Handschriftlicher Text in einem durchschossenen Exemplar der ersten Auflage (1798) von
Immanuel Kant's »Anthropologie in pragmatischer Hinsischt« im Besitz von Herrn
Wolfgang Benn (Weinheim). Nach freundlicher Auskunft von Herrn Benn, sind die Eintragungen
von der Hand von Karl Ludwig Fernow (1763-1808). Die Transkription wurde anhand einer
Serie von Xerokopien des Originals unter Benutzung einer von Herrn Benn stammenden
Abschrift angefertigt. Die Zahlenangaben nach Seite beziehen sich auf die Original-ausgabe
von 1798, wobei das Hochkomma andeutet, daß es sich jeweils um eine
Durchschußseite handelt. Tiefgestellte [Blaue] Ziffern
[mit vorgestelltem α] verweisen auf einen - vorläufigen - Kommentar.
Werner
Stark, Juli 1995
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Diese erste Schwierigkeit läßt sich heben, dadurch, daß man entweder der Verlegenheit des Blöden mit Zutrauen und Offenheit begegnet, wodurch er selbst zutraulich und offen wird; oder daß man der Verstellung und Verschlossenheit des Vorsichtigen Verstellung entgegen setzt, daß man sich stellt als ob man keine Absicht habe ihn zu beobachten und ihn beobachtet, wenn er unbemerkt zu seyn glaubt. Eine Verstellung, die nicht unerlaubt ist, weil sie ihm keinen Schaden bringt und weil er selbst uns dazu nöthigt, ihn auf diese Weise zu studieren. Das Studium Anderer ist eine Pflicht gegen uns selbst.
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Diese zweyte Schwierigkeit kann nur durch eine, vermittelst langer Übung zur Fertigkeit gewordene, Beherrschung seiner Selbst durch Grundsatze, gehoben werden. So wird es uns möglich, von dem höheren Standpunkte, auf den die stete Besonnenheit uns erhebt, unsern Gemüthsbewegungen und dem Spiele der Leidenschaften zuzusehen und die Triebfedern, auch während Sie würken, zu beobachten. Wer sich in Besonnenheit erhält, erinnert sich seines Zustandes auch nach heftigen Gemüthsbewegungen sehr wohl, er ist also fähig über sich zu reflektiren, sobald diese sich gelegt haben.
Angewöhnungen laßen sich wohl am besten durch Aufmerksamkeit und Beobachtung seiner Selbst und unpartheyische Vergleichung mit Andern, wenigstens in so fern verhüthen, daß man in keine solche verfällt, welche uns nachtheilige Urtheile von Andern zuziehen könnten; ferner dadurch, daß wir uns frühe, unter was für Ort und Zeitumstände wir auch leben mögen, zur Pflicht machen unser Leben nach <vernünftigen> «¿¿¿¿ssen» Grundsätzen zu regeln; der gestalt daß wir uns zwar den Sitten und Gebräuchen derer, unter denen wir leben, der Klugheit wegen, anbequemen, aber ihnen nie Herrschaft über uns gestatten. - Der Beobachter des Menschen prüft seine Beobachtungen dadurch, daß er sich mit andern und andere mit sich vergleicht; dadurch sichert er sein Urtheil für Einseitigkeit.
Um zur Kenntniß seiner selbst leichter zu gelangen räth α_001_Kant, daß man damit anfange andere zu beobachten, weil man dabey mit der nöthigen Ruhe des Gemüths zu Werke gehen kann, und daß man dann gelegentlich die gemachten Reflexionen auf sich anwende. (So wie der Mensch auch in seiner Ausbildung damit anfangen muß, daß er bemerkt was andere thun und dieses nachahmt. Ist er dann erst im Besitz gewisser Bemerkungen, so kann er sich, wenn sein Gemüth in Thätigkeit ist, darnach leichter beobachten. Der Umgang mit vielerley Menschen und Ständen ist also eine der Hauptquellen der Anthropologie. Aber hier zeigt sich eine andere Schwierigkeit; je nachdem man mit rohen oder kultivirten Menschen zu thun hat. In rohen
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Menschen ist die ganze Menschheit noch nicht entwickelt, weil sie noch nicht Gelegenheit gehabt haben, alle ihre Anlagen auszubilden. Beym gesitteten Theil hingegen findet man, daß mit der Kultur auch die Verstellungskunst zunimmt, u. daß man hier nicht nur dissimulirt (verhehlt) sondern auch simulirt (das Gegentheil von dem zeigt was man ist). Der Beobachter civilisirter Menschen muß selbst civilisirt seyn, und den allgemeinen u. eigenthümlichen Charakter des Standes dessen Individuen er studiren will kennen, u. diese Kenntniß kann er wiederum nur aus dem Studium vieler einzelnen schöpfen. Alles dies macht das Beobachten und die Kenntniß der Menschen allerdings schwer. -
α_002_Plutarch sagt in seiner Zuschrift an den Trajan: "an den mehrsten Thaten hat das Glük einen sehr großen Antheil, da hingegen die Reden und Aussprüche bey den Handlungen, Leidenschaften u. Glüksfällen die Denkungsart eines jeden so deutlich als einen Spiegel darstellen". - Die Reden des Menschen allein sich am unzuverläßigsten, weil man nicht weiß ob sie denken wie sie reden u. ob sie so handeln werden. Zuverläßiger sind die Handlungen; allein man kann die Triebfeder derselben nicht sehen, blos die That u. den Erfolg, woran immer auch der Zufall Antheil hat; man kann nicht wissen ob sie aus guter oder aus böser Absicht geschehen. «Demnach» Man gründet also sein Urtheil über einen Menschen auf seine Thaten, nicht auf seine Worte; diese sind blos Theorie, die er erlernt haben kann u. die blos in seinem Verstande lebt, ohne auf seinen Willen Einfluß zu haben; jene aber machen die Praxis aus. Wo beyde zusammen stimmen, da sind wir der Wahrheit unseres Urtheils gewisser, u. die Rede ist gleichsam der Commentar zur Handlung. Aber die Verstellungskunst weiß auch diese Zusammenstimmung nachzuahmen. Schwerer täuscht das Äußere der Menschen, Physiognomie u. Mienenspiel; aber ihre Auslegung ist schwankend, u. es kommt dabey eben soviel auf den Ausleger mit an, was für Erfahrungen er gemacht hat, was er selbst für eine Gesinnung besitzt; aber auch seine Mienen u. Gebehrden kann der Heuchler endlich in seine Gewalt bringen u. dann ist alles Verstellung an ihm; er ist wie α_003_Schiller sagt, wie ein versiegelter Brief. Das beste Mittel zur Beurtheilung der Menschen ist also, daß man sie oft u. lange beobachtet u. aus ihrer ganzen Erscheinungsart aus ihrem Betragen Reden u. Handeln in einer Menge von Fällen ein Resultat zieht. Dies wird selten trügen.
α_004_Göthe sagt in der Vorrede zu den Propyläen eben so wahr als schön: "Wer bescheidet sich nicht gern, daß reine Bemerkungen seltener sind als man glaubt? Wir vermischen so schnell unsere Empfindungen, unsere Meynungen, unser Urtheil, mit dem, was wir erfahren, daß wir in dem ruhigen Zustande des Beobachters nicht lange verharren, sondern bald Betrachtungen anstellen, auf die wir kein größer Gewicht legen dürfen <als> in so fern wir uns auf die Natur und Ausbildung unsers Geistes einigermaßen verlassen möchten." -
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Man findet diese kindische Art, in der dritten Person von sich zu reden auch zuweilen in Dichtern, besonders im Ossian nachgeahmt.
Man nennt das erste Viertel Jahr der Kinder, wo sie zwar schreyen, aber weder lachen noch weinen u. überhaupt wenig Zeichen der Wahrnehmung von sich geben, auch wohl das dumme Vierteljahr.
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α_005_"Ein Egoist im Umgange ist der, welcher immer Gelegenheit nimmt von sich zu reden oder sich zu zeigen. Dies ist Mangel an Lebensart. Die Selbstliebe Anderer erfodert, daß wir uns des so oft emporsteigenden Ichs in Gesellschaft mit anderen enthalten. Jeder Mensch hat die Neigung sein Ich lautbar werden zu lassen, denn jeder bezieht den Gegenstand der Unterhaltung zuerst auf sich. Wenn aber jeder dieser Neigung freyen Lauf ließe; so würde die Unterhaltung keinen Zusammenhang haben. Wie sehen uns also gegenseitig genöthigt unsere Selbstsucht zu bändigen, u. der Mensch von guter Lebensart wird lieber Andern Anlaß geben, ihr Ich leuchten zu lassen, u. da ihm von anderen das selbe geschieht, so ist seine Aufopferung eben so groß nicht, und sie wird ihm überdies noch durch die vortheilhafte Meinung der andern, die seiner Eigenliebe schmeichelt, vergolten. α_005a_Der engl. Zuschauer sagt: der Unterschied zwischen einem Narren u. Klugen besteht nur darin, daß der Narr laut denkt, was der Kluge zu verbergen sucht; u α_005b_Helvetius sagt, wer in der Welt für einen Klugen gelten will, muß andern Gelegenheit geben, ihn Klugheit zu zeigen. Der Egoist des Umgangs ist ungezogen.
Zum Egoism in weiterer Bedeutung gehört auch der sogenannte esprit de corps, der Standes- Zunft- Ordens- und Sektengeist, der Nazionalegoismus pp, der seinen Stand u. Orden, seine Zunft oder Sekte, oder Nazion«¿¿» für die erste hält u. vor allen geltend machen will. Dieser Egoismus ist weit drükender als der Egoismus einzelner Thoren, denn er wirkt in Masse, und hält sich für privilegirt sein Recht überall zu verfechten u. wie ein irrender Ritter jeden friedlichen Wanderer auf offener Heerstraße mit eingelegter Lanze zu nöthigen, daß er seine Dulzinea für die schönste Dame auf Erden anerkenne. Von der Art ist der Zunftgeist in vielen deutschen, vornehmlich Reichsstädten, der militairische Geist, der Studentengeist der Universtitäten, der Kaufmannsgeist in Handelsstädten; der Nationalegoismus des englischen hohen und niedern Pöbels.
Seit einiger Zeit, wo auch der Adel anfängt, das Urtheil der Menschen zu achten u. auf Geisteskultur einen Werth zu legen, ist es ihm Sitte geworden, daß er sich gegen den bürgerlichen Stand nicht mehr <so> stolz u. anmaßend als ehemals, sondern höflich und leutselig beträgt, und sein Vornehmes Wesen in entgegenkommende Gefälligkeit kleidet, wenn gleich noch oft hinter dieser Decke der hoffärtigste Adelstolz lauert. Genug gewonnen, wenn er sich nicht <mehr> in seiner wahren Gestalt zu zeigen getraute! Mit der Zeit geht der Schein in Wahrheit über. Man nennt das höffliche u. leutselige Betragen des Vornehmeren gegen den Geringeren herablassend. Nur der welcher schon durch Geburt über andere erhaben ist, der Vornehme kann sich herablassen. Daß der Vornehme sich herabläßt, daran ist vornehmlich die Eitelkeit schuld; der selbstgenügsame Stolz u. der Hochmut lassen sich nicht herab, denn sie verachten das Urtheil derer, die nicht ihres Ranges sind. - Leutseligkeit ist ein liebreiches Betragen Höherer gegen Menschen geringen Standes, welche ehedem Leute hießen.
Der logische Egoism ist ungesellig, weil er immer Recht haben will; der ästhetische Egoism ist unwiderleglich weil man ihm mit Gründen nicht beybekommen kann; der moralische ist der schädlichste, allgemeinste und unvertilgbarste. Nur Aufklärung (sittliche Kultur mit intellektueller u. ästhetischer verbunden) kann den in der menschlichen Natur liegenden Hang zum Egoismus, wenn nicht ausrotten, doch bändigen. Der logische und ästhetische Egoist ist blos drükend für andere und schadet sich selbst; aber der moralische schadet andern, indem er auf ihre Kosten seinen Vortheil sucht. Wer die Foderungen seines empirischen Ich (des eigennützigen Triebes) zum Richtmaaß seiner Handlungen macht, ist Egoist, wer aber den Foderungen seines reinen Ichs (des vernünftigen, uneigennützigen Triebes folgt, ist kein Egoist, sondern Pluralist.
Zum moralischen Egoism gehört auch der α_006_Grundsatz des Hegesias: daß der Weise nur für sich selbst und für sein eigenes Wohl sorgen müsse, denn er allein sey dessen würdig, und der des α_007_Theodorus: daß es ungerecht sey, daß der Weise sich für sein Vaterland wage, und der Narren wegen seine Weisheit in Gefahr setze.
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In allen Verfassungen der bürgerl. Gesellschaft, welche nicht Gleichheit zur Basis haben, sondern wo gewisse Mitglieder schon durch die Geburt über die andern erhaben sind, giebt es auch einen öffentlich privilegirten Egoism, und die welche solche angeborne Vorrechte besitzen heissen Vornehme in eigentlicher Bedeutung. Gewöhnlich nennt man aber auch alle die Stände so, welche einen höheren Rang u. Wohlstand mit sich führen, u. wo gewisse Vorzüge die darin herrschen, nicht erblich sind; z.b. solche, welche angesehene Staatsbedienungen begleiten. Im eigentlichen Sinne aber ist der Adel ausschließlich die vornehme Kaste in der Gesellschaft, denn er genießt Ehre, Ansehen u. andere Vorzüge, die andere sich erst durch persönliche Verdienste erwerben müssen, schon durch seine bloße Geburt. α_008_Kant sagt über diesen Gegenstand in seiner Abhandlung von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosopie gegen Schlosser folgendes, was in die Anthropologie gehört: "Es liegt nicht blos in der natürlichen Trägheit, sondern auch in der Eitelkeit der Menschen (einer mißverstandenen Freyheit), daß die, welche zu leben haben, es sey reichlich oder kärglich in Vergleichung mit denen welche arbeiten müssen, um zu leben, sich für Vornehme halten. Der Araber oder Mongole verachtet den Städter und dünkt sich vornehm in Vergleichung mit ihm, weil das Herumziehen in den Wüsten mit seinen Pferden u. Schafen mehr Belustigung als Arbeit ist. Der Waldtunguse meint seinem Bruder einen Fluch an den Hals zu werfen, wenn er sagt: "Daß du dein Vieh selber erziehen magst wie der Buräte!" - Dieser giebt die Verwünschung weiter ab u. sagt: Daß du den Acker bauen magst, wie der Russe!" - Der letzte wird vielleicht nach seiner Denkungsart sagen: Daß du am Weberstuhl sitzen magst, wie der Deutsche." - Mit einem Worte, alle dünken sich vornehmer, nach dem Maaße als sie glauben, nicht arbeiten zu dürfen." pp -
Göthe in seinem Wilhelm Meister läßt die Frage aufwerfen: welch ein Unterschied sich zwischen einem edlen u. vornehmen Betragen zeige, u. in wiefern jenes in diesem, dieses aber nicht in jenem enthalten zu seyn brauche. - α_009_"Der vornehme Zustand", heißt es daselbst - "ist schwer nachzuahmen, weil er eigentlich negativ ist, u. eine lange anhaltende Übung voraussetzt. Denn man soll nicht etwa in seinem Benehmen etwas darstellen, das Würde anzeigt, denn leicht fällt man dadurch in ein förmliches, stolzes Wesen; man soll vielmehr nur alles vermeiden was unwürdig u. gemein ist; man soll sich nie vergessen, immer auf sich u. andere Acht haben, sich nichts vergeben, andern nicht zu viel, nicht zu wenig thun, durch nichts gerührt scheinen, durch nichts bewegt werden, sich niemals übereilen, sich in jedem Moment zu fassen wissen, u. so ein äußeres Gleichgewicht erhalten, innerlich mag es stürmen, wie es will. Der edle Mensch kann sich in Momenten vernachläßigen, der vornehme nie. Dieser ist wie ein sehr wohlgekleideter Mann, er wird sich nirgends anlehnen, u. jedermann wird sich hüthen an ihn zu streichen; er unterscheidet sich vor andern u. doch darf er nicht allein stehen bleiben; denn wie in jeder Kunst, also auch in dieser, soll zuletzt das Schwerste mit Leichtigkeit ausgeführt werden, so soll der Vornehme, ohngeachtet aller Absonderung immer mit andern verbunden scheinen, nirgends steif, überall gewandt seyn, immer als der erste erscheinen und sich nie als ein solcher aufdringen. - Man sieht also, daß man um vornehm zu scheinen, wirklich vornehm seyn müsse; man sieht warum Frauen im Durchschnitt sich eher dieses Ansehen geben können, als Männer, warum Hofleute u. Soldaten am schnellsten zu diesem Anstande gelangen." - α_010_"In Deutschland ist nur dem Edelmann eine gewisse allgemeine, wenn ich sagen darf personelle Ausbildung möglich. Ein Bürger kann sich Verdienst erwerben und zur höchsten Noth seinen Geist ausbilden; seine Persönlichkeit geht aber verloren, er mag sich stellen wie er will. Indem es dem Edelmann, der mit den Vornehmsten umgeht, zur Pflicht wird, sich selbst einen vornehmen Anstand zu geben, indem dieser Anstand, da ihm weder Thür noch Thor verschlossen ist, zu einem freyen Anstand wird, da er mit seiner Figur, mit seiner Person,
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es sey bey Hofe oder bey der Armee, bezahlen muß: so hat er Ursache etwas auf sie zu halten, u. zu zeigen, daß er etwas auf sie hält. Eine gewisse feyerliche Grazie bey gewöhnlichen Dingen, eine Art von leichtsinniger Zierlichkeit bey ernsthaften u. wichtigen, kleidet ihn wohl, weil er sehen läßt, daß er überall im Gleichgewicht «i»steht. Er ist eine öffentliche Person, u. je ausgebildeter seine Bewegungen, je sonorer seine Stimme, je gehaltener u. gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommener ist er, u. wenn er gegen Hohe u. Niedere, gegen Freunde u. Verwandte immer eben derselbe bleibt, so ist nichts an ihm auszusetzen; man darf ihn nicht anders wünschen. Er sey kalt aber verständig, verstellt aber klug. Wenn er sich äußerlich in jedem Moment seines Lebens zu beherrschen weiß, so hat Niemand eine weitere Foderung an ihn zu machen, u. alles übrige, was er an u. um sich hat, Fähigkeit, Talent, Reichthum, alles scheinen nur Zugaben zu seyn. Nun denke man sich einen Bürger, der an jene Vorzüge nur einigen Anspruch zu machen gedächte«¿»; durchaus muß es ihm mißlingen, u. er müßte nur desto un- glüklicher werden, je mehr sein Naturell ihm zu jener Art zu seyn Fähigkeit u. Trieb gegeben hätte. Wenn der Edelmann im gemeinen Leben gar keine Grenzen kennt, wenn man aus ihm Könige oder Königähnliche Figuren erschaffen kann, so darf er überall mit einem stillen Bewußtseyn vor seinesgleichen treten; er darf überall vorwärts dringen, anstatt daß dem Bürger nichts beßer ansteht, als das reine stille Gefühl der Grenzlinie die ihm gezogen ist. Er darf nicht fragen: Was bist du? sondern nur: was hast du? Welche Einsicht, welche Kenntniß, welche Fähigkeit, wieviel Vermögen? Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner Person alles giebt, so giebt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts u. soll nichts geben. Jener darf u. soll scheinen; dieser soll nur seyn, u. was er scheinen will, ist lächerlich oder abgeschmakt. Jener soll thun u. wirken, dieser soll leisten u. schaffen; er soll einzelne Fähigkeiten ausbilden um brauchbar zu werden u. es wird schon vorausgesetzt, daß in seinem Wesen keine Harmonie sey noch seyn dürfe, weil er um sich auf seine Weise brauchbar zu machen, alles übrige vernachläßigen muß." -
Diesen «Ha» egoistischen Hang zur Erbaristokrazie hat der Mensch auch auf die Thiere übertragen, obgleich sie vielleicht hier weit öfter mit wirklichem Verdienst verbunden ist. In Arabien haben bekanntlich die Pferde eben so ihren Adel u. Stammbaum als bey uns die adelichen Geschlechter. Da aber die Thiere nicht so leicht der Natur entarten als der Mensch, so ist auch zu erwarten, daß der Adel der Pferde weit öfter von wesentlichen Verdiensten begleitet seyn wird, als der Adel unter den Menschen.
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Wir haben im Deutschen fünferley Arten Menschen anzureden. Du, Er, Ihr, Sie und den Titel oder das Abstrakt der Qualität im Singular mit der dritten Person des Zeitwort im Plurali, welche von allen die ungereimteste ist. So fragt man z.B. Sind der Herr Graf zuhause? Befinden sich der Herr Rath noch wohl pp. Du ist die Anrede der Vertraulichkeit; Er die Anrede von Geringschätzung; Ihr des Beherrschenden gegen den Unterthan; Sie die Anrede der Höflichkeit zwischen gesitteten Menschen; die Anrede durch das Abstrakt mit der dritten Person des Zeitworts im Plural ist der Ausdruck niedriger Kriecherey. Der Italiäner hat drey Arten Menschen anzureden: voi, die gewöhnlichste, tu die vertrauliche, ella die in der feinen Welt gebräuchliche, wo es auf Vossignoria bezogen wird. Der Franzose hat blos vous und tu, eben so wie der Engländer you oder ye und thou. Es ist sonderbar, daß man in allen diesen neueren Sprachen durch du zugleich die innigste Vertrau- lichkeit und Liebe und die tiefste Geringschätzung und Verachtung ausdrükt. Die Extreme berühren einander.
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α_010b_Die Menschenkenntniß wird mit Recht für eines der schwersten und schwierigsten Studien gehalten. Er ist die Frage: Was ist schwerer sich selbst oder andere kennen zu lernen? Da jeder den Grund seiner eigenen Gedanken und Triebfedern aufsuchen u. wissen kann, da hier kein Verstellen und Verhehlen statt findet, wie bey andern, die wir nur nach ihrem Äußeren beurtheilen können: so ist wohl offenbar, daß jeder am besten sich selbst kennen müsse. Am schwersten aber ist die Erkenntniß des Menschen im Ganzen oder Allgemeinen. Sich selbst kann man mit andern vergleichen und genau finden, was man von andern verschiedenes hat, aber den Menschen im Ganzen kann man mit nichts anderm vergleichen; denn es ist noch kein Vorzug für ihn, daß er kein Thier ist, und andere vernünftige Wesen kennen wir nicht (S. 315). Die Erkenntniß des Menschen überhaupt ist also am schwersten; leichter schon ist die Kenntniß gewißer Menschen, z.B. besonderer Raçen oder Nazionen; am leichtesten aber ist die Kenntniß seiner Selbst, aus den oben angegebenen Gründen.
Unter den verschiedenen Werken, welche Beobachter ihrer Selbst von sich verfaßt haben sind die Essays de Michel de Montaigne eines der vorzüglichsten. α_011_Kants Urtheil von ihnen: "Montaigne's Essays enthalten in einer leichten Schreibart Reflexionen über viele tausend Gegenstände nicht systematisch, sondern wild zerstreut, die auf allerley Betrachtungen führen. Man kann dies Werk einigemal durchlesen, ohne einen Überdruß daran zu empfinden, weil man von so vielen und verschiedenen Gegenständen, die darin vorkommen, immer etwas neues und interessantes findet. Es ist, ungeachtet es vor 200 Jahren und in altfranzösischer Mundart geschrieben worden, noch immer ein Lieblingswerk der Franzosen u. wird es noch lange
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bleiben. Man wirft ihm vor, daß er einen unausstehlichen Egoismus zeige und auf jeder Seite von sich selber spreche. α_011a_Pascal; der ihn als unmoralisch verdammt, hat doch nicht hindern können, daß nicht Jedermann einen Wohlgefallen an diesem Egoismus finde, theils der Naivetät wegen womit er von sich selbst spricht, theils weil es es thut um den Menschen zu studiren u. sein Charakteristisches zu zeigen; u. oft macht seine Freymüthigkeit ihn angenehm. Es kann daher einen Autor wohl erlaubt seyn, von sich selbst zu reden, weil er dadurch den Leser auf die Beobachtung seiner selbst führt. Andere sehen es gerne wenn einer von seiner Thorheit spricht; aber man denke nicht, daß Menschen bey Wahrnehmung der Fehler an Andern immer aus Haß oder Neid darüber erfreuet sind, sondern weil sie dadurch in Absicht ihrer eigenen getröstet werden." -
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α_012_Unser Bewußtseyn ist zwiefach: Ein Bewußtseyn unserer Selbst u. anderer Gegenstände. Wir können uns mit Beobachtung unserer Selbst und Beobachtung der Dinge ausser uns beschäftigen. Das erste vermindert unsere Kraft, hat viel Beschwerliches und oft wenig Nutzen für den Selbstbeobachter, weil er es auf eine unrechte Weise anfängt, u. sich vielmehr behorcht und auf«¿»paßt, als vernünftig beobachtet. Je mehr wir aus uns herausgehen und Gegenstände beobachten, desto mehr schonen wir unsere Seelenkräfte. Es giebt Aufpasser auf sich selbst, die sich immer beschauen und behorchen; dieses sind gewöhnlich«,» Grillenfänger, Hypochondristen u. Schwärmer. Der Weltmann ist immer ausser sich thätig. Die Erfahrung lehrt, daß je mehr der Mensch auf seinen Zustand aufpaßt, er ihn um desto mehr verschlimmert. Sich selbst zum Gegenstand seiner Reflexion machen ist gut und löblich, aber es muß kein habitueller Hang werden, sondern nach Intervallen geschehen; denn es ist eine der erschöpfendsten Bemühungen des Denkvermögens, da jede Bemerkung über uns selbst das Gemüth weit stärker affizirt, als das Beobachten äußerer Gegenstände; wir isoliren uns dabey zu sehr u. bringen uns gleichsam in einen leeren Raum, welches Bangigkeit und träumerische Grübeley bewirkt, und die Lebenskraft im Gehirn eintrocknet. Es ist also eine Regel, daß man sich beym Studieren immer mit Gegenständen, u. bey der Erholung mit Dingen ausser sich beschäftige. Dabey gewinnt das Gemüth Kräfte, und das Prinzip des Lebens verstärkt sich. Wenn man sich mit sich selbst beschäftigt, so muß dies als mit einem Objekte geschehen, so beschäftigt man seine Denkkraft ohne sich subjektiv affizirt zu fühlen und man gelangt zur Selbsterkenntniß; das andere ist blos unnütze Grübeley. In moralischen Angelegenheiten ist es nicht nur nützlich sondern Pflicht auf sich zu merken und sich von seinen Regungen Rechenschaft zu geben; aber dies muß mit Intervallen u. vernünftig nicht grüblerisch geschehen. Eremiten, die sich viel mit Betrachtung Gottes u. Beobachtung ihrer selbst abgeben, werden erst Heilige und zuletzt Narren. α_012a_Lavater hat ein Tagebuch voll Beobachtungen seiner selbst geschrieben, ein Mann von vieler Schwärmerey, der Dinge hervorbringt, die mit der Vernunft gar nicht zusammen hangen. Er hat sich durch sein Tagebuch wohl selbst den größten Schaden gethan.
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α_013_Gewohnheit macht Handlungen leicht; Angewohnheit macht sie nothwendig; die letzte ist also immer schedlich weil sie sowohl dem Gemüth als dem Körper die freye Disposizion zu allen Dingen raubt. Manche Eindrücke u. vielleicht alle, lassen sich durch die Dauer so angewöhnen, daß man sich ihrer oft nicht mehr bewußt werden kann, daß man sie hat, u. es wird eine Unterbrechung erfodert, um sich ihrer wieder bewußt zu werden. Dies ist besonders beym Geruchssinne der Fall. Alle die, welche viel mit stark riechenden Sachen zu thun haben verlieren den Geruch dafür. Der Apotheker weiß nichts von dem starken Geruch der seine Offizin anfüllt, Wer übel aus dem Munde riecht, weiß selbst nichts davon, obgleich er die Nase unmittelbar darüber hat. Leute, die in dumpfigen Zimmer wohnen, wissen nichts von der Beklommenheit, welche den befällt und der Sprache beraubt, der aus der freyen Luft herein tritt. Menschen die der bösen Luft von Jugend auf gewohnt sind können viele Jahre in derselben leben, obgleich sie andern Menschen durch einen Aufenthalt von wenigen Stunden in derselben tödlich werden kann. Branntweintrinker machen sich durch «öftern» anhaltenden und häufigen Genuß dies Getränk so nothwendig, daß sie, ehe eine Porzion desselben genossen zu haben, zu nichts tauglich sind, dahin jeden andern dieselbe Porzion zu seinen Geschäften untauglich machen würde. Wie uns, durch Angewohnheit, Dinge die an sich schädliche sind endlich zuträglich werden, ist schwer zu erklären u. liegt in einer besonderen Disposizion der Organisazion. Man sollte denken es müßte mit der Zeit schädlicher werden; aber es wird unschädlicher. Dies ist einer wohlthätigen Einrichtung der Natur zuzuschreiben, die in allen Zufällen Selbsthülfe hat. Sonderbar ist es, daß der, welcher in einem gewohnten Geräusch, das jeden andern aus dem Schlummer weken würde, eingeschlafen ist, sogleich aufwacht, wenn dies Geräusch nachläßt; z. B. wer «bey» von der eintönigen Stimme eines langweiligen Predigers in Schlummer gewiegt worden ist, wacht auf, wenn der Prediger inne hält. Müllersleute können bey dem starken Geräusch der Mühle ruhig schlafen, aber wachen auf, sobald sie stille steht. pp Viele Reisende können im Wagen sehr ruhig schlafen, aber wachen auf, sobald der Wagen anhält.
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α_013a_Alle Angewohnheit stumpft die Aufmerksamkeit ab und bringt einen blinden mechanischen Hang hervor. In der menschlichen Natur ist neben dem Triebe zur freyen Thätigkeit ein gewisser Hang zum Mechanischen unverkennbar, der jenen Trieb unmerklich zu unterjochen droht, welcher die Selbstthätigkeit nur durch den steten Gebrauch ihres Vermögens verhüthen kann. Er ist gleichsam ein natürlicher Antagonism der Freyheit. Mit jenem Hange muß aber der Hang zur Ordnung, der durch eine fortdauernde Herrschaft des Verstandes erzeugt wird, nicht verwechselt werden; dieser ist systematisch; jener mechanisch. - Durch öftere Wiederholung oder Übung entsteht Fertigkeit, aus Fertigkeit Gewohnheit und aus Gewohnheit endlich Angewöhnung. Fertigkeit u. Gewohnheit erleichtern den Gebrauch der mechanischen Kräfte; Angewöhnung hindert den freyen Gebrauch derselben. Man kann sich zum Guten wie zum Bösen gewöhnen, und man kann sich beydes angewöhnen. (S. S. 42. Von dem erlaubten moralischen Schein).
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Diese Anekelung seiner eigenen Existenz aus langer Weile mit dem Überdruß an ernstlicher Thätigkeit oder Arbeit ist vornehmlich jungen Leuten verderblich, da sie nicht nur zu allerley schädlichen Zerstreuungen auffodert und zu Lastern führt, sondern auch von dem Gefühl moralischer Unwürdigkeit begleitet ist, der sich zu entreissen man keine Kraft in sich fühlt u., mit diesem Bewußtseyn, nur immer tiefer versinkt. Dieser Gemüthszustand kann endlich so unerträglich werden, daß er den Entschluß sich selbst das Leben, das man nur als eine Last empfindet, zu nehmen; denn nichts kann unerträglicher seyn, als das Gefühl sich selbst zur Last u. in der Welt zu nichts nütze zu seyn. - Überhaupt giebt es zwey Dinge, womit selbst Menschen, die sonst nach der gewöhnlichen Art zu urtheilen, eine rechtliche Gesinnung u. Achtung für Ehre und Ehrlichkeit zeigen, meistens sehr liberal und verschwenderisch umgehen, nemlich die Zeit u. das Vergnügen des Geschlechtstriebes. Die erste ist, unter allen Gütern des Lebens, nach der Gesundheit, das kostbarste und unwiderbringlichste, u. doch giebt man sich alle Mühe u. hat mehrere Künste blos in der Absicht erfunden, sie zu verschwenden oder zu tödten.
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α_013b_Artigkeit u. Höflichkeit ist die Beobachtung der konvenzionellen Regeln, welche der durch die Kultur sich verbreitende schöne u. gefällige Schein für den Umgang eingeführt hat u. welche dienen, den eigennützigen Trieb in Schranken zu halten u. das gegenseitige Vergnügen des Umgangs, welches durch jenen sonst unaufhörlich unterbrochen werden würde, zu erhalten und zu befördern.
Anständigkeit u. Sittsamkeit ist der äußere Schein der Sittlichkeit, der die Achtung anderer erwirbt. Der Mann soll sich anständig das Weib sittsam betragen.
Leutseligkeit die Herablassung des Vornehmen gegen Geringere, die entweder blos äußerlich affektirt wird, oder wirklich in einer humanen Gleichheitsgesinnung gegründet ist; im ersten Falle ist es blos ein leutseliges Betragen, im letzteren eine leutselige Gesinnung. Leutseligkeit erwirbt dem, der durch seinen Stand äußere Achtung und Ehrfurcht haben könnte, freye Liebe; Zuneigung und Ergebenheit des Geringeren, der diese Herablassung von dem Höheren als ein Geschenk annimmt, wobey denn beyder Eigenliebe u. Eitelkeit geschmeichelt wird, indem zugleich geschieht, was die Vernunft fodert.
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Es giebt Menschen welche einen besondern Beweis ihrer Weltklugheit dadurch zu geben glauben, daß sie Handlungen anderer, die wenigstens den äußeren Schein der Tugend haben u. von denen wenigstens vermuthet werden kann, daß sie wirklich aus tugendhafter Gesinnung hervorgegangen seyn mögen, eine eigennützige Deutung geben u. sie herabzuwürdigen suchen, ohne zu bedenken, wie leicht dieses ist, bey der Ungewißheit worin wir in Rücksicht auf die «H» innern Gründe der Handlungen Anderer, nothwendig schweben, und daß sie dadurch ihrer eigenen Gesinnung keine Lobrede halten. Es ist immer ein Beweis, daß ein solcher moralischer Zweifler in sich selbst wenig guten Willen zum eigennützigen Handeln fühlt. Denn wenn auch ächte Tugend sehr selten ist, so ist doch jeder Versuch alles für Schein zu erklären und ihr Daseyn gar hinweg raisonniren zu wollen, feindselig, u. es macht weder der Menschheit, noch der Denkart des Zweiflers Ehre, immer nur das Schlechtere anzunehmen, wo die Wahrheit der Natur der Sache nach problematisch bleiben muß. - Es gehört mit zum moralischen Egoismus, an Menschentugend zu zweifeln, sich selbst aber von diesem Zweifel auszunehmen; denn man kann doch nicht wohl ohne eigene Schande gestehen, daß man durchaus zu allem Guten unfähig ist. Der Glaube an Moralität und Menschheit, der keinem wohlgesinnten fehlen kann, u. in keinem Menschen fehlen sollte, schließt darum die nöthige Behutsamkeit im Verkehr mit andern, welche die auf Erfahrung gegründete u. von der Bösartigkeit der meisten Menschen gewitzigte Klugheit uns anräth, gar nicht aus. Zwischen Vorsicht u. Mißtrauen ist ein großer Zwischenraum; die erste ist klug, das letzte aber menschenfeindlich.
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Eben darum, weil Taubstumme für die Mittheilung der Begriffe u. für die Kultur des Vernunftvermögens unfähig sind, können auch taubstumme Mahler es nie weiter bringen, als zum Kopiren. Woraus sich zugleich abnehmen läßt, wie wenig zu einem bloßen Kopisten (Abschreiber, Nachmahler, Nachmacher) gehört; mit einem Analogon von Vernunft kann man dazu gelangen; dies ist eine Art Mittelstand zwischen Mensch u. Affe.
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Wenn man sich von etwas keine Vorstellung machen kann, weil es entweder noch nie zu unserer Anschauung gelangt ist, oder weil unsern Sinnen das Vermögen für diese Eindrücke mangelt oder, weil der Verstand keine Fassungskraft dazu hat, oder wenn ein Ding <so> verwirrt ist, daß wir nicht zur Einsicht desselben gelangen können, so sagt man gewöhnlich: man kann daraus nicht klug werden, d. h. man kann zu keiner Erkenntniß des Objekts gelangen; da nun Erkenntnisse als Erfahrung das Mittel sind um klug zu werden, so bedient man sich jenes Ausdrucks mit Recht.
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Im alten Rom war es schimpflich für ein Weib, Wein zu trinken. Sie setzte sich dadurch nicht allein der öffentlichen Schande, sondern auch der Strafe aus. α_014_Kato in seiner Rede de dote sagt: ein Mann ist der Richter seiner Frau u. muß als ihr Censor angesehen werden. Hat sie Wein getrunken, oder sich mit einer Mannsperson vergessen, so kann er selbst das Verdammungsurtheil über sie sprechen. (S. Aul. Gell. L. X. c. 23). Im neuen Rom trinken die Weiber viel Wein und können gewöhnlich auch viel vertragen. Ich habe gesehen, daß Weiber, die eben so viel tranken, als die Männer in deren Gesellschaft sie sich befanden, nüchtern blieben, wenn schon den Männern der Wein zu Kopf stieg. Auch Kinder werden hier von frühester Jugend auf mit Wein getränkt. Wahrscheinlich ist der häufige Genuß des Weins Ursache, daß so viele römische Weiber eine rauhe, heisere und oft grobe Mannsstimme haben. α_015_Montaigne führt ein Beyspiel von einer Witwe an, die sonst ein keusches Leben führte, sich aber an einem Festtage einen Rausch ge- trunken hatte, und die, ihren Rausch ausschlafend, von einem ihrer Arbeiter unwissend geschwängert wurde. Er hatte sie dazu in einer so günstigen Lage gefunden, daß er den Akt vollziehen konnte, ohne sie aufzuwecken. In Italien findet man selten, daß Kinder an Würmern kranken, welches in nördl. Ländern so häufig ist; wahrscheinlich, weil sie von früher Jugend auf täglich Wein trinken.
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Die Einbildungskraft ist nicht schöpferisch, wenn dies soviel heißt, als erschaffen, etwas aus %nichts hervorbringen; ja sie kann nicht einmal ursprünglich neue Formen schaffen, sondern nur <aus> den in der Natur gegebenen Formen, «andere» allgemeinen Ideen gemäß andere künstliche Formen hervorbringen; sie ist schöpferisch in wiefern sie aus sinnl. Vorstellungen und Vernunftideen ästhetische Ideen erzeugt, d. h. sinnliche Vorstellungen die etwas Übersinnliches sinnbildlich ausdrücken. S. 146 gesteht Kant der Poesie, - u. S. 160 der Einbildungskraft zu, daß sie schöpferisch sey. Die Einbildungskraft ist schöpferisch in sofern sie Geist ist, u. erfinderisch in sofern sie Genie ist.
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Das Erröthen ist überhaupt ein unwillkührlicher Ausdruck der Empfindlichkeit und einer derselben entsprechenden Disposizion des Bluts, bey der leichtesten Regung jener in stärkere Bewegung zu gerathen und in die äußersten Gefäße zu dringen. Das Erröthen findet oft auch bey Menschen statt, die wenig sittliches Zartgefühl besitzen, aber deren Eigenliebe deßungeachtet leicht verwundbar ist. Sie erröthen so oft sie die Aufmerksamkeit eines andern auf sich beziehen, u. «fühlen so» befürchten bey jeder geringen Veran- lassung, daß er vielleicht etwas an ihnen entdeke, was ein nachtheiliges Urtheil für sie bewirken kann. Ich habe Leute gekannt, die die alle den Ausschweifungen, welche gerade der Schamhaftigkeit am entgegengesetztesten sind, ergeben waren u. sich sogar des Geständnisses derselben %nicht schämten, die aber bey der geringsten Veranlassung errötheten, z.B. wenn jemand sie auf der Straße anredete, oder im Gespräch sich zu ihnen wandte. Dies Erröthen war weder ein Ausdruck der Scham noch der Schuld, weder des Ehrgefühls, noch der Schande, sondern einer bloßen im Temperament gegründeten Empfindlichkeit. Darum ist auch das Erröthen blos ein untrügl. Zeichen des letztern, u. es läßt sich davon keinesweges auf die sittl. Eigenschaften eines Menschen mit sicherheit schließen. Indessen gefällt es immer, wenn wir Jemand erröthen sehen, weil es ein Zeichen der Bescheidenheit ist u. uns glauben macht, daß unsere Gegenwart diesen Eindruk hervorgebracht hat. Erröthet ein Mann in unserer Gegenwart, so schmeichelt es unserm Stolz; erröthet ein Weib, so schmeichelt sie dadurch unserer Eigenliebe. Mit Unrecht setzt man darum in dem, der leicht erröthet, sittliches Zartgefühl voraus; selbst mit dem Ehrgefühl ist es sehr schwankend, da man erst wissen muß, worin der Mensch Ehre setzt, da sie an u. für sich ein vager Begriff ist. Indessen wird doch der weder Ehrgefühl noch sittliches Zartgefühl besitzen, der überhaupt keines zarten Gefühls fähig ist. -
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α_016_Der engl. Zuschauer erzählt einen ähnl. Fall, im 7. Stück des Spectator, wo eine Frau mitten in der fröhlichen Tischgesellschaft die Entdekung machte, daß sie «nur» aus 13 Personen bestehe. Mehrere geriethen darüber in Schreken, u. ein paar Damen wollten schon die Gesellschaft verlassen als einer der Gäste bemerkte, daß eine der anwesenden Frauen schwanger sey, die Gesellschaft im Zimmer also aus 14 Personen bestehe. Dies beruhigte die Erschrockenen wieder.
α_017_I look upon a sound imagination as the greatest blessing of life, next to clear a judgment and a good Conscience. Spect. n. 12.
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Klug heißt, wer immer die rechten Mittel zum Zweke wählt und sie zu rechter Zeit u. auf die rechte Art anwendet; es ist dabey gleichgültig ob der Zwek böse oder gut ist; in jedem Falle ist Klugheit nöthig ihn zu erreichen. Klugheit kann immer nur Mittel nie Zwek seyn; sie dient entweder dem Eigennutze oder der sittlichen Gesinnung: Wer durch Umwege, wobey er scheinbar auf einen andern vorgegebenen Zwek hinsteuert, zu seinem Zweke zu gelangen sucht, geht listig zu Werke. List kann nur eigennützigen Zweken dienen. Wer in der Absicht andern zu schaden listig zu Werke geht, u. sich der Ehrlichkeit Anderer dabey als Mittel bedient, ist arglistig. Einen überlisten heißt dem listigen mit seinem eigenen Maaße messen. Wenn dies darauf abzweket, den Betrüger der uns überlisten wollte, zu entlarven, so ist dies erlaubt; aber es ist unerlaubt, wenn man den Betrüger selbst betrügen will; man soll nicht weiter gehen, als zu machen, daß der Betrüger sich selbst betrüge. Das Überlisten kann aber auch im bloßen Scherz stattfinden, wenn man einem, der nur einen Spaß zu machen hoffte, zuvorkommt u. ihm einen macht, wodurch er angeführt wird.
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Närrinnen nennt man gewöhnlich eitle, stolze Weiber, die Pretensionen machen, sey es auf Schönheit, Rang oder Gelehrsamkeit; die letzten sind vielleicht die größten, denn sie gehen dabey ganz aus ihrer Sfäre, u. werden vermessen; weil sie aber schwache Werkzeuge, also nicht furchtbar sind, so werden sie mehr lächerlich als verächtlich gehalten. Ein Weib kann sich nur durch Laster verächtlich machen; der Mann aber ist schon durch bloße Schwäche verächtlich. Dafür wird aber auch das Weib in vielen Dingen weit strenger beurtheilt, u. ihm wird schon zum Laster angerechnet, was bey dem männlichen Geschlecht blos für Fehler gilt. Daß ein Mann sich einen Rausch trinkt, läßt man sich schon gefallen, «aber» nur Angewohnheit ist hier ein Laster, aber wenn ein Weib sich einen Rausch trinkt, so giebt sie ein Skandal u. wird ekelhaft u. verächtlich. Einen Spieler von Profession verachtet man, aber man verabscheut ihn doch mehr des schändlichen Gewerbes als seiner Selbst wegen; aber ein Weib das vom Spielen Profession macht u. z. B. öffentlich Bank machen u. von einem Ort zum andern reisen wollte, würde man als ein schändliches Weib verabscheuen. Wenn ein Mann unordentlich oder unreinlich in seiner Kleidung u. in seiner Wohnung ist, so läßt man es ihm, besonders, wenn er ein Gelehrter oder gar ein Philosoph ist, leicht hingehen; ja man glaubt gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf so geringfügige Dinge sey mit der auf so wichtige Gegenstände unvereinbar, daher man nicht nur einem Mann die Nachläßigkeit in diesen Dingen gern verzeiht, sondern auch im Gegentheil keinen großen Begriff von ihm hat, wenn er sich um die kleinen Geschäfte des Hauswesens bekümmert, die im weibl. Departement lieg«t,»en; wenn er z. B. die Hühner betastet in die Töpfe guckt pp. aber wenn ein Weib in diesen Kleinigkeiten, welche zur Verwaltung des Hauswesens gehören, nachläßig u. unordentlich, besonders aber wenn sie in Haus und Kleidung unreinlich ist, so ist das ein unverzeihliches Laster, an dessen Statt man ihr lieber ein wenig Koketterie u. Galanterie zu gut hält.
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α_018_Diese witzige Distinction ist von Kästner: - der erste ist ein Narr ohne Stoff; in Paris hat er Stoff zur Narrheit gesammelt.
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α_019_Montaigne giebt sich bey jeder Gelegenheit, wo er auf den Gedanken des Todes trifft, Mühe, demselben sein Furchtbares hinweg zu raisonniren, woraus man sieht, daß er ihn aller dieser Überredungen ungeachtet gefürchtet hat. Wer den Tod nicht fürchtet, wird sich nicht leicht diese Mühe geben. Bey den meisten unter denen, die den Tod nicht fürchten, ist dieser Muth nicht verdienstlich, sondern das natürliche Resultat eines gesunden, starken, mit der Gegenwart beschäftigten u. mehr ausser sich als in sich gerichteten Gemüths. Es scheint auch ein solcher Mensch thue wohl, in dieser Gleichgültigkeit so lange zu bleiben, wie er kann; ja es würde thöricht seyn einen Gedanken der nothwendig den heitern Genuß des Lebens trüben muß, vorsetzlich zu weken, und sich ein Gespenst zu schaffen, um der Ehre willen, es als ein Weiser zu bekämpfen; obgleich die Weisheit nicht sowohl darin besteht den Tod nicht zu fürchten, als vielmehr darin, wohl zu leben. Das Alter führt von selbst den Gedanken des Todes sorgfältig herbey, u. die ernste, ruhige Stimmung dieser Lebensperiode ist weit geschickter dazu sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen, als die frohe sorgenfreye Jugend oder das blühende kraftvolle Alter, mit welchem er einen zu grellen
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Abstich macht. Bis jetzt ist mir der Gedanke des Todes und des Nichtseyns (denn an eine Unsterblichkeit der Individuen glaube ich nicht u. sage α_020_mit Kant: der Mensch ist sterblich und nur die Gattung ist unsterblich) noch nie in der Vorstellung schreklich gewesen, obgleich meine Natur, eben so gut als die jedes andern sterblichen Wesens, vor jeder Todesgefahr zurückschauert.
Launen unwillkührlich unterworfen, d. h. launisch seyn, ist wohl der erste Grad der Gemüthsschwäche, welche als Gemüthskrankheit betrachtet werden muß, weil sie auf des Menschen Ansicht der Dinge, also auch auf seyn Urtheilen u. Handeln einen nachtheiligen Einfluß hat. So wie es ein Zeichen eines gesunden Gemüths ist, wenn man immer guter Laune ist.
Vielleicht würde der Name Schwermut das lat. oder vielmehr gr. melancholia besser ausdrücken, als der der Tiefsinnigkeit; ausserdem scheint auch der Sprachgebrauch einen Unterschied zu machen zwischen Tiefsinnigkeit und Tiefsinn und den ersten Ausdruck mehr für Schwermuth, den letzten aber mehr für tiefes Denken zu gebrauchen; so wie auch das einfache Beywort sinnig und das davon gemachte Substantiv Sinnigkeit mehr eine in sich gekehrte Gemüthsart, welche in höheren Graden Tiefsinnigkeit werden kann, ausdrückt. Ein tiefsinniger Mathematiker wird daher immer ein zweydeutiger Ausdruk seyn.
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α_021_"Der Arzt Menekrates erzählt Plutarch, nannte sich Jupiter weil ihm einige verzweifelte Kuren gelungen waren, u. war unbescheiden genug sich auch von andern so nennen zu lassen. Da er sich nun sogar unterstand, an den Agesilaus, König der Lacedämonier zu schreiben: Zeus Menekrates wünscht dem Agesilaus Glück, - so antwortete ihm dieser, ohne das übrige zu lesen: Der König Agesilaus wünscht dem Menekrates gesunden Verstand." -
Es findet oft der Fall statt, daß Kinder durch zu frühe Anstrengung der zarten Denkorgane und Überladung des Gedächtnisses dumm werden, u. daß Erwachsene sich krank studieren, in dem sie durch zu anhaltende Anstrengung des Kopfs, durch zu vieles Sitzen u. Nachtwachen, ihre Verdauungswerkzeuge schwächen, besonders wenn mit dieser Ausschweifung noch eine unregelmäßige Diät verbunden ist. Leute die keinen Erfindungsgeist haben u. wider dem Willen der Natur Künstler werden wollen, quälen sich oft so um e«¿»twas hervorzubringen, daß sie statt weiter in der Kunst zu kommen stumpf u. stupid werden, u. die Lebenskraft in ihrem Gehirn gleichsam vertrocknet. Durch diese Schwächung seiner Eingeweide u. Nerven kann ein Mensch mit der Zeit hypochondrisch werden. Zu einem Kandidaten des Tollhauses aber würde er sich doch schwerlich studiren, wenn nicht der Same zur Tollheit schon in seiner Natur liegt und in einen Hang zu grüblerischen Untersuchungen über Religions- Natur- u. Zufallsgeheimnisse aufschießt, wo «er» dann endlich mit den Jahren, wie in andern die Vernunft, so in ihm die Tollheit reift. Ein gewisser Obrist v. Grothaus aus dem Hanöverischen, in dessen Familie die Tollheit eben so erblich war, wie der Adel konnte sich vor derselben nur durch immerwährendes Fußreisen schützen; sobald er eine Zeit lang stille lag, empfand er Spuren des Übels dem er zu entlaufen suchte indem er wie der ewige Jude in der Welt umher wanderte. Er hatte auf diese Weise einen großen Theil des Erdbodens bereist und alle vier Welttheile besucht.
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Diese Gewohnheit Monologen zu halten ist die Wirkung einer lebhaften Einbildungskraft, und sie findet sich mehr bey rohen als bey kultivirten Menschen, weil in jenen der Affekt stärker wirkt, als in diesen. Im Schauspiele, wo gewöhnlich eine exaltirte Natur dargestellt wird, sind Monologen weniger auffallend, dies abgerechnet, daß sie dem Dichter zur Entwicklung seiner Charaktere und Situazionen notwendig sind. In der Tat spricht auch im wirklichen Leben jeder Mensch, obwohl gewöhnlich nur leise, mit sich selbst, wenn er über wichtige Dinge mit sich zu Rathe geht. Da es aber selten geschieht, daß man seine inneren Verhandlungen lautbar werden läßt, u. da es auch an sich ganz unnöthig ist, so fällt es auf, wenn wir jemand in einem solchen von Gestikulazionen begleiteten Selbstgespräch antreffen. Hieher gehört auch das laute Beten für sich allein, gleich als ob der Allgegen«g»wärtige es auf diese Weise besser hörte; desgleichen das Widersprechen Untergebenen, Kinder u. Dienstboten, für sich selbst, ohne daß jemand es hört. Gleich als ob es ihren Aerger mehr erleichterte, wenn sie das, was sie denken nur laut heraus sagen können. So ein großes Bedürfniß ist Mittheilung, daß der Mensch sich auch der leblosen Natur mittheilt, wenn sonst niemand da ist, der ihn hören kann.
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Hieher gehört auch die Gemüthskrankheit, welche aus übertriebener Geilheit entsteht u. oft in Wuth ausartet, besonders bey dem Anblick des gewünschten Gegenstandes. Sie ist besonders nur dem weibl. Geschlecht, wegen des größeren Zwanges der Enthaltung u. seiner stärkeren Reizbarkeit eigen, und heißt der Furor uterinus, die Mutterwuth. Obwohl dies Übel eigentlich mehr körperlich ist, so stört es doch, wegen der heftigen Spannung der Phantasie, das Gemüth, u kann gewöhnlich auch nicht anders als durch die Applicazion des Hausmittels gehoben werden, das die Natur selbst dafür ver- ordnet hat.
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Es giebt drey Arten des Lachens: das Belachen, das Auslachen und das Verlachen. - Lachen ist ein Affekt der aus einer sinnlich wahrgenommenen Ungereimtheit entspringt. Wenn wir über ein Ding lachen, oder es belachen, so werden wir von dem Dinge überraschend u. lebhaft, aber ohne Sympathie, affizirt. Nur über vermeinte freye Handlungen oder Darstellungen derselben, kann man lachen, niemals unmittelbar über leblose Dinge, oder über Thiere, wenn wir nicht etwas menschliches in ihnen erblicken. Bey dem Belachen sind wir unangefochtene Richter unschicklich handelnder, die sich nicht anmaaßen, unmittelbar unsern Werth gegen sich herunter zu setzen. Bey dem Auslachen achten wir uns höher, als der unschicklich handelnde, bey unserer behaupteten Überlegenheit über ihn; hier sind wir angegriffen worden, aber mit zu kleiner Macht. Wir lachen jemand aus, der sich mehr vermißt als er kann. Wer seine Geschicklichkeit zeigen will und in der Ausführung scheitert, wird ausgelacht. Bey dem Verlachen verachten wir den andern, voll Sicherheit un- serer nicht einmal auf die Probe zu stellenden Überlegenheit. Wenn einer sich an uns rächen will, aber zu ohnmächtig dazu ist, so verlachen wir ihn. Wir verlachen die Verläumdungen oder Drohungen eines Menschen, der uns nicht schaden kann. Wenn man belacht wird, so hat dies noch eben nichts nachtheiliges für uns. Ein Mensch der eine Gesellschaft durch Erzählung lustiger Geschichten oder durch komische Nachahmung Anderer lachen macht, macht sich dadurch nicht lächerlich, wir belachen nur die Sachen die er vorbringt, nicht ihn selbst. Aber wenn er die Gesellschaft unterhalten will und es mißlingt ihm, so wird er ausgelacht. Nimmt er dies übel, so daß er aus Spaß Ernst macht und sich rächen will, ohne doch weder den Witz noch das Vermögen dazu zu haben, so wird er verlacht. Ein Mensch, der als Karikatur erscheint u. doch gefallen will, wird ausgelacht, wir einer andere lächerlich machen u. ist dazu unfähig oder thut es auf eine boshafte Art, die aber mißlingt, so daß Schaden und Spott auf ihn zurückfällt, so wird er verlacht. So wohlthätig das Lachen ist, so will man doch nicht gern der Gegenstand des Gelächters seyn, weil es immer auf Geringschätzung desselben führt. Das Verlachen ist also etwas wovor man sich hüthen muß, eben so wohl wie das Auslachen. - Es giebt ein gutmüthiges Lächeln u. Lachen und auch ein bösartiges Lächeln und Lachen. Von der letzteren Art ist das höhnische Lächeln und das Lachen aus Schadenfreude. Oft findet man Bosheit, besonders Neid mit Lächeln gepaart, welches ein hämisches Lächeln heißt, wenn man Zorn oder Wuth und Lächeln zusammen erblickt, so giebt dies eine widrige, häßliche Grimasse, welches das Grinsen heißt. Das schadenfrohe Lachen oder Auslachen, ist wenn auch nicht immer boshaft doch ungesittet und beleidigend, u ein Beweis von Mangel an sympathetischem Gefühl. Wenn ein großer Mensch auf der Straße fällt, so ist dies lächerlich, weil wir eine Zwekwidrigkeit wahrnehmen, aber es ist doch ungeziemend ihn deshalb auszulachen; aber wenn einer muthwillig aufs Eis geht, um seine Künste
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zu zeigen und fällt, so setzt er sich vorsetzlich dem Gelächter aus, welches er doch vermeiden konnte. Das Auslachen ist eine Äußerung unserer Eigenliebe, das Verlachen ein Äußerung unseres Stolzes. Lachen u. Belachen ist ein bloßer Affekt, der ergötzt, ohne dem Gemüthe seine Freyheit zu rauben; aber wenn wir jemand auslachen oder verlachen, so befinden wir uns schon in einer weniger oder mehr leidenschaftlichen Stimmung.
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In Italien ist das Verhältnis zwischen Mann u. Frau etwas verschieden von dem in Deutschland. Bey uns hat gewöhnlich das Weib das Departement der häuslichen Angelegenheiten zu verwalten u. der Mann treibt ein Gewerbe wodurch er das Nöthige erwirbt um das Hauswesen in Gang zu erhalten. Der Mann ist Regent u. das Weib Minister der inneren Angelegenheiten, oder wenn man will Vicekönig, u. α_022_bey uns gilt die Regel: der Mann erwirbt, das Weib spahrt, in der Ordnung. In Italien, dem Lande der Faulheit und Liederlichkeit heißt es, wie in jeder schlechten Wirthschaft: der Mann erwirbt, das Weib verthut. Er muß sein Hauswesen selbst besorgen, während das Weib nichts thut. Der Handwerker u. Geschäftsmann u. jeder der nicht Bedienten halten kann, muß seiner Arbeit soviel Zeit abstehlen um auf dem Markt den täglichen Hausbedarf einzukaufen u. das Mittagessen zum Feuer zu bringen; während die Frau müssig auf dem Sopha sitzt u. im Winter den Feuertopf (marito) u. im Sommer den Windwedel in der Hand hat. Darum sind auch gewöhnlich Fremde, besonders Deutsche, welche sich von der materiellen Schönheit der Italienerinnen bethören lassen gewöhnlich sehr schlecht berathen. Dabey vergeht das Haus u. die Menschen fast in Schmutz u in Läusen. Männer besorgen gewöhnlich das Küchen- u. Hauswesen, Männer kaufen ein, warten auf, machen das Bette. Dienstmädchen hält man höchstens nur den Kindern, oder in Vornehmen Häusern wo halb alla françese gelebt wird. Auf meiner zweiten Reise in Italien, die ich im Sommer 1784 mit einem jungen Holländischen Mahler von Zürch aus zu Fuß machte empfand dieser den Unterschied zwischen dieser Sitte sehr übel, u. als am Abend ein Camriere unser Bett machte, rief er: bey Gott, dies ist ein wahres Sodomiterland!