/δ_Blatt_1
/ ≥ Ant<h>ropologiam Philosoph.
Prof. Ord. Kant in Semestri
hiberno 1793-1794 propo-
suit.
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/Joh: Ephr: Reichel. ≤
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/δ_Blatt_1'
/δ_leer
/|P_1
/Alle Kenntniße theilt man überhaupt ein in
Schulkentniß (SachKenntniß) und in Welt-
Kenntniß oder MenschenKenntniß. Der
die MenschenKenntniß besizt der macht von
den Schul_Kenntnißen im Umgange mit andern
Menschen Gebrauch. Welt haben ist die Geschick-
lichkeit um mit andern Menschen zusammen zu
passen und sich ihrer zu bedienen. Der besizt der
grossen Welt Kenntniß dessen Betragen und
Verhalten andern zum Muster dienet. Man
sieth aber daß grosse Welt blosse Affectation
ist. Der Mensch ist das wichtigste Obiect
unserer Betrachtung. Wir betrachten ihn
nicht hier als Natur Wesen sondern als ein
frey handelndes Wesen; in so fern er mit an-
dern in Geselschaft ist und wir uns seiner
zweckmässig bedienen können. Ein Mensch
ist geschickt, wenn er die Mittel zu allen
Absichten in seiner Gewalt hatt; Gescheit,
wenn er von diesen Mittel einen zweckmässi-
gen Gebrauch machen kann. Klugheit ist
der künstliche Gebrauch anderer Menschen
zu seinen Absichten. Ein Mensch ist nicht gescheit
wenn er sich Z:E: durch seine Verschwendung
oder Wohlthätigkeit Freunde macht. Klug
/|P_2
/ist er aber dann wenn er sich nicht durch sein
Geld sondern etwa durch seine Fähigkeiten
oder sonst durch etwas Freunde macht.
/Jede Kenntniß, in so fern sie klug macht, heißt
pragmatisch. Die Anthropologie kann pragma-
tisch seyn wenn sie uns klug macht Z:E: als
einige Menschen uns verbindlich machen, an-
dere von uns in Schranken halten.
/Es sind viele physiologische Anthropologien,
heraus gekommen; diese aber hier ist pragma-
tisch, die unsere Klugheit vermehrt.
/Wissenschaft cultivirt den Menschen, Weis-
heit aber «@culti@» moralisirt ihn. Anthro-
pologie lehrt wie mann ihn cultivirt durch
Sachkenntniß, indem er viele Sachen in
den Kopf bekomt; sie dient ihn aber auch
zu civilisiren d.h. ihn im Umgange mit Men-
schen klug zu machen. Die Regel der
Höfflichkeit, wenn sie scholastisch sind, sind
pedantisch. Geschliffenheit im Umgange kann
man nicht in der Schule lernen sondern
unter Menschen; Dieses nennt man Politesse,
und kann nicht in der Schule gelernet werden.
Ehe kann kein Mensch Weltkenntniß besizzen,
ehe er nicht Schulkenntniß hatt. Menschen-
kenntniß kann durch Beobachtung seiner selbst
/|P_3
/erlangt werden, ist aber sehr schwer. Z:E: man
will seinen Afect beobachten. Ist man im
Affect; so beobachtet man sich nicht; nach dem
Affect aber kann man sich nicht beobachten. Die
Kenntniß seiner selbst ist zwar schwer aber
doch sehr angenehm. Z:E: Wie komt es daß
der Schmerz einem oft süß ist, wenn man
einen guten Freund verloren hatt, oder wenn
mann ein Mädchen liebt? Wenn mann sich selbst
kennen will; so muß man auch andere Menschen
kennen. Wenn man sich aber selbst kennt; so
lernt man auch andere kennen et vice versa.
Mancher kann sich selbst nicht kennen, bevor
er nicht gesehen hatt wie dieses oder jenes
einem andern ansteth.
/Anthropologie ist nicht Psychologie ohnerachtet
es Baumgarten glaubt. Psychologie sieth
nur auf die Seele; Anthropologie ist aber
wenn ich den Menschen so betrachte wie ich ihn
vor mir beseelt sehe. Mitt dem Körper kann
man Experimente machen mit der Seele aber kann
und muß man nicht Experimente machen. Denn
Experimente «geschehen» <sind> immer «in» ein«em» natur
wiedrige«n»r Zustand«e». Da man mit der Seele
keine Experimente machen kann; so kann man sie nicht
recht erforschen, und wir sind vieler Kenntnisse
von ihr beraubt.
/|P_4
/Die Anthropologie theilt man zwar in
/1.) Kenntniß seiner selbst und in
/2.) Kenntniß anderer und
/3.) Der Menschen überhaupt. Diese ist sehr schwer,
weil wir den Menschen mit keinem anderen
Wesen vergleichen können.
/Besser theilt man die Anthropologie ein
/I.) Elementar_Lehre. Da sehen wir erst
/1.) Auf das Erkenntniß_Vermogen
/2.) Auf das Vermögen der Lust und Unlust
/3.) Auf das Begehrungs_Vermögen.
/II.) Methoden_Lehre. Diese lehrt mich den
Character eines Menschen zu bestimmen; da
mir die Elementar_Lehre die verschiedene
Charactere zeigt.
/~δ_Rand_004_Z_9
/Jedes dieser 3 Vermögen
wird in das obere und
untere eingetheilt. Das
obere wird das intellectuelle
und das untere das sinliche
Vermögen genant.~
/δ_Rest_leer
/|P_5
/ ≥ I. Elementar_Lehre.
/1. Das Erkenntniß_Vermögen. ≤
/Hiebey ist zu merken das Ich, oder daß ich mei-
ner selbst bewust bin. Ein Wesen ist Natur_Wesen,
wenn es sich seiner nicht bewust ist. Dann haben
wir Verstand, wenn wir uns unserer bewust «ist» sind
und ihn erhöhen können. Wir wollen dieses Ich
betrachten, wie es sich unter den Menschen verhält.
Mann nennt einen Menschen einen Egoist, der
blos auf sich sieth und seinen eigenen Vortheil
sucht.
/Mann nennt den Menschen einen aestetischen Egoist,
der von seiner belibten Person im Umgange
redet, der sich zum Obiect der Achtsamkeit macht.
Dieser ist ein schlechter Egoist. Mann nennt ihn
auch den Egoist des Umganges oder die Selbstsucht.
Sie werden endlich lästig weil sie gleichsam
die Menschen nöthigen auf sie immer Acht zu
haben.
/Mann nennt den Menschen aber einen Psychologischen
(metaphysischen) Egoist, welcher den Grundsatz
hatt; er könne behaupten daß er nur das einzige
Wesen in der Welt ist. Mann kann wirklich
nicht überführt werden daß andere Wesen
ausser mir noch existiren, denn mann kann
/~δ_Rand_006_Z_12
/Ein moralischer Egoist
schäzt sich hoher als alle
andern. ~
/|P_6
/ja behaupten daß es alles im Traume geschiht,
wenn Jemand Z:E: zu mir redet; weil mann sehr
oft im Traume handelt oder redet.
/Ich und Du scheinen nicht sehr gute Ausdrücke
zu seyn. Mann muß sein Ich als Autor Z:E: nicht
immer hervorstechen lassen um nicht die Gren-
zen der Bescheidenheit zu übertreten. Z:E:
"Nach meiner Meinung ist das so und so". Das
Wir, welches die Grossen brauchen, ist ein
Zeichen der Hoheit. Zuerst aber war es ein
Ausdruck der Bescheidenheit. Als "Wir (d:h:
Ich und mein Rath) sind gesonnen das zu thun.
Der Ausdruk <Du> ist bey uns ein Wort der Ver-
traulichkeit, und kann nicht gegen Jeden gebrau-
chet werden.
/Es ist doch curiose daß die Kinder sehr spät
das Ich aussprechen lernen. Wenn Z:E: ein
Kind etwas von seinen Eltern haben will,
so wird er nicht sagen: "Ich" sondern: "Leopold
(oder wie sonst sein Name ist) will das haben."
Es scheint daß es denn noch nicht auf sich Acht hatt.
Es kann immer in ihm eine Revolution und
eine Epoche seyn, wo er sich seiner bewust wird.
In den ersten 2 oder 3 Monaten lacht es weder
noch weint es. Es schreiet zwar aber weint
noch keine Thränen.
/|P_7
/Die unwilkührliche Beobachtung seiner selbst
ist ein unnatürlicher Zustand. Dies thun ge-
meiniglich die Hipochondristen.
/Wenn man denkt, muß man auf sich nicht achten,
sondern dann hemmt man sein Denken. Es
ist guth eine Art von Zerstreuung. Die Schmer-
chen nehmen überhand wenn man gar zu sehr
auf ihn Acht hatt. Die Beobachtung eines
Uebels vermehrt es; die Abrichtung der
Gedancken, während des Uebels, auf «Gedanken» <andere Obiecte>
vermindert es, ja verscheucht es so gar, wenn
man gar nicht mehr darauf denkt.
/Der seine Aufmerksamkeit auf sich selbst richtet,
ist genirt. Der sich mit sich selbst beschäftiget,
und sich reden hört wie es wohl andern klin-
gen würde, der affectirt. Der aber auf
sich selbst gar nicht Acht hatt, ist ungezogen
und heißt de«b»gorgé. Der Deutsche ist immer auf
sich atent; der Franzose aber ungeniret (degorgé).
Dieses degorgé zu erlernen, dazu gehöret viele
Cultur. Mann muß in Geselschaft der Eigenliebe
Anderer schmeicheln, und Vorschub thun; seine
eigene aber dabey vernachläßigen. Dadurch
erwirbt man sich Reflection und sogar Hochach-
tung und man sagt: "das ist ein artiger Mensch."
Wenn man in Geselschaft die Eigenschaften,
/~δ_Rand_007_Z_13
/Der Grund zum geniret seyn
wird vorzüglich bey der Er-
zihung gelegt. Wenn Eltern
die Kinder irgendetwas tadeln;
so wird das Kind in der Folge
mißtrauisch gegen sich selbst
%und verlegen ob dies oder jenes
schicklich für ihn sey. ~
/|P_8
/Vorzüge und Talente eines Andern erhebt; So
glauben die andern daß ich selbst viele Vorzüge
besizen muß, weil ich die Vorzüge des Anderen
einsehe %und sie zu schätzen weiß.
/Sativitaet ist das Gegentheil vom Affectiren, und
ist etwas natürliches beym Menschen. Sie ist eine
gewisse Art von Unschuld, nach welcher der Mensch
anderer Gunst nicht zu bedürfen scheint. Sie macht
immer zu Lachen und ist doch mit gewisser Hoch-
schätzung verbunden; überhaupt ist sie eine Art von
Offenherzigkeit. Menschen können sehr aufrichtig
seyn, aber es gehört noch einen grosser Grad von
Freundschaft zur Offenheit.
/Vorstellungen, deren wir uns nicht bewust sind, nennt
man dunkele Vorstellungen. Wenn wir uns aber
der dunklen Vorstellungen nicht bewust sind; so wissen
wir ja nicht ob wir welche haben? Wir können
uns zwar ihrer nicht unmittelbar bewust seyn,
aber aus den Folgen können wir es schliessen. Unsere
1. Einbildungskraft mag gern im Dunkeln spazie-
ren. Der Witz muß überraschend seyn, und wird
aus Dunkeln Vorstellungen erzeugt, die in dem Mo-
ment klar werden, wo der Witz ausbricht. 2. Wir spie-
len auch mit dunkeln Vorstellungen. Es giebt gewisse
Arten von dunklen Vorstellungen, mit denen sich un-
sere Gedancken beschäftigen, die «aber» nach Vernunft-
gründen nicht <un>anständig sind, aber der Sinnlichkeit
zu wieder sind. Wir haben Bedürfnisse die wir
/~δ_Rand_008_Z_19
/Wir können keine Vorstel-
lung von etwas haben, wo
fern wir uns nicht darin
sezen Z:E: die Furcht vor dem
Tode. Woher kommt sie? - ~
/|P_9
/verschönern können, aber 2 Bedürfnisse können
wir nicht nemlich die Fortpflanzung des Geschlechts,
und die Ausleerung der Speisen. Mann sucht diese
Bedürfnisse zu verdunkeln, einen Schleyer von dun-
keln Ausdrücken über sie zu werfen. Manche Men-
schen spielen mit diesen Bedürfnissen besonders mit
der Fortpflanzung des Geschlechts in dunklen Vor-
stellungen. Dieses können vorzüglich die Franzosen,
und thun es auch in Geselschaft der Damen. Diese
verstehen es zwar und können sich des Lachens nicht
enthalten, aber sie können es den Manspersonen
nicht übel nehmen, weil sie einen blumigen
Schleyer darüber werfen können. Mann nennt
diese Redensarten schlüpfrig. Die Art von diesen
2 Bedürfnissen zu reden und ihnen Gnüge zu leisten
ist 2 fach 1.) Der Purismus der da sucht wieder
die Regeln der Schamhaftigkeit nicht zu handeln,
und die Bedürfnisse im verborgenen verrichtet.
2.) Der Cinismus. Hier ist der Grundsatz: Alles
was nicht unrecht und <auch> erlaubt ist schickt sich auch.
Einer von den Cinicker glaubte sogar daß man
mit seiner Frau die Sachen <auch> auf dem öffentlichen
Markte abmachen kann. -
/Wenn wir diese Bedürfnisse (worin wir uns vor-
züglich den Thieren nähern) ganz gemein verrich-
ten möchten; so würden wir die Sittlichkeit ganz
aus den Augen sezzen und die Würde der Mensch-
heit verkleinern.
/|P_10
/Jezt wollen wir die Erkenntnisse ihrer Form nach
betrachten. Etwas helles im Dunkeln sieth grösser
aus als es ist und etwas dunkles im lichten sieth
kleiner aus als es ist, so auch hier.
/Deutlichkeit ist diejenige Klarheit, in der nicht nur
das Ganze des Obiects, sondern auch die Theile klar
sind. Dieses wäre denn die Materie. Die Form aber
muß nun dieses Mannigfaltige nach Regeln ordnen.
Gar zu grosse Peinlichkeit bey der Regel ist schlech-
terdings zu tadeln. Wenn das Schöne mit einer
gewissen Nachlässigkeit geordnet ist dann heißt
es Leichtigkeit. Wenn es scheint daß vorher gar
keine Regel sey bey einer Sache Z:E: beym Garten,
hernach man aber <doch> eine gewisse Ordnung bemerkt,
dann gefällt es. Mannigfaltigkeit worin eine
Einheit ist gefällt.
/Unsere Erkenntniß wird gezogen 1. Auf das Obiect.
/1. Eine obiective Vollkommenheit muß haben a. Wahr-
heit. b.) Grösse. c.) Deutlichkeit. d.) Praecision.
Das Gegentheil von Wahrheit ist Irrthum.
Irrthum ist beynahe schädlicher als Unwissenheit;
aber mann kann doch auf die Gefahr zu irren wa-
gen. Ein mit Verstand gewagtes Urtheil ist
Paradox. Ein gewagtes Urtheil fürth mannig-
mal auf Wahrheiten, die Sonst nicht wären ent-
deckt. Es heißt ein Einfall, ist zwar unterschie-
den von Einsicht, muß aber doch durch diese bestimmt
/~δ_Rand_010_Z_9
/Die Ordnung sezt Regeln voraus.
/δ_Z_19
/Die obiective Vollkom-
menheit heißt auch die
logische. ~
/|P_11
/werden. Ein Einfall ohne Verstand gewagt muß
unerlaubt seyn. Die Anhänglichkeit an einen alten
Wahn ist das Gegentheil von der Waghälsigkeit
der Paradoxen. Ein seiner gewöhnlichen Gründe ist:
es ist nicht im Gegenstand der beschauet wird, sondern
im Beschauer selber. Mann glaubt daß die 7
Farben auf dem Tuche wäre, nein! sondern in den
Lichtstrahlen. Mann breche einen Lichtstrahl auf
dem Prisma in 7 Farben. Nun laß man Z:E: <den gelben Strahl>
durch ein ins Papier gestochnes Loch schiessen.
Wenn man nun Z:E: ihn auf blaues Tuch fallen
läßt, so scheint das Tuch gelb. Weil nun Coperni-
cus bewieß da sich nicht die Sonne umdrehete
sondern wir mit der Erde; so bewieß er daß die
Bewegung nicht im Obiect sondern im Subiect
wäre. Also auch der Raum ist nicht ein Etwas, son-
dern blos die Form unserer Sinlichkeit. Diese
Paradoxe erwirbt sehr schwer die Beystimmung,
weil wenige Menschen unterscheiden können,
was dem Obiect und dem Subiect zukömmt.
Der Paradoxe wagt auf seine eigene Reputation,
das Publicum aber gewinnt. 2. Auf das Subiect.
/2. Die Subiective Vollkommenheit muß haben a.) Leich-
tigkeit, b.) Lebhaftigkeit, hiezu gehört Neuigkeit,
den Sie wird von ihr gebohren. c.) Interresse.
/Mann kann eine Erkenntniß für gering halten,
weil sie keinen Nutzen bringt. Was aber dem
/|P_12
/einen nicht nützlich ist kann doch andern oder
den Nachkommen nützlich seyn. Die Subiective
Vollkommenheit heißt auch die aestetische.
/3.) Die logische (obiective) und die aestetische (subiective)
Vollkommenheit, wenn sie zusammen stimmen,
machen die Bündigkeit der Erkenntniß aus.
Die Aufklärung ist eine reife Beurtheilungskraft,
das, was zweckmässig ist, auch zweckmässig zu
unterscheiden. Der einen über seine wahren
Zwecke belehren kann ist aufgeklärt.
/Den Paradoxen sezt man das Altägliche entgegen. Hier
sind auch viele Irrthümer vorhanden. Manche Menschen ha-
schen nach den Paradoxen um sich von andern zu unterscheiden.
Diese Menschen kann man festliche (das Gegentheil vom Alltäg-
lichen) nennen. Der Paradoxen wagt ist ein Abenteuer,
und Abenteurer machen oft Entdeckungen. Von der Acca-
demie der Wissenschaften zu Berlin entstand die Aufgabe:
Was erlaubt dem Publico gewisse heilsame Vorurtheile zu
lassen auch wohl gar neue hinzu zu fügen? - Viele Philo-
sophen verfuhren bitter mit Ihnen, denn dies ist ein schlechter
Beweiß des Wohlwollens gegen die Menschen.
/Wahrheit ist freylich besser als Irrthum, es ist aber nicht
Pflicht immer die Wahrheit zu sagen. Wenn wir eine
Wahrheit prüfen wollen, so haben wir 2 Criterien: 1.) Ein
unmittelbares, unsern Verstand. 2.) Den Beyfall oder
das Wiederstreben anderer. Dieser ist nöthig; Denn
wenn ich worüber urtheile so kann es doch nicht so richtig
seyn als wenn ich es am Urtheil anderer geprüft habe.
Wir müssen demnach unsre Urtheile des Verstandes an
/|P_13
/dem Urtheile Anderer prüfen, und dieses können wir, wenn
wir sie öffentlich bekannt machen. Eine gewisse Eitel-
keit ist uns schon von der Natur eingelegt daß wir unsere
Erfindungen und Schlüsse gern andern bekannt machen,
denn andre erfahrne Männer «s¿» prüfen sie dann und
ich werde dadurch vor Irrthümer bewahret. Der Mensch
hatt nach dem Naturrecht von Gott die Freyheit der Feder
erhalten. Es wird uns ein Mittel genommen, wo ich die
Richtigkeit meiner Meinungen erkenne, wenn die Pres
freyheit nicht ist.
/Eine Andere <Eigenschaft der> Erkenntniß neben der Klarheit des Verstandes
ist die Lebhaftigkeit unserer Anschauung. Diese beyde
Stücke gehören zur Vollkommenheit der Erkenntniß.
Einige nehmen noch Empfindung dazu; sie gehört aber nicht
eigentlich dazu. Es giebt Menschen die blos an Begriffen;
andere die aber auch an der Anschauung hengen; beyde
müssen aber verbunden werden. Einbildungskraft
ist das Vermögen der Darstellung. Mann nennt das
sinnleer, womit gar keine Anschauung kann verbunden
werden, wo man auch keinen Gegenstand diesem geben
kann. Mann kann von einem Dinge eine Anschauung
haben, wovon ich gar keinen Begriff haben kann et vice versa.
Unsere Erkenntniß ist Lichtvoll in so fern man passende
Anschauung daneben stellen kann. Der Dichter bedient
sich des reflectirenden Lichts, indem er nicht etwas gerade
zu sagt sondern was ähnliches; die Natur aber des ursprüng-
lichen Lichts. Ein Zeitalter nennt man ein erleuchtetes
welches bey der Gründlichkeit der Erkenntniße auch Klar-
heit hat. Einen Menschen nennt man einen hellen Kopf,
/|P_14
/der die Begriffe anschaulich machen kann. Wenn man
eine Sache in Dunkel einhült so stelt man sich was grösse-
res darunter vor, als es wirklich ist. Viele Leute schrei-
ben ihre Schrifte dunkel. Manche wissen sich so geheim-
nißvoll zu stellen daß sie deswegen den Namen eines
Gelehrten bekommen. Wenn ein Blütz des Nachts leuch-
tet so ist die Dunkelheit immer darauf schrecklicher.
Dieses wende man auf Schriften an.
/Die mehresten Menschen geben in Allem der Sinnlichkeit
schuld. Sie hatt aber wirklich nicht so viel Schuld, als man
ihr giebt, wie wir hernach sehen werden. Die Sinn-
lichkeit wird betrachtet, als wenn sie dem Verstande zu
Dienste stehen müsse so daß der Verstand um seine Be-
griffe sinlich zu machen die Sinlichkeit braucht Z:E: durch
Beyspiel, Gleichniß %und s.w. Der Verstand giebt die Regeln;
und ist das Vermögen die Regeln vorzustellen. Die Sinn-
lichkeit macht «@g@» die Fälle, so unter der Regel stehen,
anschaulich, und scheint ein Instrument zu seyn dem Ver-
stand Stoff zu geben. Würde mann aber untersuchen
ob der Verstand oder Sinnlichkeit wichtiger wäre so
finden wir, daß sie Beyde gleiche Würde haben. Wenn
aber ein Streit des Rangs wäre, so würde wohl gar
die Sinlichkeit den Vorzug behalten, denn wenn
ich einen Begriff habe und ihn nicht anschaulich machen
kann, so erkenn ich nichts. Anschauung ohne Begriff
ist doch immer Etwas, wenn auch nicht eine Erkenntniß.
Thiere kommen mit der Sinnlichkeit durch und sie ist also
ein selbstständiges Wesen. Ein Mensch aber mit purem Verstand
komt nicht durch. Nun ist die Frage ob nicht eins dem andern
/|P_15
/einen Abbruch thue<?>. Man giebt zwar der Sinnlichkeit
in allem Schuld, den Verstand aber klagt man nie
an. Zur Sinnlichkeit gehören 2 Stücke a.) die Sinne sind
das Vermögen der Empfänglichkeit und ist passiv.
b.) Die Einbildungskraft ist das Vermögen der Thä-
tigkeit, und ist schöpferisch. Hier will ich keine Apolo-
gie (d.h. die Abwendung der Vorwürfe, eine Rechtfertigung)
der Sinlichkeit halten. Die Sinnlichkeit ist in so fern
schuldfrey weil sie nicht urtheilt, sondern der Verstand.
Sinnlichkeit allgemein genommen kann nicht irren, son-
dern der Verstand ist schuld, wenn Irrthümer sind.
Einige sagen die Sinnlichkeit urtheilt richtig: sie urtheilt
gar nicht. Anlaß giebt sie wohl, weil sie nicht urtheilt.
Wir können oft das Subiective mit dem obiectiven
verwechseln; dies hatt der Verstand schuld. Sinnlichkeit
giebt zwar Anlaß aber bringt nicht hervor; der Ver-
stand verwechselt das Subiective mit dem Obiectiven
%und dann entsteht der Schein. Einige wollen alles durch
den Verstand ausrichten, und heissen abstracte Köpfe,
sind trocken %und weniger faßlich aber gründlich. Abstracte
Köpfe fassen selbst ihre Begriffe mit Schwierigkeit.
Andre aber wollen alles durch die Sinnlichkeit ausrichten,
und sind seicht. Viele wollen immer fühlen %und em-
pfinden und auf keine Weise sich aufs magere Feld des
Verstandes wagen, wo blos Regeln sind. Bey jeder Er-
kenntniß ist nöthig daß Sinnlichkeit dabey steth um sie
sinlich zu machen. Eins kann das andere nicht missen.
Eins giebt Regeln: das andere macht sie anschaulich in
concreto. Sie thun sich immer Abbruch. Ein Beyspiel
/|P_16
/ist nur immer ein Fall, die Regeln des Verstandes
aber sind allgemein. Sinlichkeit %und Verstand sind immer
2 Feinde die einander nicht leiden und 2 Freunde,
die einander nicht lassen können. Es ist eine grosse
Lust gründlich und tief aber doch kar zu sprechen,
und leicht. Sie lassen sich nicht einander vereinbaren
ohne sich nicht ein bischen Abbruch zu thun. Es ist ein
grosser Vorzug daß ein Mensch die Freyheit in der
Thätigkeit aller Vermögen nach Willkühr zu
befördern %und zurück zu halten; %und dann ist er ein
grosses vollkommnes Wesen. Der Besitz von ver-
schiedenen Vermögen, Ursachen, Begierden ist ein grosses
Geschenk der Natur, und ist auf einer anderen Seite
kein Verdienst, ausser wenn wir sie völlig in unse-
rer Gewalt haben, und nach allgemeinen Regeln
des Verstandes gebrauchen. Wenn in einem Ausdruck
viel Verstand ist so heißt er δ_Lücke ; ist aber viel
Gefühl so heißt er δ_Lücke . Die Sinnlichkeit kann
δ_Lücke gehören auch adhaerent um sie aus zu schmü-
cken und mehr Leichtigkeit zu geben. Es giebt ein
Unterschied der Talente nach Jahren. Die Jugend ist
mehr nach Sinnlichkeit. Das weibliche Geschlecht ist
mehr sinnlicher als das männliche, es geziemt ihm auch
besser. Die Sinnlichkeit ist mehr mit Spiel und Frey-
heit verbunden, und durch keine Regel gehemmt. Im
Alter wird die Sinnlichkeit stärker, und der Verstand
schwächer. Die Virtuosen der Sinnlichkeit sind Mahler
und Dichter. Ein Compositeur, der die Sinnlichkeit
/|P_17
/dem Verstande unterbringt. Einen Mathemati-
cker und Philosophen wird man nicht einen
Virtuosen nennen.
/Man pflegt zu sagen dieses ist mir schwer oder es
ist mir leicht. Als leicht kann etwas betrachtet
werden subiectiv oder obiectiv. Es ist subiectiv
leicht wenn man einen Ueberschuß der Kräfte hatt,
etwas aus zurichten. Es ist subiectiv schwer wo kein
Ueberschuß der Kräfte da ist. In der Mathematick ist
nichts schwer. In der Metaphysick aber ist es schwer,
weil es da übersinnlich ist. Es kann auch etwas schwer
seyn im äusseren Verhältnisse wenn eine Handlung
Hindernisse hatt; wenn sie aber keine hatt so ist sie
leicht. Das beschwerliche muß von schweren unterschie-
den werden. Wenn ein anhaltendes Geschäft kein
Vergnügen mit sich führt; so ist es beschwerlich. Beschäfti-
gungen, die beschwerlich, aber auch zugleich ohne Nutzen
sind, nennt man Plackereyen; sie binden die Frey-
heit und sind verdrüßlich. Leicht machen ist Verdienst,
aber leicht vormahlen ist List. Die seichtesten Köpfe
etwas leicht vormahlen. Leicht machen ist ein grosses
Talent. Dies muß man den Franzosen zum Verdienst
anrechnen. Etwas schwer zu machen wird kein Mensch
billigen. Schwierigkeiten zu zeigen und die
Menschen wovon abschrecken ist Verdienst %und vermehrt
die Behutsamkeit. Man muß Schwierigkeiten zeigen,
ehe der Mensch das Geschäft anfängt, weil er sonst
/|P_18
/mitten im Geschäft die unvorhergesehene Schwie-
rigkeiten nicht überwinden könte %und also stecken
bliebe. Es ist nützlich daß man vor dem Vortrage
alle Einwürfe vorher macht %und denn er den Satz
befestige. Etwas leichtes schwer zu machen zeigt
an um sich ein Ansehen der Gründlichkeit zu geben.
Der alles für leicht hält ist leichtsinnig, der alles
aber für schwierig hält ist peinlich und bedenklich.
Der Muth %und Zutraulichkeit zu sich selbst alle Schwie-
rigkeiten zu überwinden, ist sehr zu rühmen.
Dem alles leicht vorkommt ist degorgé (ohn allen
Zwang). Der so schreibt wie er s«ch»pricht, schreibt
schlecht. Die Peinlichkeit in der Wahl des Ausdrucks
ist eine billig erwartende Aufmerksamkeit.
Im Brief muß mehr Leichtigkeit seyn als in der
Rede. Voltaire schreibt mit einer gewissen Leich-
tigkeit seine Briefe, daß man glaubt man könne
selbst so schreiben; Aber weit entfernt! In man
chen Briefen aber kann man sehen wie die HErrn
Verfasser nach Ausdrücke geschnapt haben, wie
sie sich an den Nägel gekaut und den Kopf gekrazt
haben. Ein leichter Vortrag ist angenehm. Aller
Umgang muß Leichtigkeit haben, daher ist das
ceremoniese jezt abgeschaft. Umgang muß gleichsam
ein Spiel seyn, worin nicht Pein ist. Die Sangui-
schen %und Phlegmatischen Menschen scheinen leicht %und
/|P_19
/nicht peinlich. Besonders die Sanguinischen. Die
Phlegmatischen sind zwar gleichgültig zu allem,
aber doch nicht peinlich.
/Das schwere zu leisten erfordert entweder grosse
Mühe %und kurtze Zeit oder kleine Mühe %und lange
Zeit. Das 1te ist denn Fleiß, Anstrengung, das 2te
Emsigkeit. Ein fleissiger Mensch ist also entweder
hurtig oder emsig. Emsigkeit ist aber weit besser
weil man denn seine Kräfte schont und sie nicht
überspannt. Ein emsiger Fleiß kommt fast weiter
als ein gespannter. Wenn man seine Kräfte vorher
überspannt hatt, so ha«s»ßt man es nachher. Mann hatt
den Ausdruck in Preussen: ein fauler arbeitet
sich zu Tode. Ein fauler haßt die Emsigkeit und
spannt alle seine Kräfte an daß er das Geschäft
bald zu Stande bringe um nachher wieder zu
ruhen, %und nicht beständig im Joch zu seyn. So arbei-
tet er sich dan zu Tode um in kurzer Zeit abzukom-
men. Viele Menschen sezzen den Fleiß auf die
eine Seite und die Ruhe auf der andern Seite.
Daher arbeiten sie vorher um sich etwas zu erwer-
ben und dan es «nicht» in Ruhe zu geniessen. Arbeit
ist eine solche Beschäftigung, die beschwerlich ist. Daher
trösten sich die Leute auf künftige Ruhe %und arbei-
ten desto stärkrer um bald los zu kommen.
Es ist aber zu rathen bis ans Ende in Arbeit zu seyn.
/|P_20
/Denn sonst wird man sich hernach ohne Beschäftigung
zur Last. Sanguinier arbeiten lang. Sie sind ge-
schäftig. Dies muß unterschieden seyn vom beschäf-
tigt. Geschäftige Leute «stehl» stehen fast dem Men-
schen wohl nicht zu Rede am Ende ist doch nichts.
Die Cholerici arbeiten stark. Die Phlegmaticker
arbeiten anhaltend %und lange um das Geschäft
zu Stande zu bringen.
/Die Gewohnheit macht alle Handlungen leicht,
schwächt alle Empfindungen die angenehmen und
unangenehmen, %und es geth so weit daß selbst das
schädliche weniger schädlich wird. Von der Gewohn-
heit muß man die Angewohnheit unterscheiden. Die-
se ist die Nothwendigkeit gewisser Handlungen,
welche entspringt, daß wir den Genuß überhaupt
oft wiederhohlen. Das Gute Z:E: Wohlthun
kann auch eine Angewohnheit werden. Dan ist
es nicht mehr Tugend sondern Mechanismus. Man
kann sich eine Sache auch so angewöhnen, daß man es
nicht einmal mehr merkt.
/Das Attendiren %und Abstrahiren sind 2 Arten
das erste gehört dazu klar zu machen %und das 2te
zu verdunkeln. empirische Köpfe attendiren.
Speculative Köpfe aber abstrahiren. Die Aerzte
müssen attendiren. Die Eigenschaft auf alles zu
passen was uns entgegen kommt ist sehr nützlich.
/|P_21
/Abstrahiren ist weit schwerer als attendiren. Beym
Attendiren bin ich selbst der Urheber, beym abstrahi-
ren aber mischt sich die Sinnlichkeit ein. Beydes
geschiht beym Menschen oft unwilkührlich. Jeder
Gemüths Zustand muß von der Wilkühr des
Menschen abhängen. Das unwilkührliche atten-
diren %und abstrahiren wiederstreitet dem Zustand
der gesunden Seele. Wenn eine Ausnahme von
der Regel ist, oder wieder die Regel streittet zieth
unsere unwilkührlich Aufmerksamkeit auf sich.
Eine unwilkührliche abstraction heißt auch destraction.
Aus Mangel an Attention wird der Mensch eben so
guth als durch Abstraction unglücklich. Abstrahiren
zu können ist eine Seelen_Stärke. Die Stoicker
verlangten daß man über die Uebel des Lebens
abstrahiren sollte. Von seinem Körper abstrahi-
ren kann der Mensch im hohen Grade. Hipochon-
dristen attendiren unwilkührlich auf sich selbst.
Der unwilkührlich abstrahirt nennt man distrait.
Ein attenter Mensch wird nicht dem abstracten sondern
distraiten entgegengesezt. Distraction ist nicht ein
Vermögen sondern Unvermögen. Abstraction ist ein
Vermögen, welches sehr schwierig zu erlangen ist,
denn es laufen andere Vorstellungen immer mit ein.
Eine Vorstellung kann seyn eine Haupt_Vorstellung,
oder Nebenvorstellung. Diese heißt adhaerende«.»,
Diese beyde Vorstellungen können obiectiv verbunden
/~δ_Rand_021_Z_26
/und die Hauptvorstellung nennt man
primaria. ~
/|P_22
/werden. Wenn man in die Kirche geth; so ist die obiective
Hauptvorstellung Andacht %und die obiective Neben_Vor-
stellung die ernsthafte, ceremoniese @sey@ alles, was
die Einbildungskraft erhebt. Mann muß auf die
adhaerende Vorstellungen sehr Acht haben. Jede Vor-
stellung der Dinge wenn sie nicht zugleich adhaerent
ist, nennt man trocken. Der Redner muß die
Theile seiner Rede zuerst ganz trocken darlegen,
%und dann kann er seinen Witz %und Einbildungskraft
zu Hülfe nehmen. Gratie kann auch mit Würde
verbunden seyn. Ein Mathematicker %und Philosoph
kann das Seine nicht anders als trocken vorstellen.
Mann sagt auch: dieser Mensch hatt ganz trocken die
Wahrheit gesagt. Diese Art von Trockenheit ist
angenehm *1, Mann nennt es auch naiuitaet, wenn
man die nackte Wahrheit heraus sagt. Ein bitte-
rer Spott, (Witz) der des Auslachen mit sich führt,
%und ganz unschuldig heraus gesagt wird, nennt man durch-
trieben. Es kommt überhaupt alles, wenn ich so
sagen mag, auf die Sosse an, wie ich es einzuklei-
den weiß, wenn ich die bittre Wahrheit sage.
Dies ist vornehmlich bey grossen HErren nöthig.
Unsere Vorstellung hatt auch noch andere Theile als die
Perspicuitaet, hiemit benennt man die Faßlichkeit,
wenn ich etwas durch %und durch schaue, also lichtvoller
Vortrag. Sie bezieth sich vornehmlich aufs Subiect.
ferner auch das für Wahr halten. Da giebt es
/~δ_Rand_022_Z_15
/*1 sie fürht auch Würde bey sich. ~
/|P_23
/1.) eine Ueberzeugung (conviction) wenn der hinrei-
chende Grund der Wahrheit im Obiect liegt.
/2.) Ueberredung (persuasion) wenn der Grund
im Subiect liegt. Diese beyde Stücke zu un-
terscheiden ist sehr schwer. Dies kann man aber,
wenn ich mein Urtheil am Verstande anderer Men-
schen probiere. Die Gründe des für Wahr haltens
sind im Obiect gewesen, wenn es alle Menschen für
wahr halten; Sie sind aber im Subiect oder in
meiner Neigung oder Gewohnheit, wenn es andere
Menschen nicht für Wahr halten. Mann kann über-
redet werden wenn der andere an Erfahrenheit
mir überlegen ist, wenn man auch vorher schon
vom Gegentheil überzeugt ist.
/ ≥ Von den Sinnen. ≤
/Alle unsere Erkenntnisse l@au@fen auf Anschauung
%und Begriff hinaus. Anschauung ist eine einzelne,
Begriff aber eine allgemeine Vorstellung.
/Die Sinnlichkeit wird eingetheilet:
/1.) In die Sinne, das Vermögen der Anschauung
in Gegenwart des Obiects.
/2.) In die Einbildungskraft, das Vermögen der
Anschauung auch in Abwesenheit des Obiects.
/Bey den Sinnen kann man sehen a.) Auf ihre Materie,
wenn ich etwas empfinde b.) auf ihre Form, d.h.
das Verhältniß der Empfindungen im Raum und
in der Zeit. Im Raum stehen die Dinge, die fühlbar
sind in der Reihe nach einander. Die Form nennt
/|P_24
/mann ein Spiel des Verhältnisses der Empfindung
in mir. Diese Sinne theilt man $a$.) in die äussern,
deren wir 5 haben. $b$.) in d«@ie@»en innern Sinn, wovon
wir einen haben. Der äussere Sinn geth auf körperliche
Dinge. Wir können durch die äussern Sinne sowohl,
als durch den innern Sinn uns belehren. Physick
ist das Obiect des äussern Sinn %und ist weit leichter
zu erlernen als Psychologie d.h. wo wir unsern
innern Sinn beobachten. Zu den Sinnen und
zwar zu den äussern Sinnen gehört die Em-
pfindung meines körperlichen %und nicht «@äussern@» <geistigen> Subiects.
Als ein körperliches Wesen haben wir:
/1.) Eine vitale Empfindung, wenn wir Schmerz oder
Vergnügen empfinden, und auch
/2.) Eine organe Empfindung, wo ich weder Schmerz,
noch Vergnügen empfind«@en@»e, sondern eine Beobachtung ist.
/Die vitale Empfindung ist subiectiv die organe
aber obiectiv, wo ich obiecte gewahr werde.
Die vitale Empfindung ist sensus vagus d.h. er
geth durch den ganzen Körper, wo Nerven sind.
Den Grad der Wärme, in so fern sie nur Schmerz
oder Vergnügen macht, kann ich wohl bestimmen,
aber was sie eigentlich sey, kann ich nicht. Die
organe Empfindung ist, wenn ich einen Begriff von
der Beschaffenheit eines obiects bekomme. Zur
vitalen Empfindung gehört nur eine Empfindung,
zur organen aber 5 Empfindungen. Fühlen,
/|P_25
/sehen %und hören ist mehr obiectiv als Subiectiv,
%und führen «@nicht@» zur Erkenntniß. Die körperliche
Ausdehnung können wir nicht @derh\durch@ sehen sondern
«@hören@» fühlen erkennen. Riechen %und Schmecken,
sind aber mehr subiectiv als obiectiv %und führen
nicht zur Erkenntniß. Hören %und sehen ist eine Em-
pfindung vermittelst der Zwischen Materie Schall,
%und Licht. Wir wissen noch nicht bestimmt ob der
Mond eine Atmosphaere habe oder nicht. Wenn
er nun keine hatt, so müssen die lebende Wesen
daselbst durch Geberden reden, weil die Luft fehlt,
%und ohne Luft kein Schall möglich ist. Man pflegt
auch zu sagen, der Mensch hatt kein Gehör (dies
ist ein sehr feiner Sinn) d.h. er kann auch einen
leisen Schall hören. Er hatt aber auch kein musica-
lisch Gehör d.h. er kann in der Musick keine Regel
der Proportion unterschieden. Musick wirkt
unmittelbar auf die Nerven. Er hatt kein Gehör,
er kann nicht singen d.h. er hatt zwar ein Gehör,
aber ein grobes. Durch den Sinn des Gehörs
kann man mehr afficirt werden als durch die
andern. Durchs Gehör wird die Lebenskraft
mehr afficirt. Fühlen ist der geringste Sinn, weil
er die kleinste Sphaere hatt. Das Anfühlen gewährt
kein Vergnügen. Durchs pure Hören können wir
nicht das Obiect erkennen. Er ist der geschicklichste
Sinn, weil wir mit wenigen Worten dem Andern
/~δ_Rand_025_Z_12
/Luft befindet sich über
einem Körper in geringer
Höhe; Licht aber ist im
gantzen Weltraum ver-
breitet. ~
/|P_26
/unsere Gedanken mittheilen können. Er ist vor-
züglicher als Fühlen, weil er einen grösseren
Umfang hatt. Der Sinn des Gefühls kann sehr culti-
virt werden. Durchs hören sind wir eines grossen
Vergnügens fähig. Dieses ist Musick. Musicalisch Ge-
hör haben %.heißt die Musick von einem bloßen Geräusch unter-
scheiden können. Musick ist eine Combination von
Schallen, welche nach Regeln mit einander übereinstim-
men, folglich Harmonie. Wir reflectiren über die
Combination der Thöne. De_la_Motré führte an daß
er das Wasser nicht halten könne, wenn mann einen
gewissen Thon strich. Hunde heulen bey einem gewissen
Thon. Die Eidexen kommen zusammen gelaufen wenn
sie Musick hören. Die Thöne wirken durch Erschütte-
rung auf den Menschen, %und erschüttern alle Nerven.
Wenn sie harmonisch zusammenstimmen; so erregen sie
Wohlbefinden beym Menschen. Mitt dem Baß kann
man die Spulwürmer abtreiben. Jeder thon hatt
gewisse Bebungen in der Zeit. Er ist viel schneiden-
der als ein Schall. Der gröbste bebt 120 Schwin-
gungen der höchste aber 2000 in einem Pulsschlage.
Siehe Erxlebens Physick. Thöne dringen am tiefsten
ein. Die Wilden fangen gleich an zu tanzen. Ge-
schmack an Musick gehört zur Cultur. Musicker aber
die selbst componiren, werden für Verstand und Ver-
nunft untauglich. Gesicht hatt den größten Umfang
/ von
/|P_27
/von allen. Herschel hatt durch sein Teliscop Nebelster-
ne entdeckt. Er zeigt daß das Licht 6000 Jahre Zeit
haben muß um zu uns vom ersten Nebelstern zu kom-
men. Wenn wir von Grösse und Entfernung reden, stellen
wir immer Reflectionen an. Was Thöne fürs Ohr, das
sind Farben fürs Gesicht. Mitt Farben kann man aber nicht
so spielen wie Thönen. Pater Castel machte ordentlich
ein Clavier von Farben, aber es war nicht einmal fürs
Kind unterhaltend.
/Einige unserer Empfindungen sind mechanischen Ur-
sprungs und gehören blos zur Wahrnehmung; andere
werden chemischen Gesezzen hervorgebracht, und gehören
zum Genuß. Geruch und Geschmack sind zu genüssen.
Wenn Vittellius etwas liebliches roch, mußte er es
auch genüßen. Geruch beruht darauf daß gewisse
Theile volatil sind, und ist ein sehr feiner Sinn. Durchs
Hören, Fühlen, Sehen wird man hingeführt wo der
Ort ist; Geruch aber giebt gar nicht zu erkennen,
wo er her ist, sondern verbreitet sich allgemein.
Geruch führt oft Ekel mit sich. Geschmack auch, aber
wenn er ohne Geruch ist; so afficirt er so stark nicht.
Das mechanisch Wahrnehmen geschiht durch Druck und
Stoß. Chemisch wenn sie sich auflösen. Schmecken durch
fixe Salze, riechen durch flüchtige Salze. Unsere
Geruch Werkzeuge sind mit Schleim überzogen, woran
das Saltz sich ansezt und hineindringt; so auch beym Geschmack.
/|P_28
/Für den Geschmack haben wir besondere Namen: sauer,
süß, herb, bitter; aber für den Geruch nicht sondern
man vergleicht sie als: es riecht sauer. Gefühl als
der 6te Sinn in Gesellschaft beyder Geschlechter ist vital
Sinn. Vital_Sinn so fern er Vergnügen oder Schmerz ge-
währt. Der da wählen kann ob er Vergnügen oder Schmerz
haben will ist empfindsam. Der leicht zu Vergnügen
oder Schmerz empfänglich ist, ist empfindlich. Empfindlich-
keit macht den Menschen unglücklich. Er dependirt von den
Umständen. Die Stoicker machten sich gegen Beydes un-
empfindlich. Es gibt Nationen bey denen der Vital
Sinn stumpf ist als Americaner. Verzärtelt darf Niemand
werden aber auch nicht stumpf gemacht. «¿»Je weniger
die Sinne lehren, desto mehr afficiren sie als Geruch
und Geschmack. Geruch ist der undankbarste und ent-
behrlichste Sinn. Er dringt sich auf und ist also impertinent.
Rohen Menschen kann er auch nützen aber gebildeten
nicht so sehr. Sonst hatt er auch seinen Nutzen, er schützt
vor Gefahr. Er hatt aber mehr Unannehmlichkeit als
Annehmlichkeit. Kein Sinn ist aber immaginer als
der Geruch. Kinder scheinen keinen Geruch zu haben. Wil-
den richt nichts übel. Wenn wir nicht aufs Obiect so
sehr achten möchten; so wär die Unannehmlichkeit nicht
so groß. Die Damen in Rom können nicht etwas lange
richen, sonst fallen sie in Ohnmacht; aber ihre stinkende
Haar_Pomade wohl. Geschmack ist nicht so immaginer,
und ist nothwendig. Er ist gleichsam der Pförtner
/~δ_Rand_028_Z_18
/Z:E: vor Kohlendampf. Wenn
man ihn nicht richen möchte,
kann man um kommen. ~
/|P_29
/zum Darm_Canal. Das, was guth schmeckt, bekommt
auch guth. Caffe schmeckt nicht, und Kinder trinken
ihn eben nicht. Cato sagt: der den feinsten Geschmack hatt,
ist empfindlich. Eckel bringt das Brechen zu wege.
Brechen ist der Anreitz, die Theile, die nicht zur Nahrung
gehören, durch den kürzesten Weg fortzuschaffen. Geruch
wird mehr Eckel als Geschmack. Welcher Sinn ist wohl
entbehrlicher: sehen oder hören? Das Hören ist unentbehrlichste.
Blinde können sich unterhalten und fröhlich seyn; aber
die Tauben sind immer ernsthaft. Geschmack haben (an
Speisen) gehört zur Gesellschaft. Die Gleichförmig-
keit des Geschmacks ist das beste Mittel die Gesellschaft
zusammen zu halten. Es giebt Dinge die unmittelbar
im Anfange unangenehm sind, hernach werden sie Ge-
wohnheit und mann kann sie nicht lassen. Als das Toback
rauchen und schnupfen auch der Caffé. Das Toback_Schnupfen
heißt auf lateinisch Pica nasi. Toback zum Schnupfen
muß nach nichts riechen. Toback kauen auch die vornehmsten
Engelländer. Dadurch daß der Reitz kurz ist, ist der
Schnupftoback angenehm. Wenn man den Rauch vom Toback
nicht sieth, schmeckt er auch nicht. Mitt Toback_rauchen
kann man sich allein die Zeit vertreiben. Im Orient
ist das Böckel_kauen Mode. Die Feinheit des Geschmacks
ist wünschbar.
/Man pflegt einen Sinn stumpf zu nennen. Mann pflegt zu
einem Menschen zu sagen: er ist nicht bey Sinnen, er ist
/~δ_Rand_029_Z_2:
/Mann kan einem so gar ein-
reden, daß etwas guth
schmeckt. ~
/|P_30
/blödsinnig d.h. es fehlt ihm nicht an Sinn, sondern an
Verstand. Mann gibt etwas den Sinnen schuld, welches
doch man eigentlich dem Verstand oder Urtheilskraft
geben könnte. Was zur Reflection gehört das wird
gewöh<n>lich den Sinnen beygelegt. Ein Sinn kann scharf
und stumpf seyn. Die Sinne schärfen %.heißt den Verstand
stärker machen. Durch öfteren Gebrauch werden die
Sinne eher geschwächt. Ein Sinn unterstüzt immer
den andern. Z:E: wenn man einen Prediger nicht recht
wegen der Entfernung hören kann, so darf man ihm
nur auf die Lippen sehen so wird man ihm schon besser ver-
stehen. Die Sinne sind bey manchen stumpf. Das Alter
macht die Sinne stumpf. Die Stumpfheit der Sinne trägt
auch etwas zum Wohlbefinden bey. Die Sinne kann man
beym Wahrnehmen erhöhen, heller machen, aber mann
kann sie auch schwächen, dünkler machen. Z:E: Das Trom-
mel schlagen bey Executionen verhindert daß man das
Geschrey hören kann. Die Sinne zu erhöhen hatt man
4 Mittel.
/1.) Contrast (Abstechung) bedeutet die Verbindung
2 Dinge, die einander zuwieder sind. Wiederspruch
ist vom Contrast unterschieden. Wiederspruch ist
die Verbindung 2 wiedersprechender Verhältnisse in
einem Dinge. Wenn man Z:E: in einem Lande Frey-
heit thronen sieth im anderen aber Despotie so ist dies
ein Contrast. Wenn aber in einer Stadt an einem
Orte Luxus am andern aber Betteley ist; so ist Wiederspruch
/|P_31
/Beym Contrast hebt eine Vorstellung die andere auf. Wenn
ein Frauenzimmer ein mit Steinen beseztes Kleid, aber
schwarze Wäsche hatt; so ist dies ein Wiederspruch. $Mikroma¿ros$
(kleingrosser) ist ein Contrast aber nicht Wiederspruch.
Dies ist ein solcher Mensch, der bey Kleinigkeiten groß
thut, und bey Grossen Sachen kalt ist. Mann hatt eine
Kunst komisch contrastiren wenn ich 2 contrastirende
Dinge wieder die wahre Beschaffenheit vorstelle, und
dient um das verabscheuungswürdige noch verabscheuungs-
würdiger zu machen. Travestiren und Parodiren ist ein
Wiederspruch um Lachen zu erregen.
/2.) Neuigkeit. Das unerwartete ist eine Neuigkeit,
die keine Verbindung mit dem hatt, was wir sonst ge-
wohnt sind zu hören. Das Unerwartete ist eine Ueber-
raschung, ein Affect der Bewunderung. Jeder Mensch
liebt das neue, wenn es auch nicht wichtig ist. Das
Neue zieth des wegen die Aufmerksamkeit an sich,
um sich hiemit bekannt zu machen. Neuigkeit macht
die angenehme %und unangenehme Empfindung stärker.
Wenn man Jemanden Erwartung macht; so ist der Mensch
schon anticipirt. Daher muß mann eine Sache, die man
Jemanden empfehlen will, nicht so sehr loben, weil
sie sonst nicht mehr «zu» neu ist. Wenn man einen jungen
Menschen in Gesellschaft bringen will, %und man zu ihm
sagt: daß <er> eine sehr schöne Dame sehen wird; so macht
«¿¿» die Einbildungskraft ihm die Dame weit schöner.
Eine praeoccupirte Vorstellung, kann durch die Gegenwart des
Gegenstandes noch mehr bestärkt werden.
/|P_32
/3.) Der Wechsel ist der Monotonie entgegengesezt
%und ist das, daß eine Beschäftigung nicht immer einerley
sey; sondern auch das angenehme mit dem Unangenehmen
abwechsele. Die Empfindungen müssen wechseln, denn
bey der Einförmigkeit verliert man die Aufmerksamkeit.
Daher ist auch das Spiel reitzend; Man gewinnt, verliert.
Der Wechsel ist überhaupt so, daß, wenn unsere Empfindun-
gen bis zum Affect steigen, sich durch den Wechsel abkühlen.
/4.) Die Steigerung heißt Neuigkeiten durch vermehrte
Grade. Sie erregt unsere Aufmerksamkeit. Bey ihr finden
wir, daß die den größten Effect hatt, die das Ende
von einer Steigerung aus macht. Wenn wir die Summe
der Empfindungen nehmen; so gefält uns nicht die Quan-
titaet derselben, sondern das Ende. Wenn man am
Ende des Lebens ist; so kann man mit Vergnügen die
unangenehme Vergangenheit übersehen. Die Stei-
gerung ist ein Vergnügen des Nachschmacks.
/Praestigia sensuum (Verleitungen der Sinne) sind
entweder fallacia («Täuschungen» <Betrug>) oder illusiones
(«Betrug» <Täuschungen>). Alle Arten von Betrug der Sinne, liegt
in der Reflection. Eine Empfindung kann nicht täuschen,
weil die Sinne nicht urtheilen. Täuschung ist die falsche
Vorstellung der Sinne, wenn ich sie zwar als falsch erkenne,
aber doch immer dabey bleibe; sie ist ein falsches Ur-
theil der Sinne mit Bewustseyn der Falschheit. Es
gibt 2 Arten von Täuschungen, wenn ich weiß daß
/|P_33
/die Sache so ist dann ists Täuschung. Wenn ich es aber nicht
weiß; so ists Betrug. Mitt Illusionen spielt man
gerne. Bey Täuschungen wird man zu falschen Urtheilen
verleitet, man lößt sie den Augenblick auf, es werden
wieder neue, und so ist es ein beständiges Spiel. Eine
Täuschung, die wir uns nicht erklären können, obs wahr oder
falsch sey ist eine Fascination (Behexung.). Thiere können
auch solche haben. Man lege Z:E: eine Gans auf den Rücken,
zie einen Strich mit der Kreide über den Schnabel, und ver-
längere ihn; so glaubt die Gan«z»s daß ein Balken auf ihr liege.
Alle Taschen_spieler_künste sind Fascinationen. Illusion ist
darum angenehm, weil wir verleitet werden zum irren;
aber verführt werden wir nicht. Die Schminke ist Betrug;
Die Kleider aber, die ein Frauenzimmer anhatt, ist Illusion.
Jeder Mensch hatt eine Farbe, die ihn kleidet. Denn wenn ich
das Auge woher «¿¿» auf das Kleid, denn auf das Gesicht wende,
so bleibt noch der Eindruck der Farbe im Auge %und es entsteth
eine Mischung. Ein«e» blauer Rock, und eine rothe Weste kleidet
guth, denn das wenige Roth mit so vielem blau bringt violet
hervor. Eine blaue Weste %und ein rother Rock kleidet nicht, den
durch diese Mischung entsetht ein schlechtes schmuziges Roth.
Es sind Fälle wo Illusionen nicht angenehm sind, %und wo endlich
ein Betrug entstetht. Z:E: Statuen die lebendig angemahlt sind
wollen nicht gefallen, daher sind die Statuen gewöhnlich mit einför-
miger Farbe angemahlt. In Ansehung der Sinnentäuschung
im practischen Verstande bemerken wir: sie flössen uns einen
Hang wozu ein, sie überlisten uns. Dem Betrug der Sinne
/|P_34
/mit Gewalt zu wieder stehen ist nicht guth, man bringe
aber den Sinnen etwas vor, wodurch sie ¿¿¿sirt, aufgehalten
werden. Die Artigkeit, Annehmlichkeit des Umgangs, Ehre
sind gewisse Täuschungen beym ersten Anblick. Gesittete
(civilisirte) Menschen sind gewisser Maßen Schauspieler
untereinander d.h. sie gehen immer auf Täuschungen aus,
oder Anschein. Der Anschein der Tugend ist doch immer was
werth dadurch daß man ihr huldigt. *1 Galanterie sind Ma-
nieren, wodurch wir anderer Neigung zu gewinnen suchen,
und ihnen schmeicheln. Es gehört viel Geschicklichkeit dazu
der Eigenliebe anderer zu schmeicheln und seine eigene
dabey nicht zu vernachläßigen. Wenn es auch anfangs
Zwang ist Jemanden Höfflichkeit zu erweisen; so ist doch das
Wohlwollen anderer angenehm, und man gewöhnt sich auch
zulezt daran. Anstand ist ein Schein der Achtung einflößt,
ohnerachtet das Subiect nicht achtungswerth ist, Politesse
bey Hohen %und Artigkeit bey Niedern ist ein Schein der Liebe
einflößt. Politesse ist ein Compliment (Verbeugung).
Diese sind ein Schein des Wohlwollens gegen andere.
Sittsamkeit ist ein Anstand der Keuschheit. Bescheidenheit ist
ein Schein der Selbstmäßigung der Ansprüche. Diese
sind Zumuthungen von andern, da diese etwas von ihrer Eigen-
liebe uns aufopfern sollen. Mancher Mensch hatt schon einen
unbescheidenen Blick, und man kan ihn nicht leiden ohner-
achtet «s» er noch kein Wort gesprochen hat. Wenn er ein
Compliment macht; so schimmert immer eine Art von Grob-
heit durch, und man fürchtet sich, daß er grob werden wird.
/~δ_Rand_034_Z_8
/*1 Es gehört doch Zwang dazu
den Anschein anzunehmen. ~
/|P_35
/Dies ist ein Unglück für einen solchen Mensch. Den Schein kann
man für eine Scheidemüntze nehmen d.h. man hatt zwar nicht
das reine Geld der Tugend; aber doch etwas, was für Tugend gilt.
Wir müssen alle Trüglichkeit des Scheins aufzudecken suchen.
Bey uns vorzüglich; aber bey andern nicht gantz. Ich will lieber
daß etwas wirklich sey; als wissen daß es nicht so sey, denn die
Beyspiele muntern auf. Ein bloßer Schein thut oft dasselbe,
was Wahrheit.
/Die Empfindungen schwächen sich durch die Länge der Zeit. Da-
her kann man den Schmerz der Zeit überlassen. Entzückun-
gen der Liebe schwächen sich auch mit der Zeit; denn die Empfin-
dung, die mit dem höchsten Grad angefangen hatt, kann nicht
stärker werden; sondern schwächer. Schmerzen sind von der
Art auch, man wird ihrer gewohnt, und abgehärtet.
/≥ Der Zustand des Menschen, wo er sich der Empfindungen
der Sinne nicht recht wohl bewust ist. ≤
/Wachen ist ein Zustand, wo der Mensch sich seiner bewust ist.
Hingegen Schlaff wo er sich seiner nicht bewust ist. Hier sind alle
äußern Sinne beym gesunden Menschen suspendirt (gehemmt.).
Es ist also der Zustand, wo der Mensch gleichsam leblos ist.
Doch ist im Wachen ein Zustand, in welchem der Mensch den
Zustand seiner Empfindungen nicht in Gewalt hatt. Man sagt:
/1.) Er ist nicht bey sich selbst (zerstreut). Dieses ist blos eine Ab-
ziehung der Aufmerksamkeit von den Organen der Sinne.
/2.) Er ist seiner nicht mächtig*1, perplex; dies heißt so viel er
kommt ausser Fassung, er ist verlegen. Im pommerschen
heißt es verblüft. Im Italienischen er hatt den Tramontano
/~δ_Rand_035_Z_25
/*1 wo man ausser Stand ist seinen
Zustand zu empfinden. Z:E:
im Zorn fühlt man nicht das
Podagra %und Schmerzen. ~
/|P_36
/verlohren, d.h. den Nordwind; weil man gemeinhin, wenn
man in Gesellschaft kommt von dem Wetter redet. (Es
würde sehr übel lassen, wenn man beym Eintritt in die
Gesellschaft sagen möchte: "Die Königin von Franckreich
hatt ein unglückliches Schicksaal."). Wenn man nicht einmal
sagen kann daß ein starker Nordwind ist; so muß man
sehr verlegen seyn. Mann kann durch eine einzige Frage
verlegen werden. Wenn man in Gesellschaft gehen will,
%und man glaubt eine kleine unbedeutende Gesellschaft
zu finden; so wird mann sehr verlegen, wenn man alsdann
eine grosse anständige findet. Der oft in großen Gesell-
schaften gewesen ist, wird nicht so leucht in Verlegenheit
gerathen. Exstase ist eine gewisse Art von Anschauung,
die blos eine Einbildung, eine vermeintliche Entzückung.
Z:E: bey einer schönen Musick. Die Italiener aber bleiben
dabey gantz ruhig, ausser wenn eine Sängerin ganz vorzüg-
lich schön singt oder was neues vorgestellt wird.
/Trunkenheit ist derjenige Zustand, wo der Mensch wachend,
und bey gesundem Leibe seiner Sinne nicht mächtig ist.
Trunk afficirt nicht so sehr als der Rausch. Den Trunk
kann man eintheilen in Rausch, der den Zustand der Sin-
ne verändert, und sie nicht recht in seiner Gewalt hatt.
Der Trunk ist der Genuß eines gewissen Getränks,
das die Lebenskraft steigert so daß die Phantasie leb-
hafter wird. Dieser Zustand durch Trunk erregt, kann
man Berauschung nennen. Das Spiel dieser Phantasie
/|P_37
/ist angenehm. Trunk kann man einen Vehicel des gesell-
schaftlichen Umgangs nennen, weil man als dann beredt
wird, wenn man es sonst würklich nicht war. Trunk ist das
wenn man noch weis was mann thut %und noch anständig beträgt,
wenn sich aber beydes schon verliert; so ist es schon Soff. Trunk
ist angenehm weil man offenherzig wird; mißlich aber auch
weil man als dann offenbaret was nicht «@jeder¿¿@» jeder
wissen muß. Der Trunk löset, so zu sagen, die Vernunft
von der Schildwache ab. Trunk erregt Freymüthigkeit,
indem man mehr Muth hatt was zu wagen. Stark
Getränk macht Muth und Curage. Trunk bringt
Großmüthigkeit, auch Freygebigkeit hervor. Grosmuth
weil mann sich beym Trunk wohlbefindet %und gerne dann
zum Wohlseyn anderer was beyträgt. Sorgenfreyheit
ist auch eine Tochter des Trunks. Die Grichen sezten einen
grossen Ruhm ins Trinken. Endlich bringt auch der Trunk
Unbesonnenheit und absurde Kühnheit hervor.
/Allgemeine Anmerkungen. Für junge Leute schickt sich
der Trunk gar nicht, weil sie schon an sich lebhaft sind.
Das Alter belebt er. Für Weiber auch gar nicht, weil
es den Nachstellungen der Mannspersonen ausgesezt ist,
und sich alsdann leicht ergeben könten. Die Europeer wer-
den durch den Trunk vergnügt. Die Orientalen aber wüthend
blutdürstig. Da eigentlich der Trunk das Herz zur Frey-
müthigkeit befördert; so kann der Rausch entschuldigt
werden. Für seine Hand ganz allein zu trinken ist abscheulich.
/~δ_Rand_037_Z_15
/Tacitus sagt: die Deutschen
fassen ihre Rathschläge
im Trunk. ~
/|P_38
/Brandtwein berauscht stumpf. Er lähmt die Zunge. Mann
kann dabey angenehm träumen, aber er befördert nicht
den geselligen Umgang. Manche wollen beym Trunk den
Character erkennen; aber es geth nicht an. Denn der
Wein macht fröhlich. Das Bier macht Zärtlichkeit.
Die Bierbrüder reden von Predigten, theologischen Sa-
chen auch wohl gar von der seeligen Frau. Die Tempe-
ramente kann man beym Trunk erkennen. Der
Cholerische prahlt sich; %und wird stolz. Der Sanguinische
wird verliebt. Der Phlegmatische redet nicht mit,
aber lacht zu allem, was die andern reden. Der me-
lancholische wird schwärmerisch. Trabo sagt: das ist
kein guter Gesellschafter der sich ans Vergnügen erin-
nert. Beym Trunkgelage muß man alle Thorhei-
ten vergessen.
/Die Ohnmacht ist eine Sinnlosigkeit. Vom Schlaff
kann man eigentlich keine Erklärung geben. Der
Schlaf ist der Zustand wo die äussern Sinne ohne Bewe-
gung sind, und blos die Seele thätig ist. Es ist sehr guth
daß wir eine Zeit empfindungslos sind, denn es wäre
unmöglich so lange immer zu arbeiten. Im Schlafen sam-
meln wir wiederum Kräfte. Der Schlaf ist auch guth
daß wir keine lange Weile haben. Lange Weile ist
sich in einer leeren Zeit bewust zu seyn. Der Tod ist
ein unendlicher Schlaff, eine Suspension von allen
Sinnen. Was der Tod sey kann man nicht bestimmen.
/|P_39
/Der Tod ist für den Zuschauer schmerzhaft; für den ster-
benden aber nicht, den alle seine schmerzhaft scheinende
Bewegungen %und Verzuckungen sind bey ihm mechanisch.
Affixi sind solche die da tod zu seyn scheinen, in der
That aber nicht sind. Dies war alles von den äussern
Sinnen. Jezt kommen wir zu den innern.
/Wen wir uns etwas vorstellen wollen; so müssen wir
immer reflectiren. Es giebt eine Täuschung und eine
Betrug der innern Sinne. Täuschung der innern Sinne,
ist wen Z:E: Jemanden eine gewisse Zeit lang wird,
zu einern andern Zeit aber kurz wird. Die Zeit wird
wird uns lang, wenn wir an etwas Mißfallen haben.
Kurz aber wenn wir Vergnügen woran finden. Der
Betrug des innern Sinn ist sehr nachtheilig. Schwär-
merey ist Täuschung falscher Urtheile von überschwengli-
chen Gegenständen (d.h. solche die man sich nicht
denken kann.) Ein Schwärmer glaubt das zu fühlen
was nicht zu fühlen ist.
/Die Einbildungskraft ist das Vermögen der An-
schauung auch ohne Gegenwart des Gegenstandes. Sie
hatt einen lateinischen Namen auch einen Grichischen.
Immagination und Phantasie. Es ist einigermaßen
ein Unterschied unter beyden. Immagination ist
das Vermögen der Anschauung, in so fern sie unter
unserer Wilkühr steht. Phantasie ist das Ver-
mögen fremder Gegenstände Anschauung, die
/~δ_Rand_039_Z_7
/ ≥ Vom innern Sinn ≤ ~
/|P_40
/nicht unter unserer freyen Willkühr stehen. Bey der
Phantasie ist dies das Wesentliche daß der Lauf der Phan-
tasie zu sehr nach unserer Willkühr ist. Phantasie grenzt
sehr nahe an Wahnsinn. Plato sagt: grosse Genies gren-
zen sehr nahe an Rasende. Die Immagination ist
/1.) Productiv in gewissen Künsten. Das Productions
Vermögen macht sich selbst Anschauungen. Die Einbildungs-
kraft kann die Materie nicht schaffen; aber wenn sie gege-
ben ist, kann sie sie formen. Wir können uns Z:E: kein
denkendes Wesen vorstellen
/2.) Reproductiv. Die Reproductive Einbildungskraft
brauchen wir nach den Gesetzen der Assotiation. Un-
sere Vorstellungen reproduciren mit einander, nachdem sie
sich vergesellschaften. Die Gesellschaft kann benachbart,
oder verwandt. Die benachbarte sind so daß sie ohne
einander nicht seyn können, entweder sind sie zu gleicher
Zeit, oder nach einander. Die verwandte wenn eine aus
der andern hergeleitet werden. Die Assotiation ist also
entweder intellectuell oder sensitiv. In Gesellschaft
muß ich mich hüten ja nicht von solchen Sachen zu reden
die nach den Gesetzen der Assotiation unschicklich sind,
%und die mit einem aus der Gesellschaft in Assotiation
stehen, %und daher unangenehm sind. Manche Nahmen wer-
den daher Schimpfnamen weil sie von schlechten
Leuten her kommen. Auf dem Wege der Assotiation
kann die Phantasie erschrecklich weit fortlaufen und
/|P_41
/sich verirren. Die Leute sind in Gesellschaft unange-
nehm die mit ihren Gedanken herum schweifen. Z:E:
Wenn die Rede von dem Kriege der Franzosen ist; so kann
ein solcher Mensch wohl auf die französische Weine oder
Moden kommen. Aus solchen Gesellschaften kommt
man heraus, als wenn der Kopf verwirrt wäre. Wir
können den Lauf unserer Einbildungskraft abschneiden.
Wir würden übel dran seyn, wenn wir so zu sagen nicht
Schauspieler %und Zuschauer seyn könnten. Die Reproductive
Einbildungskraft ist ein großes Vermögen der Quanti-
taet, und in Ansehung der Qualitaet kann sie sich sehr
extendiren; sie unterhält aber nicht weil es immer
einerley ist. Bey der Grösse hat sie Stärke %und bey
der Qualitaet zeigt sie ihre ganze Gewalt %und mann
nennt sie zauberisch. Das Hexen ist weiter nichts
als das Spiel der reproductiven Einbildungskraft.
Phantasie spielt entweder mit uns, oder wir mit ihr. Die
Phantasie spielt mit dem Menschen unwillkührlich, wenn
sie ihn dahin bringt, wo er nicht will. Sie ist für sich
selbst schöpferisch, und der Dichter folgt ihren eignen
Launen. Die Einbildungskraft macht daß man Din-
ge zu sehen glaubt, von denen der Kopf voll ist. Dies
kann zum Vortheil auch zum Nachtheil gereichen. Selbst
ein vernünftiger Mann kann sich dessen nicht enthalten.
Die Einbildungskraft macht dem Alter die Knie
schwanken, %und wenn es über einen Steig über einen Graben
geht; so denkt das Alter daß es Schwindeln wird, und
/|P_42
/kann daher wirklich den Schwindel zu Wege bringen. Der
Jugend aber stählt sie die Füsse. Sie kann eine solche Erschütte-
rung hervorbringen, die nicht grösser seyn könnte wenn die
Sache wirklich da wäre. Sie bringt bey uns Schauder zu
Wege. Sie macht daß man in Comedien zärtlich gerührt
werde.
/Immagination ist ein Vergnügen nach Willkühr. Phanta-
sie aber eine Einbildungskraft, die wir nicht willkühr-
licher Weise in Activitaet sezzen, und also mit uns spielt.
Beym «@Begriff@» <Lügner> ist die Immagination auf eine besondre Weise
thätig. Der Lügner ist eben kein böser Mensch. Das Spiel
der Phantasie kan er eben nicht zurückhalten. Die Phantasie
bringt ihm eine Verbindung von Begebenheiten hervor, die
ihn ergötzen. Dieses Spiel muß unwillkührlich seyn. Lüg-
ner von dieser Art (ich meine nicht die boshaften %und eigennü-
tzigen) behaupten daß alles was sie sagen Wahrheiten
sey. Sie erzählen blos um zu unterhalten, und haben keine
bösen Absichten. Das Lügen ist sogar erblich. Einem solchen
Menschen kann man es schon an den Augen ansehen daß er Un-
wahrheit redet. Leidenschaft macht daß die Phantasie
auch den Menschen selbst betrügt, obs zwar seine eigene Dichtung
ist; so glaubt er es doch selbst. Die Leidenschaft der Liebe
in in Abwesenheit des gelibten Gegenstandes stärker, als
in der Gegenwart, denn hier zeigt er noch die Fehler die
er hatt. Daher facht «daß» das Entfernen vom gelibten
Gegenstande die Liebe noch mehr an, statt daß er sie ver-
ringern sollte. Die Phantasie mit Leidenschaft ist schöpferisch.
/|P_43
/Die Phantasie, die fehlerhaft ist, die ist entweder:
1.) Zügellos oder 2.) Regellos. Die Zügellosigkeit besteht darin,
daß sie über das Mannigfaltige in der Natur geht. Was zügel-
los ist kann noch gezügelt werden; aber was regellos ist das
kann nicht. Regellosigkeit ist, wenn eine falsche Regel statt
Wahrheit ist. Die zügellose Phantasie ergözt versezt sich in
grosse Stärke der Anschauung. Mann kan seine Phantasie durch
Dichter solcher Art, cultiviren, stärken und bereichern. Die
Einbildungskraft schwärmt bey der Zügellosigkeit, und faselt
bey der Regellosigkeit. Bey Hypochondristen findet mann
daß sie schwärmen; aber es ist doch blos Träumerey. Wir fin-
den Nationen (im Orient) die an Phantasie und Einbildungs
kraft reich sind; andere aber an Verstand. Je weniger Ver-
stand, desto stärker pflegt die Einbildungskraft zu seyn. In
verschiedenen Tagenstunden spielt die Phantasie vorzüglich;
und zwar des Abends hatt sie mehr Schwunk, weil alsdann
weniger Gegenstände uns Eindrücke machen. Der Abend
ist gleichsam ein Vorschmack des Schlaffes, und daher kommts
daß man immer in der Nacht davon träumt was man des
Abends gedacht hatt. Den HErrn Studiosi ist zu rathen
daß sie nicht des Abends studiren sondern vielmehr des
Morgens. Was man des Abends phantasirt, denn hier
irrt die Phantasie herum, ist des Morgens nicht so bestimmt.
Die Phantasterey schwächt die Nerven. Des Abends ist man
eher zum phantasiren geneigt und man hört dan gerne
Gespenstergeschichten %und s.w. an. Die Phantasie kann
/|P_44
/eine Originalitaet haben. Originalitaet ist das was nicht
Copie ist. Mann nennt diejenigen, die Originalitaet haben,
Genies. Eine Menge Laster beruhen auf der ungezügelten
Phantasie. Mann kann bey der wollüstigen Neigung nicht die
Natur so sehr anklagen als die Schöpfung eines wollusterre-
genden Bildes, die Immagination. Eine solche Schöpfung giebt
mehr Reitze als ein«e» natürlicher Gegenstand. Der karg
Geitzige genießt in seiner Phantasie alle seine Mittel.
Wenn ein solcher Mensch Kutsche und Pferde sieht, solte mann
denken, da ein solcher immer schlecht lebt, daß es ihm miß-
falle; Aber nein denn er genießt es in der Einbildungs
kraft d.h. er denkt: er kann es thun wenn ers wolte,
weil er die Mittel dazu hatt. Viele Künste beruhen auf
Immagination aber nicht auf Phantasie, weil diese unwill-
kührlich ist. Z:E: Die schöne Baukunst beruht auf Immagina-
tion. Die Phantasie muß dem Dichter zwar einen Reich-
thum von Materialien schaffen, aber der Verstand ordnet
dieses. Wir finden daß die Einbildungskraft dem Verstande
zur Seite stehen muß (denn die Einbildungskraft macht die
Begriffe anschaulich), auch daß sie wohlthätig ist, denn sie
schaft Beyspiele Gleichnisse zur Erläuterung. Wir können
nicht beständig genießen und auch nicht durch Conversation An-
derer; sondern wir müssen uns auch selbst unterhalten. Hier
thut uns die Phantasie sehr viel, und schützt uns vor lange
Weile.
/|P_45
/ ≥ Vom Beurtheilungs_Vermögen. ≤
/Das Beurtheilungs_Vermögen sezt das Vermögen der Vergleichung
voraus, um 1.) die Aehnlichkeit und 2.) die Verschiedenheit
wahrzunehmen. Die Wahrnehmung des 1.) heißt Witz, des
2ten aber die Urtheilskraft. Manche nehmen die Urtheilskraft
im hohen Sinn als die Scharfsinnigkeit an. Scharfsinnig-
keit ist die Wahrnehmung derjenigen Vorstellungen, die nur
kleine Wirkungen thun, kleine Uebereinstimmungen und Ver-
schiedenheiten. Der Witz kann auch scharfsinnig seyn. Scharf-
sinnigkeit kann die Regeln überschreiten da sie Kleinigkeiten
(Micrologie) späht in Absicht der Uebereinstimmungen und
Verschiedenheiten. Witz ist das Vermögen Aehnlichkeiten
aufzufinden. Durch den Witz bringen wir Dinge unter
Gattungen. Durch die Urtheilkraft (iudicium discretivum)
aber unterscheiden wir Dinge, die uns einerley zu seyn scheinen.
Der Witz bringt neue Regeln vor; die Urtheilkraft aber lehrt
Einschränkungen. Der Witz ist belustigender als Urtheils-
kraft. Witz erweitert meine Erkenntnisse; die %Urtheilskraft
aber beschneidet die Flügel. Witz scherzt; %Urtheilskraft ist ernst
und negativ indem sie uns vor Irrthümer bewahrt. Jede
Einschränkung ist Zwang. Urtheil ist nöthiger wie Witz und
ist das Erste. Witz belebt das Gemüth durch Neuigkeiten.
%Urtheilskraft aber schränkt die Neuigkeiten durch Behutsamkeit
ein. Witz ist kühn und wagt Aehnlichkeiten; %Urtheilskraft aber
ist bedachtsam, bedenklich. Witz ist aufgeweckt und beliebt.
%Urtheilskraft ist zwar bedachtsam, aber doch auch hochgeachtet.
/|P_46
/Wir achten das, was Autoritaet hatt unsern Muthwillen in
Schranken zu bringen; und eben dadurch daß wir die Autoritaet
erkennen, achten wir auch die %Urtheilskraft. Witz ist eher ein Antheil
für die Jugend; %Urtheilskraft eher fürs Alter. Bey einer aus zu machen-
den Sache gehört reife %Urtheilskraft, diese wird durch Uebung erworben,
der Witz aber bringt allerhand Möglichkeiten und Gründe hervor,
die auf einer und der andern Seite zwar guht sind, aber doch hier
nicht passen. Die %Urtheilskraft wird deswegen Reif genant, weil
sie erst mit den Jahren wächst, und man wird, so zu sagen, durch
Schaden klug; der Witz aber wird mit den Jahren schwächer.
Mit Zunahme der Jahren fängt man erst an den wahren
Wehrt einer Sache zu schätzen und zu erkennen. Eine
Erkenntniß durch Verstand, so fern Witz hervor sticht, heißt
sinnreich; wenn aber %Urtheilskraft hervorsticht, scharfsinnig. Witz
ist der Qvell der Einfälle; %Urtheilskraft aber der Einsichten.
Alle Paradoxen sind als Einfälle hervorgebracht, aber auch
viele davon sind als dann Einsichten geworden. Witz kann
manches auf die Bahn bringen und %Urtheilskraft kann, wenn es erst
reiflich überlegt ist, das aus zu führen suchen. Witz ist
frigol gleichsam ein Wagestück. Witz geht, so zu sagen, auf
die Brühe und %Urtheilskraft auf die Nahrung. Es giebt ein Witz-
spiel welches man bon mots nennt. Diese sind für den Witz
das, was Sentenzen für die %Urtheilskraft sind. Der mitt Witz Pa-
rade macht heißt Witzling; der aber mit der %Urtheilskraft para-
diret heißt Klügling. Witzling ist aber besser. Witz bringt
Mode hervor; %Urtheilskraft aber bringt das, was Mode ist, in Ge-
brauch. Was Beyfall erwirbt als ein Muster, ohne zu wissen
/|P_47
/ob der Beyfall von langer Dauer seyn wird oder ob man gleich
überzeugt ist daß er nicht von langer Dauer seyn wird, macht
die %Urtheilskraft zum Gebrauch. Ein schaaler Witz ist der, der
nichts für den Verstand enthält, und heissen Wortspiele. Das
Gegentheil ist eine grüblerische micrologische Urtheilskraft.
Die Franzosen pflegen zu sagen: ein Deutscher komt nach Paris
als ein Laffe und aus Paris geht er wie ein Geck. Laffe ist ein
solcher, der aus Unwissenheit alles nachahmet. Der Geck
aber brüstet sich durch Nachahmung mit nichtigen Dingen, und will
selbst ein Obiect der Nachahmung seyn. Witz kleidet vorzüglich
die Franzosen. Der Deutsche ahmt gerne nach. Der Witz
belebt die Gesellschaft durch Schertz; aber ohne %Urtheilskraft wird
die Gesellschaft langweilig, denn es muß doch ein Inhalt seyn,
wovon man redet. Ein Witz ist launig wenn er darin besteht,
daß man die Sache aus einem gantz andern Gesichts_Punkte
betrachtet, als es sonst betrachtet zu werden pflegt. Der Witz
ist schalkhaft, durchtrieben, wenn er sich den Schein von Ernst-
haftigkeit giebt, doch so, daß die Schalkheit durchschimmert.
Voltaire ist hierin Meister. Dieses ergötzt. Witz muß
leicht zu seyn scheinen, denn wenn er Mühe kostet verliert
er seinen Wehrt. Der Witz der Engelländer ist tiefer ge-
legt, und scharfsinnig als Pope, Joung. Mancher Witz ist blos ein
grosser Mangel an %Urtheilskraft ist belachungswürdig. Es ge-
hört aber Witz dazu den Mangel der Urtheilskraft zu enthüllen.
Ein populairer Witz zeigt sich in Sprüchwörter. Hier unter
populaer wird nicht der gemeine Pöbel gemeint, denn dieses
/|P_48
/Sprüchwörter verdienen nicht angemerkt zu werden. Witz
ist nützlich zu Entwürfen; %Urtheilskraft aber zu Ausführung
derselben. Gesuchter Witz ist eckelhaft. Naivitaet zeigt
etwas geistreiches an. Witz bringt Urtheil en gros; die
%Urtheilskraft aber en detail hervor. Wenn ich einen Menschen
en gros betrachte; so kenne ich ihn noch nicht recht. Wenn
man Z:E: sagt: das ist ein guter Mensch. Ich will ja aber
nicht dein Resultat wissen; sondern die Gründe aus denen
du das Resultat folgerst. Mann muß den Menschen entweder
gar nicht beurtheilen, oder en detail. Man kann einen
Mensche aufgeweckt (dies ist Reichthum an Witz) aber auch
sich nennen (Mangel an %Urtheilskraft.). Hier wird die %Urtheilskraft
sensitiv nicht aber intellectuell genommen. Mann verwechselt
oft einen stumpfen Kopf (ohne Witz) mit einem dummen Kopf
(ohne %Urtheilskraft). Gründliche Köpfe sind immer langsam. Langsam
ist entgegengesezt dem Behenden. Witz muß behend seyn.
Der Mangel der %Urtheilskraft mit Witz heißt Albernheit,
und erregt Lachen. Der Mangel der %Urtheilskraft ohne Witz
ist Dummheit. So fern man %Urtheilskraft hatt heißt man ge-
scheid. Wenn man neben dem gescheid noch Witz hatt, abge-
witzt. Klugheit ist wenn man zugleich neben dem Witz
Verstand hat. Dumm ist der, welcher nicht weiß in wel-
chem Fall die Regel gilt oder nicht. %Urtheilskraft kann man
nicht durch Regel informiren; sondern muß geübt und
gelehrt werden. Das Gegentheil von Kopf ist Pinsel.
/|P_49
/Kopf ist der, welcher alles aus sich selbst spinnt; Der Pinsel
aber kann nur nachahmen. So lange scheint der Mensch
dum, wenn er noch nicht seine %Urtheilskraft geübt hatt.
/ ≥ Vom Gedächtniß. ≤
/Gedächtniß ist das Vermögen willkührlich die Vorstellungen
zu reproduciren. Mann sieht daß das Gedächtniß auch zwar
reproductive Einbildungskraft, auch aber noch was mehr
ist. In das Gedächtniß fassen unterscheidet sich von dem
ins Gedächtniß zurückruffen. Jens ist die Sache absichtlich
dem Gedächtniß einprägen. Das ins Gedächtniß fassen
(memoriae mandare) komt sehr auf die assotiirende Vor-
stellungen an. Die Ars mnemonica ist eine Kunst dem Gedächt-
niß zu Hülfe zu kommen. Mann kann aber eine solche Kunst
haben daß Gedächtniß zu cultiviren; sondern man muß
ihm zu thun geben. Es ist hier noch eine alte Quaestion,
des Cartesius, die eigentlich in die Psychologie gehört; wie
die ehedem gehabte Vorstellungen in uns aufbehalten
werden. Cartesius sagt: es wären Eindrücke im Gehirn.
Die Mnemonica ist eine lere Kunst, weil <wir> gar nicht den
Qvell der Möglichkeit des Gedächtnisses kennen. Wenn
man dem Gedächtniß was anvertraut; so ist
/1.) entweder mechanisch, durch blosses Wiederholen.
/2.) Oder ingenies, wenn ich dem Gedächtniß bey der Assotiation
ähnlicher Vorstellungen zu Hülfe komme.
/3.) Oder iudicies.
/|P_50
/Das ingeniese ist höchst absurd und ruinirt die %Urtheilskraft,
und sie wird verkehrt. Beym mechanischen memoriren
muß man die Worte selbst genau wissen. Z:E: beym
catechisiren. Ist dieses nützlich? So fern man aus
der Biebel die Beweisstellen nimt, ja! Das Mechanische
muß kein Mensch unterlassen. Iudicies ist wenn mann
über eine Sache raesoniret, und sich dieser Kenntnisse zur
Application bedienet, dieses hatt auch seinen grossen Nu-
tzen. Die Mittel der Reminiscens sind Verschieden.
Das reminisci sich besinnen hatt viel ähnliches mit dem
entsinnen, d.h. ich habe es in meinem Kopf ich kann es
aber aus den übrigen Vorstellungen nicht entwickeln.
Die Fähigkeiten des Gedächtnisses sind sehr verschieden.
Sie können seyn
/a.) Von grossem Umfange.
/b.) Dauerhaft.
/c.) Leicht und geschwinde.
/Ein Gedächtniß ist treu wenn es nicht falsche Vorstellun-
gen hervor bringt. Witzige Leute können leicht hier
irren. Der hatt ein promptes Gedächtniß, der nicht nothig
hatt sich viel worauf zu besinnen. Die Unfähigkeit des
Gedächtnisses ist Vergesslichkeit. Sie kann ein Fehler
seyn der reproductiven Einbildungskraft seyn, oder
wenn man es nicht recht aufgemerkt hatt. Das Bücher
/|P_51
/Lesen cultivirt das Gedächtniß. Romanen machen
den Menschen phantastisch. Mann schwächt durch die Romanen
das Gedächtniß indem man sie nicht ließt um sie zu behalten.
Es werden auch Affecten erregt. Die Nerven werden abge-
stumpft, weil man sie immer reizt. Gedächtniß ist eins
der nothwendigsten Talenten unter allen. Manche wollen
aber auf den Verstand und tiefen Einsichten Anspruch ma-
chen in dem sie sagen: "ich habe ein schlechtes Gedächtniß." Hier
lassen sie aber dies aus: "aber desto mehr Verstand." Die
Alten sagten: die Schreibe Kunst hatt das Gedächtniß zu
Grunde gerichtet. Mann prägt sich aber noch tiefer eine
Sache im Gegentheil ein, wenn sie man sie aufschreibt,
Z:E: Leibnitz. Daher haben die gemeinen Leute ein
stark Gedächtniß, weil sie nicht schreiben können. San-
guinius kann wohl ein Gedächtniß haben aber nicht sehr
treues. Plegmaticus ein dauerhaftes, aber nicht ge-
schwindes. Cholericus kann etwas bald fassen und sich
genau und praecise daran erinnern. Lebhaftigkeit ist
der Grad der Thätigkeit; Munterkeit aber des Mannig-
faltigen. Melancholicus hatt ein vasteses Gedächtniß.
Sie scheinen eine grosse Stärke des Gedächtnisses bey
Kleinigkeiten zu haben. Iulius Caesar Scalier, Magio-
bekai Billiotheckar des Herzogs von Florenz haben ein sehr
starkes Gedächtniß gehabt. Zu erklären ist es sehr schwer.
/|P_52
/ ≥ Vom Dichtungs_Vermögen. ≤
/Dichten heißt Vorstellungen und zwar neue hervorbrin-
gen, und ist ein Actus der productiven Einbildungskraft.
Der Materie nach können wir nichts dichten; sondern
alles was wir dichten ist Form. Entdecken kann mann
dasjenige was schon immer da gewissen ist aber nun jezt
erst erkannt ist. Als. America. Die magnetische Kraft
sind entdeckt. Erfinden heißt eine Eigenschaft erkennen
die noch nicht in der Erfahrung gegeben war. Z:E: Glas.
Ausfindig machen «¿»heißt wiederum zur Bekant wer-
dung herbeyführen, was zwar schon bekannt war, aber
verloren gegangen ist. Schwarz soll das Pulver nur aus-
findig gemacht nicht aber erfunden haben, denn er war
ein grosser Chimist und hatt also die Bestandtheile des
Pulvers leicht erforschen können. Aussinnen zu einem
Zwecke Mittel ausdenken. Hiedurch durch Wort aussin-
nen wird ausgedruckt, als wenn der Mensch schon alles
in sich habe. Erdenken willkührlicher Weise um et-
was für wahr auszugeben, was erdichtet ist. Lügen
ist freylich auch ein Dichten nicht zur Unterhaltung; son-
dern zur Ueberredung. Mann kann aus unschuldiger
Absicht dichten Z:E: Fabeln, auch um etwas zu illustri-
ren Z:E: die Moral durch Fabeln. Jezt kommen wir
/|P_53
/zu zwey Künste. Die Kunst Ideen des Verstandes mit
Sinnlichkeit zu belegen ist Beredsamkeit. Dem Spiele
der Einbildungskraft durch Verstandes_«@beh@»_Begriffe Einheit
zu verschaffen ist Poësie. Beredsamkeit ist ein Geschaft
des Verstandes durch Einbildungskraft belebt. Poësie
ein Spiel der Einbildungskraft durch den Verstand geord-
net. Poësie ist ein Spiel und muß aus sehen wie ein Geschäfte.
Beredsamkeit ist ein Geschäfte und muß aus sehen wie ein Spiel.
Alle schönen Künste gehören zur Dichtkunst, weil doch die pro-
ductive Einbildungskraft alles schaft. Der Redner verspricht
Belehrung durch den Verstand %und gewinnt die Zuhörer durch seine
Einbildungskraft, und ist also ein Spiel. Der Dichter kün-
digt ein Spiel der Einbildungskraft an, und belehrt also
doch durch den Verstand. Der Redner thut «@recht@» <weniger> als er ver-
spricht; der Dichter aber mehr. Die Beredsamkeit geht da-
rauf hinaus um zu belisten zu überreden, und wendet sich
nicht an den Verstand sondern an die Sinnlichkeit anderer.
Dichtkunst ist vorzüglicher als die Redekunst. Es kann kein
ordentlicher Redner seyn, der nicht zugleich Dichter ist. Die
Dichtkunst hintergeht nicht. Wenn wir die Beredsamkeit
als ein Kunst ansehen, so können wir sie eintheilen
/1.) In Beredheit. Dies wäre ein Reichthum an Gedanken.
/2.) Wohlredenheit ist eine regelmäßige Beredsamkeit.
/3.) Beredsamkeit.
/Mann könte auch die Redseeligkeit hie zu rechnen aber nicht
füglich, denn sie ist ein Hang andern seine Gedanken
/|P_54
/mitzutheilen. Die Wohlredenheit ist nichts verdienstli@ches.@
Beredsamkeit ist die Geschicklichkeit einen andern zu über-
reden %und zu gewinnen.
/a.) Dadurch daß man das wählt, was das Volk am liebsten
hatt Z:E: die Freyheit.
/b.) Um die Neigungen anderer zu benutzen.
/Worin ist ein Dichter glücklicher, in der Fabel oder Wahrheit@?@
Da sie ein Spiel seyn wollen; so müssen sie sich nicht an die
Wahrheit binden. Die Natur ist die schönste Dichterin. Der
Zeitpunkt wo die Beredsamkeit im Staate florirt hatt, ist
immer der Fall des Staats. In der Beredsamkeit muß Popula-
ritaet %und Klarheit der Begriffe seyn. Wenn Beredsamkeit
Mühe macht; so ists kein Verdienst weil sie eine Täuschung ist.
Mann hatt auch eine poëtische Prosa, dieses nennt aber Hugo
Blaire die tollgewordne Prosa. Es ist keinem Menschen
zu rathen daß er von der Dichtkunst Profession macht.
Warum erfordert doch das Dichten Silbenmaaß? Sie hatt
sich selbst diesen Zwang angelegt. Das Silbenmaaß ist gleich-
sam ein Tackt %und ließt sich leichter fort. Wenn man etwas
gewisses tacktmäßig sagt so wiederholt es sich von selber.
Daher kommts daß man die Sentenzen aus Dichter nimt.
Woher ist der Reim im Occident entsprungen? Die Proso-
die war bey den Alten im Orient gantz bestimt allein
im Occident waren sie nicht gantz bestimmt. Der Reim
hatt viele Annehmlichkeiten besonders wenn er glücklich
/|P_55
/ist. Es ist schön, daß der Reim der zweyten Reihe eher
zu seyn scheint als der ersten, damit sie nicht gleichsam der
ersten Reihe nachhinkt. Wenn in der Prosa Scansion und
wohl sogar Reime sind; so klingts übel. Die Dichter
haben die Licentiam Poëticam d.h. sie haben die Freyheit Fehler
zu begehen und alte Wörter zu gebrauchen. Die Poësie ist
eher als die Prosa, denn, ehe man die Schreibekunst hatte,
sprach man im Verse %und Reime um es besser zu behalten.
Wie mann nun die Schreibekunst erfand; so schrieb man
auch in Versen. Rohe ungebildete Nationen sind immer
poëtischer als cultivirte gesittete Nationen, und sie reden
immer in Bilder. Eine mittelmäßige Rede ist wohl
leidlig aber ein mittelmässiges Gedicht gar nicht, weil
mich der Dichter gleichsam nöthigt zu Tanzen. Wenn dieses
mit Pomp geschiht; so ists angenehm. Dichter sagt man
müssen gebohren werden; dies aber sagt man nicht vom
Redner, weil man dieses gleichsam lernen kann. Die
Poësie scheint aus einem gewissen Instinct entflossen
zu seyn, scheint ein Hang der Einbildungskraft zu seyn,
denn sie nicht zurückhalten kann. Dichter müssen keine
Mühe, keine Peinlichkeit verrathen sondern Freyheit
der Einbildungskraft. Unwillkührlich im Wachen dichten
heißt schwärmen. Unwillkührlich im Schlafe dichten
ist Träumen. Den ersten nennt man auch nach der Analogie
/|P_56
/einen Träumer. Ein Geschäft, das ein Spiel ist, muß an sich se@lbst@
angenehm seyn. Wenn man wieder Willkühr schwärmt,
so wird man ein Hipochondrist, %und man kann ihrer gar
nicht los werden. Träumen ist ein wirkliches Dichten,
ist ein Spiel der Einbildungskraft, welches eine Wahr-
nehmung der Sinne hatt. Mann ließt sogar im Schlafe schöne
Verse die man doch nothwendig dann selbstgemacht haben muß,
aber es ist nichts als Täuschung. Wir gehen im Traume mit
Personen um, die längst todt sind. Oft rührer Träume von
der Lage des Körpers her. Phantasie soll seyn ein Träumer
der mögliches sich wirklich denkt. Ein Phantast mit gutem
Grundsatz mit Affect ist ein Entusiast. In der Welt
ist viel böses durch den Entusiasmus geschehen. Der Mensch
würde sterben, wenn nicht die Phantasie im Schlafe würkte.
Der Mensch träumt immer, aber er vergißt oft was er
geträumt hatt.
/ ≥ Vom Vorhersehungs_Vermögen. ≤
/Das Verlangen dazu ist beym Menschen unbegrenzt, weil
die Begirden immer auf das, was künftig ist, gehen. Es
giebt
/1.) Eine sinnliche Art künftige Dinge vorherzusagen (exspe-
ctatio casuum similium). Das lex casuum exspecta-
tionis similium finden wir bey den Thieren. Mann
nennt es auch Ahndung (praesagitio.) Von diesem Ver
mögen ist das Vermögen zu wahrsagen (divinatio) unterschieden.
/|P_57
/2.) Die prophetische Gabe; das Vermögen zu wahr und
weissagen. Die Grichen nannten den, der verworren re-
dete $mantes$, %und den; der dieses auslegte $prophetes$.
/Die Auslegung der Träume ist die Kunst aus den Träumen
künftige Dinge zu erfahren. Astrologia iudiciaria
ist die Sternkunde, wo die Sterne als Charactere be-
trachtet werden. Z:E: unter welchem Planeten man ge-
bohren ist, um zu sehen ob man glücklich oder unglücklich
leben werde. Vorzüglich findet man dieses bey den Türken
und Perser. Die Zigeuner ein Volk, das an der Grentze
von Persien wohnt, beschäftigen sich auch mit dieser Art
von Astrologie. Daß man in Persien vorzüglich diese
abergläubische Gebräuche findet kommt daher, weil sie
vor Zeiten die Sterne anbeteten.
/Eine symbolische Erkenntniß wird nicht der intuitiven,
sondern der discursiven entgegengesezt, denn in einer
symbolischen Erkenntniß giebt es ja Anschauungen.
Z:E: Jupiter Ammon wurde mit einem Schafskopfe
abgebildet um anzuzeigen wie gütig er war daß er das
Schaaf zahm und zum Hausthiere zu machen erlaubte.
Es giebt Schwärmer, welche das ganze alte Testament zur
symbolischen Erkenntniß machen wollen. Z:E: Schweden-
burg. Signum demonstrativum ist wenn mir Röthe ins
Gesicht steigt.
/|P_58
/Signum memorativum ist ein Wahrzeichen Z:E: Leichen-
steine, Muschelschacht in den Bergen, die Ueberschwem-
mungen. Signa prognostica sind künftige Wahrzeichen@,@
Z:E: Die Krankheit giebt dem Arzt signa prognostica.
Die Himmelszeichen Z:E: die Cometen. Die Zahl 9 ist bey
Chinesern und die Zahl 7 in Palestina berühmt. Daher
hatt auch der Keiser 9999 Schiffe.
/ ≥ Vom Ober_Erkenntniß_Vermögen. ≤
/Das Ober_Erkenntniß_Vermögen ist der Verstand der obern
Bedeutung. Der Verstand ist das Vermögen der Regeln.
Der Verstand in der Obern Bedeutung wird nun eingetheilt
in Verstand dies ist das Vermögen der Begriffe: Urtheils
kraft ist das Vermögen unter Regeln zu subsumiren: und
Vernunft ist das Vermögen der Schlüsse (der Principien).
Beym Ober_Erkenntniß_Vermögen sagt man er hatt
/1.) einen richtigen Verstand.
/2.) Eine geübte Urtheilskraft.
/3.) Eine folge recht (Consequentz im Denken). Ohne Prin-
cipien kann kein Mensch «@¿¿s@» consequent <¿> seyn. Es ist jedes
Menschen Pflicht
/1.) Selbst zu denken das thut der Verstand.
/2.) Sich in die Stelle eines andern im Denken versetzen.
Das thut die Urtheilskraft. Der dies nicht kann ge-
räth in Irrthümer. Irrthum ist ein Schein. Ein Schein
ist wenn ich einen subiectiven Grund für einen obiectiven
/|P_59
/halte. Die Gewohnheit macht auch daß ich glaube der Grund
liegt im Obiect da er doch im Subiect ist. Der sich nicht in die
Stelle eines Andern im Denken versezzen kann von dem sagt
man er ist bornirt.
/3.) Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu seyn im Denken.
Dies ist von Allem das schwerste. Inconsequent im Denken
zu verfahren ist ein grosses Uebel Z:E: in der Religion.
Ein böser Mensch kann doch consequent im Denken seyn.
Der Inconsequenz haben wir vieles zu verdanken Z:E: wenn
mann böse Principien hatt.
/1.) Daß der Mensch wissen muß was er will ist der Verstand
/2.) Worauf komt es an daß es geschiht, daß es bestimmt
wird ist die Urtheilskraft. Dies ist ein sehr sonderba-
res Vermögen beym Menschen, weil es nicht kann infor-
mirt werden sondern exercirt werden muß. Den Verstand
aber kann man informiren durch Regeln. Wer von Na-
tur keine Urtheilskraft hatt wird keine auch bekommen.
/3.) Worauf läuft alles hinaus, welches ist der Endzweck?
Dies ist die Vernunft. Die Frauenzimmer pflegen ein
Proiect, welches sie sich vorgesezt haben, auch auszuführen.
Sie wenden auch feine Urtheilskraft an, aber am Ende
wissen sie selbst nicht wo es hinausläuft, was sie damit
wollen. Die Vernunft zeigt sich in reifern Jahren.
Wenn ich Jemanden bestimmte Regeln gebe so darf er
/|P_60
/nur Verstand haben. Wenn es aber Jemanden überlassen
ist zu urtheilen unter welcher Regel ein Fall paßt; so muß
er Urtheilskraft haben. Wenn ich aber Jemanden gar
keine Regeln gebe sondern ihm nur meinen Zweck sage; so
muß er Vernunft_Principien haben. Ein Comissarius
muß Verstand; ein Mandatarius Urtheilskraft; ein Ple-
nipotentarius Vernunft haben. Es giebt Personen
bey den man sagt: Verstand kommt nicht vor Jahren; hier
meint man aber die Urtheilskraft, denn sie kommt nur
nicht vor Jahren. Der Verstand aber kommt oft vor
Jahren. Wenn man vom gesunden Verstand redet; so meint
man zwar den Verstand, wenn er auch in engen Schranken ist,
aber vorzüglich die Urtheilskraft. Es giebt Menschen
die mehr behende als gründliche Begriffe haben Z:E: Frie-
derich_II. Solche Begriffe können ohne Urtheilskraft
statt finden. Der Verstand, der auf vielerley geht (das
nennt man die französische Allwissenheit) «¿» ist eigentlich
nicht der gesunde Verstand. Es kann viel Argliest
bey einem Menschen ohne vielen Verstand geben. Zu dem
Menschen, der nicht List besizt, pflegt man zu sagen: er
hatt das Pulver nicht erfunden; er wird das Vaterland
nicht verrathen; denn wenn ich was Böses durchsezen
will so ¿stossen mir viele Hindernisse in den Weg,
und ich muß dan List gebrauchen. Man pflegt zu sagen
/|P_61
/auch zu einem solchen Menschen: er ist kein Hexenmeister
d.h. er ist dum. Durch diese alle Ausdrücke will man
sagen der Mensch möchte, wenn er Kraft genung hätte, viel
böses thun, als er jezt wirklich thut; Den Willen
haben sie wohl. Mann glaubt der Betrüger muß klüger
seyn als der Betrogene. Dies ist aber oft falsch. Die Ver-
nunft zeigt sich vorzüglich in Freyheit von Aberglauben,
Schwärmerey auch wohl «¿¿» Leichtgläubigkeit. Wunder
ist das was wieder die Gesezze der Natur geschiht. Ein
Wunder zu glauben dazu gehören viele starke Beweise.
Die Vernunft verstattet nichts zu glauben, was nicht aus
Principien kann hergeleitet werden. Wenn ich Wunder
glaube; so hört der Vernunftgebrauch auf. Theosophie
Theurgie und dergleichen Aberglauben ist der Vernunft
zuwieder.
/Die Distraction ist von der Dissipation unterschieden.
Ich kann mich willkührlich dissipiren. Die Dissipation
geschiht
/1.) Wenn ich meine Gedanken auf viele Gegenstände ver-
theile zur Erholung.
/a.) Wenn ich von allen diesen Gegenständen abstrahire.
/Die Attention auf einen Gegenstand macht Ermüdung.
Die Kunst sich zu dissipiren ist sehr guth. Die «Empf» Eigen-
schaft der Distraction ist sehr übel sie geschiht unwill-
/~δ_Rand_061_Z_18
/La_Fontaine fragte
einen Bischoff "hatt
König David bessere
Gedichte gemacht, als
unser Dichter einer?
Er antworte sie haben
einen Strumpf verkehrt
angezogen. - %La_Fontaine
war also zerstreut, den
wie konnt er so unge-
reimt fragen %und in der
Zerstreuung hatt er den
Strumpf verkehrt angezogen. ~
/|P_62
/kührlich, verdirbt die Aufmerksamkeit und komt von
Romanen Lesen her. Wenn einer, der nichts du denken
hatt, zerstreut ist; so hatt er Böses im Sinne. Ein Frauen-
zimmer muß nicht zerstreut seyn weil sie wegen der Deli-
catesse immer auf ihrer Hut seyn muß. Gelehrte können
zerstreut seyn. Ein Mathematiker nicht.
/ ≥ Von der Mündigkeit und Unmündigkeit. ≤
/«Unmündigkeit» ist das Unvermögen sich seinen Verstandes
in Geschäften ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sie
kann seyn
/1.) Entweder natürlich <geht auf alles, was zur Nothdurft gehört.>, oder
/2.) *1 δ_Läsion (moralisch.) von dem Verhältniß in dem der
Mensch ist. Zu dem ersten gehört der Mangel an Jahren, %und
zu dem zweyten muß er in Ansehung seines Talents unter
anderer Leitung seyn. Dem weiblichen Geschlechte rech-
net man immer Unmündigkeit an und man gibt ihm einen
Curator. Die Geistlichkeit zwingt die Menschen nicht an-
ders von der Religion zu glauben als sie sagen. Manche
Menschen überlassen sich daher der Geistlichkeit gantz in der
Religion aus gewisser List %und Tücke, machen sie selbst unmün-
dig damit sie nicht künftig viel zu verantworten haben.
Wenn die Regirung despotisch ist; so sind die Unterthanen
unmündig gemacht. Minorennitaet ist natürliche Unmündigkeit,
Z:E: der Kinder, Jünglinge. In der Natur ist ein Jüngling
der sich selbst erhalten %und seine Art erzeugen %und auch sie erhalten
/~δ_Rand_062_Z_2
/Man kann auf gewisse Ob-
iecte zerstreut seyn. Die
willkührliche Gedankenlo-
sigkeit gewährt nicht Er-
holung, sondern der Wechsel.
Abstracte Köpfe sind «¿¿h»
zerstreut. Empirische
sind aber nicht, daher sind
die Frauenzimmer auch nie
zerstreut.
/δ_Z_12
/*1 In seinem Bürgerleben
/δ_Z_13
Es entstand die Frage bey
der Accademie: soll man
die Vorurtheile des Volks
heben, oder ihnen noch
darin beförderlich seyn,
damit man sie besser re-
giren zu können?
/δ_Z_19
/Die Weiber halten die
Männer für unmündig.
Vor Gericht sagt sie zum
Mann: Ja laß du mich nur
reden, %und nun findet sie
kein Ende. Dies nennt
man Maulwerk. ~
/|P_63
/kann; folglich auch mündig; aber im bürgerlichen Leben
nicht. Ein Jüngling im 16, 17ten Jahr kann schon seine Art er-
zeugen %und sie erhalten aber im bürgerlichen Leben in man-
chen Ständen nicht, denn er muß hier dann noch lernen.
Es entstehen daher viele Laster (wie Rosseau sagt) weil
der bürgerliche Stand vom natürlichen unterschieden ist.
Z:E: der Trieb beym Jünglinge seine Art zu erzeugen.
Die Unmündig Haltung %und die Religions_Lehren dienen dahero
dazu um die Menschen besser regiren zu können. Es machte
Jemand einmal eine Predigt über diesen Vers: Isa schor
ist ein beinerner Esel zwischen 2 Birnen. Die Birnen
theilt er nun sehr guth ein in die Staats %und Religions-
Birne.
/ ≥ Von den verschiedenen Talenten des Menschen. ≤
/Talente sind Naturgaben. Sie werden eingetheilt:
/1.) Nach den Gemüthsfähigkeiten. Es giebt Leute
die ein Starkes Erkenntniß_Vermögen, Urtheilskraft
Sagacitaet, Vorsichtigkeit haben. Ein anderer hatt Gedächt-
niß; ein anderer stellt Erfahrungen, %und wird durch sie belehrt.
Manche haben a priori grosse Erkenntnisse stellen aber
keine Erfahrungen an. Z:E: so giebt es daher gute theo-
retische Medici.
/2.) Nach den Obiecten. Mann sagt: er ist ein mathematischer,
poëtischer, philosophischer, mechanischer Kopf. Von
diesen Talenten können wir diese Eintheilung machen: das
mechanische Talent ist vom Genie unterschieden. Erstes ist
blos eine Nachahmung. Ein Mensch von eingeschränkter
/~δ_Rand_063_Z_3
/Ein Landes_HErr mögte
die Unterthanen unmün-
dig machen, wenn er
@ihnen@ Gesezze über den
Gebrauch des Wohler-
worbenen gäben. Z:E:
Ueber den Aufwand,
Essen.
/δ_Z_15
/Es kann seyn b. ein
munteres a. Ein trä-
ges Talent. Es kann
aber erweckt werden.
Es giebt:
/a.) empirische ZE: im
Arzt.
/b.) rationale Köpfe,
durch sich selbst, oder
nach Principien.
/δ_Z_24
/Ein critischer Kopf,
der die Unterscheidungs
gründe in den Erkennt-
nisse angiebt. ~
/|P_64
/fähigkeit kann doch ein guter mechanischer Kopf sey@n.@
Mann kann die Mathematick ganz auslernen was andere
gedacht haben; aber mit der Philosophie gehts nicht so,
man muß hier selbst denken. Ein Talent, was aus ihm
hergeleitet wird ist original. Die Originalitaet
verspricht uns eine neue Regel. Es giebt origina@le@
Narren, auch kluge Leute. Genie ist ein exemplaris@ch@
originelles Talent. Originalitaet darf nicht imm@er@
exemplarisch (d.h. nachahmungswürdig) seyn. Alle Nach-
ahmung scheint unedel zu seyn. Nachahmung kann von
Nachäffung unterschieden werden. Nachäffung ist ein
Nachmachen %und also mechanisch. Vergil mußte Genie ha@ben@
den Homer nachzuahmen. Originalitaet wird als
verdienstlich angesehen, denn sie verspricht eine neue Regel
eine Erweiterung. Das Talent der Originalitaet nen@nt@
man mechanischen Kopf. Auf mechanischen Köpfen ruht
die Erhaltung des gemeinen Wesens. Original erscheint
man, wenn man unabhängig von dem Zwange der Regel
erscheint. Genie ist ein Talent, durch welches die Natur
dem Menschen zur Kunst die Regel giebt. Es bringt was
hervor, wo es selbst nicht weiß, wie es dazu gekommen
ist. Neue Regel die nicht durch Kunst ersonnen, sondern
aus der Natur entsprungen sind, sind Früchte des Genies.
Genie nennt man Kopf; aber ist doch nicht Genie. Mann
kann nachahmen ohne unsern Willen ist aber doch nicht Ori-
ginalitaet. Um original zu scheinen verlassen
/~δ_Rand_064_Z_3
/Philosophischer Kopf ist
Vernunfterkenntniß
durch grosse Begriffe;
mathematischer aber durch
Construction der Begriffe,
d.h. die Darstellung der
Begriffe in der Auffas-
sung a priori. In
der Mathematick ist ein
Fehler leichter zu %entdecken
als in der Philosophie.
Kopf bedeutet das ganze
Erkenntniß_Vermögen.
Pinsel ist ein Nachahmer,
ist nur Maschiene.
/Kopf theilt man ein:
1.) mechanischen Kopf,
%und 2.) Genie, wenn das
Talent schöpferisch ist.
Mechanick ist das Verfahren
nach gegebenen Regeln.
Ein riesenmäßiges Ge-
dächtniß kann man auch
Genie nennen.
/Genie kann man cultivi-
ren, aber nicht durch Kunst
hervorbringen. ~
/|P_65
/manche die Regel %und @«verfehlen»@ verfahren also regellos.
Originalitaet ist möglich von originalen Narren.
Originalitaet muß aber auch exemplarisch seyn. Genies
die original exemplarisch seyn machen Epoche. Wenn Genies
nach ein andern auftreten möchten; so möchten beständig
Epochen seyn. Es kann aber nicht so seyn, denn aus jeder
Epoche muß man Nutzen ziehen %und das dauert lange.
Ein glänzendes Genies, das Epoche macht, hält viele
andere Genies zurück. Ein Genie hatt auch gewisse Prae-
vilegia, (licentiam) die ein anderer nicht hatt, denn er
kann mannigmal von der Regel abweichen. Sich über die
Bedenklichkeiten der Regeln weg setzen, dazu gehört
Muth. Genies aber geben auch viel Unfug an. Verse machen
ist eine mechanische Kunst; «¿¿¿» aber «¿¿¿» zu dichten ist
Genie. Genie kann man ein schöpferisches Talent nennen.
Ein Virtuose ist ein Künstler. Componist kann ein Genie
seyn. Die durch Nachahmung Sachen der Kunst hervorbrin-
gen, kann man Virtuosen nennen. Die durch natür-
liche Triebe Musici sind haben für nichts Sinn.
/ ≥ Vom Genie. ≤
/Zum Genie gehören folgende Talente:
/1.) Einbildungskraft %und zwar originelle Einbildungs-
kraft. Sie ist allein schöpferisch. Alle Genies beruhen
hauptsächlich auf die Stärke der Einbildungskraft %und
ihrer Schöpfung. Genies sind alle launigt. Daher lassen sich nicht
ihre Producte erkaufen.
/~δ_Rand_065_Z_2
/Manche wollen original
seyn, weichen daher von
allen Regeln ab; solche
Streiche nennt man Genie
streiche.
/Wahn der Unabhängig-
keit von einschrenken,
Regeln ist eine Einbil-
dung des Genies.
/Das Genie kann zügel-
los seyn aber muß nicht
regellos seyn.
/Genie kommt her von
Genius. Die Alten ver-
standen hierunter einen
angebohrnen Geist, der
den %Menschen überal begleitet.
Gen«ius»ie übersezzen wir
angebohrnen Geist.
Unter Geist verstehen
wir ein belebendes
Princip in uns.
/Das negative ist im
Genie, Originalitaet;
das positive, Exem-
plaritaet. ~
/|P_66
/2.) Gefühl, Empfindung. Das Gefühl geht beständig
auf den Ausdruck. Man muß ein Product der Einbil-
dungskraft gleichsam aus Interresse hervorbringen.
/3.) Geist. Der Compositeur muß Geist hervorbringen. Geist
ist ein belebendes Princip. Man sagt vom Frauenzimmer
es ist zwar schön hatt aber nicht Geist d.h. kann nicht un-
terhalten. Geist nennt man auch Schwung. Schwung
ist eine Bewegung, die, wenn sie einmal eingedrückt
ist, immer fort geht.
/4.) Geschmack. Der Geschmack ist aestetische Urtheils-
kraft, ist die höchste Vollkommenheit aller Producte
des Genies. Zum Geschmack gehört das schickliche, woh@l@-
anständige, abgemessene.
/Das Genie (wenn man es mit dem Baume vergleicht)
äussert sich bey den Deutschen in der Wurzel d.h. rei@fer@
Verstand. Bey den Italiener in der Krone d.h. in
der «Art des Vortrages» <Grösse der Belebung>. Bey den Franzosen in der
Blüthe <d.h. Geschmack.>. Bey den Engelländern in der Frucht <d.h Inhalt>
Es giebt früh reife Köpfe, diese kann man aber nicht
Genies nennen, %und sie leben auch gemein hin nicht lange.
/ ≥ Von den Gemüthskrankheiten. ≤
/Gemüthskrankheiten werden diejenige Abweichungen
des Gemüths von einer gewöhnlichen Stimmung genant, die
keine sichtbare Krankheit des Körpers mit sich führen. Die
Gemüthskrankheit liegt in der Seele. Man versteht oft
/~δ_Rand_066_Z_2
/Licentia poëtica ist die
Freyheit vom Zwange der
conventionellen Regeln.
Die Freyheit haben sie darum,
weil sie original seyn
sollen. Genie wird durch
den Mechanism der Regeln
leicht geschwächt.
/Ideen sind Vorstellungen,
welche keine Gegenstände
der Erfahrung sind; sondern
blos Producte des Erfin-
dungs_Vermögens.
/Geist ist das Vermögen
durch Empfindungen
Ideen zu erhöhen.
/Gefühl ist blos Empfäng-
lichkeit für den Geist.
/Geschmack ist Beurthei-
lung der Ideen der Einbil-
dungskraft. Es ist das
was Horatz ausdrückt:
suaviter in modo,
fortiter in re.
Angenehm in der Manier,
Gründlich in der Sache,
Vortrage. ~
/|P_67
/unter Gemüthskrankheit Melancholie, aber die Gemüths
krankheit ist allgemeiner. Mann kann sie eintheilen:
/1.) In die Grillen Krankheit (Hipochondrie); %und
/2.) Gestörtes Gemüth (delirium.)
/Der Hipochondrist weiß daß er sich nicht selbst besizt d.h.
seine Gedanken nehmen einen Lauf, den er selbst nicht will.
Der Verrückte weiß aber davon nichts. Der Hipochondrist
sucht sich von den Gedanken abzuziehen; der Delirus aber kann
das nicht. Vom Delirus ist der Blödsinn zu unterscheiden.
Blödsinnig ist ein solcher, der nicht die gehörigen Fähigkeiten
zu seinen Zwecken hatt. Delirium kann seyn
/1.) Generale %und
/2.) Circa Obiectum.
/Generale ist die Regellosigkeit der Gedanken in Ansehung aller
Obiecte; Circa obiectum ist aber ein Mensch delirus wenn er
blos bey einem Obiect nicht seinen Verstand gebraucht; aber
fast bey allen andern. Delirium kann betracht werden in
/1.) Ansehung der Sinnlichkeit %und
/2.) des Verstandes.
/In Ansehung der Sinnlichkeit d.h. dessen was auf Anschauung,
%und in Ansehung des Verstandes d.h. solches was sich auf Begriffe
bezieht. In Ansehung der Sinnlichkeit ist die Gemüthskrankheit
/a.) Unsinn. Unsinn wo der Mensch sich gar nicht in seiner Gewalt
hatt, ist das Unvermögen aller Ueberlegung. Unter dem
Worte toll versteht man oft verrückt. Verrücktheit
ist die Unheilbarkeit des gestörten Gemüths (dementia)
/Unsinnigkeit kann
/$a$.) mit Gewaltthätigkeit %und $b$.) mit Zorn verbunden seyn.
/~δ_Rand_067_Z_3
/Die Unregelmäßigkeit des
Gemüths kann seyn
/1.) Von einer trübsinnigen
Art. Melancholie
/2.) Und von einer lustigen.
Albernheit.
/δ_Z_14
/Ein Jeder %Mensch hatt ein
Obiect von dem er
gern raisonnirt.
Es ist auch einigermaßen
gut.
/δ_Z_23
/Die Tollheit, wenn sie
zornig ist, wird Raserey ~
/|P_68
/Das erste heißt Tollheit %und das 2te Raserey.
/b.) Wahnsinn. Wahnsinn ist die Täuschung nach welcher der Mensch
das jenige was er sich selbst erdenkt, für wahr annimt.
Wahnsinnige halten nichts auf Sinne anderer; sondern sie
trauen allein ihren eigenen. Wahnsinn kann mit ziemlich
viel Verstand bestehen, denn es ist nicht ein Fehler des Ver-
standes sondern der Einbildungskraft. Der mit Wahnsin@n@
befallen ist kann sonst ein sehr vernünftiger Mann seyn.
/2.) In Ansehung des Verstandes. Jedes Vermögen des Ver-
standes hatt seine besondern Fehler. Mancher Leute Stöh-
rung beruht blos auf die %Urtheilskraft so daß sie alles auf
sich appliciren, was sie sehen oder hören. Diejenige Stöh-
rung des Gemüths, wo man glaubt daß man lauter Feinde
habe kann gar nicht geheilt werden; die aber die mit der
Raserey verbunden ist, ist noch immer zu heilen. Die Stöhr@ungen@
des Gemüths in Ansehung des Verstandes können seyn
/a.) Wahnwitz beruht vorzüglich auf die %Urtheilskraft.
/b.) Aberwitz. Aberwizig ist ein solcher Mensch, der auf ein@e@
falsche Art grüblich ist. Aberwiz ist so viel als Afterw@itz@
Ein sich selbst überspringender Witz, wo sich die Vernunft
selbst in Unsinn verwickelt. Mann sagt von einem Mensch
er hatt einen Raptus; so wie mancher Mensch nicht Krankh@eit@
sondern nur kranke Zufälle hatt; so hat auch mancher Men@sch@
Zufälle wo er fast gestöhrt ist %und dies heißt raptus. Läunig
ist ein Mensch der veränderlich ist; so daß er sich nach den ver-
schiedenem Wechsel des Mondes auch in Ansehung seiner Ge-
müths Disposition verändert; so daß er bisweilen verrüc@kt@
wird.
/~δ_Rand_068_Z_9
/Von den 3 Vermögen des
Ober_Erkentniß_Vermögens
kann jedes seine Krank-
heit haben.
/δ_Z_13
/Es giebt gar keine Freund-
schaft, denn alles was
einer seinem so genanten
Freunde«¿» thut, thut
er aus Entusiasmus,
Zuneigung u.s.w.
%und nicht aus kalter Ver-
nunft.~
/|P_69
/Man findet selten ein tolles Kind; wo selbst die Tollheit erblich
ist da findet sie sich doch erst bey Entwickelung der Kräfte. Mann
sagt der Mensch hatt einen Wurm d.h. er hatt ein delirium circa
obiectum. Die Gemüthskrankheiten sind ordinair erblich,
%und es ist falsch wenn Jemand wenn man sagt: daß man durch Liebe
%und dergleichen toll geworden ist, denn wenn mann recht nachsucht
so findet mann daß der Wurm schon in ihm liege, denn wenn
er nicht schon verrückt gewesen wäre; so würde er sich nicht
in eine solche Person verliebt haben die für ihn nicht accessibel
ist. Wenn man toll ist; so ist es gewiß daß andere in der Familie
toll gewesen sind %und noch seyn werden. Sie ist zwar nicht nothwendig
aber sie bleibt doch in der Familie. Wie Schottland noch von Engelland
getrennt war, so wurden alle die toll waren castrirt, damit die
Tollheit nicht fortgepflanzet würde. Man sagt: "er hatt sich über-
studiert". Man glaubt von einem Menschen, der stark über den
Bücher liegt, daß er toll wird; Er würde es aber nicht werden
wenn er nicht schon die Tollheit geerbt hätte, %und seine Tollheit
äußerte sich hier beym Studiren. Andere bey der Liebe. Mann
sagt auch: "er ist über die Linie gesprungen." weil viele Menschen
die nach Ostindien reisen, toll werden, aber sie waren schon
toll. Man nennt einen Menschen einfältig der noch in den Grenzen
der gesunden Vernunft geblieben, %und noch nicht ganz verrückt ist;
Es ist so viel als blödsinnig, wie man es von manchen regirenden
HErren gebraucht. Es ist auch so viel als dum, nicht gescheit,
Geck, Laffe, Thor, Narr. Die Verstimmung der Gemüths-
kräfte ist noch nicht Gestörtheit. Mancher möchte ein sehr kluger
Mann seyn, wenn einige seiner Gemüthskräft@en@ herauf«¿» %und andere
herab gestimmt wären. Thor ist ein solcher der einen größern
/~δ_Rand_069_Z_2
/Die Eltern eines tollen
Menschen dürfen just nicht
toll seyn von denen er
die Tollheit geerbt hatt,
sondern sein Groß_Vater,
Urgroßvater %und s. w.
/Es giebt 1.) eine tumul-
tuarische %und 2.) eine
methodische Dollheit.
Man sagt von einem
%Menschen er hatt den @Spaar@.
Ein @Speer@ war das
allerälteste Wapen,
%und davon mag es wohl
herkommen.
/δ_Z_19
/Zerstreuung ist die Ver-
nachläßigung der
Atention.
/Laffe wird allerwerts be-
trogen.
/Geck ist ein solcher, der
schon Jahre hatt, wo man
Verstand hatt, doch Nei-
gungen des Kindes hatt.
Er wird verspottet. ~
/|P_70
/Werth in solche Dinge sezt, die der vernünftige Mensch
nicht schäzt. Der Narr sezt den größten Werth in sich
selbst.*1 Ein Mensch der gar keine Thorheit hatt ist unangenehm.
Ein Thor wird belacht; ein Narr aber ausgelacht d.h. sie
wird zum Gegenstande des Spottes gemacht. Der Narr wird
sogar verrachtet, denn die Narrheit besteht vorzüglich im
Hochmuth %.das ist er will haben andere sollen ihn höher schäzen
als sich selbst. Wer dies thut, der beleidigt, wer beleidig@t,@
wird gehaßt, folglich wird ein Narr gehaßt. Die Welt ist mit
Thorheit angefüllt; sie wäre liebenswürdig wenn keine Thorheit
wäre. Unter den verschiedenen verstimmten Köpfen ist der Pha@n@-
tast zu merken. Es giebt einen Phantast in Ansehung der
Erkenntnisse, der Zwecke, %und des Gefühls. Ein Phantast in
Ansehung der Erkenntnisse ist ein solcher der sich keine Reali-
taet geben läßt. Mann kann sich zwar einen solchen denken
aber er ist nicht wirklich. Ein Pantast des Gefühls d.h.
eines übersinnlichen Gefühls, ist ein Schwärmer. Der
Enthusiast ist der Phantast des Begehrungs_Vermögens
mit Affect. Ich muß mich durch nichts in Affect bringen
lassen, denn Affect ist der Zustand des Gemüths, wo der Mensch
sich nicht in seiner Gewalt hatt. Der Entusiast kann oft ein@en@
guten Zweck haben, aber er ist zu sehr übereilt.
/Die Welt ist auf verschiedene Art vorgestellt:
/1.) Als ein Wirthshaus, weil wir hier als Gäste sind %und
sie bald verlassen müssen.
/2.) Plato hatt sie genannt ein Zuchthaus. Er sagt: "die guten
Geister sind zur Strafe in thierische Körper gestossen.
/~δ_Rand_070_Z_3
/*1 als ihm zukommt.
/δ_Z_4
/Hochmut ist ein Ansinnen
daß andre mich hoch und
sich selbst gering schäzzen.
Er ist Beleidigung.
Nar handelt dem Zwecke
gerade entgegen. Der
da Anspruch auf Achtung
macht, dem ver@wei@gert
man selbige.
/Ein Narr des Verstandes
kann seine Narrheit coloriren.
Man sagt von einem Menschen:
er ist nicht dumm, aber toll;
denn um toll zu seyn muß
er nicht dum seyn.
/Plato sagt: es wäre kein
grosses Genie ohne ge-
wisse Tollheit. Genie
gränzt schon einigermaßen
an Tollheit. Genie ist der
Vorzug des Talents daß er
angebohren seyn muß.
Das Unheilbarste ist,
daß ein Mensch glaubt,
er habe Feinde. Solche
Menschen «@mü@»wissen so wahrschein-
lich zu machen, daß man wirklich
glaubt sie haben Feinde. ~
/|P_71
/3.) Als ein Tollhaus vom Democrittes %und Hippocrates, weil
die mehresten Menschen Thoren sind.
/4.) Als ein Abtritt (Kackhaus) nach einer persischen Erzäh-
lung:
/"Die ersten Menschen waren im Paradiese, welches im Him-
mel war; In diesem Paradiese waren Früchte deren Auslee-
rung nicht wie jezt geschah, sondern durchs Ausschwizen geschah,
ein Baum ausgenommen. Da nun die Menschen von diesem aßen,
%und sich die Engel fürchteten daß sie den Himmel verunreinigen
würden; so brachten sie die Menschen hieher auf die Erde %und
sagten zu ihnen: 'daß es das allgemeine Abtritt des Him-
mels wäre'."
/δ_Rest_leer
/|P_72
/ ≥ 2. Das Vermögen der Lust und Unlust. ≤
/Jezt kommen wir hier zum Zweiten Abschnitt der Elemen-
tar_Lehre zum Gefühl der Lust %und Unlust. Wenn man
vom Gefühl redet; so nimt mann das, was man einem andern
nicht mittheilen kann. Ueber Erkenntnisse können wir dispu-
tirren %und sie andern mitheilen; aber Gefühle nicht. Gefühl
ist Empfindung, die keine Erkenntniß werden kann, denn sie
ist subiectiv. Erkenntniß ist die Vorstellung die auf ein Ob-
iect geht, wenn sie blos aber auf ein Subiect geht; so ist es
Gefühl. Das Gefühl ist
/A.) Gefühl der Lust, das ist, die Empfindung aus einer Vor-
stellung, die selbst Ursache ist, sich selbst zu reproduciren.
/B.) Gefühl der Unlust, das ist, die Empfindung, die der Re-
producirung wiederstreitet. Die Vorstellung reproduci@rt@
sich selbst d.h. die Empfindung ist bestrebt die Vorstellung
zu behalten. Die Vorstellung, welche der Grund der Lust,
oder Unlust ist kann eine sinnliche, oder eine Vorstellung des
Verstandes seyn. Die Sinnliche Vorstellung nennt man eine
Sinnenvorstellung, oder wenn sie sinnlich ist, aber doch nicht
Sinnenvorstellung, so heißt sie Vorstellung durch Reflexion.
Eben so auch mit dem Gefühl der Lust. Sie kann seyn Sinnen
Lust %und Lust durch Reflexion d.h. aestetischer Geschmack. Die
Fähigkeit an etwas Lust oder Unlust zu haben heißt überhaupt
Gefühl. Was durch die Sinnen gefällt, ist angenehm, mißf@ällt@
ist unangenehm. Was durch die Reflection gefällt, schon,
mißfält, nicht schön. Es kann aber auch etwas durch den
/|P_73
/Verstand gefallen. Was also nach Begriffen gefällt, ist
gut, mißfällt, böse. Durch Verstand kann etwas gut
seyn, was weder durch die Sinne noch durch Reflection gefällt.
Gefallen (complacentia) %und Mißfallen (implacentia) kann
seyn sensualis %und intellectualis. Wenn wir etwas angenehm
finden; so sagen wir: es vergnügt, %und bezeigen unser Wohlge-
fallen «@durch@» <an> Ergießung des Gegenstandes. Es kann sehr oft et-
was gefallen, aber die Ergießung desselben ist gleichgültig. Daher
vergnügt uns ein jeder Gegenstand, der uns gefällt. Leben
ist das Vermögen durch Vorstellung Ursache von dem Gegenstande
dieser Vorstellung zu seyn. Alles was uns Vergnügen macht,
kann als Beförderung des Lebens angesehen werden. Der
Schmerz ist das Gefühl der Hinderniß des Lebens. Ich kann nicht
fühlen die Beförderung des Lebens, wenn nicht ein Hinderniß
vorhergegangen ist. Also kann kein Vergnügen statt finden
ohne vorher gegangenem Schmerz. Beym Schmerz ist ein
Gefühl, das uns treibt, aus dem Zustande, in dem wir sind,
heraus zu treten. Wenn wir Vergnügen annehmen so müssen
wir die Wegräumung des Hindernisses des Lebens «¿¿¿»
voraussezzen. Die Menschen, die immer dem Vergnügen
nachlaufen, sind continuirlich angetrieben aus dem Zustande,
in dem sie sind, in einen andern zu treten. Es ist die Frage
ob die Ursache dieses Treibens in dem Vergnügen, nach
dem der Mensch hascht, oder in dem Schmerz, in de«@nn@»m er
war, liegt. Das Vergnügen scheint etwas relatives zu
seyn, aber es wird positiv empfunden. Vergnügen ist die
Zerstöhrung des Schmerzes, das jenige was uns mit Gewalt
/|P_74
/treibt, aus dem Zustande, in dem wir sind, heraus zu treten.
Der unnenbare Schmerz heißt Langeweile. Zwey Vergnü-
gen können nicht unmittelbar auf einander folgen. Um zu bewei-
sen daß beym Menschen der Schmerz überwiegend sey, ist folgen-
des zu merken: Das Vergnügen verkürzt die Zeit, %und der
Schmerz verlängert sie. Je geschwinder die Zeit verläuft, desto
grösser ist das Vergnügen, das wir in derselben genossen haben.
Daher kommts auch daß sehr viele Menschen im Berauschen f@inden.@
Die Epicureer %und Stoicker waren in ihrem Princip der Glücksee-
ligkeit verschieden. Die Stoicker sagten: man muß sich gegen
alles Vergnügen %und Schmerz gefühllos machen. Die Epicu-
reer aber sagten: man muß dem Vergnügen nachlaufen.
Bey den Vergnügungen der Epicureer aber war doch Ent-
haltsamkeit, wie einige Einladungen zu Gastmäler anzei-
gen. Arbeit verkürzt die Zeit. Arbeit ist die Beschäfti-
gung, die für sich selbst beschwerlich, deren Zweck aber ange-
nehm ist. Die Beschäftigung, die durch sich selbst angenehm
ist, heißt Muße, %und durch diese wird die Zeit vorzüg-
lich besezt. Unter «¿¿¿» allen Zeitkürzungen, die nicht
allein angenehm, sondern auch mit Geschmack verbunden sind
ist die Conversation eine der vorzüglichsten. Eigentliche
Zufriedenheit wird im menschlichen Leben nicht angetroffen.
Der Mensch hatt immer einen Geschmack von einem besser@n@
Zustande, der ihm den gegenwärtigen Lustig macht. Gl@ück@-
seeligkeit sind die Mittel zur Befriedigung aller Bedürf-
nisse %und Neigungen; weil man aber, wenn man Neigungen
hatt nicht Zufriedenheit haben kann; so giebt es eigentlich
/|P_75
/keine Glückseeligkeit, aber doch relativ auf das menschliche
Leben kann sie statt finden. Mann hatt bemerkt daß alle Roma-
nen sich damit endigen, daß die Helden derselben verbunden
werden. Ein Roman von John Filding; die Findlinge genant,
in 4 Bänden schloß sich eben so. Darauf hatt einer einen 5ten
Band hinzugesezt um über die Hochzeit noch zu gehen, damit
er aber die Einförmigkeit des Ehestandes vermeiden wollte;
brachte er Eifersucht hinein. Dieses ist aber sehr eckel;
denn man kann dann eifersüchtig seyn, wenn man die geliebte
Person noch nicht besizt; denn nachher, wenn man im Romanen-
Ton reden wolte, ist das Ende der Liebespein auch zugleich
das Ende der Liebe. Mann kann also nicht weiter kommen
als bis zur Befriedigung der Neigungen %und Bedürfnisse
dadurch kann man der Glückseeligkeit näher treten, wenn
man sie wenigere Bedürfnisse verschaft. Diogenes sezte
die Glückseeligkeit in dieser Formel: sustine et abstine;
d.h. halte das Unglück aus %und vermeide überfließige Be-
dürfnisse. Zur Glückseeligkeit gehöret auch die Hoffnung
%und auch der Schlaf. Wenn man keine Hoffnung haben
solte; so würde der Mensch oft verzweifeln. Wenn der
Mensch ohne Schlaf leben solte, %und wenn er keinen Abgang der
Kräfte hätte; so würde ihm das Leben unerträglich seyn.
/1.) Es giebt Vergnügungen der Gegenstände Z:E: schöne
Gebäude.
/2.) Vergnügungen durch Vorstellungen von schönen Gegen-
ständen. Mann kann sich Vorstellungen von schönen Gegenständen
/|P_76
/machen, wenn man sie auch nicht sieht. Z:E: wenn man eine
schöne Geschichte lieset.
/3.) Es giebt Vergnügungen, die uns zugleich cultiviren d.h.
sie machen uns geschickt zu mehreren Vergnügungen von der
Art. Z:E: die Vergnügen an schöne Künste %und Wissenschaften.
Wir nennen einen Menschen gleichmüthig, der durch nichts in
Affect gebracht werden kann weder in Traurigkeit noch
in Vergnügen. Gleichmüthig seyn ist eine vortreffliche
Eigenschaft. Gleichmüthig ist unterschieden von gleichgültig
denn dies ist so viel als gefühllos. Gleichmüthigkeit ist das
Vermögen, nach dem der Mensch in einer Art von Vergnüg@un@-
gen zu seyn glaubt. Jedes Vergnügen ist von der Art
daß, wenn man es eine Zeit genossen, nicht mehr schmeckt@.@
kein Unglück ist so groß als daß es nicht könte ertragen
werden, denn mit der Zeit wird man es gewohnt. Gleich-
müthigkeit ist das wahre Mittel glücklich zu seyn. Es
giebt verschiedene Launen:
/a.) melancholische,
/b.) grillenhafte oder auch
/c.) aufgeweckte; Es komt darauf an aus welchem Ge-
sichtspunkte man «s¿¿» betrachtet den Gegenstand. Wenn
man alles von der gefahrvollen Seite ansiehet; so ist es die
grillenhafte Laune. Der alles für eine Kleinigkeit
ansiehet hatt eine frohe Laune; denn wer die Freuden des
Lebens für entbehrlich hält, der ist nicht so furchtsam
sie zu verlieren %und ist daher immer frohes Muthes. Die
muntersten %und fröhlichsten Menschen sind diejenigen, die
/|P_77
/allen Menschen schuldig sind %und die gar nicht an die Bezahlung
denken. Sie sind gute Compagnions indem sie immer suchen
mehr Geld von den andern zu bekommen. Die ist Sorglo-
sigkeit. Wir können etwas wohl im Geschmack aber nicht
im Nachgeschmack angenehm finden. Das Vergnügen, was man
im Nachgeschmack findet, ist das angenehmste. Das Vergnü-
ge im Nachgeschmack ist dasjenige, welche eine Reihe von
Vergnügungen beschließt. Bey jedem Vergnügen muß etwas
pikantes oder schmerzhaftes seyn, denn der Schmerz macht
das folgende Vergnügen neu. Die Vergnügungen des Um-
gangs sind die angenehmsten. Wenn nicht Freundschaft und
Liebe in der Welt wäre so wäre das Leben unerträglich.
Die Abnahme des Vergnügens ist schon Schmerz, wenn auch
der Ueberrest noch so groß ist. Es ist auch nicht möglich gleich
glücklich zu seyn, denn man muß immer Steigerungen im
Vergnügen haben. Ein Vergnügen, welches zugleich Cultur
hatt, ist das innigste, weil es uns zugleich veredelt. Spiel
Jagd Fischerey u.d.gl. ist zwar immer Vergnügen, aber es
gereicht nicht zur Cultur. Beym Glückspiel ist doch immer
eine Art von Cultur, weil man, wenn man in einer Gesell-
schaft gelitten seyn will, bey Verlust grosser Summen doch
gelassen bleiben muß. Die größte Unzufriedenheit besteht
nicht im Mangel; sondern in der Vergleichung mit der Glück-
seeligkeit anderer. Mann freut sich nicht über sein Glück, weil
es Glück ist, sondern im Verhältniß gegen andere, %und hieraus
entspringt der Luxus. Luxus ist das Uebermaaß der Be-
dürffnisse mit Geschmack. Ohne Geschmack ist es Luxuries.
/|P_78
/Ungebildete Nationen sezzen den Luxus ist der Quantita@et.@
Der Luxus kann auf zweyerley Art sträflich seyn:
/a.) Wenn er arm %und
/b.) Wenn er weichlich macht. Der Luxus befördert die Künste
%und die Industrie. Dadurch bringt er noch nicht Armuth, allge-
mein genommen, zu wege, wenn er aber die Hände vom Acker-
bau abzieht; so macht er arm. Homer sagt: daß, wenn der Lux@us@
weichlich macht, er sträflich sey. Z:E: das kutschenfahren.
Ueberhaupt sind Vergnügungen gefährlicher als der Schmerz, %und
also dem Vergnügen fröhnen ist mit mehrerer Gefahr verbunden
als dem Schmerz entgegen zu gehen. Das intellectuelle Wohlge-
fallen ist kein Vergnügen sondern blos das sinnliche. Der Gegen-
stand kann uns angenehm seyn %und das Vergnügen daran kann doch
für den Verstand tadelhaft seyn. Eine solche Freude nennt man
eine bittere. Umgekehrt kann ein Gegenstand Schmerz erre-
gen %und dieser Schmerz kann der Vernunft gefallen. Der Gegen-
stand kann angenehm seyn %und das Vergnügen daran kann d@em@
Verstande gefallen. Ein Gegenstand kann unangenehm seyn @%und@
der Schmerz daran dem Verstande mißfallen. Alle Vergnü-
gungen die wir uns selbst erwerben, sind angenehmer, als d@ie@
uns blos mitgetheilt werden. Den Schmerz, an dem wir
selbst schuld sind, fühlen wir am tiefsten. Mann kann Schuld
a«m»n einem Schmerz haben
/a.) Durch Mangel an Klugheit.
/b.) Durch Mangel an Sittlichkeit. Das erste wird am mehresten
bereut. Mann findet daß Leute über einerley Sache verschie-
den urtheilen. Mancher sagt: unschuldig leiden ist angenehm, @%und@
das Gegentheil. Wer unschuldig leidet ist entrüstet weil er
/|P_79
/sich beleidigt findet; Wer schuldig leidet ist niedergeschlagen,
weil er Vorwürfe fühlt. Man braucht nicht schaden froh zu
seyn, wenn man sich beym Schmerz anderer glücklich fühlt; denn
eben im Verhältniß gegen Andere ist man glücklich. Der Schmerz
wird durch die Vorstellung: daß Andere glücklicher sind, uner-
träglich. Es ist aber doch noch ein Trost wenn man Andere noch
unglücklicher sieht.
/ ≥ Von den Launen. ≤
/Laune bedeutet eigentlich die Disposition des Gemüths,
bald freudig, bald traurig zu seyn. Die Disposition hängt von
der Natur oder vom Menschen selbst ab. Wenn er sich in seiner Gewalt
hatt daß er eine Disposition, welche er will, annehmen kann; so ist er
gleichmüthig. Gleichmüthigkeit ist der glückseeligste Zustand. Der Mensch,
dem der Gegenstand des Vergnügens unentbehrlich ist, ist unzufrieden.
Die grämische Laune ist die Disposition, nach welcher der Mensch alles
von der unangenehmen Seite ansieht. Z:E: Wenn ein Mensch von einer
grämischen Laune einen Theil seines Vermögens verliert, so sieht er
nicht auf das Angenehme daß ihm noch ein Theil übrig ist; sondern auf
das Unangenehme des Verlustes. Democrit war von fröhlicher Laune.
Er fand alles Uebel, welches die Menschen für Uebel halten für lächerlich.
Er machte auch sogar die Laster belachens werth. Heraclit war von mür-
rischer Laune. Er betrachtete alles für Uebel, was die Menschen für
Gutes hielten. Der mürrische Mensch stellt sich alle Gegenstände von
der gehässigsten Seite vor. Es giebt eine Art von Steckenpferd beym
Menschen, wo er sich immer als unabhängig denkt, wenn auch dieser Mensch
nicht realisirt wird. Manche Menschen leben gern auf dem Lande um
sich von aller %menschlichen Gesellschaft zu isoliren. Sie gerathen oft in
eine Art von Mysanthropie wenn sie oft in ihrem Leben von den Men-
schen haben leiden müssen; besonders treibt sie der Undank hiezu.
Wir sehen daß dieses eine grämische Laune ist, in die der Mensch sich
versezzen kann. Bey der fröhlichen Laune kann Tugend %und auch sogar
/|P_80
/Frömmigkeit statt finden. Ein Mensch der bey Ausübung seiner Pfl@ich@-
ten finstre Mienen macht, dem ist es sogleich anzusehen daß er die
Pflicht haßt. Je fröhlicher er aber seine Pflicht ausübt, desto «@fröh@»
angenehmer muß sie ihm seyn. In der Schreibart kann etwas
seyn, das Laune heißt d.i. die Originalitaet des Gemüthszu-
standes Dinge vorzustellen. So ein Launigter Mann war Swift
der Aehnlichkeiten auffand, die kein Mensch aufgefunden haben wü@rde.@
Läunisch ist schwer zu erklären, noch weniger einzutheilen. @Lein@
ist aber so viel als lunaticus (mondsüchtig) weil da der Mensch
verschiedene Dispositionen als der Mond hatt.
/ ≥ Von der Empfindsamkeit. ≤
/Empfindsamkeit ist etwas actives; zärtliche Empfindsamkeit etwas
«¿¿¿» <passives>. Das erste ist männlich; das zweite weiblich. Wenn das
lezte ein Mann hatt; so ist es weibisch. Einen Menschen nennt man
grob, der nicht empfindsam ist. Der Mann muß empfindsam seyn
um die Uebel, die die Frau betreffen zu fühlen %und sie abzuwen@den.@
Delicat im Umgange ist daß man sich hütet den andern zu beleidig@en.@
Mann muß nicht für sich sondern für andre empfindsam seyn. Sehr am
Leibe starke Menschen sind gemeinhin sanftmüthig. Empfindsam
ist vorzüglich bey wohlwollenden Menschen. Zärtliche Empfindsamke@it@
besteht darin daß man leicht afficirt wird. Man könte sie eine
falsche Empfindsamkeit nennen. Leute, die eine zärtliche Empfind-
samkeit haben, können andern, die Noth leiden, doch nichts helfen. E@i@-
nem Frauenzimmer kann man dieses verzeihen, weil ihr die Nat@ur@
eine grosse Empfindsamkeit gegeben hatt um alles von sich abzu-
wenden was ihr in ihrer Schwangerschaft schädlich seyn könnte.
Mann muß sich mit dieser zärtlichen Empfindsamkeit sehr in Acht
nehmen, weil man sonst in die Kindheit geräth. Etwas zu He@r@-
zen nehmen heißt eine Maxime annehmen d.h. etwas sich z@ur@
Warnung oder Lehre annehmen; sich etwas zum Grundsatz
/|P_81
/machen. Sich etwas zu Gemüthe ziehen heißt Handlungen
zu verbessern. Z:E: die Buße. Mancher brütet über einem
Schmerz %und dieses ist der Weg zur Verrückung. Man muß sich
nichts zu Gemüthe ziehen; selbst seine eigene Vergehungen nicht.
/ ≥ Vom Geschmack. ≤
/Die Lehre vom Geschmack ist noch sehr wenig gründlich. Daher wird
hier nur ein sehr kurzer Abriß davon gegeben. Was durch die
Sinne gefällt ist angenehm; durch Reflexion aber schön; durch die
Vernunft ist guth. Vom Angenehmen sagt man: es vergnügt; Vom
Schönen: es gefält; Vom Guten: es wird gebilligt. Der Geschmack
ist das Vermögen der Empfindung des Angenehmen. Wenn uns
was vergnügt; so vergnügt uns seine Existenz. Das Wohlgefallen,
was mit der Reflexion verbunden ist, ist nicht Wohlgefallen an
der Existenz des Gegenstandes. Reflexionen werden über das,
was gefält, angestellet. Wir nennen oft etwas schön, was zu
nichts nüzze ist. Z:E: die Kopfzeuge der Damen.
/Folgendes ist bey allen Geschmacks_Urtheil merklich. Das Geschmacks
Urtheil ist Jedermann ein eigenes Urtheil. Es ist eigentlich ein privat und
«¿¿¿» Erfahrungs_Urtheil. Keine Regel kann mir mein Urtheil
bestimmen. Es ist mir angenehm; des wegen ist es doch nicht nothwendig,
daß es andern auch gefallen soll. Wenn ich etwas schön nenne; so glaube
ich nicht daß es mir allein angenehm sey, sondern daß es allen gefalle.
Wenn man sagt: de gusto non est disputandum; so ist hier nur vom
Sinnen_Geschmack die Rede; denn das Schöne muß allen gefallen.
Beym Sinnen_Geschmack kann jedem etwas anders angenehm seyn;
aber beym Reflections_Geschmack ist es nicht möglich. Zum schönen
gehört eine Mannigfaltigkeit, die eine Einheit aus macht. Doch
muß diese Mannigfaltigkeit nicht zu mannigfaltig seyn, daß man
keine Einheit heraus bringen kann. Dieses Mannigfaltige kann
entweder auf das Obiect bezogen werden; oder es kann eine
/|P_82
/blosse Beziehung auf die Beschäftigung meiner Vorstellungs-
kraft seyn. In Ansehung des Schönen ist es nicht möglich Jeman-
den durch Regeln zu informiren, sondern durch Muster. In
Ansehung des Vernunft_Geschmacks aber können wir Regeln geben
zum Guten. Die Unterhaltung des Schönen ist eine Stärkung
der Gemüthskräfte. Unsere Gemüthskräfte sind durch einen
Gegenstand afficirt, %und wenn sie suchen den Gegenstand beyzube-
halten; so gefält er. Von jeder Schönheit ist auch der Reitz %und die
Rührung verschieden. Reitz %und Rührung kann zum Schönen hinzu
kommen; aber Reitz allein kann nicht gefallen. Wir können Rüh-
rung mit dem Erhabenen; %und Reitz mit dem Schönen vereinigen.
Rührung ist die Empfindung, nach welcher sich selbst die Lebenskräfte
hemmen, %und sich dadurch vergrößern zu der neuen Ergießung des-
selben. Reitze sind etwas an sich selber angenehmes. Durch Reit@z\ze@
allein kan man nicht gefallen. Reitz %und Rührung machen das Schöne
noch nicht aus; aber sie können das Erhabne vorstellen. Wir können
etwas liebens würdig, ohne Reitz, nenen.
/ ≥ Vom Guten das durch Begriffe gefällt. ≤
/Durch Regeln läßt sich bestimmen was für guth zu halten sey;
d.h. ich kann jedem beweisen daß der Gegenstand, der gut ist
ihm gefallen muß. Gut kann in 2ley Sinn genommen werden
/1.) Unmittelbar oder an sich selbst guth ist allein die Tugend
/2.) Zu Zwecken guth d.h. nützlich, denn es kann etwas gut
seyn ohne daß es nützlich ist. Es kann etwas gefallen
ohne daß es an sich guth ist. Wir nennen einen Menschen gut oh@ne@
daß er Anlagen zur Moralitaet hatt. Wir können sagen: dies
oder jenes muß allgemein für guth gehalten werden. Dies sag@en@
wir zwar auch vom Schönen abr wir können es durch keine Regel@n@
bestimmen. Das nützlich gute kann auch durch Regeln bestimmt
werden. Z:E: Es kann ein Haus groß, sehr geräumig daher gut@h@
/|P_83
/%und folglich nützlich seyn, aber es kann keine Symmetrie haben d.h.
Correspondens des Ganzen. Wenn also daß Haus nach der Symmetrie
betrachtet wird; so ist es schön aber nicht nützlich; wenn ich es aber
nach seiner Dauerhaftigkeit, Geräumigkeit %und %.der %.gleichen betrachte;
so ist es guth d.h. nützlich. An sich selbst guth kann gar kein Haus
seyn, denn das Lezte ist blos Moralitaet %und Tugend. Das Schöne
ob es gleich vom Guten unterschieden hatt doch Beziehung zu
selbigen, es hatt Annäherung zum moralischguten; denn wer
am Schönen Geschmack findet ist der Moralitaet näher als
der, der blos sinnliche Vergnügungen genißt. Im schön @men@
wir selbst Schöpfer eines Gegenstandes, der uns gefält, seyn.
Das Schöne, wenn es allgemein gefält, ist gesellschaftlich;
das Angenehme aber nicht, weil es nicht allgemein gefält. Das
Schöne ist mehr freyheitsreich %und verdienstlich. Die Schönheit der
Gegenstände ist immer grösser für die Augen als für die
Ohren. Die Musick hatt noch dieses an sich daß sie nichts weg
läßt, was noch Nachgeschmack zuwege bringen könte, ferner
dieses daß eine Menschen Musick mir immer im Kopfe nachsingt.
Dies geschieht aber nicht beym Vogel Gesange; denn wen man
einem Vogel einen ganzen Tag zuhören möchte; so würde man
doch seiner nicht überdrüssig, weil der Vogel singt was wir im
Kopfe gar nicht nachsingen können. Die Musick zieht uns an
sich daß wir sie wieder Willen anhören müssen. Dies ist die
schlimste Eigenschaft, denn wen Jemand musicirt %und lahme
Töne hervorbringt; so ist es höchst unangenehm für den Zuhörer.
Daß ich aber zuhören muß komt daher, weil es eine Eigen-
schaft des Schalls ist allenthalben durchzudringen. Dies findt
aber nicht beym Gesichte statt, denn wenn ich was nicht sehen will;
so darf ich mich nur um kehren. Die schönen Künste befördern die
/|P_84
/Cultur; vorzüglicher aber die Dichtkunst %und Beredsamkeit. Die-
se lezte sind die edelste Künste, denn sie befördern die Morali-
taet %und Humanitaet. Humanitaet bereichert die Comunica-
citaet der Menschen unter einander. Die schöne Kunst ist das
Vehicel zur Mittheilbarkeit. Durch die Dichtkunst %und Be-
redsamkeit können wir die gröbern Empfindungen zurückhalten
%und dadurch wird die Moralitaet befördert. Wie viel das Schöne
zum moralischen beyträgt %und wo es stehen bleibt ist eine schwere
Frage. Wer Seelenhoheit besizt reflectirt über sich selbst,
%und das befördert den Geschmack für die Schönheit. Der ent-
behrliche Aufwand des Schönen ist Luxus. Luxuries könnte
die Schwelgerey seyn. Kunstgeschmack könte dann der Luxus
werden, wenn er allgemein wird, denn von einer einzelnen
Person pflegt man nicht Luxus zu sagen; sondern von einem
ganzen Volk. Die schönen Künste können uns cultiviren, @civi@-
lisiren %und endlich auch moralisiren. Wir leben in dem Zeital-
ter wo die Künste cultivirt %und civilisirt haben, aber ob ¿¿
schon angefangen haben uns zu moralisiren ist schwer zu glaub@en.@
Beym moralisiren komt es nicht auf den Geschmak sondern
den Character an. Der Schein des Guten ist zwar an sich selbst
nicht gut aber es gehört doch zum Geschmack. Im Schein der
Höfflichkeit sind wir weit gekommen. Die Ausdrücke
der Höfflichkeit sind anzusehen als das Wohlwollen im
Schein. Mehr als den Schein verlangt man auch nicht von
einem Manne von Geschmack. Das komt eher, als das
Schöne so lange das Gute nemlich im Nüzlichen besteht. Be-
steht es aber im moralischen; so ist es das Leztere.
/|P_85
/ ≥ Vom moralischen Gefühl. ≤
/Das moralische Gefühl ist das Verhältniß zu unserm innern
Sinn. Es ist eine Vorstellung durch die Vernunft vom dem, was
Pflicht ist. Es giebt kein unmittelbarer moralisches Gefühl d.h.
wir haben keinen innern Sinn, der blos für das moralische
empfänglich wäre; sondern es bedeutet die Empfänglichkeit für
das moralische Gesez. Wir können also das moralische Gefühl
nicht als einen eignen innern Sinn annehmen. Die Fähigkeit,
durchs Gute bewegt zu werden ist das moralische Gefühl. Gründe
für das moralische giebt es gar nicht, denn wenn ich sage: "du sollst
die Wahrheit sagen wenn du redst"; so kann ich keinen Grund
angeben warum ich die Wahrheit reden soll, einen pragmatischen
Grund aber kann ich wohl angeben. Wenn keiner die Wahrheit
redet; so findet kein Glaube mehr statt, aber kein moralischer
denn der liegt schon in uns. Das moralische Gefühl sagt nicht
was Recht oder Unrecht ist sondern das thut die Vernunft.
Das moralische Gefühl kann immer cultivirt werden. Mann
kann es cultiviren durch viele Tugendausübungen. Man kann
sagen: es giebt ein Gefühl das eigentlich <kein> moralisch ist aber doch
dem moralischen günstig ist. Es giebt Sympathie, nach der ich
mit andern gleich empfinde. Z:E: wenn ich weine; so weint ein
anderer auch. Hieraus entsteht Mittleiden. Kein Geschlecht
ist mitleidiger aber auch grausamer, wenn es aufgebracht ist,
als das weibliche. Das Mittleiden beweißt wohl allemahl eine
gute Denkungs_Art, denn oft bringt Mittleiden auch das Temperament zuwege.
/ ≥ Vom gesitteten Menschen. ≤
/Wir können einem Menschen Seelenstäre -Güte %und -Größe beyle-
gen. Seelenstärke ist sich durch nicht abschrecken lassen. Seelen-
güte, gegen andre Mittleiden zu haben. Seelen_Größe wenn beydes
/|P_86
/vereint ist, welches aber ein seltner Fall ist. Wir finden daß
man einen Mann groß nennt wenn er viel Talente zu einer
Sache besizt. Z:E: ein Musicker. Wer eben keinen guten Willen
hatt diese Talente zu benuzen, den kann man gar nicht einen
wahren grossen Mann nennen. Manche Menschen sind vortrefflich
%und lehrreich, aber die Maximen die sie andern vortragen befolgen
sie nicht selbst. Mancher Mensch hatt zwar gute Vorsätze aber führ@t@
sie nicht aus. Es ist besonders daß sich die Menschen schon aus gute@n@
Vorsätzen ein Verdienst machen. Wenn die Ehrlichkeit in
einem Lande hoch gepriesen wird; so sind sehr schlechte Zeiten.
Ehrlichkeit ist ein geringer Grad von Rechtschaffenheit %und w@enn@
Ehrlichkeit schon sehr gelobt wird, so muß es eine Seltenheit
seyn. Wenn aber die Ehrlichkeit schon verspottet wird; so ist
es gar am ärgsten. Man könte sagen wär es nicht besser,
wenn ehrliche Leute %und Schelme ganz von einandern getren@nt@
auf der Erde leben möchten? %und nicht wie Unkraut zusam-
men wüchsen? Es ist aber nothwendig denn wenn lauter
gute Leute wäre so würde sich keine Gelegenheit ihre Ehrlich-
keit zu prüfen zeigen.
/δ_Rest_leer
/|P_87
/ ≥ Vom Begehrungs_Vermögen. ≤
/Alle unsre Begierden haben Beziehung auf Thätigkeit. Jede
Begierde, von der ich weiß daß ich sie nicht sätigen kann, heißt
@le@ere oder müssige Begierde. Dergleichen sind die Wünsche der
Menschen %und vorzüglich die jenigen, die nicht wirklich erfült werden,
@o@der von denen wir wenigstens glauben daß sie nicht erfült wer-
@de@n können. Romane bringen leere Begierde hervor %und füllen
@da@s Herz damit an daß der Mensch für das thätige ganz verlohren
@is@t. Sie wünschen das jenige was sie nicht erlangen können %und nehmen
ein Interesse an solchen Dingen die sich für sie schicken. Sehnsüchtig
wünscht einer wenn er wünscht daß die Zeit bis zu einer gewissen
@Be@gebenheit geschwind verlaufen möchte. Der Mensch kann von der
Sehnsucht so erschöpft werden als wenn er wirklich in der
@Sa@che viel gethan hätte. Es können Romane seyn von der lustigen
@A@rt. Diese verdienen aber nicht den Namen eines Romanes; sondern
es sind blos Fabeln; den die Romane sollen uns täuschen als wenn
wirklich alles so geschehen wäre. Die Romansucht wird zur
Gewohnheit so daß man keinen Geschmack fürs schöne hatt. Die
Empfindsamkeit der Seele wird wird zwar dadurch cultivirt aber nicht
die active sondern die passive, denn der Mensch fühlt blos mit
der Person im Roman. Manche Romane handeln von Großmuth
@%und@ Wohlthätigkeit. Diese beyden Stücke aber sezzen Geld voraus.
Wenn ein Armer diese beyde Tugenden nachahmen wollte; so würde
er nicht Recht thun. Am mehresten sind die schmelzenden Romane
@z@u wiederrathen, die beyde Geschlechter vorzüglich aber die
Frauenzimmer verderben. Die Romane die den Menschen mit
Wünschen aufblähen sind überhaupt am Schädlichsten.
/Die Begierden sind auch:
/1.) fixal - beständige, und auch
/|P_88
/2.) vagal - unbeständige. Manche Menschen sind so voll von
Begierden daß sie nicht wissen was sie eigentlich wollen. Dies
geschieht durch das Treiben aus einem «¿¿¿» Zustande heraus zu
treten in den andern, den man aber nicht weiß in welchen.
Das ist die eigentliche Langeweile. Vappeurs bey den vornehmen
Damen ist dasselbe. Sie zähren den Menschen ab; die Langewei-
le ist so gar tödlich. Die mehresten Menschen thun Laster aus
langer Weile. Die Erschöpfung durch gar zu starken %und viel-
fältigen Genuß macht sogar verzweiflungsvoll daß mann
gar keine Vergnügungen auf der Welt für möglich hält; %und sich
daher auch viele umbringen. Das Gemüth will immer genüssen,
%und wenn es nicht zur Thätigkeit angetrieben wird; so entsteht
daraus Hypochondrie. Mann kann immer thätig seyn mann
muß aber mit der Beschäftigung wechseln. Die völlige Freyheit
eines Menschen scheint seinen Wünschen am angemessensten zu seyn,
nemlich daß er thun kann was er will; aber so ist es nicht, denn
wenn man thun kann oder nicht; so schiebt man es gerne auf und
daraus entsteht Lange Weile. Wenn man aber gezwungen ist
etwas zu thun Z:E: in einem Amt; so hatt man keine lange Weile.
Daher hatt man dan eine weit fröhlichere Laune. Viele Personen,
die ein Amt gehabt haben %und sich dessen hernach entziehen; so ha-
ben sie Langeweile gehabt %und sind beynahe gestorben.
/ ≥ Von den Affecten. ≤
/Die Affecten sind Gefühle, in so fern sie in dem Grade sind,
daß es schwer ja fast unmöglich ist sich selbst zu besizzen. Alle
Affecten sind:
/1.) Von angenehmer und
/2.) Unangenehmer Art, und gehen entweder
/a.) Aufs Vergnugen, oder
/b.) Gegenwärtige, oder
/c.) Zukünftige.
/|P_89
/Das Vergnügen über das Vergange ist nicht anders als wenn
ich mich über das überstandne Leiden freue. Ueber die vergangne
Freuden kann ich mich eher betrüben. Das Vergnügen das aufs
Gegenwärtige geht macht immer froh. Das Unangenehme beym
jezzigen Zustande kann nur beym idealischen Uebel mit Affect
verbunden seyn. Die Affecte die auf die Zukunft gehen sind
Hoffnung %und Furcht. Hoffnung %und Furcht können ohne Affect seyn,
denn ein Mensch kann hoffen ohne mit Affect zu begehren. Um mit
Affect verbunden zu seyn muß das Gefühl alle übrige Gefühle
verdunkeln so daß man seiner nicht mächtig ist. Traurigkeit
ohne Hoffnung ist Verzweiflung. Ich kann worüber betrübt
seyn ohne daß ich darüber traurig bin den Trauren heißt der
Betrübniß nachhängen. Mit grosser Sehnsucht zu hoffen ist
unmännlich, denn dieses ist eine kindische Leidenschaft, weil
Menschen, die sehnsuchtsvoll hoffen, wenn sie gleich von der Hoff-
nung hintergangen werden, noch immer was besseres hoffen zu
erlangen. Man muß nicht zu sehr hoffen sondern sich auf
alles gefaßt machen, weil, wenn die Hoffnung «¿¿¿» fehl
schlägt, man leicht verzweifeln kann. Nichts zu hoffen %und
nichts zu fürchten ist nur fast am Ende des Lebens möglich;
denn man hoft immer; %und wo man hofft fürchtet man auch.
Man muß betrübt ohne Traurigkeit und fröhlich ohne Lustigkeit
seyn. Lustigkeit ist eine ausgelassene Fröhlichkeit. Nieder-
geschlagenheit ist eine Traurigkeit, die sich nicht aufrichten
läßt. Verzweifflung ist Wunsch ohne Hoffnung. Die Ver-
zweiflung ist zwiefach:
/a.) mit Zorn verbunden; den ist es die Verzweiflung der Entrüstung.
/b.) mit Gram verbunden; denn ist es die Schwermuth.
/Mann sagt: man soll den Feind nicht zur Verzweiflung bringen
/|P_90
/d.h. daß er seinem Gegner nachstelt %und sich selbst unglücklich macht.
Der Mensch kann sich auch in der Fröhlichkeit cultiviren. Fröhlichkeit
ist der Zustand, in dem der Mensch für die Freude empfänglich ist.
Fröhlichkeit ist noch nicht Affect sondern Lustigkeit. Bey fröhli-
cher Laune zu sterben davon haben wir Beyspiele. Der Mensch
der in der Stimmung des Gemüths ist, die zur Fröhlichkeit bestim@mt@
ist, kann durch nichts so leicht traurig gemacht werden. Ein Trau-
render wird noch trauriger wenn andre ihrer Fröhlichkeit
freyen Lauf lassen in seiner Gegenwart. Man findet viele
die für Freude selten aber für Schreck gestorben sind. Der Gram
tödtet langsam. Muth ist der Zaghaftigkeit, und Herhaf-
tigkeit der Schüchternheit entgegengesezt. Herzhaftig ist
der, der nicht erschrickt %und muthig, der nicht weicht. Herzhaf-
tigkeit ist eine Temperaments_Eigenschaft. Muth ist mehr mora-
lisch; es ist eigentlich kein Affect, sondern die Festigkeit in
Betrachtung des Gleichgewichts bey sich selbst. Feigheit ist eine
ehrlose Verzagtheit. Man nennt einen Feigen Poltron von
pollex und truncatus, weil sich bey den Roemern diejenigen
die nicht in den Krieg ziehen wolten den Daumen abhieben;
um nicht Bogen spannen zu können. Es scheint bey dem Sta¿¿
bey dem der Mensch das wesentliche ist, bey jedem Merkmaal der
Verzagtheit gegen Lebensgefahr, ehrlos zu seyn. Der Begriff
von Ehre wirkt fast alles. Was ist aber ehrlos? Ehrlos ist da@s,@
welches, wenn es bey einem Stande solte überhand nehmen, den
Stand erniedrigen würde. Der Ehrbegriff hängt nicht allema@l@
mit dem moralischen Ehrbegriff zusammen. Z:E: ein Mensch der
viele Ehre hatt wird seine Spielschulden bezahlen, weil er ihre@t@-
wegen nicht kann verklagt werden. Den Handwerker abe@r@
nicht bezahlen, die Tochter aber oder die Frau eines andern zu
/|P_91
/@v@erführen, das wird er für Ehre halten. Ein Mensch kann von
@v@ielem Muth seyn, der blos so reizbar ist, daß er bey Ueberaschun-
gen, welche andre bestürzt machen, gefaßt ist. Herzhaftigkeit
dependirt oft von Umständen, denn wenn ein Mensch in einer wie-
drigen Situation überrascht wird, welche er verändern muß, um
herzhaft zu seyn; so ist oft die Herhaftigkeit verlohren. Mit dem
Muth aber ist es anders beschaffen, denn der Muth ist eine Art von
@Zu@trauen von sich selbst, so daß man ihn nicht leicht verliert. Feigheit
ist eine Ehrlosigkeit. Es ist aber besonders daß Leute, die in die
Schlacht gehen, oft Ausleerungen haben, %und daher komt das Sprüchwort:
Er hatt das Herz in den Hosen. Dieses aber findet sich nicht allein bey
den Menschen sondern auch bey den Thieren. Wenn Z:E: der der Habicht
auf den Reyher stößt; so leert der Reyher auch aus. Nach den Aus-
leerungen ist man gestärkter und muthiger. Es frägt sich ob die
Herzhaftigkeit eines Duellanten eben so groß sey als die eines
Kriegers? Dieses läßt sich nicht leicht bestimmen, denn man kann
von einem Krieger nicht über seinen Muth urtheilen, als vom
Befehlshaber, weil die andern gezwungen sind. Von der einen
Seite ist der Duellant nur mit einer Gefahr umgeben, da der
Krieger der Gefahr von allen Seiten ausgesezt ist. Auf der
andern Seite ist es für den Duellant gefährlicher weil der
Feind nur allein auf ihn anlegt. Ueberhaupt stimmt das Duell nicht
mit der wahren Ehrliebe überein. Das Duell soll zeigen daß e«s»r Ehrliebe
besizt %und eher sein«e» Leben als seine Ehre verlieren will. Ferner
soll es zeigen daß man Muth hatt, %und endlich daß man seinen Gegner
nicht mörderischer Weise umzubringen sucht; sondern sich ihm selbst
entgegen stellt. Die Menschen haben sich verfeinert %und daher ist das
Duell seltner geworden, denn sie beleidigen sich jezt nicht so leicht.
Mit dem Duell hatte es folgende Bewandniß: wenn einer vom andern
/|P_92
/etwas gesagt hatte, der andre aber antwortete: er hatte es in
seinen Hals gelogen; so mußte jener diesen auf selbiges herausfor-
dern, in dem er ihm einen Handschuh hinwarf. Der Ausgeforderte
hatte die Wahl des Kampfplazzes und der Waffen. Ueberdem war
bey dem Kampfe ein Kampfrichter. Wir haben Menschen, die solche
Kaltblütigkeit in Gefahren bezeigen daß sie in Tollheit auszuarten
scheinen; so daß sie gar keinen Werth auf ihr Leben sezzen. Ein solcher
war Carl_XII. Bey den Türken nennen sie einen solchen kaltblüti-
gen Toll; sie sind aber bey ihnen sehr geschäzt. Man kann sagen,
die Feigheit besteht hauptsächlich darin daß der Mensch hofft,
aber doch wünscht. Kann man einen Selbstmörder feig oder herz-
haft nennen? dies ist schwer zu beantworten. Feige könte
man ihn nennen, weil er nicht Muth genung hatte sein Leben zu
ertragen; herzhaft aber wenn er sich aus Liebe zur Tugend
umbringt; denn der Mensch muß etwas haben, was er höher schäzt
als sein Leben, was die Würde der Menschheit ausmacht. Dies
ist die Tugend %und hiezu gehört die Pflicht gegen sich selbst, d.h. Ehre
Man kann durch dies Schreckken des Todes zu aller Art Niederträch-
tigkeit gebracht werden. Wer aber die Ehre höher als das
Leben schäzt, der wird für muthig gehalten. In wie fern
der Selbstmord erlaubt oder unerlaubt ist gehört nicht hieher.
Der Mensch muß nie Urheber seines Todes seyn. Wagen kann er
wohl sein Leben aber nicht muthwillig aufopfern. Der Muth ist
eigentlich kein Affect. Der Muth ist ein dauernder Zustand, der
eben dan nur stark ist, wenn der Mensch nicht in Affect ist. Ge-
duld ist kein Muth. Sie ist eine weibliche Tugend wie der Muth
eine männliche ist. Geduld ist eine Enthaltsamkeit gegen die Ver-
zweiflung. Ein muthiger Mensch hatt keine Geduld. Er pflegt lieber d@as@
äusserste zu wagen, als das Ende aller Uebel geduldig zu erwarten.
/|P_93
/ ≥ Von den Affecten die wirklich Affecte sind. ≤
/1.) Das Mittleid kann Affect werden.
/2.) Der Zorn.
/3.) Die Schaam.
/4.) Die Verwunderung.
/Das Generale von Mittleiden ist Sympathie, - Mittgefühl -
worunter steth das Mittleid %und Mittfreude. Der Affect der MittFreude
@ist@ überlegt, aber der des Mittleids nicht. Das Mittleid als Affect
betrachtet ist wirklich Schwäche des Menschen. Man rühmt sehr
das Mittleiden eines Menschen, aber er kann doch böse Grundsätze
haben, daß wenn er es nicht sieth auch nicht mitfühlt. Z:E: er läßt
einen durchpeitschen, er selbst aber kann es nicht zusehen. Das Mitt-
gefühl das nicht aus Grundsätzen theilnehmend ist, sondern blos
durch die Sinne geschieht ist bloße Sympathie. Dieses Mitt-
leiden mäßigt nur etwas die Grausamkeit. Bey solchen Mittleiden
komt es nur auf eine weitläuftige Erzählung des Unglücks an.
Die Stoicker sagten: die Weisen haben kein Mittleid, denn wenn
einer leidet %und der andre mit; so leiden 2. Beym Mittleiden
dünken sich die Menschen guth daß sie sich selbst darüber Glück wünschen.
Der Zorn ist ein wackerer Affect. Er ist gerade nicht lobens-
würdig, aber er ist doch von den Affecten unterschieden, die die
Kräfte hemmen. Er strengt die Kräfte an %und ist daher ein rüstiger
Affect. Die Schaam spannt die Kräfte ab. Der Zorn kann
mit Schaam verbunden seyn. Daher sagt man: wenn man roth
wird; so ist man nachher zu fürchten; wenn man aber blaß wird;
so ist man gleich zu fürchten. Mitt andern Affecten kann man sehr
sympathesiren mit dem Affect «¿¿¿» Zorn aber nicht; denn der
Zorn ist unbeständig %und heftig, so daß man für einen zornigen Menschen nicht
sicher ist, daß er einen, der an seinem Zorne unschuldig ist, anfalle.
Was die Schaam anbetrift; so ist dies ein sehr wunderbarer
/|P_94
/Affect. Ein Mensch macht sich im Zorn selbst zu dem unfähig, was er
wünscht. Die Schaam thut das nemliche nur mit dem Unterschiede daß
sie die Kräfte abspannt. Schaam findet vorzüglich bey denen statt, die
auf Achtung bey andern Anspruch machen. Der Schaamhafte ist daher
voller Gefühle für die Ehre, %und wenn er nicht genung Ehre zu genüßen
glaubt; so härmt er sich. Die Schaam ist eine Art von Bestürzung
aus den Urtheilen anderer. Es ist keine gute Erziehung wenn man
zum Kinde immer sagt: er soll sich schämen, denn dadurch komt bey
ihm eine gewisse Schüchternheit daß er glaubt auf eine falsche
in die Augen anderer zu fallen. Dieser wunderbare %und heftige
Affect hatt von der Natur die Bestimmung zum Gleichgewicht gegen
die Lügen. Die Lüge macht den Menschen immer niederträchtig,
denn er wirft die Menschheit in seiner eignen Person weg. Daß die
Natur aber die Schaam dazu bestimmt hatt den Lügen das Gleichgewicht
zu halten hatt man viel Ursach zu glauben. Z:E: das Rothwerden, welches
die Schaam begleitet %und wodurch der Mensch sich selbst verräth. Zorn ist
Affect aber Haß ist Leidenschaft. Der allerunversöhnlichste Haß ist
das odium theologicum. Der Frauenzimmer Haß ist unversöhnlich;
aber nicht so stark. Beym weiblichen Geschlecht findet man daß der
Zorn Thränen hervorbringt, Thränen über ihr Unvermögen daß sie sich
nicht wiedersezzen können. Geistliche sind von derselben Art. Sie sollen
Muster der Sanftmuth %und der Ertragung des Unrechts seyn aber sie sind
gerade das Gegentheil. Dieser Haß komt vorzüglich vom Stolz her,
weil sie ihrer Meinung nach Gegenstände der Verehrung sind.
/Die Verwunderung ist ein Erstaunen. Bewunderung ist kein Erstaunen
%und kann daher auch nicht Affect seyn, sondern ich bewundre nur wenn ich
reflectire. Wir haben viele Dinge der Bewunderung in der Natur d.h.
wir haben keine Regeln worunter wir sie bringen könnten. Z:E: im
Wasser befindet sich keine Electri«t»citaet, %und doch giebt es einen Fisch, der
electrisch ist. Verwunderung ist eine Anzeige von Unwissenheit, denn
der, der sich verwundert, muß wenige Dinge nach Regeln kennen.
/|P_95
/Mann kann sich auch oft verwundern, wenn man auch gelehrt
ist, denn man kann nie alles nach Regeln kennen. Erstaunen
ist der höchste Grad von Affect. Blödigkeit ist eine Schüchternheit.
Ein blöder Mensch fürchtet sich beschämt zu werden. Ihr ist die
Dreistigkeit als Contrarium entgegensezt d.h. sie trozt gegen
das Urtheil anderer. Das Mittel zwischen beyden ist die Frey-
müthigkeit. Diese ist das Zutrauen zu sich selbst nicht beschämt,
@ve@rachtet zu werden. Dreistigkeit kommt von dräuen her und
sollte billig mit einem ä geschrieben werden. Ein dreister Blick
erregt Besorgung der Grobheit. Die Blöden sind in Ansehung
des Punkts der Ehre sehr empfindlich. Ein Frauenzimmer, wenn
es nur paarmal in grosser Gesellschaft gewesen ist, ist nicht mehr
blöde, denn es ist überzeugt daß es Achtung haben muß. Ein junger
Mensch aber ist weit blöder. Die Blödigkeit wird abgelegt wenn
man oft in grosse ausgesuchte Gesellschaft, vorzüglich wo Frauen-
zimmer sind, geht; dann genirt man sich anfänglich hernach aber wird
man freyer. Es giebt eine Etourdie wo man sich alle Freyheiten,
wenn auch nicht Grobheiten, erlaubt. Blödigkeit ist ein grosser
Fehler der Menschen, denn er kann sich nicht recht zeigen indem
er besorgt ist er werde fehlen. Es ist aber bekant, daß, wenn
@ma@n auf zu sehr Acht hatt, man dan am mehresten fehlt. Das
Mißtrauen gegen sich selbst macht niedergeschlagen. Mann hatt
dem Appetit den Eckel entgegen gesezt. Alle beyde gehen
auf Genuß. Genuß ist das was in meine Substanz übergeht,
%und ein Nahrungs_Theil für mich wird. Man kann aber auch auf
eine geistige Art genüßen. Z:E: das Bücherlesen giebt Nahrung
unserm Geiste. Wenn man genung hatt; so ists Sätigung. Ist
man aber übersatt; so ists Uebersätigung. Bey körperlichen
Dingen ist der Ekel der Vorbote des Erbrechens. Langweilige
Menschen sind eckelhaft %und machen uns übersatt.
/|P_96
/ ≥ Vom Lachen %und Weinen. ≤
/Lachen %und Weinen kann man nicht eigentlich Affecten nennen
sondern Gemüths bewegungen. Alles was in Gesellschaft
Lachen erregt %und Freude macht, kommt erwünscht. Lachen ist
ein sonderbarer Affect, mit Freude verbunden, %und beruht auf
nichts. Lachen ist eine plötzliche Verwandlung einer gespannte@n@
Erwartung in nichts. Wir gehen in die gespante Erwartung
wieder zurück, %und es ist wieder nicht. Kurz es ist immer ein
Schaukeln. Mann muß darüber nicht lachen was andern Be-
trübniß erregt. Die gespannte Erwartung muß nicht ins
Gegentheil; sondern in Nichts verwandelt werden, denn so@nst@
erregts Traurigkeit. Schabernack machen, das Aprill_¿¿¿-
¿iren erregt Lachen weil die gespannte Erwartung in Nichts
verwandelt wird. Manche Leute werden für witzig gehalt@en.@
Es ist aber nicht wahr sondern blosse Dummheit, wir aber
legen das naive herein. Z:E: Es ritt einmal Ludwich_XIIII
über eine Brücke %und fragte einen Bauren: warum kein
Geländer auf der Brücke ist? Der Bauer sagte: Ja! Ihr@o@
Maiestaet! ich wußte nicht daß Sie hier kommen sollte@n.@
Die Irrländer haben eine Art von Lachen, welche s@ie@
Bull nennen d.h. wenn man sich selbst wiederspricht. Swift
hatt ein Nachtwächterlied gemacht wo lauter Bullen sind
Mannigmal ist eine Replique die spizzig ist %und Lachen erreg@t.@
Es ist guth wenn ein Rollieur rallirt wird d.h. wenn ein
Spötter wieder gespottet wird. Z:E: Abelat ein grosse@r@
Philosop fuhr mit einem Abbé in einem Wagen. Der
Abbé schrie: Sehn Sie dort fliegt ein Ochs. Abelat. Wo@?@
wo? - Abbé Ich glaubte doch nicht daß Philosophen glaubt@en@
/~δ_Rand_098_Z_12
/Schabernack kommt
her vom Nacken
schaaben; Weil <wenn> mann
einem in den Nacken
sticht mit einer Feder
er in den Nacken greift
%und ein Insect zu haschen
glaubt %und nichts bekomt,
also blos ein Vexiren ist. ~
/|P_97
/daß die Ochsen fliegen könnte. (denn der Abbé war auf den Ruff
des Abbelats neidisch %und wolte ihn hiemit spotten.). Ablat. Ich hätte
eher geglaubt daß die Ochsen fliegen, als daß ein Geistlicher lügen
sollte - Noch ein Beyspiel. - Ein sterbender Vater hatte 3 Söhne
%und rufte den ersten zu sich %und sagte zu ihm: Mein Sohn du bist
sonst ein guter Wirth gewesen ich vermache dir also 2/3 von meinem
Vermögen. Der Sohn sagte: Gotte lasse sie noch länger leben
%und es selbst gebrauchen! - Zum 2ten Sohn sagte der Vater: du
bist auch ein ziemlich guter %und gehorsamer Sohn gewesen ich ver-
mache dir also 1/3 Vermögen. Der 2te Sohn sagte: Gott lasse
sie noch länger leben %und es selbst gebrauchen! - Der Vater
rufte den 3ten Sohn %und sagte zu ihm: du bist allezeit ein Ver-
schwender %und Schlingel gewesen, ich vermache dir also einen
Schilling damit du dir ein Strick kaufen kannst. Der 3te
Sohn sagte: Gott lasse sie noch länger leben %und es selbst ge-
brauchen! - Ist die Lächerlichkeit ein Kennzeichen der Wahrheit
oder Ungereimtheit? - Alles was Achtung erregt kann unmög-
lich lächerlich gemacht werden. Z:E: die Tugend, Gott. Die
Lächerlichkeit ist also kein solcher Probirstein; sondern vielmehr
das Gegenmittel der Ungereimtheit. Die größten Lasten
«kan man»können mann nicht dadurch verbannt werden daß man «@sie@» ihren
Schaden zeigt; sondern «¿¿¿» <wenn> man sie lächerlich macht. Woher kommt
es daß Dinge, die Lachen erregen auch Freude machen? Die Freude
wirkt die Aufmunterung des Gemüths, so, daß wenn man Mittel
in der Apothecke hätte Lachen zu erregen, daß man viele
Krankheiten verscheuchen könte oder doch lindern. Z:E: die
Hypochondrie. Das Vergnügen wird körperlich da doch
die Ursache des Lachens geistig, eine Idéé war. Das Zwerk
/|P_98
/Fell wird erschüttert durchs Lachen, das Blut wird dadur@ch@
vertheilt und es ist dann eine Art von Wohlbefinden. Hier
wird das Vergnügen körperlich durch die Erschütterung des
Zwergfells da doch die Ursach die in Nichts verwandelte
gespannte Erwartung, also geistig war. Mitt allen unser@en@
Gedanken ist im Körper eine Bewegung verbunden.
/Weinen ist die Verwandlung der gespannten Erwartung ins
Gegentheil. Man will wieder die Hoffnung (Erwartung) e@r@-
greiffen sie schwindet aber. Weinen ist eine Abspannung der
Kräfte %und lindert doch durch Ergießung der Thränen den Sch@merz.@
Jeder Schmerz ist ein Krampf. Man vergießt oft Thränen
wenn man auch nicht Schmerzen hatt. Z:E: bey einem wohlthät@igen@
dankbaren, großmüthigen Actus. Hier empfindet man
ein zärtliches Mittgefühl, einen Schmerz seines moralisch@en@
Unvermögens daß man ihm nicht genu@g\ng@ danken oder vergelt@en@
kann. Ein Schmerz kann auch also dabey, was guth ist, empfund@en@
werden. Frauenzimmer %und andre schwachen Personen we@inen@
aus Zorn, denn sie fühlen sich ohnmächtig sich zu rächen; d@as@
Bewustseyn der Beleidigung ist bey ihnen eine Wehmut @mit@
Thränen verbunden. Die Miene des Lachens %und Weinens
ist sehr ähnlich. Ein Mahler kann ein gemahltes lachend@es@
Kind durch ein paar «¿¿¿» Züge in den Augenwinkeln
weinend machen.
/ ≥ Von den Affecten überhaupt. ≤
/Es kommt darauf an daß man Affecten von Leidenschaft un-
terscheidet. Affect ist ein Sturm der bald aber sich legt
ein aufthauender Schnee der mit einem Maale weg ist. Was
/|P_99
/Affect in der Geschwindigkeit nicht thut, das thut er gar nicht,
wenn er auch droht. Der Affect hängt auch von den Umständen
ab. Z:E: Wenn Jemand zu einem andern kömmt %und er stehend
auf ihn schillt %und endlich in Affect geräth; so wird er, wenn
man ihn zum Sitzen bekommt, bald still seyn, denn er kann
nicht mehr mit den Händen fechten. Die Leidenschaft wächst
@mi@t der Zeit. Die Italiener sind sehr affectvoll. Die Indier,
Chineser haben grosse Leidenschaft %und fast gar keinen Affect.
Die Franzosen haben mehr Lebhaftigkeit als Affect und
Leidenschaft. Sie können daher beydes agiren %und sind gute
Acteurs auf dem Theater. Die Teutschen sind nicht sehr Affectvoll
aber ihre Leidenschaft kann groß werden. Der Affect ist ein
Rausch, den man ausschläft, wo aber auch Kopfweh folgt. Leiden-
schaft aber ist ein Wahnsinn. Ist von Dauer %und kommt immer
tiefer hinein. Affect läßt sich nicht verhelen, aber wohl Lei-
denschaft. Affect hatt etwas ehrliches in sich, denn wenn
er was böses thut; so thut er es ohne Ueberlegung. Aber
Leidenschaft thut es mit Ueberlegung, denn sie folgt ihrem
überdachten Plan. Schelten ohne zornig zu seyn, caressiren
ohne verliebt zu seyn, klagen ohne traurig zu seyn, scherzen
ohne aufgereimt zu seyn, %und überhaupt jeder Schein, wo das
Herz nicht dabey ist, sind Eigenschaften eines Acteurs. Ganze
Nationen unterscheiden sich durch den Character. Z:E: Die
Italiener sind sehr affectvoll; daher werden auch ihre vielen
Mordthaten entschuldigt. Die Franzosen können den Affect
gut verstellen; sie sind lebhaft. Ein lebhafter Mensch wird
weit mehr bezaubern, als wirklich verliebter. Das
/|P_100
/Gemüth in Ruhe, %und das Herz in Bewegung, ist der Zustand
wo man Stärke des Geistes besizt, ohne Affect zu haben.
Im Grunde sind die muthigen Affecte besser, als die schmel-
zende; als Affecte sind sie zwar immer zu tadeln, aber doch
sind sie den letztern vorzuziehen. Der Affect macht blind.
Wir tadeln uns selbst, wenn wir etwas bis zum Affect
haben kommen lassen. Der Gelaßne hatt einen größern
Vortheil; als der, der in Hizze ist; aber doch prahlen
sich einige Leute, indem sie sagen: ich bin sehr hizzig, aber
doch bald wieder gut, damit mann sich für sie fürchten
soll. Man muß sich vom Affect zurückzuhalten suchen,
aber doch kann man über die Grenze springen. Ueber
die Grenze springen, findet vorzüglich im Zorn statt. Ein
Mensch kann zürnen, ohne zornig zu seyn. Aergern heißt
sich wegen einer Beleidigung innerlich gekränkt fühlen
und dieses fällt ans Herz. Mann findet, daß die klei@nen@
Leute am zornigsten sind, weil die Natur alle Lebhaf@tig@-
keit in eine kleine Haut gestopft zu haben scheint. -
Grosse Leute sind gelassen, weil sie sich für nichts zu
fürchten haben. Furcht und Zorn lähmen vorzüglich. Ein
plötzlicher Schreckcken kann einen so confus machen
daß mann sich gar keiner Rettungsmittel bedienen kann
um der Gefahr zu entrinnen. Eben so macht der Zorn de@n@
/|P_101
/Menschen unfähig, den andern, über den er zürnt zu züchtigen.
Die Natur hatt freylich Anlagen zu Affecten geschaffen,
aber nur provisorisch, weil der Affect einen größern Theil
der Kräfte aufbieten kann, als die Gelassenheit. Der
Mensch ist also verbunden seinen Affect zu mäßigen. Es
kann wohl Fälle geben, daß Menschen sich Affecte wünschen,
um sich in Ansehen bey andern zu sezzen; aber nie wird
man sich Leidenschaften wünschen.
/δ_Rest_leer
/|P_102
/ ≥ 3. Vom Begehrungs-Vermögen. ≤
/Das Begehrungs_Vermögen ist durch seine Vorstellungen, Ur-
sache vom Gegenstande der Vorstellungen zu seyn. Zum
Begehrungsvermögen gehören folgende Stücke:
/1.) Der Hang d.h. Möglichkeit der Begierde.
/2.) Der Instinct d.h. die blinde Begierde, ohne eine Erkennt-
niß vom Gegenstande zu haben. Ueberhaupt geht der Instinct
auf einen Gegenstand den man nicht kennt.
/3.) Neigung, ist eine bestimmte Begierde eines mir beckan-
ten Gegenstandes. Sie ist eine bestimmte habituelle
Begierde, d.h. eine dauerhafte.
/4.) Leidenschaft, wenn man einer Neigung alle Uebrige auf-
opfert. Eine Leidenschaft herscht daher nicht gern mit
andern zusammen, weil eine die andere unterdrückt.
/ ≥ Von der Eintheilung der Neigungen. ≤
/Wir können unsre Neigungen eintheilen:
/1.) In formale, ohne Unterschied des Gegenstandes, deren sind 2
/a.) Eine negative, die ist die Freyheit. Dieses ist der Zustand,
in dem ich alle meine Neigungen befriedigen kann. Entfer-
nung von allen ist Zwang.
/b.) eine positive, wirkliche Befriedigung aller Neigungen.
/Die Neigung zur Freyheit ist die stärkste, denn ich kann
nur glücklich seyn, wenn mich in Befriedigung meiner Nei-
/|P_103
/gungen nichts hindert. Den Hang zur Freyheit kann man
eines Theils zur Thierheit, andern Theils aber auch zur Menschheit
rechnen. Das erste ist gesezlose, wilde Freyheit, das lezte
gesezmäßige. Jedes Thier sucht sich zu befreyen. Selbst der
Mensch, der sich doch über die Thiere erheben sollte, sucht diese
thierische Freyheit, denn dieser Mangel des äussern
Zwangs hatt viel Anziehendes. Dieses finden wir auch bey
allen herumziehenden Völker, Z:E: bey den Arabern.
Die nomadischen Völker verachten die ansäßige, weil sie schon
einigermaßen beherscht werden müssen, die Nomaden aber
eine wilde Freyheit lieben. Je weniger ein Mensch unter
der Oberherrschaft steht, desto edler dünkt er sich zu seyn.
Vorzüglich thun dieses die faulen Leute, Z:E: die Spanier.
Zulezt wollen wir noch hinzufügen die Opinion von Freyheit.
Man kann die Meinung von Freyheit einem Menschen, dem man
sie geraubt, lassen. Ein Frauenzimmer ist sehr für die Frey-
heit, %und ein häßlicher Mann muß ihr die Opinion davon
lassen. Er muß ihr die Wahl der Neigungen überlassen;
doch kann er sie nach seinem Willen lenken.
/Das Vermögen heißt besizt aller Mittel zur Befriedigung
aller meiner Neigungen. Die Mittel sind solche, wodurch wir
auf andre Menschen Einfluß haben können. Diese Mittel sind:
Ehre Gewalt und Gold. Durch das erste haben wir Einfluß
auf ihre Achtung; durch das 2te auf ihre Furcht, und durch
/|P_104
/3te auf ihren Eigennutz. Wenn die Erlangung dieser
Mittel zur Leidenschaft werden; «daß» dann heißen sie:
Ehrsucht, Herrschaft %und Habsucht. Der Einfluß durchs
Geld ist das vorzüglichste, denn da gewinnt der Eigen-
nutz. Der Einfluß durch Ehre %und Gewalt ist sehr klein,
denn die Menschen weigern sich einen andern zu achten,
weil sie sich selbst für hoch halten. Daher wird das Geld
auch Vermögen genannt, weil es das vorzüglichste von
allen Vermögen ist. Alle Menschen kann ich durchs
Geld zu meinen Absichten gebrauchen. Wenn wir
besonders nehmen:
/a.) Die Ehrsucht; so ist dieser Affect entgegengesezt der
Hochachtung. Das erste kann einen andern noch wirklich
zur Achtung bringen; aber Hochachtung handelt diesem ent-
gegen, denn er ist ein Ansinnen, daß andre sich gegen mich ge-
ringer schäzzen sollen. Der Hochmuth ist ordinair niederträchtig.
/b.) Die Herrschsucht ist mit Ungerechtigkeit verbunden,
und daher kann ich auch durch sie auf keinen Menschen Einfluß
haben, sondern allein durch Furcht, die ich ihnen einjage.
/c.) Habsucht bringt eine Wirkung hervor, die ihrem Zwe-
cke zuwieder ist, nemlich der haabsüchtige Geitz. Das Geld
braucht man um sich dadurch Menschen zu bedienen.
/Die filzige Kargheit ist daher lächerlich, weil man das
Geld nicht dazu gebraucht. Weil das Geld auf eine so plump@e@
/|P_105
/Art viel vermochte; so haben auch einige Nationen verschiedene
Ausdrücke davon. Z:E: die Holländer sagen: er commandiret
eine Million, die Engeländer: er ist eine Million wehrt, der
Deutsche: er besizt eine Million. Von allen 3 Neigungen
kann man sagen: sie sind Neigungen des Wahns, denn man
will gern die Mittel haben, ohne sie zum Zweck zu gebrauchen.
Daß Menschen aber in die Mittel mehr Werth als in den
Zweck sezzen, zeigt an, daß die menschliche Natur voll Thorheit
ist. Die formale Neigungen werden eigentlich dadurch Lei-
denschaften, daß sie Neigungen des Wahns sind. Die Nei-
gungen, die im Vermögen bestehen, bestehen blos im Wahn,
d.h. ich schäzze den Besitz der Mittel höher, als die Erreichung
der Zwecke durch diese Mittel. Ehre bey andern, ist ein
grosses Mittel auf andere Einfluß zu haben; aber sich
die Ehre selbst zu suchen, sie mit der Feindschaft anderer
zu erlangen, das ist Leidenschaft des Wahns. Eben so auch
mit der Herrsch %und Haabsucht. Daß man aber den Besitz
der Mittel höher schäzt, als die Erreichung der Zwecke, kommt
daher, weil die Phantasie ohne Grenzen ist; so daß, wenn man
die Mittel«¿» besizt, die Phantasie sich schon die Erreichung der
Zwecke einbildet. Diese 3 Neigungen des Wahns, wenn
sie Leidenschaften werden; sind unheilbar, denn, wenn
der Verstand noch so sehr wiedersteht; so ist die Einbil-
dungs_Kraft unerschöpflich.
/|P_106
/2.) Materielle Neigungen sind die, die auf bestimmt Zwecke
gerichtet sind. Diese können wir eintheilen:
/a.) In Neigungen des Wohllebens - des Genusses.
/b.) Neigungen der Beschäftigung.
/c.) Der Gemächlichkeit, wozu die Ruhe gehört.
/Was die Neigungen des Genusses betrift; so können wir
die Befriedigung aller Neigungen, Wohlleben nennen. Wohlle-
ben enthält:
/$a$.) Liebe zum Leben.
/$b$.) Liebe zum andern Geschlecht.
/Mann kann die Liebe zum Leben eintheilen:
/&¿&.) In die blinde; d.h. gar zu grosse Liebe mit der Furcht vor@m@
Tode verbunden, %und
/&¿&.) Ueberlegte, wo man nicht das Leben als Leben, sondern
als eine Menge von Vergnügungen, nemlich als Wohlleben
betrachtet, %und den Tod als den Stöhrer des Vergnügens
haßt. Durch die Liebe zum Leben wird das Individ@uum@
erhalten, durch die Liebe zum andern Geschlecht die species.
Daher ist die Liebe zum Geschlecht edler, als die zum
Leben. Gar zu grosse Liebe zum Leben %und Furcht vor dem
Tode wird verachtet. Liebe zum andern Geschlecht, wenn
sie auch übertrieben ist, «ger» gereicht dem Manne zur Ehre
aber nicht dem Frauenzimmer. Dies nennt man eigentlich
Galanterie. Es hatt sich ein gewisser Purissmus unter die
Menschen eingeschlichen, nemlich: daß der Mensch veredelter
/|P_107
/wäre, wenn er sich ganz der Beywohnung zum andern Geschlecht
enthielte. Die Cinicker sagten: Was nicht schändlich ist, ist
auch anständig, So verhalte es sich auch mit der Beywohnung des
andern Geschlechts. Die Liebe zum Leben ist selbst süchtig, die
zum andern Geschlechte mittheilend. Die Liebe zum Geschlecht,
die nicht mittheilend ist, ist blos für die Befriedigung der
Begierden, und ist also nicht eigentlich eine Liebe; wenigstens
keine moralische, sondern nur eine physische; So wie jener
Engeländer sein Vaterland als einen Rindsbraten liebte, von
dem er seine Portion abschnitt. Diese Art von Liebe kann
man besser einen Appetit nennen, denn wahre Liebe ist
mit Wohlwollen verbunden. Die Liebe zum Geschlecht führt
Aufopferung bey sich; welches schon etwas natürliches ist,
weil man alle seine Wünsche dem geliebten Gegenstande aufopfert.
Unter de«r»n Neigungen zur Beschäftigung, werden die Be-
schäftigungen in der Muße verstanden, die für sich selbst
angenehm sind, d.h. allgemein Spiel. Zur Arbeit hatt kein Mensch
Neigung. Wir können alle Beschäftigungen mittheilen:
/A.) In der Gesellschaft. Dazu gehört:
/a.) Unterredung, kann nie recht unterstüzt werden, wenn sie
nicht mit Genuß verbunden ist. ZE: durch Toback, Caffee %und %dergleichen.
Die Mahlzeit ist das vorzüglichste Vehicul der Unterredung.
Wir können die Gesellschaft an der Tafel betrachten:
/$a$.) als Gesellschaft.
/|P_108
/$b$.) als Gelag, d.h. eine Sammlung zur Mahlzeit ohne daß s@ich@
die Personen kennen dürfen. Ins Gelag reden, %.heißt so reden
wovon man nicht darf verantwortlich seyn, weil die Discourse
einer solchen Gesellschaft nie ausgeführt werden. Lord Chesterf@ield@
sagt: eine gute Gesellschaft muß nicht unter der Zahl der
Grazien, auch nicht über die Zahl der Musen seyn, den in Ge-
sellschaft unter 3 Personen stockt bald die Unterhaltung, und
über 9 kann nicht mehr die Conversation statt finden, weil zu
viele sind. Wenn in einer Gesellschaft die Unterredung zu
stocken anfängt; so muß etwas Interressantes vorbringen,
was sie wieder in den Gang bringt. Die Unterredung bes@teht:@
/1.) In Erzählung, denn man fängt gewöhnlich vom Wetter an.
Wenn dieses erschöpft ist; so kommt:
/2.) Das Raisonniren. Z:E: wie der Krieg zu Ende gehen wird
%und %dergleichen. Wenn aber der Trunk die Zunge lößt; so kommt:
/3.) Der Scherz. Eine tödtliche Stille muß man nicht gelten la@aßen@
und daher keine Unterredung abbrechen. Ferner muß keine
Rechthaberey statt finden; überhaupt muß der Ernst ver-
mieden werden. Alles was man redet, muß mit Bescheidenheit
verbunden seyn.
/b.) Tanz.) Welches eigentlich keine Beschäftigung, sondern
/c.) Musick.) Genuß ist.
/d.) Das Eigentliche Spiel - Wechsel des Interresses.
/B.) Für die Gesellschaft, wozu das Lesen gehört.
/|P_109
/ ≥ II. Die MethodenLehre, oder Characteristick. ≤
/Sie handelt von den Principien, nach welchen man sich einen
Begriff vom Menschen machen kann.
/1.) Durch Vergleichung
/2.) Durch Betrachtung des eigentlichen Characters.
/Sie giebt uns Regeln an die Hand, wessen wir uns beym
Menschen zu versehen haben. Wenn die Physicker eine Pflanze
characterisiren; so kann man dieses auch vom Menschen.
Wir haben einen Character:
/a.) Der Person.
/b.) Des Geschlechts.
/c.) Der Race.
/d.) Eines ganzen Volks.
/Beym Character können wir unterscheiden das Naturell vom
Talent, d.h. wo der Mensch noch über seine natürlichen Anlagen
gehen kann. Naturell ist blos Gelehrigkeit, welches auch die
Thiere haben. Talent ist die Cultur. Hiebey frägt mann: was
der Mensch durch sich selbst machen kann? Wir finden Menschen,
die viel Naturell haben, sie wissen aber nicht, was sie aus
sich selbst machen sollen. Mann kann einen Menschen desaltorisch
nennen, der von einer Wissenschaft zur andern hüpft, und
keine aus dem Grunde lernt. Das Gegentheil davon ist
planenmäßig. Lessing ist einer der desaltorischen Schriftsteller.
/|P_110
/Die Nebenbeschäftigungen eines Menschen können desaltorisch
seyn. Ein desaltorischer Kopf ist schwer zu erklären.
/ ≥ Vom Naturell. ≤
/Das Vermögen das Naturel zu cultiviren, ist Talent. Dieses
wird auch oft Genie genannt, welches Originalitaet hat. Das
Naturell besteht:
/a.) In Gelehrigkeit.
/b.) In Biegsamkeit. Dieses ist ein practisches %und δ_Lücke
/Wer sehr langsam ist, von dem sagt man: er hat ein gutes Ge-
müth. Man sagt auch von einem Menschen: er hatt ein
gutes Herz (dies gehört zum Begehrungsvermögen.) d.h. er hat
einen innern guten Trieb; er muß aber nicht aus der Ver-
nunft, sondern aus der Sinnlichkeit kommen. Gutartig
nennen wir Thiere, die sich leicht displiniren lassen, d.h.
sie haben Gelehrigkeit %und Lenksamkeit. Wenn man
sich der Lenkung anderer überläßt; so kann dies oft ge-
mißbraucht %und schädlich werden. Er wird nicht leicht aufge-
braucht, d.h. er hat keinen Groll. Ein Gesezgeber muß
das Naturell eines ganzen Volks kennen. Eltern erforschen
das Naturell der Kinder, %und Kinder das Naturell der Eltern,
um ihre Gunst zu gewinnen. Das Naturell des Frauenzimmers
ist sehr verschieden, %und sucht vorzüglich das des Mannes erfor-
schen. Manche haben nur ein Naturell zum Nachahmen. ZE: die
Russen. Man glaubt zwar Genie in einem solchen Naturell
/|P_111
/zu sehen, aber es ist nicht in der That so. Die Characteristick
wird behandelt:
/a.) Nach dem Talent.
/b.) Temperament, und
/c.) Character.
/ ≥ Vom Temperament. ≤
/In Ansehung der körperlichen Beschaffenheit theilen wir es
in Constitution %und Complexion ein. Das Temperament ist
die Complexion. Die Temperamente können eingetheilt
werden:
/1.) Ins Gefühl
/a.) der Lust, und
/b.) Unlust.
/2.) In Thätigkeit.
/a.) Cholerisch, d.h. rasch.
/b.) Phlegmatisch, was langsam in Thätigkeit gesezt wird, und
lange anhält.
/c.) Sanguinisch, bedeutet einen Hang zur Fröhlichkeit, verbunden
mit Leichtsinn. Sanguinisch ist der, den jede Empfindung
leicht afficirt %und stark, aber nicht tief eingedrückt wird.
Er ist für den gegenwärtigen Augenblick. Er ist kein böser
Mensch, aber schwer zu bekehren. Er ist thätig, aber auch ver-
änderlich. Man kann also auch aus einem Sanguinicus ein
Cholericus werden, weil man immer wechseln will.
/|P_112
/d.) Melancholisch, hier herscht Traurigkeit, Schwermuth. Die
Empfindung afficirt bey ihm so leicht nicht; wenn sie aber
afficirt ist; so dringt sie tiefer ein. Ein Sanguinicus verspricht
leicht, aber hält nicht Wort. Ein Melancholischer verspricht
nicht leicht, denn er ist immer besorgt, er ist voll Verdacht,
kein guter Gesellschafter; aber kann ein guter Freund
seyn. Alles was unsre Gedanken an einen Gegenstand hef-
tet, ist eine Last fürs Gemüth. Der Melancholische thut
sich nicht leicht etwas zur Gnüge. Der Sanguinicus denkt,
er habe die Sache am besten gemacht. Der %.Melancholicus ist ein
Enthusiast, er erhebt seine Zwecke zur höchsten Wichtigkeit.
Ein cholerischer Mensch ist rasch, wird schnell in Bewegung ge-
sezt, nur dauert es nicht lange. Beym %.Cholericus ist Begierde %und
Ehre; beym %.Phlegmaticus Gemächlichkeit und Ruhe der Zweck. Der
%.cholerische ist gebieterisch %und herrsüchtig, unternehmend, gern
Befehlshaber aber nicht Unterthan, sucht Händel %und mischt
sich in alles. Dies ist ein falscher Schein von ungeheurer
Thätigkeit. Er ist großmüthig, wenn man ihn um Schutz
anflehet; er ist ordentlich; mann kann aber nicht sagen, daß er
fleissig ist; er ist, seiner Meinung nach, sehr klug; er liebt Pracht,
er wird, wenn der HErr mit dem Unterthan streitet, bestän-
dig die Parthie des Herren nehmen, denn er ist in seinem
Kopfe selbst HErr; er ist nicht karg, aber haabsüchtig; er
schickt sich unter seines gleichen wenig, noch weniger unter
/|P_113
/grössere; er ist methodisch ohne Genie; er ist ehrsüchtig ohne
Ehrliebe. Der %.Phlegmaticus heißt auf deutsch: kalt, affectlos, er
wird also nicht leicht durch etwas in Thätigkeit gesezt, daher
ist sein Fleiß nicht rasche Thätigkeit, sondern Emsigkeit.
Bey diesem Temperament ist folgendes besonders merkwürdig:
Das Phlegma kann als Schwäche, %und als Stärke betrachtet
werden. Das erste ist Mangel an Triebfedern das lezte langsa-
me Emsigkeit. Phlegma als Schwäche besteht darin, daß sich
der Mensch keiner Sache mit Interesse annimmt, daher findet
auch keine Arbeit bey ihm statt. Es ist also Faulheit. Die
Triebfedern ihn in Thätigkeit zu sezzen sind nicht Ehre, oder
andre moralische; sondern Schläge. Unter einem Phlegmaticus
versteht man einen solchen, der Phlegma als Schwäche besizt,
%und von dem sagt man: er hat viel Phlegma. Das Phlegma,
als Stärke, ist eine Kraft, die mehr von der Muße, als
von der Geschwindigkeit abhängt. Ein solcher Mensch geräth
nicht gleich in Zorn. Wenn er in Wärme gesezt wird; so ge-
schiht es sehr langsam; wenn er aber im Zorn ist; so hällt er auch
an, wenn er überlegt ist. Um seinen Zweck zu erreichen, läßt
er sich keine Mühe %und Zeit verdrießen. Er ist ein Mensch von
vestem Vorsatz; (tenax propositi) er ist für sich glücklich
durch seine Kaltblütigkeit. Diese Ruhe des Gemüths,
wenn sie auch nicht Weisheit selbst ist, tritt doch in ihre
Stelle. Einen Menschen, der viel Phlegma hat, nennt man
/|P_114
/oft einen Philosophen. ZE: wenn er sich mit einem ander zankt.
Indem sich der andere ärgert; so ist er ganz ruhig, ausser
daß er sich wundert, warum sich der andere sich so sehr incomodire.
Er ist glücklich dadurch, daß er den Neid nicht erregt, denn
dieser wird durch Schimmer %und %.dergleichen hervorgebracht. Ein solcher
Mensch aber glänzt nicht; er ist auch erträglicher, daher ist er
auch ganz glücklich für sich selbst. Er kann auch Geist haben,
dann nennt man ihn Durchtrieben.
/Eine habituelle Disposition muß man nicht für Temperament
halten, denn diese kommt oft von der Erziehung her. ZE der
Sanguinische kann nur habituelle Disposition besizzen. Den
Hang zur Fröhlichkeit kann man sich angewöhnt haben. Mann
kann die Temperamente auch nach den Ständen eintheilen, wel-
ches vorzüglich die Indianer thun. Der Kaufmann wird
durch seine Geschäfte, worin er attent seyn muß, phlegmatisch.
Der Handwerker sanguinisch, weil er nur wenige Sorgen
hat, daher fröhlich seyn kann. Der Soldat, cholerisch, weil er
den Feinden wiederstehen muß. Im Amte ist der Sanguinicus
übereilend %und stuperficiell unordentlich. Der Melancholische
ist pünktlich, aber auch sehr peinlich. Der %.Phlegmaticus ist ein Jaherr,
er betreibt alles auf eine mechanische Art. Der %.Cholericus ist herrsch-
süchtig, aber ordentlich. In der Religion wird %.Sanguinicus leicht ein
Spötter; der %.Melancholische Schwärmer; der Cholerische Ortodox; %und der
/|P_115
/%.Phlegmatische indiscret. Als Autor wird der %.Sanguinicus witzig, doch
populair; der %.Cholerische deutlich, methodisch, aber auf Stelzen; der
%.Melancholicus wird oft originell in seinen Fehltritten. Der Phlegmaticus
wird viel Belesenheit zeigen. In Gesellschaft wird der %.Sanguinicus
unterhalten mit Scherz; der %.Cholericus mit Erzählung; der %.Melancholicus
mit Grübeln. Der %.Phlegmaticus giebt allen Beyfall, indem ihm so recht
wohl ist.
/ ≥ Von der Physiognomick. ≤
/Sie ist die Kunst: von dem Aeussern auf das Innere des Menschen
zu schliessen. Weil aber dann der Körper auf die Seele Einfluß
haben muß; so müssen wir eine Gemeinschaft zwischen beyden
annehmen. Gemeinschaft ist wechselseitiger Einfluß. Es ist
die Frage: ob nicht die Seele den Körper ganz mache? darüber
läßt sich gar nicht reden. Dies ist auch eine Sache, die über
unsre Begriffe geht. Auf wessen Seite der Einfluß vorzüg-
lich ist, ist zweifelhaft. Wir wollen nun einige bekannte Fälle
anführen. Capesius sagt: das Gedächtniß wäre der Einfluß der
Seele auf den Körper, weil die Vorstellungen im Gehirn Ein-
drücke machen. Man kann sich aber davon keinen Begriff machen.
Wir beziehen uns auf den Doctor Gaulius. ZE: Er führt einen
Fall an, daß ein Mensch durch Schreckcken von der Gicht geheilt
sey; dies ist also ein Einfluß der Seele auf den Körper. Er
führt an: daß ein Jäger in einer Nacht stumm ward durch Lähmung
der Sprach«organe»_Nerven. Er glaubte aber, daß er von einem
/|P_116
/Weibe behext sey. Als er nach 3 Jahren dies Weib begegnete;
so fing er sie an zu prügeln, %und auf einmal auch zu schimpfen.
Endlich besann er sich, daß er wieder reden konnte %und batt Sie
um Verzeihung. Die Natur macht uns Ekel für Dinge, die
uns schädlich sind. Der Tod durch Freude ist häufiger, als
der durch Schreckcken, weil man sich diesem Affect ganz
überläßt, und ihn nicht zurückzuhalten sucht. Jeder
Traurigkeit wiedersezt man sich. Was den Zorn anbe-
trift; so sind kleine Menschen, die man kaum sehen kann,
am zornigsten. Ein kleiner Mensch schlug einen andern und
schimpfte. Aus Zorn biß er sich zulezt in die Finger; er
wurde wasserscheu, als wenn er vom tollen Hund gebissen
wäre. Was den Einfluß des Körpers auf die Seele be-
trift; so führt er folgendes an: Ein Weib stahl immer,
wenn sie schwanger war; wenn sie aber gebohren hatte;
so bereute sie es, %und gab alles wieder. Die Hexenprozesse
enthalten Gemeinschaft mit dem Bösen, %und untereinander auf
dem Blocksberg, des wegen sind viele verbrannt %und was
hieher gehört; so haben sie es selbst bekannt; dies ist aber
nur die Würkung von einem gewissen Kraut, das, wenn
man damit die Schläfe reibt, die Sinne benebelt.
Durch Einbildung kann man keine Krankheit sich zuziehen,
als Krämpfe, Convulsionen und Epilepsie. In einer
/|P_117
/Schule in Holland hatt ein Schüler die Epilepsie; die andre
sahen es, %und bekamen es auch durch die Einbildung. Jemand ver-
trieb sie aber auf diese Art: er schnitt ihnen die Haare ab,
%und wollte den Kopf aufschneiden. Aus Furcht verlohren sie sie
alle. Diese 3 Stücke bekommt man aus der Einbildung, man
muß aber seine Gedanken auf was anderes richten um sie zu
@v@erlieren. Es kommt in der Characteristick darauf an, wie
ich die Temperamentseigenschaften äusserlich erkennen kann,
%und dieses heißt die Physionomick (Iudiciaria.) Man hatt
Character_Zeichnungen, d.h. Umrisse von Characteren. Die Menschen
verhelen ihren Character; die Natur aber hatt uns etwas
an die Hand gegeben, denselben in etwas zu erkennen. Mann
kann die Seele aus dem Körper eben so erkennen, als eine
Uhr aus ihrem Gehäuse. Ein berühmter Urmacher in Enge-
land sagte: ein gutes, fein gearbeitetes Gehäuse hatt
nicht allemal eine schöne Uhr, aber ein schlechtes Gehäus
hatt mehrentheils eine schlechte Uhr. Wir sezzen das Aeussere:
/A.) In die Leibesgestalt. Was diese anbetrift; so scheint es
als habe sie gar keine Beziehung auf das moralische. Mann kann
nicht sagen: daß ein grosser vierschretiger Mensch allemal dumm
sey. Alles aus dem groben Bau des Körpers auf das Innere zu
schliessen, ist sehr riskant. Alles mittlere gehört zur Schönheit,
ZE: mittlere Grösse. Die Japaneser sind eine kluge, gesittete
Nation; weil sie von den Tongusen abstammen, so haben sie
/|P_118
/kleine Augen, daher bewunderten sie die grossen Augen der
Europaeer. Den Chineser kommen die blaue Augen eben so wie
die blonden Haare lächerlich vor. Die dickcke Wurstlippen,
und die gedrückte Nase gehören zum Bau der Neger. Die
grigischen Nasen, so wie überhaupt der ganze grigische
Bau gehört eigentlich nicht zur Nation selbst; sondern ist
nur von der Bildung ihrer Götter genommen, welche sie
abstrahirt haben. Policlet war ein berühmter Bildhauer,
und machte eine Statue, genant Daripharus, welche die Grichen
die Regel nannten, weil er sie vorzüglich schön ausstudirt
hatte. Häßlichkeit ist etwas hassenswürdiges. Nichts ist
hassenswürdig, als das Laster. Das Wort Häßlichkeit, wenn
es Mißgestalt bedeutet, wird ganz falsch gebraucht. Es
giebt einige grotescke Züge, welche den Menschen charactisiren
können. Beym mißgestalten Frauenzimmer nennt man es
eckelhaft, weil es als ein Obiect des Genusses angesehen wird.
Man sagt: Hüte dich für den, den Gott gezeichnet hatt. Das
ist aber ein unmenschliches Sprichwort. In so fern hatt es
Ursache, weil sich gebrechliche Menschen immer ihre Fehler
vorwerfen lassen müssen, und also leicht störrisch wer-
den können. Ein verständiger Mensch muß nicht von der
Häßlichkeit reden, in so fern sie Mißgestalt bedeutet. ZE:
Von der einer Spinne.
/|P_119
/B.) In der Gesichtsbildung. (das Profil.) Ueberhaupt haben die
Männer größtentheils eine flache, die Weiber aber eine kugeligte
Stirn. Bey uns ragt der obere Kinladen über den untern; bey
den Chinesern aber ist es umgeckehrt, daher haben sie ein unan-
genehmes Aussehen. Unter denen die aus der Gesichtsbildung
auf das Innere schließen wollen, ist einer der ältesten Baptista
Porta, ein Mönch. Er sagt: nasus rhinocerus, d.h. eine Nase mit
einem Höcker, zeigt einen Spötter an.
/C.) Gesichtszüge bedeuten nicht eigentlich was im Knochenbau
liegt; sondern was zu den Mienen gehört. Minen sind regu-
lirte Gesichtszüge. Archenholz sagt: will man wissen, was
ein Mensch für einen Character hatt; so mach man seine Mienen,
wenn man allein ist, nach, %und bemerke, was man für Gefühle
dabey hatt. Es curios, wenn ein Mensch beschämt wird, daß
er gleichsam ein längeres Gesicht bekommt. Daher sagt mann
auch: er muß mit einer langen Nase abziehen. Lichtenberg
hält dafür: es gebe keine andere Gesichtzüge, die im
Character liegen; sondern die Natur habe sie alle gegeben,
es sey denn, daß der Mensch sie durch üble Gewohnheiten verstümmelt.
Lavater macht die Anmerkung, daß ein Mensch, der im Leben Ge-
sichtszüge hatt, die viel Böses versprechen, nach seinem Tode sanfte bekomme.
Dieses kommt daher, weil die Mienen in dem δ_Lücke
/|P_120
/D.) Die Manieren im Handeln. Ein Stolzer zE: ist am Gange zu er-
kennen. In der Manier sich zu kleiden, ist schwer der Character des
Menschen zu erkennen. Lavater meint: auch an der Art im Schreiben
sey der Character zu erkennen. ZE: Wer eine feste Hand schreibt,
muß auch ein festen Character haben; auch an der Stimme %und %.dergleichen; aber
alle diese Dinge können nachgeahmt werden. Ganz regelmäßige
Gesichter sagen nichts, weil sie nichts characteristisches haben.
Die Universitaet zu frequentiren läßt doch eine Art von Frey-
heit zurück. Dies kommt daher, weil man sieht, daß doch
etwas mehr in der Welt Wehrt hatt, als blos das Geld. Man
sagt: Mann %und Frau, die sich sehr lieben, bekommen ähnliche Gesichtsbil-
dung; aber mehrentheils heyrathen sie schon, wenn sie ähnliche
Gesichtsbildung haben, weil sie sich gern in ihr eignes Portrait
verlieren. Es kann aber auch ohnedem kommen, wenn sie sich ein-
ander die Mienen nachmachen, doch ohne zu affectiren. Die
Mienen bilden sich endlich zu Gesichtszüge. Der Mensch kann
einen sanften Blick, d.h. einen solchen, der ihm Zutrauen er-
wirbt, aber auch einen dreisten d.h. wenn er sich auch noch so
höflich bezeigt; so kann der andre doch Grobheiten von ihm
erwarten, haben. Ein Mensch, der sonst nicht schielt, es aber
beym Erzählen thut, der lügt; denn, indem sich seine Ge-
danken unter einander verkehren; so verkehren sich auch
seine Augen. Nicolai erzählt bey seiner Reise durch
/|P_121
/Bayern, daß viele Weiber gebenedeite Gesichtszüge haben,
d.h. solche barmherzige, weil durch den häufigen, katoli-
schen Gottesdienst die Mienen sich eindrücken.
/ ≥ Von der Physiognomick überhaupt. ≤
/Entweder ist was, oder nichts. Alle abgefeimte Spitzbuben sehen
dumm aus. Sie sind nicht in der That dumm, aber sie müssen
alle ihre Gedanken zusammennehmen um sich nicht zu verrathen;
und daher haben sie ein dummes Ansehen. Ein gewisser Doctor
Grimm erzählt bey seiner Reise durch Holland, Frankreich, Enge-
land, Deutschland, daß alle Spitzbuben in den Arbeitshäusern
mehrentheils starke Kerls sind; weil sie sich nehmlich stärker
als andre fühlen, so kommen sie in Versuchung von ihrer Ueber-
legenheit Gebrauch zu machen. Es frägt sich«,»: ob die Physiogno-
mick kann studirt werden? Nein, denn man kann keine
sichere Kennzeichen angeben; sie kann als eine Art von Spiel
betrachtet werden, denn man kann einen Menschen beleidigen,
wenn man ihre Regeln fest annimmt. De«@r@»m Lavater der
doch der größte Physiognomicker zu seyn glaubte, schickte man
aus Goettingen ein Bild von einem Kerl, der aus Geiz einige Weiber
umgebracht hatte, um wieder reich zu heyrathen. Dieser hatte, wenn
er sprach, eine spöttische Miene. Als man ihn nun bat den Character die-
ses Menschen zu schildern; so sagte er: es müßte ein grosser Spötter
seyn. Lichtenberg glaubt: die Physiognomick kann sich noch ändern.
/|P_122
/ ≥ Von dem eigentlichen Character - Denkungsart. ≤
/Talent gehört zu den Naturgaben; Temperament zu den Natur-
trieben. Denkungsart ist der eigentliche Character. Character
im thierischen Verstande ist das Merkmal der Unterscheidung;
im practischen ein Wille, der auf Grundsäzzen gebaut ist.
Das, was wir Character nennen, ist im practischen Sinne. Der
Character soll den Menschen nicht als Natur, sondern als freyes
Wesen betrachten, bezeichnen. Beym Naturwesen fragen wir,
wie wir erkennen können, was wir von dem selben zu er-
warten haben. Ein Mensch, der einen Character, er sey gut, oder
böse, hatt, ist einer Zurechnung fähig. Zurechnung ist die Art von
Ursache; welche aus dem freyen Willen entsteht. Jeder Character
enthält Handlungen nach Grundsätzen. Einen Temperaments-
fehler tadelt man; aber dieser Tadel ist doch nicht so stark, als
wenn man sagt: er hatt einen bösenen Character, d.h. er handelt
nach Grundsäzzen böse, %und ist also nicht so leicht einer Besserung
fähig. Das Naturell bestimmt gleichsam beym Menschen den
Marktpreis; das Temperament den Affectionspreis; der
Character aber den innern Werth. Die beyden ersten sind
relativ, deren man sich bedienen kann, wozu man einen solchen
Menschen braucht, der gutes Naturell, oder Temperament hatt.
Daher bekümmern sich auch nicht grosse Herren um den Character
ihrer Unterthanen, sondern um die Talente, um sich ihrer als
/|P_123
/Maschienen zu bedienen. Bisweilen kann man einem andern nicht
den Affectionspreis geben, aber des wegen kann man ihm doch nicht
den innern Werth versagen. Schauspieler, Musici können einen
Affectionspreis haben. Beym Character, weil der einen innern
Werth hatt, frägt man nicht«,»: wozu kann man ihn brauchen? sondern«,»:
wenn er einen guten Character hatt, kann man von ihm Tugend
%und Rechtschaffenheit erwarten? Der Mensch, der einen andern
wegen seines Characters hochschäzt, ist nicht gern in Gesellschaft
mit ihm, weil er ihn genirt. Der Mensch, der einen Character
hatt, hatt den zum Gegensatz, der keinen hatt. D«@er@»ieser handelt
auch dann nicht nach Grundsätzen; er ist dann nicht Person,
sondern Thier, denn Persönlichkeit besteht in dem Vermögen
nach Grundsäzzen zu handeln. Er handelt nach Launen, d.h.
nach Anreitzungen. Unter den Launen giebt es vorzüglich die
wetterwendischen, d.i. ein Mensch ohne Character, der sich Vorsätze
macht, ohne daß er das Zutrauen zu sich hatt, sie auszuführen.
Was den Character betrift; so haben wir folgende Regeln:
/1.) Ein Mensch muß Willen, und nicht Launen haben. Willen ist
das Vermögen der Zwecke; Launen sind Temperamentseigenschaften.
/2.) Er muß einen eigenen Willen haben, d.h. er muß sich nicht
von andern leiten lassen. Eignen Willen haben heißt aber
nicht eigensinnig seyn. Eigensinn ist der Abscheu gegen die Mei-
nung eines andern. Es ist blos Stolz; denn dem andern etwas
/|P_124
/nachzugeben, ist eine Art der Herablassung.
/3.) Er muß einen anständigen Willen haben. Wenn er nach
Grundsäzzen handelt; so muß er auch consequent seyn, d.h.
folgerecht handeln.
/Folgendes muß bey jedem Menschen statt finden:
/1.) Er muß einen Character haben, er sey gut, oder böse.
/2.) Er muß sich bemühen einen guten zu erlangen, denn ein
Mensch ohne Character ist ein Thier. Kann wohl ein Character
angebohren werden? Nein, er muß erworben werden, denn
er kann uns imputirt werden. Was aber imputirt wird, muß
erworben seyn. Die Temperamentseigenschaft kann oft sehr
unglücklich seyn, %und kann den Character verhindern; aber man
muß sich doch einen Character zu erwerben suchen. Es gehört Zeit
dazu, um gute Grundsäzze zu erlangen. Moralische Grund-
säzze stellen sich von selbst dar, ohne grosse Grübeley. Daher
kann sich keiner entschuldigen, daß er keine Zeit hatt mora-
lisch zu werden. Allgemeine Regeln überhaupt einen Cha-
racter zu bekommen, sind folgende:
/1.) Man muß diejenigen Leute üben, wenn sie sich Vorsätze ge-
macht haben, dieselbe auszuführen d.h. die Methode einen Cha-
racter zu erwerben. Der Mensch hat in sich die Thierheit, wel-
che wie ein stätiges Pferd, wenn man ihm einmal was ein-
/|P_125
/geräumt hatt, seine Freyheit immer weiter ausdehnen will,
immer wiederstrebt. Man muß sich daher nicht aus Gemächlichkeit,
oder sonst etwas erlauben von seinem Vorsatz abzuweichen; sondern
/2.) dagegen eine Festigkeit zu gründen suchen. Man muß ihnen
daher die Niederträchtigkeit des jenigen vorstellen, der keinen
Character hatt. Ein Mensch kann sich zwar Grundsäzze machen,
aber auch von denselben entfernen. Mann kann sich Grundsätze machen:
/a.) In Ansehung des Lebens.
/b.) Des Umgangs, denn, wenn wir mit Menschen umgehen, die
keine Grundsätze haben; so können wir nicht von ihnen an-
gestellt werden.
/c.) Der Maniren. In Ansehung dieser muß man nichts Wandel-
bares haben. Feste Grundsätze muß man in der Religion
haben. Die Gutartigkeit muß in dem Character liegen, die
Wohlthätigkeit %und %.dergleichen sind oft nur eine Art von Gutar-
tigkeit. Ein Mensch, der einen vesten, wenn gleich bösen
Character hatt, wenn er auch nicht gelobt wird, wird doch
bewundert. Die keinen vesten Character haben, behalten
ihn nur so lange, als sie in keine Versuchung kommen.
Ein steifer Mensch sieht aus, als wenn er einen Character
hatt. Die Nachäffung des Characters findet bey den Son-
derlingen statt.
/|P_126
/ ≥ Von den Maximen des guten Characters. ≤
/1.) Die erste Maxime ist: Wahrheit zu reden, denn, wenn man lügt,
so theilt man das nicht mit, was man denkt, und dies thut kein
Rechtschaffner.
/2.) Treu sein Wort halten.
/3.) Nichts wiederufen, denn dies ist niederträchtig.
/4.) Das Affectiren zeigt ein vesten Character an.
/Diese 4 Stücke gehören aber nun zum Character überhaupt. Zu
den Maximen eines edlen Characters kann man folgendes rechnen.
/a.) Sich von seinen Unternehmungen nicht abwendig machen zu lassen.
/b.) Sich des Zutrauens anderer nicht verlustig zu machen.
/c.) Eine erloschne Freundschaft, wenn sie auch aufgehört hatt, doch noch
zu schäzzen; denn das zu verachten, was man vorher geschäzt hatt,
zeigt keinen festen Character an.
/d.) Das nicht gut heissen, was von höhern Personen böses gethan
wird; entweder muß man schweigen, oder das Böse, bös heissen.
/e.) Die wahre Ehrliebe zeigt den guten Character an. Nach der
Natur hatt man mehr würde, je mehr Tugenden man hatt. Der
Mensch würde seiner Würde etwas vergeben, wenn er sich nach
Anderer Reden richten würde.
/Gutmüthigkeit gehört zum Temperament, %und kann als Tempe-
ramentseigenschaft angesehen werden. Edel handeln %.heißt nach Grund-
säzzen handeln, %und gehört also zum Character. Ehrlichkeit ist die
Aufrichtigkeit, die der Falschheit entgegen gesezt ist. Ehrlichkeit
/|P_127
/besteht aus Grundsäzzen. Es giebt Leute, die ehrlich sind, wenn sie
nicht List genung haben zu betrügen, die so gerade aus Dummheit ehrlich
sind. Solche Leute sind ehrlich, aber nicht redlich. Rechtschaffenheit
geht auf alle Pflichten. Sie heißt so viel, als: allen Gesezzen adae-
quat seyn. Die Maxime des edlen %Characters ist Simplicitaet %und nicht
Affectation. Affectation ist Künsteley das vorzustellen, was man nicht
ist. Consequent oder folgerecht zu seyn, gehört zum Character; so
wie Inconsequenz ein Mensch hatt, der keinen %.Character besizt. Es ist
sehr inconsequent gehandelt das zu erzählen, was man in Gesellschaft
gehört hatt, denn eine Gesellschaft hatt gleichsam ein pactum tacitum,
d.h. sie müssen gegeneinander offen seyn, aber muß sich doch keiner
von ihnen des Andern Reden zu seinem Schaden bedienen, denn dieses
ist Verrath der Freundschaft. Ein Mensch, der dieses thut, muß in
keiner Gesellschaft gelitten werden. Die Conversation, so fern es
an uns liegt, müssen wir nicht mit solchen Menschen haben, die unter
öffentlicher Verachtung stehen, denn wenn man einen Menschen
sonst nicht kennt; so kann man doch vo«@r\m@»n seiner Gesellschaft auf ihn
selbst schliessen. Ich gebe ein Scandal, wenn ich mit schlecht denkenden
Menschen umgehe, indem ich dann ihre niederträchtigen Handlungen
billige. Die Würde des Menschen besteht darin: mit seines Gleichen
umzugehen, doch nicht in Absicht des äussern Standes, sondern der innern
Würde. Man kann von der Würde des Menschen nichts vergeben.
Man kann ein guter gemeiner Mensch seyn, d.h. ein guter aus Temperament,
Gewohnheit, oder Beyspiel, aber des wegen braucht er noch nicht
/|P_128
/edel zu seyn. Moral, wie die Gellertsche, die blos aus Wohlwollen
und Liebe besteht, ist sehr schaal; sie muß auf Pflicht beruhen.
Religion die auf himmlischen Belohnungen, %und hollischen Strafen
beruht, ist auch nicht recht, denn sie auf Grundsäzzen beruhen.
Wenn man sie auf Strafen annimmt; so glaubt man doch noch Zeit
genung zu haben, um seine Sünden abzubitten, und die Belohnungen
sind nicht starke Triebfedern, weil man sie nicht kenet, %und daher
die Vergnügungen dieser Welt, denen jener Welt vorzieht. Es
giebt Verschiedenheit der Stände, die zugleich Verschiedenheit des
Characters mit sich bringt. ZE: Dichtkunst ist eine Art von Be-
schäftigung. Poeten brauchen Naturlagen; sie sind fast immer
ohne Character, weil sie immer Grundsäzze vorspiegeln.
Solche Leute, wie die Poëten, die nicht aus dem Grunde des Her-
zens schöpfen, reden fast immer die Unwahrheit. Physicker, Philo-
sophen, %und alle, die aus Neigung und nicht aus Eitelkeit %und %.dergleichen die
Gelehrsamkeit lieben, sind ehrliche Leute, denn sie müssen in
ihren Geschäften nach Grundsäzzen handeln. Dies war von der
Beschäftigung. Bey den Ständen ist folgendes zu merken: der
Soldatenstand hatt eine gewisse Offenheit und nicht Falschheit, weil
der Muth den Soldaten aus machen soll, %und alle Verstellung dem Muth
zuwieder ist. Der Geistliche Stand hatt eher Gelegenheit falsch zu
seyn. ZE: Trunk %und Spiel sezzen ihn in den Augen der Layen her-
unter, und daher muß er sich verstellen, um diese beyden Stücke
/|P_129
/nicht merken zu lassen, wenn sie auch wirklich von ihm nicht über-
trieben werden. Zur jetzigen Zeit sind die Verstehungen zu der
Verstellung nicht mehr beym geistlichen Stande so häufig, als zu den
Zeiten des Pietissmus. Ein schlechter Character wird auch dadurch
zu wege gebracht, wenn man nach Sprüchwörter handelt, die höchst
unmenschlich sind. ZE: Jeder für sich, Gott für uns alle, welches
man zu dem Vorwande braucht, um Andern nicht helfen zu dürfen.
Rustica gens, optima flens, pessima ridens, um die Bauern zu
unterdrücken. Ein guter Character wird durch Erziehung gegründet.
Die Unverlezlichkeit des Characters besteht darin, wenn man sich
keine Ausnahme zur Befolgung der Grundsäzze erlaubt. Groß-
mütig seyn aus Mittleiden gehört nicht zum Character, sonder aus
Grundsäzzen. Patriotissmus muß auch aus Grundsäzzen bestehen.
Wenn wird wohl der Character erworben? Nach Kants Meinung im
40ten Jahre, denn man bekömmt nur den moralischen Verstand dann,
wenn man den Wehrt der Dinge kennen lernt.
/ ≥ Vom Character des Geschlechts. ≤
/Das männliche und weibliche Geschlecht ist zwar äusserlich unterschieden,
innerlich zwar auch, aber nicht so stark. Mann %und Weib muß man un-
terscheiden, aber nicht Frau, den Frau ist dem HErrn entgegenge-
sezt. HErr %und Frau geben dem Geschlecht noch einen Rang. Bey den
Deutschen ist dies noch ein geringer Tittel, denn die deutsche Sprache
ist, wie die Nation, ganz in Tittel verhüllt, dies kömmt daher, weil
/|P_130
/die Deutschen sehr methodisch sind d.h. sie lieben den Unterschied,
vorzüglich aber in der Ehre. Bey allen Maschienen, wo eine kleine
Kraft %und grosse Wirkung ist, gehört mehr Kunst; Umgekehrt aber
wenig Kunst. Da nun die Natur dem weiblichen Geschlechte wenig
Kräfte gegeben hatt; so ist es glaublich daß sie mehr für das
Künsteln sind. Der Mann, der physisch stark ist, wird im
moralischen, so zu reden, schwächer seyn, folglich sind beyde gleich.
Wir müssen zuerst den Character des Weibes studiren, weil
mehr Kunst in demselben liegt. Das Weib ist für den Mann
gemacht um ihn zu regiren. Jeder von beyden bedarf des andern.
Der eine Theil bedarf Aufheiterung, der andere aber Muth,
um sich beyde zu erhalten. Wenn wir die weibliche Eigenschaft
Schwäche nennen; so drücken wir dieses auch durch Weiblichkeit
aus. Die Eigenschaften des Mannes aber durch Männlichkeit.
Weiblichkeit einem Mann beyzulegen taugt nicht, %und männlich ein
Weib zu nennen, ist sehr zweydeutig. Weiblichkeit ist Schwäche.
Sehr oft affectiren sie auch nur Schwäche, weil sie wissen, daß
sie dadurch dem Manne besser gefallen, denn der Mann findet
sich dadurch aufgerufen, ihnen beyzustehen, und eben dadurch er-
langen sie oft die Herrschaft über die Männer. Wenn wir hier
die Schwäche der Weiber betrachten; so tadeln wir sie nicht;
sondern wir bewundern nur, wie die Geschlechter verschieden
ausgerüstet sind. Es ist auch dem Manne zu wieder, das Weib
zu tadeln, sondern vielmehr beyzustehen. Der Mann ist auch,
/|P_131
/@im@ Verhältniß gegen das Weib, in einiger Art sehr schwach,
@Z@E; er ist leicht zu erforschen, Geheimnisse selbst. Ein Weib kann
Anderer Geheimnisse zwar nicht bewähren, aber ihre eigene desto
@fest\bess@er. Dies zeigt schon Ueberlegenheit des Weibes an. Der Mann
ist leicht zu überreden, das Weib aber bleibt immer auf ihrem
@S@inn. Dies kann wohl daher kommen, weil der Stärkere immer
großmüthig ist, %und der Mann auch den Hausfrieden liebt; die Frau aber
den Hauskrieg gar nicht scheut, indem er ihr sogar Bedürfniß zu
seyn scheint, weil sie sich beym Schimpfen %und Schelten recht wohl befindet.
Der Mann ist leicht zu versöhnen, das Weib hingegen sehr schwer.
Home sagt: die Männer sind zum herrschen, %und die Weiber um beherrscht
zu werden. Bey uns aber ist es anders. Die Männer pflegen gern
beherrscht zu werden, %und die Weiber zu beherrschen. Im Naturzu-
stand (rohen) ist das Weib das Hausthier des Mannes. Der Mann
wird verfeinert, wenn er beherrscht wird, %und das Weib beckommt
mehr Bewustseyn von dem Einfluß auf den Mann. Das Weib hatt
einen gewissen Stolz, macht Anspruch auf Achtung, %und wird daher
nicht sonderliche Achtung für den Mann, wegen seiner Verdienste,
Ehre %und %.dergleichen, denn sie regirt den Mann selbst, haben. Die Achtung
fürs Geschlecht kann viel zur Cultur beyder Geschlechter bey-
tragen, vorzüglich aber beym männlichen. Da die Natur in den
weiblichen Schooß die Erhaltung ihrer Art gelegt hatt; so scheint sie
gleichsam auch die Furcht in sie eingeflößt zu haben für die Uebel, die der
Art zustossen können. Diese Furcht geht aber immer blos auf die
/|P_132
/körperliche Verletzung. Daher kann ein Weib zu Wasser %und auch
an gefährlichen Stellen reisen, ohne sich zu fürchten; aber wo die
körperliche Verlezzung nur irgendwie sichtbar ist, da hatt sie die größte
Furcht. Der männliche Verstand hatt einen andern Maaßstab, als
der weibliche. Der weibliche geht blos darauf, wie sie über den
Mann die Oberhand behalten kann; der männliche darauf um
Meister über die Natur zu werden. In Ansehung der Empfin-
dungen ist das Weib empfindlich; der Mann aber empfindsam,
%und nicht zärtlich soll er seyn. Der Mann %und das Weib haben
einen verschiedenen Geschmack. Mann kann sagen der Mann muß
einen feinern Geschmack haben, weil die Natur ihn gröber, %und
das Weib feiner gebildet hatt. Der Mann muß also in der
Wahl des Weibes feiner seyn.
/Häusliche Verdienste. Des Mannes Pflicht ist: zu erwerben,
%und des Weibes: das Erworbene zu schonen, denn der Theil, der
nicht erwerben kann, kann auch nicht freygebig seyn. Des Man-
nes Ehre besteht für sich selbst; des Weibes aber aus dem Urtheile
Anderer. Ein englischer Lord sagte: ein Weib muß seyn wie 3
Dinge, aber auch nicht. Diese Dinge sind:
/1.) Häußlich, wie eine Schneckcke, aber nicht alles bey sich tragen, wie
diese.
/2.) Antworten, wenn man sie frägt, wie das Echo, aber nicht immer
das lezte Wort haben.
/3.) Die rechte Zeit halten, wie eine Standtuhr, aber nicht alles aus-
plaudern.
/~δ_Rand_132_Z_20
/add 4.) Wie eine Or-
gelpfeife, die bey der
leisesten Berührung der
Taste, schreit. So muß
sie bei jeder Berührung
eines Mannes schreien,
aber nicht ihres eignen. ~
/|P_133
/Dem weiblichen Geschlecht muß man nicht aus Pflicht, sondern aus
Neigung gefallen, denn, was durch Pflicht geschiht, ist dem Manne nicht
angenehm. Die Cultur des Weibes muß nicht eine gelehrte seyn.
Das weibliche Geschlecht ist nicht sehr verträglich. Das Weib muß sich
keinen Mann wählen; sondern sie muß die Bewerbung des Man-
nes erwarten. Die Weiber sind unter sich selbst Richterinnen,
aber auf eine strenge Art; nicht aus Affectation, sondern auf eine
ernsthafte Art. Warum heißt das weibliche Geschlecht das schöne?
Theils, weil die Natur mehr auf die Schönheit des Aeussern, als
auf Stärke gesehen hatt; theils auch, weil ihr Inneres in Absicht
ihrer Talente Schönheit ist. Wir können immer sagen: daß
eine alte Frau doch noch feiner ist, als ein Mann, wenigstens könte
sie es seyn. Achtung für dieses Geschlecht haben ist nicht allein
Großmuth von den Männern, weil er der stärkere Theil ist,
sondern sie erhebt auch die Denkungsart des Mannes sehr.
Der Ton des Weibes ist angenehm, fein, für Jedermann faßlich %und also
zur Conversation am schicklichsten. Die Conversation ohne Weiber
artet zulezt immer in Streit aus, wenigstens wird sie immer roh,
denn sie kommen auf Materien, die dem Zweckcke der Conversation,
d.h. Fröhlichkeit zuwieder sind. Eine Liebe zu einem tugend-
haften Frauenzimmer veredelt den Mann, %und bewahret ihn vor
Ausschweifungen, denn er bestrebt sich alsdann der Liebe des
Gegenstandes würdig zu werden. Im Durchschnitt haben auch
/|P_134
/immer Fürstinnen glücklicher regirt als Fürsten, weil man
sich ein Vergnügen daraus macht einer Dame zu gehorchen. In
der Türkey sind die Weiber eingeschlossen, aber dafür findet
auch wenig Freyheit bey ihnen statt, %und wenn sich der Türcke
auch in seinem Serail erhohlt; so betrachtet er sich doch nicht
als Freundinnen, um sich mit ihnen zu unterhalten, sondern
als Dienerinnen seiner Begirden. Woher thut das weibliche
Geschlecht nicht bey Ehen den Antrag? Dies liegt in der Na-
tur, denn der schwächere Theil muß vom stärkern gesucht wer-
den. Wenn ihr noch dazu der Antrag sollte abgeschlagen werden;
so würde sie dadurch noch mehr erniedriget werden. Der Mann
muß scheinen aus Bedürfniß %und das Weib aus Gunst zu heyra-
then. Das Weib muß gesucht werden, %und nicht aus Bedürfniß
scheinen zu heyrathen. Es ist auch glaublich, daß das weibliche
Geschlecht wirklich kälter ist. Ein jeder Mann muß in Gesell-
schaft von Weibern thun, als wenn er gar sehr in Affect wäre,
wenn er auch wirklich kalt ist. Der Mann ist in der Wahl
des Weibes sehr delicat; das Weib nicht so, sondern es sieht
blos auch Rang, Tüchtigkeit %und %.dergleichen. Das weibliche Geschlecht,
wenn es gar zu delicat seyn würde, würde nicht gesucht werden.
Ein Weib kann einen Mann, der noch nicht ganz liederlich ist, bessern,
sie hatt grossen Einfluß auf ihn, aber er ist doch nicht sehr
groß. Wer soll die Oberherrschaft im Hause haben? Das Weib
/|P_135
/soll herrschen, %und der Mann regiren, denn die Neigung herrscht, %und
des Verstandes Werk ist, daß er regirt. Sie herrscht durch
die Neigung, die der Mann zu ihr hatt. Er muß der Neigung
der Frau durch den Verstand satisfaciren. Ein Frauenzimmer
läßt sich nicht so leicht wiedersprechen, man muß sie daher durch
Vorstellungen von ihrem Vorsatz abbringen. Eine Frau kann
wohl ein Land regiren, aber kein Haus, denn hier kann
sie nur herrschen, %und ein Land regirt sich im Grunde selbst, weil
die Collegien %und andere Gerichte schon die Einrichtung haben,
daß sie nicht mehr brauchen regirt zu werden. Wenn der Mann
das Haus nicht regirt; so geht alles verkehrt. Eine Frau
muß gesucht werden, sie muß also auch natürlich im Ehestande
nicht allein ihrem Manne, sondern auch allen Männern zu ge-
fallen suchen, um durch ihr Betragen andere Männer nach dem
Tode ihres Mannes an sich zu ziehen. Der Mann aber muß
nur allein seiner Frau zu gefallen suchen. Der Eifersucht ist
die Tolleranz in der Ehe entgegengesezt. Es giebt keine Tolle-
ranz in der Ehe, die Intolleranz ist der Grund der Ehe. Würde
das weibliche Geschlecht sich ohne Ehe ad coitum celebrandum hin-
geben; so würde sie keinen andern Werth haben, als die Lohn-
dirnen. Aber daß man sie nur in der Ehe theilhaftig werden
kann, ist für ihr der Werth. Warum bespottet man den Ehemann,
/|P_136
/wenn die Frau ausschweift; %und warum bedauert man das Weib,
wenn es der Mann thut? Die Frau muß unter der Regierung
des Mannes stehen. Wenn er also nachsichtig ist, - - - -
so verdient er Verspottung. Die Frau wird aber betrauret,
weil der Mann sie geheyrathet hatt, um sie allein zu haben, und
weil sie sich nicht ihm wiedersezzen kann, weil sie unter seiner
Herrschaft steht. Die Mütter verziehen die Söhne; die Väter
die Töchter. Der wildeste Sohn ist der Mutter am liebsten,
%und sie übersieht gern seine Fehler, wenn auch der andere weit bessere
Eigenschaften hatt. Die Väter verziehen die Töchter des-
wegen, weil der Mann sich fühlt, daß er dem weiblichen Ge-
schlechte beystehen muß; %und so erwartet die Mutter vom Sohn,
daß er, wenn er erwachsen ist, sie schüzzen muß. Wenn ein
Mann herumschweifend geliebt hatt. (d.h. vaga libido.) so regirt
das Weib ihn leichter, als das Concubinat.
/ ≥ Vom Character des Volks. ≤
/Man muß attendiren, ob der Character des Volks von der Regirung,
oder die Regierung vom Character des Volks abhäng«¿»e, %und ob sich ein
Naturcharakter bey Völkern findet, der sich bey veränderter Regierung
äussert. Bey den Indianer ist es sichtbar; denn da unterscheidet
sich jede Art von der andern durch ihren Character. Ein Volk, wovon
jeder einzelne Mensch einen %.Character hatt, hatt keinen Character. ZE: bey
den Engeländer. Hingegen die Franzosen haben einen Character, weil
/|P_137
/kein einzelner einen Character hatt. Frankreich ist das Land der Moden,
wo man durch zufällige Gebräuche übereinstimmt. Mode ist ein
veränderter Gebrauch. Die Franzosen sind ganz für die Mode, sie
suchen im höchsten Grade die Conversation, %und ihre Annehmlichkeit.
Ihre Sprache ist die eigentliche Conversations Sprache. In Italien
giebt es zwar auch einen Geschmack, aber keinen Conversations Geschmack.
Sie haben blos Geschmack für schöne Gegenstände; ihre Conversation ist
ausserordentlich schlecht. Die Sprache der Franzosen ist sehr für Witz.
Wegen ihrer Aequivoquen; Muth; Leichtsinn; %und der Gabe das Grosse
klein, %und das kleine groß zu machen; ihrer Galanterie; %und des
Point d'honneur sind sie vorzüglich berühmt. Point d'honneur
besteht darin, was den Stand afficirt. Wir können 3 Punkte
ausser den mathematischen haben:
/1.) Gewissenspunkt - Casus conscientiae.
/2.) Rechtspunkt, Casus iuris, und
/3.) Ehrpunkt. Dies lezte ist Chicane für die Vernunft, %und über-
haupt alle 3. Gewissenpunkt ist: wo man Mükken fängt, %und
Kamele verschluckt. Der Rechtspunkt ist eine Kleinigkeit, worüber
lang gestritten wird. Punctum honoris ist das Point d'honneur.
Geschmack, aber auch Leichtsinn ist in Frankreich, eben so: wie Erzie-
hung, Feinheit, %und Höfflichkeit zu Hause. Petit maitre bedeutet
einen kleinen Mann, der großthut, der sich für etwas Grosses
hält, %und doch nur klein ist. Etourdie ist eine Art von Dummdreistigkeit.
/|P_138
/Die Vapeurs %und alle dergleichen Dinge sind in Frankreich zu Hause.
Sie bedienen sich auch einiger Wörter, die auf ihre Conversation hinaus
laufen, zE: bon ton. Einige von ihnen halten ein boureau d'esprit
d.h. ein Hauß, wo witzige Köpfe zusammenkommen. Der Franzose
ist leicht, gefällig %und dienstfertig, aber nicht allemal reinlich. Die
französischen Weiber sind weit angenehmer, als andere. Die bon mots @-@
Witzwörter - sind bey ihnen sehr gebräuchlich. Der Franzose ist
voll von bon mots, daß er andern noch mittheilen kann. Hardiess@e@
ist eine Wahl gewisser Dogmen %und Hypothesen wenn sie gleich dem
Verstande wiedersprechen. In Ansehung der Religion waren sie
intollerant. Ihre jezige Revolution wird ihren Character doch nicht
verdrängen, den bey allem ihrem Mangel, %und Unruhen, gehen doch die
Damen fröhlich, %und sorgenfrey einher. Die bon mots liegen schon in
ihrem Character. Die Franzosen sind einerley, weil sie sehr für
Conversation sind. Ihr er d'egarge ist «@ist@» eine gewisse Leichtigkeit.
Sie sind großmüthig gegen die Fremden, %und lachen auch den nicht
aus, der ihre Sprache nicht eben gut spricht. Der Franzose ist
äusserlich pünktlich, aber innerlich nicht. Ihre Staatsverfassung
hatt Wiedersprüche. Lettre d'cachet kann man einen Gewalts-
brief nennen d.i. eine angeckündigte Strafe, nicht nach Rechten,
sondern nach Autoritaet. Lettre d'cachet ist so wie ein Blitz in
stiller Luft, für den keiner sicher ist. Dieser Zwang contrastirt
/|P_139
/gegen die Neigung zur Freyheit, die sie haben. Die Tolleranz der
Regierung gegen die Intolleranz der Conversation. Ihre Criminal-
Gesezze sind sehr fehlerhaft; so daß bey den kleinsten Diebstählen
jeder hingerichtet wird, %und die Richter erst nach dem Tode das Ver-
brechen untersuchen, wo er, wenn er für unschuldig erkannt wird,
rehabilitirt wird. Aus allem diesen kann man den Leichtsinn der
Franzosen erkennen. Er ist tapfer, aber nicht mechanisch. Sie
scheinen bey der jetzigen Verfassung von einer Seiten den Spa<rta>-
n«ier»er, von der andern den Athenienser zu ähnen.
/ ≥ Spanier. ≤
/Wir finden hier Abstechung zu dem Vorigen. Die Spanier haben
wirklich einigen Character, welches aus dem morischen Blut herzu-
kommen scheint. Bey ihnen findet man Hang zur Grandezza (Hoheits-
geist). Schon in ihrer Sprache liegt Grandi loquence. Sogar bey
Bauern findet sich einige Würde, ohne Verlegenheit mit den Obern
zu reden, indem «sich» sie sich eines baaren Wehrts bewußt sind.
An alten Gebräuchen hängen sie vorzüglich, besonders in der
Religion, welches noch die Auto da Fes bezeugen. Der Spanier
ist feig; er hält aber seine Nation für klüger %und höher als die
andern, daher findet man auch selten einen reisenden Spanier, weil
sie alles in ihrem Lande zu finden glauben. In den Wissenschaften
sind sie Jahrhunderte zurück, ausser in der Mathematick.
Die Franzosen sind mäßig im Trinken; die Spanier aber noch mehr,
/|P_140
/aber auch im Essen. Der Phalange, bey ihnen ist ein Tanz, der
so beliebt ist, daß, wenn ihn Jemand auf seiner Stube spielt;
alle Vorübergehende zusammenlaufen. Die Religion drückt auch
sie, wie eine Last.
/ ≥ Italien. ≤
/In Italien ist der Kunstgeschmack im Bauwesen, Mahlerey,
Bildhauerkunst, %und Musick. Die Conversation ist bey ihnen sehr
klein. Sie kommen blos auf grossen Bällen zusammen. Alles
geht bey ihnen auf Parade. Sie besuchen sich blos, um sich zu zeigen.
Rosseau sagt: sie haben Prachtsäle %und schlafen in Ratzennestern, weil
ihre Schlafkammern sehr klein sind. Wenn Jemand einen andern
tödtlich verwundet hatt; so springt er ins erste Haus, oder Kloster;
als Asyl, wo man ihn nicht heraus bringen kann. Die Gewohn-
heit der Cicisbaeus ist nun bey ihnen Gebrauch. Der Cicisbeus
(Ohrenflüsterer) wird vom Mann bey der Frau gehalten, der sie
auf Promenaden, Schauspielen, %und %.dergleichen führt. Vorzüglich ist das
in Oberitalien ganz Gewohnheit geworden. Die Italiener zeigen
eine aus nehmende, nachdenkende Klugheit. Sie haben nicht solchen
Witz, wie die Franzosen; aber bey ihnen ist alles methodisch. Der
Adel besizt alles Vermögen, %und die übrigen der Nation können sich
durch nichts anders aufhelfen, als durch Erfindung allerhand Ver-
gnügungen. Es ist eine ihrer fatalsten Eigenschaften, daß die
@Zranos@ (Meuchelmörder) bey ihnen geduldet werden. Ein @Zranos@ ist
/|P_141
/ein Mann von Ehre, der sich für Geld erkaufen läßt, einen andern
umzubringen. Die Banditen sind solche, welche durch Italien Reisende
in Schuz nehmen, %und ihr Leben für sie lassen; aber so bald sie aus dem
Dienst eines Fremden sind, so muß er sich sehr in Acht nehmen. Der
Witz bey den geringen Leuten in Italien findet sich vorzüglich bey den
Gondolieren in Venedig, %und den La@zeron\geron@is in Neapel. Vor einigen Jahr-
hunderten waren die Italiener grosse Erfinder in den Wissenschaften;
jezt aber hindert sie der Luxus.
/ ≥ Engeland. ≤
/Die Engelaender sind etwas von den Schotten unterschieden. Die Enge-
länder«n» sind von Angeln, Sachsen, Franzosen %und %.dergleichen gemischt. Die Enge-
länder haben einzelnen %.Character, also nicht die ganze Nation; indessen
ist nicht alles %.Character, sondern nur vieles Affectation eines Sonderlings.
Engeland ist das Land der Sonderlinge. Der Sonderling sucht den %.Character
eines andern nachzuahmen. Der Engeländer, wenn er «zur» ins Gasthaus
kommt; fordert zuerst ein apartes Zimmer %und apartes Essen. Ihr
Essen ist gar nicht mannigfaltig wie bey den Franzosen %und Deutschen,
denn sie haben nicht einen solchen Hang zur Conversation. Ihre rühmliche
Vorzüge sind nicht groß, weil sie einen Eigendünkel haben, sich über
andere zu überheben. Die Speisen in Engeland sind so theuer: daß
man für 2 schlechte Gewichte so hoch bezahlen muß, als in Frankreich
%und Deutschland für 8 gute. Ihre Conversationen gehen auf Politick.
Sie haben einen Hang zur bürgerlichen Association; diese ist bey ihnen
/|P_142
/stärker, als bey allen andern Nationen. Daher nennen sie dieses auch
public spirit (öffentlicher Geist). Diesen öffentlichen Geist findet
man nur in Freystaaten, %und nicht in Staaten, die souverain sind, weil
da die Verordnungen alle von Hofe kommen, %und das Volk nicht die
Freyheit hatt, einige selbst einzurichten. In Engeland findet man
mehr Wohlhabenheit, als in einem andern Lande. Die Engeländer
sind in der Geschichte anderer Länder sehr unwissend ob sie es
gleich in den Wissenschaften sehr hoch gebracht haben. Alles
wird bey ihnen sehr gut bezahlt, nur nicht ein Landpfarrer.
Ihre Waaren können sie sehr wohlfeil lassen, denn sie haben
zu allen Sachen Maschienen sie geschwind zu verfertigen, %und
wieder andre Maschienen diese Maschienen zu verfertigen.
/ ≥ Deutschen. ≤
/Die Deutsche pflegen zu ihrem Unterschiede zu haben:
Phlegma, Emsigkeit, %und Unverdrossenheit. Sie haben sich
durch eine grosse Menge von Erfindungen berühmt gemacht.
In Ansehung des Geschmacks haben sie keinen Erfindungs_Geist.
Sie haben einen gewissen Geist der Ordnung. Die Deutschen
haben das größte methodische. Dieses methodische macht sie
auch mechanisch, %und der Hang zur Methode bringt die Titulsucht
bey ihnen hervor. Schon in der Sprache ist sie zu sehen, zE: du, er,
ihr, sie; so, daß man nicht weiß, wie man einen anreden soll.
/|P_143
/Einige ihrer Tittel fangen sich mit Dero %und Ihro an, welches sehr sonderbar
klingt. Der Unterschied «%und» der Stände und Tittel ist schon ganz erschöpft,
daß man so gar Schulen und Educationsräthe hatt. Dieses kommt
noch alles vom Lehnwesen her. Es gab Lehnsherren, Lehnsleute, %und
Freye. Die Gelehrte wollten dem Adel gleich seyn, %und daher kamen
solche Subdivisionen zur Annäherung an den Adel, daß es ganz un-
möglich ist, jezt noch mehrere aufzufinden. Wenn der Deutsche
in einer Sache keine bestimmte Regel hatt; so weiß er sich nicht
zu finden. Sie sind die besten Soldaten, weil sie sehr mechanisch
sind; doch nicht so sehr, als die Russen. Das Hardi findet bey ihnen
in nichts statt, sie glauben die Grenzen zu überschreiten. Der
französische Comediant ist degorgé; der deutsche gespannt; selbst
die Sprache ist sehr um den kleinsten Unterschied zu bemerken.
Es ist auch mehr Dissiplin bey ihnen, als bey einer andern Nation.
Die englische Jugend wird mit vieler Nachsicht erzogen. Die
Deutsche reisen gern, %und die ganze Welt ist ihr Vaterland. Sie
haben keinen National_Stolz, %und können auch nicht, denn sie haben
zwar eine Sprache nur, aber nicht ein Vaterland. So viele Reiche
in Deutschland; so viele Denkungsarten. Sie sind die besten
Colonisten. Die Weiber arbeiten bey den Deutschen auf dem
Felde mit. Die deutschen Staaten machen zwar einen Körper aus,
aber sie haben nicht gemeinschaftliches Interesse. Die Franzosen
sind zwar auch unstätig, aber sie haben das zum Vortheil, daß
/|P_144
/ihre Sprache die allgemeine Conversations Sprache ist. Die Deut-
schen sind daher die besten Collonisten, weil sie sehr emsig %und
ordentlich sind. Der Hang zur Methode ist Ursache daß sie
zwar Intolleranz aber nicht Geist haben, d.h. im mechanischen
können sie zwar wohl Erfindungen machen, welche die Buch-
druckerkunst %und %.dergleichen bezeugen, aber nicht, was auf Ideen
abzweckt. Die Deutsche besizzen Urtheilskraft. Ihre
Sprache hatt eine gewisse Art von Castitaet, nach welcher
sie nicht leicht Wörter aus einer andern aufnimmt. Sie
ist auch reicher, als eine andre. Man sagt Genie läßt sich nicht
im Deutschen ausdrücken; aber im französischen eben so wenig,
denn sie haben es aus dem lateinischen. Die Deutsche verstehen
unter allen Nationen die beste Tafel zu halten; dies ist ihrem
Phlegma angemessen. Sie unternehmen alle Arbeiten, wenn
sie auch nicht gleich Nutzen sehen. Robbertsson sagt: die Deut-
schen sind die Marchands en gros in der Gelehrsamkeit; doch
jezt nicht mehr so, als in dem vorigen Jahrhundert, da die
Polyhistorie noch statt fand.
/Die Franzosen, Engeländer, Italiener %und Deutsche sind die
gelehrte Nationen. Die Spanier können wir gar nicht dazu rech-
nen, noch weniger die Portugiesen %und Schweden. Wir wollen jezt
von den Völkern handeln, die bey der ersten Gelegenheit in die
/|P_145
/vorige Barbarey zurückfallen können. Dies sind Türken, Russen,
und Pohlen. Man wird aus der Barbarey befreyt, wenn man
/1.) Disciplinirt wird. Discipliniren %.heißt der wilden Freyheit
beraubt werden.
/2.) Cultivirt. Cultur besteht darin: das Gedächtniß %und den Verstand
zu belehren.
/3.) Civilisirt wird, wenn man dem Menschen im Umfange nach Ge-
schmack gut ist.
/ ≥ Pohlen. ≤
/Die Pohlen sind blos etwas cultivirt, aber gar nicht disciplinirt.
Der Pohle will zwar Gesezze haben, aber er will nicht, daß
man ihn zwingen soll sie zu halten. Wenn man das pohlnische
Volk nimmt; so kann man sich blos die Edelleute denken, weil
die Uebrigen alle Sclaven sind. Sie haben blos etwas Cultur
in den Manieren. Ihre Manier ist sehr groß; man findet viel
Pracht von Aussen, aber wenig Reinlichkeit von Innen. Sie
sind schlechte Haushalter, gute Borger, %und schlechte Bezahler. Sie
haben viel Pracht, aber er ist allenthalben voll Mangel. Jeder
liebt seine persönliche Freyheit. Er liebt auch Patrioten der
Rede nach, aber jeder verkauf sein Vaterland, wenn er nur
Geld kriegt. Die pohlnische Nation aber ist noch nicht so hart,
als die russische, obgleich beyde sclavische Völker sind; so scheinen sie doch
verschiedne Charactere zu haben. Stolz gegen Niedere %und Krichen gegen Obere
ist Character einer Nation, die keine Grundsäzze hatt.
/|P_146
/ ≥ Russen. ≤
/Die Russen haben keine Cultur. Sie können allerley lernen, aber
keine Lehrer werden, denn, wenn man Lehrer seyn will; so muß
man den Geist der Sache in sich haben. Die russische Nation ist
von ausserordentlicher Härte. Sie erträgt grosse Beschwer-
lichkeiten ohne Murren; aber dies ist blos ihr sclavischer Geist,
denn sie härten sich dadurch gar nicht ab.
/ ≥ Türken. ≤
/Die Türken sind ein tapferes Volk. Der gemeine Mann hatt
hier, wie in allen südlichen europaeischen Ländern, guten Ver-
stand. Der Türcke fühlt den Druck, den er leiden muß.
Er ist gern wohlthätig gegen den Fremden, nemlich, so bald er
Bekanntschaft mit ihm gemacht hatt. Sie haben zwar etwas Cultur,
aber keine rechte Disciplin.
/ ≥ Von den Racen. ≤
/Unter Racen verstehen wir eine solche Gattung von Menschen,
die durch gewisse Kennzeichen, die ihnen erblich sind, von andern
unterscheiden. Es giebt Menschen, die entweder zu irgend
einer Race gehören, oder halbschlächtig sind. Wir haben 4
Racen:
/1.) Die Weisse.
/2.) Schwarze.
/|P_147
/3.) die Gelbe, und
/4.) die kupferrothe.
/Die Race der Weissen unterscheidet sich durch verschiedene Stämme:
ZE: ein blonder Mann %und eine brunettes Weib bringen einen halb-
schlächtigen hervor. Die Menschen, die blos durch Varieteten un-
terschieden sind, sind nie halbschlächtig. Der Character der Neger
ist erstaunend leichtsinnig und eitel. Sie mögen nicht gern arbeiten,
oder dienen; es sey denn bey einem vornehmen HErrn, weil sie da
paradiren können. Sie haben viel Fähigkeit zu lernen; aber sie
machen blos nach, was ihnen gelehrt wird. Die Americaner sind die
niedrigste Race von Menschen. Sie sind ohne Gefühl. Sie können
sich gar nicht unterhalten, %und wegen ihrem Phlegma haben sie auch
keinen Hang zum Geschlecht. Sie haben keine Todesfurcht.
Viehzucht, %und Ackerbau sind nicht ihre Sachen. Die Ostindier,
ein Halbschlag von «@Neg@» Mongolen %und Indostaner, ist eine
besondre Race. Sie sind sehr wohl gewachsen %und gebildet. Bey
der größten Hitze, wenn andern die Hände schwizzen; sind
ihre kalt. Sie haben ziemliche Cultur, vorzüglich im mecha-
nischen. Sie sind ausnehmend leicht zu regiren; sie könen
aber nicht Eroberer seyn, sondern sind immer erobert.
/δ_Ende_Ms