|P_a

/ ≥ Vol:_I. ≤

/ ≥ Antropologia.

/Prolegomena

/Es ist keine größere und wichtigere Untersuchung für den Menschen,
als die Erkenntniß des Menschen. Diese ist aber von vielen für sehr
leicht gehalten worden und das aus den Ursachen:

/1) Man glaubte es wäre deswegen keine Disciplin davon nö-
thig, weil man diese gar leicht durch den Umgang lernen könnte
und deswegen hielt man es für so leicht obgleich nicht für unnöthig. Eben
so geht es auch mit der Moral: Man glaubte daß dieselbe wichtig war;
aber eine Wissenschaft davon machen wäre überflüßig.

/2) Man hielt sie nicht für allzu wichtig: Die Menschen sind doch meisten-
theils der gröste Gegenstand unserer Betrachtung. Alle Brüderschaf-
ten gehen doch nur blos auf die Menschen. Von der andern Seite
hielte man sie nicht für so nothwendig, weil es schiene daß das Betra-
gen der Menschen keine Gesetze hätte. Diese Betrachtung des Men-
schen ist doch eine der angenehmsten Materien.

/Wir können diese Erkenntniß des Menschen auf eine zweifache Art
betrachten.

/1) Als eine Speculative. Da man blos in der Nachforschung der
Wisbegierde dem Verstande ein Gnüge thut:

/ 2)

/Lage A

|P_b

/2) Als eine pragmatische die nicht auf weitere Erkenntniß geht, als
in so fern wir davon einen ausgemachten Nutzen ziehen.

/Wenn sie pragmatisch abgehandelt wird; so ist sie eine Weltkenntniß und bildet
einen Weltmann.

/Zur Welt nehmen wir.

/1) Die Natur, 2) Die Menschen. Man setzt diese deswegen einander
entgegen; weil der Mensch das witzige bey handelnden Wesen auf
dem Erdboden ist. Natur und Freyheit aber einander entgegen sind.
In der Physischen Geographie betrachten wir die Natur, in der An-
tropologie aber den Menschen, oder die menschliche Natur in allen
ihren Situationen. Diese beyde Wissenschaften machen die Welt-
erkenntniß aus.

/Je mehr man die Natur eine Sache anfängt zu betrachten, desto mehr wird
man auch die Sache selbst zu lieben anfangen. Wenn man also die mensch-
liche Natur betrachtet, so wird uns auch immer eine größere Liebe gegen
dieselbe eingeflößt werden.

/ ≥ Unterfand der Welterkenntniß. ≤

/1) Eine Local_Weltkenntniß die die Kaufleute haben, die auch em-
pirisch genannt wird.

/2) eine general Weltkenntniß die der Weltmann hat, und die nicht
empirisch sondern cosmologisch ist. Die Locale ist an Ort und Zeit gebun- 

/ den

|P_c

/und giebt auch keine Regeln an die Hand im gemeinen Leben zu han-
deln. Der welcher die Welt durch Reisen kennen lernt, hat nur diese Kennt-
niß von ihr, die aber auch nur einige Zeit dauert, denn wenn sich das Be-
tragen an dem Ort wo er gewesen ist ändert, so hört auch seine Kenntniß da-
von auf.

/Wo werden wir allso die Welt, ohne um sie zu reisen am besten kennen lernen?

/1) Die Betrachtung der Menschen die um uns sind, und eine starke Re-
flection kann uns die weitläuftige Erfahrung ersetzen und übertrift
bey weitem die welche ein gedanckenloser Reisender bekommt. Die Men-
schen zeigen die Quellen ihrer Handlungen, so wohl in diesem kleinen
Raume als in der großen Welt, wozu nur ein aufmercksames Auge er-
fordert wird, und ein Reisender muß erst mit diesen Begriffen versehen auf
die Reise gehen, wenn er mit Nutzen reisen will.

/2) Den bürgerlichen Umgang. Das Wesentliche hiebey ist die Aufmerck-
samkeit auf die menschlichen Gesinnungen die sich oft unter vielen Ge-
stallten zeigen.

/3) Die Schauspiele, Romanen, Geschichte und besonders die Biographien.

/ ≥ Nutzen der Antropologie, ≤

/1) Je besser wir die Menschen kennen, desto besser wissen wir unsere
Handlungen so einzurichten, daß sie mit den ihrigen passend sind.

/2) Sie lehrt wie man menschen gewinnen soll.

/ 3)

|P_d

/3) Sie lehrt die Selbstzufriedenheit, wenn man das Gute, was man
an Andern findet bey sich selbst hat.

/4) Sie giebt uns die Subjectiven Principien aller Wissenschaften an
die Hand. Und diese Subjective Principien haben einen großen Ein-
fluß.

/1) In die Moral,

/2) In die Religion,

/3) In die Erziehung.

/Rest:_leer

|P_1

/ ≥ Tractatio ipsa

/Kein Gedancke ist größer und wichtiger als der von unserm Ich. Alles
ist für mich nur interessant in so fern es eine Beziehung auf mich hat. Dieses Un-
ser Selbst suchen wir überall wo es seyn kann geltend zu machen, es kann
deswegen aber nicht immer geschehen, weil Andere auch so gesonnen sind. Den
Fehler nach welchem ein jeder sich selbst gerne hört, aber von sich redet, wollen
wir den Egoismum nennen. Die Klugheit nach welcher man bemüth ist
diesen Egoismum zu unterdrücken heist die Bescheidenheit. Autoren und
Kinder sprechen immer im Plurali, um gleichfalls eine Bescheidenheit
anzuzeigen; da sie zu erkennen geben, daß sie von der Sache die sie be-
handelt haben, oder erst behandeln wollen gemeinschaftlich urtheilen wol-
len. Und große Herren reden auch im Plurali um ihren Befehlen da-
durch eine gewisse Rauigkeit zu benehmen: Sie wollen durch das Mit, Wir
etc: anzeigen, Ich und meine Räthe befehlen. Montergne ist ein Autor der
beständig von sich selbst zu sprechen scheint, welches Pascal und Malebranche
an ihm tadeln, und das sie auch mit Recht thun könnten, wenn es sich so ver-
hielte. Das dies aber nicht ist, ersehen wir daraus, daß dieser Autor einen
so allgemeinen Beyfall hat, den er doch gewiß nicht haben würde, wenn
er von sich selbst spräche. Nein er hat das Buch so eingericht, daß, indem man
das Buch lieset, ein jeder Leser von sich selbst spricht, weswegen er auch wohl
einen so allgemeinen Beyfall bekommen hat. Denn der Mensch hat ein

/ Ver- 

|P_2

/Vergnügen daran sich selbst kennen zu lernen, sich aber nicht selbst zu prüfen.

/Die Identitaet der Selbst ist sehr unvollkommen. Jemand kann, wenn
er etwas übels gethan hat, nachdem er sich gebessert, wozu aber keine kurtze
Zeit gehört, nicht mehr deswegen mit rachenden Strafen belegt werden, weil
er jetzt nicht mehr derselbe ist, (aber doch mit exemplarischen Strafen.)

/Von meinem Selbst findet sich ein zweyfaches Subject; denn ich als
Mensch bin.

/1.) Ein Thier. 2.) intelligens. So denckt oft der Mensch, daß ihn etwas
nicht betreffe, da es seine Thierheit angeht, und verbirgt sich unter dem intelli-
gens. Hieraus erhellet auch der Wiederspruch der sich oft in dem Menschen be-
findet. z.B. Mann sagt: ich fürchte den Todt, und fürchte ihn auch nicht. Als
Thier zittere ich vor ihm, aber als intelligens kann ich ihn nicht fürchten, denn
ich sehe doch ein, daß ich einmahl sterben muß, und weiß auch was daß für ein
Elend seyn möchte, in einem elenden Stande ewig zu leben.

/Das wollen auch die Stoicker sagen, wenn sie behaupteten, daß der
Schmertz nicht empfindlich wäre, das ist, kein Schmertz wäre, nehmlich wenn
man ihn sich nicht zu Gemüthe zieht. Und diese Herrschaft der intelligens
über die Thierheit war die Bemühung der Stoicker. Denn nicht kann
für mich ein Ubel seyn, als was meine intelligens betrift, obgleich es ein
Unglück heißen kann. Hieraus sieht man daß oft ein streit zwischen un-
serm Selbst ist, da man sich oft selbst Reprochen macht, die allezeit die bit-
tersten sind.

/Dieser Ausdruck Ich, oder das Vermögen Sich Selbst sich vorzustellen,
ist nicht allein das vorzügliche der menschlichen Natur, sondern es macht die gantze

/ Würde

|P_3

/Würde des Menschen aus.

/Das Vermögen eines Geschöpfs sich selbst anzuschauen, und alles in der Schöp-
fung auf sich zu referiren ist die Persönlichkeit.

/Die großen Nachforschungen in der Psychologie von der menschlichen Seele,
von ihrer Fähigkeit, Freyheit etc: folgt alles aus dem Gedancken von dem Selbst.
Das Bewustseyn sein selbst, erlangt man durch die Beobachtung Sein Selbst,
und durch die Aufmercksamkeit über sich. Die Betrachtung sein Selbst erhalten
wir.

/1) Wenn wir die menschliche Natur,

/2) wenn wir das individuelle kennen lernen.

/Eine anhaltende Aufmercksamkeit über sich Selbst schwächt, und denn die Ge-
müths-Kräfte werden dadurch allzu sehr angestrengt, und ein Mensch, der
sich beständig mit sich selbst beschäftigt wird endlich schwermüthig und melan-
cholisch; wir müssen vielmehr unsere Aufmercksamkeit bisweilen auf
äußere Objecte richten, welches Erholung und Zerstreuung genennt wird;
Der aber der gar nicht an sich denckt lebt in einer Gedanckenlosigkeit, und
läst sein intelligens nicht über seine Thierheit herschen.

/Wir können uns auch selbst betrachten in Ansehung unseres äußern
Zustandes, und dieses ist das affectirte Wesen.

/Aus dem Bewustseyn sein Selbst und seines Zustandes, entsteht die
Klarheit der Vorstellungen. Die Dunckelheit ist aber auch oft etwas, was
zur Annehmlichkeit dient. Sie macht oft, daß die unangenehmen Dinge nicht
gesehen werden. Etwas zu verdunckeln ist die Kunst gescheuter Köpfe;
Wir finden auch daß eine Dunckelheit, die sich plötzlich aufklährt nothwendig

/ an- 

|P_4

/angenehm seyn muß.

/Die Deutlichkeit ist auch ein Grad der Klahrheit. Wenn wir uns bey
dem Mannigfaltigen eine Ordnung dencken, so ist diese deutlich; die Ver-
wirrung bringt aber Unordnung zuwege.

/Es giebt einen Geist der Ordnung, der aber von einem Genie unter-
schieden ist; denn dieses ist im Stande Dinge zu erfinden; jener ist aber ein
Vermögen Dinge zusammen zu halten, und sie zu verknüpfen.

/Es giebt auch eine gewisse Püncktlichkeit, indem man da Ordnung
sucht, wo keine ist. Leute die große Ordnung zeigen sind selten große
Köpfe, und ich will lieber ein Haus von vielen Meublen, ob sie gleich nicht
in Ordnung sind haben, als ein Haus mit wenigen in Ordnung gebrach-
ten Meublen, Applicatio ----- Eine jede Ordnung muß über-
haupt nicht mühsam seyn; und da wo keine Püncktlichkeit im Anordnen
herscht sieht es gut aus; und eine gewisse Art von Nachläßigkeit scheint ein
Genie zu verrathen. Die Regeln von einer anständigen Nachläßigkeit
sind schwer zu geben.

/Der höchste Grad unserer Erkenntniß ist die Wahrheit im Verstan-
de, nicht aber in der Neigung, denn der Schein gefällt oft besser, und nicht
jeder Schein ist gantz falsch.

/Die Mängel unserer Erkenntniß sind.

/1) Irrthum. 2) Unwissenheit. Die Unwissenheit ist für einen größern
Fehler gehalten, als der Irrthum und einem Unwissenden verachtet

/ man

|P_5

/man mehr als einen der einen falschen Gebrauch von der Wahrheit macht,
indem man nicht einmahl jene für fähig hält etwas bessers zu thun, obgleich der
Irrthum bisweilen schädlicher ist.

/In allen Erkenntnißen ist eine Abstechung der Erkenntniß mit einander,
das uns gefällt, welches das Paradoxe ist, ein scheinbahrer Wiederspruch der
dem Gedancken der allgemeinen Menge entgegen ist. Dem Paradoxen
ist das Alltägige entgegen gesetzt, und nicht alles Paradoxe ist deswegen
Heterodoxe.

/ ≥ Unterschied zwischen Einsicht und Einfall. ≤

/Einsicht ist das, was einen Zuwachs unserer Erkenntniß verursacht. Einfall
aber, da man unvermuthet auf etwas kommt, daß es scheint gar nicht da-
ran gedacht zu haben.

/Als ein Einfall ist ein Paradoxon allemahl gut, nicht aber allemahl
als eine Einsicht. Die Einfälle können oft zu einsichten werden.

/Untere und Obere Kräfte des Menschen. Das untere Vermögen
heist die Sinnlichkeit auch sensuelle, das obere aber der Verstand auch intellec-
tuille. Die Sinnlichkeit ist die Possibilitaet der Verstand die spontancitaet
des menschlichen Gemüths, diese letzte zeigt eine Selbstthätigkeit an. Die
Sinnlichkeit ob sie gleich nicht so erhaben als der Verstand ist. so ist sie doch gleich-
falls unentbehrlich. Denn wenn der Mensch die Sinnlichkeit nicht hätte, so
wäre er auch sinnlos, und sie muß ihm fast zu allen Dingen Stoff geben
und ist wohl noch unentbehrlicher als der Verstand. Denn der Verstand ist ein
Vermögen zu disponiren, und mit dem allein kommen wir nicht fort,

/ denn

/Lage B

|P_6

/denn vor dem Vermögen zu urtheilen muß erst die Erkenntniß der Dinge
vorhergehen. Diese Sinnlichkeit hat auch viel Nutzen und ist sehr beförderlich wenn
sie der spontancitaet dient, welche nun aber geschicht.

/1) durch die Anschauungen welche die Begriffe correspondiren.

/2) durch die Eindrücke.

/Eine ausgebreitete Sinnlichkeit ist ein großer Schatz, und deswegen muß man sie
zu cultiviren suchen, man muß viele Beobachtungen und Anschauungen thun;
sie muß aber auch disciplinirt werden. Discipliniren ist vom Cultiviren so un-
terschieden wie negative von positive, denn nach der Disciplin gewöhne ich je-
manden etwas ab. Man disciplinirt die Sinnlichkeit durch logische Beobach-
tungen, damit sie nicht den Verstand im Reflectiren störe.

/Worin möchte also wohl die gröste Vollkommenheit der menschlichen Natur
bestehen? Darinen, daß alle unsere Kräfte und Vermögen unserer Will-
kühr unterworfen sind.

/ ≥ Es giebt eine zweyfache Deutlichkeit. ≤

/1) der Sinnlichkeit, 2) des Verstandes. Eine Deutlichkeit der Sinnlichkeit
betrift die Beschaffenheit der Anschauungen, so fern das Mannigfaltige
von einander unterschieden werden kann. Diese sinnliche Deutlichkeit heist
auch die aestetische und die des Verstandes die logische.

/Es giebt Virtuosen der Sinnlichkeit, die Mahler und Dichter, und des
Verstandes die Mathematicker und Philosophen.

/Wenn man die Geschichte der Menschheit entwirft, so ist dieses der Uber-
gang der Sinnlichkeit zu dem Verstande.

/ ad §_527

|P_7

/ ≥ ad §_527

/Die Leichtigkeit etwas zu thun ist 1) innerlich wenn der Mensch einen
Uberschuß der Kraft hat über dem das zur Hervorbringung einer Sache
nöthig ist. 2) äusserlich, wenn etwas ohne Hinderniß geschicht. Etwas ist oft
an sich schwer aber nicht allemahl in Verbindung. Die Schwührigkeit der
äussern Verbindung, sind Hindernisse.

/Beschwerlich ist etwas, nicht das dem Vermögen, sondern der Lust ent-
gegen gesetzt ist.

/Alles Schwere ist uns unangenehm: weil dabey unsere gantze Kraft
angewendet wird, und es ist uns unangenehm daß wir nicht noch Vermögen
haben etwas anders zu thun. Es schränckt also unser Vermögen nach dem
Willen zu handeln ein. Beschwerlich ist das was am Vergnügen hindert;
also sind wohl viele Dinge beschwerlich aber deswegen nicht immer schwer;
z.E. manches Amt das blos mit Kleinigkeiten zu thun hat. Denn welchem
vieles schwer wird ist oft commode. Dieser kann wohl das schwere thun
aber er will es nicht, weil solche Sachen ihm kein Vergnügen machen.

/Etwas Leichtes und etwas leicht thun ist sehr unterschieden. Etwas
leicht thun bringt Ehre, und etwas Schweres leicht zu machen ist ein wah-
res Verdienst.

/Im Umgange muß alles leicht seyn, (in vorigen Zeiten war noch
sehr viel cerimonielle darinen) denn der Umgang soll gleichsam ein
Spiel und kein Geschäfte seyn, Es soll uns unsere Arbeit erleichtern,

/ also

|P_8

/allso muß nichts beschwerliches darin herschen

/ ≥ Ob man schwere Sachen leicht vorstellen soll. ≤

/Sind es Sachen die eine große Wichtigkeit betreffen, so muß man sie
nicht zu leicht abmahlen, sondern man muß die Schwierigkeiten zeigen.
Es scheint jemanden etwas leicht zu seyn was doch in der That schwer ist,
blos weil er etwas anders darunter sich vorstellt. Doch weiß man biswei-
len nicht die Schwierigkeiten bey einer Sache, so kann der andere,
wenn er sie hernach selbst einsieht von der Sache abgeschreckt werden,
aber er nimmt auch wohl nur das Leichte von derselben an und läst
das andere fahren.

/Es giebt viel schweres das eine große und vieles das eine anhaltende An-
strengung der Kräfte erfordert. Faule Leute nehmen lieber alte Sachen
zu machen damit sie hernach von allem befreyt sich desto ungestorter pfle-
gen können.

/Cholerische nehmen eine Mannigfaltigkeit von Arbeiten über sich,
und sind zur Anstrengung der Kräfte geneigt; Phlegmatische zu einer
stetigen Arbeit, die aber nicht allzu groß seyn muß; Sangvinische verlan-
gen leichte Arbeit und kurtze Zeit; Melancholische nehmen eine müh-
same Arbeit und auch auf lange Zeit über sich.

/Was ist nun besser? generaliter betrachtet, die Gewohnheit immer
beschäftigt zu seyn, aber nicht mit Anstrengung.

/Durch die Gewohnheit wird auch etwas leicht gemacht. Denn die

/ Ge- 

|P_9

/Gewohnheit besteht in einer Leichtigkeit die man sich durch d«en»ie öftere
Ausübung einer Handlung erwirbt. Die Angewohnheit aber ist eine Noth-
wendigkeit einiger Handlungen; aber die man sich durch die öftere Aus-
übung nothwendig gemacht hat. Wenn man etwas gewohnt wird; so werden
die Empfindungen endlich stumpf z.B, Mit den Strafen muß man sehr
sparsam seyn, denn wenn sie schon zu oft wiederholt werden, so bleiben
es keine Strafen mehr.

/Da die Ungewohnheit unsere Handlungen oder Bedürfnisse
nothwendig macht; so benimt sie uns auch unsere Freyheit.

/Durch die öftere Wiederholung einer Sache geschicht es, daß zwar ihr
Eindruck schwächer wird, das Urtheil aber darüber wird desto leichter; denn
desto bekannter wir mit einer Sache werden, desto besser lernen wir sie
von allen Seiten kennen, und desto besser und allgemeiner muß auch
unser Urtheil werden.

/Die Monothomie, das ist der Gleichlaut und die Aehnlichkeit in jedem
Zusammenhange der Vorstellungen, diese macht schläfrich und ermüdent;
Die Neuigkeit aber und die Abwechslungen geben allen Vorstellungen
eine Stärcke; es darf nicht immer etwas Neues seyn denn wenn es
nach einem intervallo vorkommt, so ist es doch comparative neu.

/Die Abstehung und der Contrast besteht darinn, wenn mir als das
Gegentheil das andere vorgestellt wird, und das ist immer sehr ange-
nehm. Allzu große Abstechungen kann man oft befördern oft muß

/ man

|P_10

/man sie auch vermeiden.

/Das Unerwartete besteht darinen wenn man von dem am stärck-
sten gewöhnt wird wovon man das Gegentheil vermuthet hat, und dieses
kann auch auffallend genennt werden z.B. Wenn man an einem
Kinde schon eine besondere Klugheit mercket, so ist dieses unerwartet und
fällt auf.

/Die Aufmercksamkeit und die Abstraction ist entweder willkühr-
lich oder unwillkührlich. Denn ein Hypochondriste bemercket oft Dinge
die er nicht sehen will, er bemerckt sie allso wieder seinen willen. Die
Abstraction bestehet in der Abkehrung der Aufmercksamkeit von einer
Sache. Die unwillkührliche Abstraction ist die Distraction denn auch
hier abstrahire nicht, um daß es zu weit oder von allen geschicht. Zum
Attendiren gehört ein kleinerer Grad der Kräfte als zum Abstrahiren.

/Viele werden unglücklich wenn sie zu wenig, viele wenn sie zu
viel abstrahiren z.B. Wenn man im Unglück von allem Glück, auch
von einem noch künftigen glücklichern Zustande abstrahirt, so wer-
den wir weit unglücklicher.

/3_Kreuze

/Wir können selten etwas dencken ohne nicht zugleich ein Gefolge von
andern Gedancken mit zu haben, und dieses hat den Nutzen.

/1) Daß wir die Hauptvorstellung im Zusammenhange betrachten.

/ 2)

|P_11

/2) Daß die Hauptvorstellung in ein desto besser Licht gesetzt wird.
Eine Vorstellung und ein Vortrag wo keine adhaerirende Vorstellungen
dabey sind, ist tod, wo aber gescheihte Nebenvorstellungen gewählt wer-
den, ist lebhaft und angenehm. Nebenvorstellungen sind sehr nützlich denn
wenn die Hauptvorstellung etwas trocken ist so geben die gut angebrach-
ten Nebenvorstellungen doch noch einiges Feuer. Das ist aber eine Haupt-
Pflicht aller Künstler, daß sie dafür sorgen, damit die Hauptvorstellung
nicht mit den Nebenvorstellungen vermischt oder gar verdunckelt werden.

/Die Nebenvorstellungen müssen seyn.

/1) Wichtig genung, 2) interessant, 3 reflectirend, das ist, sie müssen ein
gewisses Licht auf den Haupt-Gegenstand zurück werfen. Die Haupt-
Vorstellung muß auch unter den Neben Vorstellungen nicht gar zu schwer
seyn hervor zu suchen.

/ ≥ ad §_534

/Von den Sinnen. ≤

/Die Sinne werden nach den Empfindungen eingetheilt.

/1) In Objective die wodurch wir andere Gegenstände empfinden,
als das Fühlen, hören und sehen.

/2) In Subjective da wir uns selbst empfinden als durch das richen
und Schmecken, und das inwendige Gefühl.

/Wir können auch die Sinne eintheilen.

/ 1)

|P_12

/1) In %animalische Sinne. Man nimmt alles Animalische was von un-
serer Willkühr dependirt; und bey den Sinnen findet dieses auch
statt, denn man kann ja vor einigen Sachen die Organa verschlie-
ßen.

/2) In den vitalischen Sinn, das ist das inwendige Gefühl wodurch wir
eigentlich nur uns selbst empfinden. Bey diesem Sinn sind wir nur
passive und er ist auch überall wo Narren sind ausgebreitet. Der
%vitalische Sinn geht hauptsächlich dahin alles das zu thun was unser
Leben befördert und hinweg zu räumen das es verkertzen kann.
Dieses kann aber nicht der 6te Sinn seyn weil es kein besonder
Organon dazu giebt. Einige hat es gegeben die einen 6ten Sinn
annehmen und ihn in die Geschlechter Neigung setzten.

/Wir haben auch einige Empfindungen in Gedancken, die uns bewegen,
ohne daß sie auf die Organa der äussern Sinne einen besondern Ein-
druck zu haben scheinen, als der Schauer und das Grüßeln, Schauer ist
von Schaudern unterschieden; den diese ist eigentlich eine Erschütterung
die ihren Grund in der Furcht hat. Der Schauer ist aber eine plötzliche
Empfindung, die da scheint, daß von aussen eine Kälte in uns zu drin-
gen anhebt; So überfällt uns oft ein Schauer über etwas so wir hören,
als Mordgeschichten Gespensterhistorien u s. w.

/Das Grüßeln ist eine gewisse Art von nicht recht wohl beschreiben-
der Erschütterung der Narren z.B. Sehr vielen ist es zuwieder wenn
man mit den Zähnen knirscht, oder mit einem Nagel an der Wand

/ kratzt.

|P_13

/ ≥ Vol:_II.≤

/kratzt.

/Der vitale Sinn wird bey allerley Schmertz mit unterschiedenen Namen
ausgedruckt, als ein brennender Schmertz etc:

/Die Sinne sind entweder Sinne des mechanischen Eindrucks, da die
Körper sich auf der Oberfläche berühren, oder chimisch, da eine Materie auf-
gelöst wird. Fühlen, hören und sehen, sind Empfindungen des mechanischen
Sinns. Schmecken und Riechen des chimischen Sinnes, da die Sachen nicht
allein die Nerven berühren, sondern selbst hineindringen und von ihnen
innigst aufgenommen werden.

/Unter allen Sinnen ist der Geruch und Geschmack mit dem vital_Sinn
auf das genaueste verbunden denn sie suchen alle beyde unser Leben zu
erhalten. Durch den Geruch erfahren wir was ansteckend ist und mussen es
meiden, und auch durch den Geschmack erkennen wir was uns schädlich ist.
Durch Geruch und Geschmack bekommen wir eigentlich keine Erkennt-
niß: durch das Fühlen erkennen wir die Substans und daher ist das Ge-
fühl eigentlich die Grundempfindung. Gesicht und Gehör geben uns die Ge-
genstände auf zwiefache Art zu erkennen, durch das «Gehör» <Gesicht> erkennen
wir die Gestalt, durch das Gehör aber das Gespiel des Gegenstandes, das Ge-
hör giebt uns nichts oder nur das Gespiel des Gegenstandes und gar nicht den
Gegenstand selbst, und deswegen wird es auch als die fürnehmste Gehülfin
des Verstandes vorgestellt, weil wir durch das Gehör die Gedancken ande- 

/ rer

/Lage C

|P_14

/rer durch die Worte hören, und die Gedancken können wir durch andere
Gestallten lange nicht so gut vorstellen auch nicht so mannigfaltig. Das Wort
da es an sich nichts bedeutet dient desto besser zu Vorstellungen als Figuren;
denn bey den Gestallten muß man so wohl ihre Form als auch ihre Bedeu-
tung dencken wobey also wir «denn» an mehr zu dencken haben und also
unsere Gedancken auf uns nicht so gantz richten können. Z.B. Wenn ich
mir die Wachsamkeit unter einem wachsamen Hunde vorstelle, so muß ich
hier nicht allein den Begriff des Hundes sondern auch der Wachsamkeit ha-
ben und dencken.

/Was die Sphaere der Sinne betrift, so ist der Sinn des Gesichts der weiteste
und er ist es so wohl in Ansehung der Fernen die er reicht, als auch in Ansehung
der Deutlichkeit; auf das Gesicht folgt das Gehör, der auch noch ziemlich weit reicht
etc. Der Geschmack ist ein gesellschaftlicher Sinn, weil die grösten Gesellschaften
bey Tafeln seyn. Das Gehör ist der Haupt-Sinn des Commertii. Das Gesicht
dient zur Ausbreitung des Umgangs der Natur mit uns und unserer mit
ihr.

/Bey allen Erscheinungen bemercken wir.

/1) Die Gestallt, die das mannigfaltige in einer Sache zugleich ist.

/2) Das Spiel, das das mannigfaltige in einer Sache nacheinander ist.

/Wenn man in eine Gesellschaft kommt und alle die verschiednen Per-
sonen ansieht, so ist dieses eine Empfindung der Gestallt; wenn diese Gesellschaft

/ aber

|P_15

/aber hernach anfängt zu tantzen, so ist dieses im Spiel aber der Gestallten.
Die Music ist aber im Spiel der Empfindungen.

/ ≥ Welches ist der nothwendigste Sinn? ≤

/Im sittlichen Zustande, scheint der Geruch der unentbehrlichste Sinn zu seyn,
denn was für Unbequemlichkeiten und andern Umständen setzt er uns
nicht aus, aber nicht im natürlichen Zustande, denn hätte uns ihn die Natur
nicht gegeben. Überdem hat er doch auch seinen sichtbaren Nutzen, denn
durch ihn lernen wir die ansteckenden Örter und Personen vermeiden.

/Alle unsere Sinne werden eingetheilt: dem Grade nach, in feine und
Stumpfe. Die Schärfe des Sinnes kommt auf den Bau der Organon und
auch auf die Verfeinerung und Übung an. Ein zarter Sinn ist der welcher
sehr empfindlich ist, das ist, der durch schwache Eindrücke bewegt wird: das
Alter macht alle unsere Sinne stumpf, ja selbst die Empfindung, die aber
noch am längsten bleibt. Daß der vitale Sinn auch im Alter stumpf wird
ist eine Wohlthat, alsdenn empfindet man auch die Unannehmlichkeiten
des Körpers nicht mehr, denn das Nerven_System ist stumpf geworden, und
daher kommt es auch daß gemeiniglich alte Leute sagen, daß ihnen nichts
fehlt, weil ihnen die Empfindung fehlt.

/ ≥ Von dem Betruge und dem Schein. ≤

/Es ist ein großer Unterschied zwischen Betrug und Schein. Illusion ist ein
Schein der nicht betrügt, sondern noch erjätzet; denn mancher Schein wenn
er entdeckt ist mißfällt er. Illusionen sind unnöthig weil wir das Schlechtere

/ oft

|P_16

/oft verdecken müssen. Man kann alles das illusiren nennen wo eine Verbin-
dung zwischen dem Verstande und dem Scheine statt findet.

/ ≥ Von der Verschiedenheit unserer Vorstellungen blos durch das Verhältniß
gegeneinander. ≤

/Eine Vorstellung kann oft durch ihre Nachbahrschaft erhöht und erniedrigt
werden.

/Unsere Vorstellungen werden erhöht und auch angenehm.

/1, durch die Abstechung (Contrast) Es ist das Verhältniß zweyer Vorstellun-
gen wovon eine das Gegentheil der andern ist. z E. Ein logisches Gegentheil
haben wir nöthig, wenn wir die Tugend recht gut erklähren und anpreisen
wollen, nehmlich daß wir, wenn von der Tugend geredet worden auch ebend
vom Bestreben, nur die Schändlichkeit desselben vorstellen, wodurch die Tu-
gend desto mehr hervorscheint. Viele Geschichtschreiber haben uns unterschied-
ne Gegenden als Paradiese beschrieben, die sehr cultivirt gewesen, aber
man sehe weiter, sie sind nemlich in der Wüste gewesen, und das muß auch
seyn, wenn sie so gut aussehen sollten, und warum sie den Reisenden so
gut erscheinen, weil sie vorher durch vielen Sand, und durch lange Wüsten
gehen müssen, wenn es möglich wäre aus den cultivirten Gegenden,
mit einem mahl dahin versetzt zu werden, so würde man daselbst recht
die Annehmlichkeit finden.

/Die Contraste können doch Dinge die an sich eben nicht die Besten

/ sind

|P_17

/sind erheben. z.B. Es war an einem Hofe in Europa eine heßliche Hof-
Dame; Da aber die andern Frauenzimmer sich nach ihr richteten, und sich selbst
verstellten um ihr gleich zu seyn, so war sie doch noch das Schönste Frauenzimmer
unter ihnen.

/Selbst die Natur hat überall Contraste ausgestreut. In diesem Augen-
blick sind alle Tageszeiten und Jahreszeiten zugleich auf der Erde: Wie an-
genehm muß dieses nicht dem scheinen der dieses zusammen erblicken kann!
Man siehet daß jede Stunde ein Mensch gebohren wird und auch stirbt; man
hört also zugleich das Winseln der Sterbenden und das Weinen der gebornen
Kinder.

/Die Contraste machen daß wir die Sache im Mittel betrachten, wo wir
sie von allen Seiten übersehen können.

/Durch den Contrast kann ein Mensch die Aufmercksamkeit anderer
auf sich ziehen, ohne daß er eben mit hervorstechenden Eigenschaften ver-
sehen ist. z.E. Als Bablé an den Hof kommen sollte; so sahe er wohl, daß
wenn er prächtig erscheinen würde, Niemand die Augen auf ihn werfen,
noch ihn jemand ansehen möchte. Deswegen zog er einen schwartzen Rock an,
und kleidete seine Bediente auf das Beste, und hiedurch erreichte er seine
Absicht; Es kann oft kommen daß nicht gut gewählte Contraste in einem
und eben demselben Objecte vorkommen das aber alsdenn mißfällt. z.E.
Wenn ein schön Frauenzimmer nicht allein schlecht gekleidet geht, sondern

/ auch

|P_18

/auch schlechte Aufführung hat.

/Wir können auch Dinge comisch contrastiren, wenn wir sie in einem sol-
chen Wiederspiel zeigen, dadurch es nothwendig verachtenswürdiger erschei-
nen muß.

/2) Durch die Neuheit. Dazu rechnet man noch die Seltenheit die eben nicht neu
seyn darf z.E. Eine Handschrift von den Alten. Die Neuheit ist ein Vergnü-
gen, weil unser Gemüth sich mit Erkenntniß bereichert, das angenehm ist.
z.E. Die Gesundheit nach einer Kranckheit ist neu; so bald aber etwas alt
wird, so bald werden wir es auch gewohnt. Das Unerwartete erhebt auch
sehr die Stärcke der Vorstellungen z.E. Wenn wir ein Vergnügen bekom-
men, das uns unerwartet war, so macht dieses einen großen Eindruck auf
uns. Man muß nicht viel Erwartung von sich machen, denn wenn man schon
etwas erwartet, so ist es nicht mehr so neu, die Einleitung thut doch auch oft
eine gute Wirckung, denn wenn man von einem vorbereitet ist, so weiß
man schon mit was vor einer Achtung man ihn begegnet. Hochgemachte Ge-
sinnungen von Jemanden können aber auch oft sehr schrecklich seyn, wenn
man nehmlich nicht die Erwartung erfüllen kann. Ein Mensch der sich gar
nicht ankündigt macht vielen Aufstand, denn indem man nicht von ihm
ist vorbereitet worden, so betrachtet man ihn desto genauer

/3) Der Wechsel, ihm ist die Gleichförmigkeit entgegen gesetzt, und ein gleich-
formiges Glück wird wenig empfunden. Denn wir sehen, daß die Ruhe
nach der Arbeit weit mehr vergnügt als eine beständige Ruhe. Zum Wech- 

/ sel

|P_19

/sel gehört besonders die Steugerung. Denn an einer Sache die schon den
höchsten Grad erreicht hat, ist eben kein groß Vergnügen. Z.E. Ein Kaufmann
ist immer vergnügter wenn er noch von Tage zu Tage mehr bekommt, als
wenn e«s»r schon reich genung ist und weiß jetzt kann ich mir ohngeachtet aller
Arbeit doch nichts mehr erwerben.

/Ein Leben das immer einerley ist, wird langmütig, und denjenigen der
auf einen beständigen Wechsel bedacht ist nennt man einen unruhigen Kopf.

/ ≥ ad §_552

/Von dem Zustande da man entweder bey sich selbst ist oder nicht. Man sagt
man ist bey sich selbst, wenn man sich seiner vollkommen bewust ist; auch
wenn man seiner mächtig ist; man ist aber seiner mächtig, wenn man den
gantzen Zustand seines Gemüths in seiner Gewalt hat.

/Ein Mensch welcher distrainirt ist, ist @re\ni@cht bey sich selbst. Ein Mensch verliert
sich oft selbst, wenn er den Faden verliert an dem er die Kette seiner Ge-
dancken fortführen soll. Von einer starcken Bewegung des Gemüths sagt
man auch: Der Mensch ist nicht bey sich selbst.

/ ≥ ad §_554

/Die Trunckenheit ist ein gekünstelter Zustand an den man sich versuchet.
1) Seine Sinne aufwecket, 2) oder aber benebelt, also giebt es auch eine
zweyfache Trunckenheit. Die ungesittete Völcker die, die Letzte zu sehr
lieben, brauchen auch das Opium, bey dessen Gebrauch sie sich eine einge- 

/ bildete

|P_20

/bildete Glückseeligkeit vorstellen, auch des Bemecko ein aus Hanf ausge-
prester Saft. Der Rausch ist der mitlere Zustand wo zwar nicht die Sinne
aufgeweckt aber doch auch nur etwas benebelt werden.

/Man kann die Trunckenheit auch eintheilen in eine gesellige und in
eine stumme. Die erste Art bringt eine Freymüthigkeit zu wege; die be-
nebelnde Geträncke aber machen alle stumm, als der Brantwein. Wenn
sich jemand auf seine eigene Hand betrinckt, so hält ein jeder dieses für
sehr unanständig; aber in Gesellschaft würde man eben nicht so von ihm
dencken: also sieht man daß man sich betrinckt um die Geselligkeit zu be-
fördern. Von der Geselligkeit ist aber auch die taube Waschhaftigkeit unter-
schieden, da immer einer allein spricht ohne die andern zu verstehen,
und dieses ist schon ein hoher Grad des Rausches. Man nennt einen redsee-
lig, wenn er begierig ist zu reden ohne daß ein anderer hören darf.

/Aus der Trunckenheit entstehen.

/1) Eine gesellige Gesprächigkeit.

/2) Eine gewisse Freymüthigkeit. Die Zurückhaltung läßt nach, welche
die Menschen in einem andern Umgange beobachten: Es ist immer in
Gesellschaften eine Art des Zwanges und eine gewisse Art der Artig-
keit, diese ist aber sehr nöthig, denn dadurch wird man angewöhnt einen
solchen Zustand zu lieben und beyzubehalten, indem man sich jetzt zeigen
muß. Dieß fällt aber manchen sehr schwer, weil man gerne seinen Frey-
heiten Luft machen will; und dieses thut die Trunckenheit, und das ist ebend

/ nicht

|P_21

/nicht was übles, wenn sich der Mensch ohne Zurückhaltung offenbahret, und das Ver-
gnügen der Menschheit genießet; denn sobald er aus diesem Zustande wieder-
kommt; so ist auch der Zwang wieder da. Die Vertraulichkeit bey der Truncken-
heit ist auch wohl eine Zeit, die sein Hertz bessert. Denn hier nimmt er keine
Affectation an. Diese Vertraulichkeit nimmt zu und wird auch gantz hertz-
haft, und alsdenn urtheilt man von sehr vielen Dingen. - - Der Schertz,
die gute Laune, und der Witz, sind auch gemeiniglich die Wirkungen der - 
Trunckenheit. Die Besoffenheit hat aber gantz andere Wirkungen. Denn
ein besoffener ist immer mißtrauisch und denckt ein jeder hält sich über ihn
auf. Die Großmuth ist auch mit der Trunckenheit verbunden und diese kommt
gemeinhin von einem Sorgenlosen Gemüth; Es ist ein Unterschied zwischen
Sorgenfrey und sorgenloß. Ein sorgenfrey Gemüth ist ein guter Zustand ein
Wesen, da man in Ansehung des Künftigen das nicht in unserer Gewalt steht
unbekümmert ist. Ein sorgenlos Gemüth aber vernachläßigt die Sorge des
Künftigen das doch in seiner Gewalt steht. Und man wird durch den Trunck
nicht sorgenfrey sondern sorgenloß, und weil man nun gar nicht um das
Künftige bekümmert ist, so giebt man fort was man hat.

/Die Hertzhaftigkeit in Gefahren ist auch bey der Trunckenheit, dieses
ist aber nicht so wohl eine Standhaftigkeit, sondern eine Kühnheit sich dahin zu
wagen, diese scheint wohl daher zu kommen, daß ihre Glieder stärcker ge-
spannt sind und also eher gereitzt werden aber desto weniger Kraft haben.
Der benebelnde Trunck bringt aber doch oft eine Hertzhaftigkeit in den

/ Ent- 

/Lage D

|P_22

/Entschlüßungen zu wege, wo man oft eine alzu große Behutsamkeit an-
wenden möchte. Von den alten Deutschen sagt man: Sie fasten ihren Rath-
schluß beym Trunck und überlegten ihn bey nüchterm Muth:

/Wer beym Truncke eine allzu große Behutsamkeit braucht sieht verdäch-
tig aus und muß viel Zurückhaltung haben. Für ein Frauenzimmer schickt
es sich aber nicht zu viel zu trincken denn die muß große Zurückhaltung be-
obachten; auch nicht für junge Leute, denn diese sind schon lebhaft genung und
es ist für sie nicht allein unnöthig, sondern so gar schädlich. Bey den orientali-
schen Völckern ist es bekannt, daß wenn sie Wein trincken, so werden sie
doll, und wenn ein Türcke aus dem Weinhaus kommt so folgen auch große
excessen, und der Wirth wird dafür zur Strafe gezogen.

/Cato betranck sich und dieses war für ihn keine Schande; und hievon
sagt Seneca: ich will lieber behaupten daß die Trunckenheit kein Laster
wäre, als daß Cato lasterhaft geworden; dieses kann aber nur von einer
Röhmischen Tugend gelten.

/Die Geträncke haben verschiedne Wirckungen; der Brantewein
benebelt und macht stumm, und diese Trunckene wollen sehr klug und be-
hutsam seyn, und sind gar nicht gesellig, und deswegen trincken sie auch
alle in der Stille und in den Winckeln. Das Bier ist wieder sehr schwer,
und diese sind sehr schwerfällig und reden von sehr schwermüthigen Sachen:
der Wein ist aber besser, der macht die Meisten, gesellig, lustig, und mun- 

/ ter

|P_23

/ter.

/Entdeckt der Rausch wohl des Menschen Gemüth. Seine Meinungen kann
man wohl entdecken, weil er vertraut ist, aber nicht sein Gemüth; denn man
sieht, daß Leute, die erst gantz sanft waren, jetzt wild werden. Es entdeckt
auch nicht sein Temperament: denn es zeigt nur was man einem Menschen
geben müsse, um ih«n»m ein solches Temperament zu verschaffen als er jetzt
offenbahrt.

/Was in vorigen Zeiten eine Sitte war ist jetzt schändlich. Woher gehörte
es an die Höfe, und war ein Kenntzeichen eines großen Helden, alle unter
den Tisch zu trincken, besonders unter den Nordischen Völckern. Deswegen
schickten die Frantzosen auch solche Gesandte nach Norden, die im Truncke
wohl erfahren waren, damit er desto ehr die Geheimnisse erfahren möchte.

/ ≥ Von der Einbildungskraft

/Die Sinne sind lebhafter, aber das Feld der Einbildungs-Kraft ist größer.
Die Welt wird durch die Einbildungen gezieret. Die Einbildung ist die Vor-
stellung der Dinge, die nicht gegenwärtig sind. Durch sie können wir das
Gemüth nutzen, als durch allen irdischen Genuß. Ein Kaufmann der sich
heute den Verlust denckt genießt nicht die Vergnügen dieses Tages.

/Wenn der Mensch mit seiner Einbildungskraft beschäftigt ist, so ist er gleich-
sam in seiner eignen Welt, und die vor seinen Augen geschaffne Welt
ist ihm nicht so angenehm, als seine willkührliche: das ist der hülfloseste Zu-
stand eines Vermählten, wenn schon seine Einbildungs-Kraft von dem Ge- 

/ genstande

|P_24

/genstande seiner Triebe erhitzt ist. Wenn er bey seiner Geliebten ist, so sieht
er viele Fehler, aber entfernt von ihr stellt er sich an ihr alle Vollkommenhei-
ten vor.

/Auf bloße Anpreisungen empfinden Menschen etwas manchmahl
schon. So haben sich viele den Taback angewöhnt.

/Hier betrachten wir die Einbildungs-Kraft nicht psychologisch, sondern
practisch. Im engern Verstande ist die Einbildungs-Kraft die Vorstellung
geschehener Dinge. Aber gewöhnlich denckt man darunter das gantze Feld
des bildenden Vermögens, unabhängig von der Gegenwart der Gegenstän-
de. Sie steht nicht unter Willkühr, so wie der Verstand zu Gebote:

/Es ist auch ein trostloses Vermögen immer würcksam zu seyn.

/Einbildung wird manchmahl von der Phantasie unterschieden. Die
Einbildung ist das bildende Vermögen in so fern es noch einiger maaßen
unter der Willkühr steht: Die Phantasie ist ohne Willkühr, selbst wieder
unsern Willen. Ein Phantast ist nicht der, so viele Bilder hat, sondern bey
dem sich die Bilder wieder seinen Willen aufdringen. Die Einbildung
richtet sich zwar auch nicht nach unserm Willen, aber wir können sie auf
Gegenstände lencken. Sie nimmt von irgend einer Sache den Lauf, und
reißt dadurch die Associationen der Ideen mit sich fort. Phantasie ist ein
Betrug als ob diese Gegenstände würcklich gegenwärtig wären.

/In der Einbildung haben wir immer eine andere Welt vor uns;

/ Diese

|P_25

/Diese ist aber so wie die Gegenwärtige, nur wir befinden uns an einer an-
dern Stelle darinen. Wir spielen eine gantz andere Rolle darinn, und
stellen daselbst vielmehr vor.

/Wir können uns keine Einbildung wovon machen, als wozu der Stoff
durch den Gegenstand uns gegeben worden. Sie sieht aber die Bilder zusam-
men und formirt neue. Darauf beruhet die Unterhaltung mit sich selbst.

/Die Zurückrufung vormahliger Ideen nimmt man gemeinhin für
die Imagination. Dieses Wort hat aber eine weitere Bedeutung, und ist
auch das Vermögen, das Bild ohne Gegenwart der Sache sich vorzustellen.
z.E. Ein Baumeister kann sich ein Haus vorstellen, entweder wenn er
eins vor sich hat nach dem er ein andres bauen soll, oder blos durch das Bild.
Die Vorstellung der Imagination ist auch eine Anschauung, dieses siehet
man im Schlaf.

/Das Vermögen ehemahlige Bilder wieder in sich hervor zu bringen
ist das reproductions-Vermögen; Bilder aber hervor zu bringen die wir
noch nie gehabt haben das Dichtungs-Vermögen, oder creations-Vermö-
gen, wobey aber doch auch immer eine reproduction ist, nemlich der Ma-
terialien z.E. Wir können uns keine andern Farben vorstellen, wir
können uns auch zu einem vernünftigen Wesen keinen andern Kör-
per, als einen Menschen dencken.

/Wir machen uns durch unsere Einbildung eine Welt, und daß uns diese
besser gefällt kommt daher, weil wir sie uns nach unserm Sinne machen.

/ Das

|P_26

/Das Gesetzt der Reproduction ist: vergeselschafte Ideen bringen sich einander
hervor. z.E. Wenn man an einem Ort gewesen ist, und an denselben denckt;
so fallen uns fort alle Umstände bey die sich für uns an demselben zugetragen
haben. Das Gesuch der Associationen der Ideen beruhet:

/1) Auf der Einträchtigkeit der Vorstellungen. Dinge sind einträchtig, die ein-
ander ähnlich sind. Diese Einträchtigkeit macht aber auch, daß wir ähnlichen Dingen
einen gleichen Namen geben z.E. Es giebt einen Pferdfisch, weil er einige
Ähnlichkeit mit einem Pferde hat. Dieser Grund ist wohl sehr würcksam, stimmt
aber nicht mit der Vernunft überein.

/2) Auf der Nachbarschaft der Vorstellungen. Dinge sind benachbahrt, die
in derselben Zeit und demselben Raume einander nahe waren.

/3) auf der Verwandschaft - - - diese ist die gröste Kette der Vorstel-
lungen und die auch am meisten mit dem Verstand übereinkommt. Die Ver-
wandschaft der Ideen besteht in der Verknüpfung der Ursachen und Wir-
kungen z.E. wenn jemand bey trüben Wolcken ein Ungewitter ent-
stehen gesehen, und er hernach wieder solche Wolcken sieht, so vermuthet er
auch dieselbe Wirckung.

/Die erste Bedingung kann die entfernsteste, die andere die geogra-
phische und chronologische, und die 3te die physische genannt werden.

/Es giebt Dinge die die Einbildungskraft erleuchtern als wie, wenn
jemand an einem räuselnden Bach sitzt; oder auch an einem Camin-
Feuer, aber auch durch die Music.

/ Die

|P_27

/Die Einbildungskraft mengt sich oft unter die Sinne, und macht, daß wir man-
ches oft in den Sinnen zu sehen glauben welches doch die Einbildungskraft
thut. zE. wenn wir oft einen Menschen nicht sehen können blos weil er eine
Ähnlichkeit mit einem berichtigten Bösen hat.

/Die Phantasie die die unwillkührliche Création der Bilder ist, mischt
vieles vor Erdichtungen unter die Wahrheiten, und überrascht den, der mit
Wahrheit umgeht oft mit Lügen. Bey einem Lügner verrichtet auch die
Phantasie vieles. Denn indem er die Sachen an sich zu trocken findt, so will
er sie beleben.

/Die Imagination hat, eine extensive Größe, wenn sie das was in un-
sern Sinnen nebeneinander steht, protensive, wenn sie es mit starck anhal-
tenden, intensive , wenn sie es mit starck affectirenden Bildern hervor-
bringt: Diejenigen denen ein Sinn fehlt haben eine größere Imagination.

/Man theilt die verkehrte Phantasie ein.

/1) In eine Regellose, welche nicht mit dem Verstande übereinstimmt.

/2) Zügellos, sofern sie nicht mit der freyen Willkühr übereinstimmt,
die jemanden hinzieht, wohin er oft nicht will, die also

/1) Der Uberlegung unseres Willens zuvorkommt

/2) auch wohl gar der Willkühr wiederstreitet.

/Zügellos sind aber

/1) Die grösten Genis,

/2) Hypochondrische Personen

/Die Regellose Phantasie ist die so nicht nach den Vorschriften des Verstandes

/ handelt;

|P_28

/handelt; und sie muß sich selbst nicht bey einem Dichter befinden.

/ ≥ ad §_572

/Der Witz ist das Vermögen Vergleichungen anzustellen die nicht ge-
mein sind.

/Der Witzt muß aber cultivirt werden und zwar

/1) Wenn er selbst schon verschiedene witzige producte hat.

/2) Wenn man sich übt zwischen 2 Dingen Ähnlichkeiten hervorzubrin-
gen.

/Er muß aber auch disciplinirt werden,

/1) moralisch, daß er nicht beleidigend sey.

/2) logische, daß er nicht dem Verstande zuwieder sey.

/Scharfsinnigkeit ist das Vermögen zu unterscheiden und zwar in Ansehung des-
sen was nicht leicht zu bemercken ist.

/Ein Mensch kann oft viel Witz in der Gesellschaft zeigen, aber er hat eben
nicht Scharfsinn es gut anzuwenden.

/Scharfsinn<ig> ist überhaupt das was schwer zu bemercken ist. Die Einbildungs-
Kraft vertritt oft die Stelle des Verstandes, der Witz der Urtheilskraft,
und die Spitzfindigkeit der Vernunft.

/Der Witz kann eingetheilt werden,

/1) in einen behenden 2) in einen treffenden.

/Die Spitzfindigkeit liebt, ein Sceptiver indem er die Distinctionen ma-
chen will wo sie nicht nöthig sind Rabulisten die ein Gesetz so zu drehen

/ wissen

|P_29

/ ≥δ Vol:_III ≤

/wissen wie sie es haben wollen.

/Die Einbildungskraft enthält in sich das Magasin des Erkenntniß von al-
lem was wir wahrgenommen, gedacht und vorgenommen haben. Der Zweck
worauf sich dieses alles bezieht, ist der Verstand. Es sind zwey Vermögen, die
Materialien welche in der Einbildungskraft liegen zu gebrauchen, und sie
zum Dienst des Verstandes anzuwenden; Witz und Urtheilskraft.

/Allso Verstand bedarf eines gewissen Vermögens durch die Vergleichung
allgemeine Begriffe hervor zu bringen oder Ähnlichkeiten gewahr zu
werden, und dieses ist der Witz. Er braucht ein Vermögen zu subsummiren,
ob etwas unter einen allgemeinen Begriff gehöre oder nicht. Dieses Ver-
mögen ist die Urtheilskraft. Der Witz ist an sich selbst schon unterhaltend,
weil er von sich selbst dem Verstande Materie zu Regeln giebt, (er schaft
die allgemeinen Begriffe zu solchen Regeln) z.E. ein Witziger beobach-
tet die Jalousie des Schönen untereinander und vergleicht sie mit der Ja-
lousie der schönen Geister; so bekommt er die Regel, daß das Schöne Jalou-
sie verursacht. Der Witz kann wie ein Spiel betrachtet werden. Ein Spiel
das schon an sich selbst unterhaltend ist ohne einen gewissen Zwang zu ha-
ben; was aber erst angenehm ist durch die Erreichung eines gewissen Zwecks
ist ein Geschäft. Die Urtheilkraft ist ein Geschäft, denn sie restringirt
nur die Regel, sie schrenckt die Regel ein, und frägt ob das auch hinreichend
zur Regel wäre; Was aber unsere Freyheit restringirt ist unange-
nehm oder doch trocken. Also spalt der Witz, die Handlungen der Urtheils- 

/ Kraft

/Lage E

|P_30

/kraft sind aber Geschäfte. Die Urtheilskraft ist eine Art der Disciplin für den
Witz. Viele bey denen der Witz das Haupt-Geschäfte ist, divertiren sich mehr als
die so die Urtheilkraft brauchen. Der Frantzose ist witzig, der Deutsche liebt
aber die Urtheilskraft mehr.

/Man nennt einen gewissen Ausdruck sinnreich, wenn Witz und Urtheils-
kraft in Verbindung stehen, aber der Witz hervorsteht, wenn aber die Urtheils-
kraft das Fürnehmste ist, so ist der Ausdruck scharfsinnig.

/Woher kommt es, daß aller Witz, wenn er gesucht wird mißfällt, eine ge-
suchte Urtheilskraft aber nicht mißfällt? Der Witz spielt, er muß allso
nicht mühsam spielen, denn ein mühsames Spiel ist wiedersprechend.

/Die Urtheilskraft heist grüblerisch wenn sie Kleinigkeiten betrift;
Scharfsinn mit Grüblerey verbunden ist Spitzfindigkeit.

/Unter die Producte des Witzes und der Urtheilskraft, gehören,: die
Sinnsprüche «Gottes» <Aus->Sprüche des Witzes, bonmots) wenn Urtheilskraft
hervorleuchtet, heissen sie Dencksprüche. Dieses ist bey den Russen das
Sprichwort: Man empfängt den Gast nach seinem Kleide, und bewirthet
ihn nach dem Verstande.

/Ein Einfall des Witzes dient blos zu divertiren, der Urtheilskraft aber
zu belehren. Die meisten Wissenschaften haben ihren Umfang von Einfäl-
len. Sinnsprüche als Einfälle betrachtet belästigen, sie müssen aber nie
gesucht werden.

/Das ist schäl gar nicht was der Popularitaet entgegen ist.

/Ein Witz ist schäl, wenn er auf keine Ähnlichkeit geht, oder wenn die
Ähnlichkeit nur die begleitenden Nebenbegriffe betrift.

/ Alberner

|P_31

/Alberner Witz ist, wenn was wichtiges was zur Urtheilskraft gehört zu Witz
gemacht wird.

/Die Producte des Witzes finden wir; oft in Benennungen der bloßen Ein-
theilung der Naturforscher, aber auch oft da wo Urtheilkraft seyn soll.

/Weil der Witz Einfälle enthalten soll: so muß er auch unvorbereitet erschei-
nen.

/Man nennt einen Witzigen oft einen Durchtriebnen, der unter dem
Schein der Trunckenheit oft etwas witziges vorträgt.

/Ein Witzloser heist auch ein stumpfer Kopf. Er kann stumpf an Witz aber
nicht immer an Urtheilskraft seyn?

/Dumm ist man, nicht in so fern man einen Mangel an Erkenntniß hat,
sondern sofern man nicht weiß sich derselben zu bedienen.

/Ein Mensch ist gescheit in so fern er seine Urtheilskraft durch die Erfah-
rung cultivirt hat, wenn er aber den Witz durch die Erfahrung cultivirt hat,
so ist er gewitzt. Das Alter und die Reisen machen fürnehmlich gescheut und
gewitzt.

/ ≥ ad §_579

/Das Gedächtniß ist die Macht der Willkühr über die Producte der Einbil-
dungskraft. Der Lauf der Imagination ist unwillkührlich, aber doch richtet
er sich zum wenigsten nach den Gesetzen der Association der Ideen. Das
Gedächtniß ist ein Vermögen über die Imagination. Gewisse Vorstellungen
liegen in meiner Imagination, ich darf sie allso nur hervorsuchen. - Das
Gedächtniß ist eine obere Kraft -.

/ Den

|P_32

/Den Gebrauch des Gedächtnisses kann man nennen.

/1, Einen mechanischen, 2, Einen ingeumesen, 3, juditieusen. Die Redensar-
ten hiebey sind: Etwas dem Gedächtniß anvertrauen; Etwas behalten, was
wir so tief in das Gedächtniß eingeprägt haben, daß wir es nach belieben wie-
der herraus nehmen können; Sich besinnen, sich Zeit nehmen um etwas zu
erneuen; Entsinnen heißt aber, etwas was verdunckelt ist, was unter alten
Bildern der Phantasie verborgen ist aus der Dunckelheit herauszu-
reissen. Hier ist das Gedächtniß anzusehen als eine große Bibliothec von
welcher der Eigenthümer aber selbst nicht weiß, wo das Buch, das er verlangt i@st.@

/ ≥ Operationen des Gedächtnisses ≤

/Wenn wir etwas dem Gedächtniß anvertrauen, so heist dieses bisweilen
memoriren. Die mechanische Einprägung ins Gedächtniß, geschicht durch
nichts als durch öfteres Wiederholen; Hierbey kann man auf kein Glied
kommen, ohne nicht zuvor die vorhergehende zu wiederholen. Diese me-
moriren ist sehr nützlich, besonders in der Jugend, und diese Fähigkeit dau-
ert auch nur «blos» bis ins 30ste Jahr. Das ingeumese Einprägen ins Ge-
dächtniß geschicht durch die Ähnlichkeiten, wenn ich große Dinge mit ein-
ander verknüpfe oder durch den Witz Ähnlichkeiten aufsuche. Alle Mit-
tel zu diesem Memoriren sind hinfällig; Juditieuse, durch den gewissen na-
türlichen Zusammenhang mit etwas memoriren.

/Ausdrücke des Gedächtnisses, Etwas soll zum Andencken dienen, da-
durch wird immer ein Geschenck verstanden, das sich durch eine gewisse

/ Selten- 

|P_33

/Seltenheit auszeichnet. Etwas soll ein Denckmahl seyn, diese dient zur Über-
lieferung des Andenckens an andere, und hierzu muß genommen werden
was besonders in die Augen fällt. Z.E. So scheinen die Pyramiden Denck-
mähler zu seyn, nur schade! daß man nicht weiß weswegen sie erbauet wor-
den. Ein Denckspruch ist eine Sentens oder ein Sinnspruch, der viel Sinn in sich
enthält. Es geschicht oft, daß man sie in Versen hat, denn der Versus hat zugleich
eine gewisse mechanische Art des Silbenmaaßes, also ist er auch leichter
zu behalten. Der Gemüths-Antheil ist ein hoher Grad der Erinnerung des-
sen, was uns nicht mechanisch eingeprägt worden. Wenn wir etwas behalten
wollen; so muß es uns von der Seite vorgestellt werden, wo es uns interessirt.
Der Nutzen, den man von etwas haben kann ist nicht als ein unmittelbah-
res Interesse anzusehen.

/Es giebt viele die ein sehr großes Gedächtniß haben, dieses sind aber nicht
Personen die große Dinge wissen: Alle Fähigkeiten scheinen keinen
Gebrauch zu haben, sondern sind nur als ein großer Vorrath anzusehen:
Dennoch bleibt es ein großes Glück ein fähiges Gedächtniß zu haben. Es
scheint gar, daß man sich damit rühmet, daß man ein schlecht Gedächtniß
habe, womit man seine andern Fehler die man sonst bemercken könte
von sich ablehnen will, und damit man ihm einen desto größern Verstand
zutrauen. Die meisten klagen aber darüber weil sie dem Gedächtniß,
zu vieles zumuthen. Das Schreiben erleuchtert schon das Gedächtniß, weil
wenn man etwas auf Papier hat, man unbekümmert darum ist, wo- 

/ durch

|P_34

/durch aber auch das Gedächtniß Schaden leidet.

/Den Alten geht es so, daß sie sich dessen was sie in ihrer Jugend wusten
leicht erinnern, was sie aber vor einigen Tagen gehört haben vergessen
Der Ruff der Natur ist allso dieser, daß man im Alter nicht mehr lernen
sondern Gebrauch von dem Gelernten machen soll. Das beste etwas zu
behalten ist bald davon Gebrauch zu machen; doch es ist nicht nothwendig, daß
wir immer andern, so zu sagen, unsere Lectionen aufsagen.

/Wenn die Vergesslichkeit überhand nimmt, so ist es das gröste Unglück,
und diese kommt nicht allein durch die Unterlassung des Memorirens,
sondern auch dadurch, daß ich meine Gedancken beschäftige, ohne Gebrauch
davon zu machen. Romanen schwächen sehr das Gedächtniß, denn
durch diese, wenn ich sie selbst zum Zeit vertreib lese bekomme ich kei-
ne Accession; und da ich bey dem Romanen Lesen, meinen Gedan-
cken den Lauf lasse, so wird es mir schwer, dieses bey anderm Lesen zu
unterlassen, wo ich doch alles behalten will.

/ ≥ ad §_589

/Das Dichtungs-Vermögen besteht darin, daß wir willkührliche Vor-
stellungen in unserer Seele hervorbringen, und unterscheidet sich
von der Phantasie und Imagination. Die Phantasie schwärmt und
ist unwillkührlich. Willkührliche Vorstellungen aber aus dem Vor-
rath der Imagination hervorbringen, ist das eigentliche Dichtungs-
Vermögen.

/ Wörter

|P_35

/Wörter und Ausdrücke durch welche unsere Sprache dieses bezeichnet.

/Etwas entdecken. Wir entdecken etwas, wenn wir es zuerst antreffen was
aber schon in der Erscheinung gegeben ist; z.E. Die Erde hat sich schon immer um
die Sonne bewegt, der es aber zuerst bemerckt hat, hat es entdeckt. So ist auch
America entdeckt. Dieses sind alles nicht Erfindungen, denn diese sind nicht ge-
geben. So ist der Pythagorische Lehrsatz erfunden. Franglin hat zuerst ent-
decket, daß die Gewitter-Wolcken elastisch wären, und die Ableiter hat er
erfunden.

/Etwas ausfündig machen, ist so viel als etwas noch einmahl entdecken,
was schon verlohren war, wovon man aber doch noch wuste daß es da war. So
kann man einen Schatz, der irgend wo vergraben worden ausfündig machen.
Desgleichen den Thäter des Diebstahls machen wir ausfindig.

/Die Ausdrücke bey den Operationen des Gemüths, beziehen alle auf Er-
finden, auf neue Hervorbringung der Gedancken.

/Etwas aussinnen ist so viel, als einen neuen practischen Handgriff erfin-
den und besonders durch Versuche. So kann Jemand eine Art von plaisir
und eine neue Mode aussinnen.

/Etwas aussinnen ist eine scheinbare Lüge erfinden.

/Etwas entdecken, dieses scheint eine Art der Erfindung von etwas Un-
wahren zu seyn, doch mit Verstand.

/Etwas ausdencken. Dieses correspondirt dem Ersinnen, und gehört
zum Verstande.

/Dichten ist so viel, als das Vermögen willkührliche Vorstellungen in der

/ Ein- 

|P_36

/Einbildungskraft hervorzubringen.

/Das ist erdichtet, was nicht mit gnungsamen Merckmahlen kenntlich ge-
macht ist. Es giebt z.E. Könige in der Geschichte die gar nicht in der Welt gelebt
haben, dieses ist erdichtet. Ein jeder der eine Hypothese ersinnt, der muß
dichten.

/ ≥ Das Dichten als eine Kunst, und also auch die producte desselben,
als Producte des Geistes.

/Das Harmonische Spiel des Verstandes un der Sinnlichkeit werden wir
die Schönheit des Geistes nennen können. Ein schöner Geist denckt so, daß
Verstand da ist, der aber mit der Sinnlichkeit in Harmonie steht. In
witzigen Schriften muß Verstand hervorleuchten, aber auch ein gewis-
ses Spiel der Sinne. Es müssen also bey einem schönen Geiste die obern
und untern Kräfte in Ubereinstimmung stehen.

/Humaniora sind die Künste und Wissenschaften, welche bisweilen
einen schönen Geist zieren, und sind fürnehmlich, Belesenheit der Red-
ner und Dichter. Durch dessen Humaniora verstehe ich.

/1) Beredsamkeit, die Kunst Ideen des Verstandes durch die Sinn-
lichkeit zu beleben.

/2) Dichtkunst, die Kunst dem Spiel der Sinnlichkeit durch den Ver-
stand Einheit zu geben.

/Bey der Beredsamkeit ist der Haupt-Zweck der Verstand, in so fern
er durch die Sinnlichkeit gebildet wird. Bey den Gedichten setzt die Sinn- 

/ lichkeit

|P_37

/lichkeit den Zweck und der Verstand muß ihnen nur Einheit geben. Ein jeder
der eine Rede hält entwirft sie zuerst aus dem Verstand; hier kann es auch
noch eine logische Abhandlung werden, wenn hier aber nun auch noch das
Spiel der Sinnlichkeit vorkommt, so wird es erst die Rede; dieses Spiel kann
aber auch nicht weiter gehen als nur blos die Ideen beleben. Ein Dichter - 
nimmt sich ein Thema, und schildert es nur unter lauter Bildern, die aber doch
so beschaffen seyn müssen, daß sie mit conformen Begriffen begleitet wer-
den. Die Gemüthskräfte harmonisch zu beleben sind also die schönen - 
Künste, und die Gemüthskräfte sind der Verstand und die Sinnlichkeit.

/Die schönen Künste werden eingetheilt.

/1) in materielle, diese sind wieder,

/1) Die Künste des bleibenden Eindrucks, dieses ist die Mahlerey. Sie betrift
nur allein die Gestallt. Sie sind auch Erscheinungen des Mannigfaltigen
im Raum.

/2) Die Künste des transitorischen Eindrucks, dieses ist die Music. Sie
betreffen oft die Gestallten, sind das Spiel, und sind Erscheinungen des
Mannigfaltigen in der Zeit.

/2) in spirituelle. Diese sind Beredsamkeit und Poësie.

/Zu der Mahlerey nehmen wir; die eigentliche Mahlerey, die Bildhauer-
kunst, Baukunst und Lustgarten-Kunst.

/Zu der Music nehmen wir aber: die eigentliche Music und die Tantzkunst.

/Die Music ist wircklich das <r>eine Spiel der Empfindungen, denn es
sind hier gar keine Gestallten; Und da gefällt sie so sehr, da die einzel- 

/ nen

/Lage F

|P_38

/nen Elemente derselben nichts Angenehmes an sich haben. Es ist also blos das har-
monische in demselben angenehm. Durch die Einbildungskraft wird dieselbe be-
lebt. Sie hat auch den grosten Eindruck, ist aber auch am eigentlichen transitorisch.

/Die Beredsamkeit hat mit der Mahlerey viel Ähnlichkeit; darin kommen
sie mit einander überein, daß sie beyde eher mit der Anschauung als mit der
Sinnlichkeit beschäftiget seyn.

/Die Dichtkunst kommt mit der Music überein. Denn sie betrachtet auch ei-
nen abgemessenen Tackt. Die Beredsamkeit ist ein eigentliches Geschäft des
Verstandes, das aber durch das Spiel der Einbildungskraft belebt wird. Die
Poësie ist aber ein Geschäft der Sinnlichkeit, die der Verstand ordnet. Alle
schönen Künste haben einen Unterschied von den nützlichen. Nützliche ge-
fallen nicht unmittelbahr, sondern nur vermöge des Nutzens; schöne gefal-
len aber unmittelbahr. Die Beschäftigungen die unmittelbahr gefallen
sind keine Geschäfte; Die Beschäftigung aber die unmittelbahr mißfällt,
und nur vermöge ihres Nutzens gefällt ist Arbeit. Alles was die Gemüths-
Kräfte harmonisch bewegt, das gefällt unmittelbahr.

/Warum ist die Dichtkunst angenehmer als alle andern?

/Weil sie Spiel ist, und mehr dadurch die Einbildungskraft bewegt.

/Warum ist der Poët glücklicher in der Fabel als in der Wahrheit? Weil seine
Absicht gar nicht ist dem Verstande förderlich zu seyn, sondern er blos die
Einbildungskraft zum Hauptzweck nimmt. Die Wahrheit setzt ihm auch
Schrancken, und die liebt er gar nicht. Der Redner ist aber in der Wahrheit
glücklicher als in der Fabel; z.E. Die Dichter sind nicht glücklich in Lebensbeschrei- 

/ bungen

|P_39

/bungen, oder wenn es doch noch geschicht, so mengen sie sehr viele unwahrheit da-
runter. Desgleichen auch nicht im Naturmahlen. Um die Natur zu mahlen,
muß er der Natur getreu bleiben, und dadurch wird er ja eingeschränckt; nie-
mahls wird aber auch die Kunst die Natur erreichen. Hingegen in der Mytholo-
gie arcadischer Schäfer_leben, und überall wo er der Einbildungskraft frey-
en Lauf lassen kann, darinn ist er glücklich. Ja auch in Lehrgedichten kann
er glücklich seyn; denn die Tugend ist kein Gegenstand, sondern er kann
sie mit aller erdencklichen Schönheit abmahlen, so hat er Freyheit genung.

/Warum brauchen wir in unserer Dichtkunst den Reim? Unsere Spra-
che hat kein solches abgemessnes Silbenmaaß, als die Grichische oder Latei-
nische; also bestimmt sie auch nicht genau das Lange und Kurtze der Sil-
ben; Dieses ist nun durch den Raum ersetzt worden damit nur nicht die - 
Harmonie vermischt würde.

/Warum haben die Poëten solche Freyheit im Dichten, so wohl in der Wahl
der Wörter als der Bilder? Weil ihr Geschäfte gar nicht ist dem Verstan-
de Beystand zu leisten. Wenn unsere Absicht nichts ist, als zu unterhal-
ten, so muß auch nichts Gezwungenes vorkommen, denn ein gezwungen
Spiel ist gar kein Spiel.

/Warum werden die meisten Sentenzen in Versen gesetzt? Weil das
Silbenmaaß und der Reim Mittel sind, etwas dem Gedächtniß einzuprägen.

/Ein mittelmäßiges Gedicht ist unleidlich; denn es ist nur darauf angelegt
um zu belustigen, thut es nun aber dieses nicht, so habe ich alles verlohren.

/Im Alter nimmt die poëtische Idée immer mehr ab, aber ein Redner

/ kann

|P_40

/kann man auch noch denn seyn. Die Gedichte über die Thorheiten der Welt schicken sich
auch am besten für das Alter:

/Die leichte Frage die wir aufwerfen ist noch diese: Warum sind die Dichter doch alle arm

/ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 

/Keppler starb eigentlich nicht hungers halber in England. Und als ein Poët zu
Paris sich ein Haus kaufen wollte hielten sich die andern über ihn auf.

/Warum ist doch die Poësie das alteste Product des Geistes? Weil die Poësie
ein Spiel der Sinnlichkeit; und der welcher zuerst aus der Wildheit heraus-
kommt fängt von den Sinnen an, nehmlich daß er die gebrauchen lernt; die
Beredsamkeit ist weit später entstanden, weil hier der Verstand das meiste re-
gieren muß. Die Beredsamkeit kann man mit allem Recht die Sprache der
Vernunft nennen, die durch die Sinnlichkeit gbildet worden.

/Es kann die Phantasie ausgeartet seyn, wenn sie nicht den Gang nimmt,
den ihr die Ideen geben, sondern wenn sie selbst die Ideen zwingt den Gang zu
gehen. Wir nennen jemanden einen Phantast bey dem der Verstand dem
Gange der Phantasie unterworfen ist. Ein Phantast dessen Idée auf etwas
Erhabnes gerichtet ist ist ein Enthusiaste. - Alle Ideen des Verstandes ha-
ben Bilder nöthig, um sie auszulegen; also ist die Phantasie, welche die Bil-
der berbey schaft, ein adminiculum des Verstandes, wenn sie sich aber des Ver-
standes bemächtiget und ihn selbst lenckt, so wird daraus eine Phantasie. Ein
gewisser patriotischer Eifer ist oft eine Phantasie. Denn selbst ein Vaterland
kann nicht unberuffen verlangen, daß ich ihn alles aufopfern soll.

/So bald die Affecten sich auf Ideen beziehen, so machen sie die Einbildungs-
kraft enge, die, nachdem sie das Erhabne aufgenommen hat, keine Regeln

/ mehr

|P_41

/mehr kennt; daraus entsteht denn der Enthusiasmus. L'Abbé von Saint Pierre
der einen Vorschlag gab wie die Könige alle Kriege abschaffen sollten, ist von
allen für einen Phantast gehalten worden, auch Rousseau. Ein eigentlicher
Phantast ist der bey dem die Phantasie den Verstand bestimmt z.E. welcher
sich hunderterley Dinge vorstellt zu denen er gelangen wird; desgleichen
der, so von seiner Vollkommenheit eingenommen ist.

/Viele nehmen zur jetzigen Zeit den Enthusiasmum an, das ist aber in kei-
nem Stücke zu billigen; das ist so viel, als jemanden «ver»<an>rathen, daß er aus
guter Absicht rasen soll. Es ist wahr ein solcher kann viel Dinge des Erhabnen
ausrichten, aber jemanden anzurathen, er soll sich in den Affect setzen, ist
eben nicht zu billigen, denn jeder Affect ist blind.

/Eine Art von den Selbst-Geschöpfen der Vernunft, sind die Schnurren;
Wir haben solche im Schlaf, denn das sind die Träume. Es giebt aber auch
Phantasien deren sich ein Mensch nicht im Wachen erwehren kann, und die-
sen nennt man einen Schwärmer: Einen Schwärmer kann man auch
einen solchen nennen, der sich geistige Dinge als sinnlich vorstellt. Die
Religionen welche Gegenstände haben die sehr geistig sind veranlassen, daß
man sich die Gegenstände, die nicht sichtlich sind, als so vorstellt, und daher ge-
schicht es, daß Schwärmer entstehen.

/Bey den Pythagoreer finden wir Phantasten aber nicht bey den Epicu-
reer und Aristotelicker.

/Der Regellose Lauf der Phantasie im Schlaf, ist der Traum. Der Mensch
der aus sich aus seinen Träumen was macht ist ein schwacher Kopf; denn was

/ kann

|P_42

/kann wohl kleiner als ein Traum seyn? Im Traum etwas richtiges finden,
heißt in einem regellosen Spiel etwas richtiges finden.

/Im Schlaf geht es mit unsern Träumen so zu;

/1) Daß uns die Bilder tumultuerisch erscheinen.

/2) Man hat aber auch überdem einen zusammenhängenden Traum, dieses ge-
schicht aber erst am Ende des Schlafes.

/Blödsinnigkeit ist die Schwäche der Erkenntnißkraft des Menschen, da
er nicht gleich etwas wahrnimmt, oder auch die Unfähigkeit zum Wahrneh-
men.

/Wahnsinn ist eine Verkehrtheit, oder üble Bestimmung unserer Phantasie,
wo wir etwas glauben wahrzunmehmen was doch nur blos ein Schein ist. Eine
Art von Wahnsinn ist oft bey Verliebten.

/Wenn diese Ausdrücke im stricten Verstande genommen werden,
so gehören sie zu einem gestöhrten Gemüth. Man kann sie aber auch
noch in einem andern Verstande nehmen, wo man nur ein analogon
desselben versteht.

/Das gestöhrte Gemüth ist die Regellosigkeit der untern Kräfte, in
so fern sie nicht den obern Kräften folgen. Wenn jemand im wachenden
Zustande, seine Sinnlichketi Regellos läst, so sagt man er ist irre, geschicht
es aber in Kranckheit so phantasirt er.

/Verrückt bey dem seine Phantasien so gar seine sinnlichen Empfindun-
gen überwiegen.

/Man sieht fast kein verrückt Kind, sondern sie werden es erst, wenn
sie zur Reife kommen.

/ Wenn

|P_43

/Wenn jemand schon gestöhrt ist, so kommt es sehr auf die Erziehung an, wovon er
phantasirt.

/Man schreibt die Ursache hievon oft einem übermäßigen Studiren zu, das ist
aber nicht wahr, sondern das ist nur die Folge; denn wer sich vornimmt so unor-
dentlich zu studiren, der hat schon den Anfang dazu in sich. Desgleichen wird
es Niemanden so leicht einkommen von uns nach Indien zu reisen, wenn er
nicht schon einen Wurm im Kopf hat.

/Dieser Zustand scheint mehr physisch als metaphysisch und moralisch zu
seyn. Große Selbst-Liebe, ist eine große Beförderung zu diesem elenden
Zustande, desgleichen überspannte Nachdencken auf ein und dasselbe
Object, dieses bringt eine unheilbare Wunde in das Gemuth.

/Hypochondrie ist hievon nicht weit unterschieden, denn diese Leute
hängen den Grillen nach. Ein Grillenfänger ist der dem nachhängt, dem
Niemand anders nachhängt. Hypochondristen thun dieses, und indem
sie dem nachhängen, so sind sie mit dem Wahnwitzigen verwandt.

/Dieses sind die Kranckheiten des Kopfes; In so fern sie sich nur einiger-
maaßen in unsere Handlungen einschleichen sind sie Albernheit.

/Man muß die Caricatur, (ein etwa übertriebener Character) nehmen,
wenn man etwas gantz genau schildern will. Die Caricaturen Ge-
stallten von der Narrheit, findet man in Dollhäusern, und wenn sie nur mit-
telmäßig sind überall:

/Eine störrische Narrheit ist ungesellig, unverträglich und eigensinnig, und die
sich durch die Seltenheit auszeichnet. Eine solche störrische Narrheit findet sich
bey den Franzosen, und ein junger Franzose ist oft unerträglich, denn sein

/ allzu

|P_44

/allzu lustiges Wesen, wird zuletzt nicht mehr angenehm, wenn der Franzos aber
älter wird, so wird er schon immer angenehmer.

/Eine gravitaetische Narrheit zeichnet sich durch die Wichtigkeit aus, und ein sol-
cher Mensch, spricht mit vielem Affect. Eine melancholische Narrheit hat mit lau-
ter Hirngespinste zu thun, und besteht darinn, daß man das Kinderspiel mit
eine finsternen Wichtigkeit ansieht.

/Das Steckenpferd, von dem besonders Tristram Schandi sehr viel redet.
Ein jeder Mensch, der sonst auch noch verständig ist, hat irgend ein Kinderspiel,
womit er sich mehr beschäftiget als mit seiner eigenen Verrichtung, und zwar
mehr aus Neigung als aus Pflicht, und dieses ist das Steckenpferd, das ein je-
der hat.

/Die Phantasten sind entweder abergläubisch oder Schwärmer.

/Der Aberglaube der mit dem Blödsinn übereinkommt, besteht auch in
einer Unfähigkeit des Menschen was zu verstehen; oder der Aberglaube ist
auch eine Leichtigkeit wieder die Gesetze der Natur zu handeln, Wenn also
keine Gesetze sind, so haben wir auch keinen Verstand nöthig. Wenn jemand
alles das annimmt, was die Gesetze der Natur mißbilligen, so braucht er
keinen Verstand. Der Aberglaube macht zwar Ansprüche auf die Vernunft
braucht sie aber niemahls. Der Abergläubige beruft sich schon auf einen
großen Haufen und auf die Menge der Zeugen, ohne auf das Glaubwür-
dige des Zeugen zu sehen.

/Ein Schwärmer ist, der über die Gesetze der Natur hinaus geht, der also
zwar nicht die Gesetze der Natur leugnet, aber doch nicht für hinreichend

/ hält.

|P_45

/hält:

/Einer der seine Vernunft zwar gebraucht aber so fern als sie nicht einstimmig ist
mit der Vernunft anderer, ist auch ein Phantast, dieser spricht so wie man nach 100
Jahr urtheilen wird. Er will die Vorurtheile haben nach denen man ihn beurtheilt,
also muß er nothwendig ein Phantast seyn oder wird wenigstens dafür gehalten.
So wie Saint Pierre und Rousseau.

/Mittel wieder den Wahnsinn, um ihm einigermaaßen vorzubeugen,
wenn er noch nicht Uberhand genommen hat. Die Geselligkeit scheint das be-
wehrte Mittel zu seyn um unsere Kräfte im Gleich-Gewicht zu erhalten.

/Wenn man in Gesellschaft ist, so kann man nicht so urtheilen wie es unsere
privat-Sachen haben wollen sondern wie die Gesellschaft urtheilt. Die Gesell-
schaft muß aber aus vielen Persohnen bestehen, denn sonst wenn sie sich nach
meinem Tackt stimmen lassen, so erreichen wir nicht unsere Absicht. Wir
sehen also, daß das Mittel wieder diese Keckheit die Gesellschaft ist, und zwar
deswegen weil man alsdenn nicht seinen eignen Gedancken zu sehr nachhan-
gen kann.

/ ≥ ad §_595

/Wir sehen was uns in der Zukunft begegnen soll, durch die Praevision voraus.
Und ein jeder Mensch ist, so zu sagen, ein Janus bifrons.

/Die Zukunft interessirt uns nur, und das Vergangene auch nur blos in An-
sehung des Künftigen. Nur die Gewissenhaftigkeit interessirt allein auch in
Ansehung des Vergangenen. Einem Gewissenhaften, wenn er auch von
aller Zukunft abstrahirt, wird doch das Vergangene interessiren.

/Also interessirt das physische Vergangene nur blos durch seine Folgen,

/ das

/Lage G

|P_46

/das moralische aber schon unmittelbahr. Das Voraussehen ist unser Schicksal,
ins Künftige, so fern wir etwas dazu beytragen können, heist die Vorsorge,
und ist sehr von der Sorge unterschieden, welches eine Bekümmerniß wegen
des künftigen Schicksals ist, das nicht im unserer Gewalt stehet. Die Zukunft die
keinen Einfluß mehr auf uns hat, ist die Nachwelt. z.E. Ein Alter s«a»orgt, um sich
noch sein Leben angenehm zu machen, wircklich für die Nachwelt:

/Die Menschen sorgen fürnehmlich:

/1) für ein Vermögen: welches sie eigentlich wohl für sich selbst besorgen.

/2) für ihren guten Namen und dieses findet man schon bey alten Völ-
ckern.

/Wir müssen erfahren, wie wir das Gegenwärtige ins Künftige beur-
theilen werden.

/Alle Leute arbeiten, weil sie faul werden wollen, nehmlich um ein-
mahl ein ruhiges Alter zu haben.

/Ein jeder setzt sich einen Fond vor, um eine Ruhe im Alter zu erhal-
ten: Dieses sind, Geld, Geschicklichkeit, und ein Amt.

/Steigerung in Ansehung des Glücks ins Künftige: das ist niemand muß
den Genuß seines Glücks so hoch steigen lassen, daß er nicht noch höher steigen
könte, denn sonst muß man wieder heruntersteigen; und alsdenn fängt
die Ängstlichkeit an.

/Schicksal und Verhängniß scheint eine absolute Willkühr einer obersten
Macht zu seyn. Das Schicksal citiren heist der Vernunft alle Einsicht in Anse-
hung des Künftigen absprechen, und da man sich mit blinder Folgsamkeit
der Willkühr einer obersten Macht überläßt.

/ Es

|P_47

/Es scheint für den Menschen das wichtigste zu seyn, in die Zukunft zu sehen. Das
Röhmische Volck wahr sehr verständig, aber selbst seine Philosophen waren von
Vorbedeutungen der Zukunft eingenommen; aber die Vorherbedeutung
wurde niemahls eher gesagt als bis die Erfüllung schon da war. Diese Vorbe-
deutungen geschahen durch den Flug der Vögel, durch das Eingeweide derselben,
oder auch durch die Träume. - Es gehört eine langsame Disciplin des
Verstandes dazu, diese Vorbedeutungen von sich abzulegen und nach der Kette
der Verbindung, nach der Regel des Vergangenen auf die Zukunft zu schlies-
sen. Bey den Muhamedaner ist keine Vorhersehung denn es ist alles Schicksal
bey ihnen. Wenn man auch noch ohne alle Vernunft von der Zukunft urthei-
len will, so nimmt man zu dem Schicksal und Glück eine Zuflucht. Es giebt eine
Art Völcker die so sehr von diesem Wahn eingenommen sind, daß sie so gar ihre
Kinder die an bösen Tagen, nach der Aussage der Calender gebohren worden
tödten. Die Astrologie ist auch von der Beschaffenheit, da man aus dem Lauf
der Gestirne Böses oder Gutes jemanden ankündigen kann; Auf die Chi-
romantie, das ist die Weissagung aus den Linien der Hand. Die Alten hiel-
ten einen gestöhrten Menschen für einen solchen der einen Daemon hatte,
das ist ein Genius, welcher indem er in seinem Gehirn Sitz wählt, die Seele aus
ihrem Sitz vertreibt, und den Menschen so regiere, daß er es selbst nicht ein-
mahl weiß, und von diesen glaubte man, daß in ihnen ein Weissagungs-Ver-
mögen verborgen liege. Ein solcher hieß Menttiis, die aber so eine Weissa-
gungen auszulegen wusten hießen Ph@i\r@opheten bey den Grichen. Die
Türcken halten noch jetzt einen dollen Menschen für einen Propheten

/ oder

|P_48

/oder Heiligen. Als Arivié der in Gota gewesen war, nach Arabien kam, und
ihre Sprache nicht verstand, sondern wenn sie ihn etwas fragten viele Gebehr-
den machte: so sahen ihn die Araber für einen Heiligen an, und hielten ihn sehr
hoch, und überlieferten ihn in Lippo, doch so, daß man ihn recht gut bewahren sol-
te. Wir finden daß die Poëten bey den Alten Vatis genannt wurden. Der
Poët dependirt von seiner Laune und daher glaubte man, sie hätten Ein-
gebungen, oder daß sie ein höherer Geist belebte. - Die Priester zu Delphos
werden auch immer als rasend beschrieben, das ist, daß ein Daemon mit ih-
nen machte, was er wolte. - Die Sanchos-Mönche bey den Muhameda-
nern drehen sich auf einem Fuße herrum, und schreyen, Hu, Hu! (Gott! Gott!)
und alsdenn gerathen sie in eine gewisse Art von Verwirrung und weissa-
gen - Den Sturm-Vogel nimmt man für ein Zeichen des Sturms an,
und das ist auch wahr; denn er ist ein solcher Vorbote, der schon viele Meilen
von dem Sturm erst hieher getrieben worden -. Man nimmt diejenigen
so die wenigste Vernunft haben für die Wahrsager an; denn man verlangt
eben nicht Klugheit dazu, sondern nur einen gewissen Umgang mit den
Geistern, so heißen die Zigeiner und andere alte Weiber Wahrsager.

/Die jetzigen Wahrsagungen sind meistentheils die Witterungen, und die
müssen auch ihre Regeln haben, ob sie gleich noch nicht alle bekannt sind;
und diese Weissagungen sind auch sehr interessant; Es giebt auch noch etwas
bey uns was für ein Zeichen des Künftigen angesehen wird, wovon der
Wahn so tief eingewurtzelt ist, daß es wohl schwer seyn wird ihn wieder aus-
zurotten; und das ist der Traum, und hernach die Traumdeuterey. Der

/ Traum

|P_49

/Traum ist die Versetzung eines Menschen in eine idealische Welt. In dieser
vorgestellten Welt, sieht oft alles weit besser aus, als wir es hier in der Gegen-
wärtigen sehen. Solche Persohnen die viel träumen werden also leicht verlei-
tet, solchen Träumen eine gewisse Wichtigkeit zu geben, und begegnet ih-
nen nun am Tage etwas, was mit diesem Traume einigermaaßen ü-
bereinstimmt, was sie sich oft selbst bemühen zu thun, so ist die Deutung da.
Unser Gemüth hat neben dem Vermögen des Verstandes noch ein anderes
Begriffe zu begleiten, und das sind Merckzeichen und Denckzeichen. Die
Zeichen die zum bessern Verstehen der Sache dienen heißen figürliche
Zeichen oder auch Symbola. Unsere gantze Sprache ist eine Menge von
gewissen Merckzeichen und Denckzeichen z.E. Wenn man den Zorn nennt,
so denckt man sich das Merckzeichen von einem heftigen Affect. Allge-
meine Begriffe müssen sinnliche Merckmahle haben; Denn haben wir
zu den Begriffen keine Worte, so können wir sie auch nicht behalten. z.E.
Die Peruaner hatten anfänglich viele Wörter nicht, in der Folge lern-
ten sie aber Spanisch, und fanden auf der Stelle daß sie klüger wurden,
und diese nannten sich kluge Indianer. Eine jede Sprache hat eine be-
sondere Manière ihre Begriffe auszudrücken, und also auch immer
eine neue Methode etwas beyzubringen.

/Denckzeichen sind an sich selbst keine Begriffe, erinnern aber an ei-
nen Begriff; z E. so ist das Obelisk in London, das an das Feuer in - 
London erinnert.

/Symbolica sind fügürliche Zeichen. Die gewöhnliche Unterscheidung der

/ Er- 

|P_50

/Erkenntniß in Symbolische und intuitirte ist falsch, denn wir brauchen
ja oft Symbolen um sie intuitirt zu machen. Wir können also besser
die Dinge erkennen durch Begriffe und Anschauungen. Wenn ich mir
die Tugend vorstelle unter einem Bilde als der Kugel da alles zu einem
Mittelpunct abzielt, so wäre auch das ein Symbolum. Die Symbola sind nicht
den Anschauungen entgegen gesetzt, sondern sind selbst Anschauungen; nur
blos indirecte. Zu den Symbolen gehört z.E. die Parablen Allegorien etc:
Symbola sind also Gegenstände in so fern sie Vorstellungen von andern
Gegenständen sind. Hobbes vergl<e>icht den Staat mit de«n»m Leviathan we-
gen seiner Stärcke. Denn es muß; denn es muß eine unüberwindliche
Stärcke des Gantzen im Staat seyn um alle zu zwingen.

/Wenn ich mir einen Gegenstand nicht directe vorstellen kann, so ist
es besser, daß ich es indirecte thue und wenn ich ihn mir auch directe, das
ist durch Begriffe vorstellen kann, und ich dieses auch indirecte thue so
bekommt der Gegenstand mehr Deutlichkeit, denn die logische Vollkom-
menheit kann immer durch aestetische erhöht werden. Es giebt Völcker
die ihre Gegenstände alle indirecte vorstellen müssen, so sind die
orientalischen Völcker z.E. wenn sie sich die Gerechtigkeit als ein
Feuer vorstellen, das alles unreine verzehrt; so auch die Zeit durch ei-
ne Schlange, die ihren Schwantz im Maul hat.

/Mystici reden von Anschauungen, aber nicht empyrischen sondern
geistigen; weil aber unsere Wörter nur empyrische Anschauungen

/ ausdrücken

|P_51

/ausdrücken, so müssen wir uns dieser Wörter bedienen, aber uns auch vorstellen,
daß diese Wörter nur als Symbola vorgestellt werden. Ein Musticker sagt,
ein jeder Körper wäre nur ein Symbolum der Seele, ja der Körper ist nicht
ein mahl, sondern nur ein Symbolum wenn uns die Seele erscheint.

/Caracthere sind eigentlich solche Zeichen die zur Unterscheidung dienen.

/Ein Prognorsticon kann geschehen durch natürliche und willkührliche
Zeichen. Der Artzt hat natürliche Prognorsticons.

/Geist. Das Vermögen den Verstand durch die Sinnlichkeit zu beleben heist
Geist; das Wort Geist wird hier so zu sagen adjective genommen, als der Geist
von einem Buch, oder der Mensch hat keinen Geist. Dieser Geist ist von Ver-
nunft, Witz und Urtheils-Kraft unterschieden.

/Beleben heist unsere Gemüthskräfte in Wircksamkeit setzen.

/Ein Verstand so fern er die Sinnlichkeit, und diese in so fern sie jenen belebt,
heißt eine Harmonie zwischen Verstand und Sinnlichkeit oder das harmoni-
sche Spiel z E.Einer wohlüberlegten «oder» aber trocknen Rede, wie sie die
Engelländer machen fehlt Geist.

/Das Wort Genie bedeutet oft was Geist heißt.

/Zu welchen Producten des Verstandes gehört der Geist? Eine Poësie ohne
Geist, und auch eine Beredsamkeit ohne denselben ist nicht auszustehen. Der
Geist in der Poësie und in der Beredsamkeit, ist aber von einander unter-
schieden, weil die Zwecke derselben verschieden sind. Denn in der Bered-
samkeit sind die VerstandesBegriffe, und in der Poësie die Sinnlichkeit

/ der

|P_52

/der Zweck. Zu jedem Leben wird erfordert. a) eine belebende- Kraft; b) ei-
ne Anordnung. In der Poësie haben wir Verstand um der Anordnung willen,
und in der Beredsamkeit die Sinnlichkeit um der belebenden Kraft willen
nöthig. Also herscht, so wohl in der Poësie, als in der Beredsamkeit Geist.

/Dieses war das Capitel von den untern Kräften des Verstandes und
der Sinnlichkeit. Jetzt wollen wir die obern Kräfte des Verstandes unter-
suchen.

/ ≥ ad §_606

/Diese obern Kräfte heißen auch mit einem Wort, Verstand. Diese«n»r Verstand
kann aber eingetheilt werden; in den Verstand; das Vermögen der Begriffe
oder auch der Regeln; in die Urtheilskraft, das Vermögen der Subsumtion
der Regeln, in die Vernunft des Allgemeinen die Regeln von dem beson-
dern was unter derselben enthalten ist fortzugehen z.E. nichts was aus Ei-
gennutz gegeben wird ist edel, dieses ist die allgemeine Regel. Eine jede
Wohlthat, aus Eitelkeit gegeben, ist eigennützig, dieses ist die Subsumtion
unter dieser allgemeinen Regel. Jede Wohlthat aus Eitelkeit gegeben
ist unedel, (von dem Besondern das Allgemeine).

/Die obern Kräfte der Seele heißen auch das Vermögen zu den-
cken, da die untern Kräfte alsdenn das Vermögen zu empfinden
sind. Diejenigen die nicht gerne dencken mögen, beziehen sich auf die
Empfindungen; Die so nichts empfinden können, berufen sich auf
das Dencken. Die erstern, die immer von Empfindungen reden, kann
man empfindseelige nennen. Empfindungen sollen allemahl das

/ Dencken

|P_53

/Dencken beleben, aber nicht ersetzen, et vice versa. Wo die Erkenntniß des
Menschen practisch seyn soll, da muß man nicht allein dencken, sondern
auch anschauen Verstand und Sinnlichkeit müssen allso in Verbindung
seyn, aber nicht eins an die Stelle des Andern. Zum blossen Empfinden
gehört nicht viel, denn dabey ist der Mensch blos passive, das ist aber
keine Empfindung der Seele, denn dieses ist nicht ohne das Dencken mög-
lich. Einige Dinge sind Gegenstände der Sinne, die müssen wir empfin-
den, andere sind aber Gegenstände des Verstandes, und die kann
man nicht empfinden; und es ist ausgelassen wenn man davon re-
det. z.E. wenn wir von den Empfindungen des Rechts und Unrechts
reden.

/Unterschied aller dieser obern Kräfte@)@ Ein Gesetzgeber braucht Ver-
nunft; ein Gesetzlehrer Verstand, und ein Richter Urtheilskraft.
Wenn die Jugend gebildet wird, so bekommt sie zuerst Verstand, in-
dem man ihr Begriffe beybringt; hernach bekommt sie Urtheilskraft,
da man ihr Gelegenheit gewisse Regeln anzuwenden verschaft, end-
lich erhält sie Vernunft, wenn sie von dem was vorkommt, die Ur-
sachen und Zwecke aufsucht. - Witz und Einbildungskraft sind ein Ana-
logon des Verstandes. Beyde bedürfen der Leitung des Verstandes
und der Disciplin der Vernunft, und nur in so fern die untern Kräfte
mit den obern in Verbindung stehen sind sie zu billigen. Kein Autor
hat seinen Witz gut gebraucht, wenn er sich nicht auch seines Verstandes

/ bedient

/Lage H

|P_54

/bedient hätte. - Verstand und Urtheilskraft mit einander verbunden,
doch so daß die Urtheilskraft die Oberhand hat, ist der gesunde Verstand;
wenn aber der Verstand die Oberhand hat, so ist das ein nachdenckender
und entscheidender Verstand. Es giebt einige Feinde der Wissenschaften,
die dieselben herrunter setzen wollen, da sie den gesunden Verstand er-
heben wollen. - Wenn die Urtheilskraft nicht gut angewendet - 
wird, so kann der Mensch mit allen seinen Regeln fehlen, wenn er sie
nicht gebraucht; z.E. Es ist wahr, daß ein Verstand der entscheident aber nicht von
der Urtheilskraft ist, mehr ungereimtes thut, als ein nicht so tiefdenckender Ver-
stand: - Die Pedanterie ist eine Art von g<r>üblendem Verstande, ohne An-
wendung der Urtheilkraft; Ein Klügling ist, der viel reden aber wenig
thun kann, das zeigt an, daß er wenig Urtheilkraft hat. Christina, Köni-
gin in Schweden hatte viel Verstand, aber hat dem ohngeachtet doch nichts
Vernünftiges gemacht.

/Verstand kommt nicht von Jahren. Der Verstand ist schon oft frühe beschäf-
tigt, aber in Ansehung der Urtheilskraft verlassen sich die kinder auf andere
Der Verstand ist schon in der Jugend beschäftigt, wird aber erst mit den Jahren
reif. Die Vernunft kommt erst mit spätern Jahren, als im 40ten gewöhn-
lich, wenn die Sinnlichkeit abnimmt.

/ ≥ Der empirische und practische auch der speculative Verstand. ≤

/Der erstere wird erfordert in Regeln der Erfahrung der andere in
Regeln a_priori. Der empyrische ist in der Medicine unentbehrlich, das
Speculative aber, im Jure und in der Religion. Zu einem empirischen

/ Ver- 

|P_55

/Verstande wird erfordert, daß ich das Vermögen habe Zweckmäßige Beo-
bachtungen anzustellen, das ist, solche daraus Regeln herausgezogen wer-
den können. Von manchem Verstande ist es eine Vollkommenheit einen
behänden Begriff zu haben, und der von der gründlichen Einsicht unterschie-
den wird. Leute von behändem Begriff sind gewöhnlich niedrig; und die-
ses ist die %.Francösische Allwissenheit. Ein richtiger Verstand zum Unterschiede
von dem behänden Verstande, ist nicht so sehr behend sondern langsam.

/Die Arglist; eine Geschicklichkeit zu betrügen beweist der Verstand. Hierzu ge-
hört nicht so sehr Verstand, als der Mißbrauch des Zutrauens, das an-
dere in uns setzen.

/Stumm oder gravitaetisch in Gesellschaft seyn hat einige Ähnlichkeit mit
dem Verstande. Unwissenheit sieht oft wie Dummheit aus. Ein Mensch der
keine Erkenntniß hat, ist nicht dumm, sondern da aus Mangel des Verstan-
des er sich dieses Erkenntniß nicht bedienen kann.

/Man will die Ehrlichkeit mit der Dummheit in eine Classe setzen; Es
giebt oft ein friedfertiges Gemüth, blos weil es seine Ohnmacht fühlet. Der grös-
te Theil der Tugenden beruht darauf, daß man ein Unvermögen Laster zu
begehen in sich fühlet. Die Ehrlichkeit die aus Simplicitaet herrührt hat eine
Ähnlichkeit mit der Dummheit. Sie ist der kurtzeste Weg, wo man am wenig-
sten Kunst nöthig hat; Viele bleiben deswegen ehrlich, weil sie sich nicht in die
kr@u\e@mme Wege der Arglist wagen können. - Es giebt aber auch eine
Ehrlichkeit aus Grundsätzen, und das ist die Redlichkeit, und auf einen solchen
kann ich mich verlassen. Diese ist aber nicht ohne Verstand möglich, obgleich da- 

/ zu

|P_56

/zu eben nicht ein ausgebreiteter, sondern nur ein gründlicher Verstand erfor-
dert wird.

/ ≥ Einige episodische Anmerkungen

/Von der Zerstreuung. Es giebt eine unwillkührliche und eine willkührliche,
jene heist die Distraction, diese die Dissipation. Man dissipirt sich, wenn
man durch die Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeiten so beschäftigt ist, daß die
Verstandeskraft ruhet. Eine mäßige Unterhaltung mit den Sinnen ver-
größert die Verstandeskraft, %und vice versa. Die Abziehung des Verstandes
von der Sinnlichkeit ist die Zerstreuung: Es giebt eine todte Distraction,
wenn der Mensch redet, da er nichts denckt, eine lebhafte aber, wenn er an-
ders redet als er denckt, die Sorgen zerstreuen. Ein Hang zur Gedancken-
losigkeit ist Zerstreuung, und ist auch eine Uberlassung dem Strom der Phan-
tasie. Wer sich diesem überläst, ohne der Phantasie durch den Verstand eine
bessere Leitung zu geben, der ist zerstreut und auch Gedanckenlos.

/Von dem frühen und späten Verstande-Gebrauch. Von der Mündig-
keit und Unmündigkeit. Die Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich
seines Verstandes nicht ohne Leitung jemand andern zu bedienen. Die-
ses kommt her, theils von den Jahren, theils von der Unfähigkeit selbst sich
seines Verstandes zu bedienen. Die Frauenleute werden am längsten
für unmündig gehalten. Dieses Geschlecht hat Verstand genung, wenn
es sich einen Zweck gesetzt hat, ihn zu erhalten. Aber der mänliche Verstand
ist bemüht die besten und nützlichsten Zwecke zu bestimmen, und dieses ist

/ nicht

|P_57

/nicht bey dem weiblichen Verstande. - Was die Jahre betrift, so giebt es frühe wit-
zige Kinder, aber nicht frühe Kluge.

/Einige andere sind auch noch als unmündig anzusehen; als das Publicum ist un-
mündig, deswegen muß immer ein Leithammer unter ihnen seyn. Von einer
großen Gesellschaft sagt ein gewisser Schriftsteller, daß sie immer poebelhaft ist,
aber man kann noch hinzu setzen schelmisch. Wenn solche bestehen soll, so muß be-
ständig einer regieren; denn eine gleiche Vernunft kann nicht in viele Köpfe
zugleich dringen, und so geht es auch in allen Collegiis. Wir treffen das Publi-
cum auch unmündig, in Ansehung der Religion.

/Der Verstandes Mangel. Er wird oft Blödsinnigkeit genannt, der Man-
gel an Urtheilskraft aber Dummheit. Die Urtheilskraft kann niemahls
gelehrt, sondern nur geübt werden.

/Gemeiner Verstand. Bey allem was wir schätzen haben wir eine metho-
dische Schätzung, als in der Lücke und Geometrie als auch ein Augenmaaß;
das ist einen Überschlag zu machen nicht mit künstlichem sondern natürlichem
Maaß.

/Wir nennen etwas groß oder klein, in einem gewissen natürlichen Verhält-
niß eines Maaßes.

/Wenn wir Gegenstände die unterschieden sind sehen, so suchen wir ein Maaß auf,
um sie zu vergleichen; Die mitlere Größe ist nun der MaaßStaab. Die Menschen
differiren sehr in ihrem Verstandes-Gebrauch. Je mehr er Allgemeinheit hat
desto größer ist er, und desto besser er weiß, alles unter diese allgemeine Regeln
zu bringen, desto mehr Urtheilskraft zeigt er.

/Der allgemeine Verstand ist also die Congruens mit der mitlern Größe des

/ Verstandes

|P_58

/Verstandes. Die mittlere Größe des Verstandes, gehört hier nicht zu den Angele-
genheiten des Lebens.

/Die Vernunft ist das Umgekehrte von der Urtheilskraft, nehmlich zu dem
Besondern das Allgemeine zu finden, oder auch zu dem besondern Verstandes
Gebrauch die Regeln zu finden; oder einen practischen Gebrauch, das Vermö-
gen der Maximen.

/Warum hat die Vernunft eine so große Würde? Weil sie das oberste ist. Der
Verstand giebt den Erscheinungen Einheit, aber die Vernunft giebt allen diesen
Verstandesregeln Einheit.

/Unterschied zwischen Regel und Gesetz. Regel bezieht sich auf eine gewis-
sen beliebigen Zweck. Das Gesetz bestimmt aber den Zweck. Weil der Zweck
der oberste Grund aller Einheit ist, so ist die Vernunft die Gesetzgeberin.

/Man sagt von jemanden, er hat Verstand etwas zu Stande zu bringen,
aber er hat keine Vernunft_Idée, das ist er zeigt nicht einen Zusammen-
hang des Gantzen. Die Idée ist ein Vernunft_Begrif der Anschauung, was
in einem Dinge durch die Erkenntniß a_priori möglich ist. Handlungen der
Klugheit sind durch Begriffe à_posteriori, Handlungen aber der Tugend
sind durch Begriffe a_priori möglich. Ohne Vernunft ist ein Mensch einer Idee
nicht fähig. Fälle worinn man einen Mangel der Vernunft zeiget, ist bey
dem Aberglauben, und der Leichtgläubigkeit; in beyden fehlet das %.Principium
der gesunden Vernunft. Um den Verstand brauchen zu können, müssen
wir etwas zum Grunde legen, entweder eine eigene Erfahrung, oder die
Erzehlung anderer; damit wir nun aber Regeln aus der Erfahrung neh- 

/ men

|P_59

/men können, so gehört eine Beurtheilung dazu. Die Erfahrung hat ein Datum,
diese Data für den Verstand zu urtheilen, müssen nach gewissen Regeln beur-
theilt werden.

/Aberglauben und Leichtgläubigkeit deuten einen Mangel der Vernunft an.
Da etwas in der Natur ohne %.Principium als ein Datum angenommen wird ist
Aberglaube. Da aber etwas ohne %.Principium in der Erfahrung eines Andern
als ein Datum angenommen wird ist Leichtgläubigkeit. Aberglaube geht
auf die Natur als die Ursache der Irrthümer der Erscheinung; die Leichtgläu-
bigkeit aber auf die Erzählung. Eine Neigung z.E. die Deutungen der Astro-
logie für wahr anzunehmen ist Aberglaube. Denn zwischen der Stellung der
Gestirne und unsern Schicksalen, finden wir keine solche Verbindung, die wir
als eine Einheit ansehen könnten. - Der Aberglaube ist auch eine gewisse
Neigung das Naturwiedrige dem Natürlichen vorzuziehen.

/Maupertuis sagt ein jeder Mensch hat einen Hang zum Aberglauben, be-
sonders im Affect der Furcht, z.E. Wenn jemand aus der Hand ist geweissaget
worden, er wird eines unnatürlichen Todes, den oder den Tag sterben, und
er es selbst für nichts ansiehet; so wird er, wenn dieser Tag kommt doch besorgt
seyn, und es so lange bleiben, so lange noch ein Theil desselben über seyn wird.
Der Aberglaube ist auch frey von allen Regeln der Natur.

/Die Leichtgläubigkeit ist, da wir etwas als ein Datum aus dem Zeugniß
anderer ansehen, obgleich die Zeugnisse nicht hinreichend sind, sie als ein Da-
tum des Verstandes anzunehmen; oder auch etwas anzunehmen, weil es
der gröste Haufen annimmt.

/ Es

|P_60

/Es giebt einen Hang zu der Leichtgläubigkeit. Die Engelländer hält man ge-
meinhin für Leichtgläubige, welches ihre Neigung zum Auserordentlichen macht
Der Vernunft-Gebrauch wird einigen verboten, und sie sollen nur Verstand ge-
brauchen; als die Laici, wo nur allein die Clerici Vernunft haben sollen.

/Es giebt einen analogischen Vernunft-Gebrauch, wenn man sich durch Bilder
das vorstellt, was die Vernunft aus Begriffen erkennen sollte. So haben die
Orientalischen Völcker in Ansehung ihrer Gesetze und Moral lauter Bilder. z.E.
so stellen sie sich Gott, als den großen Mogol vor, der viele unter sich hat.

/Die Kranckheiten des Kopfes, in so fern sie die untern Kräfte betref-
fen heißen Blödsinnigkeit, so fern sie aber die obern Kräfte betreffen - 
heißen sie Wahnsinn. Wahnsinn ist eine Art von Phantasterey, wo man
Schnurren für würckliche Dinge hält.

/Wahnwitz ist der aus falschen Grundsätzen entsteht.

/Aberwitz ist, ein verkehrter Gebrauch wahrer Grundsätze, dieses scheint so
viel zu bedeuten als Aberwitz. Die Thersophischen Autoren zeigen viel
Aberwitz. Der Aberwitz zeigt sich denn, wenn Leute von Geheimnissen so spre-
chen, als wenn sie sie deutlich einsehen. - Wahnwitz besteht in der Anwen-
dung solcher Grundsätze, die sich w«i»eder durch die Erfahrung noch durch den Gebrauch
derselben bestätigen.

/Der Klugheit, wird die «Wahr»<Narr>heit, und der Weißheit die Thorheit entgegen ge-
setzt. Die Klugheit ist die Geschicklichkeit in der Wahl der besten Mittel. Die Weiß-
heit bestimmt aber die wahren Zwecke. Die Klugheit geht darauf seine Nei- 

/ gung

|P_61

/gung zu befriedigen, die Weißheit aber sie zu beherschen. Ein Unterthan braucht
nur Klugheit in Ansehung der Befehle seines Oberherrn, der Regent muß aber
Wahrheit «sagen» haben. Wir sehen uns eher nach einem Thörichten, als nach ei-
nem Weisen um; Denn bey jenem wissen wir, daß wir noch immer eine Por-
tion Verstand mehr haben. Die Narrheit ist, wenn jemand gantz ungereimte
Mittel zu den Zwecken erwählt. Ein Eigennütziger, und auch ein verliebter,
beyde handeln närrisch. Die Narrheit ist auch immer der Wiederspruch der Mit-
tel mit den Zwecken.

/Unklug, ist das gegen die Klugheit, was Thorheit gegen die Weißheit ist.

/Gescheut ist der, der in dem Besitz der gesunden Vernunft in Gesellschaft mit
andern ist. Das nicht gescheut seyn ist der allergeringste Grad von der Excerption
der Klugheit. Denn man heist oft nicht gescheut, wenn man nicht auf das was in
Gesellschaft geschicht aufmercksam ist. Jemand kann also nicht gescheut seyn, nicht
weil er keinen Verstand hat, sondern weil er zerstreut ist.

/Die Spitzfindigkeit der Vernunft im Kleinen, und eingeschränckt im
Großen. Es giebt Autoren die eine myerologische Vernunft haben auf Gegen-
stände, in Ansehung solcher Questionen die von keiner Bedeutung sind: Und
diese sind, da man auf Kleinigkeiten sieht, und ist sehr von dem erweiterten
und gegründeten Verstande Unterschieden. Ein Mensch ist von eingeschränck-
tem Verstande, wenn er seine viele Begriffe, nicht im Zusammenhange mit
dem Gantzen denckt. Die Geographie dient schon dazu um der Jugend ihre Be-
griffe im Gantzen zu übersehen, zu lehren.

/ Oft

/Lage I

|P_62

/Oft kann eine Vernunft nicht mit der andern connec«tiren»tirt werden; In der
Moral geschicht es. Aber in Ansehung der Wahrscheinlichkeit kann man keine
Übereinstimmung hervorbringen. Denn hiebey wählt ein Jeder nach seinen
Neigungen. Viele können aber auch ihre Begriffe nicht bis zu den Grundbe-
griffen erheben.

/Der Ausdruck, der Mensch hat keine Vernunft; heißt bisweilen so viel,
er hat keine Vernunftfähigkeit, aber die meiste Zeit, er hat keine Macht über
die Vernunft.

/Es ist ein Unterschied zwischen Talenten und Fähigkeiten. Fähigkeit ist das
Vermögen, etwas zu fassen; Talent ist aber das Vermögen von gewissen Kräften
einen Gebrauch zu machen. Daher rechnet man das Gedächtniß <nicht> zu den Talenten,
ja ich getraue mir zu sagen, der Verstand gehört nicht zu den Talenten; aber
wohl die Vernunft. Gelehrigkeit ist auch nur eine Fähigkeit. Talent heißt hier so
viel als Natur-Gaben; sonst heist es ein Capital wovon man Zinsen einzieht; Ta-
lent ist allso ebend womit man wuchern soll.

/Zu der Fähigkeit nehmen wir, die Sinne, die Einbildungskraft, das Gedächt-
niß, und auch den Verstand; Zu den Talenten aber: den Witz, die Urtheilskraft,
und die Vernunft.

/Ingenium bedeutet die Sinne der Talenten und Fähigkeiten. Es kommt
aber nicht blos auf den Grad der Talente und Fähigkeiten an, um ein Inge-
nium zu bestimmen, sondern auf die Proportion derselben gegen einander,
und das Verhältniß, das sie zum Hertzen, das ist, zum Temperament, Neigung,
und zum Carackter haben. Wenn man also den jungen Menschen das Ge-
dächtniß excoliert, den Verstand aber so läßt, so thun wir ihm damit keinen Nut- 

/ zen

|P_63

/zen, denn jetzt ist ja die Proportion zwischen Gedächtniß und Verstand aufgehoben.
Diese Proportion beständig zu beobachten, einen jungen Menschen zu cultiviren
ist das große Problem eines Lehrers. Bey einem Jeden Menschen ist schon eine
gewisse Proportion zwischen Talenten und Fähigkeiten, wenn man allso ei-
nes von diesem cultiviren will, so muß man das andere nicht unterlassen.

/Man unterscheidet die Talente nach den Gegenständen worauf sie verwandt
werden; So sagt man jemand hat einen empirischen Kopf, der zu Experimen-
ten aufgelegt ist, ein anderer hat einen philosophischen Kopf, und ein Dichter
hat einen mechanischen Kopf, dieses letzte Talent bestehet darinn, leicht die
Mittel, die in unserer Gewalt sind zu erfinden, zu einem gewissen Zweck.

/Der allgemeine Kopf ist der, so zu allen Arten menschlicher Wissenschaften
aufgelegt zu seyn scheint. Es ist hiebey aber immer wegen der Allgemeinheit
die Vermuthung, daß der Kopf seucht wäre.

/Endlich hat man noch ingenium Superium, einen vorzüglichen Kopf.

/So wie ein Unterschied ist zwischen einem poëtischen Talent, und einem
Talent der Beredsamkeit; so ist gleichfalls einer zwischen Mathematic und
Phylosophie, und das ist zwischen ihnen nur eine Analogie; das ist eine Ähn-
lichkeit zweyer Verhältnisse. Es ist nicht allein ein %.phylosophisches und %.mathematisches
Talent selten beysammen, sondern sie sind sich so gar ein ander hinderlich.
In der %.Phylosophie betrachten wir allgemeine Begriffe; Die %.Mathematic muß
aber alles nur intentiv und einzeln vorstellen. Leibnitz war ein solcher
doch war er vorzüglicher in der %.Philosophie und Newton wieder in der %.Mathematic

/ ≥ Vom Genie

/Was ist Genie? Ehe man dieses weiß, muß man zuvor einige Anmerckungen machen.

/ Die

|P_64

/Die Talente zur Geschicklichkeit kann man unterscheiden in Naturel und Geist.
Jenes ist passive, dieses active. Ein Mensch hat Naturel etwas zu lernen, das
ist die Receptivitaet, er hat aber Geist, etwas zu erfinden, oder hervor zu
bringen, das ist die Spontancitaet. Das bloße Naturel macht ein Geschickter
als sein Meister. Wenn man sagt; er hat naturel, so scheint das der allgemei-
ne Grund aller Talente zu seyn; man sagt also nur immer naturel in Sin-
gulari. Und vom Geist gilt eben das, denn man sagt nicht er hat Geister,
auch nicht den Geist, sondern Geist.

/Geist bedeutet eben so viel als Genie, und drückt die Sache noch fast besser
aus; Die Frantzosen hatten auch wohl dazu das Wort esprit gebraucht.
Wenn dieses bey ihnen nicht schon so viel als Witz bedeutete; bey uns ha-
ben wir aber dazu gantz andere Wörter.

/In eines jeden Menschen Talent steckt etwas eigenthümliches, welches,
wenn man es immer aufsuchen könte von großem Nutzen wäre, und
wir würden mehr große Leute in allen Fächern sehen.

/Geist ist kein besonder Vermögen sondern was allen Vermögen Einheit
giebt. Verstand und Sinnlichkeit oder jetzt besser Einbildungskraft sind das
Vermögen des Menschen; diesen beyden nun Einheit gegeben ist Geist. Es
ist also die allgemeine Einheit des menschlichen Gemüths; oder auch die
Harmonie zwischen ihnen. Geist ist auch die Belebung der Sinnlichkeit
durch die Idée. Idée bedeutet nicht Begriff; denn Begriffe kann je-
mand haben ohne Idée. Eine gantze Wissenschaft zu entwerfen ge-
hört Idée. Die Idée ist eigentlich ein Geschäft des Verstandes aber nicht durch

/ abstraction

|P_65

/abstraction denn das sind Conceptes. Es ist das Principium der Regeln.
Es giebt eine doppelte Einheit; eine distributive und collative. Die Idée be-
trift nur immer die Einheit des Mannigfaltigen im gantzen; sie enthält
also das Principium des Mannigfaltigen im Gantzen.

/Plato war der erste der die Idée gebraucht hat, hernach hat man sie aber
mystisch genommen.

/Man muß sich aber nothwendig vorher eine Idée machen, wenn man etwas
verfertigen will. Ein Weiser und ein Geist ist nichts als eine Idée, und wenn
ich diese nicht habe, wie will ich anzeigen, was zum Weisen und zum Geiste
gehöre. Es giebt Künste des Fleißes und des Genis, jenes sind auch Künste
der Erlernung, dieses aber die Selbstschöpfung.

/Die bildende Künste kann man eintheilen in Mahlerey und Music. Bey
beyden liegt eine Idée zum Grunde. z.E. Die Fehler bey den Alten die
man abmahlte, waren so beschaffen, daß man keinen solchen finden konte;
Das Bild selbst war aber weder zu feist noch zu mager zu dieser Arbeit ge-
macht. Dieses war die Idée, denn es giebt kein solches Geschöpf, also muste er
es aus seinem Kopfe erfinden. Es giebt einen Witzt ohne Geist und das ist
der scheele Witz; Aber auch einen Verstand ohne Witz, wenn man nehmlich
überall eine allzu pünctliche Ordnung zeigt. Dieser Verstand und Witz ist
ein Talent. Ein Talent ist aber eine Anlage zur Geschicklichkeit; und diese
Geschicklichkeit ist entweder naturel oder Geist.

/In allen menschlichen Erkenntnissen, muß etwas absolut vestes seyn. Es muß
einen Gebrauch unserer Talente geben, der etwas neues ist, und als ein Prin-
cipium des Neuen angesehen werden kann. Dieses Principium ist aber

/ nicht

|P_66

/nicht bey allen zu finden, und dieses ist Geist, der auch die Originalitaet eines Talents
genannt werden kann, das ist, welches nicht abgeleitet ist. Es giebt Geistfähig<e>keiten
Künste, wenn Geist kann angebracht werden, oder wo ein %.Principium das Neue ist.
Es giebt auch Geistleere Künste; Künste der Erlernung. Worauf aber das %.Principium
der Neuigkeit beruhet ist nicht einzusehen. Man beruft sich wohl zwar auf eine rei-
che Einbildungskraft; Die Producte der Imagination sind aber nur blos wie
ein Chaos; Das Product des Genis sieht aber eine Idée voraus, wodurch die Ein-
bildungskraft belebt wird.

/Geistleere Künste sind alle Handwercke, denn die folgen nur bestimmten
Regeln, und Mustern; Geistfähige Künste sind, wie schon gesagt, die, in welchen
ein Principium des Neuen ist, weil das Wesentliche nicht er«langt»lernt wer-
den kann z E. Man soll jemanden rufen. Dieses kann uns keine Regel, auch
nicht ein Muster zeigen, denn wenn man weiß es ist nachgeahmt, so sieht man
ihn nur als eine Maschine an, und wiedersetzt sich seinen Eindrücken. Die Be-
redsamkeit ist allso eine Geistvolle Kunst. Die Geistleeren nennt man auch
mechanische.

/Die Künste werden auch eingetheilt: In redende Künste die Vorstellun-
gen hervorbringen: In bildende Künste die einen Gegenstand der uns reit-
zen kann hervorbringen. Zu jenen gehört, die Poësie und Beredsamkeit,
zu diesen die Mahlerey und Music, zu deren ersten man die Baukunst:
Bildhauerkunst, %.eigentliche Mahlerey, Lustgarten_kunst und Feuer_kunst,
(Feuerwercke anzuordnen) rechnet, zum Letzten die Thonkunst und das
Tantzen.

/Es muß ein %.Principium des Neuen seyn, weil man doch von neuem anfangen

/ muß;

|P_67
muß; dieser Kopf, der dieses anfängt heist Genie, oder er hat Geist. Es muß eine Ori-
ginalitaet des Talents haben, dieses kann nun bestehen, entweder, im Product
selbst und der %.Materi«en»alien oder in der Form, auf welches letzte auch nur eigentlich
das Genie geht, denn wir können selbst keine Materialien hervorbringen.
Genis sind nur selten; denn er nimmt einen Anfang an, indem er von dem was
gegeben ist abgehet, welches aber auserordentlich schwer ist, weil wir uns nur
gerne an dem halten was gegeben ist. Es ist dieses aber auch sehr gut; damit
die Menschen, das was sie erfunden recht nutzen.

/Es giebt eine Nachäffung des Genis. Nachahmung ist dem Talent entgegen ge-
setzt, Nachäffung ist aber mechanische Nachahmung.

/Das Genis ist eine Freyheit ohne Leitung und Zwang der Regeln; Die Ab-
hänglichkeit des Faulen von der Leitung der Regeln ist dem Genie entge-
gen. Diese Zwangs-Freyheit nehmen die Nachäffer an, alswenn eine
völlige Ungebundenheit und Regellosigkeit das Merckmahl eines Genis wäre.
Das Genie ist das %.Principium der Neuigkeit der Regeln weil es gleichsam neue
Regeln giebt, und deswegen folgt es nicht der Leitung der alten Regeln.

/Wissenschaften des Genis und der Erlernung sind die Philosophie und
Mathematic, wovon jenes zum Genis, dieses zur Erlernung gehört.

/Das Genie gehört zur Erfindung, der Virtuose aber zur Ausführung. Der
Redner ist ein Genie der Stilist aber ein Virtuose.

/Es ist besonders daß Virtuosen capricieux und voller Grillen sind. Ein
Virtuose excellirt nun schon in der Ausführung, und hiezu gehört schon eine
genaue Accomodation, und dazu ist der Mensch nicht immer aufgelegt,

/ und

|P_68

/und daher sind die Virtuosen auch so grillenhaft; Denn sie müssen jeden günsti-
gen Augenblick in acht nehmen.

/ ≥ ad §_655

/Gefühl von Lust und Unlust. Dieses ist eine sehr wichtige und unentbehrliche
Materie, nicht allein weil sie die Principien der menschlichen Leidenschaf-
ten enthält, sondern auch die Maximen dawieder lehrt, und überdem auch
jetzt ein Buch von einem Italiener heraus gekommen, welches von dieser
Materie handelt. Es ist leicht, etwas zu verstehn, aber nicht so leicht es einzusehn.
Was Vergnügen sey, wissen wir. Aristipp sagt es beruht nicht auf unsern Emp-
findungen, zu sagen, was angenehm und unangenehm ist. z. E. Wenn Je-
mand etwas roth nennt; so behauptet er das auch, daß dieses für ihn immer
roth ist; allein er will damit nicht sagen; daß dieses allgemein roth ist, son-
dern nur für ihn. Denn es ist sicher zu vermuthen; daß jemand etwas nicht
so wie ein andrer empfindet; und ist ungewiß ob wir einerley Empfindung
haben. Niemahls kann es statt finden, daß jemand etwas Angenehmes
für einen Schmertz hält. Angenehm ist; das Bemühen in einem Zustan-
de zu verbleiben; und das Bemühen aus diesem Zustande herauszu
kommen ist das Unangenehme. So können wir also wohl verstehen, was
Unvermögen ist; es ist aber nicht leicht es einzusehen, das ist, mit Verstand
zu erkennen; oder auch diese Begriffe auf andere zu bringen. Durch
das Vergnügen können wir uns keinen Gegenstand vorstellen; sondern
der Gegenstand ist nur eine Folge davon; Es ist nichts Objectives, sondern
subjectives bey dem Vergnügen.

/ Wolff

|P_69

/Wolff sagt, das Vergnügen ist die Anschauung der Vollkommenheit. Voll-
kommen bedeutet aber eigentlich nicht weiter, als die Vollständigkeit ei-
nes Dinges in seiner Art; so kann man allso auch sagen, daß ein Verbre-
chen in seiner Art vollkommen seyn kann. Vollkommenheit substan-
tive genommen, ist schon ein Gegenstand unseres Begehrens. Die Voll-
kommenheit, ist die Ubereinstimmung des Mannigfaltigen zu ei-
nem. Die Vollkommenheit erklährt mir aber nicht die Quelle des
Mannigfaltigen bey meinem Vergnügen. Man kann ein Vergnü-
gen an einer That haben. 1) aus dem Zweck derselben; welche z.E. et-
was erhabnes zum Ziel hat. 2) Aus der Uberlegung und Ausführung
derselben; woraus nur allein die Form vergnügt. Ist dieses letzte wohl eine
wahre Vollkommenheit? Obgleich die Ubereinstimmung des Mannigfalti-
gen zu einem ein Vergnügen verursacht. so ist doch auch da ein Vergnügen,
wo man keine Ubereinstimmung sieht.

/Es hat viele gegeben und auch der eben angeführte italienische Autor,
die gesagt: es ist unmöglich dieses Vergnügen zu bestimmen, und es ein-
zusehen. Wir erklähren es aber allso: Vergnügen ist das Gefühl von der Be-
forderung des Lebens. Nicht das Gefühl des Lebens ist ein Vergnügen;
denn wir fühlen es auch durch den Schmertz daß wir Leben, und noch weit
mehr. Auch nicht die Beförderung des Lebens, auch das Gefühl des Lebens
befördert nicht die Lust; sondern das Gefühl von der Beförderung des Le-
bens, oder von dem was das Leben befördert. Der Schmertz ist das Gefühl

/ der

/Lage K

|P_70

/der Hindernisse des Lebens; Nicht alles was das Leben hindert, ist zugleich
ein Gefühl der Hindernisse. z.E. Es kann bey jemanden die Lunge
in schlechten Umständen seyn; welches sein Leben verkürtzt; er empfin-
det es aber nicht. Also ist das kein Schmertz. Was das Leben zusammen,
und nicht nur partial befördert, das ist das aufgereimte Wesen, und die
Heiterkeit der Seele.

/Oft wird etwas ein Gefühl von der Beförderung des Lebens, wodurch
hernach das Leben vermindert wird. z.E. so ist das Opium, welches an-
fänglich dem Leben beförderlich scheint; denn es macht das Bluth sehr
flüßig und dünne, daß es sich geschwinde durch alle Adern verbreiten
kann, hernach aber hat es seine traurigen Folgen.

/Es giebt auch ein Gefühl von der Aufführung des Lebens, welches eine
Beförderung des Lebens ist, und also ein Vergnügen. Z.E. So ist ein Müde@r@
der sich niederlegt um zu schlafen. In Indien giebt es eine Art Frauen
zimmer, die als Chirangi herum gehen; die die Menschen müde ma-
chen. Das geschicht also, daß sie, sie überall am Leibe «kannten» <kneten>, doch so,
daß dieses gar nicht schmertzlich ist; hierauf schlagen sie ihn in einen Man
tel und setzen ihn auf einen Sofa, wo er schläft. Dieses soll ein Zustand
seyn, da der Mensch nicht weiß ob er lebt, welches auch sehr angenehm ist

/Der Schmertz ist entweder ein phisischer, oder ein idealischer Schme@rtz.@
Es giebt auch einen moralischen Schmertz, der ist aber nicht in diese Cla@s@
se zu setzen, und ein moralischer Schmertz ist jederzeit rühmlich und

/ dienlich.

|P_71

/dienlich. Idealisch ist ein Schmertz, der nicht durch die Gegenwart des Gegenstan-
des entsteht, als Furcht und Hofnung ist ein idealisches Vergnügen. Es ist z.E.
ein idealischer Schmertz; wenn jemand an einer reichen Tafel sitzt, und
jetzt allen Vorrath vor sich hat, da aber die Nachricht bekommt, daß sein Schiff
unglücklich worden, so bald empfindet er einen Schmertz, indem er an
die Zukunft denckt, wie er leben wird; Oder wenn mir ein Freund stirbt,
so bekomme ich einen %.idealischen Schmertz; die Furcht, indem ich die künfti-
ge Tage sehe und erkenne, daß ich den nicht mehr habe, der so viel Ubel
von mir abgewandt hat.

/Die Hofnung ist ein Praegustus der Zukunft. Alle unsere idealische
Vergnügen und Schmertzen sind doch so, daß sie sich auf phisische gründen.
Ein Mensch der etwas gutes gethan hat, und von allen doch getadelt wird;
kann dieses leicht ansehen, denn er sieht zugleich auf die Annehmlich-
keit, die er in Zukunft haben wird; wenn sie ihm alle anhängen werden.

/Die Vergnügungen des Lebens können nie den Schmertz überwie-
gen, aber leicht der Schmertz die Vergnügungen des Lebens.

/Was uns unser Daseyn empfinden läst, ist uns nicht «leicht» hell; was uns
unser daseyn empfinden läst macht uns die Zeit lang, und dieses alles thut
der Schmertz. Das Gefühl ist nichts anders, als die receptivitaet, die Lust oder
Unlust. Dieses Gesicht heißt auch sonst sensus internus. Die grösten Freu-
den und Schmertzen des Lebens, entspringen aus Furcht und Hofnung;
und bleiben nur oft ein Ideal.

/Ein jeder vergnügt sich an der Zukunft, und sieht immer durch die Anti

/ cipation

|P_72

/cipation auf die Zukunft, um sich zu vergnügen, woraus erhellet, daß
bey jeder Gegenwarth ein Schmertz ist, und wir mit der Gegenwart nicht
zufrieden sind. Da obiger italienischer Autor sagt: Kein gesunder Mensch
ist idealischer Vergnügungen fähig. Ein gesunder Mensch der von kei-
nem Schmertz weiß hat kein Heilungsmittel nöthig. Die Vergnügen
hält er aber für ein Heilungsmittel. Alle die idealischen Freuden
theilhaftig werden wollen müssen idealische Schmertzen kennen;
denn nur diese fühlen einen Stachel in sich das Vergnügen zu suchen.
Wenn der Schmertz nachläst; so entsteht daraus ein Vergnügen; nimmt
dieser Schmertz aber nur nach und nach ab, so ists kein Vergnügen, son-
dern es muß plötzlich seyn. Kein Vergnügen kann unmittelbar
auf das andere folgen, denn das zweyte Vergnügen kann nicht
mehr statt finden, wenn nicht ein Schmertz vorhergegangen.

/Von den Gattungen der Lust und Unlust. 1) Etwas gefällt: 2)
Und vergnügt: 3) Etwas ist beliebt. Das gefällt, wo wir uns selbst und un-
serer Denckungsart Beyfall geben. z.E. die Tugend. - Das Vergnü-
gen bezieht sich nur auf den privat Sinn, und es gefällt der Form der
Sinnlichkeit nach; was aber gefallen soll muß allgemeiner seyn. Was
dem gemeinschaftlichen Sinn gefällt aber ihn nicht vergnügt ist schön. - 
Thue ich aber etwas nach dem gemeinschaftlichen Sinn, so thue ichs nach
Geschmack. Der Geschmack hängt also von der Beurtheilung des gemein-
schaftlichen Sinns ab. Man cultivirt also den Geschmack, wenn man ihn

/ mit

|P_73

/mit dem Urtheil vieler übereinstimmend macht.

/Die Eigenschaften des Geschmacks sind. 1, daß er allgemein sey, das liegt
schon in der Erklährung des Geschmacks. Die Nachäffung des Geschmacks ist Mode,
ist daher sehr vom wahren Geschmack unterschieden. 2) Daß er beständig sey.
So gefällt Homer und hat noch immer gefallen. Der Geschmack ist auch vom
Appetit unterschieden.

/Gut ist dasjenige, was als das Principium der Zusammenstimmung
des Wohlgefallens überhaupt, nicht aber der Empfindung gefällt.

/Sentiment geht eben so wie Geschmack auf etwas das durch den Nutzen
gefällt und unterscheidet dasjenige was an sich gut ist.

/Vergnügende Gegenstände sind zu unterscheiden, von den vergnügen-
den Vorstellungen, diese können oft heßliche Gegenstände zum Vergnügen
darlegen.

/Ein gewisser Hess hat ein Buch von der Häßlichkeit geschrieben, welches ziem-
lich lustig ist, indem er die Vortheile derselben zeigt. - Die Vorstellungen
geben oft, daß das Schreckliche und Gräuliche, wenn was auf eine gute Art
beschrieben wird gefällt.

/Die Unannehmlichkeit ist nicht allein in den Sinnen, sondern auch oft
noch mehr im Urtheil. z.E. Der Schmutz liegt nicht in den Sinnen, denn er
rücht uns gar nicht an, und doch ist es uns unangenehm, wenn wir in ein
schmutziges Zimmer kommen. Dieses kommt von dem Urtheil her, was
wir fällen, wenn wir dieses sehen. Ein Mensch der hierüber kein abscheu-
liches Urtheil fällen würde, dem würde auch der Schmutz nicht unangenehm

/ seyn.

|P_74

/seyn. - Oft ist das Unangenehme auch nur in den Sinnen aber nicht im Urtheil
und alsdenn verliert man schon ein gut Theil Unannehmlichkeit. z.E. Wenn je-
mand nur in Gesellschaft mit seinem Freunde, in einem Wirtshause, auf Stroh
liegen muß; so kann dieses welches an sich eben nicht angenehm ist, zum Ver-
gnügen dienen, wenn sie es nicht dazu anwenden, um zu klagen und seuf-
zen, sondern um sich über die schlechte Bedienung aufzuhalten und lustig zu
machen. Man kann allso auch oft von dem unangenehmen angenehme
Vorstellungen sich machen. Ist es nicht für viele ein groß Vergnügen von
ihren Avanturen sprechen zu können? Wenn diesen also was unange-
nehmes zustößt, so dencken sie gleich an die Annehmlichkeit, davon sprechen
zu können.

/Unglück ist nicht das Ubel, so wie es selbst ist; sondern was wir von ihm den-
cken. Dencken wir nichts Übels davon, so kann uns auch selbst unser Unglück
vergnügen. z.E. Es giebt Menschen, die viel von ihrem Vergnügen verloh-
ren haben; dadurch aber daß sie dencken; jetzt dürfen wir auch nicht für so
viel sorgen, erlindern sie sich ihren Schmertz, und ziehen selbst aus ihrem Un-
glück auf einige Art etwas Angenehmes.

/Die Empfindung ist bey meinem Schmertz vielmahls so groß als die Re-
flection die man darüber macht. Die Reflections dependiren aber von
uns, also steht es auch in unserer Macht, uns oft angenehme Vorstellungen
zu machen.

/Eine Regel die hiebey zu beobachten ist, ist diese: Man muß sich nichts zu Ge-
müthe ziehen, was nicht zu andern ist, und nichts zu Hertzen nehmen was nicht in

/ unserer

|P_75

/unserer Gewalt steht. - Schmertz und Traurigkeit ist sehr voneinander unterschie-
den; Die Traurigkeit ist ein Schmertz den man sich zu Gemüthe zieht. - Man muß
sich auch nicht die Vergnügungen zu Gemüthe ziehen. - Sich etwas zu Gemüthe
ziehen heist aber; sich für unglücklich halten. Sein Daseyn verabscheuen; Ein Miß-
fallen an seiner Existens haben. - z.E. Ein Mensch der eine große Erbschaft macht,
wenn der sich das zu Gemüthe zieht, daß er sich darüber zu sehr freut, ist ein Narr, und
kann oft, wie die Erfahrung lehrt, den Todt daran haben. - Das zu Hertzen neh-
men bezieht sich immer auf das Künftige z.E. Ein Vater muß für sein Kind sor-
gen; Doch muß er nicht das zu Hertzen nehmen was nicht in seiner Gewalt ist, als, wie
es dem Kind doch ferner in der Welt gehen wird, da er es wegen Mangel des Ver-
mögens nicht unterstützen kann.

/Das Verbrechen das man gethan hat, muß man sich zu Gemüthe ziehen; das
Angenehme aber muß man zu Hertzen nehmen.

/Diese Regel war ein Stoischer Satz der immer wahr seyn wird; doch nur
von dem was nicht in unserer Gewalt steht. In unserer Gewalt steht aber nichts
als nur die Moralitaet. Was allso in meiner Gewalt steht, als die Rechtschaffen-
heit, und andere Tugenden, die kann ich nie zu Hertzen ziehen.

/Es giebt Menschen, die ein solches Naturell haben, daß sie alles unangenehme
leicht überwinden können, oder es auch gar nicht achten. Dieses ist eine philoso-
phische Art, nicht als wenn diese einen philosophischen Kopf hätten, sondern
weil bey ihnen das Naturell das leistet, was die Philosophie leisten sollte a-
ber nicht immer kann.

/Das verdenckt man keinem, daß er einen Schmertz empfindet. z.E. wenn

/ jemand

|P_76

/jemand viel verlohren hat, aber wenn er traurig ist, das ist beständig über seinen
Verlust weint, so verachten wir ihn; Denn der Schmertz ist nicht eine Sache die in
unserer Gewalt stehet aber wohl die Traurigkeit. Wenn jemand vergnügt ist; so
verdencken wir ihm das gar nicht; wenn er aber darüber ausgelassen ist, so ver-
lachen wir ihn -. Ausgelassen freudig heist Kindisch; ausgelassen traurig wei-
bisch. Wo also das Gemüth aus seiner Fassung gebracht wird das mißfällt.

/Gleichmüthig und gleichgültig ist von einander unterschieden. Die Gleichgül-
tigkeit ist das Gegentheil von der Empfindlichkeit. - Die Hassung ist das Vermö-
gen sein Wohlbefinden in seiner Gewalt zu haben, indem das meiste was da-
zu etwas beyträgt auf Reflection beruht. - Gleichmüthig ist der so nicht leicht
in Bewegung gesetzt wird.

/Empfindsamkeit, etwas leicht empfinden zu können, Empfindlichkeit leicht
aus der Fassung zu kommen.

/Es giebt eine Gemüthsbeschaffenheit, die etwas eigenthümlich betrachtet;
und sich auf besondere Art äussert; Dieses Eigenthümliche der Gemüthsart,
nach welcher jemand die Gegenstände gantz anders antrift als sie sind, heißt
die Laune. Sie ist allso, das eigenthümliche der Gemüthsart, die Welt und die
Gegenstände, nach der besondern Disposition seines Kopfes aufzunehmen. Ei-
ne gleichgültige Laune ist, da man alles mit einer finstern Mine ansieht.
z.E. Jemanden mißfällt alle Höflichkeit, weil er darin einige Unbequemlich
keiten sieht: Es führt alles bey ihm auf eine gewisse Unzufriedenheit aus.

/Wenn die Gemüths-Disposition zufällig ist, so ist auch die Laune zufällig

/ Vom

|P_77

/Vom Democritus sagt man, daß er eine Satyrische Laune soll gehabt haben, in-
dem er über alle Zufälle des Lebens gelacht haben soll: Heraclitus soll aber ei-
ne betrübte Laune gehabt haben, da er über alles geweint haben soll. - Ein
launichter Autor ist ein original_Autor, wenn er etwas eigenthümliches hervorbringt.
Vergnügungen bedürfen Abwechselungen. Der Schmertz schwindt nicht durch sich selbst;
Ein Schmertz der nicht abwechselt wird nicht geringer, sondern wird dadurch unerträg-
licher; Aber ein beständiges Vergnügen wird zuletzt nicht mehr bemerckt. Wir
müssen also bey den Vergnügnugen immer gedencken zu steigern. Die Abnahme
ist bey jedem Vergnügen sehr kränckend, wenn gleich der Uberrest noch so groß
ist, daß wenn er nicht einmahl höher gewesen wäre, so wären wir damit nicht
zufrieden gewesen.

/Man kann dem Schmertz durch andere Schmertzen eine Diversion ma-
chen. z.E. Jemand hat seinen wahren Freund verlohren, und er bekommt die
Nachricht, daß ihm sein bestes Schiff gestrandet sey; Hier verdrängt dieser Schmertz
jenen; wenn er nun von dem letzten hört, daß es nur ein leeres Geschrey ge-
wesen; so verschwindet der andere und der erste Schmertz.

/Durch die Wiederholung wird man einiger Dinge <nicht> überdrüßig, aber wohl
durch die Verlängerung. Wenn man viele Mahlzeiten dieselbe Speise ist, so
wird man sie nicht überdrüßig, wenn man aber die gantze Mahlzeit diese
Speise nur allein essen soll, so wird man sie bald überdrüßig seyn. Dessen
man überdrüßig wird durch die Verlängerung, dessen wird man satt. Des-
sen man aber überdrüßig wird durch die Wiederholung, an dem hat man
einen Eckel.

/ Der

/Lage L

|P_78

/Der Eckel scheint an sich selbst idealisch zu seyn. Doch bisweilen auch physisch, als eine
eckelhafte Kranckheit. Es macht einen gewissen Stillstand zu unserm Leben;
denn er verursacht, Ohnmacht, «es» ist dieses nicht ein Stillstand des Lebens? - Mann
kann alles Grausende angenehm machen, selbst einige Laster, nicht als wenn
die Laster dadurch angenehm würden, sondern die Vorstellung davon ist ange-
nehm; aber einige Laster können auch nicht so seyn, daß ihre Vorstellung gefal-
len könte, und das sind die unnennbahren, das ist, die eckelhaft sind zu nennen.

/Welches ist der gröste Schmertz des Menschen? dem Objecte nach kann man
dieses gar nicht bestimmen; denn da kommt das Meiste auf den Geschmack des
Menschen an. Überhaupt aber kann man sagen ist es der, wo man sich die
Schuld selbst beymißt. Hier kann man aber bemercken, daß wenn die üble
Folgen nicht kommen, die wir erwarten, so hören wir auf uns Vorwürfe zu
machen. z.E. Selbst beym Spiel. Wenn wir ein Spiel durch unsere Schuld ver-
lieren, so ist dieses am aller unangenehmsten; wir werden aber getröst, wenn
die Folge, nehmlich das Spiel zu verlieren nicht mehr zu fürchten ist, wenn
der andere z.E. auch was versieht.

/Dieser Selbstvorwurf scheint allso sehr partheiisch zu seyn, und ist kein mo-
ralischer Vorwurf; Denn der muß uns ohne in Rücksicht auf die Folgen, blos we-
gen der That unangenehm seyn. - Ferner ist uns auch das am schmertzhaf-
testen, wenn man uns das imputiren will woran wir keinen Antheil haben.
Viele Mensch sagen oft. Dieses wäre für mich lange nicht so schmertzlich, wenn
ich nur wüste, daß ich es verdient hätte. Es ist leichter ein Ubel zu erdulden, als
es sich imputiren zu lassen. Wir haben einen Anreitz der Natur in uns nicht
blos zum Wohlverhalten, sondern auch zum guten Ruff; Das heißt, der Mensch

/ soll

|P_79

/nicht Verzicht auf seinen guten Namen thun. Es ist keine größere Uneigen-
nützlichkeit, als blos einen guten Ruff für sein Gutes was man gethan hat zu
verlangen; wenn uns nun dieses nicht einmahl gelassen wird, so scheint das die
gröste Undanckbahrkeit zu seyn. Eine jede Undanckbahrkeit ist aber im höchsten
Grade Kränckend; besonders wenn man bey dem Wohlthun keinen Eigennutz
gehabt hat.

/Es giebt gedichtete Schmertzen und Freuden, die wir von andern leihen,
die wir haben würden, wenn wir uns an seine Stelle setzen, und es uns nicht
einbilden, daß wir sie haben. Wahrhafte Dichter, die von der Natur dazu ge-
bildet werden, sind so gestimmt jede Rolle zu spielen, von sich aber haben sie
keine Rolle; Denn er muß solche Biegsamkeit haben, daß er sich mit solchen
Empfindungen beleben kann, die er an andern abschildern soll. Voltaire
ist von der Art; Er redet von den Tugenden der Römer gantz vortrefflich,
und stellt sich, indem er dieses erzählt, an der Römer ihre Stelle; wer sich aber
kennt, der weiß, daß er von diesen Tugenden nicht eine einzige an sich hat.

/Es giebt einen eingebildeten Schmertz, den man als billig ansieht, ob man
ihn gleich nicht hat; und so auch die Freude. Besonders findet sich dieses in der
Religion. So bilden sich viele ein eine Reue zu haben, da sie urtheilen, daß es
gut wäre, wenn sie sie hätten. In dem Lobe des Höchsten sollen wir unsere
Freude haben; viele bilden sich auch ein diese Freude zu besitzen, da sie den-
cken, es wäre gut wenn sie sie besäßen. Also muß man voneinander unter-
scheiden, die Nichtmißbilligung und die Billigung einer That.

/Der Gegenstand einer Sache kann oft angenehm seyn, die Freude

/ aber,

|P_80

/aber, die wir darüber empfinden mißfällt. Z.E. Wenn jemand von unsern alten
Freunden stirbt, von dem wir viel erben werden. Dieses ist uns angenehm; aber
die Gedancken, siehe es war doch dein wahrer Freund, er suchte immer dein Bes-
tes, der läßt nicht zu, daß uns die Freude gefällt.

/Ein Gegenstand kann auch unangenehm seyn, der Schmertz aber über
diesen Gegenstand gefällt. z.E. Es verliert jemand seinen Freund; so ist dieses
gewiß ihm nicht angenehm; er betrübt sich darüber, und das gefällt, denn
der Verstand mißbilliget diesen Schmertz nicht. Einiges Vergnügen kann
selbst gefallen, und der Schmertz mißfallen. z.E. Alle Mißgunst ist ein Schmertz,
und mißfällt auch zugleich. Das Wohlthun das gefällt! aber nicht allein
das Wohlthun, sondern auch selbst das Vergnügen an demselben.

/ - - - 

/Luxus ist ein Übermaaß des Wohllebens der weichlich«keit» <macht>; (Luxuries) - - - 
«Luxuriosus» - - - der kranck macht und Verschwendung - - - 
der arm macht. Der Luxus hat doch noch den Werth, daß er uns fein macht.
Luxus geht auf die Mannigfaltigkeit, Luxuries aber auf die Menge und
Quantitaet. z E. der Luxus bey einer Tafel ist wenn viele Gerichte sind,
Luxies aber, wenn von den Gerichten sehr viel ist. - Der Luxus ist doch
noch den Künsten beförderlich aber nicht Luxuries.

/Das theilnehmende Gefühl, oder Sympathetische, ist das Mitleiden und die
Mitfreude; Antipathetische ist die Freude an dem Elende, und der Schmertz
an dem Glück andrer, dieses ist der Neid, aber auch das Schadenfrohe.

/ Giebt

|P_81

/Giebt es viele Gefühle, da so viele Autoris davon reden? Nein nur eins, aber
das äussert sich in verschiednen Empfindungen.

/Ein Mensch ist gefühlvoll, der an allem einen Hertzens Antheil nimmt. Dieses
ist aber eben nicht gut. Denn wir sollten nur an der Moralitaet einen Hertzens
Antheil nehmen, weil diese nur allein in unserer Gewalt steht, denn wenn uns
sonst das andere entrissen wird, so wird uns zugleich ein Stück unseres Hertzens
genommen.

/Das Gefühl ist entweder adoptisch, wenn man es annimmt, um eine Rolle
zu spielen, und denn bedeutet es nichts, als ein Stück der Einbildungskraft;
oder es ist ein Leben, und das ist ein unglücklicher Zustand, und diese Persohn
ist elend; Denn sie kann doch nicht an allem einen thätigen Antheil anneh-
men, und wir nehmen also einen Hertzens Antheil, ohne einer thätigen,
und das ist ein beständiger Schmertz.

/Ein Gefühl von Grundsätze ist Sentiment. Wir haben ein Gefühl ohne Grund-
sätze, als zum Wohlthun; Bey dem Gefühl aber von Recht und Unrecht müssen
Grundsätze seyn.

/Unsere moralische Vergnügungen sind nicht völlig uninteressant, denn
wir haben bey allen unsern guten Handlungen Rücksicht auf Ruhm; Sie
sind aber auch nicht gantz interessant, denn sonst möchten sie den Namen
verlieren. Unsere boshaften Vergnügungen sind auch nicht uninteressant,
denn am Bösen findet man kein Vergnügen. Nichts ist abscheulicher, als
ein ungereimtes Boses: Es finden sich also, keine reine Tugend, und keine
reine Laster.

/ §_663

|P_82

/ ≥ §_663 ≤

/Von den Begierden. Es ist ein Gefühl in Ansehung des Künftigen. Die Wirckung
aber der Vorstellung des Künftigen auf unser Gefühl, bring uns in Thätigkeit.
Das Gefühl des Gegenwärtigen mach keine Thätigkeit rege, wenn es aber heißt,
daß es dauren wird, so wird eine Thätigkeit bald rege. Unsere Thätigkeit wird
durch die Vorstellung des Künftigen rege; das Gegenwärtige ist nur ein Au-
genblick, wenn wir uns allso etwas Gegenwärtiges vorstellen, so macht das gar
nicht unsere Thätigkeit rege. z.E. Man trinckt deswegen den Wein langsam,
um den Geschmack lange zu erhalten. Alle unsere Begierden sind eigent-
lich nichts anders, als die Thätigkeit zur Lust oder Unlust zu bewegen; was
unsere Thätigkeit zu kunftiger Lust bewegt, das verlangen wir, was Sie
aber zu künftiger Unlust bewegt, das verabscheuen wir. Die Empfindung
einer blos müssigen Lust, ist nicht Begierde; sondern die Bewegung unserer
Thätigkeit muß hinzukommen; denn diese nur ist der Zweck der Natur.

/Die Begierden sind, 1) müssige oder Thatlose, 2) practische oder thäti-
ge. Müssige Begierden sind die bloßen Wünsche, Verlangen, Sehnsucht; prac-
tisch heißen sie aber von ihren Gegenständen: die erstern werden am meis-
ten unterhalten, durch Romanen und romanhafte Ideen, das sind solche,
die man sich allzu übertrieben von der Glückseeligkeit des Lebens macht.
Müssige Begierden sind also solche, die unsere Thätigkeit nicht bewegen
können, weil man einsieht, daß es unmöglich ist solche Glückseeligkeit zu er-
langen.

/Alle fruchtlose Anreitzungen, sind der Gesundheit des Gemüths schädlich;
und die Gewohnheit das Gemüth mit leeren Wünschen zu erfüllen, giebt

/ ihm

|P_83

/ihm eine gewisse Unthätigkeit; Wenn wir uns eine Glückseeligkeit so vor-
stellen, daß wir einmahl hoffen können sie zu erhalten, so werden dadurch kei-
ne Begierden in uns erregt; so bald wir sie uns aber auch nur als möglich vor-
stellen, so bekommen wir eine Sehnsucht darnach. Die Sehnsucht und den Wunsch
müssen wir also von uns verbannen, die auf etwas gehen, was wir entwe-
der gar nicht erlangen können, oder was mit vieler Schwührigkeit nur erwor-
ben ist.

/Es giebt eine Sehnsucht ohne Gegenstand; dieser Zustand heißt, das üble humeur,
oder auch das unruhige Gemüth. Dieses findet sich bey den Frauen, wenn sie
vapeurs haben, und bey den Manns-Persohnen, wenn sie Grillen haben; Die-
ses ist ein unerträglicher Zustand, wo man immer lange Weile hat; Dieses
ist auch der Zustand des Überdrußes des Lebens; der auch viele zum Selbstmor-
de gebracht hat.

/Ist der immer unzufrieden der etwas begeht? Wir können ja oft Begier-
den zu etwas haben, obgleich auch der Mangel gar nicht schmertzt z.E. Jemand
hat eine Begierde nach Blumen, wenn er sie aber nicht hat, so wird er deswe-
gen nicht unzufrieden seyn; oder auch: Ein Mensch muß gesellig seyn, aber
die Gesellschaft muß ihm kein Bedürfniß seyn.

/A«b»rbeit ist das wozu man durch die Begierde angetrieben wird; sie ver-
längert unser Leben, dieses zeigt die Erfahrung, denn die Menschen wer-
den nur alt, in so fern sie arbeiten; denn das Leben erhällt sich nicht durch die
Ruhe. Wenn wir viel gearbeitet haben, so macht uns nur dieses eine Idée, daß
wir lange gelebt haben.

/ Die

|P_84

/Die geschäftige Müssiggänger, sind solche die ohne Zweck thätig sind; Die Thätig-
keit ist bey Ihnen belebt, aber es fehlt ihnen an Einheit.

/Wir finden daß Einförmigkeit des Zustandes kein Antrieb zur Thätigkeit ist;
allso macht ein beständiges Glück auch nicht thätig, sondern es muß mit Wieder-
wärtigkeiten durchwebt seyn.

/Die Begierden sind 1) vernünftige, 2) sinnliche, vernünftige sind 1) der
Materie nach, wo der Gegenstand, ein Gegenstand der Vernunft ist, wenn es
aber ein Gegenstand der Sinne ist, so ist das, das sinnliche Vermögen der Mate-
rie nach. 2) der Form nach; wenn nur die Art wie wir uns den Gegenstand
vorstellen, eine Übereinstimmung der Vernunft ist, der Gegenstand mag
seyn wie er will. Zu den sinnlichen Begierden gehören. 1) Der Hang 2) Der
Instinct, 3) Die Neigung, 4) Affect 5) Leidenschaft.

/Hang ist von der wircklichen Begierde unterschieden. Er ist die Möglichkeit
was zu begehren; und ist eine Anlage des Subjects zu Begierden; so sagt
man von jemanden; er hat einen Hang zum Bösen, ohne daß wir ihn ge-
sehen haben etwas thun. So sagt man auch von den Nordländern, sie haben
Hang zu saufen. Es giebt so wohl eine Anlage zur Einsicht, die man Talent
nennt, oder auch eine Anlage zu Begierden, die man Hang nennt.

/Instinct, ist eine blinde Begierde: ist eine Begierde die wir haben, wenn
wir den Gegenstand noch selbst nicht kennen. Es geht also die Begierde vor
der Kenntniß des Gegenstandes. Die Geschlechter Neigung ist von der Art.
Man rechnet auch dahin die Liebe der Eltern zu den Kindern.

/Neigung. Sie ist eine dauerhafte subjective Bewegung. Die Wirckung

/ des

|P_85

/des Instincts ist ein Augenblick, die Neigung ist aber dauerhaft.

/Affect. Er gehört nicht eigentlich zu den Begierden, sondern zum Gefühl. Die Lei-
denschaft gehört zu der Neigung und zu den Begierden. Der Affect hat seine
Wirckung im Augenblick; die Affecten dauren nicht fort. Leidenschaften aber
können das gantze Leben hindurch dauren. Der Zorn, der Schreck dauren
nicht, aber Geitz, Hochmuth.

/Die Leidenschaften bewegen eigentlich nicht das Gemüth, sondern sie sind
eine Neigung, in so fern sie das Gleichgewicht der Begierden aufhebt.

/Der Affect hebt das Gleichgewicht durch die Empfindungen auf. Das Ue-
bergewicht ist, wenn die Gewalt des Gemüths aufgehoben wird.

/Der Affect ist eigentlich ein hoher Grad des Gefühls, und die Leidenschaft,
ein hoher Grad der Begierden. Man sagt von manchen Menschen, daß sie
voller Affect sind, aber nicht daß sie voller Leidenschaft sind; als von den
Franzosen. Es giebt auch Leute die keinen Affect haben, aber deswegen
doch völlig Leidenschaften sind, als die Chineser und Indianer, die bey allen
Umständen keinen Affect beweisen; und allso die Rolle eines Philosophen
zu spielen scheinen; ob sie doch gleich immer sätliche Begierden haben.

/Dem Affect ist das Phlegma entgegen gesetzt; der Affect ist eine rasche
Bewegung des Gemüths; der Leidenschaft ist aber nicht das Phlegma entge-
gen gesetzt, denn diese ist eine stetige Bewegung.

/Affecte sind vorübergehend; Sie dauren nicht lange; Sie finden «immer»
nur bey großer Lebhaftigkeit statt; die Leidenschaften aber nicht so, denn
diese befinden sich auch bey alten Personen als der Geitz.

/ Es

/Lage M

|P_86

/Es giebt Affecten mit denen man Parade macht, als der Affect der Liebe; mit der
Leidenschaft kann man dieses aber nicht thun, denn diese ist ein auf etwas Gutes
gericht, also muß sie verborgen werden. z.E. Man kann nicht sagen, daß man
Leidenschaft hat, Wohlthaten zu thun. Die Affecten können aber auf was guts
gerichtet seyn; ob aber der Affect selbst gut ist, das ist eine andere Frage. Die
Leidenschaft kann aber noch weniger an sich selbst gut seyn; denn dieses zeigt
schon ihr Name an, der schon eine Ohnmacht über sich selbst zu erkennen giebt.
Wir haben oft zu einem Gegenstande eine Neigung, wovon wir die Neigung
selbst nicht approbiren, aber ihr dennoch des Gegenstandes wegen folgen. Bey
den Franzosen finden wir nicht, so viel Leidenschaft, als bey andern Völckern;
dieses zeigt unter andern ihre Galanterie, welche keine Leidenschaft heißen
kann. Denn voller Leidenschaften kann man nicht galant seyn. Die Eng-
länder haben schon mehr Leidenschaften, welches ihre Zurückhaltung überall
zu offenbahren scheint; Die Italiener sind aber wohl die Nation, die die meis-
te Leidenschaft zu offenbahren scheint.

/Die Neigungen sind entweder Formale oder materiale. Die %.materialen
gehen auf einen gewissen Gegenstand; zu den formalen gehört die Frey-
heit und das «Vergnügen» Vermögen.

/Freyheit ist die negative Bedingung aller Hindernisse unserer Will-
kühr; oder wenn uns nichts hindert, uns unserer Freyheit zu bedienen.

/Vermögen ist die positive Bedingung aller unserer Neigungen.

/Wenn ein Mensch unter anderer ihrem Zwange ist, so kann er nur
glücklich seyn unter der Meinung der gnädigen Herschaft. Niemand ist

/ aber

|P_87

/aber zufrieden wenn er sieht, daß sein Zustand nicht nach seiner Neigung, sondern nach
anderer ihrer gewählt ist. Die Freyheit ist nichts anders als die Unabhängigkeit,
von andrer ihrer Neigung und Gewalt. Ich muß glücklich seyn nach meiner Mey-
nung; wenn ich Glückseeligkeit genießen soll; Die Freyheit giebt mir eine hohe
Meynung von mir, oder macht mich stoltz, das heist hier, sie giebt mir meine wahre
Würde zu erkennen. Die Groenlaender sind an sich betrachtet weit schlechter
als die geringsten Matrosen, wenn aber ein Schiff bey ihnen ankommt, und
sie sehen, daß die Matrosen noch unter anderer ihrer Gewalt stehen, so werden
sie nie mit ihnen reden, sondern nur mit ihrem Oberherrn; und deswegen
haben sich auch dieses die Missionarii ausgebethen, daß man keinen über sie
setzen sollte, weil sie sonst ihnen nicht zuhören würden. Die Araber in der
Sand-Wüste, oder auch Beduinen verachten die in der Stadt, und halten sich
allein für nobel, weil sie freyer wie jene sind; und selbst bey uns ein Edel-
mann auf dem Lande bildet sich ein, mehr zu seyn, als ein Edelmann in der
Stadt.

/Die Faulheit giebt dem Menschen auch die Meynung der Freyheit, und
ein Fauler verachtet die Fleißigen, weil er sich für frey hält, jene aber
nicht dafür ansieht, weil er von seiner Arbeit dependirt. Die Thunisen in
Syberien leben blos von der Jagd, und ihr Vieh zu weiden ist gar nicht ihre
Arbeit, sondern es muß sich selbst weiden; Wenn die jemanden einen Fluch
sagen wollen, so sagen sie, daß Du dir dein Vieh selbst weiden mußt wie
die Tartarn; und der Tartar, der auch noch ziemlich faul ist, hällt sich noch für
freyer als der Ruß. Die Faulheit flößt also allen eine Meynung von Faul-
heit ein, und zugleich von Stoltz.

/ Das

|P_88

/Das Sprüchwort: Mundus regitur opinionibus, kann so viel heißen: Ein Regent
oder ein Fürst regiere durch sein Volck, so daß sie noch immer die Meynung von
viel Freyheit haben. Dieses kann ein Souverainer Herr in seinen Landen
leicht thun; Wenn er nehmlich einen jeden das beste Recht wiederfahren läst.

/Das Vermögen. Dazu gehört Dazu gehört theils Talent, um sich selbst zu helfen, theils Ge-
walt um andere zu zwingen, theils Geld um andere zu gewinnen.

/Die Talente sind, des Körpers, als Stärcke, Gesundheit etc: Des Geistes als
Künste, Wissenschaften, Witz etc:

/Die Gewalt ist eine gewisse Überlegenheit in Ansehung anderer, wo-
mit wir andern wiederstehen können. Diese Neigung ist allgemein. Die
meisten Nationen fangen Krieg an, blos daß sie andere bezwingen und
unter ihre Macht bringen können. Die ganze Herrschaft gründet sich blos
auf die Gewalt.

/Hierzu gehört auch noch das Ansehen. - - - Wir suchen also nicht allein Frey-
heit, sondern wir sind auch bemüht eine Ubermacht über andere zu haben;
welches aber zugleich aus der Freyheit folgt, wenn wir sie behaupten
wollen.

/Das Geld: daß das Geld alle Güter am besten repraesentirt; so kann man
es für alles Haab und Gut nehmen. Wenn das Geld jetzt schon einmahl im Staat
eingeführt ist, so überwiegt es alle andern Neigungen; daher heißt es auch
nur allein das Vermögen, weil man alles für Geld haben kann. - 

/Man schätzt wohl gar zuletzt das Vermögen höher, als die Gegenstände
die man durch dasselbe erhalten kann; deswegen sagen die Hamburger;
Er commandirt so viel 1000.

/ Mancher

|P_89

/Mancher Mensch ist in der Betrachtung des Vermögens vergnügt, indem er sich
alle die mögliche Vergnügungen vorstellt, die er sich für sein Geld verschaffen
könnte; Der ist eben so vergnügt als der so sie genießt. Jener stellt sich vor wie es
ihm wird zu Muthe seyn, wenn er das Geld verzehret hat, und dieser wie er
es genießen wird.

/So machts auch der Ehrsüchtige.

/Dieses sind aber alles Vergnügungen des Wahns.

/Ein Ehrwahn ist, wenn man zwar Überlegenheit über andere sucht, aber nichts
dadurch über sie ausführen will.

/Sucht nennt man das was eine Kranckheit des Gemüths ist, die unheilbar ist,
Habsucht, Ehrsucht.

/Der Affect ist ein bloßes Gefühl, ein Gefühl aber ist die Wahrnehmung der Lust
und Unlust.

/Die Leidenschaft ist aber eine Neigung; und diese ist aber eine Triebfeder zu
handeln.

/Wenn wir in Affect gerathen, so wird das Gleichgewicht der Gefühle aufgehoben;
so bald wir nehmlich nicht mehr das Vergnügen besitzen, ein Gefühl mit der Sum-
me aller Gefühle zu vergleichen. z.E. Wenn ein Bedienter seinem Herrn
ein Kostbahres Gefäß zerbricht, so geräth der %HErr in Affect, weil er nicht diesen Verlust
mit der Summe seines gantzen Zustandes vergleicht, da er wohl sehen würde, daß
solche Kleinigkeiten ihm an den Vortheilen seines gantzen Zustandes nicht hin-
dern könnten.

/Wir haben einen gewissen Grad des Wohlbefindens, den wir nicht empfinden,
sondern wir empfinden nur den Überfluß und Abgang von diesem Grade.

/ Es

|P_90

/Es zeigt allso einen Zustand an der sehr glücklich gewesen, der keiner Ubel gewohnt
ist, wenn man durch jede Kleinigkeit aus der Fassung gebracht wird.

/Wir haben Leidenschaft, wenn das Gleich-Gewicht der Neigungen gehoben wird;
wenn wir das Vermögen verlieren eine Neigung mit der Summe aller Neigun-
gen zu vergleichen. So hat ein Verliebter Leidenschaft. Denn mit dieser einzi-
gen Neigung vergleicht er keine andere; er sieht nicht darauf, ob seine Geliebte
Reichthum, guten Namen etc: hat.

/Eine Gemüthsbeschaffenheit ohne Affect ist Phlegma. Phlegmatisch ist man
aber aus Mangel der Lebhaftigkeit.

/Leidenschaften heißen auch Passionen; und Affecten, Gemüths-Bewegungen.
Wir können Affecten in der Empfindung von Affecten, in der Aeusserung, in
der Sprache unterscheiden.

/Die Italiener haben Affecten in der Empfindung; Die Franzosen nur Af-
fecten in der Äusserung.

/Der Zorn dringt nicht ins Hertz, die Aergerniß aber. Der Zorn ist oft gesund,
er ergießet die Galle in den Magen zur Verdauung.

/Überhaupt die Affecten in der Äusserung, die eine gewisse Lebhaftigkeit
verbreiten, sind besser als empfundene Affecten.

/Die Europaeer sind stärcker Affecten fähig, die Chineser und Indianer hin-
gegen haben heftige Leidenschaften, und fast keine Affecten.

/Die Haupt_Leidenschaften sind. 1) Habsucht, 2) Ehrsucht, 3) Herschsucht; Eine
Neigung frey zu seyn; denn sind wir doch gewiß frey, wenn wir über andere be-
fehlen können.

/Man zürnt auch auf leblose Dinge. Der Zorn setzt die Menschen immer
in eine gewisse Gegenw@ä\ü@hr. Er ist eine Gemüths-Bewegung zur Aufhebung

/ der

|P_91

/der Hindernisse der Freyheit. Mit dem Zorn kann immer der Unwille verbun-
den werden.

/Herschsüchtige Personen sind gemeinhin zum Zorn geneigt.

/Der Zorn setzt alle Kräfte des Menschen in ausserordentliche Bewegung.

/Man hat Beyspiele, daß wenn zornige Leute andere gebissen haben, diese
von dem Biß die Wassersucht bekommen haben.

/Der Neid ist der Hang zum Wiederstand gegen die Freyheit anderer.

/Liebe ist das theilnehmende Gefühl an der Glückseeligkeit anderer, so daß man
nicht glücklich seyn kann, wenn andere nicht an unserm Glück Theilnehmen.

/Haß ist die ausfließende Neigung seines Glücks für andere.

/Verachtet zu werden ist ärger, als gehaßt zu werden; Die Verachtung geht auf
die Persohn, und hält sie für nichtswürdig.

/Der Zorn ist eine Gemüths-Bewegung zur Uberwindung des Wiederstan-
des unserer Freyheit.

/Leute die zum Zorn geneigt sind, sind gemeinhin herrschsüchtig, weil sie im-
mer eine ungehinderte Freyheit haben wollen. Wir sympathisiren wohl in
andern Leidenschaften, mit andern Menschen, aber nicht im Zorn; bisweilen
scheint es aber doch so; Aber alsdenn sypathisiren wir nicht mit eines andern
Zorn; sondern mit dem Gegenstande, z.E. Wenn einem andern Unrecht ge-
schicht, so werden wir oft mit einander zornig. Der Zorn ist eine ungestüme
Leidenschaft, also ist keiner dafür sicher; und wenn mir jemand etwas er-
zählt; so bin ich auch nicht gantz sicher; wenn mir hingegen jemand etwas ge-
lassen erzählt, so nehme ich weit eher Antheil an seinem Unwillen.

/Der Zorn ist eine rüstige Leidenschaft.

/ Der

|P_92

/Der Neid ist nicht so wohl eine Gemüthsbewegung, als eine Leidenschaft, welche
sich bewegt andern in ihren Wünschen zu wiederstehen, aber es ist die Neigung,
welche bemüth ist, aller andern Neigung zu wiederstehen.

/Wie ist ein solcher Neid möglich? Das Glück macht die Menschen übermüthig
z.E. Der so viel Talente hat, verachtet die andern die weniger haben; diese
Überlegenheit, die nothwendig der Uebermuth an den Tag legt, hassen
die Menschen; die Furcht für diese Ueberlegenheit, bricht in einen Neid
aus. z.E. Wenn wir mit jemanden aufgewachsen sind, und ihn in einer
bessern Beförderung sehen, so mißgönnen wir ihm das.

/Es kann bey Frauenzimmer eine Jalousie seyn, ohne daß sie ver-
liebt sind, aber bey Mannspersohnen nicht.

/Auch Kaufleute und Gelehrte werden oft jaloux.

/Diese alte Jalousie ist aber nicht Neid, denn es ist damit noch immer das Interesse
verbunden, sondern es ist nur eine Mißgunst die aus der Habsucht entsteht. z.E.
Die Kaufleute in kleinen Städten, werden nicht neidisch, sondern jaloux.

/Der Neid ist aber blind; Er besteht in einer blinden Furcht, vor der möglichen
Übermacht andrer; also wünscht er, daß sie keine Ursach dazu haben mögen.

/Der Neid ist ein sehr verhastes Laster; denn er hat dabey nichts. Der Neid
wird aber nicht eher aufhören, als bis man den Übermuth weggeschaft hat.

/Der Neid ist eine grämische Leidenschaft.

/Ruhig ist ein Gemüth das ohne Affect ist; zufrieden aber das ohne Leiden-
schaft ist.

/Die Unzufriedenheit, ist ein Zustand solcher Neigungen, deren Be- 

/ friedigung

|P_93

/friedigung nicht in unserer Gewalt ist; Ein zufriedenes Hertz ist also nicht das, was
nichts mehr wünscht. Die Lüstigkeit ist nicht blos ein Vergnügen und Zufrieden-
heit, sondern der Affectvolle Zustand des Vergnügens; alle Affecten aber haben
dieses an sich, daß sie überspannte Empfindungen unseres Lebens sind; Alle
Tätigkeit allso, die alszu weit geht, sinckt hernach in Mattigkeit; und die allzu
lustigen Leute werden gemeinhin hernach Hypochondrisch.

/Traurigkeit, Harnisch, Gram, Niedergeschlagenheit, gehen alle auf Betrüb-
niß aus, und sind nur dem Grade nach unterschieden.

/Betrübniß entsteht aus dem Gegenstande; Traurigkeit aber aus dem Ur-
theil, über den gantzen Zustand, so fern wir ihn mit dem Gegenstande in Ver-
bindung nehmen.

/Die Traurigkeit entspringt, aus der Ueberlegenheit unseres gantzen
Wohls; Es wird dazu erfordert, daß wir nicht allein den Schmertz empfinden,
sondern wir müssen uns auch für unglücklich halten.

/Betrübniß ist also die Empfindung des Schmertzens; Traurigkeit aber
die Empfindung des Unglücks.

/Betrübt zu seyn, verbietet man keinem, aber traurig zu seyn, ver-
achtet man.

/Wir haben in Ansehung der Zukunft einen Hang zu hoffen und zu fürchten.
Ein allzu großer Hang der Hofnung ist nur bey denen, die sich leicht durch
allerley Hirngespinste unterhalten können.

/Ein Kluger wird sich keine große Hofnung machen, weil er die Eitelkeit

/ derselben

/Lage N

|P_94

/derselben einsieht.

/Der Hang zu hoffen macht uns doch noch glücklicher, als immer besorgt zu seyn.

/Die Macht ist eine Selbst Zufriedenheit, so fern sie ein Grad der Hofnung ist.

/Schrecken und Furcht ist unterschieden; Das Schrecken ist ein Uberfall der
Frucht darauf man nicht gefaßt war.

/Die Schichternheit ist die Schwäche des Gemüths, da man auf nichts gefaßt ist.
Muth und Hertzhaftigkeit sind unterschieden; Hertzhaftigkeit ist das gesetzte Ge-
müth, das ist, welches auf alles gefaßt ist, über das unvorhergesehene nicht zu er-
schrecken. Muth besteht in dem Bewustseyn seiner Stärcke, in Ansehung aller
drohenden Ubel. z.E. Ein Mensch der Muth genung hat, auf dem Sterbe-Bette
zu sterben, hat doch nicht Hertz im Felde zu bleiben.

/Carl_XII zeigt wohl viel Hertzhaftigkeit, da er bey Bender wieder die Tür-
cken war. Er war in einem Hause, wo auch Türcken waren, mit welchen es
zum Streit kam, und von welchen er 2 tödtete, und die andern begaben sich
weg, ausser einem der sich versteckt hatte; Hierauf rief man ihn von allen Sei-
ten zu, das Haus brent, und es ist schon im Begrif einzustürtzen, er möchte sich her-
raus machen; als er dieses hörte, so erschräckt ihn da«ß»s so wenig, daß er vielmehr zu
denen, die ihm dieses meldeten sagte; Sehet was der der sich versteckt hat für Ge-
sichter schneidt, er denckt es wird ihn so wie seinen Brüdern gehen.

/Muth ist die Standhaftigkeit, die mit Reflection verbunden ist; Die Hertzhaf-
tigkeit aber, da man an die Gefahr nicht denckt.

/Wagehalsigt, da man sich auch Mangel der Uberlegung in eine Gefahl selbst
stürtzt.

/Von allen diesen hat der Muth den grösten Werth. Der Roemer hatte viel

/ Muth

|P_95

/Muth; der Deutsche und Frantzose aber mehr Hertzhaftigkeit.

/Zaghaft oder Poltron (pollextrementus) der nicht gerne in den Krieg geht; ist, der
die Gefahr scheut.

/Wenn ein Mensch auf dem Bette sterben soll, so muß er Muth haben, soll er aber auf
dem Richtplatz sterben, so muß er Hertzhaftigkeit besitzen.

/Muth sitzt im Gemüth, Hertzhaftigkeit aber oft im Körper. Der Muth ist auch von
der Gedult unterschieden; eine Frau muß Gedult, ein Mann aber Muth haben.

/Der Hertzhaftigkeit ist die Schichternheit entgegen gesetzt; Sie ist ein Ubel das
uns Überrascht, und überrumpelt, ohne daß wir die Gefahl erwegen in der wir ste-
hen.

/Die Hertzhaftigkeit besteht eigentlich in dieser Stärcke, die diesem Schräcken
wiedersteht.

/Die Hertzhaftigkeit hängt von der Körperlichen Constitution ab. Ein Mensch
der eine weite Brust hat, bey dem das Bluth freyen Lauf zum Hertzen hat, der
hat Hertzhaftigkeit; denn er hat Starcke genung in den Musckeln seines Hertzens.
Der Muth liegt aber mehr im Geist.

/Gedult ist nichts anders, als eine Angewohnheit des Schmertzens; Sich aber in dem
Ubel überlegen zu finden ist eine Stärcke der Seele.

/Auf dem Sterbe_Bette zu sterben erfordert mehr Muth als in dem Kriege,
denn auf dem Sterbe_Bette sucht man keine Hofnung, welche uns aber doch noch
im Kriege überbleibt, und denn mengen sich auch noch viele andere Affecten
darunter, um auf dem Felde zu sterben, als die Begierde nach Ruhm.

/Es ist aber gantz was anders mit Muth und mit Gedult zu sterben; denn bey der
Gedult macht man sich noch immer einige Hofnung, wenn man aber sich noch immer

/ Hof- 

|P_96

/Hofnung macht, so ist das nicht Muth.

/Warum legt man der Hertzhaftigkeit so viel Ehre bey? z.E. daß man es lobt, das jemand
sein Leben für das Vaterland, oder auch für seinen Freund läßt, da dieselbe doch oft
unnütz ja wohl gar schädlich ist? Wir glauben immer es muß doch eine große Seele
im Menschen stecken, der zu solchen Thaten aufgelegt ist; «das» <und> daß wenn er bis-
weilen etwas böses oder niedriges an sich offenbahrt, wir dieses blos einer Verlei-
tung seines Naturels zuschreiben, da er von der Natur gut gebildet ist, und, wie
nicht selten, daß die niederträchtigsten Leute auch kleinmüthig sind. - Die, so
Hertzhaftigkeit haben beweisen etwas Edles, in der Denckungsart, und wenn
wir finden, daß auch diese etwas schlechtes an sich haben, so bilden wir uns ein,
daß dieses mehr von einer schlechten Leitung seiner selbst herrühre, als von
der Erziehung. Bey einer Hertzhaftigkeit praesummiren wir immer eine
Großmuth, und so sehen wir es auch bey den Thieren; Ein Löwe als ein sehr hertz-
haftes Thier, wenn er hungrig ist, so geht er zur Heerde, tödtet ein Schaf, und
frißt es auf; Ein Tieger hingegen tödtet oft die gantze Heerde, wovon er
doch nur eins auffressen kann. Zeigt also der Löwe bey seiner Stärcke nicht
noch Großmuth?

/Verzweiflung ist zweyerley, 1) eine muthige die ist nicht anders, als ein
Zorn, der die Liebe zum Leben überwiegt, der die Entschließung fast, sich dem
Schicksaal des Todes zu übergeben.

/Die verzagte Verzweiflung, dieses ist bey dem Selbstmorde; da die Angs@t@
die Furcht des Lebens überwiegt.

/Scham entsteht allezeit aus dem Urtheil andrer über uns; Sie ist blos

/ was

|P_97

/der Schreck ist, keine wirckliche Empfindung. Sie entsteht aus dem Mangel des Zutrau-
ens auf sich selbst; in Ansehung des Urtheils anderer, welches die Blödigkeit ist: Ich fürchte
nichts als das Urtheil andrer: Wir sind dagegen nie gleichgültig, sondern es afficirt uns
immer. Ein jeder macht etwas gut, wenn er es mit einer gewissen Zuversicht thut. z.E.
Wenn jemand eine Rede hält, so wird sie immer gut aufgenommen werden, wenn
er sie nur mit einer gewissen Zuversicht anfängt. Die Blödigkeit ist allso schädlich; ob sie
gleich oft das Kenntzeichen eines guten Gemüths ist, und eines solchen Menschen,
der sich nie zu hoch schätzen wird.

/Bey Kindern kann man die Blödigkeit vertreiben: 1) wenn man ihnen zeigt,
daß das Urtheil andrer nicht von großer Wichtigkeit «ist» sey: 2) daß sie ein Zutrauen
zu sich selbst bekommen, und dencken, die andern hätten es in meiner Verfassung
weit besser gemacht.

/Die Freymüthigkeit ist die Selbst Zuversicht, als eine Ueberlegenheit uber das
Urtheil andrer. Wenn das Urtheil, das ich über nich fälle mich sicher macht, daß das
Urtheil andrer diesem nicht überlegen seyn wird, so bin ich freymüthig. Die Frey-
müthigkeit gefällt; denn sie zeigt eine edle Selbstschätzung.

/Menschen verlangen, daß wir in andrer Urtheil einen Werth «sehen» setzen,
und es kann mir auch nicht gleich viel seyn, wie andere von uns urtheilen, aber
dieses Urtheil andrer wird sie schätzen, was nicht unserm eignen überlegen,
denn das kann keiner fordern. Diese Freymüthigkeit, kann aber auch oft
herkommen, daß wir das Urtheil andrer nicht kennen gelernt haben. Diese
Freymüthigkeit ist naive. Wilde Völcker sind alle freymüthig.

/Natürlich sind wir alle freymüthig, und die Erziehung, und da man den Un- 

/ terschied

|P_98

/terschied der Urtheile andrer bemerckt, scheint die Blödigkeit hervor zu bringen:

/Die Schichternheit, sich dem Urtheil andrer überhaupt zum Gegenstande darzu-
stellen ist die Verschämtheit.

/Die wirckliche Scham ist die Verlegenheit über das Bewustseyn seiner eignen
Blödigkeit, und sie ist die Ursach der Schichternheit, und diese bringt eine Verlegenheit
hervor. Der sich schämt, schämt sich nicht um des Schams willen, sondern wegen des
Urtheils andrer.

/Dreistigkeit, ist ist eine vermeinte Ueberlegenheit der Urtheile anderer.

/Alle Dreistigkeit ist beleidigend.

/Dreistigkeit kommt eigentlich von drohen her. Die Dreistigkeit ist ihm selbst sehr
vortheilhaft, andern aber schädlich. Denn der Gedancke, daß er andern überlegen
ist, schaft ihm endlich, wircklich die Uberlegenheit.

/Bescheidenheit ist eine gefällige Freymüthigkeit. Die Freymüthigkeit kann
nicht mißfallen, aber es muß noch was hinzu kommen daß sie gefalle.

/Die Abneigung andere zu erzürnen ist die Gelindigkeit.

/Die Abneigung andere zu kräncken die Sanftmuth.

/Die Gleichgültigkeit andere zu erzürnen ist Grobheit. Diese zeigt nicht
immer ein böses Hertz an.

/Die Neigung andere zu erzürnen ist die Bitterkeit. Diese geht immer
weiter als die Grobheit.

/Die Neigung andere zu beschämen ist spott.

/Jemanden durch den Spott zu kräncken, ist die hämische Gemüthsart.

/Die Empfindlichkeit, ist die Reitzbarkeit zum Unwillen; Alles das wa@s@
man aus Empfindlichkeit thun würde, sollte man aus Grundsätzen

/ thun,

|P_99

/thun, und sie ist gar nicht philosophisch; man muß allso dafür warnen; obgleich Poeten
und poetische Moralisten sie anrathen. Empfindliche Leute sind sehr lästig, indem
man sie leicht zum Unwillen reitzen kann.

/Die Reitzbarkeit zur Betrübniß oder Unmuth ist die Weichlichkeit. Die Gemäch-
lichkeit ruinirt die Gesundheit, und die Aussetzung aller Ungemächlichkeiten
macht robuste. Eine zu große Pflege seiner selbst, macht endlich auch weichlich, und
wird zum Schmertz dadurch reitzbaar. Die Reitzbarkeit zum Theilnehmen ist Zärt-
lichkeit. Wenn man an andern ihren Umständen Theil nimmt, so ist das edel, aber
dieses Theilnehmen muß aus Reflection aus Uberlegung geschehen; diese Reitz-
barkeit besteht aber, in der Verfassung, da uns äussere Umstände ohne Reflection
zum Theilnehmen treiben; Das zärtliche Hertz also, so lange es die Stelle der Groß-
muth vertrit ist gut;

/Das Mitleiden ist nicht die Perception der Umstände sondern die Fassung un-
seres Hertzens, oder wie es unsere Empfindungen gemacht, besonders solche de-
nen wir gerne nachhängen.

/Empfindsamkeit muß jedermann haben, der theilnehmend ist, dieses ist aber
gar nicht eine Empfindlichkeit zur sympathetischen Übereinstimmung; sondern
ein Urtheil über das was andere empfinden.

/Das Vermögen an der Stelle anderer etwas zu empfinden, ist die active
Empfindsamkeit: z.E. Von einem Ehemann wird erfordert, daß er nicht allein
guthertzig sey, sondern er muß auch alles das vermeiden, was das Frauen-
zimmer beleidgen kann; wenn dieses Letzte fehlt; so ist das ein Mangel der
Zärtlichkeit, aber nicht ein Mangel der Liebe.

/ Die

|P_100

/Die passive Empfindsamkeit ist aber die Verzärtlung.

/Die active ist allzeit gut, und vertritt die Stelle der Großmuth, die passive muß man
aber meiden

/Zu der finstern Gemüthsart nehmen wir theils die Melancholie, theils die Hy-
pochondrie. Die Hypochondrie ist ein Wiederspruch der Launen; Die Quellen,
woraus der Hypochondriste einmahl Freude schöpft, müssen ihn zum andern
Mahl Traurigkeit darreichen.

/Bey der Hypochondrie ist eine vermeinte Kranckheit zum Grunde, (bey
dem Hypochondristen aber auch oft eine wirckliche) aber so wie sie der Hy-
pochondriste sich einbildet; Er wird sie an solchen Stellen suchen, wo sie nicht zu
finden ist.

/Die %.Hypochondristen mögen gerne medicinische Bücher lesen, weil sie glauben
daß sie alle Kranckheiten haben.

/Die %.Hypochondristen hält man für gesund, da sie sich für kranck halten, und das
ist das Unglück, daß sie oft ausgelacht werden.

/Die Medici haben noch keinen %.Hypochondristen geheilet.

/Wenn der Hypochondriste in sich fühlet, daß er wozu nicht Lust hat, so
muß er sich dazu selbst antreiben.

/<Woher> «Mancher be»kommt die Hypochondrie? Es sind diaetische Ursachen
so wohl des Hertzens, als der Seele die sie hervorbringen.

/Die diaetische Ursachen des Körpers. Vorzeiten verletzte man die
Diaet, da man Helden im Fressen und Saufen zu werden bemüht war,

/ woraus

|P_101

/woraus viele Kranckheiten aber nicht die Hypochondrie entstand. Jetzt entsteht
aber aus der Verletzung der Diaet die Hypochondrie: und das macht,

/1) Die viele warmen Geträncke. z.E. The, Caffe, warme Suppen.

/2) Das Nachtwachen, das Nachtwachen der Schwärmer ist bey weitem nicht
so schädlich, als der Studirenden. Denn wenn wir in der Nacht arbeiten,
so geben gleichsam die Sinne ihre Herrschaft der Imagination über,
und diese geht mit einem desto größer; deswegen lieset man auch des
Abends am liebsten traurige Bücher, von Grab und Einigkeit, welche
wenn man sie des Morgens lesen solte, uns lange nicht so gefallen
würden.

/3) Der öftere Gebrauch der laxirenden Mittel.

/Die diaetischen Ursachen der Seele sind.

/1) Die Lecture. Der Nutzen der aus der Lecture entsteht, geschicht nicht
durch viel Lesen, denn wie bald vergessen wir nicht dieses? Das Lesen wird
zuletzt nicht mehr ein Mittel der Belehrung, sondern der Gewohnheit, und
das ist schädlich; und weit schädlicher, als das Dencken; denn dieses ist doch noch
mit einigen Ruhepunckten verknüpft, wo man einhalten kann, bey dem
Lesen muß man aber immer mit dem Autor fortgehen, der bald schnell
bald langsam geht; und dieses schwächt sehr.

/2) Die Cultur der Empfindlichkeit; da man sich Mühe giebt die Empfindsam-
keit rege zu machen; diese Reitzbarkeit ist das Fundement der Hypo-
chondrie. %.Hypochondrie ist ein in Unordnung gebrachtes Nerven-System,
diese Cultur schwächt aber sehr das Nerven-System; denn es ist immer

/ ein

/Lage O

|P_102

/ein unerwarteter Uberfall wovon wir zweyerley haben, Schauer und
Grüßeln.

/Wenn ein Mensch schon durch Affecten bewegt w«i»erden soll, so soll dies lieber
durch wackere als schmachtende geschehen, zu den schmachtenden nehmen wir
das quälende Mitleiden, die schmachtende Sehnsucht etc:

/Lachen und Weinen, zwey extrema. Das Lachen scheint die gröste Ergöt-
zung des Gemüths zu seyn, aber es dringt nicht tief ein.

/keine einzige Bewegung des Gemüths, dient mehr zur Gesundheit, als
das Lachen. Auch eine lächerliche, mit Witze gewürtzte Geschichte ist nicht schäd-
lich. Das Lachen erfordert, daß wir mit den Dingen der Welt spielen. Es er-
fordert, daß man den Gegenstand immer für eine Kleinigkeit halte.
Man kann oft über sein eigen Unglück lachen, wenn man es als keins
betrachtet.

/Woher entspringt eine so große Fröhlichkeit, und was ist das Object des
Lachens? Es ist keine Ungereimtheit, denn die kann nicht erfreuen, und
wenn sie erfreuen könte, so wäre dieses boshaft; Dieses ist also nicht der
Grund des Lachens. Es ist nichts als ein Contrast, da man findet, was man
nicht erwartet hat.

/Man nehme alle Geschichte, so sind sie so: daß die erste Abbildung diese
Erwartung zeigt, wo sich hernach das Gegentheil findet; und so erfolgt eine
erschütterte Bewegung.

/Die Fröhlichkeit beym Lachen liegt nicht im Gegenstande sondern im
Körper.

/So kann man auch jemanden zum Lachen, durch das Kitzeln zwin- 

/ gen,

|P_103

/gen, wo man ihm die Nerven verletzt, die in Bewegung kommen. Beym
Lachen wird das Zwergfell erschüttert.

/Die Mine eines Lachenden und Weinenden ist sehr ähnlich, und ein Mahler
darf nur einen Zug machen, so hat er aus einen Lachenden einen Weinenden
umgekehrt. Wie beym Lachen die Fröhlichkeit nicht im Gemüth, sondern im
Körper ist, so ist auch die Traurigkeit beym Weinen nicht im Gemüth. Ein Mensch
der einen großen Gram empfindet weinet nicht, sondern erst denn, wenn er
etwas geschwächt worden. Die Tränen dienen zur Gesundheit.

/Ein solcher Zustand da man der Laune unterworfen ist, heißt ein allge-
meiner Überdruß, und ins besondere, bey dem Frauenzimmer vapeurs
und bey den Mannspersohnen Hypochondrie.

/Wenn man sich immer durch die Empfindungen rühren läßt, und diese Emp-
findung fortsetzt, so entsteht eine gäntzliche Schlafsucht daraus, da man gar
nichts mehr empfindet. Dieser Zustand ist dem Opium gleich, wenn man
das zu sich genommen hat, so fühlet man sich in den angenehmsten Zustand
versetzt, den man mit nichts vertauschen würde; aber wie traurige
Würckungen läßt es nach?

/Man nennt jemanden läunisch, und dies heist von ihm oft launicht, und
es ist dazwischen ein Unterschied. Läunisch ist jemand, wenn er so wandel-
bahr ist, daß er in einem Augenblick freudig und auch traurig seyn kann.
Hypochondrische sind alle läunisch, und meistentheils in Ansehung der Af-
fecten, die ihnen selbst schädlich sind. Läunicht ist man aber, wenn man nach
seiner eignen willkührlichen Wahl sich eine Gemüths-Disposition machen

/ kann.

|P_104

/kann.

/Affect der Verwunderung. Verwunderung ist ein Affect der dem Schreck nahe
kommt. Sie beruht auf einem Contraste in dem Ungewöhnlichen unserer Er-
wartung.

/Es ist blos ein Affect, der aus der Beurtheilung aber nicht aus der Theilneh-
mung entsteht; denn so bald es uns betrift, so wird es ein Schreck.

/Warum ist die Verwunderung angenehm? Ein jeder Gegenstand, der uns
einen Prospect zur Hofnung eines neuen Gesetzes der Natur verspricht, ist
angenehm.

/Wenn man aber gewahr wird, daß dieser Gegenstand nicht so seyn kann
wie er scheint, so mißfällt das. Sie dauert nur eine kurtze Zeit, und ist nicht
continuirlich.

/Die Bewunderung kann aber dauren: das bewundern wir, was
wir vermuthen, daß unsere Beobachtung ein Feld vor sich finden wird, was
niemahls wird können ausgemessen werden. z.E. Den gestirnten Himmel
kann man ohne Bewunderung nicht ansehen, weil man hier so viel Gegen-
stände sieht, die wir nie gantz werden kennen lernen.

/Wir sagen; das ist ein Bewundernswürdiger Mensch, den wir nie gantz
werden kennen lernen, ohne nicht immer etwas neues an ihm zu ent-
decken.

/Die Bewunderung entspringt aus der Einsicht, die Verwunderung
aber aus Unwissenheit.

/Es giebt Leute denen viele Sachen nicht bewundernswerth vorkommen,

/ weil

|P_105

/weil sie sie nicht kennen.

/Erstaunen ist eine Art von Verwunderung, kommt aber noch näher dem
Schräck. Erstaunen kommt mehr mit der Empfindung überein die wir be-
kommen. Verwunderung ist aber nur eine Speculation. Bey dem Erstau-
nen fürchten wir anfänglich alles, oder wir besorgen es in Ansehung un-
serer Selbst.

/Da sich unser Gemüth nicht durch Ruhe, sondern durch Agitation erhält,
so sieht man ein, warum man die Begierden sucht, weil diese uns im-
mer in der Agitation des Gemüths erhalten. z E. so sucht man gerne das
Spiel, die Schauspiele, weil hier auch unser Gemüth in große Agitation
gesetzt wird.

/Affecten können noch wohl zum Spiel gemacht werden. aber nicht Lei-
denschaften, denn diese sind continuirlich. Die Leidenschaft agitirt nicht,
sondern sie plagt den Menschen, und ist ein unbeschränckter Hang der
da macht, daß wir nicht zufrieden sind.

/Die Leidenschaft zur Belustigung ist eine Leidenschaft, einer bis
zur Verzärtelung verwähnten Lebensart.

/Wenn diese Belustigung zur Leidenschaft wird, so verliert sie alles
Anmuthige; und dagegen ist nur die Arbeit gut, denn hier haben wir Be-
schwerlichkeiten zu überwinden.

/Gewissen Affecten kann durch andere eine Diversion gemacht
werden, und diese muß der Mensch suchen. Dem Zorn wird durch die Ge-
lassenheit, oder auch den Schertz eine Diversion gegeben; oder noch besser,

/ daß

|P_106

/daß man dem andern Gelegenheit giebt, seinen Zorn in bloßen Worten aus
zulassen.

/Enthusiasmus ist ein Affect, der aus idealen Ursachen entspringt. Ideal
wird hier substantive genommen, und ist die Vollkommenheit, wie sie zwar
zur Urquelle dient in concreto und in der Erfahrung aber nicht angetrof-
fen wird.

/Wir müssen alles nicht nach dem beurtheilen, was wir antreffen, son-
dern wie es mit der vollkommensten Vorschrift davon übereinkommt.

/Enthusiaste und Phantaste sind sich ähnlich, der Phantaste ist der, wenn
das Ideal bey ihm eine Leidenschaft ist. Denn alsdenn stellt er sich etwas
als ein Gegenstand der Sinne vor, was doch nur für den Verstand gehört,
denn er glaubt das Ideal, welches doch nicht zu erreichen ist, zu erreichen.

/Ein Enthusiaste von dieser art ist ein Phantaste in Ansehung des Er-
habenen; denn das Ideal ist doch das Vollkommenste und Erhabenste.

/Es giebt solche Enthusiasten der Freundschaft.

/Die Misantropen sind %.Enthusiasten der Tugend. Er heißt nicht %.misantrop@isch@
weil er die Menschen haßt, nein, die liebt er alle sehr, aber er scheut sie.
Es macht sich ein solches Ideal von Glückseeligkeit woher es gut ist, und von
welchem er glaubt, daß es vollkommen kann erreicht werden, da dieses
doch nicht ein einziger thun kann.

/Dieses Ideal muß allso gar nicht dienen die Menschen in Leiden-
schaften zu setzen; denn alle Leidenschaften sind blind, und was für Un-
glück hat nicht mancher Enthusiaste angerichtet.

/ Man

|P_107

/Man hat auch Enthusiasten der Religion, die immer in einen heiligen Affect versetzt
werden: Und wenn jemand glaubt, daß er das Ideal des Christen erreichen wird, so
wird er vielmehr ein Phantaste.

/Der %.Enthusiasmus ist gut, aber nur um ihn denjenigen einzuflößen, die man als
Instrumenta brauchen will. Der %.Enthusiasmus kann am besten durch eine gute Lau-
ne in Ruhe gebracht werden.

/Gemeinschaft der Seele und des Körpers. Hier kann aber davon nicht «phylo-»
psychologisch sondern nur antropologisch geredet werden; und da ist nicht viel zu sa-
gen.

/Den Einfluß des Körpers auf die Seele sehen wir bey der Hypochondrie, und
die Medici curiren den Körper, und darüber wird auch die Seele gesund. So re-
det %.Doctor Medicum Gaubins von einer Frauens-Person, welche wenn sie con-
cipirt hatte, eine Lust zum Stehlen bekam, und auch Unterschiednen etwas
wegnahm, nachdem sie aber hernach wiedergekommen war, so gab sie alles
wieder zurück.

/Das Gemüth hat aber auch einen eben so großen Einfluß auf den Körper.
Ein Parlaments-Rath in England war sehr kranck, und bey dem keine Artze-
ney etwas ausrichten konte, der Medicus sagte allso zu dem Bedienten er
sollte den Herrn zum Zorn zu reitzen suchen, und denn ihm sogleich die Artze-
ney eingeben - denn der Rath war gar nicht zornig - der Bediente that
also, ein Übel nach dem andern, der Herr wollte nicht zornig werden, bis
endlich ein junger Herr mit einem seidnen Kleide vor sein Bette kam,
welches Kleid durch das Bewegen der Arme einiges Geräusche machte, worauf
der Krancke böse wurde und sagte; wenn sie reden wollen, so muß ihr Kleid

/ schweigen,

|P_108

/schweigen; worauf der Bediente ihm sogleich die Artzeney eingab, welche an-
fing zu wircken und er wurde gesund.

/Die Characteristic. Sie dient die Charactère zu unterscheiden. Charac-
ter bedeutet nichts anders als ein allgemeines Merckmahl Menschen zu un-
terscheiden; Hier wird ein Principium erfordert, wornach wir den Men-
schen unterscheiden. Man muß aber, die wesentliche, und ausserwesentliche,
oder die Natürlichen und Künstlichen Merckmahle unterscheiden.

/Man kann, wenn man Nationen miteinander vergleicht einerley
bey ihnen bemercken: Geist und Instinct, Naturel und Discipline. Die er-
sten zwey gehören zur Thätigkeit; die andern aber zur Empfänglichkeit. Geist
gehört zum obern Vermögen, Instinct zum Untern Vermögen: Diese Bey-
de sind Quellen zu Handlungen. Vermöge des Naturels und der Discipline,
sind wir nur im Stande etwas anzunehmen. - Discipline scheint eigen@t@
lich keine Grundlage der Natur zu seyn, und ist es auch wircklich nicht, denn
es ist nur das, was zum Naturel hinzugesetzt wird. Wir verstehen aber hier
durch Discipline, blos eine Fähigkeit disciplinirt zu werden, und dieses ist
eine Grundlage der Natur.

/So finden wir dieses schon an den Thieren, von denen wir nicht sagen
können, daß sie gelehrig seyn, sondern nur, daß sie den Zwang annehmen,
daß sie ein Vermögen haben sich discipliniren zu lassen.

/Naturell ist eine Fähigkeit zu lernen; Discipline aber sich lencken
zu lassen.

/Damit jemand ein Bürger im Staat werde, so muß er nicht allein

/ Naturell

|P_109

/Naturell haben, sondern besonders einen Hang sich durch die Gesetze lencken zu lassen.
z.E. dem Türcken fehlt es nicht an Fähigkeiten aber an Discipline, denn sie wollen
durchaus von keinen Gesetzen wissen, und eben deswegen findet man so viele
Rebellen unter ihnen.

/Von den Deutschen kann man immer sagen, daß sie nicht so viel Genie, aber
desto mehr Discipline haben, und deswegen sind sie auch so tapfer.

/Geist bedeutet eine allgemeine Eigenschaft des Talents, oder des Willens.

/Geist gehört zum obern Vermögen, so wohl zum Verstande, als zum Willen.

/Instinct «h»gehört zum Temperament, oder zur Sinnlichkeit.

/Instinct sowohl als Geist treiben zu Handlungen an.

/Es giebt Völcker bey denen viel Instinct ist, aber kein Geist. Die Türcken
haben viel Instinct aber ohne Geist: Er hat z.E. vielen Instinct zur Ehre, aber
nicht Geist dazu, das ist, er hat nicht die rechte Ehre zur Absicht.

/Zur Erfindung gehört Geist; zur Unternehmung aber Instinct. Instinct
ist ein Analogon von Geist, (die Thiere sind analogorationis) so wie Disciplin
ein Analogon von Naturell ist.

/Was ein Mensch oft aus wahrer Absicht thun will, das thut er aus Instinct.

/In Europa kann man sagen wird mehr Geist angetroffen, in Ansehung
ihrer moralischen Begriffe, denn Geist gehört dazu, daß man die Tugend aus
ihrer reinen Quelle schöpfe. Die allgemeine Religion in Europa, oder die
Christliche hat Geist in sich, die andern aber nur blos Instinct.

/Im Orient ist die wahre Ehre unbekannt, und was noch angetroffen
wird, ist ein gewisser Antrieb zum Guten.

/Geist und Naturell zusammen machen das Talent aus, Instinct und

/ Discipline

/Lage P

|P_110

/Discipline das Temperament. Das Talent ist active das Temperament aber pas-
sive. Bey den Deutschen findet sich mehr die Fähigkeit zu lernen, als zu erfinden
daher heist es auch die Deutschen haben Handwercker, die andern Völcker aber
Künstler.

/Der Franzose hat mehr Instinct als der Deutsche, er hat auch mehr Talent
aber Geist und Discipline haben sie nicht. Der Engelländer hat wieder mehr Geist
doch findet man auch viel Instinct bey ihm, welches seine Trauerspiele anzei-
gen. - Bey dem Indianer findet man Naturel aber nicht Instinct; denn
sie haben ein zu großes Phlegma an sich; sie ereifern sich gar nicht; Es fehlt
ihnen auch an Geist; Sie nehmen auch die Discipline an; ja die Völcker von
China und Indostan, sind wohl die einzigen die am meisten disciplinirt
werden können. In China ist die Discipline so weit gegangen, daß sich
selbst die Bauren nicht unhöflich begegnen werden.

/Die Grichen waren wohl die Völcker vom grösten Geist, aber keine Disci-
pline.

/Bey den Americanern findet man nicht Geist, nicht Naturel, nicht Instinct
nicht Discipline.

/Einige von den Sclavischen Völckern, als Russen, sind keines Geistes fä-
hig, haben aber viel Naturel. Die Pohlen haben noch ziemlich Geist, aber kei-
ne Discipline.

/Wenn man Talent, Temperament und Character betrachtet, so kann
man sie mit den Farben im Regenbogen vergleichen, wo zwar 7 Farben
sind, unter welchen es aber nur 3 Haupt-Farben giebt, woraus man al-
le andern zusammen setzen kann. Diese 3 Farben sind. Roth, Gelb, und

/ Blau.

|P_111

/Blau; zwischen roth und Gelb liegt das orange_farbene, zwischen Gelb und Blau das
Grüne. Zwischen Talent und Temperament liegen 2 Stücke, Naturel und Geist; zwi-
schen Temperament und Character, Gemüth und Hertz. Naturel, ist schon oft gesagt,
ist die Fähigkeit etwas zu lernen, und Geist die Fähigkeit etwas zu erfinden.

/Ein gut Gedächtniß gehört zum Naturel, Witz gehört aber zum Geist.

/Wenn ich sage, jemand hat ein gut Gemüth, so verstehe ich darunter eine blos
passive Eigenschaft; Ein gutes Hertz ist aber eine active Eigenschaft. Beyde ge-
hören zum Temperament.

/Ein Gemüth ist gut, so fern es keinen Wiederstand zum Guten in sich enthält;
Das Hertz ist aber gut, so fern es einen Trieb, der aber sinnlich ist, zum Guten in
sich hat. - z.E. Wenn sich jemand leicht versöhnen läst, so hat der ein gut Gemüth;
Das gute Gemüth bestehet in der Längsamkeit, es leistet keinen Wiederstand;
Solche Leute von dieser Art, fangen mit keinem Händel an; sondern sie sind
friedfertig; Dieses alles kommt aber oft aus einer Gemächlichkeit her. Dieses
gute Gemüth ist nur die geringste Eigenschaft des Menschen, und wenn
wir jemanden dieses beylegen, so haben wir ihn noch nur wenig gutes zuge-
schrieben.

/Das gute Hertz ist gantz anders, hier ist allezeit ein Grund unserer Thätig-
keit; ein solcher ist aus Mitleiden wohlthätig; er wird gerne die Feindschaften
zwischen andern beygelegt wissen, und wird so gar selbst daran arbeiten;
Er wird andern in ihren Leiden zu Hülfe kommen; überhaupt alles gute
was aus Sinnlichkeit entsteht heist das gute Hertz.

/Ein gutherziger Richter ist zu nichts nütze, denn der wird nur streitende

/ Partheyen

|P_112

/Partheyen zu vermengen suchen, und dadurch manchem Unrecht thun.

/Das gute Hertz ist also ein Instinct etwas gutes zu thun, das Gute Gemüth ist
aber eine Empfindsamkeit nicht zur Thätigkeit, sondern zur Leitung durch an-
dere.

/Zu den Temperamenten rechnet man 4; das Sanguinische, Cholerische,
melancholische und phlegmatische. Diese Eintheilung scheint von den 4 Ele-
menten herzukommen. Da man ohnedem den Menschen den Microcosmus
nennt, also wollte man die Mischung seines Bluthes auch so eintheilen.

/Das lustige Temperament ist das Sanguinische; das das feurige, das Choleri-
sche; das wässerigte das phlegmatische, das irrdische das Melancholische.

/So fern diese %.Temperamente aus dem Bluthe entstehen, gehören sie zur Physio-
logie, wenn sie aber psychologisch sind, so gehören sie zur Seele.

/Man hat von gewissen Gegenständen der Begierden die Tempera-
mente benennt; Die Begierde zur Freude wäre das Sanguinische, die
Begierde zur Traurigkeit, das Melancholische; die Begierde zur Ehre, das
cholerische, und die Begierde zur Ruhe das phlegmatische.

/Dieses zeigt, wie sich die %.Temperamente in gewissen Umständen äussern, aber
man muß sie kennen, ehe man den Menschen in diese Umstände setzt.

/Diese Eintheilung ist nicht aus ihrer rechten Quelle, sie muß vielmehr
aus innern Merckmahlen hergeleitet werden.

/Wir finden 2 Stücke im Menschen, wodurch er afficirt wird. 1) Durch Ge-
fühl, 2) Durch Begierden.

/In Ansehung des Gefühls, sind die %.Temperamente %.Sanguinisch und %.Melancholisch, und
in Ansehung der Begierden %.Cholerisch und phlegmatisch. Hir sind immer

/ 2 %.Temperamente

|P_113

/2 %.Temperamente einander entgegen, die allso nicht combinirt werden können.

/Unterschied in Ansehung der Gefühle. Einige sind so, daß sie starck afficiren,
aber wenig eindringen, und andere die wenig afficiren aber starck eindrücken.

/Das %.Sanguinische %.Temperament ist wo die Empfindungen starck auffallen, aber wenig
eindringen; das %.melancholische ist aber da die Empfindungen schwächer, oder auch
eben so wie beym %.Sanguinischen auffallen, aber starck eindringen.

/Alle Sanguinische Leute sind flüchtig, weil sie veränderlich sind, sie sind
leichtsinnig weil keine Empfindung lange bey ihnen dauert. Er wird leicht
zum Mitleiden bewegt werden, aber dieses dauert nicht lange, und sein
gantzes Mitleiden wird sich auch nur in Kleinigkeiten äussern, und wenn
er etwas beträchtliches geben soll, so wird er bald aufhören mitleidig zu
seyn.

/Der Sanguinische so wohl, als der Melancholische, sind beyde der Traurig-
keit und der Freude gleich fähig, nur daß beydes, bey dem Sanguinischen nicht
anhaltend ist, aber wohl bey dem Melancholischen. Die %.Melancholischen sind auch
großer Freude fähig, und wenn sie lustig werden, so sind sie fast allemahl
ausgelassen lustig.

/Der %.Sanguinische nimmt nichts zu Hertzen, denn die Reitzbarkeit seiner
Nerven macht, daß er geschwinde das Object verändert.

/Bey den Franzosen, finden wir so viele äussere Merckmahle der Fröh-
lichkeit, aber auch eben so viel Klagen der Unzufriedenheit. Diese Nation
scheint sehr freygeisterisch zu seyn, aber auch eben so abergläubig.

/Alle %.Sanguinischen haben ein gutes Hertz, denn dieses besteht in einem An-
trieb zum Guten, und dieser kommt nicht von guten Gesinnungen, sondern

/ von

|P_114

/von Eindrücken.

/Von den Franzosen sagt man, daß sie guthertzig sind, und doch sieht man bey ihren
Gerichten die gröste Grausamkeiten, und doch läßt sich Niemand dadurch abschrecken
Das ist allso zu sehen, daß sie sehr %.sanguinisch sind, indem alle diese Grausamkeiten jetzt
nicht mehr fortfahren in sie einen Eindruck zu machen.

/Ein %.Sanguinisches %.Temperament zeigt viel Gesprächigkeit, oder Bereitwilligkeit zur Unter-
haltung in Gesellschaften. Es soll eine Art Hoflichkeit seyn, daß sie keinen lan-
ge Weile werden lassen.

/Die Popularitaet ist auch eine Eigenschaft des %.Sanguinischen, da man sich zu den
Niedrigsten herrunter läßt. Die Neigung zum Schertz befindet sich auch bey
dem %.Sanguinischen Ein %.Melancholischer wird nicht viel schertzen, und schwatzen, weil hier
nichts ist, daß da eindringt;

/Ein %.Sanguinisches %.Temperament wünscht sich nicht allein jedes, sondern man sieht es auch
gerne an jemanden, achtet es aber nicht, denn ein Sanguinius, hat immer ein
gut Gemuth und darauf folgt immer ein gutes Hertz.

/Die Melancholie ist, da die Empfindungen wohl weniger auffallen, a-
ber desto tiefer eindringen, und der %.Melanchol@ische@ wird nicht allein betrübt, son-
dern zieht es sich auch zu Hertzen.

/Ein Melancholischer ist eigensinnig; Er läßt sich nicht leicht lencken. Er ist
mißtrauisch; Er ist in Freundschaft enthusiastisch, oder ein Hertzensfreund.
Enthusiasmus ist die Achtung für das Erhabene; Der %.Sanguinische sieht aber alles als
ein Spiel an.

/Schwarmerey und Aberglauben befindet sich auch bey dem Melancholischen;
das erste aber eigentlich, denn das andere kommt nur aus Furcht her.

/ Ein

|P_115

/Ein %.Melancholischer hat eine romantische Denckungsart. Wer ist zwischen dem %.sanguinischen und %.me-
lancholischen mehr zu großen Handlungen fähig? Der %.Melancholische, denn dazu gehört, daß
eine Idee in jemanden herscht, die darauf dringt; Die Großmuth ist die Uber-
windung der Selbstliebe aus Vorsatz am andern wohlzuthun.

/Die Empfindungen in Ansehung der Begierden. Hier befindet sich das chole-
rische und phlegmatische %.Temperament Wenn die Eindrücke starck aber nicht anhaltend
zur Ähnlichkeit sind, so ist das, das cholerische, sind sie aber anhaltend, das phlegmati-
sche Temperament.

/Die Jugend hat mehr das Merckmahl vom %.Sanguinischen %.Temperament Das hohe Alter aber
mehr vom phlegmatischen; das mitlere Alter aber vom cholerischen; man pflegt
auch wohl dem hohen Alter das Melancholische zuzuschreiben, dieses findet sich
aber wohl eher in dem Übergange aus der Jugend in das mittlere Alter. Die
Kinderey befindet sich bey dem hohen Alter, welches ein Mangel der Lebhaftig-
keit im Ausgeben ist, und dieses hängt wohl sehr gut mit dem Phlegma überein,
aber nicht mit der Melancholie, denn hier ist immer eine Lebhaftigkeit, welche
doch bey dem hohen Alter nicht zu finden ist.

/Der Aberglaube scheint am meisten für den phlegmatischen zu seyn, weil
bey ihm eine Trägheit zur Untersuchung herscht, die man bey andern %.Temperamenten
nicht findet. - Die Schwärmerey ist aber mehr für den Melancholischen;
Denn dieser ist mehr zum Grübeln und Nachsinnen aufgelegt.

/Das %.Sanguinische %.Temperament muß etwas durch das %.melancholische moderirt werden, das ist,
man muß nicht allein die Gegenstände empfinden, sondern sie auch innigst
aufnehmen.

/Das cholerische %.Temperament ist, da sie die Triebfeder wohl starck bewegen aber

/ nicht

|P_116

/nicht lange erhalten. Dieses kann man durch ein Gleichniß vom Körper erleitern.
Ein Körper der durch den geringsten Stoß eine Bewegung erhält, hört auch bald
auf, sich zu bewegen, ein Körper der aber eine größere Kraft zur Bewe-
gung erfordert, bleibt auch länger bewegt.

/Beym Cholerischen ist die Triebfeder der Handlungen die Ehre. Weil diese
kein %eigentlicher Gegenstand ist, sondern nur das Urtheil andrer, so hat sie auch
nur eine schwache treibende Kraft. Der Phlegmatische muß durch Schläge be-
wegt werden, denn bey ihm wird die Thätigkeit nicht so leicht erregt.

/Der cholerische ist zur Verstellung geneigt, denn sein Antrieb ist die Ehre;
diese besteht in dem Urtheil andrer über unsere Aufführung; also bemüht sich
der cholerische, solche Aufführung anzunehmen, die er oft nicht hat, damit nur
andere gut von ihm urtheilen, und also verstellt er sich.

/Ein cholerischer besitzt keine Offenhertzigkeit, das fließt auch aus dem Trieb
nach Ehre. Er ist herschsüchtig, und will immer Recht haben.

/Anmerckung. Es giebt Leute die Recht haben in der Sache, aber nicht in
dem Ton; Sie haben Unrecht in dem Ton, wenn sie in ihren Ansprüchen eine
Überlegenheit in Ansehung der Ansprüche andrer zeigen; oder wenn sie so ur-
theilen, daß sie gleichsam andere ausschliessen wollen

/Bey dem Phlegmatischen findet sich keine Triebfeder zu handeln. Es giebt
ein glückloses Phlegma; das ist, wo die Triebfedern zur Thätigkeit wircklich da
sind, die aber nur so wircken, daß sie aller Überlegung Platz lassen, dieses
ist das Beste von allen Temperamenten.

/Das Phlegma ist eine Gemüths-Beschaffenheit, so fern sie Affecten frey@.@

/ Es

|P_117

/Es giebt habituelle Dispositionen, die oft die Stelle der %.Temperamente vertreten;
Disposition ist die Receptivitaet die das Gemüth zu gewissen Zuständen hat;
und durch die Gewohnheit wird diese Disposition habituelle.

/Der aber die Temperamente überhaupt leugnet, und sie nur alle für
solche Dispositionen hält, der wiederspricht dem Augenschein.

/Vom Character. Der Character ist das, was den Menschen ausmacht,
nach dem Urtheil das man über ihn fällt, ob er nehmlich gut oder böse sey.
Der Character ist generaliter; die Denckungsart ist sehr von der Sinnesart
unterschieden, welche nur blos das Temperament ist; obgleich die Sinnesart
auch zur Unterscheidung dient; so heißt doch eigentlich die Denckungsart der
Character; Dieser Character ist also auch sehr vom guten Gemüth und Hertzen
unterschieden. Man kann allezeit von jemanden sagen, daß er ein gutes
Gemüth und Hertz habe, ohne daß man ihm einen Character zuschreibt. z.E.
willfährig seyn andern zu dienen, und auch leicht nachgebend, kann man
von einem sagen, ohne daß man damit behauptet er habe einen Character.
z.E. er kann willfärtig seyn, aber bey dem allem doch auch lügen; und
wer da lügt, der hat ja keinen Character - Die feste Anhänglichkeit an
Grundsätzen macht den Character aus; nach dem nun diese Grundsätze, gut
oder böse sind, nachdem ist auch der Character entweder gut oder böse. Wenn
man spricht was der «Gewohnheit»<Wahrheit> gemäß ist, so hat man «nun» eine Regel; die
Lüge ist eine Abweichung von der Wahrheit, und also auch von der Regel;
der da lügt hat allso keine Grundsätze, folglich auch keinen Character. - 

/ Ein

/Lage Q

|P_118

/Ein Mensch von gutem Gemüth verspricht viel, und nicht blos zum Schein, son-
dern er hat einen Trieb es auch zu halten; aber der feste Vorsatz, der auf Grund-
sätzen beruht, fehlt ihm, und also ist er nicht gewiß, ob er es halten wird.

/Eine so genannte aimable debauche kann das beste Hertz haben, aber
keinen Character. z.E. Er borgt viel in der Meinung er wolle es gantz ge-
wiß bezahlen; Er ist kein Betrüger von Absicht; aber er sieht seinen Willen
nicht als unverbrüchlich an. Die Grundsatze sind entweder objective, oder
subjective, die objective sind Principia, und die Subjective Maximen; die
Objectiven sieht jeder ein, aber nicht ein jeder läßt sie zu Maximen bey sich
werden.

/Der so keinen Character hat, hat auch keine Maximen; sondern er
wird immer durch Anreitze bewogen, und das %.Temperament ist immer dazwi-
schen. z.E. Ein Richter der keinen Character hat ist sehr schädlich. Wenn
einer zu ihm kommt und ihm seine gerechte Sache vorstellt, daß ihm z.E.
der andere das gefoderte bezahlen muß, so wird dieser Richter es erken-
nen, und für gegründet finden. Der Angeklagte kommt aber auch her-
nach zu ihm, überfällt ihn mit Trähnen und Seufzen, stellt ihm vor, wie
diese Bezahlung seinen gantzen Untergang nachziehen würde; so wird
dieser Richter diesem vieleicht recht geben, und die eigentliche Gerechtig-
keit verletzen; Wäre er aber von Character, so würde er sich gar nicht
an das Winseln kehren, sondern nach der Gerechtigkeit handeln; oder wenn
er recht, sein gutes Hertz offenbahren wollte; so würde er die Schuld des
Verklagten aus seinem Beutel dem Kläger bezahlen.

/ Eine

|P_119

/Eine Anlage zum Character ist angebohren, aber die Bestimmung dessel-
ben, nehmlich die Maximen bekommt man durch die Erlernung.

/Es kann einen Menschen geben, der einen Character hat, der noch unbestimmt
ist, weil er ihn noch nicht ausgebildet hat; dieser wird also bald gut, bald böse
handeln. Der Character muß erlernt werden, oder durch erlangte Begriffe
bestimmt werden.

/Dem Socrates, sagte einmahl jemand, daß er ein böses Gemüth habe;
worauf er sagte, ja, aber durch die Philosophie abgerichtet und gebessert. - 
Ein Mensch von festem Vorsatz, der ist auch vermögend nach Regeln zu handeln;
Die Macht der Regeln über die Triebfedern der Sinnlichkeit, ist eine Macht
des Verstandes; Es müssen einem solchen nur die Begriffe gereicht werden;
Ein Mensch allso bey dem es ausgemacht ist, daß er nach Grundsätzen han-
dele, kann durch den Unterricht leicht gut werden, und einen guten Charac-
ter erhalten; und also kan dieses auch vom Socrates wahr seyn. - 

/Es wird also erfordert, 1) daß ein Mensch einen Character habe, 2) daß
dieser Character bestimmt werde. Man muß sich bemühen, ihn einem
Kinde zu schaffen, und dieses geschicht, daß man es einiger maaßen in Frey-
heit setze, wo es selbst handeln kann; Es muß beständig angewöhnt wer-
den nach Regeln zu handeln; Es muß das was es verspricht erfüllen,
damit er eine Ehre darin setzt, seinen Grundsätzen treu zu bleiben,
doch so daß diese Grundsätze gut seyn müssen. Mit den Jahren kann man
die Begriffe cultiviren, und also den Character nach solchen Grund-
sätzen bilden, die von den Begriffen abgeleitet werden.

/ Ein

|P_120

/Ein Mensch ohne Character ist veränderlich, heute anders und morgen wieder ander@s.@
Ein Character hat immer etwas achtungswürdiges auch wenn er böse ist, denn
wir wissen, daß wenn er eine bessere Leitung bekommen hätte, so würde sein
Character gut geworden seyn. Wer keinen Character hat, kann auch nie ei-
nen guten erhalten.

/Cromvelle hatte gewiß einen Character; Er hatte sich aber in den Kopf ge-
setzt, daß die Regierung unter einem Monarchen schädlich wäre, und daß sie
unter Höhern Wesen stehen müste; und nach diesen Grundsätzen handelte er
beständig.

/Ehrlichkeit liegt im %.Temperament Redlichkeit ist aber im Character, und ein bestimm-
ter Character ist Rechtschaffenheit. Ehrlichkeit ist nichts anders als eine Einfallt
in den Handlungen, die aus der Unfähigkeit bestehen die künftigen Wege
des Betrugs zu gehen. Ehrlichkeit ist auch so viel, als eine Rechtmäßigkeit, mein
Verhalten durch die Ehre zu bewegen. Es liegt also auch im %.Temperament, daß ein Mensch
Niemanden die Unwahrheit sagt, weil er befürchtet wenn man die Unwahr-
heit entdecken würde, so würde man ihn beschämen.

/Die Ehrlichkeit aus dem %.Temperament hat nichts Unveränderliches; und man
kam davon nicht sicher seyn, daß diesem Ehrlichen nicht ein andrer Trieb an-
reitzen sollte z.E. Jemand wird mich aus Ehre nicht betrüben, aber wenn ich
jetzt, seinen Freund angreiffe; so k«ann»ommt hier ein andrer Trieb, und er wird
jetzt sich kein Gewissen machen mich zu betrüben.

/Die Ehrlichkeit liegt alsdenn im Character, wenn man seine Handlun-
gen um eines Vorsatzes Willen Erreichet; also muß hier ein Grund Begriff
seyn, d«ie»er zu seinen Maximen dient, und das ist die Redlichkeit; und wenn

/ nun

|P_121

/nun noch diese Maximen bestimmt sind, so ist das die Rechtschaffenheit. Einem
rechtschafnen Menschen traue ich das zu, daß wenn ich ihm etwas ins Geheim
entdeckt habe, und ich mich hernach mit ihm entzürne, er dieses nie aussagen
wird, denn sein Character leidet dieses nicht. - Der Ehrliche der etwas gutes
thut, ohne darauf zu sehen, ob seine Ehre verletzt wird, ist rechtschaffen.
Es giebt auch einen Unterschied zwischen schlechten und bösen Characters.

/Wenn man in Gesellschaft von einem etwas reden hört, so muß man
das dem andern dem es angeht, durchaus nicht verdecken; denn sonst wird
das Zutrauen in der Gesellschaft aufgehoben. Man findet bey Leuten
oft in ihrem Verhalten. Redlichkeit, in der Absicht, und Unredlichkeit in
den Mitteln; und dieses zeigt immer einen schlechten Character an.

/Der Character der Dinge ist, wodurch ein Gegenstand kenntlich wird;
oder wodurch der Begriff von ihm bestimmt wird. Eine Sache hat keinen
bestimmten Character, wenn sie mir keinen Begriff giebt, wodurch ich
sie von andern unterscheiden kann. Characteristisch ist allso das, wodurch
ein Begrif der Sache bestimmt wird. Bey dem Menschen finden wir man-
ches, was nicht zu dem Character gehört: als die Laune - diese ist ver-
änderlich - Die Anreitzungen - diese sind zufällig -. Wenn man
einen Menschen von Laune und Anreitzungen entdeckt, so hat der
keinen Character, oder man kann sich keinen bestimmten Begriff
von ihm machen; man hat keine bestimmte Regel dessen was man
sich von ihm zu versichern hat.

/Ein Mensch ohne Character kann sich selbst auch nicht viel zutrauen;

/ er

|P_122

/er hat auf seinen Entschluß wenig Rechnung zu machen. - Der sich nicht an Re-
geln in seinen Handlungen gewöhnt hat; oder der sich keine Anhänglichkeit
an Regeln angewöhnt hat; oder nicht nach Maximen zu handeln; von dem
ist es unmöglich sich einen Begriff zu machen, wie man seine eigne Hand-
lungen bestimmen könte; - Wenn ein Mensch sich nicht gewöhnt hat
nach Regeln zu handeln; so können wir ja auch bey ihm keine Regeln
bemercken.

/Es giebt nun einige die eine Anlage zu Regeln haben, und diese ha-
ben dadurch auch schon zugleich eine Anlage zum Character. Sanguinische
Leute, und überhaupt auch solche, die ein gut Hertz haben, haben keinen
Character; denn diese haben sich nie vorgesecht bey einer Regel zu blei-
ben.

/Die Anlage zum Character ist eine gewisse Stärcke des Verstandes
über sich selbst; oder der eine Anlage zum Character hat, ist ein Mann von
festem Verstande oder auch Sinn. Ein fester Sinn ist die Anlage zum Cha-
racter; ein Eigensinn aber ist nicht eine @f@esthaltung an Regeln, sondern
überhaupt bey dem was sich das erste uns eindrückt zu bleiben. Ein steifer
Sinn ist dem festen Sinn näher, drückt aber auch einen Stoltz aus.

/Wenn man nicht von seinen Regeln abgeht, wenn man auch sieht, daß der
Grundsatz falsch ist, ist eine Pedanterie des Characters.

/Die feste Anhänglichkeit an Regeln stimmt sehr gut mit der Nachlas-
sung derselben, wenn sie böse sind überein.

/Ein Character ist schlecht, wenn man zwar nichts böses zur Absicht hat;

/ in

|P_123

/in Ansehung der Mittel aber nicht den besten Weg befolgt.

/Ein schlechter Mensch ist der, so nichts Gekünsteltes an sich hat; im Soldaten
Stande heißt es aber ein Mensch ohne Ehre.

/Ein Mensch der ein Böses Hertz hat kann der auch einen guten Character
haben? Vom Socrates, wie schon gesagt, will man es behaupten; sonst ist es
schwer zu behaupten; doch ist es auch nicht zu leugnen; Denn sonst müste man
den Grundsatz annehmen, daß ein Mensch der einmahl böse ist, nicht gutes
mehr thun kann; denn das Gute muß allein aus dem Character herkommen.

/Ein Mensch von einem nicht guten Gemüth kann doch einen guten Cha-
racter haben; denn er kann bey dem allen doch nach Regeln handeln.

/Vom guten Character sollte man nicht sagen: ihn bilden, sondern grün-
den; man hat noch keinen Character, sondern muß ihn erst erwerben.

/Seine Gemüthsart muß man aber bilden und umbilden.

/Ein ehrlicher Mann handelt positive aus Ehre; negative, er handelt gut,
weil ihm Geschicklichkeit das Böse zu thun fehlt. Ein redlicher Mann han-
delt aber aus Gewissen.

/Rechtschaffen ist aber der feste Vorsatz im Handlen nach guten Regeln.

/Dumm und ehrlich kann noch wohl bisweilen zusammen stimmen,
aber nicht dumm und rechtschaffen, auch nicht einmahl dumm und redlich.

/Physionomie. Sie ist eine Geschicklichkeit, (Kunst kann man nicht sagen,
viel weniger Wissenschaft) aus den Gesichts-Zügen die Seele zu erkennen.

/Wieder die Möglichkeit der Physionomie hat man eingewendet.

/1) Es ist kein Zusammenhang zwischen Körperlichen Gestallten, und

/ Geistes- 

|P_124

/Geistes Eigenschaften.

/2) Es scheint eine Frechheit zu seyn, eine Anmaßung des Rechts des Men-
schen physionomisch zu urtheilen, weil jeder nur sich selbst kennen kann.

/3) Es ist lieblos. Denn keiner kann sich doch anders bilden, als er wircklich ist.

/4) Es lassen sich auch keine Regeln hier angeben, sondern alles kommt hier
auf den Eindruck an, und wo schon keine Regeln sind, da ist nichts Gewisses;
Aber auf der andern Seite ist jeder Mensch ein Physionomiste, und urtheilt
immer nach der Physionomie.

/Und Regeln müssen auch zum Grunde liegen, ob sie gleich nicht anzu-
geben sind, weil sonst das Urtheil vieler über eines Menschen Physiono-
mie nicht so übereinstimmig seyn könnte.

/Winckelmann sagt, das Urtheil über die Schönheit ist allezeit wollüstig.

/Diejenige, die unter dem weiblichen Geschlecht für häßlich gehalten
wird, würde, wenn sie als Mannspersohn erschiene, noch immer mittel-
mäßig aussehen.

/Bey der Schonheit der männlichen Gestallt, sieht man auf die Geschick-
lichkeit zu allen Geschäften; Daher «wo» <war> auch bey den Alten der Jüngling
das Ideal der Schönheit.

/Aus der Leibes Gestallt kann der Physionomiste, nicht viel urtheilen,
doch ist das Genie davon kenntlich. Denn die Natur scheint, daß sie etwas bey
Genie vollkommen ausgearbeitet habe, das übrige aber versäumt zu
haben. Wenn ein Mensch zu allem gleich gebaut ist; so ist er auch in allem
mittelmäßig. Daher haben auch die grösten Männer Fehler an ihren Gestal- 

/ ten

|P_125

/ten gehabt. Lavater giebt den Getzen-Kopf, für den Sitz der Physiognomie an,
weil dieser aber theils mit Haaren theils Perücken bedeckt ist, so bleibt nur das Ge-
sicht über.

/In dem Gesicht können wir unterscheiden, die Gesichtsbildung, und die Gesichts-
Züge.

/Die Gesichts-Züge sind vorläufige Anlagen, zu gewissen Dispositionen
des Gesichts. Sie liegen da, wo sich die Haut freywillig bewegt. Die Mienen
sind aber veränderlich, nach der Disposition des Gemüths.

/Wie man aus der Gesichts-Bildung und aus den Knorplichten Theilen
des Gesichts etwas erkennen kann, das scheint aller Vernunft zu wie-
dersprechen; Doch hat man einige Erfahrungen hiervon, z.E. Der Hubbel
auf der Nase zeigt etwas Spöttisches an.

/Alle Menschen unter allen Völckern, machen bey einerley Gemüths-
Bewegungen einerley Mienen, diese kann man ihnen ansehen, wenn
man auch ihre Sprache nicht kennt.

/Die Gemüths-Anlagen soll man aus dem Gesicht kennen lernen.
Der Characteristische Gemüthszug ist also nichts anders, als die Anlage des
Gemüths, die ich aus dem Gesichtszug kennen lerne. Aber das ist wenig
brauchbar: Denn diesen Zug zwingen die Menschen nur bey gewissen
Vorfällen, hernach verschwindt er wieder vom Gesicht.

/Das Talent wäre nur aus dem Profil des Gesichts zu erkennen: denn
ein Gedanckenloser Tiefsinn, sieht eben so aus, als ein Gedancken reicher.

/Die physionomischen Gesichts-Züge, sind nicht angebohren, sondern er- 

/ worben.

/Lage R

|P_126

/worben. Das Gesicht nimmt bey gewissen Handlungen, gewisse Minen an, und
die bleiben alsdenn auf dem Gesicht, und machen den Character der Physiono-
mie. Auch durch die Leibes-Gestallt, nimmt die Mine viel an; Eine Dreuste
und spöttische Miene ist nicht auszustehen. Die Jüdische läßt sich wohl in Gesell-
schaft sehen, weil wir doch mit solchen Leuten nichts zu thun haben. Die @N@icken
sind noch von den Tücken untersch«¿¿»ieden; das ist eine Art von hallstarrigem
Eigensinn.

/Auf der andern Seite giebt es wieder gutartige Züge. Das ist aber
nicht die freundschaftliche Miene, sondern an sich selbst gelassene ruhige
Miene. - Eine immer freundliche Miene affectirt, als wenn andere im-
mer auf sie Acht haben.

/Frauenzimmer die nicht zu viel Welt haben, zeigen beständig die
zu freundliche Miene.

/Man kann sich nicht auf gute Physionomie befleißigen; Der
Mensch muß sich nur in Ruhe des Gemüths bringen, und in sich ein allge-
meines Wohlwollen gegen alle unterhalten, so wird er schon eine gute
Meynung bekommen.

/Ein gewisser reisender bemerckt, daß <er> in allen Gefängnissen gefun-
den habe, daß Leute von dem grösten Verbrechen, Leute von starcken
Knochen, schwartzen Haaren etc, gewesen, und überhaupt alle eine
gewisse Ueberlegenheit über andere gehabt haben. Wenn dieses aber
zu weit ausgedehnt würde, so würde er sagen, daß die Jugend blos in
dem Bewustseyn seiner Schwäche bestehe. Der Mensch ändert oft durch

/ die

|P_127

/die Lebensart, und auch durch seine Laster, seine Gesichts-Züge, auch da-
durch sein Gemüth. z.E. wenn ein Mann schon oft ungestraft gezürnt hat, so be-
kommt sein Gesicht eine gantz andere Gestallt; wer wird aber leugnen,
daß sein Gemüth nicht dadurch auch sollte verschlimmert werden?

/Wenn jemand mit den Augen umher wirft; so kann man ihn für
zurückhaltend ansehen, und er muß etwas Böses gethan haben.

/Wenn Kinder ihren Eltern im Gesicht ähnlich sind, so werden sie auch
nicht im Character verschieden seyn. Und wenn sich 2 Persohnen heura-
then, es muß aber nur allein aus Liebe, und nicht aus andern Absichten
seyn, so wird sich immer in ihnen eine Ähnlichkeit im Gesicht finden. - 
Von der Ähnlichkeit der Gesichtszüge schließt man also auf die Ähnlichkeit
des Gemüths.

/Die Physionomie dient nicht so wohl zum Urtheil, als vielmehr
zur Aufmercksamkeit.

/Von einem Menschen der den Hubbel oben auf der Nase hat, sagt
man er ist stoltz, der ihn aber in der Mitte hat, sagt man er ist tückisch.

/%.Johannes Baptista Porta hat so gar zwischen den Gesichter der Menschen
und der Thiere eine Ähnlichkeit gefunden; ja er wollte so gar aus der
Kleidung auf den Character des Menschen schließen; und Lavater will
aus der Schreibart, und den Zügen der Hand, den Character bestimmen.

/Unter die Mienen gehört auch die Bewegung der Augen; als
das Schielen; Von einem der während daß er redet schielt ist es ausge- 

/ macht

|P_128

/macht, daß er lügt.

/Der Blick scheint mehr dem Character, und die Miene mehr das Tem-
perament zu entdecken.

/Erziehung und Stand, scheinen auch andere Gesichts-Züge zu bil-
den, z.E. Ein Mensch, der auf dem Lande erzogen, und hernach, und her-
nach in die Stadt kommt, wird doch noch immer etwas Bäurisches an
sich haben.

/In den frühern Jahren können sich Menschen einen Anstand
geben, den sie in künftiger Zeit behalten.

/Die Nationen unterscheiden sich auch an den Gesichts-Zügen;
Robertzon, in der Geschichte von America, sagt, daß die Americaner
ein rundes Gesicht haben, eine etwas flache Nase, die Spitze der Nase
herrunterhängend, die Stirn mit Haaren besetzt, und in ihren Augen
etwas Unempfindliches.

/Ein Mensch ist von starcker Constitution, wenn er eine starcke
Textur hat; er ist aber von guter, naßer, warmer Complection, we«m»nn
seine Mixtur so beschaffen ist. Kein Volck hat mehr Ausdruck im Ge-
sicht, als die Italiener.

/Lavater merckt an, daß ein Englisches Gesicht i«n»m Alter glatt
wird, da ein Deutsches im Alter Runzeln bekommt, woraus er
schließt, daß die Engländer nicht so viel Mienen haben, und also auch
einen hartnäckigen Character zeigen. Lavater merckt auch an,

/ daß

|P_129

/daß die Menschen im Tode immer schöner aussehen, als im Leben.

/Die Characterisirung der Völcker. Wir finden viele Bücher, die den
Character des Volcks vorstellen, denn wir haben einen Trieb in uns, von
allem das Characterische zu wissen; welches sich auch auf Nationen und
Völcker erstreckt. Das Characterische der Völcker ist immer eine nothwen-
dige Bedingung der Welt-Erkenntniß, und dieses ist auch der letzte
Endzweck bey allen Geschichten, die wir lesen, und bey allen Reisen,
wo wir Nationen kennen lernen.

/Wir finden hier 2 einander entgegen gesetzte Principia:

/1) Einige die «wir» <nur> blos dencken, und eben keinen Anspruch auf Gelehr-
samkeit machen, nehmen an, das wircklich in der Natur Anlage des
Volcks etwas sey, worin sie sich von andern unterscheiden, und daß
daher eine Verschiedenheit der Gebräuche, Sitten, so gar der Religion
herrühre, und daß dieses alles allso nicht zufällig sey, sondern in der An-
lage der Natur liegt; es findet sich hier aber eine Schwührigkeit.
Wenn ich eine gantze Nation nehme, so besteht die aus vielen 1000 Glie-
der. Es ist allso darinn eine große Mannigfaltigkeit der Charactere;
Wenn nun diese zusammen kommen, so verschwinden sie alle und
es bleibt nichts zurück; wie die Farben im Licht, wenn man die zu-
sammen auffängt, so bleibt keine Farbe, sondern es wird alles weiß.
Wenn aber ein gewisser Character dominirt, so muß er doch etwas her-
vor stehen, so wie auch bey den Farben, z.E. wenn die Gelbe besonders
starck ist, so so sticht die auch noch immer hervor, und das Weiße ist immer

/ mit

|P_130

/mit etwas Gelb vermischt:

/2) Andere leugnen wieder dieses alles, und sagen, der so genannte Na-
tional_Character, ist nichts als eine Gewohnheit, oder auch als etwas, das
blos von der Regierungsart herrührt, und sonst sind die Völcker sich einan-
der gleich. Diese gehen aber auch zu weit, und überhaupt beyde Parthey-
en sagen mehr, als sie wissen. - Die den National_Character leug-
nen sind überhaupt, wieder die Allgemeinheit der Regeln; die andern
sind aber für dieselbe. - Wir müssen uns doch immer bemühen, ob es
nicht in Ansehung des gantzen Volcks allgemeine Regeln gäbe; denn
die Regeln sind ja nur die einzige Stütze des Verstandes.

/Von den Engländern sagt man, sie haben keinen Character, aus-
ser, sagt ein andrer hier, wofern es dieser nicht ist, daß sie keinen haben;
wenn wir annehmen daß einzelne Persohnen Charactere haben, so
kann das allgemeine keinen bestimmten Character haben, und die-
ses zeigt an, daß eine unzähliche Mannigfaltigkeit der Theile ist.

/Ist die Natur überall einerley, oder sind die Verschiedenheiten
nur Verschiedenheiten aus Gelegenheits_Ursachen?

/Wenn das erste ist, so frägt man, ist etwas aus der allgemeinen Natur
des Menschen, als Menschen; so ist es bey allen einerley, es kann nicht un-
terschieden werden; ein Mensch ist ja aber auch unterschieden, nicht in An-
sehung dessen, was aus der Allgemeinheit, sondern was aus einem
Individuo entspringt.

/ Alle

|P_131

/Alle Verschiedenheit der Menschen, die ihnen angebohren ist, kommen aus Gelegen-
heits_Ursachen her. Die Gelegenheits-Ursachen sind. 1) physisch, die in den Einfluß
der materiellen Welt dringt, als das Clima. Diese physische Gelegenheits-Ursachen
sind wieder <a)> antiquatisch, wenn der Einfluß der Natur schon von alters her gewe-
sen ist. b) neutorisch wenn er ist jetzt eingedrückt worden. 2) moralisch, von dem
was die Freye Willkühr hervorbringt, hier wird man nicht sagen können es
giebt einen gewissen angebohrnen Character.

/Einige Autoren behaupten, daß die Verschiedenheit der Völcker aus morali-
schen Gelegenheits_Ursachen herrühren. z.E. Wir finden bey den Franzosen
einen Hang zur Lustigkeit, weil die Regierung klug genung gewesen, die-
ses so einzurichten, daß sie sie desto besser wieder anziehen können.

/Warum hat es aber die Regierung so eingericht, kann man hier fragen?
Ist der Regierer nicht einer von ihren Mitteln.

/Wir finden auch, daß wie die alten Schriftsteller ein Volck geschildert ha-
ben, noch bey ihnen statt findet, z E. Lachor die Gallier.

/Es giebt also Unterschiede der Natur aus Gelegenheits-Ursachen.
An einem Menschen bemercken wir zu unterscheiden, Geist, Instinct, Natu-
rel und Discipline, wovon die ersten 2 zur Thätigkeit, die andern 2 aber zur
Empfänglichkeit gehören; und von welchen immer das erste zum obern,
das andere aber zum untern Erkenntniß-Vermögen gehört. Bey allen
orientalischen Völckern finden wir, daß sie nicht Geist haben; Sie sind unfähig
nach Begriffen zu handeln, und nur allein nach Anschauungen. Ein orien-
talisch Großer Mann ist der Geld und Macht hat, er mag sie auch erhalten

/ haben

|P_132

/haben wie er will.

/In dem Asiatischen Welttheil finden wir bey den Nationen keinen Geist,
weil Instinct, wenig Naturell, aber mehr Discipline haben.

/Der Türcke hat Naturell und Instinct, aber nicht Geist und Discipline.

/Dem Americaner fehlt aber alles; und wir finden selbst bey Ihnen kei-
ne große Geschlechter Neigung.

/Wenn wir uns einen Reisenden vorstellen, der durch unterschiedne Län-
der reiset; so wird er dieselben allso finden, und so benennen; Er kommt zu-
erst in ein Moden Land (Franckreich) wo er viele Moden, viele Verände-
rungen, und viel Lebhaftigkeit antrift. Ein junger Franzose ist étourdie,
das ist, gantz ausschweifend, welches sehr an ihm getadelt wird, welches ihm a-
ber im Alter beliebt und angenehm macht. Die Conduite findet er hier vom
Niedrigsten, bis auf den Höchsten gleich; die alten Leute werden geschätzt;
Er findet eine Libertinage von Gesetzen, welche aber mehr im Sprechen
als im Handeln besteht; sie sprechen frech von Gesetzen und Religion, unter-
werfen sich aber doch den kleinsten Gesetzen, und den Abergläubigsten Re-
ligions-Gebräuchen; er findet eine Frivolité bey ihnen, die aus großen Din-
gen Bagatellen macht, und aus unbeträchtlichen, wichtige Sachen machen; die
Ernsthaftigkeit ist bey ihnen nur auf Kleinigkeiten gerichtet; die Popula-
ritaet unterscheidet sie von allen; Wir sind ihnen viele gute Sitten schul-
dig; z.E. das Frauenzimmer in Gesellschaft zu bringen; denn bey den Alten,
als den Grichen, wurden sie sehr eingezogen gehalten, dadurch haben wir
dieser Nation auch viel in der Moralitaet zu dancken; Es ist dieses auch

/ eine

|P_133

/eine Nation bey der wir Höflichkeit ohne Freundschaft finden; (die Freundschaft
ist etwas das uns einschränckt, denn wir sind an einen Freund gebunden, der Um-
gang überhaupt ist aber ausgebreiteter, diese Höflichkeit, ist sie gleich nicht mit
der Freundschaft zu vergleichen, ist viel ausgebreiteter und gangbahrer).
Diese Nation ist auch gesellig, aber nicht gastfrey; Eines Fremden, der von
einem Andern grob angefahren wird nehmen sie sich an, aber nicht so, daß sie
ihn z.E. zu sich bitten werden, sondern ihn nur vertheidigen. Alle ihre Schif-
ten sind populaire und Geschmack voll, dadurch ist aber auch eine gewisse
Seichtigkeit in ihnen. Sie unterscheiden ihr Land nur in die Haupt-Stadt
und Provinz z.E. wenn sie ein hübsch Mädchen sehen, so sagen sie, daß ist hübsch
genung für die Provinz.

/Aus diesem Lande kommt nun der Reisende in ein andres, das er das
Titel-Land, (Deutschland) nennt. Hier bemerckt er viel Urtheils-Kraft,
aber nicht viel Genie; zu einer jeden Unterscheidung des Standes haben
sie besondere Titel, also daß sie oft selbst in Verlegenheit kommen was
sie jemanden für einen geben sollen; Er findet eine Liebe nicht zu Moden,
sondern zu Gebräuchen; Eine große Anhänglichkeit an Methoden;

/Ihre Aufführung ist gezwungen, und ihr Umgang voller Ceremonien.
In ihren Schriften ist Arbeitsamkeit und Gründlichkeit, aber nichts Neues
und Geschmackvolles; auch nicht viel Gesprächigkeit ist bey ihnen.

/Hiernach kommt er in ein Land der Schlauen, der Räncke. (Italien.) Alle
Künste entstehen bey ihnen durch Illusionen; die Schauspieler und auch Bild- 

/ hauer

/Lage S

|P_134

/hauer sind in großem Ansehen; alle Formalitaeten gefallen, ohne daß sie eben
wichtig sind; viel Gravitation, viel ausgekünstelte Politic ist bey ihnen; Mißtrau-
isch auf Intriquen bedacht; voll Rachbegierde; viel Geist und empfindlich, das
aber alles nur auf das äußere, und nicht innere der Sachen geht; Man findet
viel Lotterien bey ihnen; die Schönen Künste haben alle ihren Sitz da.

/Er kömmt in das Land der Ahnen. (Spanien) Dieses hällt in allen Din-
gen auf das Alterthum; ihre alte Religion muß immer behalten werden,
und die gröste Ehre ist es, ein Alter Greiß zu seyn; Alle alte Gebräuche, sind ih-
nen lieb. Eine große Wiedersetzlichkeit, gegen das Neue, findet sich auch bey ih-
nen; die Faulheit ist bey ihnen zu Hause. Sie haben einen großen National-
Stoltz, und daher müssen sie auch faul seyn, denn alle Nationen die ihren
Stoltz im Bluth setzen sind faul; Gute Talente, einen festen Sinn und Groß-
muth der Seele ist bey Ihnen; Sie hängen auch noch mehr an Grundsätzen,
als das Moden Land. In ihren Schriften haben sie einen orientalischen
Schwulst.

/Hernach kommt er in das Land der Laune, (England,) auch nennt er es das Land
der Caractere, hier ist ein Mensch von dem andern unterschieden; keine große Ge-
selligkeit; aber nur Stoltz, da man sich nach keinem andern bequemet; Aus Ei-
nem so ausgebreiteten Stoltz da ein jeder seiner Meynung folgt, entspringt,
daß eine jeder seinen Grillen folgt, indem er darin seine Freyheit zeigt; Wenig
Geschmack viel Gründlichkeit; Alle ihre Producte haben eine gewisse Voll-
kommenheit, das Façon ist aber eben nicht schön bey ihnen; Es herscht bey ihnen

/ große

|P_135

/große Sinnlichkeit; Der Selbst-Streit wird bey ihnen sehr angetroffen, und
scheint eine gewisse Unbeugsamkeit der Natur anzuzeugen, sich nicht dem Schicksaal
zu unterwerfen, es kann aber auch von dem feuchten Boden herkommen, der
dem Bluth den Phlogiston entzieht, und also melancholisch macht. (Warum war
bey den Alten der Selbstmord so gerühmt? weil sie den wahren Geist der Sitt-
lichkeit nicht kannten).

/Er kommt in das Prahler Land. (Pohlen), hier herscht Verschwendung;
Man macht viel Staat, und seine Untergebene sind elend gekleidet; Weil
auf der Tafel, aber alles unrein, gegen Fremde großthuend, aber insolent;
Es wird viel von Freyheit gesprochen und doch verkaufen sie sie täglich, wenn
sie Gelegenheit haben.

/Endlich kommt er in ein Land der Tücken. (Türckey) Tücke ist ein ver-
borgner Haß, gegen den Obern; Nicke ist aber was anders, nehmlich ein ver-
borgner Haß, gegen den Befehl des Obern. Dieses ist ein schwer zu disciplini-
rendes Volck; Die Civilisirung geht langsam bey ihnen von Statten. Da
die Tücken einen Stoltz und Unbiegsamkeit anzeigen, so hat eine solche
Nation etwas an sich, was einen steifen Sinn verräth.

/Die Versuche Volcker zu Characterisiren, ist gar nicht aufzugeben, denn
man muß doch von allem eine Einheit haben, und die Natur specificirt sich auch
immer, das ist, weil das zusammen ist, macht eine gewisse gemeinschaftliche
Farbe aus.

/Vom Character des weiblichen Geschlechts. Man kann schon allgemein
vermuthen, wo die Natur den Grad der Kraft vermindert hat, sie desto mehr

/ Kunst

|P_136

/Kunst angeleget hat, um ein Gleichgewicht zu erhalten.

/Der Mann ist der Herr der Natur, daher die Frau, der Herr des Mannes.
Das weibliche Geschlecht scheint dazu erschaffen zu seyn, das männliche zu ver-
feinern.

/Diese Anlage ist bey allen allgemein; nur die Wilden excoliren sie
nicht, weil sie sich überhaupt nicht verfeinern, daher unterscheiden sich bey Ih-
nen die Weiber nicht anders von den Männern, als durch ihre feine Stimme.

/Bey Gelegenheit, (wie schon gesagt), daß im Franckreich die Frauen-
zimmer in Gesellschaft geführet werden, haben sie gantz Europa verfei-
nert.

/Das deutsche Wort Frauenzimmer, ist ein sehr unschicklicher Ausdruck;
Es kommt von dem Grichischen $Gynekoiytes$ her; Das war ein Zimmer im
Hause, welches für die Frauenzimmer angelegt war, wenn sie zusammen
kamen. Das Frauenzimmer laß dieß aber da«ß»s sagen; heißt also so viel:
Die Gesellschaft der Frauenzimmer. - Das Wort Weib ist in Deca-
dence gekommen, in England aber noch nicht.

/Indessen kann man doch auch ein Frauenzimmer ein schon Weib
nennen, denn da vergleicht man sie mit dem gantzen Geschlecht; Es sagt
also mehr, als eine schöne Dame.

/Die Weiblichkeiten heißen Schwächen, weil eben in diese die Na-
tur so viel Kunst gelegt hat, daß sie dadurch der Stärcke des Mannes ein
Gleich-Gewicht halten.

/ Einen

|P_137

/Einen Spott über diese Schwäche können sie wohl vertragen, weil sie doch
wissen, daß sie das männliche Geschlecht in Schlingen behalten werden.
Aber von einem verheyratheten Frauenzimmer zu sagen, sie sey galant,
das beleidiget sie.

/Eine vollkommne Vereinigung ist nur durch die Bedürfnisse möglich,
das hat die Natur aber bey Vereinigung beyder Geschlechter veranstaltet.

/Der Mann ist starck in Ansehung der Natur, aber schwach in Ansehung des
Weibes. Die Frau ist hingegen schwach in Ansehung der Natur, aber starck
in Ansehung des Mannes.

/Der Mann ist leicht zu versöhnen, und nachgebend, weil er bey seinen
Geschäften zu Hause sich erholen will, und er ist auch leichtgläubig. Die
Frau ist eigensinnig, beharrt auf ihren Sinn, und besonders beredt, dem
Mann etwas einzureden.

/Das weibliche Geschlecht sieht general gut aus, und hat dadurch Stärcke
über das Männliche.

/So hat es die Natur mit allem gemacht, was schwach ist, z.E. den Kin-
dern gab sie das schöne liebliche Ansehen.

/Die Furcht vor Gefahren ist das Characteristische des weiblichen Geschlechts,
selbst bey den Wilden. Die Absicht der Natur war dabey, daß sie die Nach-
kommenschaft in ihrem Schoose tragen sollen, wie denn die Erhaltung
ihre<r> Art, der Hauptzweck der gantzen Natur ist.

/Der Mann aber ist entschlossner, weil weil er die Geschäfte ausser dem
Hause fuhren soll.

/ Nach

|P_138

/Nach der Natur soll der Mann regieren, und die Frau herschen, denn
die Neigung herscht.

/Der Man regiert das heißt: Er muß sich überlegen, ob sich das schicke und
ob es geschehen kann, was die Frau verlangt.

/Eine Frau kann nicht gut ein Hauswesen regieren, aber wohl ei-
nen Staat, denn sie herscht, das ist, sie hat mehr Eindruck etwas auszu-
richten.

/Das Frauenzimmer hat nicht so viel Geschmack, als das männliche-
Geschlecht. - Geschmacks-Urtheil haben sie wohl mehr; andere zu be-
obachten, aber nicht so viel Geschmacks-Neigung. Sie sind selbst die
Gegenstände des Geschmacks.

/Hätten sie so viel Geschmacks-Neigung, als das «Weibliche-» <Männliche> Ge-
schlecht, so würden sie nicht so oft die häßlichen Gesichter der Mannsper-
sohnen wählen.

/In den Canarischen Inseln kann ein Frauenzimmer den Mann
suchen, aber dieser es ihr nicht leicht abschlagen, und wenn er es auch
thut nicht ublen Gebrauch davon machen.

/Der Mann wenn er verheyrathet ist, fragt nichts mehr nach dem
Beyfall des übrigen Geschlechts, die Frau aber bewirbt sich noch um
den Beyfall des gantzen Geschlechts, um damit, wenn der Mann stirbt,
sie nicht gantz verlassen seÿ. Hier hat allso die Natur provisorie ge-
handelt. Der Mann ist immer zärtlicher gegen seine Frau, als sie gegen
ihn.

/ Galant

|P_139

/Galant kann er wohl nicht immer seyn, aber active zärtlich, allen ihren Un-
gemächlichkeiten zuvor zu kommen. Die Frau ist nur passive zärtlich, emp-
findsam. Bey Entscheidung ihrer Zwiste, nehmen sie gerne eine Manns-Per-
son zum Richter. Man sieht daraus die Absicht der Natur, daß sie bey den Män-
nern bleiben sollen.

/Ob Frauenzimmer andere Geheimnisse leicht ausplaudern, weil
sie gerne reden mögen, so bewahrt doch keiner die eignen Angelegenhei-
ten so gut als sie.

/Durch die Heyrath verliert der Mann die Freyheit, die Frau bekommt
aber Freyheit. Bey ungleichen Heyrathen an Jahren, beherscht immer
der Jüngere Theil, den Ältern, und das rührt von der Eifersucht her; Daher
Heyrathet eine alte Frau auch nicht gerne einen jungen Mann, weil
die Frauens nicht über die Männer eifersüchtig seyn sollen.

/Character der Menschen-Gattung: oder der Begriff der menschlichen
Natur überhaupt. Es sind viele Schwürigkeiten, die sich bey dieser Aufga-
be befinden. Denn die Erscheinungen in gewissen Altern zeigen nicht,
wie der Mensch beschaffen ist, sondern nur wie die Anlagen zu der Zeit
und unter diesen Umständen beschaffen seyn werden. Sie lassen uns
nicht erkennen was für Keime in der Seele des Menschen verborgen lie-
gen. - Die Anlagen die in der menschlichen Natur zur Sittlichkeit
liegen, werden uns durch die Erziehung entdecket, aber wir können nicht
wissen ob nicht noch eine weit bessere Erziehung wird können erdacht wer- 

/ den

|P_140

/den, wodurch allso auch die Anlagen zur Sittlichkeit sich besser offenbahren
werden. Der Menschen Eigentliches, ist schwer herraus zu bekommen aus
der gegenwärtigen und vergangenen Erscheinung; Denn wir finden als-
denn doch nur blos die Beschaffenheit jetziger Anlagen.

/Den Character der Menschen-Gattung zu finden verstehe ich, ein Men-
schen-Alter mit dem andern vergleichen, und daraus zu sehen, was die
Bestimmung des Menschen sey. Denn wir können nicht sagen, wie es jetzt
ist, wird es beständig bleiben, das ist eben so, als wenn die Alten sollten ge-
sagt haben, wie es zu ihrer Zeit war, wird es allezeit bleiben, da der
jetzige Zustand doch gantz mit dem alten zugleich ist.

/Wir finden, daß es hier ist aus dem Phoenomenon, oder auch aus der
Geschichte, sich einen rechten Begriff von dem Menschen zu machen. - 
Aus verschiednen Umständen, können wir aber doch wohl bisweilen
gewisse Anlagen entdecken, und daraus schließen, worauf die Natur
mit der Menschheit abgezielt habe.

/Bey dem Geschlechter Triebe finden wir was wiedersprechendes. Ein
Mensch ist doch ein Kind, so lange er sich noch nicht selbst ernähren kann,
und er ist ein Mann, wenn er seines Gleichen fortzupflantzen im Stan-
de ist. Die Mannheit findet sich aber schon zu der Zeit, als bey nordischen Völ-
ckern im 16ten Jahr, wo sie noch nicht im Stande sind, weder sich selbst, noch
ihres Gleichen zu erhalten und zu ernähren. Ist dieses aber nicht ein
Wiederspruch; Seines Gleichen fortpflantzen können und doch nicht

/ dürfen?

|P_141

/dürfen? Im Stande der Natur finden wir dieses nicht; Die «w»Wilden werden sich
nicht eher begatten, als sie wissen, daß sie ihre Kinder ernähren werden. In
dem gesitteten Stande, kommt dieses zum theil von den bürgerlichen Ge-
setzen her. Es wird allso einmahl eine Zeit kommen, wenn dieser Wie-
derspruch nicht mehr statt finden wird.

/Ein jedes einzelne Thier erreicht die Bestimmung seiner Natur; dage-
gen jeder einzelne Mensch erreicht die Bestimmung der menschlichen
Natur nicht, sonden nur die gantze Menschen-Gattung ist so angelegt,
daß sie die Bestimmung erreichen kann.

/Der Wilde erreicht der seine Bestimmung? Nein, ja nicht einmahl
die Bestimmung eines Thiers. Die Menschen in Deutschland, erreichen die
sie? Auch nicht. Ein jedes Thier erreicht sie aber, die gantze Gattung wird
aber nicht verändert; der Mensch allein erreicht sie nicht, seine Gattung
nähert sich aber immer näher seiner Bestimmung.

/z.E. Eine jede Biene wird gebohren, lernt Zelle machen, Honig verfer-
tigen und Stirbt, und so ist sie zu dem höchsten Grad ihrer Bestimmung ge-
kommen. Dieses hat aber die Biene so wohl von Anfang der Welt als
noch jetzt gethan; also verändert sie sich gar nicht.

/Bey den Menschen ists aber gantz anders. Die alten und ersten Zei-
ten waren weiter von ihrer Bestimmung entfernt, als die Folgenden,
und in der letzten Zeit scheint es dem Menschen vorbehalten zu seyn,
seine Bestimmung erreicht zu haben. Kein Mensch kann sich aber des-
wegen über die Vorsicht beschweren, daß sie ihn nicht so glücklich ge- 

/ macht

/Lage T

|P_142

/macht hat, diese Bestimmung zu erreichen. Er ist eben so glücklich; indem
der Begriff der Glückseeligkeit eben so ändere, je näher die Menschen-Gat-
tungen zu ihrer Bestimmung kommen.

/Wir finden Völcker die in der Vollkommenheit der menschlichen Natur
nicht fortzuschreiten scheinen, sondern einen Stillstand gemacht haben, da
andere, als in Europa immer fortschreiten.

/Wenn die Europaeer nicht America entdeckt hätten, so würden die
Americaner in ihrem Zustande geblieben seyn. Und wir glauben, sie
werden auch jetzt zu Keiner Vollkommenheit gelangen, denn es scheint
sie werden alle ausgerottet werden, nicht durch Mordthat, das wäre
grausam! sondern sie werden aussterben. Denn man rechnet jetzt nur
noch den 20ten Theil von allen vorigen Americanern. Da sie immer
einen kleinen Theil behalten, indem ihnen die Europaeer vieles
wegnehmen, so wird unter ihnen Selbst-Streit entstehen, und sie wer-
den sich einander aufreiben.

/China und Indostan ist ein Land, in dem viel Kunst, und auch ein
Analogon von Wissenschaften ist; ja welchem Lande selbst wir vieles
schuldig sind. Wenn wir dieses Volck betrachten, so fragen wir, ist es
schon an die Grentze seiner Bestimmung gekommen? Wir haben
zu vermuthen, daß es nicht weiter fortrucken werde, indem es ihm
am Geist fehlet.

/Die Grichen hingegen war ein Volck, welches immer näher seiner
Bestimmung kam; von denen es denn die Römer, und ferner die Gal

/ lier

|P_143

/lier, und also auch Deutschland bekommen hat. Daraus daß jeder einzelne Mensch
seine Bestimmung hier nicht erreicht, geht ihm, wie schon gezeigt, nichts von
seinem Glück ab; aber es läßt sich daraus, mit vieler Gewißheit, auf ein an-
der Leben schließen. Man sieht zwar, daß die Menschen zusammen immer
näher zu ihrer Bestimmung kommen, aber nicht weniger zeigt es sich
auch, daß sie oft wieder in ihre Bestimmung fallen. Was soll man hievon
halten? Dieses ist nur ein scheinbahrer Vorfall, denn es ist immer ein
Mittel zu einer desto größern Steigerung.

/Es giebt einige welche ge«@b\l@»glaubt haben, daß schon einmahl ein völlig
vollkommner Zustand der Welt gewesen, der aber wieder angefangen
hat abzunehmen; welches aber keine Wahrscheinlichkeit hat; denn wie
ist es möglich, daß die Barbarey sich wieder gantz einschleichen sollte,
wenn ein Volck einmahl cultivirt ist?

/Ein Mitglied Parisischer Academie, giebt in einem Brief d'histoire
ancienne Ursachen an, daß die Wissenschaften nicht aus China und
Indien, sondern aus Länder, die diesen gegen Norden liegen herge-
kommen seyn; wozu ihm die Astronomie Gelegenheit zu muthmaßen
giebt. Er sagt das Volck, von dem China und Indien alles gelernt haben
muß in oder bey Siberien liegen, welches er aus der Cerda Vesta
muthmaßet.

/Von den Grichen kann man sehen, daß sie von ihren nordischen
Völckern der Thraciern civilisirt worden sind.

/Bey allen Völckern finden wir einige Begriffe von der Dreyfal- 

/ tigkeit;

|P_144

/tigkeit; (quod notandum est) denn es haben sich alle Gott vorgestellt; als Ge-
setzgeber, als einen gütigen Regierer, und als einen gerechten Richter. Die
Indianer haben ihren Brama, Wistnur und Ruddir_Sita. Ihr Brama hat,
weil es 4 Elemente giebt, 4 mahl die Welt umgeschaffen und jetzt leben
wir in der Letzten.

/Die Perser haben wieder ihren Oramestes, Mitra und Ariminem. Die
alten Celtischen Völcker, haben nur immer einen Gott angebethet, und
alle Tempel der Götzen zerstöhrt.

/Wenn ein Mensch sich genau untersucht, so scheint es, daß er auf 4 ge-
hen sollte, welches besonders die Lage seines Hertzens, und noch besser
die Lage des Embryo in Mutter Leibe zeigt.

/Die Americaner haben solche Beziehungen in ihrer Natur, daß sie
jetzt nicht mehr vollkommen werden sollen.

/Die Negers sind aber auch keiner weitern Civilisirung mehr fähig:
aber doch haben sie Instinct und Discipline, welches den Americanern fehlt.
Die Indianer und Chineser, scheinen jetzt auch in ihrer Vollkommenheit
still zu stehen; denn ihre Geschichtbücher zeigen, daß sie jetzt nicht mehr wis-
sen, als was sie schon lange gewust haben.

/Worauf beruhet denn die Erreichung der letzten Bestimmung der
menschlichen Natur? Das allgemeine Fundament ist die burgerliche Ver-
fassung; die Vereinigung der Menschen zu einem Gantzen, welches zur
Erreichung aller Ausbildung der Talente dient, und daß auch eine dem
andern die Freyheit zur Ausbildung giebt, dadurch geschicht es, daß die

/ Anlage

|P_145

/Anlage der Talente entwickelt werden, und dadurch wird der Mensch aus sei-
ner Thierheit erhoben. Hier aber flößet ein Glied dem andern schon eine Voll-
kommenheit ein, die das andere desto besser ausbilden kann.

/Wenn die menschliche Gesellschaft vollkommner wird, so wird dieses auch
zugleich die Menschheit mit; bis die bürgerliche Verfassung das gröste Ziel
erlangt hat, so wird alsdenn auch die höchste Entwickelung der Anlagen in der
Menschheit sich zeigen. Daß die Menschheit dieses Ziel niemahls erreichen wird,
dazu haben wir große Vermuthung; Denn wir finden in uns selbst ein Ideal
dem wir uns immer bemühen näher zu kommen, jetzt es aber noch nicht er-
reicht haben, weil wir uns noch immer Reprochen machen, die da zeigen,
daß wir vollkommen werden können, denn wäre dieses nicht, so könten
wir uns keine Vorwürfe machen.

/Vom Ursprung des Guten aus dem Bösen: Ubel ist das, was wir physisch
verabscheuen. Böse aber was der Verstand verabscheut, und die Laster
sind nur allein böse, hingegen alle Schmertzen ein Ubel. Vom Ubel
fängt alles an und mit ihm vermengt sich was böses. Dieses Böse ist aber
die gelegentliche Ursache, wodurch etwas Gutes erweckt wird. Wenn die
Menschen unter der Pflege der Natur geblieben wären, wenn sich ih-
nen alles freywillig darböthe, so wären auch alle in der Stupiditaet
geblieben, und würden zum wenigsten, nur ihren Thierischen Genuß et-
was verfeinert haben. Die Vorsehung hat aber gewollt, daß wir in einer
Welt leben sollen, wo wir nur durch Bemühung uns was verschaffen

/ können.

|P_146

/können. Aus diesem Gesichts-Punct, hat auch philosophisch betrachtet der Fall
Abend viel nützliches an sich; denn vorher mißbrauchte der Mensch nur seine
Vernunft, da er alles im Überfluß hatte. In dem Zustande des Überflußes
muß der Mensch angesehen werden wie ein verwehntes Kind, welches
gar keine Vielheit kennt. Es wurde dem Menschen gesagt; er sollte ar-
beiten auch sterben, damit er seine Bemühungen bescheinigen möchte.
Bey sehr lange«n»m Leben möchte mancher, der jetzt vor dem Laster zittert,
weil er nahe am Grabe ist, weit mehr Laster ausüben.

/Hier ist allso ein Ubel aus welchem Gutes entsteht; Die Mühseligkeiten
des Lebens sind die Triebfedern zur Entwickelung der Talente.

/Die Uebel dienen noch nicht völlig zur Entwickelung der Talente. Der
Mensch muß allso noch ein Böses an sich haben, was er einem andern an-
thut, und daß eine Triebfeder zur Entwickelung der Talente abgiebt.

/Das Böse bey dem Menschen ist nichts anders, als die Thierheit mit
der Freyheit verbunden, so fern nehmlich die Freyheit unter keine
Gesetze gebracht ist. Die Thiere sind blos unter den Natur-Gesetzen;
Der Mensch hat auch Thierheit, er ist aber auch frey; er ist also unter
keinem Gesetze; Weil nun also unmöglich seine Wahl, mit andrer
ihrer übereinstimmt, so entsteht Uneinigkeit und Zanck. Wenn nun
die Menschen so bey einander im gesellschaftlichen Zustande wären,
so müste bald eine Furcht unter ihnen einer vor dem andern entste-
hen; daraus möchten nun zuerst Gewaldthätigkeiten und Krieg ent-
stehen. Dadurch, daß sich einer vor dem andern fürcht, werden aber die

/ Menschen

|P_147

/Menschen auf dem Erdboden verbreitet. Denn wir finden auf allen Inseln, die durch
die weitesten Seen abgesondert sind Menschen, und wissen nicht wie sie dahin gekom-
men sind. Da die Menschen also, einer zu dem andern ein Mißtrauen «er»hatten,
so haben sie die Erde bevölckert.

/Den vornehmsten Erfolg, welches das Böse der Ungeselligkeit hatte, war der
Anfang zu bürgerlichen Gesellschaften. Da die Menschen sich nicht vertragen
konnten, und auch keine Sicherheit einer für dem andern hatte; so war das näch-
ste Mittel, sich mit einander zu verbinden; und damit sie so wohl wegen ihres Ei-
genthums, als auch wegen ihrer Persohn sicher waren, so haben sie ihre Freyheit
abgelegt, und einen gesellschaftlichen Zwang angenommen; sie wählten sich
einen Menschen, der Gesetze geben und auch richten sollte, und uns zur Haltung
des Gesetzes zwingen, und uns dafür Sicherheit verschaffen.

/Hiemit war auch nothwendig die Entwickelung aller Talente und die Grün-
dung zu einem guten Character verbunden.

/Entwickelung der Gattungen der Künste. Die Sprache kann man
wohl ansehen als ein allmähliges Entstehen, denn durch sie sind wir allein im
Stande uns Begriffe zu machen.

/Zu einem großen Vortheil und Anwachs des menschlichen Geschlechts gehört
das Haus«weh»«<Reh>»<Vieh>; die Menschen haben den Nutzen, von ihm, daß sie ausser ihrer Ar-
beit uns thun, und «uns» <noch> zur Speise nützlich sind. Es ist zu verrmuthen, daß wie einige
wollen, man vom Schaf den Anfang soll gemacht gaben, und man hat das we-
gen den Jupiter_Annon zum Andencken der Erfindung des Schafs mit einem
Schafs-Kopf, wie den Spis zum Andencken der Erfindung des Rindviehs mit

/ einem

|P_148

/einem Ochsen_Kopf abgebildet. Das Wahrscheinlichste ist es aber wohl, daß man
vom Hunde angefangen hat, weil dieser schon an sich selbst eine Neigung da-
zu hat, und wenn ein Mensch nur erst diesen hat, so hat er auch zugleich andere;
Der Hund scheint gleichsam immer bereit zu seyn die Befehle seines Herrn
zu erfüllen; vermöge des Geruchs spührt er alle andere Thiere auch aus
und zeigt sie dadurch seinem Herrn.

/Als der Mensch anfing zu schlagen, so scheint er erst sein Eigenthum besser
bestimmt zu haben; er muste sich Grentz Steine machen: und unter allen
diesen Folgen ist das Schönste der Ackerbau.

/Die Vertheilung der Arbeiten untereinander. Denn desto roher ein
Mensch ist, desto lieber will er auch alle Arbeiten über sich nehmen, und denn
können sich diese Arbeiten sich keinen großen Fortgang getrösten, wenn sie
aber vertheilt sind; so kann ein jeder seinen besondern Theil bearbeiten.

/Die Erfindung der Schrift. Dieses ist eine Verknüpfung der Geschlechts-
Folge, und eine Gemeinschaft in der Ferne.

/Die Posten; Aus Mangel der Posten geschahe es, daß man sehr vieles aus
fremden Gegenden nicht hörte, indem es sehr viel Zeit erforderte ehe ei-
ner wieder von da zurück kam, jetzt fehlen wohl keine mehr, und hiezu
kann man auch die Zeitung nehmen.

/Die Erfindung des Geldes. Dadurch ist die Vorkehr sehr befördert wor-
den. Glückfeld der Wechsel. (Die in Venedig soll erfunden seyn.)

/Die Buchdruckerey. Dieses war ein Mittel der Vervilfältigung
der Mittel, und also zeit richtig gewesen, ausser daß sie jetzt verdächtiger

/ wird

|P_149

/wird, indem zu viel Schriften an das Licht kommen.

/Der Compas; Es ist das Mittel die Länder die durch die Meere getrennt
sind zu verbinden.

/Die Sicherheit des bürgerlichen Zustandes durch stehende Armeen.

/Die Kanonen und das Pulver; welche ein Hinderniß sind, daß die Völcker
nicht aus ihrer Sicherheit getrieben werden.

/Gedancken des Rousseau. Er hat ein Buch geschrieben, welches viel
Aufsehen gemacht hat; betittelt von der Ungleichheit des Menschen; in
welchem viel Misantropie aber aus Wohlwollen herscht. Er zeigt daß er-
schröckliche und unertragliche im bürgerlichen Zustand, und hingegen das
Angenehme, im rohen Zustand. Dieses muß man aber nicht so verstehen, als
wenn er den rohen Zustand einer jeden bürgerlichen Verfassung vorzieht;
sondern er zeigt nur: daß unsere jetzige bürgerliche Verfassung der
menschlichen Natur weniger angemessen ist, als der rohe Zustand, in dem
wir vorhero gewesen, und wenn wir nicht Hofnung hätten weiter zu
kommen, so rathet er an, daß man wieder umkehren und in den Stand
der Natur gehen sollte. Er behauptet also gar nicht, wie einge glauben, daß es
die Bestimmung des Menschen wäre in den Wäldern zu leben.

/Ist der gesittete Zustand, denn dem Menschen angemessen? Wenn wir seine
Talente betrachten, die in ihm liegen, und die bis jetzt sind ausgewickelt wor-
den, so können wir immer mit Recht behaupten, daß der Mensch im Stande
der Rohheit zu dieser Ausbildung noch nicht gekommen wäre. Wenn wir aber
den Menschen von der andern Seite seiner Thierheit betrachten, so thun wir

/ der

/Lage U

|P_150

/der Natur Abbruch.

/Rousseau zeigt wie eine bürgerliche Verfassung seyn muß um den gantzen
Zweg der Menschen zu erreichen. Er zeigt wie Jugend muß erzogen werden
um diesen Zweg der Natur vollkommen zu erfüllen. Er zeigt in welche Ver-
fassung verschiedne Völcker treten müssen, damit die vielen barbarischen Krie-
ge in freundschaftliche Streite gerathen. Er zeigt also überhaupt, daß in uns
die Keime der Ausbildung zu unserer Bestimmung liegen; und daß wir des-
wegen die bürgerliche Verfassung nöthig haben um die Zwecke der Natur zu
erfüllen; Wenn wir aber in der bürgerlichen Verfassung jetzt stehen bleiben,
so wär es besser in den Stand der Wildheit zu kehren.

/Der Mensch war offenbahr nicht gemacht, daß er in Wäldern herrumschweif-
te; sondern in Gesellschaft zu leben. Die Gesellschaft hat ausser der Cultur noch
dieses an sich, daß einer dem andern disciplinirt, und dadurch hemmen wir
die Uebel die unsere Fortschritte zur Vollkommenheit aufhalten können@.@

/Die bürgerliche Verfassung, entsteht aus Freyheit, Gesetze, und Gewalt.
Freyheit ohne Gesetze ist Anarchil (der Stand der Wildheit.) Freyheit und Ge-
setze aber keine Gewalt; das könnte nur bey lauter gutartigen Men-
schen stattfinden. - Gewalt und Gesetze ohne Freyheit ist Desputismus. - 
Gewalt ohne Gesetze und Freyheit ist Tyranney.

/Wenn das menschliche Geschlecht seiner Bestimmung näher kommen soll.
so gehört dazu, eine vollkommne %.bürgerliche Verfassung, gute Erziehung, und
die besten Begriffe in der Religion -.

/Finis Antropologiae