. Die Menschen suchen √jeder_\\_ieder⌡ sein Eigenthum zu haben, dieses kann aber nicht ohne Schutz und Sicherheit geschehen, sie suchen demnach in ihrem Eigenthum sicher zu seyn. Von Natur aber ist keiner seines Eigenthums sicher, denn

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/wenn der eine sich eine Gegend umzäunt├,┤ und sich Gartenfrüchte zuzieht, so √kommt_\\_kömmt⌡ der andere, der darauf keine Mühe verwandt hat, aber Lust nach diesen seinen Früchten hat, und entreißt ihm dieselbe⌠,⌡ wenn er √stärcker_\\_starcker⌡ ist, wie der andere. Der eine legt sich mit Mühe einige √Thüre_\\_Thiere⌡ Z. E. Hüner zu, der andere aber der sie nicht hat, √bekömmt_\\_bekommt⌡ Appetit dazu├,┤ und nimmt sie weg, was will er ihm thun? Wenn man also ein Eigenthum haben will⌠,⌡ so muß man Schutz und Sicherheit
⌠Seite 627⌡
haben, und dieses √Geschicht_\\_geschicht⌡ durch √obrigkeitlie- chen_\\_obrigkeitlichen⌡ Zwang.
Demnach muß ein Recht errichtet werden, welches mit Gewalt verbunden ist. Wodurch ist also die civilisirteste Verfaßung unter √denn_\\_den⌡ Menschen entstanden? Durch

/Seite_683

/die bösartigkeit der menschlichen Natur. Dieses ist also der andere große √Zweck_\\_Zweg⌡ der daraus entspringt. Durch diese bürgerliche Ordnung⌠,⌡ wird ein gewißes gantze der Menschen, daraus entspringt Regelmäßigkeit, Ordnung, wechselseitige Bestim- mung eines Gliedes⌠,⌡ zum andern und zum gantzen der Menschheit. Hieraus entspringt die √Entwicklung_\\_Entwickelung⌡ der Talente, die Begriffe⌠,⌡ des Rechts und der Moralitaet⌠, und die Entwicklung⌡ der √großten_\\_größten⌡ Vollkommenheit, welcher die Leute fähig sind√:_\\_.⌡ Da ein jeder in der bürgerlichen Verfaßung in Beziehung auf andere stehet, so wird jeder
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Mensch dem andern von großer Wichtigkeit. Das Urtheil anderer hat großen Einfluß auf ihn, und daher entspringt der √Begrif_\\_Begriff⌡ von Ehre⌠,⌡ er wird angefeuret vieles zu unternehmen, nicht nur in

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/Ansehung ⌠seiner Bedürfniße, sondern in Ansehung⌡ des allgemeinen Bestens des Lebens, daher entstehen Künste, die Bedürfniße wachsen zwar, allein die Erklügelung derselben gereicht dem Menschen zur Zierde. Der Mensch verfeinert sich in Ansehung des Geschmacks des Wohlstandes und der Anständigkeit. Alle diese Vollkommenheiten sind aus der Bösartigkeit des Gemüths der Menschen entstanden, die zuerst den bürgerlichen Zwang hervorbrachte. Es frägt sich, wenn diese √Bösartigkeit_\\_bösartigkeit⌡ des Gemüths ├nicht wäre, ob dieses alles zu Stande┤ gekommen seyn möchte? Es glauben viele der Zustand der Menschen wäre beßer, wenn keine bösartigkeit wäre, allein alsdenn würden die
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Menschen bey einander gewohnt haben; Keiner hätte sich um den andern bekümmert, ieder

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/hätte ruhig für sich gelebt, denn der Mensch ist von Natur √trage_\\_träge⌡, wenn ihn nicht ein anderer Trieb abbrächte, so bliebe er auch √träg_\\_träge⌡, demnach muste etwas seyn, was den Menschen wozu nöthigte. √Waren_\\_Warum⌡ die Menschen von Natur sanftmüthig und √Gutartig_\\_gutartig⌡, denn würde keine bürgerliche Verfaßung entstanden seyn. Diese letztere ist der Ursprung der Entwickelung der Talente├,┤ der Begriffe des Rechts und aller sittlichen Vollkommenheit, welches das vornehmste der bürgerlichen Ordnung ist. Wäre der Mensch von Natur gutartig, denn dürfte keine Obrigkeit seyn, die Menschen würden in keiner Beziehung auf einander stehen, denn würde sich keiner beeifern was zu un- ternehmen⌠,⌡ was auf das √Gantze_\\_gantze⌡ einen Einfluß hat, denn würde alles nachlaßen

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⌠Seite 630⌡
und man würde alles vergeßen, und die gantze Vollkommenheit des Menschen, welches doch der Zweck ist⌠,⌡ würde aufhören. Eben diese bösartigkeit hat nicht nur gemacht, daß diese bürgerliche Verfaßung errichtet ist, sondern sie macht auch, daß √sie_\\_«¿¿»sie⌡ erhalten wird, denn weil die Bösartigkeit⌠,⌡ darinn besteht, daß einer gegen den andern Mistrauen hegt, daß keiner dem andern traut⌠,⌡ und wenn es auch geschicht, so ist es schon eine Folge der bürgerlichen Ordnung und der Verfeinerung der Moralitaet; so wird durch dieses Mistrauen⌠,⌡ die bürgerliche Ordnung erhalten Z. E. bey einer Armee sind von 100. 99 so √gesint_\\_gesinnt⌡, daß sie lieber ohne Blutvergießen den Krieg endigen, und nach Hause gehen möchten. Woher kommts daß sie solches

/Seite_687

/nicht thun, daß sie sich von einem
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beherrschen laßen, der mit ihnen machen kann├,┤ was er will, daß oft ein kleiner Officier sie alle in Furcht √erhält_\\_erhalt⌡? Kommts etwa daher├,┤ weil sie alle zusammen entschloßen sind solches zu befolgen√;_\\_,⌡ daß sie es für eine Pflicht halten⌠,⌡ unter der Oberherrschaft des einen das Wohl des Landes zu beför- dern oder zu schützen. Nein! der √größte_\\_großte⌡ Theil ist nicht so gesinnt, sondern jeder würde sich gerne von dieser Oberherrschaft √befreien_\\_befreyen⌡. Wenn aber die mehresten so gesinnt sind, warum thun sie es nicht? Weil einer gegen den andern ein Mistrauen hat, und einer dem andern nicht traut. Es besorgt ieder vom andern, wenn sie sich auch einigen möchten ausgegeben zu werden. Dieses Mistrauen hält also

/Seite_688

/die gantze Armee in Ordnung, so daß sie mit leichter Mühe regiert werden √kann_\\_önnen»ann⌡.
⌠Seite 632⌡
Dieses √gilt_\\_gielt⌡ nicht allein vom Militair, sondern auch vom Civielstande. Es sind √gewiß_\\_gewis⌡ viele vom Poebel die gesonnen sind⌠,⌡ dem andern um das seinige zu bringen, nur sie können sich nicht einigen, weil einer dem √andern_\\_Andern⌡ nicht traut. Demnach wird die bürgerliche Ordnung sehr leicht durch diese bösartigkeit erhalten. Das Uebel ist also hier der Qvell des guten. Und wenn man so viel frägt√:_\\_,⌡ woher kommt das böse√?_\\_,⌡ so solte man lieber fragen, wo kommt alles gute her? denn der Mensch ist von Natur nicht gutartig. Das böse in der thierischen Natur ist der Thierheit angemeßen, und ist der Qvell der Entwickelung des √guten_\\_Guten⌡ der Menschheit.

/Seite_689

/ Der Mensch hat 2 Bestimmungen├,┤ eine in Ansehung der Menschheit, und eine in Ansehung der Thierheit. Diese
⌠Seite 633⌡
zwey Bestimmungen wiederstreiten sich├,┤ in der Bestimmung der Thierheit erreichen wir nicht die Vollkommenheit der Menschheit, und wenn wir die Vollkommenheit der Menschheit erreichen wollen, so müßen wir der Bestimmung der Thierheit Gewalt √<an>thun_\\_anthung⌡. Zum Beweis kann das Alter der Menschen und die Bestimmung deßelben in der Thierheit und Menschheit dienen. Ein Kind ist, was sich nicht selbst erhalten kann, ein Jüngling ist, der sich selbst erhalten, aber noch nicht seines Gleichen erzeugen⌠,⌡ oder seine Art erhalten kann. Der Mann ist also das vollständigste Geschöpf. Nach der Natur wird also der Mensch seine Art fortpflantzen, und zu derselben

/Seite_690

/Zeit, wenn er dieses kann, sie auch erhalten können. Nach der Natur ist denn der Mensch im Stande seiner Art zu erhalten, wenn er im Stande ist, dieselbe fortzupflantzen. Nach der Natur ist die männ- 
⌠Seite 634⌡
lichkeit mit der Mündigkeit verbunden, wäre dieses nicht, so könnten sich die Menschen nicht erhalten. Würde der Mensch denn, wenn er seine Art fortpflantzen kann, dieselbe noch nicht erhalten können, so müste seine Art untergehen. Jm rohen Zustande ist der Mensch ein Kind bis ins 6te √Jahr,_\\_Iahr⌡ denn bis dahin kann er sich nicht erhalten├,┤ im 10ten Jahre ist er schon ein Jüngling, denn kann er sich selbst erhalten. Jn diesem Jahre kann er schon fischen, iagen, Wurtzeln lesen⌠,⌡ und wenn er das kann, so kann er sich auch erhalten, dazu ist

/Seite_691

/er schon im 10ten √Jahre_\\_Iahre⌡ geschickt genung. Jm 16ten Jahre kann er schon seines gleichen erzeugen⌠,⌡ und seine Art √fortpflantzen_\\_fortpflanzen⌡, und ist auch im Stande seine Art zu erhalten, und denn ist er auch schon Mann. √Jn_\\_In⌡ diesem Jahre hat er √starcke_\\_Stärcke⌡ genung, sich, sein Weib und seine Art zu erhalten und zu vertheidigen.
⌠Seite 635⌡
Hier ist alles der Natur gemäß. Wenn wir aber den bürgerlichen Zustand nehmen, so finden wir, daß die √Bedürfniße_\\_Bedürfnisse⌡ zunehmen⌠,⌡ und daß sich der Mensch nicht allein zur Erwerbung seiner Privat Bedürfniße_\\_Privatbedürfnisse⌡, sondern auch zum √Gemeinen_\\_gemeinen⌡ Besten geschickt machen muß, daher ist die Ungleichheit sehr starck zwischen der Natur und bürgerlichen Verfaßung. Zu der √letztern_\\_letzten⌡ gehört mehr Geschicklichkeit, Erfahrung, Glück und Zeit solches abzuwarten, bis man in

/Seite_692

/den Stand kommt, solches zu erhalten, daher ist das Zeitalter⌠,⌡ des Jünglings im bürgerlichen Zustande viel weiter ausgesetzt, als im √Rohen_\\_rohen⌡ Zustande der Natur. Jn der bürgerlichen Verfaßung ist der Mensch im Zehnten Jahre noch immer ein Kind⌠,⌡ ia bis ins 15te da kann er sich noch nicht selbst erhalten. Daraus folgt, daß das √Mannes_\\_Manns⌡ Alter ungleich viel weiter ausgesetzt wird⌠,⌡
⌠Seite 636⌡
als im rohen Zustande, weil √seine«r»_\\_seine⌡, seiner Frau und seiner Kinder Bedürfniße sehr vervielfältiget sind, und er├,┤ um dieser Menge von Bedürfnißen ein √Gnüge_\\_Genüge⌡ √zu leisten_\\_leisten zu⌡ können, viele Jahre hindurch das Vermögen⌠,⌡ sie alle versorgen zu können, sich hat erwerben müßen. Demnach ist der √Zeitpunct_\\_Zeitpunckt⌡ ├sich verheurathen zu können, im bürgerlichen Zustande sehr weit hinaus
/Seite 693
/gesetzt über den Zeitpunckt┤, wo uns die Natur das Vermögen gegeben hat unseres gleichen zu erzeugen. Denn im 16ten Jahr ist man im Stande seines √Gleichen_\\_gleichen⌡ zu erzeugen, aber noch nicht zu erhalten. Nach der Natur aber wäre man ⌠aber⌡ in dieser Zeit schon ein Mann. Also wiederstreitet die Bestimmung der Natur der bürgerlichen Verfaßung. Hieraus folgt, daß der Zwischenraum zwischen der natürlichen und bürgerlichen Bestimmung der Männlichkeit├,┤ mit Gewalt und Abbruch, den man der Natur anthut, versehen seyn müße, aber mit Lastern angefüllt wird,
⌠Seite 637⌡
denn im 16ten Jahre ist man nach der Natur mannbar, die Natur hat uns aber dazu nicht das Vermögen gegeben, daß wir ihr Gewalt und Abbruch thun sollen, oder mit derselben spielen, oder sie

/Seite_694

/ausrotten, sondern daß wir es befolgen sollen. Wäre das nicht die Absicht der Natur, so √hatte_\\_hätte⌡ sie uns zum besten gehabt sie hätte uns denn ein Vermögen geben, da wir uns deßen doch gar nicht bedienen können. Nun können wir uns aber deßen in der bürgerlichen Ordnung nicht eher bedienen als ohngefehr im 30ten Jahr. Da nun aber die Triebe würcksam sind⌠,⌡ und ihre Rechte behalten wollen, so entsteht ein Streit daraus und der bürgerliche Zustand ist dem natürlichen entgegen. Dieses ist gar nicht zu ändern, denn es kann doch keiner √so_\\_<so>⌡ leicht im 16ten Jahr ein Weib nehmen, sondern er muß sich fast noch einmahl so lange
⌠Seite 638⌡
mit seinen Trieben qvälen, und denselben Gewalt anthun. Also hat uns die Natur

/Seite_695

/auf dieser Seite zur Thierheit bestimmt, auf der andern Seite aber wieder zur bürgerlichen Ordnung, nemlich in Ansehung der Vollkommenheit der Menschheit. Nun müßen wir durch die bürgerliche Ordnung dem natürlichen Zustande Abbruch thun. Der Luxus und die Verfeinerung der Menschheit ist die √Schwächung_\\_Schwachung⌡ der Thierheit. Der Mensch wird durch die Annehmlichkeit des Lebens verzärtelt, und durch die Ueberhebung der √Ungemachlichkeiten_\\_Ungemächlichkeiten⌡, gegen die er von Natur abgehärtet war, weichlich gemacht. Viele Kranckheiten entspringen in dem bürgerlichen Zustande, die in der Natur nicht sind. Ein Weib eines √wilden_\\_«w»Wilden⌡ hat mehr Stärcke, und ist denen Kranckheiten nicht so sehr unterworfen als hier. Also thut die bürgerliche Verfas- 
⌠Seite 639⌡
sung der

/Seite_696

/Thierheit Gewalt.
Jetzt wollen wir den natürlichen Menschen mit dem gesitteten vergleichen├,┤ und sehen, wie sich beyde zur höchsten Vollkommenheit verhalten, und welcher von ihnen der wahren zweckmäßigen Bestimmung am aller √angemessensten_\\_angemeßensten⌡ ist. Dieses ist die wichtige Frage des Rousseau der da untersucht, ob der Zustand der Natur oder der bürgerlichen √Verfaßung_\\_Verfassung⌡ der wahre Zustand des Menschen sey? Die Begriffe müßen erst recht bestimmt werden. Der Mensch der Natur ist durch keine Kunst umgearbeitet und √umgebildet_\\_ungebildet⌡, an dem die Kunst die Anlage der Natur nicht unterdrückt hat. Der bürgerliche Zustand aber ist, wo der Mensch disciplinirt ist, und durch die Disciplin der Natur Gewalt angethan ist,

/Seite_697

/wo der Mensch schon umgebildet und umgearbeitet ist. Man hat geglaubt, als wenn
⌠Seite 640⌡
Rousseau den Menschen der Natur dem Menschen der Kunst √vorzöge_\\_vorzüge⌡, und es scheint auch würcklich seine Meinung auf der Seite des natürlichen Menschen zu √hängen_\\_hangen⌡. Dieses √aber dient_\\_dient aber⌡ auf der andern Seite dazu, daß die Aufmercksamkeit der Phylosophen_\\_Philosophen rege gemacht werde zu untersuchen wie die Vollkommenheiten des bürgerlichen Zustandes √sollten_\\_solten⌡ gebildet werden, √So_\\_so⌡ daß die √Vollkommenheit_\\_Vollkommenheiten⌡ der Natur nicht zerstöret, und der Natur keine Gewalt angethan würde, und wie die Laster und das Unglück, das durch die bürgerliche Ordnung entsteht⌠,⌡ dadurch √unterdrückt_\\_unterdruckt⌡ werden können, daß die bürgerliche Verfaßung mit der Natur vereinigt werden könnte, indem die bürgerliche

/Seite_698

/Vollkommenheit der natürlichen sehr wiederstreitet. Wenn wir nun den Zustand
⌠Seite 641⌡
der Natur erwehnen, so finden wir zwar √freylich_\\_freilich⌡, daß der Mensch der Natur in der √That_\\_that⌡ erstlich glücklicher, und denn auch unschuldiger lebt, aber nur im negativen Verstande ist er glücklich und unschuldig, sein Zustand führt kein Glück⌠,⌡ aber auch ⌠kein⌡ Unglück mit sich. Das gute ist bey ihm kein Laster⌠,⌡ auch keine Tugend. Das positive der √Gluckseeligkeit_\\_Glückseeligkeit⌡, und das positive der Tugend fehlt in dem natürlichen Zustande sehr. Jn diesem Zustande ist der Mensch ein Kind, wo er weder was gutes noch was √böses_\\_boses⌡ thun kann. Die negative_\\_Negative Vollkommenheit des Zustandes der Natur besteht in dem Mangel des Elendes und des Lasters. Wenn wir nun zuerst das Elend nehmen, so √fragts_\\_frägts⌡

/Seite_699

/sich, ist der natürliche oder der bürgerliche Mensch elend? Jm Zustand der Natur ist erstlich Gemeinschaft der Güter, es ist kein Eigenthum, so lange der eine was zu leben hat; so haben
⌠Seite 642⌡
sie alle. Demnach fällt aller Streit weg, der im bürgerlichen Zustande aus dem Eigenthum entspringt, das Mistrauen, der Betrug √der_\\_die⌡ Feindschaft, die Gewalt fällt weg⌠,⌡ ieder ist mit der √Bedürfnis_\\_Bedürfniß⌡, die er sich auf √jedem_\\_jeden⌡ Tag erwirbt, zufrieden. Wenn wir aber im bürgerlichen Zustande einen wohlhabenden Bürger nehmen, der aber hernach zurückgekommen ist, daß er Tagelöhner Arbeit verrichten muß, so ist dies Elend doch nichts als eine Meinung des Wahns. Jn diesem Zustande wird er sich noch immer so viel erwerben, daß er nicht verhungern darf. Er

/Seite_700

/kränckt sich aber nicht deswegen, daß es ihm √am_\\_an⌡ Brod fehlen wird, sondern daß er nicht in seinen vorigen Umständen ist, daß seine Ehre darunter leidet, und sein Stand in Verfall geräth. Die Menschen kräncken sich nicht deswegen daß es ihnen an Brod fehlen wird, sondern weil sie
⌠Seite 643⌡
nicht so leben können⌠,⌡ wie andere ihres Standes, also was die Leute sagen werden, ist das Elend, was uns hier drückt. Das Elend steht hier im Verhältnis zu der Meinung der Menschen⌠,⌡ als zu der √Bedürfnis_\\_bedürfnis⌡ der Natur. Die elendeste Kost in diesem Zustande, eine Haberbrey ist denen Wilden eine Delicatesse_\\_delicatesse. Könnten wir uns mit einer solchen ├einfältigen┤ Kost behelfen, so würden wir viel √Gram und Elend_\\_Elend und Gram⌡ entbehren. Der Wilde hat

/Seite_701

/gar keine Begriffe von dem was gut oder schlecht gekleidet ist, von dem was gut oder schlecht schmeckt, von dem was √Vornehm_\\_vornehm⌡ oder √n«¿»iedrig_\\_niedrig⌡ ist, er darf also nicht fürchten, daß ihm ein Vornehmer was befehlen würde, denn es giebt keinen √vornehmern_\\_Vornehmern⌡ und √niedrigern_\\_Niedrigern⌡ unter ihnen, er kann es also nicht begreifen, wie ein Mensch √sollte_\\_solte⌡ √vornehmer_\\_Vornehmer⌡ seyn als der andere, oder wie ein Mensch den andern einschräncken soll, wie einer dem
⌠Seite 644⌡
andern √<et>was_\\_etwas⌡ zu befehlen hätte. Demnach ist sein Zustand in völliger Freiheit, seine Gesichts Züge drücken schon was freies und ungebundenes aus. Es hat also ein Indianer_\\_Jndianer⌡ mit dem Könige von √Frankreich_\\_Franckreich⌡ eben so geredet als mit einem andern Wilden, und ist nicht in eine solche Verlegenheit gekommen, als

/Seite_702

/oft ein Franzose, der schon lange bey Hofe gewesen. √Allein_\\_Alle⌡ die Pracht am Hofe hat er nicht geachtet, das waren ihm alles Kleinigkeiten. Wenn er sich mit seiner goldenen Schirze ausputzt, so glaubt er beßer und prächtiger geputzt zu seyn als irgend einer√. Daher_\\_, daher⌡ er nicht √einmal_\\_einmahl⌡ nach der Pracht der Europaeer eine Begierde hegt. Der bürgerliche Zustand aber versetzt uns in große Abhängigkeit der Stände, unsere √Freiheit_\\_Freyheit⌡ wird auf allerhand Art gebunden, durch die √Obrigkeitliche_\\_obrigkeitliche⌡ Gewalt, durch
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unsere Manier, durch die Neigungen anderer, durch √unsern_\\_unseren⌡ Wahn des Standes. Unser betragen ist gezwungen und gebunden, ├und┤ nicht frey wie der Wilden ihres. Der Wilde ist sorglos, er genießt das Vergnügen seines Lebens ohne die √Beschwerden_\\_beschwerden⌡ zu

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/haben. Die natürlichen Uebel⌠,⌡ als Kranckheiten betreffen den Wilden auch nicht so als den Bürger. Die Wilden sind in dem Stück so wie die Thiere, welche keinen Kranckheiten unterworfen sind, und keine Vorempfindung vom ⌠Uebel⌡ haben, sondern so lange √leben_\\_Leben⌡ als ihre Kräfte zulangen⌠,⌡ und wenn die aufhören├,┤ so sind sie auch todt. Eben so ist auch der Wilde. Er ist in Ansehung der Kranckheiten sehr unempfindlich, er qvält sich nicht mit der Furcht des Todes, er denckt gar nicht an denselben, sondern lebt so lange als seine Kräfte zulangen, wenn die √ermieden_\\_ermüden⌡, so
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ist er todt. Dasjenige Uebel was den Wilden noch am √meisten_\\_meinsten⌡ drücken könnte├,┤ ist, daß er nicht vor √öffentlicher_\\_offentlicher⌡ Gewalt gesichert ist, so wie im bürgerlichen Zustande├. Allein ob wir gleich im
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/bürgerlichen Zustande┤ vor der öffentlichen Gewalt gesichert sind, und in Ansehung des Lebens keine Gefahr laufen, so werden wir doch auch auf der andern Seite sehr angefochten. Wer kann sagen, daß er in Ansehung seiner Ruhe sehr gesichert ist, daß er frey von aller Kränckung, daß er sicher von aller Nachrede sey? Und denn sind √auch die Kriege der Wilden nur_\\_die Kriege der Wilden nur auch⌡ ein übergehender Sturm, dagegen sind unsere weit fürchterlicher und grausam, und selbst der Friede ist eine be- ständige Rüstung zum √Kriege_\\_Krüge⌡, so daß die Erhaltung und Beschützung des Lebens mehr √Mühe_\\_«m»Mühe⌡ und Arbeit kostet, als das
⌠Seite 647⌡
Leben werth ist. Wenn Wilde in den bürgerlichen Zustand gelockt sind, und schon in Bedienungen waren⌠,⌡ und alles gekostet hatten, was nur im

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/bürgerlichen Zustande zu genießen war, so konnte man sie ⌠«verließen»⌡ doch nicht darinn erhalten, sondern sie verließen alles, und gingen in ihren vorigen Zustand der Natur und Freiheit zurück. Die Freiheit ist also die heitere Luft, so alles versüßet. Jn Ansehung der Bedürfniße √vers«a»orgt_\\_versagt⌡ sich √jeder_\\_ieder⌡ so viel, daß er keine Noth hat, und übrigens ist kein Elend, was ihm drohen kann, denn die natürlichen Uebel sind bald überstanden. Die Uebel so uns drücken entstehen mehrentheils aus dem Kummer für die Zukunft. √Betrachte ich_\\_Betrachten wir⌡ also die Glückseeligkeit negativ_\\_negative, so ist der Mensch im natürlichen Zustande in Ansehung des √physischen_\\_phisischen⌡ Lebens weit glücklicher, als es der Mensch im bürger- 
⌠Seite 648⌡
lichen

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/Zustande ist. Der Mensch im natürlichen Zustande ist nicht allein glücklicher, sondern auch unschuldiger├,┤ er ist negativ gut d. h. unschuldig. Die Unschuld ist die negative sittliche Bonitaet, wenn aber der Mensch unschuldig ist, so ist er ⌠noch⌡ nicht tugendhaft. Der rohe Mensch ist also negativ gut. Er hat keine Pflichten, denn er hat keine Begriffe derselben, er √kennet_\\_kennt⌡ kein Gesetz, also kann er es auch nicht sträflich übertreten, und folglich kann er nicht √lasterhaft_\\_Lasterhaft⌡ seyn. Jm natürlichen Zustande sind die Triebfedern zu den Lastern nicht rege gemacht, diese werden erst durch die Vermehrung der Bedürfniße und Begierden, so daraus entspringen, im bürgerlichen √«E¿¿»Zustande_\\_Zustande⌡ rege gemacht. Der natürliche Mensch √hält_\\_halt⌡ also

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/sein Wort. Unter einander stehlen sie √auch_\\_<auch>⌡ nicht als nur beym Nachbar, unter sich sehen sie das als √ein_\\_einen⌡ Contract an,
⌠Seite 649⌡
aber weil ihnen die √Fremde_\\_Fremden⌡ nichts angehen, so wißen sie gar nicht, warum sie denen nicht alles wegnehmen sollten, sie sehen gar nicht ein, daß dieses was √böses_\\_boses⌡ sey, indem sie gar nicht wißen, was gut und böse ist. √Untereinander_\\_Unter einander⌡ findet kein Diebstall statt, denn es reitzt sie nichts. Was der √eine_\\_«andere»<eine>⌡ hat, kann auch jeder andere haben. Es ist keine Triebfeder der Ehre bey ihnen⌠,⌡ so sie dazu bewegen sollte. Jm bürgerlichen Zustande aber entspringen hier viele Laster, als Untreue, Betrug, √Diebstahl_\\_Diebstall⌡ p. Jn Ansehung der Geschlechter Neigung entspringen √in_\\_im⌡ gesitteten Zustande viele Laster, weil

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/man nach der bürgerlichen Verfaßung verspätet sich des Geschlechts Vermögens denn zu bedienen, wenn es von der Natur √er«laubt»<theilt>_\\_ertheilt⌡ ist. Die Ursache liegt würcklich in der bürgerlichen Verfaßung, im wilden
⌠Seite 650⌡
Zustande ├aber┤ stimmt es völlig überein. Jn der Zwischenzeit des bürgerlichen Zustandes, wo man das Geschlechts Vermögen von der Natur bekommt, bis zu der √«¿»Zeit_\\_Zeit⌡, da man im Stande ist, ordentlich Gebrauch davon zu machen, geschehen lauter Laster die gantze Zwischenzeit wird mit Lastern angefüllt, die im wilden Zustande alle wegfallen. Jm bürgerlichen Zustande erwirbt sich das Weib viel Vermögen das männliche Geschlecht auf sich zu reitzen, woher die Laster entspringen, die

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/auf verschiedene Gegenstände gerichtet sind. Jm wilden Zustande ist das gar nicht, da wird die Neigung nicht durch Reitze aufgewiegelt, sondern es wird davon als √«¿¿¿»einem_\\_einem⌡ thieri- schen ⌠Jnstinkt⌡ Gebrauch gemacht. Das wilde Weib reitzt gar nicht, contrair putzt sich der Mann mehr als das Weib, daher sieht
⌠Seite 651⌡
der Wilde gar nicht ein, warum er an einer √andern_\\_fremden⌡ Frau seinen Instinct befriedigen sollte, welches er bei seiner eben so gut kann; es fallen also alle Laster des Ehebruchs weg, indem es schon in der Natur der √Sache_\\_«s»Sache⌡ selbst lieget, daß solche Laster gar nicht möglich sind. Alle Laster die aus dem Begrif der Ehre entspringen, fallen weg√, weil_\\_; Weil⌡ der Wilde eines solchen Begrifs

/Seite_710

/nicht fähig ist. Die Kräfte des Menschen werden nicht so geschwächt als im √bürgerlichen_\\_Bürgerlichen⌡ Zustande. Demnach lebt der Mensch im natürlichen Zustande unschuldiger, als im bürgerlichen. Er lebt glücklich und unschuldig wie ein Kind. Dieses ist aber kein positives Glück⌠,⌡ aber auch kein positives Unglück, so wie es auch kein positives √Gute_\\_gute⌡ ist, aber auch kein positives Laster sondern negativ. Jm bürgerlichen Zustande opfert
⌠Seite 652⌡
der Mensch viele von den √Natürlichen_\\_natürlichen⌡ Vortheilen auf, er opfert seine Freiheit⌠,⌡ auf vielerley Art auf, seine Sorglosigkeit in Ansehung seiner Gemächlichkeit, die Zufriedenheit, die aus dem Mangel der Kentniße √großerer_\\_größerer⌡ Bedürfniße entspringt, einen großen Grad seiner Gesundheit durch

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/Anstrengung seiner Kräfte, und durch Abzehrung seines Lebens⌠,⌡ und durch Gram├,┤ Sorgen und Mühe, er kommt in die Versuchung zu √Lastern,_\\_lastern⌡ er bekommt Neigungen durch die √Kentnis_\\_Kenntnis⌡ der Bedürfniße⌠,⌡ die ihn zu vielen Leidenschaften verleiten, er lernt das moralische Gesetz kennen, und √fühlt_\\_fiehlt⌡ die √Triebfeder_\\_Trieb Feder⌡ die Pflichten zu überschreiten, und da seine Thätigkeit in Bewegung gesetzt ist, so wird das √böse_\\_Böse⌡ eben so √wachsen_\\_wachsam⌡⌠,⌡ wie das gute, er wird also die Triebfeder zum
⌠Seite 653⌡
bösen eben so gut fühlen als zum guten, ja da wir zum guten nicht solche Triebfedern haben als zum bösen, und das gute mehr in Unterdrückung der Triebfeder zum √bösen_\\_Bosen⌡ besteht, und wir keine

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/neue Triebfeder √zum_\\_dem⌡ √bösen_\\_Bösen⌡ entgegen zu setzen haben, als es nur zu unterdrücken, so wird das Laster in größerer Proportion wachsen⌠,⌡ als das √gute_\\_Gute⌡. Der Mensch kommt also hier ins Gedrenge der Tugend und des Lasters. Demnach ist der Mensch im bürgerlichen Zustande nicht so tugendhaft und glücklich als im natürlichen.
Wenn wir nun das im gantzen nehmen, so √wiederholen_\\_wiederhohlen⌡ wir die Frage: ist der natürliche Zustand oder der bürgerliche dem √Zweck_\\_Zweg⌡ des Menschen angemeßener? Sollen wir, um dem Zweck der Menschheit näher zu kommen alle in die Wälder gehen, oder
⌠Seite 654⌡
im bürgerlichen Zustande bleiben? Kein Volck ist aus dem gesitteten Zustande in die √Wildniß_\\_Wildheit⌡

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/gegangen, es ist also dieses kein Fortgang zur Vollkommenheit der Menschheit├,┤ sondern vielmehr ist der Fortgang aus der Wildheit in die bürgerliche Verfaßung, und daß also in der Vollkommenheit der bürgerlichen Verfaßung die Vollkommenheit des Zustandes der Menschen zu setzen sey. Denn da man in der Wildheit so unschuldig wie ein Kind lebt, so wenig aber das zu billigen ist, daß der Mensch immer ein Kind bleibe, wenn er √auf_\\_auch⌡ immer könnte versorgt seyn, eben so wenig ist das zu billigen├,┤ daß der Mensch immer in der Wildheit bleibe. Rousseau hat das auch nicht sagen wollen, daß der Menschen ihre Bestimmung die Wildheit seyn, sondern das
⌠Seite 655⌡
der Mensch seine

/Seite_714

/Vollkommenheit des Zustandes nicht so suchen soll, daß er alle Vortheile der Natur aufopfere, indem er dem bürgerlichen Vortheile nachiage. Es dient dieser nur zum Plan der Erziehung und Regierung├,┤ durch die solcher vollkommene Zustand zuwege gebracht werden kann. Der Mensch ist als ein Thier für die Wälder├,┤ aber als ein Mensch für die Gesellschaft bestimmt, und da soll er nicht allein die Bedürfniße für sein Glück besorgen, sondern als ein Theil eines √gantzen_\\_Gantzen⌡ das Glück dieses √gantzen_\\_Gantzen⌡ zu befördern suchen. Da die bürgerliche Verfaßung ein Zwang ist, so ist die Wirckung derselben √Fleiß_\\_Fleis⌡ und Arbeitsamkeit, nicht allein für seine Bedürfniße zu sorgen├,┤ sondern auch fürs √gantze_\\_Gantze⌡. Von Natur ist aber der Mensch faul,

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/er thut nichts├,┤
⌠Seite 656⌡
als wozu ihn die Natur und die √Nothdurft_\\_Nothdürft⌡ treibt. Aber im bürgerlichen Zustande ist nicht allein der √Obrigkeitliche_\\_obrigkeitliche⌡ Zwang, sondern auch ein künstlicher Zwang der Eltern, der Umstände des Fortkommens, der Anständigkeit, der Ehre, und hiedurch entspringt solche mannigfaltige √Thätigkeit_\\_thätigkeit⌡, wodurch der Mensch viel positives gute hervorbringt, welches gar nicht im wilden Zustande existirt hätte. Nur im bürgerlichen Zustande⌡ allein entwickelt der Mensch seine Talente. Mit den Triebfedern zum bösen, nehmen auch seine Triebfedern zum guten zu. Der bürgerliche Zustand hat den Vortheil daß er den Menschen positiv glücklich und positiv tu- gendhaft machen kann, da er im positiven Zustande nur negativ glücklich und gut
⌠Seite 657⌡
war. Ob gleich der Mensch im

/Seite_716

/bürgerlichen Zustande viele Vortheile der Natur aufopfert, so giebt doch der √natürliche_\\_Natürliche⌡ Zustand viele Mittel an die Hand solche zu √ersezzen_\\_ersetzen⌡. Der Zweck der Natur war also die bürgerliche Gesellschaft, und der Mensch ist bestimmt als ein Glied der gantzen Gesellschaft sich vollkommen glücklich und gut zu machen. Nun ist aber der Mensch noch nicht in der Vollkommenheit des bürgerlichen ⌠Zustandes. Jn dieser Verfaßung des bürgerlichen⌡ Zustandes hat der Mensch noch mehr vom natürlichen verlohren, als daß er es durch den bürgerlichen soll √ersezt_\\_ersetzt⌡ haben, aber er ist doch schon im Fortgange zu der √höchste_\\_höchsten⌡ Glückseeligkeit, welcher er im bürgerlichen Zustande fähig ist. Wenn wird aber solche Vollkommenheit erreicht seyn?

/Seite_717

/und wel- 
⌠Seite 658⌡
ches ist der Zeitpunckt der vollkommenen bürgerlichen Zustandes? Dieses ist die Einrichtung der Gesellschaft mit allen practi- schen_\\_Practischen⌡ Bedingungen, der Gesellschaft gleicher √Wesen_\\_Weesen⌡. Ehe diese Gesellschaft errichtet und erreicht ist, eher können wir nicht glauben├,┤ daß der Mensch den höchsten Grad der bürgerlichen Vollkommenheit erreichen werde. Der Mensch kann sich einzeln allein nicht so vollkommen machen, als bis das √gantze_\\_Gantze⌡ der Gesellschaft vollkommen seyn wird. Wenn ein solcher Staat wird errichtet seyn, in welchem alles nach vollständigen Regeln des Rechts und der Moralitaet errichtet seyn wird, so wird dieses eine Bedingung seyn, unter der sich ein

/Seite_718

/√jeder_\\_ieder⌡ wird vollkommener machen können. Ein solcher Staat existirt_\\_existiret⌡ zwar noch gar nicht, allein er ist
⌠Seite 659⌡
durch viele Revolutionen, so noch geschehen müßen zu hoffen. Was dient nun dazu einen solchen √hervorzubringen_\\_hervorbringen⌡ zu können? Hier ist man noch ungewiß, ob man von unten anfangen soll, oder von oben. Soll erst ein solcher Staat errichtet werden, damit ieder einzelne vollkommen gemacht werden könnte, oder soll erst ein √jeder_\\_ieder⌡ einzelne durch die Erziehung so vollkommen gemacht werden, damit hernach endlich, wenn √er_\\_es⌡ durch viele Glieder gegangen ist, ein solcher Staat könnte errichtet werden√?_\\_.⌡ Hängt die Vollkommenheit iedes einzelnen Menschen von der Vollkommenheit des Staats ab, oder hängt die Vollkommenheit des Staats von der Vollkommenheit iedes einzelnen

/Seite_719

/Menschen ab? Jst das erste die Bedingung vom zweyten⌠,⌡ oder das √zweyte_\\_2te⌡ die Bedingung vom ersten. Es √schent_\\_scheint⌡
⌠Seite 660⌡
als wenn die Erziehung ├eines┤ √iedes_\\_ieden⌡ einzelnen Menschen den Anfang machen soll, denn die Erziehung eines Menschen bildet viele andere Menschen, die wieder andere bilden. Zuerst müste man sehen, daß diejenigen gut gebildet würden, die hernach andere bilden sollen. Wenn Lehrer und Prister gebildet wären, wenn unter denen die Begriffe von der reinen Moralitaet_\\_Moralitaet⌡ herrschen möchten, so ⌠möchten⌡ √<würden>_\\_würden⌡ sie sich auch bald zum Throne √hinaufschwingen_\\_hinauf schwingen⌡, in die Schulen der Regenten kommen, und durch diese könnte hernach das gantze gebildet werden.
Damit wir den gantzen Plan des √fortganges_\\_Fortganges⌡ der Vollkommenheit des

/Seite_720

/menschlichen Zustandes aus der Wildheit bis zur √hochsten_\\_höchsten⌡ Vollkommenheit der bürgerlichen Verfaßung übersehen können, so müßen
⌠Seite 661⌡
wir um des Zusammenhanges √willen_\\_Willen⌡ noch folgendes wiederhohlen, und denn weiter gehen.
Es hat der Vorsicht gefallen aus der Wurtzel des Uebels das gute herauszuziehen, denn aus der Bösartigkeit des Menschen, wie schon oben angeführet, ist die gantze Erde √bevolckert_\\_bevölckert⌡, und da keiner den andern zwingen ├zwingen┤ konnte, so √unterwar- fen_\\_unterwarffen⌡ sie sich alle dem gemeinschaftlichen Zwange, woher die bürgerliche Verfaßung und der bürgerliche Zwang √zuwege_\\_zu wege⌡ gebracht wurden. Jn dieser Verfaßung entwickelten sich alle Talente des Menschen, da nahmen seine

/Seite_721

/Bedürfniße zu, woraus alle Künste und Wißenschaften entstanden. Da aber der √Obrigkeitliche_\\_obrigkeitliche⌡ Zwang auf nichts weiter gehet⌠,⌡ als √aufs_\\_auf⌡ äußerliche bürgerliche Ordnung, und auf
⌠Seite 662⌡
das Recht des andern, und nicht auf Anständigkeit und Sittlichkeit⌠«,»⌡. So fehlt hier ein anderer Zwang, der einen in dem Fall zwingen könnte, wo der bürgerliche Zwang übel angebracht wäre. Da nun aber die Menschen durch den bürgerlichen Zwang immer feiner wurden, und sich immer mehr und mehr cultivirten, so entstand unter ihnen der Zwang der Anständigkeit, wo sich die Menschen unter einander in √Ansehung_\\_Ansehung«s»⌡ des Geschmacks├,┤ der Bescheidenheit, der √Gefließenheit_\\_Geschliffenheit,⌡ der Höflichkeit und des Anstandes selbst zwingen. Denn alles das anständige im Wohlstande ist durch keinen

/Seite_722

/bürgerlichen Zwang hervorgebracht, darum bekümmert sich die Obrigkeit gar nicht, wie man mit den Kleidern geht, ob man reinlich geht, und nach Geschmack gewählt hat, ob man sich bescheiden oder √grob_\\_Grob⌡ in der Gesellschaft √aufführet_\\_auführt⌡, wenn
⌠Seite 663⌡
man einen nur nicht offenbar beleidigt, so bekümmert sich die Obrigkeit um das übrige gar nicht. Allein die Menschen zwingen sich in Ansehung der übrigen unter einander⌠,⌡ wegen der Anständigkeit⌠,⌡ sie unterlaßen vieles, weil es nicht mit der Meinung anderer übereinstimmt. So weit sind wir schon in unserer bürgerlichen Verfaßung. Einen andern Zwang haben wir noch nicht. Wenn aber unsere Vollkommenheit in der bürgerlichen Verfaßung nicht weiter

/Seite_723

/steigen sollte, so haben wir noch immer mehr verlohren als gewonnen. Allein das menschliche Geschlecht schreitet in der Vollkommenheit noch immer weiter fort. Was √könnte_\\_konnte⌡ hier wohl noch für ein Zwang gedacht werden? Das ist der moralische Zwang, welcher darinn bestehet, daß sich jeder Mensch vor dem moralischen Urtheil des andern fürchtet⌠,⌡ und dadurch √genothiget_\\_genöthiget⌡ wird⌠,⌡ Hand- 
⌠Seite 664⌡
lungen der Rechtschaffenheit und der √Reinen_\\_reinen⌡ Sittlichkeit auszuüben. Die Menschen haben unter einander den Zwang der An- ständigkeit errichtet, unter welchem alle stehen, und wo sich √einjeder_\\_ein ieder⌡ in Ansehung der Anständigkeit nach der Meinung des andern kehrt. Allein die Menschen haben eben ein solches Recht auch

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/über das √Sittliche_\\_sittliche⌡ Verhalten des Menschen ein Urtheil zu fällen. Erst müßen die Begriffe der Moralitaet_\\_moralitaet⌡ gereinigt, und Achtung für das menschliche √Geschlecht_\\_Gesetzt⌡ eingeflößt werden, das Hertz würde sich √alsdenn_\\_als denn⌡ schon ändern. Alsdenn √mögte_\\_möchte⌡ sich √jeder_\\_ieder⌡ für eine Ehre halten, daß er von iedem für einen rechtschaffenen Mann gehalten wird, und nicht, daß er in einer √Kutschen_\\_Kutsche⌡ fahren √könne«n»_\\_könne.⌡ Hieraus würde folgen⌠,⌡ daß kein Mensch mit einem solchen├,┤ der nicht mora
⌠Seite 665⌡
lisch lebte umgehen müste, man würde denjenigen, der schon √einmahl_\\_einmal⌡ gelogen hat, √verachten_\\_verrathen⌡, und seinen Umgang scheuen, eben so wie sich ieder scheut mit demjenigen umzugehen├,┤ der schon √einmahl_\\_einmal⌡ gestohlen hat, und dadurch in die bürgerliche Ordnung und

/Seite_725

/in die Rechte anderer √Eingriff_\\_Eingrif⌡ gethan hat. Warum sollte es aber auch nicht so weit kommen, daß man mit einem solchen, der wieder seine Moralitaet und die Pflicht gegen sich selbst gehandelt, nicht umzugehen begehrte. Wenn wir weiter gehen, so folgt, daß wenn einer um ein Amt anhalten würde, man nicht so wie jetzt auf die √äußerliche_\\_äußere⌡ Führung oder Geschicklichkeit sehen würde, sondern auf den √moralischen_\\_moralischen⌡ Charackter. Und ein jeder würde sich selbst zwingen, wenn ei- 
⌠Seite 666⌡
ne solche Ehre bey ihm herrschte. Dieser moralische Zwang supplirte_\\_suplirte⌡ die Mängel des bürgerlichen und des anstän- digen Zwanges, indem er aber auf der Meinung anderer beruhte, so √wär_\\_war⌡ es doch nur ein äußerlicher Zwang. Demnach bleibt noch ein Zwang übrig,

/Seite_726

/und das ist der Zwang seines Gewißens⌠,⌡ und zwar seines eigenen, wo ein √jeder_\\_ieder⌡ Mensch über sein sittliches Verhalten durch sein Gewißen nach dem moralischen Gesetz urtheilt, und auch so handelt. Dieses ist das Reich Gottes auf Erden. Das √Gewis- sen_\\_Gewißen⌡ wäre unser Oberster Richter, aber unser Gewißen ist noch nicht recht cultivirt, indem noch viele Cr ium_\\_Lücke⌡ für ihr Gewißen nehmen. Wäre es ⌠aber⌡ cultivirt,_\\_kultivirt⌡ so wäre dieser Zwang├,┤
⌠Seite 667⌡
da er ein innerer ist, der stärckste, und √den_\\_denn⌡ wäre auch keiner mehr nöthig. Hiezu haben wir würcklich von der Vorsehung eine Anlage in uns, indem ein jeder sich selbst richtet, und auch den andern bey sich moralisch richtet. Die Vorsicht hat uns also würcklich

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/zu Richtern gemacht, nur wir äußern unser moralisches Urtheil nicht, weil noch kein moralisches Etablissement errichtet ist. Sollte es aber nicht möglich seyn, daß das menschliche Geschlecht in der √bürgerlichen_\\_Bürgerlichen⌡ Verfaßung diesen Grad der Vollkommenheit erreichen sollte, denn es scheint ⌠daß jede⌡ Creatur zu der Vollkommenheit gelangen √müße,_\\_müßte<müße>⌡ wozu sie gemacht ist, also muß auch das menschliche Geschlecht diesen Grad der Vollkommenheit, welcher der √Zweck_\\_Zweg⌡ seiner Bestimmung ist├,┤ würcklich erreichen, und wenn
⌠Seite 668⌡
es noch Jahrhunderte dauret. Wenn es aber zu Stande kommt, so wird es auch unabsehliche Jahre in einem Fortgang dauren, denn es ist eine Phylosophie_\\_Philosophie der faulen, wenn man glaubt, daß

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/es immer so bleiben wird⌠,⌡ als es jetzt ist. Denn so wenig es vor 1000 Jahren so war wie jetzt, eben so wenig wird es nach 1000 Jahren so seyn, es sind also große Veränderungen zu hoffen. √Mann_\\_Man⌡ ist immer gewohnt zu fragen├,┤ wo kommt das böse her? aber man sollte lieber fragen wo kommt das gute her? √Mit_\\_mit⌡ dem √Bösen_\\_bösen⌡ aus Freiheit wird der Anfang gemacht, denn das böse gehört zur thierischen Vollkommenheit des Menschen├,┤ allein in der Natur zielt alles ab zu seiner grostmöglichsten Vollkommenheit zu
⌠Seite 669⌡
erlangen. So wie aus einem Embrion ein Mann werden muß, so muß sich auch alles zu seiner Vollkommenheit erheben. Jn der menschlichen Natur liegen Keime, die sich entwickeln├,┤ und zu

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/der Vollkommenheit gelangen können zu der sie bestimmt sind. Wie viele Keime sind nicht schon entwickelt⌠,⌡ von denen man vorher eben so wenig hätte glauben können, daß sie sich entwickeln würden, als wir jetzt von denen glauben, so noch nicht entwickelt sind. Wer einen wilden Jndianer und Grönländer sieht, sollte der wohl glauben, daß in selbigem ein Keim liegt, eben ein solcher Mann nach der Pariser Mode zu werden⌠,⌡ als ein anderer? Er hat aber dieselben Keime als ein gesitteter Mensch, nur sie sind noch
⌠Seite 670⌡
nicht entwickelt. Eben so haben wir ⌠auch⌡ Ursache zu glauben, daß da in der menschlichen Natur Keime zur größeren Vollkommenheit liegen, dieselbe auch wohl können entwickelt werden, und die Menschheit den Grad der Vollkommenheit wozu sie bestimmt ist, und

/Seite_730

/wozu sie die Keime in sich hat, wird erreichen müßen, und in den Zustand, welcher der √grö«¿»stmöglichste_\\_großtmöglichste⌡ ist, wird versetzt werden. Dieses kann nach eben demselben Grade zugehen, als es schon zugegangen ist, denn so gut aus der Bös- artigkeit des Menschen der bürgerliche Zwang entsprungen ist, aus welchem wieder sehr viele gute Folgen entstanden sind√,_\\_;⌡ so gut hernach durch die Verfeinerung der Menschen aus diesem bür- 
⌠Seite 671⌡
gerlichen Zwange, als aus der Basis der Zwang der Anständigkeit entsprungen ist, wo die √Neigungen_\\_Meinungen⌡ anderer eine große Wichtigkeit auf uns haben, daß sich auch Menschen oft das Leben nehmen, weil sie nicht wollen, daß andere solches von ihnen ├nicht┤ dencken sollen, und woraus

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/mehr Verfeinerung und Sittlichkeit entspringt, als aus der Religion, und ohne welchen die Menschen ohnerachtet der bürgerlichen Ordnung und Zwanges├,┤ doch noch sehr grob wären√,_\\_;⌡ √ebenso_\\_eben so⌡ gut kann auch ├durch┤ eine größere Verfeinerung der Menschheit der moralische Zwang entspringen, zu welchem die Keime in der menschlichen Natur gantz sicher liegen, indem die Menschen sehr geneigt sind, einen nach der Moralitaet_\\_moralitaet seines Charack- 
⌠Seite 672⌡
ters zu beurtheilen. Sollte das nicht möglich seyn, daß sie alle so gesinnt seyn könnten? Warum werden die moralische_\\_moralischen⌡ Keime durch die Erziehung nicht entwickelt? Große Herren sehen noch nicht die Wichtigkeit der Erziehung ein, und verwenden darauf keine Mühe. Man treibt die

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/Religion als ein Statutum, man zeigt nicht die Abscheulichkeit einer Handlung aus der Handlung selbst, sondern weil es verboten ist, man verbindet nicht die innere Moralitaet mit der Religion. Also kann auch kein unmittelbarer Abscheu wieder die unmoralische Handlung entspringen. Allein eben so gut wie den Kindern ein unmittelbarer Abscheu vor der Spinne beygebracht wird, bloß dadurch⌠,⌡ daß die Amme schaudert,
⌠Seite 673⌡
wenn sie selbige sieht, eben so ├gut┤ könnte auch den Kindern ein unmittelbarer Abscheu vor den Lügen beygebracht werden dadurch, daß man allezeit die √gröste_\\_größte⌡ Verachtung dawieder bezeigte. Das Kind dürfte nicht √einmahl_\\_einmal⌡ wißen, was Lüge ist, es lernt sie aber dadurch, daß man sie ihm oft vorredet.

/Seite_733

/Wenn es also gehörig erzogen würde, so müste es vor einer Lüge eben einen solchen Abscheu haben als vor der Spinne. Wenn die Menschen schon ⌠so⌡ weit gekommen wären, warum sollte sich nicht der letzte Zwang, nehmlich der Zwang des Gewißens eben so gut entspinnen, wo ieder nach seinem Gewißen über seine Handlungen urtheilen möchte. Dieser läßt sich aber ohne Religion nicht
⌠Seite 674⌡
erlangen, die Religion kann aber keinen Effect haben ohne die Moralitaet_\\_moralitaet, also zielt die Religion auf die höchste Vollkommenheit des Menschen ab. Dieses wäre die Herrschaft des Gewißens, und da das Gewißen Vicarius der Gottheit ist, so wäre dieses das Reich Gottes auf Erden, √ja_\\_ia⌡ das Himmelreich, denn darauf √kommt nichts_\\_kommts nicht⌡ an├,┤ wo der Himmel

/Seite_734

/oder die √«Erde»Hölle_\\_Hölle⌡ ist. Die Menschen können da, wo sie sind Himmel und Hölle machen. Jst dieser Zustand der Voll- kommenheit der Menschheit möglich und wenn ist er zu hoffen? Da die Keime hiezu würcklich in der Menschheit liegen, so ists möglich, daß sie durch Cultur_\\_Cultur⌡ entwickelt werden und zur Vollkommenheit gelangen können. Wenn ist das aber zu hoffen und wie soll das zu
⌠Seite 675⌡
gehen, und was kann man dabey thun⌠,⌡ um solches zu bewerckstelligen? soll man von der Erziehung der Kinder oder von der Erziehung des gantzen Staats den Anfang machen? Da die Regenten gezogen werden müßen⌠,⌡ so können sie nicht beßer seyn, als die Gesinnungen so √im Publico_\\_in publico ausgebreitet sind. Die Regenten werden schon von verderbten

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/Personen gezogen, wenn sie also übel regieren, so haben wir solches unserm Vorfahren zu dancken, die selbige so erzogen haben. Die Regierung kann also nicht beßer seyn als sie aus den Mitteln und Verfaßung des Landes gezogen ist. Wir sehen daß sich Kriege erheben, und ein Staat den andern niederreißt, mit der Zeit werden die Fürsten
⌠Seite 676⌡
den Nachtheil empfinden müßen, indem sie selbst im Frieden mit der Zurüstung eben solche Kräfte zu verwenden genöthigt sind, als im Kriege. Damit aber alle Kriege nicht nöthig wären, so müste ein Völckerbund entspringen, wo alle Völcker durch ihre deputirte_\\_Deputirte⌡ einen allgemeinen √Volcker_\\_Völcker⌡ Senat constituirten, der alle Streitigkeiten der Völcker entscheiden √müßte_\\_müste⌡, und dieses Urtheil

/Seite_736

/müste durch die Macht der Völcker executirt werden, denn stünden √die Völcker auch_\\_auch die Völcker⌡ unter einem foro und einem bürgerlichen Zwange√._\\_;⌡ Dieser √Völcker_\\_Volcker⌡ Senat wäre der √erlauchteste_\\_erleuchteste⌡, den √jemals_\\_iemals⌡ die Welt gesehen hat. Darinn scheint der Anfang zu suchen zu seyn, denn ehe die Kriege kein Ende nehmen⌠,⌡ kann solches nicht
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zu Stande kommen, denn der Krieg macht jeden Staat unsicher, daher mehr auf die Zurüstung als auf die innere Beschaffenheit des √Staats_\\_Staat⌡ gesehen wird. Wenn aber das ein Ende nimmt, so wird die Verbeßerung der inneren Regierung erfolgen, wodurch die Menschen zu solcher Vollkommenheit gebildet werden. Wie können wir aber hiezu was beytragen⌠,⌡ und solches acceleriren? √Der_\\_der⌡ Philosoph muß seine Begriffe hievon bekannt machen, und sie zur näheren

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/√Erwägung_\\_Erwegung⌡ vortragen. Die Lehrer müßen den Charackter bilden, damit Regenten solches einsehen⌠,⌡ und bewerckstelligen möchten. Auf solche Weise würde ein solcher Zustand seyn, den wir nicht Hofnung zu erleben haben. Dieser Zustand kann nicht destruirt werden,
⌠Seite 678⌡
sondern so lange fortdauren, als es Gott gefällt, unsern Erdkörper zu erhalten. Diese Betrachtung ist sehr angenehm, indem es eine Jdee ist, die möglich ist, wozu aber ⌠noch⌡ Jahrtausende erfordert werden. Die Natur wird immer zureichen, bis solches Paradies auf Erden entstehen wird. So wie √sich_\\_sie⌡ die Natur immer ausgebildet hat und noch ausbildet, und sich dem Zwecke der Bestimmung nähert, welche man am Aeqvator und an der Eccliptic_\\_Ecliptic nachsehen kann, die sich nähert auf den Aeqvator zu fallen und dadurch eine Gleichheit der Tage und

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/Nächte auf dem gantzen Erdboden entsteht, wozu aber noch 140000 Jahre erfordert werden; eben so bildet sich auch
⌠Seite 679⌡
das menschliche Geschlecht, und es können eben so viel √Jähre_\\_Jahre⌡ verfließen, ehe es den großten Grad der Vollkommenheit erreichen wird.

Von dem Unterschiede beyder Geschlechter.

Die Wurtzel des guten liegt in dem Uebel denn das Uebel ist die Ursache der Entwickelung der Talente, wodurch hernach alles gute entsprungen ist. Wir kommen jetzt auf einen Fall, wo uns sehr viele scheinbare Unvollkommenheiten vor Augen liegen, die in der Natur ihren Grund haben, und wo Philosophie angewandt werden muß, um zu sehen, daß diese Unvollkommenheiten zwegmäßig sind, und mit der Natur zusammen hängen, und √das_\\_daß⌡ ist die

/Seite_739

/Untersuchung des √Unterscheides_\\_Unterschiedes⌡ beyder- 
⌠Seite 680⌡
ley Geschlechter. Bey dieser Gelegenheit können wir Proben von der Art geben, wie der Mensch studiert werden soll√._\\_:⌡ Dieses ist der größte Fall, wo das Studium des Menschen √interessirt_\\_intereßirt⌡, und wo auch das mehreste zweckmäßige in der Anlage der Natur entdeckt wird. Demnach sagen wir also√:_\\_.⌡ Jn allen √Werck- zeugen_\\_Werkzeugen⌡, wo durch kleine Kraft eben so viel ausgerichtet wird, als durch große, da ├da┤ muß mehr Kunstmäßige Einrichtung angebracht seyn, als in dem √Werzeuge_\\_Werckzeuge⌡ wo größere Kraft ist├,┤ denn sonst könnte nicht eben dieselbe Wir- ckung hervorgebracht werden. Je weniger Kraft und Macht also in einem Werckzeuge ist, desto mehr Kunst muß da seyn. Da nun das weibliche Geschlecht eben so viel Kraft hat

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/als das
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männliche, und es eben so viele Wirckungen √hervor bringen_\\_hervorbringen⌡ soll├,┤ als das männliche, denn sonst möchte es zu kurtz kommen, und die Natur hätte ihm Unrecht gethan, wenn es nicht mit dem männlichen Geschlecht gleich wäre, so wird die Natur dem weiblichen Geschlecht mehr Kunst gegeben haben. Dem- nach verdient das weibliche Geschlecht und die weibliche Natur mehr √studirt_\\_studiert⌡ zu werden, weil sie mehr Kunst hat, und die Natur das bey ihnen durch Kunst ausrichtet, was sie beym männ- lichen durch Macht thut. Weil der Mann für die Natur gemacht ist, so muß er Stärcke und Macht haben√,_\\_;⌡ welche √den_\\_denn⌡ Ungemächlichkeiten der Natur Wiederstand zu leisten √gemäs_\\_gemäß⌡ ist, aber keine Kunst. Da das Weib aber für
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den Mann gemacht

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/ist, und durch den Mann für die Natur, so muß das Weib Kunst haben, um durch den Mann der Natur und den √Ungemächlichkeiten_\\_Ungemachlichkeiten⌡ derselben zu wiederstehen⌠, und sie zu ihrem Nutzen anzuwenden⌡. Weil die Deutsche gerne Complimente machen, so √mögte_\\_mochte⌡ das Wort: Weib im gemeinen Leben beleidigen. Dem Mann ist das Weib entgegen gesetzt, dem Herrn aber die Frau. So gut ich aber auf den König ohne alle Beleidigung sagen kann: das ist ein wackerer Mann, so gut kann ich auf eine Prinzeßin sagen: das ist ein schönes Weib, da hab ich mehr gesagt, als wenn ich sagte: es ist eine schöne Frau oder Prinzeßin, denn als ein schönes Weib ist sie die schönste vom gantzen Geschlecht, wenn sie aber
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eine √schöne_\\_schone⌡ Prinzeßin ist, so kann es noch schönere unter andern Ständen geben.

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/ Der andere Grundsatz⌠,⌡ den wir voraus schicken müßen, ist dieser√:_\\_;⌡ alles was in der Natur liegt├,┤ ist gut. Die Natur ist die Bedingung⌠,⌡ und der Beziehungs Punckt des guten, und in der Natur muß sich das gute vereinigen. Das böse liegt in der Freiheit und im Misbrauch der Natur. Nun ist darauf zu sehen ob etwas durch die Natur gut oder böse sey. Es ist schwer auszumachen, ob etwas in der Natur liege oder nicht. Finden wir, daß das √Böse_\\_böse⌡ in der Natur liegt, so ist es deswegen gut, daß es in der Natur liegt, und es muß einen √Zweck_\\_Zweg⌡ und gute Absicht haben, wenn es nur nicht durch Freiheit gemisbraucht wird. Wenn wir also
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finden, daß ein Subject mit Uebel

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/√behaftet_\\_beschaffet⌡ ist, und √daß_\\_das⌡ Misbräuche statt finden, und diese Misbräuche allgemein sind, so liegen sie doch in der Natur, denn die Ursache, wodurch diese Uebel gemißbraucht werden, muß doch in der Natur liegen, weil sie allgemein gemisbraucht werden. Die Ursache der Uebereinstimmung des Misbrauchs⌠,⌡ der Uebel kann doch nicht in der Freiheit gesucht werden, denn durch die Freiheit geschehen nur zufällige Handlungen, sondern es muß in der Nothwendigkeit der Handlung √steken_\\_liegen<stecken>⌡. Also muß dieser Misbrauch betrachtet werden├,┤ als liege er in der Natur. Was aber in der Natur liegt, das ist gut, denn die Natur √würcket_\\_wircket⌡ so lange bis sie sich gleich
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kommt, und mit sich übereinstimmt, und diese Uebereinstimmung ist die Vollkommenheit.

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/ Wir werden √dahero_\\_also⌡ in dem Charackter des weiblichen Geschlechts etwas finden, was ein bestimmtes Gesetz der Natur ist, und deswegen, weil es in der Natur liegt, muß es gut seyn, obgleich es sehr versteckt⌠,⌡ und uns als unvollkommen vorkommt. Wir müßen demnach den Zweck zu entdecken suchen├,┤ und wenn wir den Zweck⌠,⌡ wozu es gut ist, werden entdeckt haben, denn können wir sagen, daß es gut ist. Wo sollen wir aber die Natur des weiblichen Geschlechts aufsuchen, und in welchem Zustande sollen wir sie √studiren_\\_studieren⌡? Es ist vorher bey der Natur noch dieser Un- 
⌠Seite 686⌡
terscheid zu mercken. Die Natur kann in ihrer Einfalt betrachtet werden, in dem √größten_\\_großten⌡ Grad ihrer Entwickelung⌠,⌡ oder in ihrer √völligen_\\_volligen⌡ Entwickelung. Weil √nun_\\_nur⌡ in der weiblichen Natur Kunst ist, und in der

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/männlichen Stärcke, so kommt die Natur mit der Einfalt der Natur, die Kunst aber mit der Entwickelung der Natur überein. Demnach muß die weibliche Natur nicht in der √Einfallt,_\\_Einfalt⌡ sondern in ihrer Entwickelung studirt werden, in dem Zustande, wo die Anlage der Kunst sich am meisten hat entwickeln können, in einem andern Zustande kann die weibliche Natur nicht studiert werden. Wenn √man_\\_mann⌡ rohe Nationen nimmt, so ist das Weib vom Manne gar nicht zu unterscheiden⌠,⌡ sie hat die Reitze nicht,
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die sie in der Entwickelung hat, √so_\\_sie⌡ muß eben so durch Stärcke arbeiten, als der Mann, sie hat in dem rohen Zustande keine Gelegenheit ihre Kunst zu entwickeln, dahero können wir ⌠«die»⌡ in diesem Zustande nicht die

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/Natur des weiblichen Geschlechts, sondern nur die Natur der Menschheit überhaupt √studiren_\\_studieren⌡. Alle Kunst des Weibes den √Man_\\_Mann⌡ zu gewinnen, ihre Reitze, ihre Annehmlichkeiten sind in dem rohen Zustande ohne allen Effect, weil sie √<da>_\\_da⌡ nur Sinne der √Bedürfnis_\\_Bedürfniße⌡ haben, sie hängen an einander in einer Verbindung durch √thierischen_\\_Thierischen⌡ Instinct. Es ist also kein Unterscheid des Charackters des Mannes und des Weibes in diesem Zustande, die Kunst des weiblichen Geschlechts ist nur sichtbar in der Verfeinerung. Ehe wir also in diesen
⌠Seite 688⌡
Zustand kommen, sind sie √gäntzlich_\\_gantzlich⌡ ohnmächtig sich der Kunst zu bedienen, √den_\\_denn⌡ Mann zu regieren, daher unter allen √wilden_\\_Wilden⌡ das Weib als ein Hausthier anzusehen ist, ia weil sie keine andern Hausthiere haben, so ist das

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/Weib das einzige Hausthier. Wenn der Mann also zu Felde in den Krieg zieht, so trägt ihm das Weib seine Werckzeuge nach, denn weil sie da ihre Kunst an den Mann nicht anwenden kann, ihre Kunst auch auf ihn keinen Eindruck macht, weil der Mann nicht fähig ist, die Kunst des Weibes zu acceptiren⌠,⌡ so kann sie sich durch nichts seiner bemächtigen, muß also unterliegen. Also muß das weibliche Geschlecht im verfeinerten Zustande studiert werden wo die Anlage
⌠Seite 689⌡
der Keime ihrer Natur sich hat entwickeln können, die Natur der Menschheit muß aber im rohen Zustande studiert √werden_\\_seyn<werden>⌡. Die weibliche Natur äußert sich also im verfeinerten Zustande ja wir können sagen, die Natur des weib- lichen Geschlechts macht den Zustand

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/verfeinert. Diese weibliche Natur ├«des weiblichen Geschlechts macht den Zustand»┤ √heißet_\\_heißt⌡ Schwäche im √physischen_\\_Physischen⌡ und mechanischen Sinn, und ist es auch würcklich, aber als Triebfeder des Mannes ist diese Schwäche eine große Triebfeder, wodurch die Stärcke des √Mannes_\\_Menschen⌡ gezwungen und moderirt wird. Also in Ansehung des √männlichen_\\_Mannlichen⌡ Geschlechtes ist diese weibliche Schwäche ein Mittel, wodurch es den Mann regieren und Macht über ihn haben kann. Das Frauenzimmer ist auch niemals misvergnügt oder auf- 
⌠Seite 690⌡
gebracht über den Schmertz den man über ihre Schwäche führt, ia sie nehmen es nicht allein nicht übel, sondern suchen auch wohl in dieser √Schwache_\\_Schwäche⌡ Z. E. in der Furchtsamkeit, Zärtlichkeit, Feinheit, wodurch sie zu gröberen Arbeiten

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/unfähig sind, zu affectiren, weil sie wohl wißen, daß sie durch diese Schwäche den Mann gewinnen und zwingen können├.┤ Der handelt sehr √töhricht_\\_thörigt⌡, der vom Frauenzimmer männliche √Stärcke_\\_Starcke⌡ fordert, und es deswegen geringe hält, weil es dieselbe nicht hat, denn das ist eben so √ungereimt_\\_ungereimmt⌡, als wenn ein Mann⌠,⌡ √«¿»Weiblichkeit_\\_Weiblichkeit⌡ haben sollte. Jn Ansehung der Natur und derselben Bedürfniße würde dieses Geschlecht √bedaurenswerth_\\_bedaurungs werth⌡ seyn⌠,⌡ wegen seiner Schwäche, allein, weil es Stärcke über den Mann hat, ⌠so bedient
⌠Seite 691⌡
es sich der Natur durch den Mann,⌡ den sie durch ihre ⌠Schwäche regiert. Der Zweck der⌡ Natur in Ansehung √beyder_\\_beider⌡ Geschlechter ist die vollkommene Einheit, die im menschlichen Geschlecht zuwege gebracht werden soll. Die Natur hat 2 Absichten, die Fortpflantzung und Erhaltung der Art, und √zu_\\_«um»zu⌡ diesem √Zwec_\\_Zweg⌡k

/Seite_750

/hat die Natur den thierischen Unterscheid beyder Geschlechter bestimmt, und dieses ist die Absicht in Ansehung der Thierheit. Die zweyte Absicht der Natur in Ansehung beyder Geschlechter ist, daß ein gesellschaftlicher Zustand seyn sollte. Dieser gesellige Umgang ist die Absicht in Ansehung der Menschheit, und dadurch unterscheiden wir uns von den Thieren. Um die erste Absicht der Natur zu erreichen, hat die Natur Triebe in uns ge- 
⌠Seite 692⌡
legt├,┤ die an sich klar sind, und über die wir nicht weiter √phylosophiren_\\_philosophiren⌡ dürffen√,_\\_;⌡ wenn wir nur diesem Trieb folgen, so erfüllen wir den Zweck der Natur, ohne denselben Zweck √für Augen_\\_«der»für «Natur»Augen⌡ zu haben. Damit aber die zweyte Absicht der Natur, daß eine gesellschaftliche Verfaßung und

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/Umgang seyn soll, könnte zu Stande gebracht werden, so muß ├in uns┤ die Natur √Qvellen_\\_Qvelle⌡ in uns gelegt haben, wodurch dieser gesell- schaftliche Umgang zu Stande gebracht werden könnte. Dieser gesellschaftliche Umgang wird zwar schon zum Theil durch die bürgerliche Ordnung zuwege gebracht, das ist aber durch Zwang. Die größte Vereinigung der Gesellschaft und der vollkommenste Zustande der Gesellschaft muß ohne √Zwanck_\\_Zwang⌡ geschehen. Dieses geht aber
⌠Seite 693⌡
nicht anders an als durch Neigung⌠,⌡ also durchs Frauenzimmer. Zu diesem gesellschaftlichen Zustande, der eine Ursache von unendlichen Folgen ist, ist das Frauenzimmer recht ausgerüstet⌠,⌡ durch Erziehung der Kinder, durch Gesprächigkeit, die ihnen √nicht_\\_recht⌡ eigen ist, und worinnen oft eine

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/Schwester die immer zu Hause war, den Bruder der weit älter ist, und auf Academien war, übertrift, durch √Hoflichkeit_\\_Höflichkeit⌡, Bescheidenheit, Manierlichkeit, Anstand, √Gefließenheit_\\_Geschlissenheit⌡, Verbeßerung des Geschmacks im Umgange, alles dieses haben wir dem Frauenzimmer zu dancken, wodurch der gesellschaftliche Umgang befördert wird. Die bürger- liche Ordnung bringt zwar durch den Zwang eine bürgerliche Gesellschaft hervor, allein es soll eine vollkommen
⌠Seite 694⌡
innigliche Einheit errichtet werden, und zu dieser inniglichen Vereinigung⌠,⌡ die ohne Zwang geschicht, trägt das Frauenzimmer alles bey, denn die Natur wollte einen Umgang ohne Zwang zu wege bringen. Um diese Zwecke der √gesellschaftlichen_\\_Gesellschaftlichen⌡ Vereinigung zu erreichen,

/Seite_753

/muste zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht eine Einheit errichtet werden, die von solchen Folgen fruchtbar seyn könnte, um solche Vereinigung zuwege zu bringen. Durch welche Mittel ist aber die √großte_\\_größte⌡ Einheit und gesellschaftliche Vereinigung möglich? Nicht durch die Einerleyheit, sondern durch die Verschiedenheit. Die wahre Vereinigung beruht auf dem
⌠Seite 695⌡
Mangel des einen Theils, und den Besitz deßelben beym andern Theil. Wenn das nun verbunden wird, so entspringt daraus ein gantzes der vollständigen freundschaftlichen Vereinigung. Eben so beruht die Vereinigung des Staats auf der wechselseitigen √Bedürfniß_\\_Bedürfnis⌡ der Glieder

/Seite_754

/unter einander, und nicht auf der Einhelligkeit. Wenn also das männliche Geschlecht das weibliche bedarf⌠,⌡ und das weibliche das männliche, so wird die Einheit und √Gesellschaft- liche_\\_gesellschaftliche⌡ Vereinigung nothwendig nicht allein in Ansehung der Bedürfnis, sondern auch in Ansehung der Annehm- lichkeit des Umganges. Damit also eine Verschiedenheit zwischen √beiden_\\_beyden⌡ Geschlechtern sey, und aus der Ver- 
⌠Seite 696⌡
schiedenheit eine Einheit entspringen √mögte_\\_möchte⌡, so muß der Mann da √Stärcke_\\_Starcke⌡ haben, wo das Weib Schwäche hat, und da Schwäche wo das Weib Stärcke hat. Der Mann ist aber starck in Ansehung der Natur, das Weib ist darinnen schwach, dagegen hat das Weib in

/Seite_755

/Ansehung des Mannes Stärcke, und der Mann in Ansehung des √Weiches_\\_Weibes⌡ Schwäche⌠,⌡ und daher entspringt die Einheit, denn der Mangel des einen├,┤ und der Besitz des andern Geschlechts ist die nothwendige Bedingung, unter welcher eine solche vollkommene Einheit und gesellschaftliche Vereinigung statt finden kann. Das männliche Geschlecht wird vollkommen durch den Ersatz des weiblichen, und das weibliche durch das männ
⌠Seite 697⌡
liche Geschlecht. Demnach wird der Mann in seiner Wirthschaft nicht so thätig, rüstig⌠,⌡ sondern nachsichtlich seyn, die Frau aber ist darinn sehr thätig und rüstig⌠,⌡ treibt alles zur Arbeit an, und wenn es nicht geht├,┤ so ist ihr das sehr √angemessen_\\_angemeßen⌡, daß sie

/Seite_756

/das Gesinde ausschilt, Händel und Krieg im Hause √macht,_\\_angiebt<macht>⌡ und dadurch erhält sie sich √thatig_\\_thätig⌡, und es bekommt ihr sehr wohl. Es wird sehr selten eine Frau aus Aergerniß über ihr √Hausgesinde_\\_Haus Gesinde⌡ kranck werden, wohl aber der Mann. Contrair diejenige Frauen, die solche thätige Wirthschaft nicht haben, wo sie sich zancken und ärgern können├,┤ werden kranck. Der Mann aber, der seine √Beschäftigung_\\_Beschäfftigung⌡ außer dem Hause hat, und darinn √weder_\\_wieder⌡ so thätig, rüstig
und
⌠Seite 698⌡
und dringend ist, mag in seinem eigenen Hause gerne Ruhe und Frieden haben, weil das der eintzige Ort ist, wo er ausruhen kann, also ist er darinn sehr nachsichtlich. Will nun

/Seite_757

/die Frau im Hauswesen was ausführen, welches sie aber ohne den Mann nicht thun kann, so kann sie ihn dadurch regieren. Weil nun der Mann darinn √nachsichtlich_\\_Nachsichtlich⌡ ist, so giebt er ihr nach, welches ein √bescheidener_\\_beschiedener⌡ Mann gegen seine Frau allemahl gerne thun wird, indem er dazu viel zu √großmüthig_\\_grosmüthig⌡ ist, ihr solches auszuschlagen. Derjenige Mann aber, der das nicht thut, sondern mit seiner Frau √zangt_\\_zanckt⌡, oder √sich_\\_sie⌡ schlägt, von dem könnte man sagen, daß er selbst schon ein Weib ist, denn
⌠Seite 699⌡
das schickt sich für den Charackter des Mannes gantz und gar nicht. Der Mann ist leichtgläubig, die Frau √ist aber_\\_aber ist⌡ sehr scharfsichtig auf das, was ihr zum

/Seite_758

/Nachtheil gereichen könnte. Der Mann verräth sich bald, die Frau aber hat solche Geschicklichkeit ihre Unschuld zu beweisen, daß man gar nicht den geringsten Argwohn haben kann, sie hat solche unschuldige √Mienen_\\_Miene⌡ und Augen, und kann sich so entrüsten, daß man √daruber_\\_darüber⌡ gantz √stutzig_\\_stuzzig⌡ wird, und man weiß nicht, daß solches gekünstelte Methode sey, die ihrem Talent angemeßen ist, dieses hat der Mann gar nicht. Jhre Schmeicheleien würcken eher auf den Mann, dadurch sie denn auch den Mann, wenn sie ihn böse gemacht,
⌠Seite 700⌡
bald wieder gut bekommt. Demnach kann der Mann der Frau √«ihr»eher_\\_eher⌡ vergeben, als die Frau ihm. Wenn ein

/Seite_759

/Frauenzimmer in einem Punckt etwas für Beleidigung aufnimmt, so ist es nicht so leicht zu versöhnen. Dieser Punckt ist, wenn man zu ihnen sagt, daß sie alt oder häslich sind. Diese Urtheile können sie nicht so bald vergeben, in Ansehung der Häßlichkeit *1 sind unterschieden. Was dem einen √häslich_\\_häßlich⌡ vorkommt, kann dem andern gefallen, aber das Altseyn hebt alle Bedingungen zu gefallen auf. Das weibliche Geschlecht erwirbt sich thätigkeit im häuslichen Zustande⌠,⌡ der Mann aber im bürgerlichen. Der Mann als Bürger muß in Ansehung seines Hauswesens ein Herr

/Seite_760

/seyn, er muß erwerben, aber in √Ansehung_\\_Ansehungs⌡ des Gebrauchs
am Rand ab Z. 10
~ *1 nicht so als in Ansehung des Altseyns├,┤ denn die Urtheile in Ansehung der Häslichkeit ~
⌠Seite 701⌡
√deßen_\\_dessen⌡, was der Mann erworben hat, muß er die Oberherrschaft haben. Jn Ansehung der Angelegenheiten des Staats nimmt der Mann √Antheil_\\_antheil⌡, und wenn er gleich √damit nichts_\\_nichts damit⌡ zu schaffen hat, so urtheilt er doch gerne. Der Frau ists aber einerley, wer da regiert, darum bekümmert sie sich gar nicht. Das Frauenzimmer ist mehr Despotismus und Freiheit einzuführen geneigt, wenn sie nur in der Gesellschaft die Oberherrschaft haben⌠,⌡ so mag im Staate regieren wer da will⌠.⌡ Pohlen und Curland ist das einzige Land⌠,⌡ wo das Frauenzimmer das mehreste √vom_\\_von⌡ Staatssachen spricht, denn

/Seite_761

/da interessirt sie die √Freiheit_\\_Freyheit⌡ gar sehr, denn wo der Adel die Oberhand hat, da haben die Damen einen großen Rang⌠,⌡ welches aber wegfällt, wenn der Hof regiert. Die √zweyte_\\_zweite⌡
⌠Seite 702⌡
Hauptbestimmungen des Frauenzimmers sind√;_\\_:⌡ die Oberherrschaft im Hauswesen⌠,⌡ und die Oberherrschaft in einer freywilligen Gesellschaft. An dieser Herrschaft findet der Mann √Vergnügen_\\_«v»Vergnügen⌡, er will beherrscht seyn, wenn es nur nach der Art geschicht, wie es dem Mann gefällt, er fordert das Frauenzimmer durch seine Schmeicheley zu solcher Herrschaft auf. So bald sich der √Man_\\_Mann⌡ darinn von der Frau nicht mehr beherrschen läßet, so hängt er auch nicht mehr zusammen. Der Mann liebt

/Seite_762

/an der Frauen einen Mangel des Muths und der Selbst Zuversicht, denn würde das die Frau haben, so würde er ihr mit seinem Muthe nicht dienen. Würde die Frau selbst Stärcke und Muth haben⌠,⌡ sich zu vertheidigen;
⌠Seite 703⌡
so brauchte sie keinen Mann zu haben, dahero der Mann solche Mängel an seiner Frau liebt, und sie erhebt. Je edler ein Mann denckt, desto mehr unterwirft er sich einer wohldenckenden Person, denn dazu wird er nicht mit ⌠<durch>⌡ Gewalt gezwungen, sondern es ist eine freywillige Unterwerfung⌠,⌡ wodurch er gewonnen ist, und √ie mehr_\\_jemehr⌡ er sich unterwirft⌠,⌡ und sich willfährig gegen seine Frau bezeigt, desto mehr √gewint_\\_gewinnt⌡ er, und

/Seite_763

/desto √großmuthiger_\\_großmüthiger⌡ erscheint er. Wenn wir die Bestimmung dieses Geschlechts bemercken√._\\_,⌡ so finden wir, wie ein iunges Mädchen in der Gesellschaft der größten Männer von den größten Einsichten ohne Verlegenheit seyn kann, wo ein Jüngling wenn er ihr an Einsichten weit über- 
⌠Seite 704⌡
legen ist, in großer Verlegenheit geräth, und solches gefällt auch dem männlichen Geschlecht, denn weil das Frauenzimmer die Vollkommenheit des Mannes in den Wißenschaften nicht hat, so wird √sie_\\_es⌡ das männliche Geschlecht deswegen nicht höher achten, denn sie halten die √Vollkommenheiten_\\_Vollkommenheit⌡ des Mannes für grobe Arbeiten, wozu der Mann Talente hat, also sind sie auch

/Seite_764

/deswegen in keiner Verlegenheit. Das Vergnügen des gesell- schaftlichen Umganges halten sie hoch, und darinn sind sie auch gantz Meister. Die Erziehung des Frauenzimmers möchte einen größeren Einfluß auf die Sitten haben, als man glaubt, denn wie wird das √Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ jetzt erzogen? Eigentlich gar nicht, wenn es Vollkommenheiten √Besitzt_\\_besitzt⌡, so hat es solche von der
⌠Seite 705⌡
Natur. √Music_\\_Musik⌡, √tantzen_\\_Tantzen⌡ und √andere_\\_andre⌡ Geschick- lichkeiten rechnen wir gar nicht zur Erziehung, sondern die Begriffe werden bey ihnen gar nicht entsponnen, und doch ist das √Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ in den iüngeren Jahren weit sittlicher als das männliche

/Seite_765

/Geschlecht. Durch √lesen_\\_Lesen⌡ der Bücher erwirbt es sich nicht diese Geschicklichkeit, denn weil dadurch mehr Kunst entspringt√,_\\_;⌡ so verdirbt auch wohl diese Kunst ihre natürliche Fähigkeiten. Eine iunge natürliche Person von natürlichen Fähigkeiten hat gantz was anderes in ihrem Verstande, so wir gar nicht haben. Wenn Z. E. eine Schwester einen Brief schreibt, so wird darinn mehr Naivitat, natürlicher Witz, Munterkeit⌠,⌡ Schertz und Lebhaftigkeit stecken, als wenn der Bruder der schon auf der Academie gewesen ist, einen schreibt, der wird seinen Brief mit allen nur √möglichen_\\_mochlichen⌡ √Formularien_\\_formulirien Ante
⌠Seite 706⌡
Antecedenzen und

/Seite_766

/Conseqvenzen_\\_Conseqventzen mit √vieler_\\_viele⌡ Mühe so zu sagen├,┤ √auswürgen_\\_aus würgen⌡. Also bedarf das √Frauenzimmer_\\_Frauen Zimmer⌡ keiner weiteren Erziehung, als der Negativen, wodurch sie von Grob und Ungezogenheit abgehalten wird, sie brauchet nur einen gesellschaftlichen Umgang, so wird sie sich schon selbst bilden. Allein sie sind auch einer näheren Instruction fähig, wodurch ihr Charackter gebildet wird. Der Grundsatz der Ehre ist zwar bey ihnen der wichtigste, auf diesen Grundsatz kann alles bey ihnen gebaut werden, allein sie sind auch des wahren innern Werths fähig, der Sittlichkeit⌠,⌡ Großmuth und anderer männlichen Bestrebungen, nur sie sehen

/Seite_767

/diese Bestrebungen aus einem gantz andern √Gesichtspunckte_\\_Gesichts Puncte an, nicht in so ferne sie solche besitzen, sondern ihr
⌠Seite 707⌡
Mann oder ihr Liebhaber. Allein man √solte_\\_sollte⌡ doch bey ihrer Erziehung auf wahre innere moralische Begriffe sehen, denn würden solche √Perschonen_\\_Personen⌡ von moralischen Begriffen den Werth des Mannes zu beurtheilen wißen, so würden sie manchem schmeichlerischen Laffen von keinen moralischen Werthe gar nicht folgen. Das männliche Geschlecht hat für das weibliche Achtung, von der Liebe versteht es sich ohnedem. Das weibliche Geschlecht aber hat nicht solche Achtung fürs männliche, sie halten sich im- mer für wichtig und erheblich genung vom Manne, wenn er auch noch so viele Verdienste hat, geachtet zu werden. Die Frauenzimmer

/Seite_768

/sind Richter des Geschmacks im Umgange. Der Umgang ohne sie ist grob, stürmisch und ungesellig. Jn einer Gesellschaft von lauter Männern verfält man
⌠Seite 708⌡
in Streit, Rechthaberey und √Zank_\\_Zanck⌡, √das_\\_daß⌡ ist aber nicht in der Gesellschaft der Frauenzimmer. Die Gefälligkeit der Männer läßt das Frauenzimmer den Ton angeben, allein wenn die Frauenzimmer immer den √Ton_\\_Thon⌡ angeben, so wird die Unterredung nicht interessant, allein solcher √ge- sellschaftliche_\\_Gesellschaftliche⌡ Umgang soll auch nicht in- teressant seyn, sondern zur Erhohlung dienen. Das Frauenzimmer hat daher gute Manier der ernsthaften Unterredung der Männer ein Ende zu machen⌠,⌡ und die wichtigsten Materien

/Seite_769

/in Spaas zu √verwandeln_\\_ver«richten»<wandlen>⌡, welches in der Gesellschaft sehr schön ist. Auch nur ein Frauenzimmer ist für √wohldenckende_\\_wohldenkende⌡ Männer hinlänglich sie in ihren ernsthaften Gesprächen in Schrancken zu halten. √Was_\\_Wo⌡ das Frauen- 
⌠Seite 709⌡
zimmer von der Gesellschaft ausgeschloßen ist├,┤ als im Orient, da ist die Gesellschaft der Männer grob. Die Verfeinerung der Ge- sellschaft haben wir also dem Frauenzimmer zu verdancken. Es wird demnach die Erziehung des Frauenzimmers nicht dem Mann anzuvertrauen seyn, denn die Männer würden sie nach ihrem Cha- rackter bilden. Wir müßen also die Erziehung in den Händen √lassen_\\_laßen⌡ in denen sie ist. Die Wißenschaften dienen ihnen nur in so ferne als sie eine Unterhaltung und ein Spiel für sie sind, sie √müssen_\\_müßen⌡ nur durch Umgang gezogen

/Seite_770

/werden. Sie sind auch viel zu delicat, als √das_\\_daß⌡ sie sich mit Kopfarbeit abgeben sollten, daher ist auch die Pedanterie_\\_Pedanterie⌡ am Frauenzimmer unausstehlicher als am √Mann_\\_Manne⌡.
⌠Seite 710⌡
Sie sind mehr zum Spiel als zur wichtigen √Beschäftigung_\\_Beschaftigung⌡ aufgelegt, und das ist auch der Natur gemäß. Etwas Soliditat_\\_Soliditaet aber müste ihnen das männliche Geschlecht beybringen, die im Hauswesen sehr dienlich ist. √Man_\\_Mann⌡ muß etwas mehr auf Grundsätze⌠,⌡ Sentimens und häusliche Pflicht in ihrer Erziehung sehen, denn von Pflichten wollen sie ohnedem √nichts_\\_nicht⌡ wißen√,_\\_;⌡ sondern es soll alles bey ihnen von bloßer √Gefälligkeit_\\_Gefalligkeit⌡ und Güte √abhän- gen_\\_abhangen⌡. Jn Ansehung der Pflicht ist also noch vieles in ihrer Erziehung zu verbeßern. Man müste auch suchen ihnen in ihrer

/Seite_771

/Erziehung mehr Wichtigkeit├,┤ Ansehen und Würde in ihren Geschäften einzuflößen. Jn Ansehung der 3 Articel⌠,⌡ der Küche⌠,⌡ Kinder und Kranckenstube ist das Frauenzimmer von großer Wichtig- 
⌠Seite 711⌡
keit, und ein Object der Hochachtung.

/Dieses waren die Qvellen, wodurch die Natur ihre zweyte Absicht├,┤ durch das weibliche Geschlecht erhielt, √nehmlich_\\_nemlich⌡ √die Gesellschaftliche_\\_gesellschaftliche⌡ Verfaßung, und der gesellige Umgang unter den Menschen. Damit aber die Natur ihre erste Absicht die Erhaltung der Gattung erreichen möchte, so hat sie darinn große Zärtlichkeit bewiesen. Weil diese Absicht dem weiblichen Schooß anvertraut ist, so hat die Natur das weibliche Geschlecht furchtsam gemacht. Diese Furchtsamkeit in Ansehung der √körperlichen_\\_korperlichen⌡ Verletzung ist beym weiblichen

/Seite_772

/Geschlecht allgemein, und obgleich die Weiber unter den √wilden_\\_Wilden⌡ nicht so zärtlich sind, als die im gesitteten Zustande, so sind sie doch in Ansehung der cörperlichen Verletzung furchtsam, dahero sie sich nicht gerne auf
⌠Seite 712⌡
das Waßer wagen, und an einem Ort wo Gefahr zu besorgen ist, √ja_\\_ia⌡ wenn sich ein √paar_\\_Paar⌡ Weiber schlagen, so hütet sich eine jede, daß ihr die andere nicht ins Gesicht kömmt, sie halten die Hände vor, und hüten sich sehr vor √körperliche_\\_körperlicher⌡ √Verletzung<en>._\\_Verletzung⌡ *1 zu besorgen ist⌠,⌡ sind sie nicht so furchtsam, √ja_\\_ia⌡ da übertreffen sie noch das männliche Geschlecht. Wenn es daher auf die Behauptung des Rechts ankommt, oder was zu erlangen, so sind sie √darinn_\\_darinnen⌡ weit dreister, beredter und weniger

/Seite_773

/furchtsam, als der Mann, dahero wird man finden, daß der Handwercker immer lieber seine Frau aufs Rathhaus und beym √Stadtrath_\\_StadtRath⌡ schickt, als daß er selbst geht, indem sie beredter ist, und auch mehr Nachsicht von der Obrigkeit findet,
am Rand ab Z. 7
~*1 Jn andern Stücken├,┤ wo keine √cörperliche_\\_corperliche⌡ Verletzung~
als
⌠Seite 713⌡
findet, als der Mann. Diese Einrichtung der Natur ist unvergleichlich, denn √würden_\\_würde⌡ sich die Frau eben so in alle Gefahr wagen, als der Mann, so würde sie auch ihre Furcht in Gefahr setzen, und dadurch könnte die Art nicht so erhalten werden, als es √jetzt_\\_ietzt⌡ durch solche weise Einrichtung├,┤ die sich auch über die Thiere vollstreckt⌠,⌡ vollzogen wird. Die Beobachtung des Unterschiedes beyderley Geschlechter ist ein wichtiger √Punckt_\\_Punkt⌡, und ist wohl der Phylosophie_\\_Philosophie würdig, daß man die Menschen Gattung aus einem gewißen Gesichts Punckt betrachte,

/Seite_774

/und die Zwecke ieden Geschlechts aufsuche. Da wir schon die Hauptzwecke der Natur in Ansehung der Geschlechter angeführet haben, so ist es noch nöthig allgemeine √Bemerkungen_\\_Bemerckungen⌡ aus der Erfahrung zu nehmen.
⌠Seite 714⌡
Jn Ansehung des Streits zwischen √beiden_\\_beyden⌡ Geschlechtern der √Menschen Gattung_\\_Menschengattung⌡, die mehr zur angenehmen Unterhaltung als zur steifen Behauptung dient├,┤ kann man diese Frage aufwerfen: Welches Geschlecht ist in Ansehung der √Neigungen_\\_Neigung⌡ und Empfindungen der Liebe zärtlicher├,┤ der Mann oder die Frau. Die Frage geht hier nicht auf die √zärtlich- keit_\\_Zärtlichkeit⌡ der Beurtheilung⌠,⌡ sondern auf die Zärtlichkeit in der Empfindung der Geschlechter Neigung. Hier müßen wir sagen, daß der √man_\\_Mann⌡ zärtlicher ist wie die Frau. Der Mann hat einen

/Seite_775

/feinen Geschmack, die Frau aber einen gröberen. Denn hätte die Frau einen feinen Geschmack in Ansehung der Geschlechter Neigung, so √müßte_\\_müste⌡ der Mann von zarterer und √feinerer_\\_feineren⌡ Bildung
⌠Seite 715⌡
seyn, und hätte der Mann einen √gröberen_\\_groberen⌡ Geschmack und gröbere Empfindung, so müste die Frau von √groberer_\\_gröberer⌡ Bildung seyn. Nun ists aber umgekehrt, die Frau ist von zarterer und √feinerer_\\_feineren⌡ Bildung, weil der Mann von feinerer und delicaterer_\\_delicaterer Empfindung ist, solche feine Bildung zu empfinden. Der Mann ist aber von √gröberer_\\_groberer⌡ Bildung, weil die Frau einen gröberen Geschmack hat, und gar nicht solche Zärtlichkeit in der Bildung am Manne sucht, die sie aber √für_\\_führ⌡ ihn besitzt. Hieraus ⌠aber⌡ kann man erklären, wie es oft kommt, daß schöne├,┤ zarte, feine

/Seite_776

/Frauens grobe ruppige Männer haben, ⌠und mit ihnen sehr zufrieden sind,⌡ indem sie gar nicht auf die Feinheit und zarte Bildung der Männer sehen, da sie gar nicht so delicat in ihrer Wahl
⌠Seite 716⌡
sind, sondern mehr auf die Tüchtigkeit und männliche Stärcke des Mannes ausgehen. Dieses dienet zum Beweise der Beantwortung dieser Frage. Nun wollen wir den Zweck der Natur aufsuchen, und die Ursache davon anführen. Es war eine wesentliche Bedingung der Natur, daß das Weib gesucht werden muste. Der Mann muß das Weib suchen⌠,⌡ und nicht das Weib den Mann. Der √«m»Mann_\\_Mann⌡ muste also werbend, das Weib aber weigernd seyn. Der Mann kann wählen indem er sich eine Frau aussuchen kann. Das Weib aber kann nur dadurch wählen⌠,⌡ daß sie abschlägt bis auf den, den sie Lust

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/hat zu nehmen. Derjenige aber der gesucht wird, und warten muß
⌠Seite 717⌡
bis √jemand_\\_iemand⌡ kommt, der kann nicht so delicat in der Wahl seyn, und viel auslesen├,┤ sondern muß mit demjenigen vorlieb nehmen, was der Himmel giebt, der andere Theil aber, der die Wahl hat├,┤ kann delicat in seiner Empfindung seyn, denn indem er wählen kann, so kann er seinen delicaten Empfindungen gemäs wählen. Es hat die Natur hier gute √Einrichtung_\\_Einrichtungen⌡ getroffen, denn wenn die Frau zärtlicher in der Empfindung wäre als der Mann, so würde sie sehr √zu_\\_«s»zu⌡ kurtz kommen, indem sie an dem Mann nicht einen solchen Gegenstand der √zärtlichkeit_\\_Zartlichkeit⌡ finden möchte. Da sie aber jetzt nicht so zärtlich in der Empfindung sind, so ist das, was schon angeführt ist,

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/⌠nehmlich,⌡ nemlich, daß die feinsten und schönsten Frauens oft die häßlichsten Män- 
⌠Seite 718⌡
ner haben√;_\\_,⌡ sehr gut zu erklären. Der delicate Geschmack ⌠Geschmack⌡ in der Neigung ist eine Art von Bedürfnis, die sehr schwer zufrieden gestellt werden kann, wer einen solchen zarten Geschmack hat├,┤ mit dem ist es übler bestellt, als mit dem, welcher einen derben Geschmack hat, und auf das delicate nicht so sieht, so wie es mit dem beßer √bewand_\\_bewandt⌡ ist, der mit √jeder_\\_ieder⌡ Kost vorlieb nehmen kann, als mit dem, der in seinem Geschmack der Speisen so delicat ist, daß er ihn nur mit Ortolanen und Pasteten sätigen kann, und wenn er dieses nicht √bekommt_\\_bekömmt⌡, so ist er übel dran. Daher hat auch die Natur dafür gesorgt, und dem Frauenzimmer nicht solchen delicaten

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/Geschmack in der Empfindung gegeben, weil sie nicht diejenigen sind, die ihrem Geschmack nach wählen können, sondern
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gesucht werden. Einige glauben⌠,⌡ dieses ließe sich der Natur abdisputiren, so wie man etwas auf dem √Catheter_\\_Catheder⌡ abdisputirt_\\_abdisputirt⌡, und glauben es sey eine Sache der Mode, allein was allgemein und beständig ist, kann kein Gegenstand der Mode seyn, sondern muß in der Natur liegen. Wenn wir dieses weit √herausholen_\\_heraushohlen⌡ wollen, so finden wir, daß bey den √thieren_\\_Thieren⌡, wo viel √Männchen_\\_männchen⌡ sind und ein Weibchen, daß männliche Geschlecht schläfrig seyn muß, das Weibchen aber muß Reitze anwenden um einen oder den andern vom männlichen Geschlecht auf sich zu ziehen Z. E. bey den Bienen. Würden da die Männchen

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/eben so hitzig seyn, so müste das Weibchen⌠,⌡ unter so vielen unterliegen. Auf der einen Seite aber, wo ein Männchen viele Weibchen hat, da muß das weibliche Geschlecht schläfrig seyn, und das Männchen
⌠Seite 720⌡
muß Reitze anwenden, um eines oder das andere vom weiblichen Geschlecht auf sich zu ziehen, denn würden die Weibchen eben so starck in der Empfindung seyn, so müste das Männchen unterliegen. Wo aber ein Weibchen und ein Männchen ist, da sieht man, daß das √Weibchen_\\_weibchen⌡ der weigernde, √das_\\_da«ß»s⌡ Männchen aber der werbende Theil ist Z. E. bey den Katzen├,┤ bey den Hunden, da schlagen sie sich so gar um das Weibchen. Die Natur wollte, daß in der Begattung die größte Lebhaftigkeit seyn sollte, damit hieraus die √großte_\\_größte⌡

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/Fruchtbarkeit entspringen möchte. Die √größte_\\_großte⌡ Lebhaftig- keit wird aber durch die Neigung erreicht, woraus hernach die √fruchtbahrsten_\\_fruchtbarsten⌡ Folgen entspringen, wenn der weigernde Theil nachgiebt. Der Haupt Grund der Natur ist aber dieser, weil das empfangen leichter
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ist als das geben, so muß demjenigen Theil⌠,⌡ der da giebt, die Wahl überlaßen werden, wem er geben will, dem empfangenden aber steht es nicht frey zu wählen, was er empfangen will, sondern├,┤ sich nur zu weigern⌠,⌡ dasjenige zu √empfanden_\\_empfangen⌡, was man ihm geben will. Da nun das männliche Geschlecht der ertheilende⌠, das weibliche aber der empfangende⌡ Theil ist, so muß √da«s»r_\\_der⌡ gebende Theil oder das männliche Geschlecht die Wahl zu werben haben, das weibliche Geschlecht aber der weigernde Theil seyn. Demnach

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/werden wir finden, daß das Frauenzimmer der weigernde Theil ist├,┤ und daß sich √jedes_\\_iedes⌡ Frauenzimmer bewirbt in der Gesellschaft sittsam und anständig zu seyn, und gantz kalt gegen das andere Geschlecht zu √scheinen_\\_erscheinen⌡. Dieses ist sehr nothwendig, und je
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höher es solches zu treiben weiß, desto mehr zieht es das andere Geschlecht auf sich. Jhre Liebe gegen das männliche Geschlecht, ob sie gleich auch solche starcke Liebe der Neigung ist, können sie durch √Zauberhafte_\\_zauberhafte⌡ Kunst mehr als eine Gunst gegen den Mann zu äußern, als das √«sie» <es>_\\_es⌡ eben solche Neigung seyn sollte. Obgleich dieses offenbar ist, daß das weibliche Geschlecht eben solche Geschlechts Neigung und Trieb hat als das männliche, so besitzt es doch solche Kunst diese

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/Neigung zu verbergen, daß man an dem vorigen zweifeln sollte. Diese Kunst der Verbergung und Weigerung ist aber sehr nöthig, denn würde das weibliche Geschlecht ihre Neigung √aus_\\_und⌡ Trieben gegen das männliche äußern, so würde es vieles in den Augen des männlichen Geschlechts
⌠Seite 723⌡
verlieren, und alsdenn √d«¿»ürfte_\\_dorfte⌡ sich der Mann um sie nicht bewerben, sondern sie müsten, weil sie eben solchen Trieb hätten, dem Manne unterliegen, alsdenn wären sie durch ihre Neigung gezwungen, sich dem Manne zu ergeben. Der welcher bedarf, muß dem andern unterliegen, wer aber nicht sucht├,┤ und nicht bedarf, der kann herrschen. Weil nun das Frauenzimmer seine Neigungen so künstlich zu zähmen weiß, daß es scheint, als wenn

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/sie nichts bedürfen; der Mann aber seine Neigung und seine √Bedürfniß_\\_Bedürfniße⌡ äußert, so muß der Mann werben, und das Weib kann durch ihre Kaltsinnigkeit├,┤ welches ein Affect ist, √den_\\_denn⌡ ├Mann┤ beherrschen. Diese Weigerung und Kaltsinnigkeit fordert so gar der Mann von der Frau. Der Mann hat große Neigung
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dem Frauenzimmer zu schmeicheln, und je mehr ein Frauenzimmer darinn einen Stoltz und Selbstgenügsamkeit √sezt_\\_setzt⌡, desto lieber siehts der Mann. Dadurch versetzt der Mann dieses Geschlecht in ein solches Ansehen, √das_\\_daß⌡ dem weiblichen Geschlecht dadurch alles ersetzt wird, was ihm in Ansehung der Natur entgeht. Denn weil der Mann⌠,⌡ √derjenige_\\_derienige⌡ Theil ist, der über die Natur herrscht, der das Gewerbe treibt, durch

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/den alle Künste und Wißenschaften getrieben werden, so würde hier das weibliche sehr viel verlieren, wenn das männliche demselben solches nicht auf der andern Seite ersetzt √hätte_\\_hatte⌡. Würde der Mann dem Weibe nicht solches Ansehen geben, so wäre unter √beyden_\\_beiden⌡ Geschlechtern keine Gleichheit, die Natur wollte aber, daß eine
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Gleichheit seyn sollte.
Wir bemercken ferner, daß das Weib empfindlich, der Mann aber empfindsam ist. Die Zärtlichkeit des Mannes ist empfindsam des Weibes aber empfindlich. Das weibliche Geschlecht fordert vom Manne Zärtlichkeit, und ist sehr unversöhnlich gegen √gede_\\_iede⌡ Geringschätzigkeit, die sie sehr genau wahrnehmen. Das Frauenzimmer wirft oft dem männlichen Geschlecht vor, daß es nicht zärtlich ist, allein das

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/wird von ihnen nicht so gemeint, als wenn der Mann nicht genung Zärtlichkeit hat, sondern nicht genung Zärtlichkeit ⌠gegen sie⌡ bezeugt. Von der Natur ist √also_\\_<also>⌡ der Mann in der Liebe √zärtlicher_\\_zartlicher⌡ als das Weib, das Weib liebt aber nicht so zärtlich. Der Beweis ist dieser: Derjenige Theil, der geneigt ist alle Beschwerlichkei- 
⌠Seite 726⌡
ten und Ungemächlichkeiten des andern Theils über sich zu nehmen ist doch zärtlicher als der Theil⌠,⌡ der das fordern kann, daß der √andere_\\_andre⌡ Theil solches thun soll. Nun findet man, daß das männliche Geschlecht geneigt ist├,┤ sich dem weiblichen gefällig zu beweisen, und ihnen alle Beschwerlichkeiten ├und Ungemachlichkeiten┤ abzunehmen, und auf sich zu nehmen, und √ie_\\_je⌡ mehr solches das weibliche Geschlecht bedarf⌠,⌡ und das männliche es leisten kann, desto lieber siehts der

/Seite_787

/Mann. Es wird sich demnach der Mann manchem unterziehen, wodurch er der Frau gefällig werden kann, er wird sich manches entziehen, um es nur der Frau zu geben. Das männliche Hertz ist demnach empfindsam, und zu einer zärtlicheren Liebe aufgelegt⌠,⌡ als das weibliche. Das weibliche ist aber zärt- 
⌠Seite 727⌡
lich in der Empfindlichkeit, die empfindsame Zärtlichkeit des Mannes anzunehmen, daher wird man finden, daß eine Frau sehr empfindlich ist in Ansehung der Zärtlichkeit des Mannes, sie wird bald was übel nehmen, √iede_\\_jede⌡ rauhe Antwort des Mannes macht sie böse, so daß sie mit ihm nicht sprechen will, denn muß der Mann ihr schmeicheln, und alles anwenden, um wieder gut Wetter zu bekommen. Dadurch wird aber├,┤ der Mann in seiner Empfindsamkeit cultivirt.

/Seite_788

/Jn den ordentlichen Ehen wo das Loos gut ausgefallen ist, ist der Mann gleichgültig gegen die √Neigung der_\\_Neigungen an⌡ andern Frauen, und ist damit zufrieden, wenn er nur die Neigung und die Gunst seiner Frauen hat, er bekümmert sich nicht um die Gunst und das Gefallen anderer Frauen,
⌠Seite 728⌡
aber die Frau ist √niemahlen_\\_niemalen⌡ gleichgültig gegen das Gefallen anderer √Männer_\\_Männern⌡ ob sie √gleich schon_\\_schon gleich⌡ einen Mann hat, sie ⌠sie⌡ renunciirt niemals gantz indifferent auf alle Neigung der Männer zu seyn, sie übt noch immer gegen das männliche Geschlecht Reitze aus. √Man_\\_Mann⌡ muß aber nicht glauben, daß diese Beeiferung in den Ehen eine Coqvetterie sey, sondern sie ist sehr unschuldig├,┤ und hat ihren Grund in der Natur. Das Frauenzimmer

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/hat von Natur mehr allgemeine Anhänglichkeit├,┤ weil es der Gegenstand ist, der vom andern gesucht werden soll, also müßen sie allgemein zu gefallen suchen, bis sie einen treffen, dem sie anstehen. Dieses √bestreben_\\_Bestreben⌡ allgemein zu gefallen, bleibt auch √<hernach>_\\_hernach⌡ in der Ehe. Ein anderer Grund ist dieser: weil die Frau immer besorgt
⌠Seite 729⌡
ist, daß wenn der Mann stirbt, sie wieder versorgt werde. Sie ist in Ansehung ihrer Versorgung immer in Verlegenheit. Stirbt dem Manne die Frau, so kann sich der Mann noch immer selbst unterhalten, stirbt aber der Frauen der Mann√;_\\_,⌡ so muß sie suchen wieder versorgt zu werden, daher muß die Frau nicht gäntz- lich auf alles Gefallen bey den Männern Verzicht thun, indem sie wieder suchen muß

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/zu gefallen, wenn ihr Mann gestorben ist. Die Natur hat es darauf angelegt, daß die Frau in der Ehe noch nicht gantz gleichgültig ist, wie sie den andern Männern gefallen √kann_\\_soll<kann>⌡, son- dern ihre Augen noch in der Ehe herumwirft um zu gefallen.
Die Frauenzimmer putzen sich für andere Frauenzimmer und nicht für
⌠Seite 730⌡
den Mann. Für den Mann sind sie auch in ihrem Negligée gut geputzt, sie wißen, daß sie in Ansehung der Mannes Reitze genung haben durch die Annehmlichkeit ihrer Person⌠,⌡ auch ohne Putz ihrer Kleider, aber für andere Frauens putzen sie sich. Sie fragen nicht darnach, was die Männer sagen werden, denn diesen gefallen sie ohnedem durch die

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/Reitze ihrer Person, aber beym andern Frauenzimmer hält es schwer, indem die Reitze auf das andere Frauenzimmer nicht √würcken_\\_wircken⌡, sondern nur auf den Mann, demnach müßen sie √bey_\\_«s¿¿»bey⌡ denen durch Putz hervorzuragen suchen, denn eine √Dame_\\_Dame zergliedert die andere vom Kopf bis auf die Füße⌠,⌡ und kleidet √s«ich»ie_\\_sie⌡ in den Augen gantz aus, und betrachtet √jedes_\\_iedes⌡ √stück_\\_Stück⌡ des Putzes,
⌠Seite 731⌡
sie ist fein genung, die Fehler der andern zu beobachten, und das besondere nachzuahmen. Jst nun eine in der Gesellschaft, die die andere darinn übertrift, so sieht sie sich als die vornehmste unter ihnen an, und übersieht die andere mit hohen Augen. Jn diesem Punckt sind sie auf einander sehr feindseelig, und man sucht der andern darinn vorzukommen. Der

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/√man_\\_Mann⌡ aber putzt sich nicht für andere Männer, sondern fürs Frauenzimmer. Jn der Gesellschaft der Männer sucht ers sich lieber so kommod als möglich zu machen, aber in der Gesellschaft vom Frauenzimmer sucht er galant_\\_galant zu seyn. Wenn gefragt würde, von √wem_\\_wenn⌡ sich √das Frauenzimmer lieber_\\_lieber das Frauenzimmer⌡ beurtheilen ließe, von ihrem Geschlecht, oder vom männlichen, und vor wel- 
⌠Seite 732⌡
chem Richterstuhl würden sie lieber erscheinen, wo das männliche oder weibliche Geschlecht das Urtheil fält? so ist gewiß├,┤ daß ein jedes Frauenzimmer lieber vor dem Richterstuhl des männlichen Geschlechts erscheinen würde, denn das würde gegen sie nachsichtlich seyn, das weibliche √würde aber_\\_aber würde⌡ √jedes_\\_iedes⌡ Haar zu beurtheilen wißen. Daher geschicht es, daß das Frauenzimmer lieber Schutz

/Seite_793

/bey dem männlichen Geschlecht sucht, und mit demselben Freundschaft macht, als unter einander. Jhre Eifersucht gegen ein- ander in Beziehung eines gewißen Punckts ist sehr groß. Es darf sich nicht ein Frauenzimmer gegen das andere mercken laßen, daß sie im Stande wäre durch ihre Reitze ihren Mann ein
⌠Seite 733⌡
zunehmen, denn sonst ist die Freundschaft mit √ein«ander»<mahl>_\\_einmahl⌡ aus, und sie sind unversöhnlich auf einander verbittert. Diese Eifersucht hat auch ihren Grund in der Natur; wenn ein Frauenzimmer in einem Hause unter der Aufsicht ihrer Freundinnen ist, oder auch in ihrer Gesellschaft, so wird sie auf alle Art suchen, aus dem Hause √loßzukommen_\\_loszukommen,⌡ und dadurch wird sie genöthiget, sich der Vorsorge des Mannes zu übergeben.

/Seite_794

/ Die Partheilichkeit der Geschlechter geht immer auf das gegenseitige Geschlecht. Man wird dahero finden, daß der Vater die Tochter vorzieht, die Mutter aber den Sohn. Der Vater disciplinirt scharf den Sohn, die Mutter aber die Tochter. Warum hat aber die √Mutter_\\_«Toch»Mutter⌡ den Sohn lieber,
⌠Seite 734⌡
und trägt mehr Sorge in Ansehung seines Fortkommens, so daß sie sich oft dadurch arm macht, als für die Tochter? Je mehr der Sohn wacker und rüstig ist, desto mehr sieht die Mutter├,┤ in ihm ihre künftige Stütze, und der Vater sieht in seiner Tochter seine künftige Wirthin, wenn ihm die Frau abgehen sollte. Ein wohlgerathener Sohn wird demnach iederzeit gegen seine Mutter Achtung haben, und ihre Befehle noch immer├,┤ wenn er es auch nicht nöthig hat├,┤ respectiren. Daher ist

/Seite_795

/das Sprüchwort√,_\\_:⌡ daß es nicht gut sey, des Mannes Mutter⌠,⌡ wohl aber der Frauen Mutter im Hause zu haben. Denn wenn der Mann seine Mutter im Hause hat, so gehorcht er √noch_\\_nach⌡ seiner Mutter aus Achtung├,┤ die er für
⌠Seite 735⌡
sie hat, die Frau sieht das aber nicht gerne, sie hat √darinnen_\\_dar innen⌡ vieles zu befürchten, damit ihm nicht die Mutter etwas zu ihrem Nachtheil sagen möchte. Dieses aber hat der Mann von der Mutter seiner Frauen nicht zu befürchten, denn wenn die Tochter verheurathet ist, so gehorcht sie nicht mehr der Mutter, sie denckt: nun ist der Contract aus, nun bin ich eben so gut eine Frau. Also kann der Mann ohne Besorgnis die Mutter seiner Frauen ins Haus nehmen√,_\\_;⌡ die Frau hat aber immer was zu besorgen, die Mutter des Mannes ins Haus zu nehmen,

/Seite_796

/weil der Mann seiner Mutter noch immer gehorsam ist. Eben dieselbe Enthaltsamkeit, die das Frauenzimmer vor der Ehe beweiset, fordert der Mann auch in der Ehe.
⌠Seite 736⌡
Der Mann ist darinn sehr delicat, er fordert die strengste Sittsamkeit ⌠und Enthaltsamkeit⌡ von seiner Frauen vor der Ehe. Die Frau sieht aber nicht so sehr auf die Enthaltsamkeit des Mannes vor der Ehe. Dieses hat seinen Grund in der ├«That»┤ Natur. Der Mann will gesichert seyn, daß die Kinder, welche er in der Ehe haben wird, seine Kinder sind, für die er Sorge tragen soll√,_\\_.⌡ √die_\\_Die⌡ Frau ist aber immer gesichert, denn sie kann ja keine √andern_\\_andere⌡ Kinder haben, als die so sie zur Welt bringt, demnach sieht der Mann sehr auf die Enthaltsamkeit der Frau vor der Ehe, denn er denckt so: Wenn eine Perschon vor der Ehe also zu der

/Seite_797

/Zeit⌠,⌡ wenn sie in Gefahr ist keinen Mann zu bekommen, es wagt⌠,⌡ sich ⌠«wagt»⌡ √<mit>_\\_mit⌡ andern gemein zu
⌠Seite 737⌡
machen, so wird sie es um desto mehr thun, wenn sie schon einen Mann hat, und vor der Gefahr gesichert ist⌠,⌡ und wo alle Folgen ihrer Gemeinschaft können verborgen bleiben. Es ist immer ein großes Wagstück von Frauenzimmern ohne Condition der Ehe sich vorher zu gemeinschaften, denn wenn solches nicht verborgen bleibt, so ist sie in Gefahr nicht versorgt zu werden. Durch eine Ehe wird die Frau frey, aber der Mann verliert die √Freiheit_\\_Freyheit⌡. Ein unverheurathetes Frauenzimmer ist sehr gebunden, sie kann nicht ausgehen⌠,⌡ wo sie will, weder in die Comoedie gehen noch sonst wohin ohne ├einen┤ Begleiter ihres Hauses zu haben. Es schickt

/Seite_798

/sich vieles für sie nicht├,┤ weder zu reden noch zu thun, √ia_\\_ja⌡ sie eßen sich
⌠Seite 738⌡
nicht √einmahl_\\_einmal⌡ recht satt, weil es sich nicht schickt, daß eine Jungfer viel isset. Sie werden durch den Zwang der Eltern und √Vormündern_\\_Vormünder⌡ so gezwungen als durch den Zwang der Anständigkeit, aber in der Ehe haben sie viel √Freiheit_\\_Freyheit⌡, da sind sie gleich beredter und dreister, sie haben keinen mehr zu fürchten, denn sie haben ihren Mann, sie können gehen und fahren, √wo hin_\\_wohin⌡ sie wollen, wenn es ihnen nur der Mann erlaubt. Der Mann aber verliert durch die Ehe sehr viel Freiheit, er ist sehr eingeschränckt und gebunden, er kann nicht mehr so leicht was unternehmen, er muß sich nach der Frauen richten, er kann nicht mehr so oft

/Seite_799

/fremde Gesellschaften besuchen├,┤ sondern er muß zu Hause bleiben├,┤ er kann nicht mehr├,┤
⌠Seite 739⌡
so wie er will, seine Freunde aufnehmen, sondern er muß sich nach der Wirthschaft seiner Frau richten. Hat er nun keinen Ersatz durch seine Frau, wird er nicht durch was anderes belohnt, so ver- liert er erstaunend von seiner vorigen Freiheit. Demnach wäre er ein Thor, wenn er dadurch seine Freiheit verlieren sollte, daß er eine √Frauen_\\_Frau⌡ nimmt⌠,⌡ und wäre nicht einmahl in dem Punckt sicher, ob die Kinder welche er in der Ehe bekommt und für die er sorgen soll, seine wären. Wenn sie nun darinn nicht gesichert sind, daß das, was sie versorgen sollen├,┤ ihnen gehöre, und sie heurathen dennoch, so verlieren sie viel. Demnach fordert

/Seite_800

/der Mann von der Frau dieselbe √Enthaltsamkeit_\\_enthaltsamkeit⌡ in der Ehe, als vor der Ehe, und ist darinn sehr
⌠Seite 740⌡
√eifersüchtig_\\_Eifersichtig⌡. Die Frauens spotten oft über die Eifersucht der Männer aus Schertz, allein sie sehens gerne, daß er es ist. Die Eifersucht ist entweder die intolerante⌠,⌡ oder die mistrauische Eifersucht. Jeder Mann der eine tolerante Gleichgültigkeit in Ansehung seiner Frau zeigt├,┤ wird von andern verachtet, auch so gar von seinem eigenen Weibe. Vom Mann ist es immer unedel und ungroßmüthig gehandelt, wenn er eine Person hat, die sich ihm gantz ergeben, und er verläßt sie und schweift aus. Er ist verhaßt, wenn er ausschweift⌠,⌡ aber verachtet├,┤ wenn seine Frau ausschweift, und er gleichgültig ist, wenn

/Seite_801

/andere seine Gerechtsame schmälern. Er muß Spott aushalten, wenn die Frau ausschweift, der Mann muß also nicht in Ansehung des Betragens der Frau gleichgültig seyn, wäre er nicht √Ei- 
⌠Seite 741⌡
fersüchtig,_\\_eifersüchtig⌡ so dürfte er keine Frau nehmen, denn wäre es ihm gleich viel, wenn er seiner Neigung den Lauf ließe, und in was für einen Zustand kommen alsdenn die Frauenzimmer? Sie würden zu dem Range der Coqvetten abfallen⌠,⌡ wo sie nur darauf warten müsten, wenn dieser oder jener seine Neigung befriedigen wollte. Also kann das Frauenzimmer allen Spott über seine Schwäche gerne vertragen⌠,⌡ nur über die Ehre nicht. Denn Spott über die Ehre nehmen alle √übel_\\_Uebel,⌡ so gar alte Personen die niemals heurathen werden. Die Ursache ist klar, denn durch die Ehre erhalten sie ihren Werth.

/Seite_802

/Der Mann wäre ein Thor, wenn er eine Frau für √andere_\\_andern⌡ nehmen sollte, und dadurch seine Freiheit verlieren, wenn er nicht √einmahl_\\_einmal⌡ in Ansehung des Punckts seiner Kinder sicher wäre. Wenn die Männer darinn nicht
⌠Seite 742⌡
eifersüchtig seyn √solten_\\_möchten,⌡ so würden die Frauens dadurch ihren Werth verlieren, der Mann aber wird ausgelacht, wenn er solches leidet, und seine Gleichgültigkeit in Ansehung seiner Eifersucht scheint so gar in den Augen seiner eigenen Frau sehr niedrig, weil das ein Zeichen ist, daß sie vom Manne verachtet wird, daher die Frauens solches von ihren Männern √fördern_\\_fordern⌡, und ihr Spott darüber ist nur Schertz.
Junge Männer herrschen über alte √Frauens_\\_Frauen;⌡ und √iunge_\\_junge⌡ Frauen herrschen über alte Männer. Der Grund liegt

/Seite_803

/in der Eifersucht. Jst der Mann alt und die Frau iung, so herrscht die Frau, weil der Mann Ursache hat eifersüchtig zu seyn, daher er ihr √schmeichlen_\\_schmeicheln⌡ muß, wodurch sie ihn be- herrscht, ist aber die Frau alt, und der Mann jung, so hat die Frau Ursache eifersüchtig zu seyn, denn muß sie ihm √schmeich- 
⌠Seite 743⌡
len_\\_schmeicheln⌡ und hiedurch beherrscht er sie. Dahero mögen die Frauen gerne auf die Jahre des Mannes renunciiren, und lieber ei- nen älteren Mann nehmen, weil sie als denn den Mann beherrschen können. Junge Leute haben darauf sehr zu sehen, daß sie hernach in der Ehe kein Spiel vor den Frauens werden, sie müßen demnach ihre √jugend_\\_Jugend⌡ Jahre nicht aufopfern, sondern sehr enthaltsam seyn, denn unter der Bedingung können sie √nur sicher seyn,_\\_<nur sicher seyn⌡ daß √sie die_\\_<sie die>⌡ Herrschaft

/Seite_804

/behaupten werden. Jn einigen Ländern gereicht es dem √Frau- enzimmer_\\_Frauens Zimmer⌡ zum Nachtheil, wenn sie unverheurathet bleibet, denn die Frau stellt durch den Mann eine bürgerliche √Person_\\_Perschon⌡ vor, an sich hat sie keinen Rang in der bürgerlichen Verfaßung. Jm Orient ist der kinderlose Zustand verachtet, denn dort hat die Frau nicht solche gleiche
⌠Seite 744⌡
Gewalt im Hause mit dem Mann wie hier, und wenn sie noch dazu keine Kinder hat, denn wird sie als gantz unnütz im Hause angesehen.
Wenn gefragt wird: wer herrscht im Hause, der Mann oder die Frau? so findet man bey kultivirten Menschen in ordentlichen Ehen, wo Ordnung im Hause herrscht├,┤ √daß_\\_«aber der»daß⌡ die Frau herrscht, aber der Mann regiert. Dieses scheint einerley zu seyn,

/Seite_805

/allein es wird sich bald der Unterscheid zeigen. Es scheint, als wenn der Mann Recht hat, im √hause_\\_Hause⌡ zu herrschen, allein wir finden, daß er Neigung hat├,┤ beherrscht zu werden. Giebt sich die Frau Mühe den Mann zu beherrschen, so hat sie ihn noch lieb, und dieses ist dem Mann angenehm. Wüste ein Liebhaber, daß seine Frau ihn hernach nicht eben so beherrschen würde⌠,⌡ als vorher, so möchte er niemals heu
⌠Seite 745⌡
rathen. Zwar √werfen_\\_werffen⌡ die Frauens den Männern vor, daß sie sich wohl vor der Hochzeit beherrschen laßen├,┤ und viel schmei- cheln, aber nach der Hochzeit nicht einmahl ein gut Wort √gäben_\\_geben⌡, allein wir finden in der Natur, daß der Mann, obgleich er nach der Hochzeit nicht so √schmeichelt_\\_schmeichel«n»t⌡, als vorhero, welches er √ietzt_\\_jetzt⌡ auch nicht thun darf,

/Seite_806

/dennoch Neigung hat sich beherrschen zu laßen, die Frau hat aber Neigung zu herrschen, sie √tracktirt_\\_traktirt⌡ den Mann wie einen begünstigten Liebhaber, sie √erzeug_\\_erzeigt⌡ ihm ihre Liebe nicht aus Pflicht, sondern aus Gunst, dieses sucht der Mann zu er- halten├,┤ in dem Fall aber ist es offenbar, wenn ihre Liebe Gunst ist, so ist sie diejenige die da herrscht, fordert es ├aber┤ der Mann so ist es eine Grobheit von ihm. Die Herrschaft im Hause ist die Sache der Frau√._\\_,⌡ √Die_\\_die⌡ Regierung aber des Mannes. Die Herr- 
⌠Seite 746⌡
schaft kann geschehen nach Laune├,┤ die Regierung aber nach Gesetz. Die Frau muß darüber herrschen, wie was im Hause angewandt werden soll. Die Frau geht darauf, was der Zweck ist, der Mann muß es zu dirigiren wißen, daß

/Seite_807

/alles auf diesen √Zweg_\\_Zweck⌡ abzielt, er muß seine Einkünfte, sein Maas, seinen Aufwand wißen├,┤ und das Gesetz im Kopf haben, nach welchem er regieren soll, damit eines mit dem andern übereinstimme. Wenn daher die Frau etwas auf Putz, Ergötzlichkeit und Geselligkeit verwenden will, so muß er solches √der Frau nicht so gleich_\\_so gleich der Frau⌡ simpliciter abschlagen, sondern sie durch Vorstellungen dahin zu bereden suchen, indem sie das Befehlen nicht recht leiden kann. Er kann sagen: das geht zwar an, allein das wäre ├doch┤ beßer. Er muß also regieren, die Frau aber
⌠Seite 747⌡
muß herrschen. Eben so wie in einem Königreich, wo ein blöder Monarch ist, der König herrscht, der Minister aber regiert, wenn der König was haben will

/Seite_808

/so nicht angeht, so muß ihm der Minister vorstellen und sagen√;_\\_:⌡ es geht zwar an, allein ich meine√,_\\_:⌡ es wäre ⌠doch⌡ beßer dieses zu befehlen. Der Mann muß aber nicht Befehlshaber seyn und Gehorsam fordern, sondern es muß Gefälligkeit seyn, treibt aber der Mann die Galanterie zu hoch, so ist die Frau Befehlshaberin, und denn geht das Hauswesen zu Grunde, indem die Frau nicht das Gesetz im Kopf hat, auch nicht die √Bürgerlicher_\\_bürgerliche⌡ Ordnung einsieht, und die Qvellen der Einkünfte nicht weiß. √Alsdenn_\\_Als denn⌡ aber hat die Frau niemals Schuld daran, sondern der Mann⌠,⌡ √den_\\_denn⌡ der muß regieren, gehts nicht durch Gefälligkeit├,┤ so durch abschlägige Antwort.
⌠Seite 748⌡
Der Unwillen der Frauen wird sich denn wohl legen, aber nicht das Unglück des

/Seite_809

/Hauses. Ja selbst die Frau sieht es hernach ein, daß es die Pflicht des Mannes war zu regieren, denn wenn das Unglück schon geschehen ist, so sagt sie zum Manne: warum hast du mir den Willen gelaßen, davor √bist_\\_bis⌡ du Mann. Es kann eine Frau eher ein gantzes Reich regieren als ein Haus, denn im Lande regiert sie nicht, sondern sie herrscht nur, und die Minister regieren. Wenn aber keiner im Hause ist, der da regiert, so kann sie allein das Hauswesen nicht regieren. Das Weib beherrscht den Mann, der Mann aber regiert das Weib, denn die Neigung herrscht├,┤ und der Verstand regiert. Die Neigung giebt die Zwecke an die Hand, der Verstand aber restringiert sie auf den Zweck, der
⌠Seite 749⌡
mit dem Wohl übereinstimmt, er dirigirt und beurtheilt es nach keinen Regeln. Die Neigung des

/Seite_810

/Menschen ist aber Liebe, also muß das Weib von der Seite dieser Neigung anfangen den Mann zu beherrschen√,_\\_;⌡ so bald aber diese Neigung beym Manne √nachlaßt_\\_nachläßt,⌡ so verliehrt sie auch die Herrschaft. Was den specifischen Unterscheid der Tugenden und der Laster des weiblichen Geschlechts anbetrift, so müßen wir vorhero mercken, daß die Natur √zwey_\\_Zwey⌡ Zwecke und Absichten für Augen gehabt hat, auf der einen Seite Vereinigung, auf der andern aber Uneinigkeit, damit nicht alles durch eine Vereinigung in Un- thätigkeit versincke, daher sind bewegende Kräfte, damit solches nicht untergehe. Die Menschen haben also Neigung zur Gesellschaft aber auch zum Kriege, es
⌠Seite 750⌡
ist vis activa und reactiva, denn sonst möchten die Menschen durch eine beständige Einigkeit

/Seite_811

/√zusammenschmeltzen_\\_zusammen schmelten⌡, wodurch hernach eine völlige Unthätigkeit und Ruhe entspringen √würde«n»_\\_würde⌡. Also ist √in der Ehe auch_\\_auch in der Ehe⌡ eine Anlage zur Einigkeit und zum Kriege. Das weibliche Naturell giebt Anlaß zum Zwist und Krieg, welches zur neuen Vereinigung dient, und selbst der Friede├,┤ der nach solchem Kriege gestiftet wird, wenn nur ⌠dadurch⌡ keine Unterwürffigkeit, sondern völlige Gleichheit ge- blieben ist, dient dazu, daß er das Hauswesen belebt. Die männliche Tugend ist in Ansehung der Uebel duldend, die weibliche aber geduldig. Der Mann duldet das Uebel, wenn er es auch überwinden √konnte_\\_könnte⌡, √Gedu«¿¿»ld_\\_Gedult⌡ ist aber eine weibliche Tugend. Der Mann
⌠Seite 751⌡
ist in Ansehung der Uebel empfindsam, das Weib aber empfindlich. Der Mann empfindet sogleich die Ungemächlichkeit├,┤ und den Unwillen der Person,

/Seite_812

/die er √so gleich_\\_sogleich⌡ abzuwenden sucht. Das Weib aber em- pfindet in Ansehung ihrer selbst das Uebel mehr. Wenn der Mann bey jedem Uebel empfindlich wäre, so würde das weibisch seyn. Des Mannes Wirthschaft ist das Erwerben⌠,⌡ der Frauen ihre das Er- sparen. Der Mann ist Meister über die Natur├,┤ er muß also erwerben, weil die Frau aber nur vermittelst des Mannes die Natur genießen kann, so muß sie das, was der Mann erwirbt zu √ersparen_\\_spaaren⌡ suchen. Weil die Frau nichts erwirbt, so giebt sie auch nichts ab, ihre √Gütigkeit_\\_Güttigkeit⌡ erstreckt sich nur auf eine Fürsprache, und auf das Freygebige der √Abgänsel_\\_Abgängsel⌡, sie giebt nichts weg, als
⌠Seite 752⌡
was sie nicht mehr recht brauchen kann Z. E. alte Kleider, weil sie √nichts_\\_nicht⌡

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/erwerben kann, denn alles Vermögen ist durch den Mann erworben, und obgleich die Frau auch erben kann, so kommts doch vom Manne her├,┤ der es erworben hat. Der Mann kann aber großmüthig und √freymüthig_\\_freygebig⌡ seyn. Die Frau inclinirt also eher zum Geitz als der Mann, obgleich auch √öfters_\\_ofters⌡ der Mann. Der Mann├,┤ der schon in der Jugend geitzig ist, an dem ist kein gutes Haar. Es ist solches wiedersprechend, indem er in dem Zustande ist, wo er alles erwerben kann, beym Frauenzimmer ist es aber nicht wiedersprechend, die √<sind>_\\_sind⌡ schon von Jugend auf √zum Spaaren_\\_zu spaaren⌡ √aufgelegt_\\_auf erlegt⌡. Jn Ansehung des Geschmacks hat der Mann Neigung nach Geschmack befriedigt
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zu werden, die Frau will aber selbst gerne ein Gegenstand des Geschmacks

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/seyn. √Daher_\\_Dahero⌡ putzt sich die Frau und dadurch verfeinert sie den Geschmack am Mann. Die Frau sieht im Hause in ihren Zimmern darauf├,┤ wodurch sie bey andern gefallen kann, auch schöne Mobilien. Wenn sie allein speiset, so speiset sie schlecht, weil alsdenn keiner ist, dem sie dadurch ein Gegenstand des Geschmacks werden kann, sie ersparet es lieber├,┤ und wendet es auf Kleider an. Der Mann ist aber darinn nicht gleichgültig⌠,⌡ und wenn er schon √<ge>he«¿¿»urathet_\\_geheurathet⌡ hat, so putzt er sich nicht mehr für andere aus, sondern hat den Geschmack für sich, er wendet lieber alles auf den Putz, und die Pracht der Frauen an. Die Ehre der Frau geht darauf was die Leute sagen├,┤ die Ehre des Mannes aber darauf was die Leute

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/dencken, das Frauenzimmer √kehrt_\\_kert⌡ sich nicht daran├,┤ was die Leute den- 
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cken, wenn sie es nur nicht sagen. Die Ehre des Mannes ist die wahre Ehre, weil es eine Hochachtung vor dem innern Urtheil anderer ist, die Ehre des √Frauenzimmers_\\_Frauens Zimmers⌡ ist aber nur ein Ehrenschein, weil es sich nur an das √Leute_\\_<Leute>⌡ Urtheil kehrt. Die √Weibliche_\\_weibliche⌡ Ehrbegierde ist mehr Eitelkeit, die des Mannes aber mehr Ehrbegierde, die Ambition heißen kann. Ehre in Ansehung deßen, was nicht zu unserer Person gehört├,┤ ist Eitelkeit, in Ansehung deßen aber⌠,⌡ was zu unserer Person gehört ist Ambition. Demnach wird die Frau mehr auf Kutsch und Pferden├,┤ Kleidung und Mobilien, Kostbarkeiten und √Titel_\\_Titel sehen√;_\\_,⌡ wenn die Männer auch darauf verfallen, so sind sie auch eitel, und

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/das ist Weiblichkeit. Der Mann sucht die Ehre darinn, was zum ⌠Werth⌡ unserer Person gehört, obgleich er auch nur oft den Schein zu erreichen sucht Z. E. Hertz- 
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haftigkeit, Großmuth├,┤ Stärcke, Tapferkeit, das ist alles eine Ehrliebe der Männer. Der Grundsatz des Frauenzimmers ist√,_\\_:⌡ was alle Welt sagt, ist wahr, und was alle Welt thut├,┤ ist wahr, daher berufen sie sich in √jedem_\\_iedem⌡ Fall darauf⌠,⌡ und sagen√:_\\_,⌡ die gantze Welt thut √ja_\\_ia⌡ anders, und sagt anders. Ein solches Frauenzimmer, das mit Aenderung der Religion anfängt und frey denckt, zeigt schon große Uebertretung des Charackters ihres Geschlechts an, verräth aber keine √Schwache_\\_Schwäche⌡ der Seele. Ehe sie sich mit solchen Grundsätzen abgeben, so folgen sie lieber dem gemeinen Urtheil. Sich über das Urtheil anderer wegzu √setzen_\\_sezzen⌡ schickt sich

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/nicht für das Frauenzimmer. Wenn ein Frauenzimmer auch nur in einer platonischen Gesellschaft mit einer Manns Person stünde und die Menschen √Uebel_\\_übel⌡ urtheilen möchten, so möchte es sich nicht schicken├,┤ wenn sie dawieder gleichgültig wäre, der Schein
⌠Seite 756⌡
ist bey dem Frauenzimmer was wesentliches, der Mann kehrt sich nicht an den Schein⌠,⌡ also sucht das Frauenzimmer ihre Ehre in dem Schein√;_\\_,⌡ weil sie auch diejenigen sind, so gewählt werden, so müßen sie allen Schein vermeiden, weil sie dadurch ihr Glück wegwerfen möchten, indem sie nicht gewählet wurden. Die Art⌠,⌡ wie das Frauenzimmer die Gegenstände beurtheilet, ist von der Art unterschieden├,┤ mit welcher der Manns Person die Gegenstände beurtheilet Z. E. Milton

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/verfocht die republicanische Freiheit. Als ihm nun eine königliche Bedienung von vielen Einkünften unter König Carl √II_\\_2⌡. angeboten wurde, so wollte er √nicht dem Hause_\\_dem Hause nicht⌡ dienen, wieder welches er zuvor geschrieben hatte. Da nun seine Frau in ihm drang, daß er es thun sollte, so sagte er: meine √Liebe_\\_liebe⌡, sie haben recht, denn sie und alle ihres Ge- schlechts wollen in Kutschen fahren, ich
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aber will ein ehrlicher Mann bleiben. Er sah ein, daß dies beßer war, es auszuschlagen, als sich Lügen zu strafen, die Frau aber konnte es nicht begreifen, wie der Mann wegen seiner Grillen eine solche Tollheit begehen können⌠,⌡ eine Stelle von solchen Einkünften auszuschlagen. Man kann solches auch √nicht dem Frauenzimmer_\\_dem Frauenzimmer nicht⌡

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/vorwerfen, weil es ihrer Natur angemeßen ist, sie sind solcher Grundsätze nicht fähig, sondern gehen auf die Erhaltung des Hauswesens, und das übrige √alles schlagen sie_\\_schlagen sie alles⌡ in den Wind, das wären nur Grillen, daher sie auch nicht sehr scrupuloes sind in Ansehung des Geldes⌠,⌡ das der Mann erworben⌠,⌡ und nach Hause gebracht hat⌠,⌡ er mags bekommen haben├,┤ wie er will, wenn es nur sicher hat. Die weiblichen Laster sind Laster eines schwachen Geschöpfs, welches das durch List ausführet├,┤ was ein anderes
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durch Gewalt thut, sie werden also Hinterlist brauchen⌠,⌡ um zu gewinnen, Verstellung, Zancksucht und Misgunst. Misgünstig sind sie besonders gegen ihr eigenes Geschlecht, daher sind sie auch eifersüchtig gegen solche

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/Personen ihres Geschlechts die wohl Liebhaber haben √konn- ten_\\_könnten⌡, wenn sie auch selbst nicht lieben, da der Mann nur denn √Eifersüchtig_\\_eifersüchtig⌡ gegen sein Geschlecht ist├,┤ wenn er verliebt ist. Die Ursache liegt schon im vorigen, weil sie, wenn sie gleich versorgt sind, doch noch zu gefallen suchen⌠,⌡ welches ihnen nach dem Tode des Mannes zu statten kommt.
Jn Ansehung der Erziehung ist das männliche Geschlecht von Natur roher, es muß also mehr disciplinirt werden, das weibliche Geschlecht ist von Natur feiner, dahero sich das Frauenzimmer nur durch den Umgang bilden darf├,┤
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ihre Erziehung muß also nicht mit solchem Zwange geschehen ⌠Jhre Beredsamkeit⌡. Jhre Beredsamkeit ist eine Art von natürlicher Wohlredenheit, und nicht

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/so gezwungen, dogmatisch und demonstrativisch als des Mannes seine. Jhre Beredsamkeit ist so viel als Redseeligkeit, die Sprache liegt in ihrem Munde √viel_\\_weit⌡ feiner. Jhr Verstand ist nicht Sachen und √Gegenstande_\\_Gegenstände⌡ sondern Menschen zu erforschen. Weil sie nicht bestimmt sind, über die Natur und Einrichtung im gemeinen Wesen zu herrschen sondern nur über den Mann⌠,⌡ so müßen sie auch nur Menschen erforschen. √Frauenszimmer_\\_Frauenzimmer⌡ erforschen √dahero_\\_daher⌡ leicht andere, sie sind aber nicht so leicht zu erforschen, dahero sie leicht fremde Geheimniße ausplau- dern, aber ihre √eigene_\\_Geheimniße⌡ bekommt keiner heraus, besonders solche, so ihre Per- 
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son und ihr Geschlecht angehen, die erforscht nicht einmahl ihre gute Freundin. Die Männer können weit weniger

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/ihre Geheimniße vorenthalten, und da sie oft dem Frauenzimmer √vorwerfen_\\_vorwerffen⌡, √da«s»ß_\\_daß⌡ es plauderisch √sey_\\_«ist»sey⌡, so sollten sie sich selbst lieber bey der Nase ziehen. Die Natur hat also alles so geordnet, daß dasjenige, was man für Fehler ansehen möchte├,┤ eine nothwendige Bedingung der Erhaltung der Einigkeit und der Gesellschaft ist. Hieraus können viele practische_\\_Practische⌡ Folgen in Ansehung der Erziehung des Frauenzimmers gezogen werden, die von gantz anderer Art seyn muß als die des männlichen Geschlechts. Jn Ansehung der Moral muß der Unterricht gantz anders seyn, denn weil sie nicht gerne von Pflichten hören mögen⌠,⌡ und dieser Grundsätze nicht fähig sind√:_\\_;⌡ so muß die gantze Mo- 
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ral aus dem Gesichts Punckt der Ehre und

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/Anständigkeit vorgetragen werden, weil der Grundsatz der Ehre⌠,⌡ der einzige ist, deßen sie vorzüglich fähig sind.

Von der Erziehung

Ueber die Erziehung sind schon viele Vorschläge und Schriften von Philosophen vorhanden, man √soll sich Mühe geben_\\_hat sich Mühe gegeben⌡ zu untersuchen, worinn der Hauptbegrif der Erziehung bestehe. Die √jetzigen_\\_ietzigen⌡ Basedowschen Anstalten sind die ersten, die nach dem vollkommenen Plan geschehen sind. Dieses ist das größte Phaenomen⌠,⌡ was in diesem Jahrhundert zur Verbeßerung der Vollkommenheit der Menschheit erschienen ist⌠,⌡ dadurch werden alle Schulen in der Welt eine andere Form bekommen, dadurch wird das menschliche Geschlecht aus dem Schulzwange gezogen, es ist zu- gleich eine Pflantzschule vieler

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/Lehrmei- 
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ster. Es belohnt sich also der Mühe einige Betrachtungen √darüber zu_\\_und⌡ verlieren.
Die Erziehung wird eingetheilt in die Erziehung der Menschen als Kinder und in die Erziehung derselben als Jünglinge. Die Erziehung der Kinder kann in 4⌠.⌡ Epochen eingetheilt werden, dahin gehört die Entwickelung der Natur, die Leitung der √Freyheit_\\_Freiheit⌡, die Unterweisung des Verstandes, und die Entwickelung der Vernunft und des Charackters.
Was die Entwickelung der Natur betrift, so frägt es sich: wie soll das Kind gezogen werden, daß sich seine Natur entwickelt. Dieses fängt schon von der Geburt an, und sind medicinische Be- trachtungen. Viele laßen sich auch durch Philosophie beurtheilen. Es muß mit gehöriger Gesundheit gezogen wer- 
⌠Seite 763⌡
den⌠,⌡ mit dem gehörigen Gebrauch seiner Kräfte

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/und sinnlichen Organen⌠,⌡ mit Munterkeit, √Geschäftigkeit_\\_Geschaftigkeit⌡ und Stärcke, mit Freiheit zu spielen und sich zu bewegen, man muß ihm Gelegenheit geben sich √abzuhärten_\\_abzuharten⌡ und Beschwerlichkeiten auszustehen. Jn Ansehung der Leitung der Freiheit ist zu mercken: der Mensch ist von Natur wild und roh, also muß er disciplinirt werden. Der Mensch will von Natur √seinen_\\_seinem⌡ Sinn und seinen Neigungen folgen. Das erste Schreien des Kindes ist ein Schreien der Noth, wenn es aber √Aelter_\\_älter⌡ wird, und sieht das sein Schreien Effect hat, daß man ihm alles zu Gefallen thut⌠,⌡ um nur das Schreien ├zu┤ verhüten, so bedient es sich dieses Mittels bey √jeder_\\_ieder⌡ Gelegenheit um zu verhüten, daß man ihm nichts abschlägt, und dadurch wird es frühzeitig angewöhnt zu
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√tyrannisiren_\\_tyranisiren⌡ und zu commandiren, woraus

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/hernach √Bosheit_\\_bosheit⌡ und erhitzter Zorn entspringt. Die Disciplin muß also früh angefangen, und kann erst nur negativ seyn. √Mann_\\_Man⌡ muß auf keine Weise einem Kinde das √zugestehen_\\_zegestehen⌡, was es durchaus haben will, man muß sich an sein Geschrey nicht kehren, es muß doch √einmal_\\_einmahl⌡ aufhören zu schreien. Man muß ihm alles abschlagen, und seinen Willen also discipliniren. Jn Ansehung der Unterweisung des Verstandes ist zu mercken, daß der Verstand auch Disciplinirt_\\_disciplinirt⌡ werden muß⌠,⌡ so wie der Wille. Die Erziehung des Verstandes kann negativ seyn, wenn man die √eindringenden_\\_eindringende⌡ Jrrthümer vom Verstande abzuhalten sucht. Dieses ist der Plan des Rousseau, der ein feiner Diogenes ist und die Vollkommenheiten in der Einfalt der Natur
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setzt⌠,⌡ und also die Erziehung negativ seyn muß. Allein die Disciplin

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/des Verstandes kann auch eine positive_\\_Positive Unterweisung des Verstandes seyn. Kein Thier braucht Unterweisung, sondern was es √thun_\\_thu«t»n⌡ soll, das thut es aus Instinct. Der Mensch aber, der Verstand hat, muß unterwiesen werden. Bey rohen Menschen √darf_\\_darff⌡ die Unterweisung ⌠nur⌡ klein seyn, weil sie nur wenig Bedürfniße haben, √ie_\\_je⌡ größer aber der Luxus ist⌠,⌡ desto mehr muß man unterwiesen werden. Die geschickte Manier der positiven Unterweisung ist, daß man frühe und auf eine leichte Art die Sprachen erlernen, und damit nicht lange nach der grammaticalischen_\\_Grammaticalischen⌡ Methode geqvält werde, damit man hernach Zeit gewinne seinen Fleiß auf andere Sachen zu verwenden. Durch eine gute Manier kann ein Kind im 12ten Jahr die Sprachen
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so erlernet haben, daß es dieselben so spricht als die Muttersprache, davon ist das Basedowsche Philantropin ein

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/Beyspiel. Jn Ansehung der Ausbildung der Vernunft und des Charackters ist darauf zu sehen, daß das Kind alles aus Gründen erkenne, und aus Grundsätzen handele. Es soll in den Erkenntnißen Vernunft, und in den Gesinnungen Charackter haben. Hier muß die Erziehung √dreien_\\_dreyen⌡ Stücken angemeßen seyn, der Natur⌠,⌡ dem gemeinen Wesen und der Gesellschaft. Man muß in der Erziehung nicht den Jahren voreilen, sondern den Jahren gemäß in der Erziehung verfahren. Die Jugend Jahre müßen nicht aufgeopfert werden├,┤ um den Nutzen des männlichen Alters zu erreichen. Man muß der Jugend die √Ergotzlichkeiten_\\_Ergötzlichkeiten⌡ nicht nehmen, man muß ihnen die Kenntniße die sie als Männer haben sollen⌠,⌡ nicht zu früh beybringen⌠,⌡
⌠Seite 767⌡
damit sie viel Wißenschaft auskramen,

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/und auf den Examinibus_\\_examinibus prangen können√,_\\_.⌡ √dadurch_\\_Dadurch⌡ verlieren sie die Jugend Jahre, um nur das Alter zu genießen. Das Kind muß frey erzogen werden, aber so daß es andere frey läßt, und bey der √Freyheit_\\_Freiheit⌡ sich selbst nicht nachtheilig wird. Die Freiheit ist die einzige Bedingung├,┤ wo der Mensch aus eigener Gesinnung was gutes thun kann, wer ein Sklav ist, der thut nichts von sich selbst├,┤ als aus Gehorsam und nicht aus eigener Gesinnung. Das Kind kann also frey seyn├,┤ aber √dergestalt_\\_dergestallt⌡, daß es andere auch frey läßt⌠,⌡ wenn es dahero unruhig ist, so ist es nicht frey. Es muß frey das Ansehen und die Gewalt der Gesetze kennen lernen, es muß bey aller Freiheit gehorchen lernen, und sich der Ordnung passiv unterwerfen Z. E. den Observanzen und Gebräuchen der Schule und des Haus- 
⌠Seite 768⌡
wesens. Gewöhnt es

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/sich an die Gesetze, so kann es mit dem gemeinen Wesen in Harmonie stehen. Das Kind muß die Schwäche die es als Kind hat├,┤ empfinden, es muß nicht gebieterisch werden, und einen Vorzug vor andern √«S»suchen_\\_suchen⌡, es muß von keinem Vorzuge wißen, als √den_\\_denn⌡ ein großer vor einem √kleinen_\\_Kleinen⌡ und schwachen hat; das ist schon eine schlechte Erziehung, wenn Kinder wegen ihres Verstandes Vorzüge vor andern suchen⌠,⌡ und großen Leuten, die bey den Eltern in diensten stehen⌠,⌡ auch zu gebieten das Recht zu haben glauben, und sie wohl gar noch schlagen, wenn sie dieses thun, so müßen sie von derselben Person wieder zurückgeschlagen werden⌠. Wenn sie nun sehen werden⌡, daß sie nichts mit Gewalt bekommen, so werden sie sich aufs √bitten_\\_Bitten⌡ legen, und von √iedem_\\_jedem⌡ das erbitten, was
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sie haben

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/wollen, denn wird es ihnen nicht in den Kopf kommen zu fordern. Sie müßen √genügsam_\\_ge«¿¿»nügsam⌡ abgehärtet, fröhlichen Geistes, wacker, rüstig und √geschäftig_\\_geschäftigt⌡ erzogen werden. Es ist sehr leicht ein Kind gnügsam zu erziehen. Kuchen, Milch und √weises_\\_weißes⌡ Brod sind schon Delicatessen für daßelbe. Die Weichlichkeit ist ihnen sehr schädlich√._\\_;⌡ √Damit_\\_damit⌡ sie abgehärtet werden, muß man sie ohne √Mützen_\\_Müzzen⌡ gehen├,┤ und bey Regen├,┤ Schnee und √Kälte_\\_Kalte⌡ ausgehen laßen. Loecke_\\_Locke will haben├,┤ daß sie solche √Schuhe_\\_Schue⌡ tragen sollen⌠,⌡ die Waßer ziehen. Sie müßen mit Lust unaufhörlich thätig seyn. Wenn sie also wacker erzogen sind, so sind sie so erzogen, wie es Rousseau haben will. Wenn sein Kind mit aller Sorgfalt erzogen ist, so ist es √nichts_\\_nicht⌡ anders als was man sonst für einen Gassenjungen

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/hält. Rousseau sagt: es wird keiner als ein wackerer Mann erzogen, wenn er nicht vorher ├gantz roh┤ als ein √Gaßeniung_\\_Gaßen Jung⌡
⌠Seite 770⌡
⌠gantz roh⌡ erzogen ist. Die Delicatesse der feinen Manier lernt sich hernach von selbst├,┤ wenn nur der Charackter vorher ausgebildet ist. Jetzt aber werden die Kinder schon von √Jungend_\\_Jugend⌡ auf geputzt⌠,⌡ und gantz √tändelnd_\\_tandelnd⌡ erzogen, man lehrt sie alle √feinen_\\_feine⌡ Manieren und Complimente in Gesellschaft anzubringen, giebt ihnen ├auch┤ wohl noch Uhren und Dose in der Tasche, so lernen sie √galant_\\_galant in der menschlichen Gesellschaft zu erscheinen, wo weder ihre Vernunft noch ihr Charackter ausgebildet ist. Durch solche Weiblichkeiten bekommen sie niedrige ├kleine┤ Seelen, und sind zu nichts erhabenem und √großmüthigem_\\_großmuthigem⌡ fähig. Das Kind muß nicht gezwungen werden⌠,⌡ sich zu

/Seite_833

/verstellen und zu affectiren. Dieses geschicht dadurch, wenn man ihm Dinge aufträgt, wozu √er_\\_es⌡ gar keine Neigung hat Z. E. man zwingt es andächtig zu seyn, da ihnen nun nicht so zu √Muhe_\\_«m»Muthe⌡ seyn kann├,┤ so verstellen sie sich⌠,⌡
⌠Seite 771⌡
und ihr Charackter wird ├dadurch┤ corrumpirt. Jn Sprachen muß ⌠muß⌡ man sie √angewöhnen_\\_angewohnen⌡ Wahrhaftigkeit zu beweisen. Dieses geschicht dadurch, daß man es ihnen nicht nothwendig macht zu √lügen_\\_Lügen⌡, und ihnen lieber ihre Fehler verzeiht, damit sie selbige hernach nicht zu verheelen suchen. Man muß bey jeder Lüge⌠,⌡ die sie begehen├,┤ Abscheu blicken laßen⌠,⌡ und sie nur bey diesem einzigen beschämen, √ja_\\_ia⌡ es scheint, daß die Schamhaftigkeit deswegen von Gott in uns gelegt ist, daß sie ein Verrath der Lüge seyn soll, denn

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/sonst hat sie gar keinen Nutzen als diesen. √Laßt_\\_Last⌡ uns also selbige auch hiezu gebrauchen. Bey keiner anderen Gelegenheit muß man ein Kind roth machen├,┤ und es beschämen, denn dadurch werden die Kinder bey jeder Gelegenheit √schamhaft_\\_schamhafft⌡ und verlegen seyn, sie werden dadurch mehr über die Beschämung als über die Ursache derselben in Verlegenheit gerathen. Wenn sie sich also Z. E. auf- 
⌠Seite 772⌡
lehnen, oder in den Zähnen √pückern_\\_päckern⌡, oder sich √entblösen_\\_entblößen,⌡ so kann man ihnen gantz kalt sagen, das sollen sie nicht thun, es sey nicht gebräuchlich, und da müßen sie gehorchen, aber beschämen muß man sie darüber nicht, denn sie sehen die Ursache nicht ein, warum sie sich darüber schämen sollen,

/Seite_835

/wie es denn auch würcklich ist. Wenn aber das Kind lügt, so muß man es so beschämen und so verachten, als wenn sich kein Mensch mit ihm abgeben wollte, und es nicht werth hält, daß man mit ihm redet. Man muß es so ansehen, als ob man sich für ihn scheut, als √ob_\\_wenn⌡ es mit Koth beworfen wäre⌠,⌡ und dieses √oft_\\_offt⌡ wiederhohlt⌠,⌡ so wird ihm die Lüge im Halse stecken bleiben, er wird es niemals wieder thun, und bleibt ein ehrlicher Mann zeitlebens. Man suche ferner den Wahn der Meinung ab- 
⌠Seite 773⌡
zuhalten, daß er nicht durch die Meinung abgehalten werde├,┤ was zu thun oder zu unterlaßen, sondern nach Beschaffenheit der Sache. Die Meinung anderer von ihm selber muß ihm nicht

/Seite_836

/gleichgültig seyn, also muß Anständigkeit in ihm anfangen würcklich zu seyn⌠. Würde es ihm gleichgültig seyn⌡, so würde er sich nicht so führen, daß er andern √wohlgefällt_\\_Wohlgefällt⌡. Ferner muß das Kind zur Menschlichkeit angehalten werden, daß es nicht Thiere qväle, denn dieses macht harte Seelen, ⌠und⌡ daß es auch Menschlichkeit gegen andere auszuüben bereit sey; das letzte ist, daß √es_\\_er⌡ das Recht der Menschen hochachten lerne, und die Würde der Menschheit in seiner Person. Dieses sind die zwey Stücke in der Welt├,┤ die heilig sind. Das Wort Recht muß bey ihm so viel bedeuten, als eine Mauer, die nicht zu ersteigen ist,
⌠Seite 774⌡
und als ein Ocean der nicht zu erreichen ist. Hat ein Mensch √recht_\\_Recht⌡, so muß er sich nicht unterstehen einen

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/Finger dagegen zu heben. Das Achten der Würde der Menschheit in seiner Person ist der letzte Grad der Education, und √grenzt_\\_grentzt⌡ schon an √das_\\_des⌡ Jünglings Alter.
Als Jüngling muß seine Unterweisung positiv seyn. Er muß erstlich Pflichten erkennen die er hat in Ansehung des menschlichen Geschlechts und denn Pflichten, die er in der bürgerlichen Ordnung hat; da muß er zwey Stücke beobachten: Gehorsam und Achtung fürs Gesetz. Der Gehorsam muß nicht sklavisch seyn⌠,⌡ sondern aus Achtung fürs Gesetz. Denn muß ⌠muß⌡ er vorbereitet werden zur Ehrliebe und zum Verdienst in Ansehung anderer. Jn Ansehung der Ehrliebe ist die Unterweisung negativ├,┤ er muß nur
⌠Seite 775⌡
den Werth

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/seiner Person empfinden lernen. Durch Verdienste aber muß er √sehen_\\_suchen⌡ der Ehre würdig zu werden. Endlich muß er lernen in Ansehung der Menschen Pflichten der Großmuth auszuüben. Zuletzt kommt die Religion durch Einsicht wo er das wahre Verhältnis mit Gott einsieht. Hier entsteht die Frage: √Zu_\\_zu⌡ welcher ⌠Zeit⌡ muß man mit der Religion den Anfang machen? Jn dem Punckt, da das Kind einsehen kann, daß ein √Urheber_\\_Uhrheber⌡ seyn muß. Wenn die Kinder früher zur Religion angewöhnt werden, wo sie Gebete nachplaudern lernen⌠,⌡ so hat das keinen Effect. Wenn sie dadurch sollten seelig werden, so √könnten_\\_könnte⌡ die √Elster_\\_Aelster⌡, die man auch

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/√auslernen_\\_aus lernen⌡ kann nachzureden, auch seelig werden. Wenn sie aber einsehen Ordnung der Natur und Spur von einem Urheber, denn muß man ihnen sagen, daß ein √Ur- 
⌠Seite 776⌡
heber_\\_Uhrheber⌡ ist, und was dieser √Uhrheber_\\_Urheber⌡ haben will, welches sein Wille und sein Gesetz ist, und denn kann man ihm die Danckbarkeit gegen Gott einflößen. Jm Anfang kann die Moral nur negativ seyn. Die Kaltsinnigkeit der Menschen in Ansehung der Re- ligion kommt daher, weil sich die Kinder schon von Jugend auf dazu angewöhnt haben, welches ihnen hernach gantz gleichgültig wird, weil sie oft genung vieles davon gehört haben. Je später ihnen solches bekannt gemacht wird, desto

/Seite_840

/√größeren_\\_großeren⌡ Eindruck wird es ├in┤ ihnen machen.
≤ Ende. ≥
Schnörkel