/Blatt_1
/Isaac Abraham Euchel.
/Rest_leer
/Blatt_1'
/leer
/Blatt_2
/ ≥ Anthropologie
/ des
/ Herrn Prof. Kant
/ in Königsberg ≤
/Blatt_2'
/Stempel
|P_1
/Lage 1
/Blatt_a
/Die Antropologie ist nicht eine moralische
noch Scholastische sondern pragmatische Kentnis.
Moralische Lehren sezzen Menschen_Kentnis
zum Voraus. Die Antropologie muß
der Moral voraus gehen, Pragmatische
Antropologie ist das Fundament zur Ge-
schichte und die Geschichte lehret uns die
Phoenomena der Menschen.
/Pragmatische Antropologie ist sehr nöthig
selbst die Bildung des Menschen kennen
zu lernen die man sonst durch reisen
erlangen soll; wenn man aber keine genaue
Kentnis der Menschen hat so nüzet das rei-
sen sehr wenig selbst dem Schauspieler
kann die Antropologie Nüzlich seyn Drey
Lehren gehören außer dem zur Antropologie
Die Lehre der Geschiklichkeit. Die Lehre der
*1 Klugheit und die Lehre der Sittlichkeit. Die
Lehre der Geschüklichkeit lernte man in der
Jugend, die Lehre der Klugheit erlangt
man mit de«r»n Jahren, die Lehre der Sittlich-
keit lehret uns die Geschiklichkeit den
Gebrauch unserer Zwecke recht anzuwenden.
Man kan das Bewust_seyn in Objective
et Subjective eintheilen, das Bewust
seyn des Objects und das Bewust_seyn der
Existens selbst, es ist unnatürlich auf
die Modification
/~Rand_001_Z_1
/{2- Welt, heißt hier die Mensch-
liche Gesellschaft, die Bür-
gerliche Gesellschaft.
/Die Kentniße der Antropolo-
gie müßen allgemein ver
standen und allgemein
Intereßant seyn. -2}
/
/Andre Menschen kennen
zu lernen ist auch
schwer weil sie sich ver-
bergen.
/
/{2- Die Antropologie ist ein
Organ der Weisheit.
an und für sich ein
Organon der Klugheit -2}
/
/Durch Beobachtung seiner
selbst kan man eher
dazu gelangen allein
eine gar zu große
selbst_Beobachtung ent-
kräftet die Seele %und
führet zur melan-
choley im thätigen
Leben muß der Mensch
seine Aufmerksam-
keit mehr auf andre
als auf sich selbst
richten damit man
die Fertigkeit lerne
Menschen zu unsern
Zweck anzuwenden.
/Rand_unten
/{2- In der Speculation sehe ich auf den Quellen und @dies@ eine
scholastische wissenschaft. *1 Klugheit bestehet in der Kunst andere Menschen
zu seinen Absichten zu gebrauchen. Die pragmatische Antropologie
ist eine Wissenschaft die kluger macht. Pedanten giebt es zweyerley
ein Pedant der Kentniß und ein Pedant der Manir. Klugheit muß nicht
Interesse sondern auf edlen Zwecken abzielen. -2} ~
|P_2
/seiner selbst acht zu geben Je mehr der Mensch
auf sich selbst oder auf seinen Seelen_Zustand
acht giebet, desto unglüklicher ist er. Gedanken-
losigkeit seines eigenen Subjects ist zur Erhal-
tung erforderlich.
/Die Antropologie unterscheidet sich von der Logik
indem sie Untersucht ob sie die Beystimmung an-
drer Urtheile erhalten kan.
/Die emp«e»irische Pfilosopfie ist eine Art von
Naturlehre, sie handelt die Erscheinungen un-
srer Seele ab, die einen Gegenstand unseres
wahren Sinnes ausmachen und zwar auf eben
die Art wie die empyrische Naturlehre als
die Physic die Erscheinungen abhandelt. Man
siehet also gleich ein, wie wänig diese Lehre einen
Theil der Metaphysik aus machen kann, da diese
lediglich die conceptus @pastol@ Begriffen, die ent-
weder bloß durch die Vernunfft gegeben sind,
oder doch wenigstens der Erkenntniß grund in der
Vernunft lieget; zum Vorwurff hat es,
kommt aber dieser Irthum bloß daher weil
die Alten noch wenige Erfahrungen der
Seele gesammlet hatten theils weil sie
nicht wusten wo sie dieser Lehre einen
Platz geben solten; denn sie hielten die gan-
ze Metaphysik für eine ausgebreitete
Psychologie, weil die Seele ein Gegenstand
des Innern Sinnes aus der Seele aber alle
Verstandes_Begriffe entspringen; da
wir nun aber eine ganze Sammlung die-
ser Quellen der Menschlichen Handlung
/~Rand_002_Z_1
/{2- Antropologie dient zur
Kritik der Geschichte.
/
/Beobachten können wir
leicht die Menschen @aber
er@kennen ist schwer
weil eine große Reihe
dazu gehört. -2}
/
/Zur antropologie ge-
höret eine Scholasti-
sche %und eine populaire
Kenntniß ein Pedant
macht von seinen Kent-
nißen einen Scho-
lastischen oder Schulge-
brauch %und nicht ein po-
pulairen oder Welt
gebrauch wenn ich die
Antropologie als
Menschen Kentniß
betrachte so erfor-
dert sie Klugheit
Durch erfahrung zu
der man gelanget wen
man wechselseitig die
Kenntnis der Menschen
betrachtet, Eine ge-
wiße MenschenKent-
nis als WeltKent-
nis, da sie der Schuhl-
kenntnis entgegen ge-
sezt ist. Durch selbst
kentnis wird man
geschickt andre Leute
zu beurtheilen. ~
|P_3
/Blatt_b
/oder der Mancherley Erscheinungen der Mensch-
lichen Seele besonders durch die Englischen
Schriftsteller erhalten haben, so können wir
diese Lehre eben so wie die Physik vor-
tragen. Es ist zu bewundern, daß die Al-
ten sich nicht mehr mit der Erkentnis
des Menschen beschäftiget haben. Ob sie
gleich diese Beschäftigung für die möglich-
ste erklä«h»reten. Es ist aber nichts ge-
wöhnlicher, als daß man das womit man
umzugehen gewohnt erkant zu haben glaubt,
%und solches seiner Untersuchung nicht wür-
dig hält, diese Meynung welche uns
eingepflanzet, hat denen Wißenschaff-
ten ungemeinen Abbruch gethan, und
uns die Erkentniß vieler Dinge ent-
zogen. Es ist dabey zugleich anzumerken
daß den Wißenschafften eben dadurch,
weil sie auf Academien in einer ge-
wißen Ordnung und abgesondert
von andern Wißenschafften vorgetra-
gen werden, einen großen Zuwachs
%und eine große Ausbreitung erhalten
haben, eben so gehet es mit der Emp«y»i-
rischen Psychologie; denn so lange sie der
metaphysik angehängt gewesen und nicht
besonders vorgetragen wurden Ist sie
von sehr geringen Umfange gewe-
sen.
/«1.Kap.
/Von der Existenz der Seele.»
/~Rand_003_Z_1
/{2- Das charakteristische der
Menschen_gattungen zu
kennen ist das schwerste
und doch nothwen-
digste. Denn sonst würde
die Moral nur vor Engel
dienen und nicht dem
Menschen angemeßen
seyn. -2} ~
|P_4
/Sie verdienet auch eine besondre Vorlesung.
Theils weil sie gar nicht in die metaphysik
gehöret, theils weil sie von niemanden
erlernet werden kann, ohne daß dazu vor-
gegangene Wißenschafften erlernet werden.
Man kan hier die Qvelle der Menschlichen %und
die Caractere der Menschen im zusammen_hange
erlernen; die man nur hin %und wieder in
denen Wißenschafften, Romanen und einigen
Moralischen Abhandlungen zerstreuet findet.
Man kan alsdenn einen jeden Zug der Menschheit
den man in einer Schrift bemerket, aus seiner
Quelle herleiten %und auf diese Art seine Kent-
nis von Menschen vermehren. Montaigne,
der vor 200 Jahren ein Buch in altfranzösischer
Mundart geschrieben *1 so bloß darum noch bis
jezo bey einem jeden vernünftigen Gelehrten
in Achtung, weil man aus seinen Werken
den Menschen in seinen Verschiedenen Um-
ständen kennen lernt, ob er sonst wohl des-
wegen unangenehm zu lesen ist weil er
immer von sich selbst redet.
/Wir wollen auch bey Abhandlung dieser Lehren
den Menschen in Verschiedenen Umstän-
den erwägen, im rohen und ungesitte
Zustande nach seinem verschiednen Alter
etc. und wollen da«s»ß, was bey einem
Menschen Natur und Kunst ist unterschei-
den.
/~Rand_004_Z_14
/*1 Es macht ein Buch
von 3 Bänden in Lücke
aus. %.Montaigne besitzt große
Kentniß %und hat viel
bon«s» Sans, nur führt
er zuviel Beyspiele
von sich selbst an, bey
einem Philosophen ge-
het es eher an.~
|P_5
/Blatt_c
/≥ Das Erste Kapitel
/von der Existenz der Seele ≤
/Der erste Gedanken, der bey bey dem Gebrauch sei-
nes Inneren Sinnes entstehet, ist das Ich.
Es ist merckwürdig daß wir uns unter
dem Ich soviel vorstellen, denn bey zer-
gliederung deßelben finden wir, daß
wir uns unter demselben folgende
Stücke dencken.
/I. Die Einfachheit der Seele, denn das Ich
drückt nur den Singularem aus und
wenn die Seele zusammengesezt wäre
und ein einzelner Theil den Gedancken ha-
ben möchte so müste es heißen wir
dencken.
/II. Die Substantialitaet der Seele, das heist, daß
das Ich kein Praedicat von einem andern
Dinge sey, ob ihm gleich als dem Object
viele Praedicate bey gelegt werden können.
Denn z.E. wenn ich sage Ich will daß,
Ich denke das, so sondre ich doch alle
Praedicate von dem Ich ab, betrachte mich als
das Subject von dem alles dieses praediciret
wird.
/III Eine vernünftige Substantz, denn indem ich das
Ich denke so empfinde ich, daß ich mich zum Ge-
genstande meines Gedanken machen kann; hiran
aber äußert sich vornehmlich die Vernunft,
oder das obre Vermögen der Seele, daß es
die unteren gleichsam inspiriret; und <indem ich mich zum Gegenstand meiner Gedancken>
mache; so reflectire ich über die Vermögen
die in der Seele liegen.
/IV Die Freyheit der Seele. Wenn ich das Ich
denke, so sondre ich mich von allen andern ab,
/ und denke
|P_6
/mich «¿¿»nabhängig von allen äußeren Dingen eben
dieses nun muß man das Ich nennet, sich
gleichsam zum Mittel oder Stand-Punkt aller
Dinge machen, worauf alles seine Bezie-
hung hat, macht, daß in Gesellschaften man
einen so ungerne anhört der immer von sich selbst
redet und ob man gleich zuweilen, sich in die
Stelle desjenigen sezzen kan, der von sich selbst
redet; so thut man solches doch ungerne. Man
will vielmehr haben daß keiner sich zum Stand-
punct aller Dinge mache, sondern von allge-
meinen Dingen geredet werde, die auf alles
eine Beziehung haben, dahero es auch als
eine lüftigkeit anzusehen, daß alle Fürsten
(der König von Spanien in neuern Zeiten
ausgenommen) sich nicht Ich sondern Wir
nennen; weil sie nehmlich vor zeiten alles
nur mit Bewilligung der höchsten Stände thaten.
Das Ich bedeutet im weitläuftigen Ver-
stande den Menschen, und im engeren die
Seele Daß die Seele als etwas einfaches
vom Körper unterschieden sey, siehet man
daraus, da«s»ß, wenn auch ein Theil des Körpers
nach dem andern zerstöhret wird, der
Mensch ohne Hände %und Füße sich doch
noch immer das ganze Ich nennet, die
Stoiker %und Plato verstanden unter dem Ich, allein
das unsterbliche Wesen, die Seele und
/ glaubten
/~Rand_006_Z_21
/{2- Esaies de la Montagne wird
empfohlen, obwol er fast
auf iedem Blatte von sich
selbst redet, so gefällt doch
das Buch, und läßt sich öfters
lesen, dieweil er dem Leser
gelegenheit giebt auch dan
und wann an sich selbst <zu> dencken.
/Egoist der Gesellschaft -2} ~
|P_7
/Blatt_d
/Daß sie den Cörper, als eine Schnecke die
Schaale mit sich führen müße, Sie standen
dahero auch in den Wahn, daß sie auf
keine «w»Weise beleidigt werden könten,
weil ihrer Seele niemand etwas anhaben
könte, wenn er auch ihren Körper Marter-
te ein jeder Sclave hielt sich bey ihnen
frey denn er hätte eine freye Seele Die
Epicuräer glaubten das Gegentheil.
/Man muß bey dem Menschen jederzeit die
Thorheit und die Rationabilitaet unterschei-
den. In Ansehung jener ist er von andern
Thieren wenig unterschieden, ja Locke
und ein andrer Italiaenischer Medicus
will gar behaupten, daß die Menschen wä-
ren auf 4 als auf 2 Füßen zu gehen
weil ihre ganze Leibes_Constitution so einge-
richtet wäre daß sie auf 4 gehen müsten
und daraus daß sie auf den beyden Füßen
gehen sehr viele Krankheiten entstehen,
denen sie aber im Ungesitteten
Zustande abzuhelfen gewust hätten.
/Wie wenig ist ein Hottentot von einem
Orang-outang unterschieden, wenn man
ihm seine Seele nähmen möchte. Er
kein gutes zahmes sondern wohl
gar ein Raubthier werden würde.
/Es hat also der Mensch eine doppelte
Persö«h»nlichkeit nehmlich als Mensch %und
/ als Seele.
/~Rand_007_Z_8
/{2- Der auf sich selbst Achtung
giebt wie er wol
andern Menschen erschei
nen mag, der ist ent
weder genirt oder
affectirt. -2} ~
|P_8
/Wir sind also gewis das die Seele ein einfa-
ches und vom Cörper gantz unterschiedenes
wesen sey $psychè$ die Seele bedeutet eigent-
lich einen Schmetterling der nachdem er den
Wurmbalg abgeleget, ein Vogel geworden, mit
diesen Wurmbalg vergleichen die Griechen den
Cörper, und der Schmetterling stellete die Seele
vor. Es war dieser Schmetterling schon bey
denen Aeyptiern das Sinnb«lat»ild der Seele.
Als Ana«¿»xarchus auf Befehl eines Tirannen
in einem Mörser zerstoßen wurde: so
sagte er: Tunde non Tundis Anaxarchum sed Anax-
archi ouneum wir sehen hiraus würklich daß
der Mensch die Substantialitaet der Seele em-
pfunden, wir fühlen auch, daß die Seele zu-
weilen leidend zuweilen thätig sey; daher
nannte schon Lucretius die Seele in Absicht ihres
leidenden Zustandes animam und in
absicht ihres thätigen Zustandes animum.
Wir betrachten aber, die Seele aus
einem 3-fachen Gesichts Punkte: nähm-
lich als anima (Seele) animus (Gemüth)
mens (Geist) in so ferne die Seele
mit dem Cörper in Verbindung gele-
get wird und also nicht verhindern
/ kan
|P_9
/kan daß das was die Sinne afficiret
ihr auch mitgetheilet werden, ist sie
Seele und da ist sie bloß leidend,
in so fern aber die Seele auf die
Sinnlichen Eindrücke rafiniret und sich
thätig beweiset, ist sie animus und so
weit sie gantz unabhängig von aller
S«¿¿»innlichkeit sich etwas vorstelt ist sie
mens Z.E. ich kan nicht verhindern
daß der Schmerz, der meinem Cörper
angethan wird, nicht auch in meiner Seele
eindringe«n», aber ich kan verhindern,
daß meine Seele hierüber reflectire,
Z.E. Wenn ich das Podagra habe und
denke was in der Zukun«p»ft daraus
werden wird, wie ich mein Brodt wer-
de erwerben können und dieses
verursachet Traurigkeit über meine
Gesundheits_Umstände, hier regie-
ret animus, diese Gemüths_Krankheit
ist es auch eben, das Elend, weil dieses reflec-
tiren den Thieren nicht anklebt so sind sie
auch niemahls elend, Endlich aber entste-
het der höchste Grad der Traurigkeit dar-
aus, wenn mein Geist von allen Schmertz abs-
trahiret einen selbst Ekel in ihm erwe-
ket wenn er sich vorstellt wie Er sich
diese Kranckheit selbst zugezogen, und
durch seine eigene Schuld unglücklich geworden,
Diese Traurichkeit des Geistes
|P_10
/würket in der Zeit mit doppelten Kräften auf
den Cörper. Es ist sehr gewöhnlich daß die
Menschen sagen, sie würden gerne mit andern
Menschen tauschen, weil sich nie jeder für volkom-
men in seiner Art hält; es lieget auch etwas
contradictorisches in diesem Satze, denn sie
wollen tauschen und doch auch nicht. Wir sagen
oft die Rede hat keinen Geist p, und hieraus
ist zu ersehen daß wir doch durch einen Geist
das erste Principium der Bewegung verstehen,
Das Gemüthe nennet man auch im gemeinen
Rede gebrauch das Hertz. Wenn man
aber sagt: der Mensch hat ein gutes
Gemüth auch ein gutes Hertz so verstehen wir
darunter nichts anders, als des Menschen
Cörperliche Constitution ist so beschaffen, daß
seine Neugungen nicht anders beschaffen
sein können, und daher geht es sehr wohl
an daß ein Mensch sehr Tugendhaft
seyn %und doch zugleich ein böses Hertz haben
könne. Solches behauptet man von
Socrates der Obgleich seine Meinungen
nicht mit den Grundsatz übereinstim-
meten; er dennoch dieselben durch die
Vernunft zu lenken wuste.
|P_11
/Allein wir äußer«es»n <mehr> Zutrauen <gegen den>, der ein
gutes Gemüht hat, als gegen denjenigen,
welcher zwar tugendhaft ist, aber kein
gutes Hertze hat. Die Ursache hievon ist
diese: man ist immer sicherer, wenn
man sich einem anvertrauet, deßen Mei-
nungen schon mit der Vernunft über ein-
stimmen, als einem der selbige immer
bestreiten muß, denn wie oft sehen
wir uns nicht von einem sündlichen
Gedanken überrascht, noch ehe wir
uns deßelben recht bewußt sind«,»
Es ist aber wohl zu merken, daß man
niemahls sagt, Er hat einen bösen
Geist, es sey denn, daß er vom Teufel be-
seßen wäre, aus der Ursache, weil der
Geist, der unabhängig vom Cörper und
äußerlichen Antrieben bloß nach denen
Grundsätzen der Vernunft handelt, nie-
mahls anders, als gut handeln kann, denn
er wählet nicht was schön, sondern was gut
ist, dahero sagt man auch das Fleisch
wi«e»derstrebet dem Geist, wenn nun
der Geist bloß handeln könte so würde
es sehr nützlich seyn, wenn das Fleisch dem
Geist wiederstrebtet. Die Welt hat
eine Beziehung sowohl auf unsern Cörper,
als auf unsere Seele, %und nachdem wir die Welt
|P_12
/aus diesem oder einem andern Gesichts_Punkte
betrachten nachdem erscheinet sie uns bald
so bald anders, als «nie»einstmahls ein Bewohner
einer wüsten Insul, der nichts in der Welt, als
diesen Felsen kann«¿¿»te, und einge wenige In-
seln, die um ihn herum lagen, auf den Grund des
Beherschers dieser Insel kam und seinen Pal-
last sahe; so prieß er ihn glücklich, als einen
Beherscher der halben Welt. Wenn der Mensch
in die unglückliche Situation geräht daß er
arm und verlaßen ist; so können ihn alle
Schönheiten der Natur, die um ihn herschen, doch
nicht vergnügen; es ist alles ein betrübter
Anblick für ihn; gehts ihm aber wohl; so hei-
tert sich alles um ihn auf. Wir gehen
nunmehro zu den Vorstellungen, und merken
an, daß man sich derselben theils be-
wußt ist, theils aber auch nicht. Der größeste
Reichthum unserer Erkentniße stekt in
denen dunckelen Vorstellungen, die manches
wohl von dem Bewußtseyn in ein größeres
Licht gesetzet werden, denn das Bewußt-
seyn bringt keine vorstellungen her«für»vor
sondern es klä«h»ret sie nur auf.
Wenn ein fertiger Musicus sich ans
Clavecin setzet, und in Gedancken zu Phan-
tasiren anfängt; so muß er, wenn kein
Dissonan«t»z vorkommen soll theils auf die künf-
/ tigen T«h»öne
/~Rand_012_Z_16
/{2- Vorstellungen -2} ~
|P_13
/prospiciren, theils auf die her«für»vorgebrachten
respiciren, er muß die Finger recht setzen
und wenn er eine gan«t»ze weile gespielet
hat, so ist er sich doch nicht bewußt, was er ge-
spielet hat; «w»Wenn wir ferner, das Frau-
enzimmer, als einen den wir Ehren zur
rechten Hand gehen laßen, so geschiehet
dieses, damit wir ihm den Gebrauch seiner
Hand nicht benehmen wollen; Wenn wir end-
lich den Geitz betrachten so finden wir das
der Ka«¿»rge viel Vorstellungen hat ohne
sich derselben bewußt zu seyn. Z.E. wenn
jemand viel Geld in der Tasche hat, so wird
er sehr wenig von Appetit gereitzet, warum?
er weiß, da«s»ß er das alles sehr leicht ha-
ben kann, wenn er will. Ein Geitzi-
ger, der zu Hause einen Kasten mit Geld
hat, siehet einen andern in prächtigen
Kutschen fahren andere an prächtigen
und wohlbesetzten Taflen speisen, hört
Paucken %und Trommpeten erschallen, jedoch bleibt
er dabey gelaßen und miskennet, alle
äußere Triebe zur Nachahmung, woher?
weil er alles dieses in seinem Kasten
hat, %und wei«ß»s, daß <er> vermittelst seines
Geldes alles haben kann, was er nur
will. Wir alle sind uns der wenig-
sten Vorstellungen bewust, man könnte hier
unendliche Phaenomena der Menschlichen Seele
/ erzählen
|P_14
/die der Philosoph aus seiner Dunckelheit ans
Licht ziehet, so wie er in der Physik, bey
Betrachtung der Cörper, ihre geheime Kräf-
te durch die Vernunft heraus bringt. Wir
wollen nur von ein paar der geheimen Phae-
nomenen den Grund anzeigen; wir bemer-
cken daß Z.E. die Mütter die Söhne jederzeit
mehr lieben, als ihre Töchter, und unter denen
Söhnen denjenigen darunter allen andern, <der> am
muntersten oder liederlichsten ist; woher kommt
das? aus einem doppelten Grunde.
/1.) Ist die Neigung für das andere Geschlecht schon
dem Menschen in die Natur gelegt.
/2.) Sieht die Mutter auf den Sohn herab, als einen,
der sie künftig beschützen soll %und daher hoft
sie von dem der munter und aufgeräumt ist, sehr
leicht daß er sie beßer beschützen werde
als der schläfrig oder Sittsam ist. Dieses
sind ihre dunkle Vorstellungen.
/Ferner bemercken wir auch bey dem weisesten
eine geheime Furcht vor dem Tod«t»e, ob er gleich
weiß, daß die Kürze des Lebens der größeste
Trost wieder alle Unglücksfälle und Beküm-
merniße ist, die U«h»rsache davon liegt in einer
duncklen Vorstellung. Sehr oft haben
wir auch gar keine Macht durch die Ver-
/ nunft
|P_15
/die in der Sinlichkeit liegende dunckele Vorstel-
lungen zu überwältigen, Z.E. wenn wir auf
einen hohen Thurm sind, und von dem Gange der
festgebauet ist herunter sehen, so empfin-
den wir ein Grausen, besonders wenn
man das Geländer, welches auf schwachen
Pfeilern gestützet ist, durch sehen kan; Wo-
her komt das? aus der geheimen Vorstel-
lung, daß alle Cörper eine Schwere haben
und vermittelst derselben, sich zum Mittel-
punckt bewegen, %und also zum Fall geneigt
sind, unsere Vernunf«¿»t tröstet uns zwar,
indem wir bedenken, daß das «g»Gantze so fest
gebauet ist, daß wir nicht fallen können;
allein der Schauder durchbebet denn gleich
unsere Glieder %und wir können solches nicht
verhindern. W«ill»eil nun diese Menschen der
dunckelen Vorstellung nicht bewußt sind,
so glauben sie das zu empfinden was doch
auf keine «w»Weise ihre Sinne afficiret;
sondern aus einer sich nicht bewußten re-
flexion des Verstandes entstehet, daher
sagen sie: Ich empfinde daß dieses Gedicht
schön ist, ich empfinde ein Zutrauen zu die-
sem redlichen Mann und daher ist
auch das moralische Gefühl entstan-
den, welches doch in der That nichts ge-
gesaget ist, denn alles, was aus re-
/ flexion
|P_16
/des Verstandes entspringt und kein Gegenstand
der Sinne ist, kann ich nicht für Empfindung
aus geben, denn dadurch wird alle Unter-
suchung abgeschnitten, und empfinden wir
etwas, so lohnts nicht der Mühe, es weiter
zu untersuchen. Wir befinden uns sowohl
oft wachend als schlafend in einer Gedancken-
losigckeit, wo wir uns sehr viel, aber nur
dunckel vorstellen, wir laßen als denn alle
Gegenstände %und Erscheinungen vorbey fließen,
ohne auf irgend einer unserer Aufmerksam-
keit zu richten %und dieser Zustand ist dem Mensch-
lichen Cörper am zuträglichsten. Die
Erfahrung lehret.
/I.) Daß dem Menschen nichts gesunderes und beße-
res sey, als daß er alle seine Aufmerk-
samckeit auf Äußere Gegenstände richte
wenn es auch Gegenstände der Vernunft
wären.
/II.) Daß dem Menschen nichts schädlicheres sey als
wenn er ein genauer Beobachter seiner
selbst ist, und alle seine Aufmercksamkeit
auf sich selbst kehret, solches siehet man
deutlich an einem Hypochondrischen Menschen
der so bald er sich selbst betrachtet und
seiner Kranckheit nachhängt, sich immer übe-
/ ler
|P_17
/Lage 2
/übeler befindet und nichts ist einem solchen
Menschen schädlicher als ein medicinisches
Buch. Denn alle Kranckheiten, die er
lieset, hat er«,». Daher es die Pflicht eines
guten medici wäre, sich nach denen Beschäf-
tigungen seines Patienten zu erkündigen
und es dahin zu richten suchen, daß der
Patient seiner selbst vergil«e»ßt. Es giebt
auch ferner eine eitele Beobachtung sei-
ner selbst, und das Betragen eines solchen
Menschen der sich jederzeit beobachtet, was
er für eine Figur in der Menschlichen Ge-
sellschaft machet, nennt man gezwun-
gen. So wie einer, der ein Buch schreibt
und immer auf den Ausdruck und Wahl der
Wörter acht giebet, niemahls naiv schrei-
bet. Die Qvelle dieser dunckelen
Vorstellungen nennt man die Tieffe
des Gemühts und es ist die Pflicht des Phi-
losop«f»hen dieselbe soviel als möglich zu
erforschen. Wenn es in der Moral %und
sogar ein Evangelium heißt: wir sollen
nicht richten, so ist dieses aus keinem
andern Grunde anbefohlen, als weil
wir oft jemanden aus Zuneigung
oder aus dem Temperament beurthei-
len und glauben, daß dieses aus Grund-
sätzen der Vernunft entspringe.
/Wir kommen nunmehr zu den deutlichen
und verworrenen Vorstellungen. Es ist
gleich anfänglich zu merken, daß hier nicht
/ mit recht
|P_18
/die Verworrenen Begriffe den deutlichen entge-
gen gesezet werden, die Deutlichkeit entspring@et@
wenn man sich seiner Vorstellung nicht allein
bewußt ist; sondern auch weiß, was in dersel-
ben enthalten ist; «¿»da«¿»ß Verworrene wird der
Ordnung entgegen gesezt, %und, obgleich die Deut-
lichkeit allemahl eine Ordnung zum voraus sez@et,@
so ist doch beßer ihr die «u»Undeutlichkeit entgegen
zu sezzen. Die Deutlichkeit ist entweder
Anschauung oder die des Begrifs. Die Deut-
lichkeit der Anschauung beruhet auf dem Eindruk
den die äußeren Gegenstände in meinen Sinnen
machen. Die Deutlichkeit des Begriffs be-
stehet aber darin, daß <ich> diese Anschauung un-
ter allgemeine «m»Merckmahle, die ich sonst
von andern Gegenstände bemercket habe, unter-
bringen kan und also kurz, in der Subordina-
tion. Man kan sich hier den Verstandt als
einen «u»Ungeheuren Raum dencken, der in
gewiße locos Logicos eingetheilet
ist, davon jeder einen Begriff <ent>hält; wenn
ich nun meine Vorstellung in Einen
solchen Logicum locum versezen kann, so
habe ich einen Begriff. Die Deutlichkeit
der Anschauung macht die Aesthetische
Volkommenheit und die Deut-
lichkeit des Begriffs die Logische Vol-
kommenheit
/ aus.
|P_19
/Wir kommen weiter zur Bestimmung des
Menschen, in Ansehung der Erkentniße und
bemerken.
/I.) Das Verhältniß unserer Erkentniße
zum Object, welches in der Wahrheit beste-
het und wenn unsere Erkentnis mit dem
Object von einerley quantitaet ist, so ist
unsere Erkenntniß addequat.
/II.) Daß Verhältnis der Erkentniße zum
Subject, welches in der Veränderung unse-
res Zustandes bestehet, Z.E. angenehm
oder unangenehm Lust und Unlust die
Eindrüke welche in der Ästhetik einen großen
Nutzen haben.
/III.) Das Psychologische Verhältnis oder das
Verhältnis unserer Erkentniße unter
ein ander welches man die Ähnlichkeit
nennet die dem Witz allen Vorschub that.
/Endlich bemerken wir auch 2 Unvolkommenheiten
unsrer Erkentniße, das ist Unwießenheit
und Irthum. Die Unwißenheit ist
ein bloßer Mangel der Erkentnis. Der
Irthum aber ist eine Hinderniß«e» der
wahren Erkentnis, und ist weit gefähr-
licher %und übeler, als die Unwißenheit, denn
bey dem Unwißenden die wahre Erkentnis
bey; allein bey den Irrenden sind 2 Hand-
lungen nöthig, nehmlich man muß erst
seinen Verstand vom Irthum reini-
/ gen und ihn
|P_20
/ihn unwißend machen, welches sehr schwer
ist, und nachmahls ihm erst die wahre Erkent-
nis beybringen, dahero die Pfilosophen ganz
recht haben; die da sagen es solte erst eine
negative Erziehung bey den Kindern vorgehen,
das ist man solte sie erst bloß für «vor» Irthü-
mer<n> bewahren; wir bemerken aber, daß
alle Menschen lieber in Irrthum verfallen,
als daß sie Vorsätzlich in einer Unwißenheit
bleiben solten, daher urtheilt man auch so
geschwinde und will das Urtheil gar nicht
suspendiren, bis die Wahrheit erhellet,
dieses ist ein wahrer Instinct, den die
Natur dem Menschen eingepflanzet, ver-
möge deßen. Er erinnert «immer» thätig seyn
muß und solte Er auch irren. Da hat aber
Gott dem Menschen die Vernunft zu
regirung dieses instincts gegeben.
/Der Mensch empfindet das Leben nur durch
seine Thätigkeit dahero sind Schrifeten
in welchen zwar viele Irthümer; die aber
doch die Kentniß der Menschen erwei-
tern, weit nüzlicher; als die welche
nur bekandte und abgemeine Kentniße
enthalten. Aus eben dem Grunde gefallen
uns auch die Paradoxen Schriften als solche, wel-
che der allgemeinen Erkentnis wiederstrei-
ten, und gleich anfänglich zeigen, daß man
irren kan @)@ weil wir hoffen daß wir
dadurch eine andere Aussicht in diese
/ oder
|P_21
/jene Wißenschafft bekommen, vieleicht man-
ches Unbekannte entdecken können.
/Nota Ein solches Paradoxon war das System
des Copernici Die Lehren von denen Antipo-
den welche Lactantius lächerlich machte und
zugleich sagte: er könte dieses leicht wie-
derlegen, wenn er nur nicht das Buch
schließen muste.
/Es ist überhaupt bewust und ausgemacht,
daß ein jeder Mann von genie erst vors
künftige oder noch entfernete Jahrhunder-
te schreibt und daß zu der Zeit, er, zu wel-
cher er schreibt, für abgeschmackt gehalten
wird; aus der Ursache, weil er aus eben dem
Wahn, wieder welchen er schreibt, beurthei-
let wird. Es ist merkwürdig, daß
die Ueberzeugung der Menschen erst eine ge-
raume Zeit erfordert.
/Wir gehen nunmehro zu den perceptionibus
concometantibus et sociis. Es sind die be-
gleitende Vorstellungen leicht von denen
vergesellschafteten zu unterscheiden; es ist
eben so als wenn ein fremder Reisender
auf ein mit allen Naturschönheiten bedek-
tes Feld kommt, als denn begleiten, die-
se reitzende Gegenstände nur seinen
Blik; allein wenn er der Herr und Ei-
genthümer dieser reitzenden Gegend
geworden so wird sie mit ihm als
vergesellschaftete «B»betrachtet; doch
/ pflegt man
/~Rand_021_Z_10
/Erleuchtet ist ein Zeit
alter in welchem die
Wahrheit keine Hinder-
niße hat. Eine klare
Erkentnis die leicht
mitgetheilt wird
ist faßlich. ~
|P_22
/die oft begleitende Vorstellungen für percep-
tiones Socias zu halten. Es ist zu merken
daß man die mit einer Sache verknüpften
Vorstellungen sehr oft von der Haupt Sache nicht
unterscheiden können, sie daher mit ein ander ver-
wechselt, Z.E. man siehet ein schönes Frau-
enzimmer dem man viele Fehler wegen ihres
guten Aussehens zu gute hält. Ein ihrer
Schönheit begleitender Umstand ist, daß sie
lispelt: es läßt ihr schön, man hält dieses für
die Ursache ihrer Reitze und gewöhnet sich auch
das Lispeln an. Es verdunckelen auch sehr
oft die vergesellschafteten Vorstellungen
die Hauptvorstellungen z.E: Wenn ein
wegen seiner Meriten berühmter Mann
sich prächtig kleidet, so vergießt«l» man dar
über seine innere Vorzüge und betrach
tet nur seinen Anzug, seine Treßen, die er
auf dem Kleide hat, etc: dahero es zur Re-
gel dienet, daß kein Verdienstvoller
Mann sich prächtig kleidet, sondern nur
reinlich und höchstens nach Geschmack, wen
er nicht haben will daß seine Würde
durch die Kleidung verdunkelt werde.
/Wir kommen herauf zu denen «S»sinnreichen Aus-
drüken. Ein Praegnanter Ausdruk ist der
viel Sinn enthält. Nach der Griechischen
Sprache ist die «d»Teutsche die jenige, welche
viele Begriffe in einem Worte zusammen
faßt %und sie zugleich analytisch @«¿»ordne@ die
/ Kleinmüthigkeit.
|P_23
/Es dienet solches zur Logischen %und Hauptsäch-
lich zur aesthetischen Volkommenheit. Die A-
raber haben sehr kurtze Gebe«h»te vor %und nach
dem Eßen, vor dem Eßen sagen sie Bis
millia (Gott segne es) %und nach dem Eßen
ade millia (Gott sey gedankt) wir sind
gerne leidend und lieben doch das thäti-
ge über alles, wir laßen uns zum
Exempel pflegen %und aufwarten, %und sind
in dieser Rücksicht leidend, allein wenn
jemand für unsere Glückseeligckeit mit
der bedingung sorgen wolte daß wir
gar nichts wählen solten sondern uns
nur des andern disponiren gäntzlich
über laßen; so würden wir uns schon
schwürig bezeigen, weil wir als denn gar
nicht thätig seyn könten. Wir laßen
uns gerne fahren, weil wir wißen,
daß wenn wir wollen, wir auch thätig
seyn %und gehen können. Wir haben Ver-
mögen worin alle Veränderungen un-
seres Zustandes oder der Zustand selbst
unserer Empfindungen ihren Sitz haben,
in Absicht auf welche wir bloß leidend
sind, das obere aber ist; der Verstand, durch
welchen wir auch thätig sind. Allein
außer diesem Vermögen haben wir auch
eine obere Kraft das heißt die freye
Wilkühr durch die im Vermögen liegende Zu-
/ stand der
/~Rand_023_Z_25
/Verlaßen wir uns
bloß auf den Ver-
stand ohne Sinn so ent-
stehet ein bloßes
hirngespinste, daraus. ~
|P_24
/Empfindungen bewirckt wird. Wir haben eine dop-
pelte Kraft so wie ein doppeltes Vermögen die
untere Kraft ist die blinde Wilkühr, und die Obe-
re Kraft die freye Wilkühr. Das untere
Vermögen mit der untern Kraft zusammen ge-
nommen macht die Thierheit aus, das obere
Vermögen mit der oberen Kraft macht die
Menschheit aus. Wenn wir die obre Kraft
mit dem unteren Vermögen vergleichen so fin-
den wir, daß wir vermittelst der freyn Wil-
kühr unsere sämtliche Empfindungen dirigiren
können, wie wir wollen. Wir können uns
so gar die Schmertzen lindern, inde«h»m wir
davon abstrahiren, und unsere Vorstellungen
auf andre <Gegenstände> richten. Ja es ist bekannt, daß
man einen kleinen Schmer«t»z %durch die Ficti-
on eines größeren dämpfen könne. Z.E. Wenn
jemand über den Verlust seines eintzigen
Sohnes betrübt ist, %und es wird ihm plötzlich
die Nachricht gebracht, daß sein Schiff mit
Waaren versunken; so vergießt er den
Tod«t» seines Sohnes %und richtet seine Ge-
dancken nur auf den Verlust seines Ver-
mögens, darauf wird ihm gemeldet daß
das Schiff glüklich eingelaufen, nun ist
der Stachel der vorigen Betrübniß stumpf
%und er wird aus beyden Betrübnißen ge-
rißen. Nur schade daß dieses Mit-
tel nicht immer gebraucht werden
/ kan.
/~Rand_024_Z_1
/Die Sinne verdunkelen
auch nicht den Verstand
die Klarheit der be-
griffe muß den Ver-
stand %und die Klahrheit
des Anschauens, die
Sinne thun, die je-
nigen die sich bloß
auf die Sinne bezie-
hen heißen seichte
Köpffe die sich auf
den Verstand bezie-
hen heißen ab-
stracte Köpffe, die
Sinnlichkeit ist also
auf der einen Seite
dem Verstande hin-
derlich, auf der an-
dern nützlich.
/{2- dem Menschen nach seinen ver
schiednen Gemüthsarten.
/1 Erkentniß
/2 Gefühl der Lust %und Unlust
/3 Vermögen -2} ~
|P_25
/Der oberen Kraft trauen wir so viel zu,
daß wir so gar wegen unserer Gesin-
nungen %nicht bekümmert sind ob solche
nehmlich gut oder böse sind, weil wir
glauben, daß wir solche in einem Au-
genblik ändern können, wenn wir
wollen, ob <gleich> man sich darin sehr
irret.
/Die freye Wilkühr oder obere Kraft
wird eingeschränckt.
/I. Durch unwilkührliche Vorstellungen
z.E. wenn die Vorstellungen einer übelen
begegnung, die ich erlitten meine Ruhe stöh-
ren sehr oft will ich sie verbannen, weil
es verdrießliche Vorstellungen sind; allein
ich vermag solches nicht mit aller Macht
meiner freyen Willkühr. Der solches kan,
kann niemahls beleidiget werden.
/II. Durch die übermäßigen begierden, die
durch Antriebe bewürket werden.
/Die sinnliche Erkenntni«ß»s ist von der Verstan-
des_Erkenntniß nur der Quelle, nicht
aber der form nach unterschieden, daher
bleiben die dunckelen Vorstellungen so un-
deutlich sie auch immer sind, Verstandes_Vor-
stellungen und die sinnliche Vorstellungen,
sie mögen so deutlich seyn wie sie wollen
doch immer nur sinnliche Vorstellungen;
Hierinnen haben viele auch sogar der berühm-
teste Atendetson geirret, der die deutlichen
Vorstellungen für Verstandes Vorstellun-
gen hält da er aber doch ein gesehen, daß
/~Rand_025_Z_2
/{2- Zum Sinnlichen wird alles
gezält was das Subiect
modificirt, intellectuel aber
wenn ich mich mit dem Zustand
des Objects beschäftige. -2} ~
|P_26
/sehr ofte die Sinlichkeit vor denen Verstands
begriffen große vortheile hat, so hat er solches
aus der Verwirrung herleiten wollen; allein
dieses ist nicht möglich, denn die Deutlichckeit
der «S»sinnlichen Vorstellungen kan sehr groß seyn,
demohnerachtet kann man doch noch keine Ver-
standes Begriffe von der Sache haben, z.E. Wenn
ein Wilder in unsere Stadt käme und ein
großes Gebäude ansähe, so wird er zwar
alle Theile deßelben genau unterscheiden
und jedes ins besondere klar erkennen, aber
deswegen hat er von dem Hause noch gar
keine Begriffe, er weis noch nicht, zu wel-
chem Ende solches «v»errichtet, die Sinnlichkeit
giebet uns die Materialien, und der Verstand
hat, gleichsam nur die Potestas rectoria und
disponiret, hiraus fließet, da«s»ß die Sinlich-
keit gar nicht zu verachten sey, denn eben so
wenig als es einen Beherscher des Staats
geben würde, wenn der niedrige Stand als
die Bauren ihn nicht ernähren möchten; eben
so w«e»änig kan der Verstand ohne die Sinnlich-
keit etwas nüzzen. Es ist also kein
Vitium, wenn jemand blos sinnlich ist
sondern nur ein Mangel. Es fehlet ihm
nur eine Wißenschafft. Es ist
eben so als eine Uhr, an der auch das Ziffer
Blat fehlet, ohngeachtet des letztre kan
/~Rand_026_Z_2
/{2- Von Sinn %und der Empfindungs
kraft.
/Die Anschauende Vorstellung
ohne gegenwart des
Gegenstandes.
/
/Der Sinn ist in allen Vermogen
von 2erley Art. 1 Der Form
nach. 2 Der Materie nach.
/Die Form ist die anschau
ung des Objects im Raum
und dieses thut die Ein-
bildungs_Kraft, die
Materie aber in sofern
sie Eindrüke auf unsern
Sinn «¿» machen, können nicht
so Lebhaft vorstellen.
Diese bleibt also in der
Abwesenheit dunkel.
/
/Die Sinne stellen uns den
Gegenstand vor wenn sie
gegenwartig sind.
/werden in 2 theile ein getheilt
entweder die außern Sinne
oder der innere Sinn
/die außern Sinne afficiren
dem Korper %und nacher das
Gemuth, der innre aber
aficirt erst das Gemüth %und
nach her die Körper.
/Der äußere Sinn in 2 theile
/1 der Sinn der Vital_empfindung
/2 der Organ_empfindung -2} ~
|P_27
/man sie %nicht für fehlerhaft halten, denn
thut man es hinzu so ist sie fertig. Es
ist also nicht nöthig daß man, wenn
man das Wort «s»Sinnlichkeit nennet,
die Nase rümpffe«,». «s»Sie hat ihren Nutzen,
wenn sie vom Verstande dirigiret und
nicht gemisbrauchet wird. Es frägt sich
nun ob das Bewust_seyn zum obern oder
zum untern Vermögen gehör«en»e <¿>, durch das
bewußt_seyn wird keine Vorstellung
herfürgebracht, sondern sie wird nur
in ein wahres Licht gesezet, Es ist
also nur die bedingung, unter welche
die Obere Kraft wirksam seyn kan.
Es ist die Sinnlichkeit bey einigen so
verhaßt, daß auch Pallas in seinen
Reise Beschreibungen Pillen erfun-
den haben will, die wenn sie jemand vor
seinem Tode einnimmt ihn auf Ewig von
aller Sinnlichkeit befreyen. Es ist wahr
daß die Sinnlichkeit jederzeit das hin-
derliche ist; allein das Vermögen, sich et-
was sinnlich vorzustellen, ist sehr nützlich
weil der Mensch allein nur sinnliche
Anschauungen hat und nur das Ver-
mögen das allgemeine in concreto
zu betrachten bringt den Menschen zur
deutlichen Erkenntniß der Wahrheiten.
/~Rand_027_Z_3
/{2- Gräusen. entsteht aus dem
NervenSistum und vör den
Vitalempfindungen
/
/Die Organ Sinnen laßen
sich wiederum in 2theile
eintheilen
/1 in so weit sie uns die Gegen
standen zeigen ohne uns
«mühe zu» eben sehr uns
zu bemühen also objectiv
/2 wenn sie auf den organ
mher @¿¿¿@ als den Gegen
stand zeigen also Subjectiv -2}~
|P_28
/Es wäre sehr gut diejenigen Schriftsteller
welche von der rührenden Schreibart zur
launigten übergegangen die Laster des
Menschen mehr lächerlich zu machen suchten,
als daß sie gleichsam mit furien verfolgten,
letzteres macht den Schriftsteller leichtlich
zum Menschen haßer. Es ist beßer, %und nützli-
cher den Menschen in eine Narren Kappe zu
hüllen als seine @f\F@ehler zu destitiren, denn
nichts fürchtet der Mensch mehr als ausge-
lacht zu werden, ehe will er lieber alle zu
Feinde haben, dahero ist es beßer Heraclit
als Democrit zu seyn. Man betrachtet
die Welt als ein Narrenhaus %und belacht
die Thorheiten der Menschen, man muß sich
selbst aber niemahls ausschließen, als
denn wird man ein Freund«t» vor allen Men-
schen bleiben man wird über ihre Thor-
heiten lachen %und sie doch lieben. Wir gehen
jezt zu der Betrachtung von der negativen
und positiven Erkentni«ß»s, die negativen
Erkentniße sind bloß Mittel Irthümer
zu verhüten, die negativen Handlungen
/ die
/Rand_028_unten
/~{2- Die Sinnen urtheilen nicht, folglich trügen sie auch nicht. Daher
ist es billiger den Sinnen eine Apologie zu halten, als sie
zu aquisiren. Die Ursach des Trugs Liegt im Verstand.
Auch keine Verworrene Begriffe, denn sie geben gar keine
Begriffe. -2} ~
|P_29
/Die dahin abzweken Irrthümer zu verhüten
in die kein Mensch verfallen wäre nennt
man leere Handlungen inetium Sapientiae
est casuisse stultitia. So ist Rousseau
Erziehungs_Plan in den ersten Jahren bloß
negativ, er zeigt daß man Kinder im anfan-
ge bloß für Irthümer bewahren müße
derjenige ist negative ehrlich, der nicht aus
Grundsätzen, sondern bloß ein solcher ist,
weil er bequemer auf dem geraden als
krummen Wege fortkommt. Der Negative
Stoltz ist der Begleiter der Tugend; ein
Mensch der diesen Stoltz besiezt wendet
blos damit ab, das er nicht verachtet
wird. Die Negativen Handlungen haben
ihren großen Nutzen, %und ein Mensch kann
niemahls anders als negative Weise
seyn. Derjenige Mensch ist gewis hoch
zu schätzen, der ob er gleich keinen Men-
schen eine einzige Wohlthat erwiesen
doch niemahlen beleidiget, niemahls sein
«v»Versprechen gebrochen, niemahls die Un-
wahrheit gesprochen und also blos negativ
«T»tugendhaft ist. Man hat gewiß nicht
nöthig, einen solchen für lieblo«ß»s auszu-
schreien. Dieser darf erst nicht handlen
daß etwas nicht sey, so wie ein Irrender
erst den Weg zurück gehen muß, auf dem
er geirret hat, damit er recht gegangen
/ sey. Das
/~Rand_029_Z_5
/{2- Der Verstand kann dencken
aber nicht anschauung geben
wir könnten mit dem
bloßen Verstand nichts
anfangen. es wäre wie
der der seine Gedancken
vorträgt ohne sie zu
illustriren. -2} ~
|P_30
/Element der Menschen ist Schertzen %und lachen, und
wenn sie etwas ernsthaftes thun; so thun sie
sich einen gewißen Zwanck \ Zwang an«,». Die Griechen er-
zählen von den Tarentinern, daß sie bey allen
Geschäften in ein lachen ausgebrochen. Da
sie nun den Apollo gefraget, was sie machen
sollten, um nicht stets zu lachen, so that er
den Ausspruch, daß sie dem Neptun einen Ochsen
am Waßer opfern sollten ohne zu lachen.
/Da sie hiemit beschäftiget waren, drängete
sich ein kleiner Junge unter sie, der bald sie, bald
den Ochsen ansahe. Sie zerreten bereits das
Gesichte und stießen den Jungen damit er sie
nicht zum lachen bringen möchte heraus, der darauf
schrie; denket ihr denn, daß ich euch euren Ochsen
auffreßen werde, worauf sie in ein lautes
Gelächter ausbrachen %und also Narren blieben.
/Da aber die Negativen Handlungen der Thätig-
keit der Menschen, als einem ihnen eingepflantz-
ten Instinct zuwi«e»der sind; so bemühen sie
sich jederzeit positiv zu handelen. Wenn
ein Mensch alle seine Nerven in Be-
wegung empfindet; so fühlt er sein
ganzes Leben %und ist vergnügt: wenn aber
alle Nerven gleich gespannt so daß er
jede nach Belieben in Bewegung sezen
/ kan
|P_31
/so befindet er sich in einer gewißen Ruhe
%und Zufriedenheit, er empfindet seinen Verstand,
seinen Cörper; er erinnert sich niemanden
beleidiget zu haben %und da«ß»s ist der glückliche
Zustand des Menschen.
/Da nun der Mensch wenn er durch seine
Thätigkeit in Irthum verfält, durch einen
jeden Einwurf den ihm ein anderer macht
in seiner Thätigkeit gestöret wird, so em-
pfindet er es als bald übel, daß ihm ein an-
derer wiederspricht, daher auch bey dem Ein-
wurffe die Einleitungs formel eingefüh-
ret ist: Ich bitte um Vergebung, allein hier
kommt es sehr auf den Ton an, mit den je-
mand diese Formel sagt, man kan damit
eben soviel ausdrücken, als du bist ein dum-
mer Kerl. Überhaupt ist diese Formel
gleichsam ein Cartel, wodurch man einen
andern gleichsam zum Streit auffordert,
%und ist kein wunder, daß der an welchen
ich sie richte, als bald stutzt und mein Feind
wird. Dahero ist es beßer wenn jemand
irret, daß man nicht gleich mit dieser
Formel anfängt, sondern, daß man erst
einen, worin er recht hat, beyfall
giebet, hernach ihn so almählich herum zu
holen sucht, daß er es nicht einmal be-
merket daß man anderer Meynung sey.
/ ≥ Von der Schwierigkeit %.und Leichtigkeit. ≤
/ Man
/~Rand_031_Z_6
/{2- Sinnliche Menschen sind, wenn
sie wenig gewohnt sind ihren
Verstand zu üben. mann kann
ihnen keinen Verstandes
Begrif geben ohne ein sinnliches
Beyspiel zu geben.
/Das weibliche Geschlecht ist
daher sinnlich. auch in
Ansehung der Begierden sind
sie sinlich. -2} ~
|P_32
/Man braucht zwar Schwere %.und leichtigckeit von Cör-
pern, allein vorzüglich nennt man das Schwer was in
großen Verhältnißen mit unsern Kräften stehet, und
das jenige leicht, was in kleinen Verhältnißen zu
unseren Kräften stehet, da wir nun bey allen
Dingen so wir angreiffen, auf den Überschuß unserer
Kräft sehen, nach welcher wir noch in anderen Din-
gen thätig seyn können; so verabscheuen wir jeder-
zeit das schwere, und erwählen das Leichte. Der-
jenige aber der jemanden das Schwere leicht machen
kann, hat Verdruß. Es giebt sehr wenige die
das Schwere leicht Vortragen können. Man schätzt
unter diesen Vornehmlich den Fontanell, den Se-
cretair der Wissenschafften zu Paris und den
Voltaire Überhaupt sind die Franzosen diejenigen
die das Schwere jemanden am faßlichsten machen
können. Man unterscheidet die Schwürigkeit und
Leichtigkeit, in die innere, und in die äußere,
die innere Schwierigckeit und Leichtigckeit ist
in so ferne man einen kleinen oder größern
Überfluß der Kräfte bey sich empfindet, die
äußere in so ferne diese oder jene Sache
mehr hinderniße hat die durch die Kräfte
weggeschaffet werden müßen.
/ So
/Rest_leer
|P_33
/Lage 3
/So kan man eine innere Leichtigckeit und eine äußere
Schwierigkeit zugleich antreffen und empfinden
Z.E: wenn man ein junges Frauenzimmer,
die nur darauf bedacht ist, ihre Reitze zu
vermehren, in Metaphysischen Dingen Unter-
richten soll; so kan zwar der Lehrende eine
große Fertigckeit darin besitzen, einen solchen
auf das planste faßlich zu machen; allein das
Frauenzimmer ist immer zerstreut, %und denkt
nur, an Putz, Assemblees %und andere Dinge. Hier
ist eine innere Leichtigckeit und eine äußere
Schwierigckeit.
/ ≥ Von der Attention und Abstraction ≤
/Die Aufmercksamkeit bestehet nicht in der Klar-
heit der Dinge selbst, denn bisweilen ist eine
Sache, wenn man bloß leidend ist, klahrer
als wenn man thätig ist; sondern sie bestehet
in der anstrengung unserer Kräfte %und der
Richtung, die wir unsern gedanken in ansehung
einer Sache geben, in dem wir sie bloß und Vor-
züglich auf einen Gegenstand richten. Und
die Abstraction gleichfalls in einer
Anstrengung, in dem wir gleichsam eine Sache
von allen sie begleitenden Umständen,
absondern, und für sich allein betrachten.
Was aber bei einer solchen anstrengung, in
unserer Seele vorgehe, ist nicht zu erklähren,
genung, daß es sehr schwer ist, besonders vom
Sinnlichen Erkentnißen, und von Empfindun-
gen in der Art zu Abstrahiren, daß sie nicht
bis in unsere Seele dringen oder wönig-
/ stens
|P_34
/doch nur eine dunckele Vorstellung in uns her-
vor bringen. Ein Empyrischer Kopff abstrah@irt@
zu wenig und ein speculativischer Kopff abs-
trahiret zu viel Z.E. wenn man Betrachtung
der Sittlichckeit, von dem Subject selbst als dem
Menschen abstrahiret. Es giebt eine Wilckührli-
che Attention und Abstraction, aber auch eine unwil-
ckührliche. Dieses ist ein elender Zustand, da-
gegen ist es sehr Vortheilhaft, wenn die atten-
tion und Abstraction in unserer Wilckühr liegt, denn
so kann uns keine beleidigung unglücklich machen,
wir Abstrahiren, und machen dadurch dasjenige
Bild, was uns quält, unsichtbar. So kann man
so gar den größesten Schmertz überwinden, wie
man sagt, das jemand der auf der Tortur lag,
bloß dadurch, daß er seine Aufmercksamkeit auf
ein Bild richtete, die größesten Schmerzen über
standen habe. Es ist derhalb kein Zustand
für einen Menschen unerträglicher; als
wenn er zwischen Furcht %und Hofnung ist,
denn so kann er sich in keine gewiße dis-
position setzen Z.E. wenn mein Freund in Todes
Noht liegt, so dencke ich ihm wird vieleicht noch kön-
nen geholfen werden, gleich darauf aber fält
mir ein, er wird doch wohl draufgehen müßen
und man verfält als denn nicht auf das Mittel
oder die Möglichckeit beyder Fälle, welches
doch beruhigen könte. Ist er aber todt; so
disponire ich gleichsam über mein Gemüth und
/abstrahire
|P_35
/Leer
|P_36
/Leer
|P_37
/davon. Als man den Socrates ankündigte, die
Athenienser hätten ihm den Tod zu erkannt; so
sagte er: Wohlan nun. Die Natur hat denen
Athenienser den Tod zuerkant, und auf solche
weise setzte er sich in disposition, daß er
den Tod leichter ertrug. Reusseau merkt an, daß
die Ärtzte den Menschen so feige für den Tod ge-
macht hätten; denn man sehe einen wilden,
wie ruhig er stierbt. Aber dadurch, das der
medicus dem Krancken, Hofnung zur Gene-
sung macht, gleich darauf aber der Krancke
an den Gesichtern der Umbstehenden, und an
seinen Schmertzen merckt; daß er gewi«s»ß
sterben muß, so ist er gleichsam in einem
beständigen Schrecken, %und wird feige. Bey ei-
nem Hypochondristen ist ein Vorzüglicher
Fehler der Mangel an Abstraction, denn von
den Gedanken, die ihm einfallen, kann er sich
nicht so leicht loß machen, Sonst glaubt
man auch, daß ein Mensch gar vermögend
ist, von allen Dingen zu Abstrahiren, %und
daß man dadurch den Schlaf befördern könne;
allein man befördert wohl, das der Schlaf
vielmehr dadurch befördert wird, daß
man seine Aufmerksamkeit von allen Dingen
abziehet %und alles durch einander denkt was
einem einfälet.
/ ≥ Von den gehäuften Vorstellungen (perceptiones complexae) ≤
/Gehäufte Vorstellungen nennen wir nicht, daß wenn
wir uns viele Dinge zugleich vorstellen, sondern wen
aus Subjectiven Gründen eine Vorstellung viele
Vorstellungen neben her begleitet: So dencken wir Z.E.
/ wenn uns
|P_38
/eine Gramattische Regel einfällt, die wir in der Schule
erlernet haben, an eine Gramatticalische Mode, mit
welcher sie der Lehrer Vortrug.
/Die Vorstellung nun, die wir uns willckührlich von ei-
nem object machen, nennt man perceptio primaria, dieje-
nigen aber welche die Haupt Vorstellung begleiten,
peceptiones adhaerentes oder Secundariae. Nun
aber geschiehet es nicht selten, daß die Perceptiones Ob-
jective adhaerentes, Subjective regnantes werden
Z.E: wenn man in eine Kirche gehet %und eine Prädigt hö-
ret, die wohl ausgeschmünckt war; so gehet man er-
bauet heraus, doch denckt man nicht lange daran und
solches kommt daher, weil unsere Andacht, mehr durch
perceptiones adhaerentes rege gemacht ist, als sie
auf der perceptio primaria beruhet.
/Vornehmlich bemercken wir dieses bey Leuten, die
nicht nach Grundsäzzen handlen, daß die praecepti-
ones adhaerentes praevaliren, Z.E. bey Frau-
enzimmer, die mehr auf den Putz und neubles
im Hause sehen als auf ein bequemes Leben.
Als Mil«au»ton von seinen Frauen erinnert wur-
de, seinen patriotischen Eyfer fahren zu laßen,
und nunmehr die Parthey des Königes wieder
zu ergreiffen, da ihm ohne dem eine Sekretair
stelle angetragen worden; so antwortete
er ihr, weil er sie liebte, Sie haben Recht,
weil sie nur denken in Kutschen zu fahren
allein ich muß ein Ehrlicher Mann bleiben. Sie
dachte daß ein Schelm in einer Kutsche beßer
wäre als die Ehrlichckeit zu Fuße.
/ Als
|P_39
/Als eine Gesellschaft über die schlechten Zei-
ten klagte, %und einer der dabey ruhig saß und
eine Pfeiffe Toback rauchte gefragt wurde,
was er dazu meynte, so fing er in dem er
seine Pfeffe ausklopfte, denn zu sagen, wie
die Menschen durch Vermehrung ihrer Be-
dürfniße sich selbst die Zeiten schwer mach-
ten, %und hielte darüber eine ordentliche Re-
de, man hörete ihm wie einen Predi-
ger zu, ging nach Hause und blieb wie
vorhin. Es ist merckwürdig das Men-
schen oft bey der Haupt Vorstellung
gar nicht, bey der Neben Vorstellung
aber gar sehr gerührt werden. Als ein
Engelländischer Officier nach der Bataille, da
die Engelländer von den Franzosen geschlagen
wurden, nachdem dem Könige deshalb abgestat-
teten rapport, auf ein Coffee_Haus kam,
und daselbst den Cartenspielern die trauri-
ge Scene erzählte, wie so viele 1000 Menschen
umgekommen, nückten die Cartenspieler hiezu
mit dem Kopffe, %und spielten weiter. Hier-
auf erzählte er, wie die Frau eines Capi-
tains die aus Liebe für ihren Mann ihm
in die Batallie gefolget, nach vollendeter
Bataillie auch den erblaßeten Cörper ihres
Mannes gefunden, auf den selben ohnmächtig nie-
dergesuncken %und auch gestorben wäre. So hörete
bey dieser Erzählung die gantze Gesellschaft auf
zu spielen, %und eine Mitleydsvolle Thrä«h»ne zitterte
in ihren Augen. Woher kommt es, daß sie bey Er-
zehlung so vieler 1000den sich gantz gleich gültig, über
den Tod einer einzigen Frauen aber so gerühret fun-
den; Dieses entstand bloß aus einem Sympathe-
|P_40
/Sympatetischen Gefühl gegen das andere Geschlecht,
und man schätzt hier mehr das Gefühl des Subjects
als den Werth des Objects.
/Es giebet überhaupt keine Vorstellungen ohne adhae-
rentien, und es ist uns auch eine solche Vorstellung
ohne adhaerentien höchst Verdrießlich.
/Wir nennen eine Vorstellung ohne perceptiones Se-
cundariae, eine trockene Vorstellung, so sagt man:
Er hat ihme gantz trocken die Wahrheit gesaget, d.h. ohne
alle Umschweiffe, ohne Ceremonien«,». «m»Man hat
diese Benennung von denen Speisen hergenommen,
die, wenn sie trocken unangenehm sind, dahero
Wißenschaften wenn sie an sich selbst schwer
sind %und trocken Vorgetragen werden dadurch noch
verdrüslicher sind, Rabener sagt, Verstand
ist wie Rind %und Schöpsen Fleisch, welches
für Bürger %und bauren gut ist; allein ein gut Ge-
richt Thorheit, mit einer guten Brühe von
Witz übergoßen, ist ein Gericht, welches man
auf eine Königliche Tafel setzen kann, es
machen zuweilen bey Predigten, wie bey Ge-
richten die fames, die perceptiones adhae-
rentes mehr aus, als, die perceptis prima-
riae. Es kommt hier nur, auf den Koch an,
der sie zugerichtet.
/ ≥ Von der Überredung %.und Überzeugung ≤
/Diese beyden Stücke können im Subject nicht unter-
schieden werden, sie haben in Ansehung, des Subjects
gleiche Würckungen; Überzeugungen sagt man wenn die
Vorstellung mit dem Object übereinstimmet. Bey
Unterscheidung des wahren %und falschen geht bey uns
ein außerordentlicher Proceß vor. Der Ver-
/ stand ist
|P_41
/der Richter, die beyden Urtheile sind die Streiten-
den Partheyen %und die Criteriae, die jedes Urtheil
für sich anführet, sind die advocaten. Als denn
höhrt der Verstand beyde Partheien ab; allein es fin-
den sich oft «wied»Widersprecher, die das bey dem Ver-
stande durch die Kunst zu erlangen suchen was sie durch
den Proceß nicht erlangen würden. Jedoch weil
der Verstand, nicht gerne etwas lange in
Zweifel liegen laßen mag; so schließt er
bald die Acten, und denn geschiehet es, daß
oft, wie bey Weltlichen Gerichten, die schwä-
chere Parthey bloß deshalb sieget, weil
die stärckere auf ihr Recht so stoltz thut und
trotzet, denn der Mensch ist immer geneigt, dem,
der auf sein Recht trotzig ist, zu wiederspre-
chen, weil nun der Verstand so eilig mit
seiner Entschuldigung ist; so heißt es oft,
%und der Dieb gieng schnell zum Strick, denn
die Richter wolten essen; so wie solches
in Engeland, öfters geschiehet, weil die
Richter nicht eher essen können als bis die
Sache abgeurtheilet ist. Wenn ein
türkischer Richter Partheien verhört %.und sie füh-
ren beyde sehr viel zu ihrer Vertheidigung an,
so wird er dadurch ganz verwirrt gemacht, %und
glaubt, daß die Partheyen blos, aus gar zu
vieler Hitze, zu viel reden; Er läßt sie da-
hero beyde auf den Bauch legen, %und ihnen zur
Abkühlung, etliche 50 «s»Schläge zuzählen.
/Die Lehre von der Sinnlichckeit ist überhaupt die
Aësthetic, diese aber ist dreyfach:
/1.) Aesthetica transcendentalis die sich bloß mit der
Erkentnis, das nach Gesetzen des Raums oder der
Zeit entspringt, beschäftiget.
/ 2 Aesthetica
|P_42
/2.) Aesthetica Physica. Die sich mit der Natur der
Sinnen beschäfftiget,
/3.) Aesthetica practica.
/ ≥ Von den Sinnen. ≤
/Die Materie der Sinnlichkeit, die Form der sinnlichen
Vorstellung in so ferne wir uns etwas dieser Em-
pfindung paralel vorstellen. Bey jeder Sinnlichkeit
aber ist zugleich eine Abbildung, in der wir die
Bilder, hierauf unsere Seele geschehen finden, und sie
uns auf einmal vorstellen, daher man sich auch öfter
kein Bild von einer Sache machen kan, bloß weil
die Einfachheit bey demselben fehlet. Z.E: Bey
der Gothischen Bauart, wo viele Zierrathen ange-
bracht sind. Wir haben aber auch das Vermögen
uns bey Abwesenheit des Objects noch das Bild
vorzustellen, %und solches nennt man die Na«¿»chbil-
dung, welche beide Begriffe nur der Zeit nach Un-
terschieden sind; hiervon aber ist gantz unter-
schieden, die Einbildung, da wir uns ein gantz
neues Object schaffen. Der gemeine Redege-
brauch deutet den wahren Begrif dieses Wor-
tes an, obgleich <in> den Pfilosophischen solches oft
statt der Nachbildung gebraucht wird. Eine sol-
che Einbildung muß ein Poët haben. Diejenig@en,@
welche äußere Gegenstände für bloße Erschei-
nungen halten, nennt man Idealisten. Die Ro-
manen, die den Menschen in eine eingebildete
Welt sezzen, sind gantz untauglich, sie dienen aber
vieleicht dazu, daß sie die Nerwen des Menschen
auf allerley «w»Weise zerren. Es hat der Mensch
Macht sowohl seine Empfindungen des äußeren als
/ auch
|P_43
/des innern Sinnes seiner freyen Wilkühr zu
Unterwerffen. Die Americanische Knaben,
legen Kohlen zwischen ihre zusammengebundene Hän-
de %und sehen einander an, wer unter ihnen zuerst
das Gesicht verzerren wird, worüber sie alsdenn la-
chen. Sie gewöhnen sich hiedurch von aller Em-
pfindung zu abstrahiren %und gleichsam fühlloß
zu werden. Es geziemet sich für einen Mann bey
dem Spiel des Schicksahls gleichsam unempfindlich zu seyn
%und durch Anwendung seiner Attention %und Abstrac-
tion se«¿»in Unglük zu vermeiden. Man
kann es hierrinnen auch sehr weit bringen.
/Alle unsere Erkentnis hat ihre Quellen, in
der Erfahrung, ob wir nun gleich nicht alle un-
sere Erckentnis aus der Erfahrung schöpffen;
so erwerben wir auch die Vernunft Erkent-
niße lediglich bey Gelegenheit der Gegen-
stände der Sinnen, %und welches besonders zu mer-
ken, so haben alle unsere Erkentniße; selbst
die wir durch die Vernunft bey betrachtung
der Welt, von einem U«n»rwesen oder von
Gott haben, ihre Beziehung auf die Gegen-
stände der Sinnen, die dadurch, daß wir
vom Daseyn Gottes überzeuget werden,
werden wir auch bewogen, uns in Absicht
der Welt so zu verhalten daß wir der Glückselig-
keit würdig werden, die uns die Güte eines
höchsten «¿»Wesens verspricht, die jenige Methode
der Beurtheilung der Welt, die wir in Rück-
sicht des, was in uns ist, die äußere Gegen-
stände für bloße Erscheinung halten, nennet
man Idealismum. Diesen theilt man ein
in den theoretischen, Aesthetischen und prac-
/ tischen
/~Rand_043_Z_14
/NB. ~
|P_44
/Es giebt eine Vernünftige Idée, da wir nehmlich den
aüßeren Gegenstand keinen Wehrt zu eignen, als in so-
ferne sie auf ein Vernünftiges Wesen ihre Beziehung
haben, daher wir bey Betrachtung der unzähligen Welt-
Cörper, so bald wir kein Vernünftiges Wesen
auf demselben dencken, auf die so viele Gegenstände
ihre Beziehung haben, gegen alle diese ungeheure Cörper
in denen vielleicht Cristallen Berge befindlich, eine geheime
Verachtung be\empfinden. Aus diesem Vernünftigen
Ideal ist der theoretische Idealismus entstanden, in-
dem man glaubte, daß man in der Welt bloß ver-
nünftige Wesen annehme, und den Cörperlichen
Dingen alle Wirklichkeit außer uns nehmen kön-
te. Man stellete sich nehmlich vor, daß die Erschei-
nung der Welt, ein bloßer Traum sey, worin aber
die Erscheinungen, sich nach einer gewißen Ordnung
zu trügen, und es wäre kein anderer Unterscheid
zwischen einen würcklichen Traum, und denen Er-
scheinungen der Cörperlichen Welt als zwischen
Ordnung %und Unordnung; allein dieses the-
oretische Ideal hat einen so wenigen Effect
in Ansehung der Menschlichen Handlungen, daß
ein jeder Mensch bey würcklichen Empfindungen;
die von denen äußeren Gegenständen her-
rühren, gleichsahm gezwungen wird, ohngeach-
tet der Subtilitaet, die Würklichckeit der Ge-
genstände anzunehmen.
/Was nun das Aesthetische Idael betrift, so
/ ist
|P_45
/solches theils Chimaerisch theils würcklich; es be-
stehet in der Verachtung des Wehrtes der Din-
ge, wie sie würcklich sind %und in der Hochachtung
des Wehrtes der Dinge, wie sie nach einer im Ver-
stande liegenden Idée seyn könten. Uns gefält
nicht alles in der Natur; sondern wir glauben
immer, daß wenn es so %und anders wäre, Z.E.
wenn wir unseren Nakten Cörper Betrachten
und das musculoese ansehen, wie solches einer-
ley Biegungen %und Eindrücke macht; so gefällt
uns dieses nicht, %und dieses kommt daher, weil
dem Menschen nichts gefällt, was eine Bedürf-
niß verräht, denn der Mensch schämt sich gleich-
sam seiner Bedürfniße. Dahero wir auch ge-
wohnt sind in Gesellschaften unsere Bedürfniße
mit aller Sorgfalt zu verheelen, die größeste
Schönheit des Menschlichen Cörpers setzen wir auch
einer in uns liegende Idée, in das Mittel
zwischen Futterkeit %und Magerkeit. Eine
solche Proportion haben die Alten an der Na-
tur des Bachus, A«p»pollo etc: gewählet, die heut
zu Tage kein Mahler und Künstler mehr nach
ahmen kan. So hat ein rechter Pferde Kenner
eine Idée von einem volckommen schönen Pferde,
ob ein solches gleich niemahls anzutreffen
ist, und er selbst, wenn er auch Mahlen könte,
ein solches aufs Papier zu bringen, nicht im «s»Stande
ist. Es dienet ihm dieses Ideal dennoch zur
Beurtheilung der Pferde. Ein jeder Mensch von
Genie hat ein solches Ideal weil aber heut zu Tage,
die Leute die Tugend
/ vornehmlich
|P_46
/leer
|P_47
/leer
|P_48
/Vornehmlich an ein Muster (um eigentlichen Verstande
giebt es kein Muster sondern solches liegt allein
in dem Verstande, und in der Idée, es ist dieses
nur ein Beyspiel) weisen; so werden sie bloß Nach-
ahmer und getrauen sich nicht etwas von ihren ei-
genen hinzuzusezzen. Ja nichts ist unvernünf-
tiger als daß man Kinder sogar Lateinische
phrases, die von andern gebraucht sind aus-
wendig lernen läßt, da sie denn nichts als
einen Lücke zusammen Koppeln lernen.
/So ist in Franckreich, der Geist der Nachahmung so
groß, daß wenn man 10 Franzosen kennt
man die ganze Welt kent. Daher ein Engellän-
der der ungesellig %und nicht gewohnt ist, sich an-
dern zu accommodiren, viel leichter etwas
hervor bringt was aus Ideen fließet %und Genie
zeigt. Man solte billig bey Unterwei-
sung der Jugend ihr zwar Beyspiele vorlegen,
allein sich auch bemühen ihr genie zu excoliren,
und sie von der Nachahmung abzuhalten. Was end-
lich das Practische Ideal anbetrift; so hat der
Mensch das besondere Vermögen, denen Dingen
einen Wehrt zu geben, denen er will. Dahero
jemand, der vorhero in Kutschen gefahren, nun
mehro aber in Dürftigen Umbständen lebet,
zu fuß gehet, sich seinen Zustand ganz er-
träglich machen kan, wenn er diesem seinem
Zustande noch einen Vorzug vor jenem giebt.
/ Er
|P_49
/Er darf zum Exempel nur dencken, daß wenn er
zu fuß gehet er weit mehr Gegenstände zu
sehen beckommt, als wenn er im Kasten ver-
schloßen wäre. Ferner daß wenn er selbst
zum Krähmer geht, er sich weit beßere Etoffes
hohlen kan, als wenn er den Bedienten schickt,
Kurtzt er darf nur an die Kürtze des Lebens den-
ken, %und daß e«r»s ihm gleichviel sey, wie dieser
Erdenball geschlagen werde, wenn er nur
auf seinen Standpunckt bleibt. Es ist also
der Mensch der sich über seinen schlechten Zu-
stand grämt auslachens werth.
/ ≥ Von den Sinnen %und sinnlichen Organen vid @%.Anhang@ 17.≤
/Zuerst müßen wir die Empfindung von der Erscheinung wohl
unterscheiden; durch die Empfindung drückt man die Ver-
änderung aus, die in unsern Cörper vorgehet; die
Erscheinung aber ist, wenn wir uns etwas
dieser Empfindung correspondirendes vorstellen.
Zu weilen herscht oder hat ein Übergewicht,
bald die Empfindung, bald die Erscheinung.
Z.E wenn wir Vitriol_Säure auf die Zunge
legen, so herscht bey uns die Empfindung, wir
unterscheiden hier uns mehr, ob es sauer oder
süße ist. Bey den Gegenständen aber, die auf
unsere Augen würcken, herscht die Erschei-
nung, weil das Gleichgewicht unseres Cör-
pers, im gantzen betrachtet, dadurch nur un-
vermerckt aufgehoben wird, daher der gemei-
ne Mann auch nicht glaubt, daß die lichte
Strahlen von den Gegenständen in unseren
/ Augen
|P_50
/fallen; Lücke
/Wenn nun die Empfindung so starck ist, das alle re-
flection über die Gegenstände bey uns aufhöret so nen-
net man dieses gefühl Z.E. wenn jemand aus einem
sehr finstern Keller in ein sehr helles Zimmer tritt,
so nennet man bey ihm die Vorstellung der Objecte nicht schein,
sondern Gefühl, Unsere Sinne sind theils mittelbar
theils unmittelbar. Der einzige Sinn, durch wel-
chen wir uns die Objecte unmittelbar vorstel-
len heißt Gefühl, oder Tactus, die übrigen sind alle
mittelbar. Man empfindet die Gegenstände
nicht anders, als vermittelst eines Mitteldin-
ges; welches sich zwischen, den Gegenstand, %und un-
seren Organen befindet, so empfinden wir z.E.
etwas durchs Gehör nur vermittelst der Be-
wegungen der Lufft, die vom Gegenstande her-
vorgebracht wird, wir sehen etwas z.E. Die
Sonne, nur vermittelst der lichtstrahlen;
wir richen etwas nur vermittelst der Luft,
die mit den aufgelöseten Theils eines Dinges
erfült ist. Wir schmecken etwas, nur ver-
mittelst der durch den Speichel aufgelöseten, und
in Pupillas oder Wartzchen eingeführte Saltztheile.
Ferner die Gegenstände würcken auf unsere
Sinne entweder mechanice, durch Stoß %und Druck
oder chymice durch auflösung: Die Sinnen auf
die die gegenstände mechanice würcksam sind,
sind das Gefühl, das Gehör %und Gesicht diejenigen
Gegenstände auf die die Sinnen Chymine wür-
ken, sind der Geschmack %und geruch.
|P_51
/Der Sinn der vor den gröbsten gehalten wird,
nehmlich das Gefühl ist nicht der wesentlichste
%und stärckste, denn durchs Gehör stelle ich mir nicht
eigentlich vor, ich habe keinen Begrif von dem Gegen-
stande, der die Bewegung der Luft verursachet,
durchs sehen erkenne ich nur die Form der Dinge
und etwa ihre Farben welches uns zuwei-
len ein Blendwerck seyn kan, allein durchs Ge-
fühl erckenne ich die Dinge ihrer matere
nach.
/Man sagt es wären 2 Schwestern gewesen
wovon die eine Taub geworden, indeßen
hätte sie doch mit ihrer Schwester im Finstern
reden können, und zwar auf die art, daß sie ihre
Finger auf die Lippen ihrer Schwester gelegt,
und aus der Bewegung derselben ihre Worte
genau errathen können, bloß durchs Gefühl.
Ein Blind gebohrener zu London dem der Staar
gestochen war, hatte zwar viele Vorstel-
lungen; allein er konte sie nicht eher erken-
nen, als bis er sie mit dem Gefühl vergli-
chen hatte, %und nachdem er alles durchs Ge-
fühl erkennen konte; so konte er doch
keine Kazze von Hunden Unterscheiden, als
bis er sie beyde betastet hatte, ja da er
einmahl in einen Staal geführet wurde,
deßen Wände mit perspectivischen Male-
reyen angezieret waren; so freuete
/ er
/~Rand_051_Z_11
/Das Gefühl ~
|P_52
/er sich sehr, daß er in einen schönen Garten käme,
ging gerade zu, bis er mit der Nase an die Wand
sties, hier stutzte er %und fing an die Wand zu be-
taßen, da er denn balde gewahr wurde daß es
nur eine fallacia Optica wäre.
/Dem Gefühl kommt der Geschmack am näch«e»sten,
weil sich da die aufgelöseten Saltz_theilchen
in die Geschmack_Drüsen hinein ziehen, daher
kommt es, daß den Menschen nichts so sehr ver-
gnüget als der Geschmack. Ein wilder Americka-
ner der neben der Oper eine Garcküche fin-
det, wird gewis die Schönste music fahren
laßen %und sich zu sättigen suchen, wir müßen hier
mercken, da«s»ß sich die Geschmack_Drüsen, durch
den ganzen Mund, so gar durch den
schlund %und in die Milchgefäße erstrecken, da-
her wenn die inneren Drüsen afficirt werden,
der appetit entstehet, und wenn die Menschen
nicht aus Eitelckeit den Geschmack verderben
möchten; so würde ihnen nichts schmecken
was ihrer Gesundheit nicht zu träglich wäre.
Sehr oft ist das was die Geschmack_Drüsen
afficiret auf der Zunge sehr angenehm
/~Rand_052_Z_17
/{2- nicht gantz richtig. -2}
/letzte_Zeile
/Das Gehör ~
|P_53
/Lage 4
/beym herunter schücken aber findet man daß es
mit den hintersten Geschmack_Drüsen nicht
über einkommt. So ist es mit allen süßen
Speisen, dagegen der @R\F@einwein mit denen
vordersten Geschmack_Drüsen nicht har-
moniret, da doch der Geschmack sehr angenehm
ist, das ist allemahl gesunder, was zwar
im anfange, etwas wiedrig schmeckt, im
nachschmack aber angenehm. Dem Geschmack
kommt, der Geruch am nähesten, da nehmlich
die jederzeit feuchte Drüsen, auf diese
oder eine andere Art, angenehm, oder unan-
genehm afficiret werden. Wer immer eine
trokene Nase hat, riechet nichts.
/ Von unseren Sinnen können einige privat
andere gemeinschaftliche Sinnen genandt wer-
den. Zu den privat Sinnen gehören diejeni-
gen, wo nur einer allein die Empfindung haben
kann; als Geschmack %und Gefühl. Zu denen Ge-
meinschaftlichen Sinnen, durch welche sehr
viele ein Object auf einmahl empfinden kön-
nen, gehöret das Gehör, Gesicht, Geruch;
Da«s»ß Gesicht ist der «S»stärckeste «s»Sinn, durch wel-
chen sich auch die mehresten Objecte auf ein-
mahl Vorstellen können. So machen
/ die
|P_54
/die Franzosen Z.E. wenn sie eine große Entfernung
meßen wollen, ein Feuer, in der Entfernung von
etlichen Meilen, welches doch gesehen werden kann;
dagegen der Schall einer abgelöseten Canone aller-
erst in einigen Secunden zu solcher distance ge-
langen würde. Ob man wohl durchs Gefühl, sich
sehr viele Dinge auf einmahl vorstellen kann,
%und man nur Aufmerksamkeit gebrauchen muß
um die vielen Gegenstände, einzeln zu betrach-
ten, da man bey dem Mangel des Gesichts, sich nur
bloß von der Gestalt, Härte, oder «w»Weiche«s» eines
Dinges einen Begrif machen könte, durchs «g»Ge-
hör man aber eigentlich sich keine Vorstellung
von der Sache selbst machen kan; so ist doch noch nicht
aus gemacht, daß das Gesicht dem Gehör vorzuzie-
hen ist. Das Gesicht bringt uns eine Objective
Erscheinung, das Gehör aber nur eine Sub-
jective zu wege.
/Weil man aber eigentlich, nur das schön
nenne«t»n kann, was vielen in der Erscheinung ge-
fällt; so werden wir auch nur durch das
Gehör und Gesicht bestimmen können,
was schön ist, denn was gut schmekt, und
gut riecht können wir zwar angenehm
aber nicht schön nennen.
/ Das
|P_55
/Das Gehör hat eigentlich, keine qualitaet, denn
dadurch, daß viel, oder wenig Schläge, auf das
Trommelfell geschehen, bekommen wir eine Vor-
stellung weder von angenehm, noch schön, aber
wir finden, daß die Seele ein Vermögen
hat, besonders auf die proportion der Zahlen,
aufmerksam zu seyn, %und also auch an den Schlä-
gen, die auf der Trommell, entweder har-
monisch, oder disharmonisch geschehen, ein
Gefallen, oder «m»Misfallen, empfunden.
Es ist das Gehör, nur ein Mittel der Arith-
metik, durch die Empfindungen. Es ist aber
zum bewundern, wie man durchs Gehör,
die Zeit in einem Augenblick, in so viele
theile, theilen kann, denn man hat ausge-
rechnet, daß der niedrigste To«h»n, den ein
Mensch nur für einen Ton halten kann,
durch ein 90 mahl, oder wie andere sagen
durch ein 24 mahl, oder wie andre sagen durch
ein 12 mahl wiederhohletes Berühren der
Trommel im Ohr hervorgebracht werde, und
zu dem allerhöchsten To«h»n, den nur ein Mensch
dafür erckennen kann, 600 Bebungen er-
fordert werden, sind nun etwa 100 Bebungen
weniger; so erkente man gleich, daß es
ein anderer T«h»on sey. Man siehet also hier-
aus, daß die Seele des Menschen, in dem
Augenblick, da der Ton angegeben wird,
die zeit in 600 Theile eintheilen müßen,
/ und
|P_56
/hieraus ist nun auch zu sehen, warum man
zu dem Mittel seine Gedancken einem andern
zu offenbahren, oder vielmehr mitzutheilen
Worte und Pantomimen, oder Geberden, er-
wählt hat, bloß, weil der Schlag sich nach allen
Orten ausdehnt; %und man überhaupt die Ein-
drücke auf das Gehör weit stärker als aufs
Gesicht empfindet. Es frägt sich nun, wie daß
kommt, daß die Menschen das Gefallen, an eini-
gen Erscheinungen Geschmack nennen, da solche
doch gar nicht auf diesen Sinn würcken? so
sagt man: der Mensch hat Geschmack, am Bauen.
Die Uhrsache hievon scheint wohl diese zu
seyn, weil doch alles zulezt, die Menschen
mögen machen was sie wollen, aufs Eßen
%und Geschmack hinaus läuft. So sagt Homer
wenn die Tisch_Glocke gezogen wird; so läuft
alles davon, %und wenn er auch sein Gedicht, wel-
ches ungemein schön war, nur halb gelesen hat-
te. Der Geschmack macht doch den Men-
schen das größeste Vergnügen, denn durch
ihn kommt würcklich, etwas in den Cörper des
Menschen hinein, da er hingegen durch die
andern Sinne lange nicht so afficiret wird.
Was den Geruch anbetrift, der ein Analogon
/ des
/~Rand_056_Z_10
/Geschmack ~
|P_57
/Geschmacks ist, so das auch durch den Geruch die
Geschmack Drüsen einiger maaßen afficirt
werden, %und man Z.E. die Säure schon durch den
Geruch erkennen kan; was diesen Geruch
anbetrift so scheinet es doch würcklich daß
es bloß eine eingebildete Sache ist, denn
bey Kindern, %und bey Wilden bemerckt man nie-
mahls, daß ihnen etwas stincken solte. Ja
die Indianer finden bey Assa foetido keinen
übeln Geruch. Dagegen diejenigen, die ei-
ne verfeinerte Nase haben, oft von einen
übelen Geruch in Ohnmacht fallen. Man hat
auch ordentliche Moden im Geruch, zu alten
Zeiten legte man Ambra, Bisam etc etc in
die Wäsche, und Kleider, damit sie gut riechen
möchten, jezo sind die von Blumen abgezoge-
ne Wäßer im Schwange. Der Eckel ent-
steht vornehmlich aus dem Geruch, und ist
bey den Wilden sehr ungewöhnlich.
/Obwohl das Gefühl der unentbehrlichste
Sinn ist, weil man dadurch die Substantz
kennen lernt; so ist er deshalb doch nicht
der volckommenste, denn volckommen ist ein
Sinn, nur in so fern, er zur Erkentnis der
Gegenstände und meiner Glückseeligkeit
dienet. Einige Sinnen die weit volckommener
sind als das Gefühl, dienen dem Verstand;
/ und
|P_58
/und verschaft uns von sehr vielen Gegenstän-
den die Kentnis; das Gehör aber dient vor-
nehmlich der Vernunft, denn durch daßelbe
communiciren wir unter einander die Gedan-
ken, das Gehör ist der Sinn der Geselligkeit,
daher ein Tauber fast immer argwöhnisch, %und ver-
drüslich ist. Ein blinder aber der nur das Gehör
hat, ist oft sehr aufgeräummet %und lustig, denn der
Mensch empfindet das größeste Vergnügen in der
Geselligkeit; die Ursachen warum Menschen
lieber Taub als blind seyn wollen, ist weil das
Gesicht mehr dazu dient, die bedürfniße zu be-
fridigen, das Gehör schafft uns ein weit größe-
res Vergnügen als das Gesicht; wenn wir nach
der Ursache fragen, warum das Frauenzimmer
gerne spricht; so antworten wir mit jenem
Autor der dafür hält, daß die Vorsehung mit
allen willen, das Weibs Volck so geschwäzig
erschaffen, weil wir von ihnen erzogen werden,
%und wir also spät erst würden reden lernen.
Der Geruch %und Geschmack ist schon von weit gröbe-
rer art, als das Gesicht %und Gehör, der Geruch
scheint uns in Gesitteten Zustande ganz un-
brauchbar, ja wohl gar schädlich zu seyn, weil vie-
le dadurch in Ohnmacht fallen, allein im rohen
Zustande ist er gewiß von großen Nuzzen.
Der Wilde kann ein Feuer riechen wenn er
/ Z.E.
|P_59
/keinen Rauch siehet, er riecht den Brantwein wenn
er auch noch so versteckt ist.
/Unsere Empfindungen sind nun entweder fein oder
scharff oder zart, Eine feine Empfindung nennt man
wenn man etwas sehr kleines empfindet. Z.E.
wenn man sehr feine Schrift lesen kann, sagt man:
Man hat ein feines Gesicht. Eine scharffe
Empfindung ist, wenn man den kleinsten Un-
terscheid bemerken kann, %und eine zarte Empfin-
dung ist, wenn man sehr bald von einer Sache
afficirt wird, die zarte Empfindung ist dem
Menschen schädlich. Wenn man hier frägt, ob
die alten oder jungen Leute, scharfere oder fei-
nere Empfindungen haben; so dienet zur Ant-
wort, daß bey denen Alten die Sinne zwar stumpf
sind, aber sie den Unterscheid weit eher merken
als die jungen. Die Ursache ist, weil hie-
zu eine lange Übung erfordert wird, daher
haben die Alten auch mehr Geschmack %und lieben
das sanfte, die Jugend aber liebt sehr das rührende.
/ ≥ Vom Gebrauch der Sinnen. ≤
/Der Gebrauch der Sinne ist zwiefach nehmlich
die Empfindung und Anwendung derselben
auf den Verstand, oder die Erzeugung der Re-
flection. «w»Wenn wir empfinden, so dencken wir
auch nichts, sondern wir müßen über die Gegenstände
/ empfinden.
/~Rand_059_Z_21
/{2- ≥ Leichtigkeit %und Schwirigkeit ≤
/Schwer heißt deßen Aufführung
unsre ganze Kraft er
fodert. D.h. sie Beruhet
nicht in der Sache, sondern
in uns. Der sich in einer
Sache keinen großen Zwek
vorstellt, dem scheint alles
Leicht, der aber der sich
einen großen Zwek vor
stellt, dem wird alles
schwer.
/Rand_unten
/Das Schwere unterscheidet sich von Beschwerlichen. Das Schwere
ist unangenehm, das Leichte angenehm. wenn es alle unsre
Kräfte erfodert. -2} ~
|P_60
/Wir sagen gemeiniglich von einem der sich durch die länge
der Zeit gewöhnt, leicht über etwas zu reflectiren,
daß er starke Empfindungen habe z.E: wenn man
mit einem Jäger zusammen gehet; so weiß der-
selbe bey Erblickung eines entferneten Ortes
zu sagen, ob solcher eine Wiese oder ein Sumpf
sey. Wir erblicken eben denselben Ort, die Em-
pfindung ist bey uns eben so groß; allein wir
sind noch nicht gewohnt, darüber sogleich zu reflec-
tiren. Ferner wir bemercken daß ein Jäger im
Walde die Wege sehr leicht zu finden wei«s»ß,
wenn er auch nur einmahl darinnen gewesen
seyn kann, und zum 2te Mahl doch noch alles neu fin-
det. Die Uhrsache ist, weil der Jäger gleich zum
ersten mal, wenn er hinein kommt, gleich über
alles reflectiret.
/Die Empfindung wird durch den öftern Gebrauch
stumpf; allein das Vermögen zu reflectiren
wird immer stärker, es sey denn daß man durch
den öftern Gebrauch einen Ekel darinnen findet,
immer über alles zu reflectiren, weil der
Mensch die Neigung hat, immer das Feld
seiner Erkenntnis zu erweitern. Wir haben
gesagt, daß die Empfindung durch den öftern
/ Gebrauch
/~Rand_060_Z_1
/Das Beschwerliche kann an
sich wol leicht seyn, aber für
unsre Lust unangenehm
uns zuwider.
/
/
/
/Die Popularität. d.h:
die schwerste Materie
leicht vorzutragen. das
ist ein Talent deren
es selte giebt, das
schwere leicht vorzumalen
ist schädlich für die Wissen
schaften. Schwierigkeit
einer Wissenschaft zu
zeigen ist ein Verdienst.
man kommt dadurch zur
gründlichen Kentniß.
/Derienige der alles <für> leicht
hält, ist Leichtsinnig
der alles für schwierig
halt heißt peinlich.
/Die seichtesten Köpfe pflegen
alles für leicht zu halten.
/
/
/Denen alles schwierig vor
komt, komt von dem
Mißtrauen seiner Kraft
her.
/Rand_unten
/sanguinsche Personen sind Leichtsinnig. Melancholische Personen sind peinlich.
Dem leztern ist nicht zu trauen. weil er sich mehr bedenkt ehe er verspricht.
Dem alles Leicht läßt, der ist ungezwungen, dem alles schwer läßt der
ist steif. ~
|P_61
/stumpf wird, allein das ist nicht so zu verstehn,
daß etwa die Organen sehr dadurch geschwächt
würden, sondern die Aufmercksamckeit auf
die Gegenstände wird stump«¿»f. Die Gewohn-
heit beraubt den Menschen zulezt fast aller
Empfindung; so das Leibnitz in seiner Thoedice,
das als 3 Mägde zusammen gedient, einer
von ohngefehr, ein Brand feuer auf die Hand
gefallen %und da diese schrie; so sagte die andere
darauf wie weit schmertzlicher wird das Fege-
feuer sind; allein die andere Antwortete
O Närrin man kann alles gewohnt wer-
den. Die alten Leuten sagen oft daß
sie sich in ihrem Alter weit gesunder befin-
den, als sie sich in ihrer Jugend befunden
haben; allein dieses rühret daher, weil
sie durch die Gewohnheit, der feineren Em-
pfindungen, die sie in ihrer Jugend, gehabt,
beraubet sind, und dieses ist gewiß ein neu-
es Uebel, denn weil sie nun fast nichts em-
pfinden, so arbeitet in ihrem Cörper alles zu
ihrem Untergang, das Blut geräht in Fäulnis
ohne daß sie dadurch incemmodiret werden,
bis das Übel so zunimmt, daß es unheilbar
wird. Der schläfrige Zustand, %und ein jeder
Rausch, schwächt die Empfindung des äußeren,
und inneren Sinnes. Ein Mensch kan so voll
von Gedanken seyn, daß er fast nichts empfin-
/ det,
/~Rand_061_Z_2
/Eine Sache ist entweder
schwer, weil sie viele
Zeit erfodert und
es wird dazu er-
fodert Emsigkeit,
oder weil wie viele
Anstrengung dazu er
fodert werden.
/
/Gewohnheit macht Leicht
tigkeit.
/
/Angewohnheit aber
macht nothwendig.
gewohnte Arbeit ist
gut macht leicht.
/Moralische Handlungen
müßen nicht nach Ge-
wohnheit geschehen.
/Angewohnheit ist ein
übel. Daß gewiße
Dinge unentbehrlich
werden.
/sie haben auch phisikali
sche Schaden. Der sich
z.E. scharfe Getränke an
gewöhnt, kann sie
sich nicht abgewöhnen. ~
|P_62
/und dieses ist der elendeste Zustand eines
Menschen. Wenn ein Mensch gar zu empfindsam ist;
so ist ihm auch solches schädlich, daher die Artzte oft darauf
bedacht sind, den Menschen etwas von der Empfindung
zu benehmen. Z.E bey der Schlaflosigckeit gebraucht
man Opium; allein hiezu gehöret viele Praecaution
die jenigen, die fast nichts dencken, haben die «S»stär-
kesten Empfindungen, solches bemerken wir an den
Wilden. Ja ein gewißer Autor erzählt, daß als
verkleidete Frauenzimmer auf ein gewiße Insel ge-
ckommen, wo die Wilden aufhielten, so sind
die Wilden auf sie zu gelauffen, und haben sie
einmüthig für Frauenzimmer erkandt, durch wel-
chen Sinn sie dieses empfinden ist nicht zu bestim-
men, ein Mensch wird bey seinem unempfind-
samen Zustande leicht aufmerksam gemacht,
durch se«y»in Interesse. Z.E: Wenn ein Mensch ein
einer Gesellschaft gantz in Gedancken ist, und
um sich her sprechen hört, oder jemanden nur gantz
leise seinen Nahmen nennen hört; so wird er
gleich aufmerksam, ja der Mensch hat eine be-
sondere Neigung auch das allermündeste auf seyn
Interesse anzuwenden, so Z.E: Wenn jemand zur
Mie«h»the wohnt; und aus seinem Fenster, eine
schöne Gegend erblicken kann, so hält er schon dafür
daß diese Gegend deshalb schätzbar sey, weil sie
ihn interessiret, oder wenn mann jemanden
auf eine Gegend aufmercksam machen will
so darf man ihm nur sagen, daß dieser Ort
/ vor dem
/~Rand_062_Z_1
/ Mann gewöhnt sich sogar
gewißer maßen üble
Empfindungen nicht nur
zu ertragen, sondern
zum Vergnüngen wie
z.E. der Tobacks
/sogar Gift kan durch
die Gewohnheit genießbar
werden.
/
/
/
/
/Unsere Vorstellungen
werden klärer, wenn
mann sie mit gewißen
Umstände.
/1 durch die Abstechung
das sind die entgegen
setzung Zweyer Dinge
das der contrast sehr
Auffällt. Dieser hebt
es.
/Der contrast muß an
einer andern Sache ge
zeigt werden, denn
in der nämlichen Sache
giebt es ein Widerspruch.
/-----------------
/Neuigkeit
/erregt aufsehns %und ver
liert je gewohnter man
den Gegenstand wird.
Daher der Mensch ein Gefallen
an das wunderbare hat;
weil es große Erwartung erregt. ~
|P_63
/seinen Groß-Vater zugehört habe, oder daß
hier jemand von seinen Landes Leuten woh-
ne, er wird dadurch gleich aufmercksam ge-
macht. Ein Mensch wird aber durch die Ge-
wohnheit nicht nur gegen das Leiden; son-
dern auch gegen das Vergüngen unempfind-
lich, daher ein Mensch seines Lebens bald
überdrüßig ist, wenn er in einer bestän-
digen Ruhe lebet«,». «e»Er betrübet sich, daß keine
Unruhe seine Ruhe unterbricht. Wenn ein
Mensch sein Glück recht empfinden soll; so muß
er vorhero im Unglück gewesen seyn; daher
auch die Romanen schreiber, ihren Helden erst
in betrübte Zustände verwickeln, ehe sie ihn mit
einem längst gewünschten Glüke kröhnen.
/Thetis steckte ihren Sohn Achelles in die Waßer
des Stix, daß er abgehärtet würde.
/ ≥ Vom Betrug der Sinnen ≤
/Die Sinne betrügen nicht, denn sie Uhrthei-
len nicht; sondern der Betrug, ist ein Werck
der Reflexion. So schreiben wir vieles
der Empfindung zu, welches doch ein Werk
der Reflexion ist. Wir nüßen aber wohl
die Erscheinungen von denen Begriffen unter-
scheiden, jene sind bloß Anschauungen diese
formiren wir uns bey Gelegenheit der
Erscheinungen; allein weil wir schon so
/ geläufig
/~Rand_063_Z_1
/Der Wechsel.
/ist das auf einander
folgende Seyn und
Nichtseyn. ist nicht der
Contrast. z.E. Arbeit
%und Ruhe d.h. seyn %und
nichtseyn. positif %und
Negatif. ~
|P_64
/im reflectiren sind, daß wir es nicht einmahl be-
merken, so verwechseln wir nicht selten die
Begriffe mit den Empfindungen: Der Irthum
aber, der bey Gelegenheit der sämtlichen Erschei-
nungen, entstehet, entspringt entweder aus
einem Blendwercke, wenn man die Erschei-
nung für den Begriff hält, so ist z.E: Der
Nebel eine Uhrsache des Blendwerks, da man
Dingen die durch einen Nebel entfernet
zu seyn scheinen, für würklich entfernet hält;
eben so ist es auch mit dem Vergrößerungs Glaß;
oder aus einem Hirngespenst, wenn man das
was die imaginationen hervor bringt, für würk-
liche Erscheinungen hält. So sehen die Menschen
oft dasjenige wovon ihre Köpffe voll sind. Z.E:
"als ein Pr«ä»ediger einer Frauen die lauter liebes-
händel im Kopffe hatte, durch den Tubus den
Mond sehen ließ, so sagte sie: ich sehe wie der
Liebhaber schmachtet, hirauf schrie der Prediger,
O Madame schämen sie sich, es sind nicht verlieb-
te, sondern Kirchen Thürne zu sehen." Diejenigen
die ihre imagiation nicht viel beschäftigen, sind für
den Betrug der Sinne, der aus Hirngespensten be-
steht, ziemlich gesiechert. So wird z.E Ein Wilder
niemahls ein Gespenst sehen, dagegen sind die
Wilden mehr den Blendwerken ausgesezt, denn
man muß erst die Sinne gebrauchen lernen
/ um
|P_65
/sich bey Empfindungen, den gehörigen Begriff
zu machen. So kan man die Begriffe der
Nähe %und der Weite, der Größe %und der Kleinheit,
nur durch die Reflexion erlangen, denn wenn
man Z.E einen Hund in der Nähe %und ein
Pferd in der Weite siehet, so scheinen sie
gleich groß zu seyn, und nur durch die Re
flexion über die Entfernung dieser Gegen-
stände, kann man einen rechten Begrif von
denselben bekommen. "So sahen einige Stu-
denten, die gewohnt waren, früh aufzustehn
%.und spaziren zu gehen, im Nebel einen Trupp
Gänse, für Dragoner an," weil im Nebel
alles entfernet zu seyn scheinet, %und sie so re-
flectirten, daß wenn ihnen <der> Trupp Dragoner in
eben der Entfernung, als ihnen die Gänse zu
seyn scheinen, stehen möchten; sie eben den An-
blick der Gänse geben würden.
/Der Sinn des Gefühls, ist am mehresten de-
nen Blendwercken ausgesezt, weil wir hier
am mehresten reflectiren; so kommt uns al-
les was hoch steigt vor, als wenn es uns
über den Kopff käme. Z.E: Bey den Raquet-
ten. Das Meer scheint uns in der Mitte
höher, als die Erde zu seyn, welches von denen
Lichtstrahlen herkommt, und aus der Optik leicht
zu erklähren ist. Alles dieses sind nun wah-
re Erscheinungen, aber der Begrif, den wir
von denselben haben, ist falsch. Sehr oft
/ halten
|P_66
/wir den falschen Begriff den wir von einer Sache haben
für Erscheinung. Z.E wenn der Mond im Horizont auf-
gehet, so sagen wir sein Bild ist größer, als wenn
er über den Horizont stehet; wir leiten dieses
aus der Brechung der Lichtstrahlen in denen Dün-
sten her; allein wenn man vermittelst des As-
trolabium seinen Diameter mißt; so ist er ac-
curat so groß am Horizont als über den Ho-
rizont. Es ist hier also würklich ein Be-
trug des Uhrtheils in unseren Begriff, von der
die Erscheinung gegeben ist. Wir betrachten alle
Dinge in einer großen «w»Weite, nun Uhrtheilen
wir, daß da zwischen dem Monde im Horizont,
und uns, viele Gegenstände sind, er auch wei-
ter entfernet seyn muß, als wenn er über
den Horizont stehet. Denn weil er in einer
größeren Entfernung uns eben so groß
scheint, als in einer kleinen; so schließen wir
hiraus, daß er im Horizont größer seyn müße;
diesen falschen Schluß aber halten wir für eine
Empfindung. Aber nicht das Gesicht allein, son-
dern auch die andern Sinne sind betrügerisch,
z.E: Das Gefühl, wenn man 2 Finger über
ein ander legt, und als denn ein Kügelchen Brodt
mit der äußeren Seite des einen und mit der
inneren Seite des anderen Fingers berühret;
so deucht mir da«s»ß ich 2 Küchelchen Berühre,
/ Ferner
|P_67
/Ferner, wenn man einem Kinde ein Stück ge-
frornen Käse in den Mund giebt so scheinet es
heiß; das rührt daher weil hitze %und Kälte
die Nerven zusammen ziehen %und einerley Würk-
ungen im Munde äußern, daher sich auch der
sonst wiedersprechende Ausdruck originiret bren-
nende Kälte; auch ein Betrug des innern Sin-
nes, letzteres geschiehet, wenn man das für
Empfindung hält, was in der Einbildung be-
stehet, %und der den Betruge des innern Sinnes aus
gesetzet ist; den nennt man einen Phantasten,
denjenigen aber, der mit seiner Einbildung immer
in der Geisterwelt ist, nennt man einen Schwär-
mer. @"@Im Canton Bern war ein sehr rechtschaff-
ner Mann, der Major Dawe, der auf einmahl
sich einbildete, daß er die Stimme Gottes gehö-
ret, die zu ihm gesagt hätte, er sollte nach Lau-
sanne gehen, mit seinen Truppen, daselbst
würde als denn eine nützliche Veränderung
in der Religion vorgehen.@"@ Er ging hin, und da
er solches ohne Erlaubniß gethan hätte; so
wurde er auf das Ra«¿¿»hthaus gefordert,
%und um die Ursache gefraget, worauf er denn
geantwortet, daß eine besondre Schickung
ihm der Marsch auferlegt hätte. Indeßen
wurden alle seine Soldaten arretirt,
/ und
|P_68
/und er wurde, damit nicht ein jeder unter einem
erdichteten Vorwande solches unter nehmen möchte,
hingerichtet. Er starb geruhig, in dem er dachte,
daß Gott vieleicht in der andern Welt, mit ihm eine
Veränderung vornehmen würde. Hier kann man
Schwedenborgs Schwärmereyen nachlesen. Der
Betrug des inneren Sinnes; giebt jederzeit den Ver-
dacht der Stöhrung des Gemühts, weil doch sehr leicht,
Empfindungen von Einbildungen zu unterscheiden
sind. Es ist daher ein Fanatismus wenn ein Mensch
immer dencket, in Gemeinschaft höherer Geister
zu seyn; immer sehr gefährlich. Es ist auch den
Menschen nichts schädlicher, als das er seine Gedancken
immer auf seinen Zustand richtet, %und abgesondert
von aller Gesellschafft, nur immer seyn Gemüth
zu berauschen sucht. «se»Dieses ist jederzeit
eine Verletzung des Gemühtes, welches endlich
zur völligen Stöhrung des Gemühts werden
kan.
/Ein solcher, der immer innere Anschauungen
hat, erlanget\verletzet auch leicht alle Pflichten; die
er andern schuldig ist. Des Lavaters Aussichten
in die Ewigckeit sind gut zu lesen, allein er ge-
steht selbst, daß er beym Schlafen gehen gleichsam
den Cörper von der Seele getrennt, bemerckt
habe, welches auch schon eine ziemliche Schwär-
merey ist. Die Priester der
/ großen
|P_69
/Lage 5
/Suma geben sogar Pillen ein, die den Menschen von
aller Sinnlichckeit abziehen, und ihn in lauter
Schwermerey versetzen solten. Überhaupt kön-
nen wir mercken, daß alles das was sich nicht
mitteln läßt bey seite gesetzt werden müße,
weil unsere Vernunft communicativ und
Theilnehmend ist. Wir gehen nunmehro zu
dem Verhältnis der Vorstellungen, mit einan-
der, da eine die andre bald belebt, bald
schwächt, wir lieben.
/I.) Die Mannigfaltigkeit, diese bestehet in der Viel-
heit verschiedener Dinge, zu gleicher Zeit so
lieben wir die Mannigfaltigkeit bey der Tafel
ferner in Büchern, daher Montaigne %und die Wo-
chen Schrifften so sehr gefallen, ferner die Mannig-
faltigckeit in Geselschafft, wenn nicht bloß
Perschonen sind, die immer von Gelehrsamkeit
%und von Handlungen sprechen, sondern wenn alles
gemüscht: Ferner lieben wir die Mannigfaltig-
ckeit in Gebäuden. Als jemand nach Rom
fahren sollte, %und man ihm sagte, daß er durch eine
große Allée fahren muste; so kehrete er um bloß
weil ihm bange war, so lange in einer Einerley-
heit zu seyn, %und nichts anders als dicht ge-
pflantzte Bäume zu sehen. Ein Wald wird
bloß um der Mannigfaltigkeit geliebet
und weil man die Bäume da ganz in Unord-
nung findet. Man mengt auch zuweilen daß
/ schlechte
|P_70
/mit dem schönen, bloß um der Mannigfaltigckeit
willen, ja der Schöpffer hat sie gewählet. Man
kan von vielen Geschöpffen den Nutzen gar nicht
einsehen, die vieleicht bloß da sind um die Mannig-
faltigkeit zu vergrößern. Kurtz, die Mannigfaltig-
keit ist ein großer Reichthum der Natur.
/II.) Die Abwechselung ist Mannigfaltigkeit in
den Dingen, in so ferne sie in Verschiedenen Zei-
ten sind. Hier folgt oft das schlechte auf das
schöne bloß um d«er»ie Einerleyheit, in der Folge der
Dinge zu verhüten. Unser Gemüht bekömmt
durch die Abwechselung immer neue Kräfte, so
wie man von einer Canonen Kugel weis, daß
wenn man sie auf die Erde stößet, sie mit neu-
en Kräften fortprallet. Die Uhrsache wa-
rum der Mensch so sehr die Abwechselung liebet,
ist in Absicht auf den Cörper sehr mechanisch.
/Unser Cörper ist schon so eingerichtet daß wir
nicht lange in einerley Stellung bleiben können.
Ja man kan ohne SchweisPulver garleicht in
den Schweiß gerathen, wenn man in einiger Zeit
kein Glied bewegt. Tschirnhausen giebet solches
als das beste Mittel zu schweitzen an. Man kan
/ solches
|P_71
/würcklich versuchen, wenn man sich im Bette etwa
auf den Rücken leget, %und ohne eine einziges Glied
zu bewegen eine Zeitlang lieget; so wird uns
um das Hertz so beklommen, und bald darauf
schwitzt man. Es ist im ganzen Cörper des Men-
schen, schon ein Bestreben zur Abwechselung und
Bewegung, denn eine jede Muscul hat ihren
antogonisten der die gegenseitige Bewegung ver-
langt. So geht es auch mit dem Gemüthe, wenn
man sich gar zu sehr auf eben dieselbe Sache ein-
schränckt; so ermüden die Organen des Gehirns
So wie das Tröpfelein des Waßers wenn es immer
auf eine Stelle fällt, die größeste Wirkung thut;
so werden auch die Posten des Cörpers, wenn sie
immer auf gleiche Weise angestrengt werden,
zuletzt gantz aus einander gerißen. Derhas er-
zählt, das jemand bloß darum sein Haus nicht
habe einem Musicus vermihten wollen, weil durch
Basgeige, das haus beständig erschüttert werde,
und er fürchte das Haus möchte mit der Zeit
einfallen. Wenn Soldaten über eine Brücke
marschiren; so kann sie durch dergleichen Tritt
leicht aus ihrer Verbindung gesezt werden. Mann
muß daher die Seelen_Kräfte nicht zu sehr auf
ein oder daßelbe Object anstrengen; sondern zu
weilen durch Lesung angenehmer Bü-
/ cher
|P_72
/die die schwach verdruckte Kräfte erfrischen denn
durch die zwischen räume wird das Bewußtseyn,
unseres Lebens vergrößert, welches unser
wohl aus macht.
/III Die Neuigkeit sezt allemahl zum voraus welches
in unsern gantzen zustande nicht war, obwohl das
jenige bey einigen wiederum Lücke ist, was vergeßen
war. Die Neuigkeit ist uns so angenehm daß wir
uns wohl den ganzen Tag damit beschäftigen könten,
denn wenn wir in Geselschaft kommen; so ist gemei-
niglich die erste Frage. Was giebts neues? Bey
der Neuigkeit der Sache, als auf die Neuigkeit der
Erkentnis an, wenn aber beydes verbunden ist
so ist die Würkung größer, weil communicatio ist
und also das gerne erzählen mag, was andern noch nicht
wißen; Bey der Tafel spricht man gemeinhin von
Neuigkeiten zuerst, %und wenn jemand kommt %und nichts
neues wei«ß»s; so redet man gemeiniglich vom
Wetter, weil man von draußen kommt und es
auf die Art recht empfunden hat. Man kan auch
vom wohl der Perschonen reden, und vom Zimmer in
welches man tritt; allein darüber würde sich ein
Jeder wundern, wenn man beym Eintrit in
die Stube, von Griechen %und Römern und andern alten
Sachen sprechen wolte. Wenn ein Mensch gar
nicht zu reden weis, so pflegen die Italiae-
ner zu sagen: Der Mensch hat den Tramontan
/ verlohren.
|P_73
/Tramonton nennen sie die Nordwinde, die über
die gebürge wehen. Sie meynen also der Mensch
könte doch wenigstens vom Wetter reden, oder
vom Winde, wenn er nichts anders wüste. Die
Seltenheit besteht in dem jenigen, was nicht
häufig angetroffen wird oder was nicht gemein
ist Die Menschen bekommen deshalb oft einen
Werth, wenn sie etwas Singulares haben, wenn es
sonst gleich nicht zu loben ist. Überhaupt fordert
man von einem jeden Menschen etwas Cha-
racterisches. Eine Mütze von der man sagt, daß
sie selten angetroffen werde, hat bloß deshalb
einen Werth bey den Menschen. Allein der-
jenige der eine Sache bloß um der «s»Seltenheit
willen schaft, verräht einen verdorbenen Ge-
schmack, denn dieses kann nicht aus der alge-
meinen Vorstellung hergeleitet werden;
sondern es ist bloß die Würkung der Eitelkeit.
So hält mancher eine Putzscheere hoch, bloß weil
sie Epictaet gebraucht hat. In dieser Vorstel-
lung kann man den Menschen recht kennen
lernen«;». Jn Holland war ehedem die Blumen
Liebhaberey so groß, daß man im vorigen
Jahr Hundert, wohl 2 biß 3 holländische Gul-
den von der Cantzel demjenigen bitten ließ
der eine seltene Blume hatte. Wenn einer
eine solche im Garten eines andern sahe;
so kaufte man sie wohl mit 5000 %Florin ab und
/ zertrat
|P_74
/sie, damit er nur allein, in den Besitz der Blume
wäre. Es ist aber auch bekant, daß die Hollender
keinen Geschmack haben, die Lust an geschehenen
Seltenheiten aber, ist wieder ein gantz anderer
Trieb. Man hält einen solchen Menschen, der viele
Seltenheiten gesehen, auch darum für einen selte-
nen Menschen; allein man muß nicht solche
Seltenheiten bemerken, als der Handwercks
Bursche der öfters das Wapen über einem Stadt
Thor das falsch %und schlecht gemacht ist, sich beson-
ders mercket %und es «w»Wahrzeichen nennet; als et
wa ein Stepfans_Stein, oder eine besondere Art
Marmor und Stein, der zu nichts nütze ist als
in der Mauer zu gebrauchen.
/IV. Wenn man die Seltenheiten und ihre Eigen-
schaften, recht auszeichnen will; so sagt man ge-
mein hin zuerst, wie die Sache nicht ist, der
Contrast bestehet darinnen, daß man ein Ding
mit demjenigen, welches sein «w»Wiederspiel ist,
zusammen stelt, es wird auch die Abstechung
genandt, und ist den Menschen sehr angenehm;
so hält oft eine Dame Kammer Mädchen
von schlechter Bildung, daß sich ihre Schön-
heit desto mehr ausnehme. So gieb es viele
Contrasten in der Natur. Wenn Z.E:
Pantoppidan beschreibet wie er in den
/ Nordischen
|P_75
/Gegenden, bald ungeheure Felsen, bald rauhe
Berge, bald Vortreffliche und fruchtbahre Thäler
angetroffen. So beobachten die Chineser in
Anlegung ihrer Gärten einen contrast. in
Lücke seinem Buch von der lästlichkeit, ge-
denket eines Kleinen Menschen, der sich sehr hü-
tete bey jenanden im Parlement zu sitzen, der
6 Fuß hoch war, damit er als denn wegen
seiner Kleinigkeit nicht lächerlich würde, der
Minomegor des Voltaire ist auch hieher zu
rechnen. Allein wenn der Contrast mit einem
«¿¿»Widerspruche verbunden ist; so erniedriget
Das den Menschen sehr, Z.E wenn man
einen wohlgekleideten Menschen sieht,
der ein schwartzes %und zerrißenes Hemde an
hat; so ist dies ein Contrast mit einem Wie-
derspruch verknüpft. Ferner ist die continuitaet
oder der almählige Übergang, von dem Absprunge
zu unterscheiden, denn jenes lieben wir, und die-
ses ist uns verhaßt; Wir verlangen jederzeit
daß unser zustand almählig verändert werde
daher mi«¿»sfällt uns jederzeit das ekigte, das
Abgeschnittene, und eine Rede die k«l»einen
Zusammenhang und Verbindung hat, so auch
die Schitzige Schaaden in der Moderey. Der
plötzliche Absprung ist allemahl etwas nie-
driges, w\. Wenn jemand einen in affect sezzen
will, so muß er ihn almählig dazu praepa-
riren wir wollen noch einige Beyspiele
/ von
|P_76
/Contrast hersezzen. Ein Successor der accurat %und
ordentlich ist, hat es gut, wenn er einen
unordentlichen antecessor gehabt, weil er ab-
sticht. Es ist jederzeit gefährlich eine Witt
we zu Heyrahten, weil wenn sie einen guten
Mann gehabt hat sich immer deßelben erinnert,
und mit ihrem jetzigen unzufrieden ist. Es
wäre sehr gut, wenn bey Besetzung der Ämter,
ein solcher versezt würde der mehr meriten
hätte, als zu diesen Amt erfordert werden,
weil es gut absticht. So kann einer
ein vortrefflicher Schulmann seyn, der wenn er
Prädiger wäre, veracht würde, Bey wieder-
sprechenden Contrasten wo 2 Dinge vereinigt
werden, deren eines dem andern entgegen
gesezt ist, wird der Contrast zwar stärcker
aber die vereinigung schwächer, dieser Contrast
ist allemahl schädlich und muß verhütet wer
den so Z.E: ist es ein wiedersprechender
Contrast wen ich ein wohlgekleidetes und dem
scheine nach artiges Frauenzimmer einen
pöbelhaften Ausdruck oder platt teutsch reden
höre, oder wenn ein Prädiger ein Französi-
sches Wort braucht, Denn die teutsche Sprache
/ welches
|P_77
/welches eine Uhrsprünckliche Sprache ist, ist so
delicat das ein jedes Wort aus fremden
Sprachen, darinnen zu merken ist. Die
Wiedersprechende Contraste bringen uns
oft zum lachen Z.E. wenn eine Menge Per-
schonen bey einem Actus verändert sind,
wo alles ernsthaft zugehen soll, als denn
sind sie am meisten zum lachen bestimmt
es darf als denn nur ein Hund unter sie kom-
men oder einer Zoten reißen; so brechen
sie alle ein lachen aus, und denn können sie
das lachen nicht hemmen, weil einer nur
den andern ansehen darf, und nur an die
vorige ernsthafte Stellung gedacht werden
dürfte, um immer zu lachen. So lachen
wir wenn wir sehen daß jemand «S»stol-
pert %und fallen will, welches ein boshaf-
tes Lachen zu seyn scheinet, und das ist
allemahl ein boshaftes Lachen, wenn
es der andere nicht mitmachen kann. Die-
ses aber kommt daher, weil wir an seinen
vorigen Stoltzen Gang dencken, und ihm mit
dem Stolpern vergleichen. Ferner wenn
jemand in Prächtigen Kleidern ausgegan-
gen ist, %und unterwegens bemerkt daß
er ein Loch im Strumpff habe, so wird er da-
durch gantz decontenanciret weill er
/ bey
|P_78
/jeden Tritt an den Contrast denckt, der hier vor
ihm ist. So bemercken wir auch daß von 2 gegen-
einandergesetzten Dingen, eines zart ist, %und gleich-
sam scheinet, hiraus pflegt man urtheilen zu
können ob Farben sich zusammen schicken
oder nicht z.E keine Farbe schicket sich die der
andern sehr nahe kommt, aber doch nicht ganz gleich
ist Z.E wenn einer einen dunckelblauen Rock
hat, %und eine etwas lichtere Weste, hier
stellen wir uns vor, daß die Weste noch
etwas blauer seyn könnte, %und daß solches
ein «m»Mangel sey, jeder Mangel aber mißfällt.
Wir stellen uns hier vor daß der Mensch
wohl intendiret gute Kleider zu haben, aber
daß er seines zweckes verfehlt, wie kommt es
daß ein blauer Rock und Rothe Weste gut laßen,
aber nicht ein ohter Rok, %und eine blaue Weste?
Die Uhrsache ist der blaue Rock bedecket zum theil die
rothe Weste, und das Auge des Menschen geht
vom blauen Rock durch das violet oder die mischung
von vielem blau aber wenig roht, auf das roh-
te hier ist also ein Übergang. Allein wenn
wir vom rohten Kleide auf die blaue Weste
sehen, so sehen wir eine schmutzigrothe Farbe,
durch die aus der Vermischung von vielroht %und wenig
blau entstehet. Es liegt hier immer Beurthei-
/ lung
|P_79
/zu grunde, das lichtre mus immer nur den
kleinesten Theil ausmachen, ferner das
Futter von einem Kleide muß immer lichter
seyn wenn es abstehen soll, oder wenn es
von derselben Couleur seyn soll, so muß es
seyde seyn, welche wegen ihres Glantzes
schon an sich heller ist, das Lücke ist sehr
angenehm Das harte schicket sich beßer für die
Jugend, als fürs Alter. Ein Wilder liebt
jederzeit das rohte - so bemahlen sich die Nord-
Americaner ihr gantzes Gesichte mit Zinno-
ber, den sie von den Franzosen erhalten.
Das Ponceau rohte ist die stärckste Farbe.
Die helle Farbe Kleider sind für junge Leute,
für das Alter schicket sich nur das sanfte, nicht
weil der Mensch alt ist und der Welt abster-
ben muß, sondern wegen des Gesichts. Einen
Mann der nicht wohl ist wird bey dem An-
blick harter Farben nicht übler. Man hält
die dubioesen Farben, für die sanften, für Leute
die blond %und dabey Gesund sind, schicket sich die
blaße Farbe, %und für brunette Leute schicken
sich die harten Farben, auch die Schwartze Far-
be schicket sich für blonde Perschonen und zwar
durch den Contrast, dem hier ist ein völliges
Gegentheil. Unsere Empfindungen werden
/ schwächer
|P_80
/bloß durch die Dauer, sie schwächen sich durch sich selbst
und das kommt daher, weil das Gemüht in der Auf-
mercksamkeit auf den Gegenstand, der immer ey-
nerley ist, nachläßt; Man sagt Z.E wenn jemand
eine Ehegattin verlirt; so soll der Schmertz da-
rüber eben so groß seyn als derjenige, wenn
man sich in den Ellen bogen stößt, der zwar groß
ist aber bald nach läst, Man muß daher nicht
lange über eine und dieselbe Sache dencken, sondern
dazwischen etwas anderes vornehmen, dadurch
die Aufmerksamkeit wieder Kräfte bekomt. Zu
weilen kan man seyn Gemüht von einer wiedri-
gen Sache gar nicht abziehen, wenn wir wollen, daß
etwas lange dauren soll, so müßen wir es so
machen, daß noch immer Hofnung zum Wachsthum
da ist. So dauret eine Freundschaft die balde
zu ihrer völligen Reiffe kumt nicht lange; Wenn
wir glücklich seyn wollen so müßen wir uns
nicht auf einmahl auf unserer Vortheilhaften
Seite zeigen das Gemüht hat eine völlige
repugnans %gegen die Monotonie oder Gleich-
förmigkeit und es abhorriret nichts so sehr
als immer an denselben Fleck gebunden zu
seyn. Wenn wir auf den Zustand des
Menschen gehen; so finden wir, daß die Empfin-
dungen des Menschen, zuweilen klar dun-
/ ckel sind.
/~Rand_080_Z_34
/{-2 Dunkel %und klar. -2} ~
|P_81
/Der Vierfache Zustand worinnen sich der Mensch
seiner Empfindungen nur dunckel bewust ist,
ist im gesunden Zustande, bey Trunckenheit %und
Schlaff, und im krancken Zustande, bey Ohnmacht
und Sterben, Man sagt der Mensch ist seiner
selbst nicht mächtig, wenn sein innerer Zustand,
oder er selbst seiner Wilkühr nicht unterworffen
ist. So ist zuweilen jemand in Furcht
und Bangigckeit, wenn ihm gleich seine Ver-
nunft sagt, daß er nicht so viel zu befürchten
habe. Daher kommt es auch, daß die Herzhaf-
tigckeit so zweiffelhaft ist, in dem die Tapfer-
keit auch manchen beherzten General manchen
Tag versagt. Zuweilen aber befinden wir
uns in dem Glücklichen Zustande der Selbst-
Herrschaft«,». Montesquin führt an, daß ein
General, dem, wenn er im Schlafrok ist, an-
gekündiget wird, daß der Feind aufbricht;
viel weniger Herrschaft ist als wen er in sei-
ner Uniform ist, die U«h»rsache kan vieleicht
diese seyn, weil ein Mensch wenn er ganz
angekleidet ist viel volkommener ist in dem
durch die paßende Kleider die Musculn
beßer zusammen gehalten werden, oder
auch weil man sich zu allen Unternehmen
/ fertig siehet.
|P_82
/Ein sehr bequemes Leben macht den Men-
schen feige. Der größeste Grad der Glück-
seeligkeit besteht wohl darin, daß er über sich
«m»Meister ist, denn die Uebel treffen uns nur
in so ferne, sie zum besitz unserer Seele gelan-
gen. Dieser «s»Selbst besitz war die Lehre der
Stoiker, und ob wohl die Epicuraeer ihre Glück-
seeligkeit in die Fröhlichckeit setzten, so zeigt
doch das wenn man animi compos ist, nur
größere Stärke an; Man ist ferner seiner
nicht Mächtig, wenn man durch Bewegung des
Gemühts zu unwilkührlichen Handlungen ge-
bracht wird. So ist das Schreyen der Frauen-
zimmer eine Unwilkührliche Bewegung; allein
die Natur hat dieses diesem schwachen Geschlecht
zum größesten Nutzen eigen gemacht, indem das
Schreien einem sogleich vom Schrecken befreyet,
und das Blut, welches durch das Schreken zu-
sammen gezogen wird, durch das Schreien wie
der aus einander tritt. Mann nennt auch die Un-
wilkührliche Handlungen Pasjionen. Einen
Zornigen wird es oft durch die Größe seines
Zorns ohnmöglich sich zu rächen und seinen Zorn
auszudrücken. Eben so ist es mit einen
gar zu heftigen Liebhaber beschaffen. Wenn
/ man ein mahl
|P_83
/seiner selbst Herr ist, so darf man nur seinen
Verstand informiren. Wenn das nun aus-
gemacht ist, daß eine sehr klare Empfindung
die übrigen verdunckelt; so ist leicht einzuse-
hen, daß das aus sich selbst gesezt werden,
die Dunckelheit in Absicht aller Empfindungen
zuwege bringt.
/Der Autor <(Baumgarten)> meldet nunmehr von der Exta-
si oder von aus sich selbst gesezt werden.
/Wenn nun jemand durch eine angenehme Em-
pfindung aus sich selbst gesezt wird; so ist
das, das Entzücken, wenn man aber durch
eine Unangenehme Empfindung aus sich selbst
gesezt wird; so ist das die Betaubung.
/Der Pöbel versteht durch die Entzükung, daß
der Geist aus dem Cörper in einen gantz an-
dern Ort versezt werde. Physicalisch wird
jemand betäubt, wenn er gar zu sehr
schreyt oder lärmt; moralisch, wenn alle
Empfindungen dadurch verdunkelt werden,
diese Betäubung macht gemeiniglich; den
Zustand des «w»Wahns den Menschen zweifel-
haft; man denckt als denn zu träumen.
/Wir wollen etwas vom Zustande der Trun-
kenheit reden. Wenn es nicht die Erfahrung
lehrete; so würde man es nicht geglaubt
haben, daß ein Mensch ohne seine Gesund-
heit zu verletzen, sich in einen solchen Zu-
stand versezen könne; da man voller Chimaere
ist, und alle Dinge gantz anders er-
/ kennet
|P_84
/als sie würcklich sind; In solchen Ländern wo die
Natur einen solchen starcken Saft nicht hervor-
bringt, weis man nichts von Trunckenheit, als die
Grönländer«,». Alle rohen Völker sind als denn am
glücklichsten, wenn sie truncken sind, daher lieben
sie auch alle den Rausch, %und wenn sie solchen
Tranck einmahl geschmeckt haben, so stehen sie nicht
davon ab, als <Z.E.> die Canadischen Wilden in Nord-
America. Die Orientalischen Völcker werden
durch den Trunck beynahe rasend. So geraten die
Türken, wenn sie besoffen sind, gemeiniglich
in Wuht, dahin gegen bey den Nordischen Völ-
ker der Rausch eine Geselligkeit macht. Wir
müßen aber sehr wohl den Rausch der Gesellig
macht, von der versoffenen Neigung, die da un-
thätig zur Geselligkeit macht, unterscheiden.
/Es ist noch nicht ausgemacht, ob nicht vieleicht
ein Mittel mäßiger Rausch, oder ausgekünstel-
te Fröhlichkeit erlaubet sey. Mann wird finden,
daß wenn ein Mensch zu Hause vor sich
trinckt, %und betruncken wird, sich jederzeit schämt,
wenn ihn jemand in einem solchen Zustande be-
sucht, wenn er aber in Gesellschaft trunken
worden, so schämet er sich gar nicht. Ein mäs-
siger Rausch macht gesellig, offenhertzig, %und ge-
sprächig, und in so weit ist er erlaubt. Wir
müßen aber auch mercken, daß nicht alle star-
ke Getränke gesellig machen, sondern sie haben
ihre verschiednen Wirckungen. So
|P_85
/Lage 6
/ist der Brandtwein ein ungeselliger Trunck,
er macht daß man Mistrauisch %und aus dieser Uhr-
sache auch heimlich wird, man behält alles
für sich, und mag nicht gerne Jemanden, seine
wahre Meinung entdeken, daher hält man auch
den, der sich an Brandtwein betrünkt für schädlich.
Das Bier macht gleichfals schwer %und Unthätig
zur Geselligkeit. In Ansehung der Personen
hat man zu mercken, daß sich nicht alle Per-
sonen betr«¿»incken nüßen Z.E Weiber, Geist-
liche, pp Überhaupt müßen alle die jenigen die
eine Schanze zu bewahren haben, sich nicht beträn-
ken. Nun scheint es als wenn die Natur alle
Müttel auf die Frauenzimmer verschwendet hätte,
das jenige zu scheinen, was man doch nicht ist,
und umgekehrt. Da nun die Eigenschaften
zu besitzen, und zu scheinen, die man nicht
besitzt, viele Vorsicht und Achtung erfordert
wird, so muß kein Frauenzimmer sich beträncken.
und wenn es sich betränkt, so weis man schon,
daß sie, die Kunst, etwas zu scheinen, was sie
nicht ist, verlohren habe. So wunderbar scheint
es auch zu seyn, wenn ein Jude sich besäuft.
Die Uhrsache ist diese, weil ein Jude von allen
Regeln im gemeinen Leben sich aus nimmt, so
wohl im Eßen als Kirchen Ceremonien, und
daher solten sie mehr auf ihrer Hut seyn, %und sich nicht
betrüncken. Die Trunckenheit scheint nur
ein Privilegium der Bürger zu seyn. Es heist
von den alten Teutschen; sie fasten ihre Raht-
schlüße beym Trunck, damit sie herzhaft wären und
beurtheilten sie nüchtern; damit sie
/ nicht
|P_86
/nicht ohne Verstand wären. Und gewis das ist
nicht zu tadeln, denn weil ihre Anschläge mehrenth@eils@
auf Krieg und Frieden giengen; so müsten sie hertz-
haft seyn, und dahero war beym Trunck der Wille
schon einmahl erklährt, auf den andern Tag schämete
man sich, daß alles zu wiederruffen, was man
den vorigen Tag so pralerisch geredet hatte, und daher
moderirte man nur etwas den Entschluß, wenn
er etwas ausschweiffend gewesen, Seneca sagte,
als man von Cato redete also: Virtus ejus incaluit
mero ich will entweder behaupten, daß sich Cato nicht
betrunken habe, aber wenn er sich betrunken hat, so
behaupte ich, daß die Trunckenheit kein Laster ist, ge-
wis partheyisch. Hiraus folgt nun daß diejenigen
die nichts zu verbergen haben, jederzeit aufrichtig
sind, und sich eher berauschen können, als die Falschen.
Daher auch den Teutschen der Trunck nicht sehr ver-
arget wird. «m»Man darf aber nicht denken, daß man
bey der Trunkenheit, den Character des Menschen
werde kennen lernen, obwohl se«y»in Temperament
dadurch bekant wird. Die Gesinnungen der
trunkenen Menschen sind gantz verschieden, einige
werden als denn Zänckisch, andere Zärtlich %und wehmü-
tig, welches man gemein hin bey gemeinen Leuten
bemerkt; allein dieses sind nicht beweisthümer
ihres Caracters, denn wenn solche Leute Nüchtern
werden; so lachen sie Gemein hin über ihr betra-
gen, Aber das zeigt ihr Temperament an, so sind
einige Menschen, nach der Mahlzeit, oder vor
derselben zornig. Unter Heinrich_III König in Franck-
/ reich
|P_87
/beging ein vornehmer Mann ein groß Verbre-
chen, er dachte aber, weil er den König allezeit
großmühtig erkant hätte, Gnade zu erhalten, und
reisete in der Absicht nach Paris ab. Ein connoitable
der dieses gehöret hatte sagte zum anderen: Dieser
Man verliert gewis seinen Kopff, und als der andre
ihm fragte, woher er das wiße, so sagte er; Es
ist heute ein kalter Tag, und denn ist der König
gemeinhin hart der Mann Kahm nach Paris und
wurde auch würklich enthäuptet.
/Wir wollen nunmehro, vom Schlaffen, von der
Ohnmacht, %und willkührlichen Bewegungen reden.
Das Schlaffen ist eine gäntzliche Gefühllosigckeit
des Nerven_systems. Wer in der Jugend viel schläft
wird im Alter wenig schlaffen. Der Schlaf
findet sich durch allmählige Grade, unsere Auf-
merksamckeit, auf die Gegenstände wird schwä-
cher, oder die Spannung aller fäsern läßt nach,
welches daher kommt, weil wir im Tage viele
Kräfte angewandt haben. So angenehm es
ist unsere Thätigkeit zu empfinden, eben so an-
genehm ist es auch, wenn wir allmählig unthätig
werden, denn es scheint, daß uns alles ange-
nehm ist; was die Anwendung %und Ersetzung
der Lebens_Kräfte bewirckt; da nun durch
den Schlaff die Lebens_Kräfte ersezt werden;
so ist es auch angenehm, wenn uns derselbe
anwandelt. Wir bemercken aber, daß wenn
uns schläfert, uns zu frieren anfängt, die
äußere
/~Rand_087_Z_1
/Würde im Anstand
ist der Schein eines
innern Wehrts.
wenigstens entfernt
er uns vom niederen.
/Sittsamckeit ist ein
äußerer Schein auf
felliger renonciation
auf alle Anspruche
und der Umgang ge-
winnt dadurch.
/Mysoqyn hat es gegeben
aus geflissentlicher
/Kritick der Tugend des
zweiten Geschlechts.
/
/Wenn die Regenten
einsehn möchten, daß
der Schein der Freyheit
wenigstens in dem
Staat ein geführt würde.
/Schein ist nicht Betrug
sondern befördert mehren-
theils die Realität
der Wahrheit.
/
/{2- Von der Attention und
Abstraction siehe oben. -2} ~
|P_88
/Wärme verliert sich als denn. Überhaupt wird im Schlaf
die ganze wärme im Körper veryüngt, welches man
durch versuche, in dem man einen schlafenden, ein Ter-
mometer an den Mund gesezt, erfahren. Auch der
Urin den ein Mensch nach dem Schlaf läßt, ist weit
kälter, als sonsten. Es läßt also die innere
Wärme nach, die Erkältung des Bluts verursacht
den Schlaf. Die Spitz_Maus und Murmel_Thiere
schlafen bey der Kälte gantz fest, ja wenn man
die Thorex, aus ihrem loche zieht, und sie reinigt,
so schreiet sie dennoch, Ihre Lebens_wärme
ist als denn größer als die Wärme der Luft,
und ihr Blut ist ganz Klebricht. Da nun die Schläf-
richkeit von dem Nachlaßen der Lebens_wärme
herkommt; so kann man leicht einsehen, wie schäd-
lich das viele Schlafen sey, es verdirbt das Blut.
Bey einem schläfrigen läst die Aufmercksamkeit
auf die Gegenstände nach und die Chimaeren
vertreten die Stelle der Empfindungen. Es ist
überhaupt auch ein jeder Mensch beym Wachen vol-
ler Chimaeren, aber die äußern Empfindungen
machen, daß man die Einbildungen, von den-
selben leicht bey Tage, durch die Sonne gantz ver-
dunkelt wird, welches doch ein finsteres zimmer
gantz erleuchtet; so ist es auch mit der Einbildungs-
Kraft; beym «w»Wachen wird sie durch sinnliche
Empfindungen geschwächt, aber des Nachts
/ ist
/~Rand_088_Z_9
/Anmerkung zur Abstraktion
/Empyrische «L¿¿te» <Leute>, abstrahiren
nicht genug, speculatische Leute
abstrahiren zuweilen zu viel.
ohne Abstracktion kann
kein vernunftiger Ent-
wurf gemacht werden.
/zu starke Abstracktion macht
Menschen ungluklich, die
Liebe zum Exempel macht
daß er auf eine Sache
attendirt, und von
dem übrigen abstra-
hirt er. ~
|P_89
/sie sehr mercklich. Wir bemercken ferner,
daß das geschwinde Einschlafen, mit einer
Bangigckeit verknüpft ist. Jungen Leuten
wenn sie geschwind einschlafen, deucht es,
das sie von einem Thurm oder ins Waßer
fielen, das kommt lediglich daher, weil die Sys-
tole und Dyastole des Herzens, zu geschwin-
de nachläst, oder weil die Musculn die die
Brust bewegen zu geschwinde nachlaßen. Eine
solche Bannigckeit, ist nur mit einen tiefen
«s»Schlaf verknüpft; ehe man einschläft siehet
man allerhand Gegenstände, mit gebrochenen
Lichte. Die Pupille, die sonst in beständiger
Bewegung, steht als denn starr, gleich einem
gläsernen Auge, daher man denn, einem an den
Augen den «s»Schlaff ansehen kan; der Zustand eines
«s»Schläfrigen, ist jederzeit mit einer Mattigkeit,
verbunden, und nach dieser Mattigkeit entsteht
der Schlummer, bey, diesem hat man würcklich ei-
nige, äußere Empfindungen; Man hört Z.E et-
was, macht sich aber dabey falsche Begriffe, in
diesem Zustande, des Schlummers, entstehen
Träume, nicht aber im Tieffen Schlafe. Die
Summen nüßen die imagination exerciren,
ob man nur gleich beym Schlaf Chimaeren
hat; so <kann> man sich ihrer doch nicht beym Aufwachen
erinnern, denn nur die Chimaeren davon
man sich wachend erinnern kann, heißen Träu-
me. Ein Mensch in einem tiefen
/ Schlaf
|P_90
/ist einem Todten sehr ähnlich, der Athemzug geht
als denn so leise, daß er fast unmercklich ist.
Dieser Zustand des Schlafs, begegnet den Menschen
alle 24 Stunden wenigstens einmahl. Es ist
rahtsam daß wenn der sich selbst nachgelaßne Schlaf
nachläst, man sich nicht weiter bemühe einzuschlafen,
denn der Zustand, des Einschlafens ist alle mahl
etwas Krampfigtes, und wenn man öfters nach
einander einschläft, so gewöhnt sich die Natur an das
Krampfigte, so daß hieraus gemeinhin die
Nerven_Fieber entspringen; daher der Nach-
mittags_Schlaf schädlich ist. Alle unsere Em-
pfindungen geschehen durch die Nerven so daß
die Theile des Leibes, welche keine Nerven haben
auch keine Empfindung haben, wie solches Haller
von der Lunge und andern Theilen des Leibes
erwiesen hat. Die gemeinschaftliche Wurzel
aller unserer Nerven ist das Gehirn in dem-
selben ist das Nerven Lücke oder der Hauptstam,
welcher die medulla Oblongata genannt wird, aus
welchem sich die Nerven in alle Theile des Leibes,
verbreiten. So wie man nun ein Stück von der
Wurzel des Baumes abhauen kan, ohne daß der
Baum vergehet, eben so kann jemand ein Stück
vom Gehirn verlieren, und doch leben bleiben.
/Die Fabrique des Nervensafts ist das Ge-
hirn. Es bestehet das Gehirn aus dem Cerebro
und Cerebello, aus dem Vorder und Hinter
/ Gehirn.
|P_91
/Im Cerebello scheinet das principium aller Le-
bens_Bewegung zu steken; dagegen im Cerebro die
organen der sinnlichen Empfindungen, und der
willkührlichen Bewegungen liegen. Man hat
mit einem Hunde das Experiment gemacht,
indem man das Vorder und Hinter_Gehirn
trente so schlief der Hund ein, dahero die
Schlafsucht oder Lethargie bloß von der Drü-
kung des Vordergehirns, durch eine Feuchtig-
keit herzukommen scheint. Da die wilkührli-
che Bewegung nur bey Gelegenheit der
äußeren Empfindungen vor sich gehen; so müßen
die Organen deßelben auch in dem Vorder_Gehirn
liegen. Wenn man nun den ganzen Tag
gewacht hat; so hat man die wilkührlichen
Bewegungen sehr geübt, wenn nur der Ner-
ven_Safft aus dem Gehirn zu fließen nach-
läßt; so laßen auch die Spannungen nach,
%und «und»auch hiraus entstehet die Schläfrigckeit, %und
eine gewiße einförmige Erschütterung,
welche von der Unachtsamkeit auf die Verschie-
denheit herkommt. Diese einförmige Er-
schütterung macht schläfrig, daher kommt
es, daß Leute in der Kirche einschlafen, wenn
sie einen Pr«ä»ediger immer in einem Tone re-
den hören, und schreit der Prediger aber be-
ständig einförmig; so schläft man auch ge-
meinhin fest, %und hört auch nicht eher auf zu
schlafen, als bis er zu schreien aufhört, das
macht die Abstechung. Überhaupt ist die Rede
schon ein Soporiferum quid. Es entspringt auch
/ Schläfrigckeit, wenn
|P_92
/die Lebens_Geister, auf etwas anderes gezogen
werden Z.E. werden sie auf die Peristaltische Be-
wegung der Eingeweide, %und auf die Verdauung ge-
zogen«,». Der Schlaf Kühlt das Blut, weil nur
zur Verdauung besonders Wärme erfordert
wird: so ist der Schlaf gleich auf die Mahlzeit nicht
dienlich Obgleich die «r»Ruhe «auch»<nach> der Mahlzeit
sehr gesund ist, weil wenn die Muskeln
nicht wilkührlich bewegt werden, und durch
ein lustiges Gespräch, was zum lachen reitzet,
weil dadurch das Zwergfell erschüttert
wird. Des Morgens spricht der Mensch gerne von
Geschäften, und des Abends gerne von Gespen-
stern, Fette Leute lachen über alles %und es schü-
cket sich auch zum Lachen«,» nur ein kurzer trollich-
ter Kerl, denn ein langer %und hagerer Mensch
ist gar nicht zum Lachen gemacht. Es ist zu
bewundern, daß die Natur uns einen unsern
Bedürfnißen so angemeßenen Instinct gegeben.
Es geht also mit dem Schlaf folgender maaßen zu,
Die Lebens_Geister %und der Nerven_Saft, muß sich
in 24 Stunden aus dem Vordergehirn ins hin-
tergehirn bewegen, wenn nähmlich die Säfte
in großer Menge im Tage verdunstet, so wird
zwischen dem Vorder %und hinter_gehirne gleich-
sam ein Schutzbret vor die Mühle gezogen,
und die Lebens_säfte fangen an sich wieder zu
ergißen, man nennt im allgemeinen Rede
gebrauch alles schläfrig, wo eine Mattigkeit
herrschet. Es ist ein Unglück wenn einem
/ Menschen
|P_93
/der Schlaf oft unwilkührlich weise überfällt
den man durch zwang vertreiben muß, so ge-
sund der Schlaf ist, so schädlich ist er auch wenn
er übertrieben wird: In den Nordischen
Gegenden, richten sich die Menschen gemeinig-
lich im Schlaf nach den Jahres Zeiten; Im
Winter schlafen die Menschen gemeiniglich
20 Stunden und wachen nur 3 oder 4 Stunden;
diese Unregelmäßigkeit in Abwechselung des
Tages und der Nacht, veruhrsacht bey den Völckern
auch eine Unordnung in der Lebens_art, als
in einem Theil von Rusland. Dahingegen
die Leute im warmen Clima, wo beynahe
12 Stunden Tag %und 12 Stunden Nacht ist, auch
weit mäßiger und ordentlicher leben. Wir
haben Vermögen, %und diese sind gleichsam nur
Werkzeuge, wir haben aber auch eine Kraft
welche dieses Vermögen in Würksamkeit
bringt, und dieses ist die freye Wilkühr. Wenn
diese Vermögen aber den Physikalischen Kräften un-
terworffen sind so würken in uns nicht die obe-
ren Kräfte. So hat das Waßer ein Ver-
mögen Mühlen zu treiben, wenn es Z.E: nicht
alle mahl eine Mühle treibt; diese Vermögen
werden bewegt entweder durch eine Physikalische
Nothwendigckeit, dieses sind die Unterkräfte (
die Macht die Niedrigckeit, die Thorheit des Men-
schen aus) oder durch die freye Wilckühr, da«ß»s
ist die Obere Kraft. Der Zustand der Dunckel-
heit beraubt uns die Macht in Ansehung
äußerer Dinge denn ein trukener Mensch
/ ist jederzeit schwach ob er
|P_94
/gleich unternehmender ist, als im nüchteren Zustan-
de, %und eben dieser Wahn, den ein trunkener Mensch
hat, reitzet ihn zum Trunck, und nicht die Annehm-
lichkeit des Geträncks; denn es ist bekandt daß
Menschen, die wiedrigsten Geträncke trinken,
bloß um berauscht zu werden. «m»Möchte man sich
um der Annehmlichkeit des getränckes willen be-
trinken; so wäre dieses noch eher zu vergeben,
Die Folgen der Trunckenheit sind. 1. Ohnmacht,
2 Unvermögen, 3 die obere Kraft wird gehindert.
Oft will ein Trunckener Mensch nicht erscheinen, allein
man darf ihm nur auf geben Licht zu putzen.
/Alle die Spiritus, die aus gegohrnen Säften
bestehen, bringen den Wahn von einem großen
Vermögen bey, daher ein solcher Mensch sich ein-
bildet weit mehr sein Leben zu fühlen, welches
daher kommt, weil die Nerven zwar mehr relaxirt
aber weniger cerroboriret werden. Dieses einge-
bildete Vermögen scheinet der Grund zu seyn, warum
sich Menschen Betrincken. Es wäre in der
medicin noch zu untersuchen, woher diese falsche
opinion entstehe, und gesezt daß ein trunkener
Mensch auch alle seine Kräfte zusammen hätte; so
würde es ihm doch an der Macht fehlen, über sich
selbst zu herschen, er würde doch nur immer wil-
kührliche Phantasie haben, und gewis wenn der
Mensch als denn nicht schwach wäre; so würde er
durch diese Phantasie noch gefahrlicher werden
/ aber
|P_95
/die Natur hat schon dafür gesorgt, daß die Ge-
träncke, welche Närrisch machen, auch zugleich
Ohnmächtig machen, diese Narrheit aus zu üben.
Was die Ohnmacht betrift, so entstehet solche
aus der nachgelaßenen Bewegung. Es findet
sich aber bey denen Ohnmächtigen ein träumeri-
sches «w»Wohlbefinden und ein sanfter Zustand
ein. Wenn wir hier vom Tode reden, so
reden wir nur vom Übergange, vom Leben
zum Tode; Wenn ein Mensch Natürlich stirbt,
so stirbt er nach mechanischen Gesezen, als
ein Thier; durch eben die Mittel wodurch der
Mensch wächset %und sich nähret, eben dadurch muß der
Mensch auch sterben, weil nehmlich die Nahrungs
Mittel, an ein jedes Glied sich ansetzen, und durch
die A«¿¿»dern weiter getrieben werden; so
geschiehet es, daß wenn immer mehr frische
organisirte Theilchen hinzukommen, %und die A«¿¿»dern
nicht mehr die Theile des Körpers durchdrin-
gen können; solche verstopfft werden. Ein jeder
Mensch hofft noch lange zu leben, ja selbst
ein Kranker, dem der Arzt und alle zustehende
Verwandte das Leben absprechen, hofft noch zu
leben, wenn er z.E. sagt, daß er gewis sterben
werde. Sehr oft rühmen sich alte Leute der
Gesundheit %und der Tod liegt schon in ihren
Gliedern; Denn wie könnten sie sonst über we-
nige zeit sterben. Aber das kommt von dem
Mangel der Empfindsamckeit, die mit dem Al-
ter abnimmt«,». Er empfindet keine Schmertzen
mehr, wenn gleich innere Übel an seinem
Untergange
/~Rand_095_Z_9
/Vom Tode ~
|P_96
/arbeitete. Der Schmerz in Krankheiten ist eine
Anzeige, von vielen Lebensfähigkeiten; aber der schon
gäntzlich im Bette liegt, %und sagt, daß er keine Schmertzen
empfindet, von dem kann man gewis sagen, daß
nichts mehr an ihm lebe als das Gehirn. Es
gehet also die Stumpfwerdung der Empfindungen
vor den natürlichen Tode vorher. Die Unempfind-
lichkeit der alten, macht auch daß sie starke Geträn-
ke lieben, welches junge Leute nicht vertragen
können. Nach verlohrner Lebhaftigckeit muß end-
lich der Verstand nachlaßen, vom würcklichen Tode
wollen wir nachhero reden.
/Wir müßen einen Unterscheid machen zwischen dem
Obern %und untern Vermögen, und der Ober Kraft,
zwischen einigen Bestimmungen, ist eine Natürliche
Verbindung. Einige Bestimmungen entstehen bloß
Willkührlich, aber dieses sezt eine Natürliche
Bestimmung der Dinge zum Voraus. Diese Handlungen
des Verstandes, wodurch ich mancherley Dinge unter
Geschlechter bringe, sind wilckührliche Handlungen
andere Bestimmungen lauffen in eins fort, nach Ge-
setzen der Sinlichkeit, als bey dem Wort Rom
müßen wir uns nothwendig eine Stadt dencken,
So wie im Nohtwendigen Zusammenhange, die Theile
des Körpers stehen; so haben auch die Natürlichen
Ideen ihren Gang; diesen Ideen, kann der Ver-
stand zwar eine Leitung geben, allein er muß
/ sich ihnen doch accommodiren
|P_97
/So darf man wenn man das Waßer an einen
niedrigen Ort haben will, nicht Maschienen an-
wenden %und das Waßer herunter zu werffen;
sondern man darf nur Canäle ziehen: zu den
thätigkeiten die mit dem Physikalischen Vermögen
verknüpft sind gehören:
/1.) Das Bildungs_Vermögen
/2.) Nachbildung
/3.) Einbildung
/4.) Vorbildung
/5.) Ausbildung
/Die Sinnlichkeit bringt lauter Bilder hervor, der
Verstand aber begriffe.
/I.) Vom bildungs_Vermögen, bey Oeffnung der Augen
geschehen viele sinnliche Eindrücke, mein Gemüht
sezt solche zusammen, %und macht daraus ein gan-
tzes, und das ist das Bildungs_Vermögen. So
hat ein Maler, wenn er die comischen Züge
einer gantzen Geselschaft, in ein bild bringen
soll, große «m»Mühe. Bey allen Empfindungen
oder sinnlichen Anschauungen sind wir leidend,
aber das Bildungs_vermögen ist thätig.
/II.) Von der Nachbildung. wir können eine Sache
die ehedem geschehen, jetzt uns, als gegenwär-
tig vorstellen. Dieses ist die Quelle
von der Fruchtbarkeit vergangener Zeiten
in Ansehung künftiger; man nennt dieses
Vermögen Imagination In Gesellschaft ist
die Praetension: Erzählen sie doch etwas
/ und
|P_98
/und eben als denn weis man nichts zu erzählen.
Wie kommt das? Der Vorraht der bilder kann bey einem
sehr groß seyn, allein man kan sie nicht gleich nach bilden.
Sehr oft ist das gegenwärtige die Ursache, das ver-
gangene zu renoviren, es ist also eine Connexion,
zwischen den Empfindungen, und den bildern vergan-
gener Zeiten, und zwar eine Physicalische Ver-
bindung.
/III. Die Vorbildung geschiehet eben so, wie die Nachbil-
dung. Man sezt nehmlich das ganze bild, vergangener
Zeiten, auf die Künftige Zeit, %und dieses ist, ein
Natürlicher Fleiß. So gar ein Hund wei«s»ß, wenn der
Jäger das Jagdzeug nimmt, daß die Jagd vor sich ge-
hen soll. Wer dieses Spiel unseres Gemühts ver-
stehet, wird leicht im Dichten, und Reden, zu rüh-
ren wißen. Wir wollen hier kür«t»zlich den Vori-
gen Sätze wiederhohlen, daß das Bildungs
Vermögen von der anschauung ganz unterschie-
den sey sehen wir daraus weil derjenige der
eine Sache zum ersten mahl siehet, zwar eben die
Empfindung hat, als der sie schon öfters gesehen,
allein jener weis sich auch kein bild davon zu
machen. Wir bemerken ferner daß das
Gemüht so gerne bildet, daß wenn auch nur
einiger maßen eine Ähnlichkeit zwischen Dingen
da ist, es das bild, also bald vollständig macht,
Z.E wenn ein Mensch halb schlummrend
im Bette liegt, und gantz gleichgültig die
/ Gegenstände
|P_99
/die um ihn sind ansiehet, und er etwa einen
Flecken an der Wand siehet, wo etwa Kalk
abgebrochen; so kommt ihm solches Bild als ein
Menschen Kopff vor mit einem grünen Bar-
te. Wie komt es aber, daß das Gemüht am
geneigtsten ist, allenthalben eine Ähnlich-
keit, von Menschen, zu entdecken? Z.E. wenn
Jemand des Abends reiset, und einen Baum
in der Entfernung siehet; so kommt es ihm
bald als ein Mensch vor, das kommt daher,
weil dem Menschen nichts mehr im Sinne
liegt, als ein Mensch, indem nichts wichtiger,
in Ansehung unserer ist, als ein Mensch. Denn
von Menschen hängt öfters unser Glück oder
Unglück ab. Man siehet aber auch, <daß> das Gemüht
in Bilder formiren geübt werden muß. So ist
Z.E. bekant daß <als> die Patres missionarii nach
China kommen, sie unter andern Künsten auch
die Music aufs Tapet brachten. Nun war
den Chinesern auch sonst die Music beckandt,
sie halten auch schon ein Musicalisches Tri-
bunal gehalten; allein ihre Music ist je-
derzeit nur einstimmig gewesen. Da sie
nun die Music der Europaeer, die aus vie-
len Stimmen bestand, höreten; so kahm es
ihnen als ein Geräusch vor und sie konten
keine Einheit bemerken«,». Dieses kahm bloß
daher, weil sich ihr Gemüht, kein Bild davon
machen konnte. Mancher kann sich sehr leicht
/ ein Bild von einer
|P_100
/Sache machen, ein anderer aber schwer. Das Ver-
mögen zu bilden äußert sich entweder bey der Ge-
genwart der Dinge, welches man eine Anschauung
nennet, oder es ist nur eine wiederholete ehe-
mahls gehabte Anschauung, %und dieses ist das Nach-
bildungs_Vermögen.
/IV Wir können uns aber auch etwas Einbilden
wenn die Sache niemahl Vorher in der Erscheinung
gelegen hat, wir Copiren zwar bey jeder Einbil-
dung die Materialien zu neuen bildern«.», denn gantz
original ist kein Bild, aber die Zusammense-
tzung geschiehet nach Belieben. Dieses nennt man
die Einbildungs_Kraft, welche das fundament
von alle dem ist, was erfunden wird. Das
Vermögen zu bilden aber, liegt jederzeit bey der
Einbildung, zum Grunde. Die Nachbildung
nennt man den Phantasie, unsere gegenwärtige
Zeit ist ein Bild von der vorigen, bey jedem Wort
bildet man sich die Vorstellung nach, die man
mit dem Worte zu verknüpffen pfleget, und
bey «n»Nennung eines Nahmens bildet man
sich allezeit einen Menschen vor«,». «w»Wir sind
voll, von Phantasien, selbst des Nachts sind sie
so stark, daß man die nachgebildeten Vor-
stellungen anzuschauen meinet.
|P_101
/Lage 7
/Im Zorn werden sie durch die äußere Empfin-
dungen verdunkelt. Diese Reproductions
sind bey verschiedenen Leuten auch verschieden. Jun-
ge leute sehen mehr auf das Künftige, Alte mehr
auf das vergangene, %und zwar ist bey den Alten
dieses Reproductions_Vermögen, aus wendig so
stark, daß sie die jetzige Welt ihrer Aufmerck-
samkeit nicht würdig halten: Keine einzige Vor-
stellung hat bey ihnen mehr einen rechten Ein-
druk. Es dringt nichts mehr bis zu ihrem Gehirn, %und
hieraus komts, daß sie sich den längst vergan-
genen Zustand leicht, den kurz vergangenen aber
beynahe gar nicht reproduciren können. Sie glau-
ben, daß nun nichts so angenehm mehr ist,
als zur Zeit ihrer Jugend, %und so gar die Sonne
deucht ihnen nicht so helle zu scheinen, als vor dem,
und woher rührt das? bloß daher weil ihre
Nerven mit einer dicken Haut umgeben, %und
sie nicht mehr die Empfindlichkeit besizzen;
die sie in ihrer Jugend hatten. Sehr
oft aber ist auch die Partheylichkeit, die
Ursache des Misfallens dieser Welt, weil
sie derselben nunmehro bald Abschied geben
müßen. Reproduction, ist entweder, die
der Empfindung oder die der Bilder, letztere
/ ist
|P_102
/ist Objectiv jene ist Subjectiv. Wir können
uns die Bilder klar vorstellen, als die Empfin-
dung Z.E: wenn einer vorher in denen aller-
elendesten Um«b»ständen gewesen, %und hernach reich wird
so kann er sich zwar das Bild seiner Armuth leb-
haft vorstellen, aber sehr schwach dagegen die Empfin-
dung, die Er bey damahligen Um«b»ständen gehabt,
daher hat eine solche reproduction wenig «w»Würckung.
Doch giebt es Fälle, wo auch die Empfindungen leb-
haft reproducirt werden; Daher man von einer
solchen Sache nicht gern mag reden hören. Das
Vermögen nach zu bilden ist zwar allen Menschen
nöthig, aber eine sehr lebhafte Nachbildung ist
uns nicht selten hinderlich. Von demjenigen,
was selten empfunden wird, kann man sich nicht
leicht ein Bild formiren, wenn aber eine Sache
gar zu oft empfunden wird, so wird das Bild
in uns immer schwächer«,». Daher muß eine
Sache, mit gewißen intervallis vergeßen
werden, wenn sie eine rechte Kraft auf unser
Gemüht haben soll; Daher kommt es, daß in
einem Lande, wo auf alles Straffe erfol-
get, man sich zulezt gar nicht am die Straffe
kehrt. Rousseau führt an, daß ein Vater, sei-
nem Sohn, der allen Wohllüsten ergeben
war, einst ins Lazareht geführt, welches
/ mit
|P_103
/mit lauter solchen unglücklichen Leuten angefüllt
gewesen, die die Natürliche Straffe ihrer Laster
erdulden, und durch glückliche Anwendung, dieses
Bildes auf seinen Zustand, ihn von seiner schädli-
chen Ausschweiffung gänzlich abgezogen habe.
Hieraus sieht man wie stark ein seltenes
Bild sey. Man muß ferner so zu «w»Werke ge-
hen, daß man seine Empfindungen steigern kön-
ne; denn es ist bekant daß in den Ländern,
wo auf die geringsten Verbrechen, eine barbari-
sche und Unmenschliche, Straffe gesezt ist; man
sich am wänigsten daran kehrt, die U«h»rsach ist:
weil ein starkes Bild, die vorige schwächere,
verdunckelt, und wer die größesten Straffen
aus Gewohnheit ohne Schande ansehen kann,
der wird um so weniger die Kleinern fürchten.
Wo man Diebe sogleich aufhängt, da wird am
meisten gestohlen«.» ferner giebt auch die
Neuigkeit der imagination eine Stärke, solches
siehet man an den Empfindungen der Verlieb-
ten, die als bald schwinden, wenn man sich ver-
ehelicht hat. Die Imagination wird durch die
Neuigkeit exercirt, und das Vorgebrachte
Bild, haftet länger im Gemüht wie die Sache
selbst, denn wenn wir das Bild einer Sache
in unserer Seele zeichnen; so schlüßen
wir allerley Neigungen mit ein, nach
/ deren
|P_104
/Verschiedenheit denn auch das Bild verschieden aus-
fällt. Gewiße Leidenschafften veruhrsachen, daß
manche Gegenstände, mehr in Abwesenheit, als
in Gegenwart, gefallen. So ist es mit der <so>ge-
nannten Zauberliebe, beschaffen da die Imaginati-
on dem Verliebten, von der Schönen, immer ein vor-
theilhaftes Bild einflößet, wenn er von ihr
gegangen, als wenn er bey ihr ist. Solche Ver-
liebte sind unheilbar, in dem die Entfernung ihre
Gemühts Krankheiten mehr vermehrt, als ver-
hindert, dasjenige, was nach der Reflexion gefält,
gefält weit ungleicher, als das was sich unseren
Empfindungen aufdringt. Daher kommts, daß ein
Frauenzimmer wenn es nicht so bezaubert schön
ist, daß es so gleich, beym ersten Anblick gefallen
solte, sondern bey der man Lücke ist, es ist
hiemit so wie mit dem Nachschmack beschaffen, die
süßen Weine haben gemeinhin im Schlunde einen
wiedrigen Geschmack, %und Umgekehrt haben die
Sauren im Anfange einen wiedrigen Geschmack
im Schlunde, aber wegen der feinen Salze einen
angenehmen Geschmack. Mit den Jahren lieben
die Menschen immer die Weine, die ihnen im
Nachschmack gefallen. So giebt es auch nur
Menschen, die im Nachschmak gefallen, und die-
ses sind gemeinhin solche, die in Gesellschafft so et-
/ was an sich
|P_105
/haben, welches theils gefällt, theils mißfält. Wenn
wir Z.E: einen Menschen in Gesellschafft sehen, der einen
wiedersprechenden Contrast bey sich führet, dem etwa
die Naht im Kleide aufgetrennt ist, so misfält
er uns schon, kommen wir aber nach Hause und
denken an ihm, so läßt die Imagination diesen
Fehler weg, und gehet nur auf das hohe, welches
er etwa in seinen Gesprächen gezeigt hat, kurtz er
gefällt«,». «s»So ist es mit den recht witzigen Einfäl-
len beschaffen, da man anfänglich stutzt, sie
entwikeln sich aber ohne Zeitverlauf, und wir mer-
cken leicht, wohin sie abzielen. Eine gleiche Bewand-
nis hat es mit dem Lachen, die materie worüber
man lacht muß gleichsam 2 seiten haben; wenn
man sie nun von einer Seite betrachtet, und
im Augenblick davon, das Gegentheil in die Augen
fällt, so legt sich das Lachen, in uns. Als der
Pabst einem Poeten, der ein Gedicht auf ihn
gemacht hatte, eine Stelle darin wie«s»ß wo
ein Vers mangelte, so antwortete ihm letzterer,
er solle das Gedicht zu Ende lesen, vermuhtlich würde
einer zulezt zu viel seyn; so fing der heilige Vater
an zu lachen. Hier ist aber das Gegentheil, da
ein Vers am rechten Ort zu wenig, und an
unrechten zu viel ist. Das Nachbilden ist
angenehm, in so ferne wir uns etwas
/ aus
|P_106
/aus Partheylichkeit, von der Vortheilhaften Seite vor-
stellen. Hingegen kann man sich Kraft dieses
Bildungs_Vermögens von kün«¿»ftigen Dingen
ein fürchterliches Bild entwerffen, und in diesem
Fall ist man elend daran, weil man hier ohne
Hofnung ist, da doch Hofnung im Schlaf, die
Mittel sind, wodurch wir uns alles Unglück
erträglich machen, können. Starke richtigckeit
und ausbreitung, der imagination, sind sehr
von einander unterschieden, so haben Frauenzimmer
eine starke, und ausgebreitete imagination, aber
sie ist darum nicht richtig. Die Leute die alles
nachaffen können, zeigen eine starcke imagination,
man hält dieses gemeiniglich für Witz, es ist
aber nur Lebhaftigkeit, diese imagination, muß
uns helfen, wenn wir uns an die Stelle ande-
rer sezzen, so muß ein Redner, ein Dichter, eine
starcke imagination haben, wie auch Comedianten,
Keiner taugt zu den Geschäften der nicht imagina-
tion hat. Als einmahls eine Actrice, die Rolle
einer Liebhabrin spielte, und der principal ihr
nachher sagte, daß sie die Sache schlecht, und
froßig gemacht habe, %und sie zu gleich frug was
sie wohl machen würde, wenn ihr Liebhaber
untreu würde; so antwortete sie, ich würde
/ einen
|P_107
/andern wählen, worauf der principal sagte, sie
Verdiente nicht geliebet zu werden, am allerwönig-
sten aber actrice zu seyn. Das beste Mittel
für Comedianten ihre Rolle gut zu spielen ist,
daß sie sich die Sache so vorstellen; daß sie ver-
geßen, als wäre es eine Nachamung. Solche Men-
schen können auch keinen eigentlichen Caracter stu-
diren, auch keinen haben, weil sie sich zu sehr mit
fremden abgeben üßen. Man sagt daß Valeri-
us ein Mathematicus, eine so starke imagina-
tion gehabt habe«n», daß er aus einer Reihe
von 15 bis 20 Ziffern, die Cubik Wurzel
im finstern habe ausziehen könne. Die Ori-
entalische Nationen, haben eine starcke ima-
gination. Daher alle Ihre Schriften so Bil-
derreich sind, dagegen haben sie eine desto schwächere
Vernunft, die Araber und Türcken, können
kein ausgeschnitztes Bild, leiden, weil ihrem
Vorgeben nach solche Staturn in der Ewigkeit,
die andern Menschen anschwärzen werden, weil
man ihnen keine Seele gegeben. Der wahre
Grund aber ist wohl dieser, weil ihre ima-
gination beym Anblick dieser Staturn
so groß ist, daß sie sich solche als lebendig, vor-
/ stellen.
|P_108
/Es ist ausgemacht, daß die Menschen je weniger sie
reflectiren, desto mehr denen Phantasien unter-
worffen sind. Das größeste Unglück derer Hy-
pochondrischen, bestehet blos darin, daß sie ihre ima-
gination nicht unter der Herrschaft der Wilkühr
haben, dahero ein solcher Mensch über eine ihm ein-
fallende Chimaere, ganz vor sich lachen kann, ob er
es gleich einsiehet, daß es dem Wohlstande zu-
wieder sey. Ein Hypochondrischer Mensch ist einem
Wahnsinnigen ziemlich ähnlich. In den leidenschaf-
ten werden jederzeit die Bilder in ihrer Richtig-
keit verfälscht, daher irret sich ein Redner sehr,
wenn er glaubt, daß eine Rede, welche die
Leidenschaften rege macht, schön sey. Das rüh-
rende ist jederzeit das niedrige Product des Mensch-
lichen genies, indem es nur die Anwendung, einer
schon vorhandenen «u»Vorstellung auf die Triebfe-
dern des Gemühtes ist. Wenn nicht Richtigkeit
in der Rührung ist; so schaffet es nachmahls, dem Ge-
rührten den größesten, Verdruß wenn es doch ärger-
lich ist, daß man dem andern gleichsam zum Instru-
ment gedienet, da er auf meinen Nerwen,
gleichsam als auf Seyten, gespielet hat. So ärgert
man sich über einen Dichter, der durch die Geburten
seiner phantasie wohl noch gar rühren will.
Wenn aber in dem Gedicht Leichtigckeit herrscht
/ das heist wenn die Erdichtungen
|P_109
/der Menschlichen Natur und der Vernunft ge-
mäß sind, und ich als denn gerührt werde«,»:
so ärgert mich dieses gar nicht, denn ich sehe mich
als denn gleichsam ins Land der Möglichkeit
versezt. Eine ungezähmte Einbildungs_Kraft
ist eher schädlich als nützlich. Vernunft, %und
Erfahrung, müßen der imagination Schrancken
sezzen. Um seine P«f»hantasie zu mäßigen, muß
man sehen, ob Richtigckeit darinnen hersche, %und
denn muß man sich hüten, daß sie uns nicht
allenthalben unwilkührlich, verfolgt. Denn
alle Ausschweifungen rühren von ihr her. Wer
mehr von seiner Phantasie als von der Gegenwart
der Sachen dependiret ist Unglücklich.
/ ≥ Vom Wizz %und von der Urtheilskraft
/oder
/Vom Vermögen Aehnlichkeit, %und Unterschied
/zu bemerken ≤
/Diese Vermögen bestehen eigentlich nur in
Actibus der Vergleichung %und sind von der Sinnlich-
ckeit ganz unterschieden, als wodurch die Vor-
stellungen bey uns erzeugt werden. Es kommt
also bey diesem Vermögen würklich etwas auf
die Phiesische Beschaffenheit unseres Gehirns
an, und es ist nicht unrichtig, wenn Swift in
seinen physicalischen Betrachtungen von der Dicht-
kunst sagt, daß das Gehirn der Poeten, mit
/ Würmern
|P_110
/angefüllt sey, die durch das verschiedene nagen, der Ner-
wen, verschiedene Einfälle zu wege bringen. Obwohl
er dieses Satyrisch sagt, so ist es doch gewi«s»ß daß
keine Carackterißische Fähigkeit, des Menschen ohne
physicalische Veränderung im Gehirn möglich, ob-
gleich noch niemand diese Veränderung, selbst
durch Vergrößerungs_Gläser bemerket. Eine
jede distincte Empfindung, erfordert eine be-
sondere organisation des Gehirns. Denn
es ist bekant, daß es gewiße Empyrische
genies giebt, die im stande sind, alles genau zu
beobachten, besonders die ein vortrefliches Au-
genmaaß haben. Wir befinden uns zu weilen
in einer solchen Gedanckenlosigkeit, daß wir, wenn
wir, in Gesellschafft gebethen werden, etwas
zu erzählen nicht wißen, was wir anfangen sol-
len, wenn aber jemand etwas anfängt kommen
wir sehr leicht auf materien, die zur unterhaltung
dienen. Es muß also doch etwas im Kopffe liegen
was angräntzende Bilder hat. Wenn nun ein Bild
rege gemacht wird; so würkt hier ein Vorfall den
andern. Es ist sehr wahrscheinlich, daß alle Bilder,
die in unser Gehirn kommen niehmals wieder
aus demselben verschwinden, aber dadurch, daß
sie nicht gebraucht werden, gleichsam so in Staub
und Schutt, Begraben liegen, daß sie gantz un-
/ kentlich sind.
|P_111
/Diejenigen Medici die mit der Arzeney_Wißen-
schaft, die Kentnis von den Seelen_Kräften ver-
bunden haben, sagen daß die bilder der Sachen im Ge-
hirn aufbehalten werden; Die wahre Gelehr-
samckeit, ist allein die Kunst, dasjenige im Ge-
dächtnis aufzubewahren, was seines Nutzens
wegen, im gemeinen Leben, in demselben auf-
behalten zu werden, verdient. Aber die Neu-
begierde besteht in einer eitelen Aufmerk-
samkeit, auf alles was nicht dahin gehöret, und
worauf die Welt, weil es unnütz ist, am
wenigsten achtet. Die genaue Richtig-
keit ist das rechte Verhältnis, der Theile,
gegen einander, und ihre Uebereinstimmung zu
einem Ganzen. Der diese nicht hat, begnügt
sich im einer Genauigckeit, in Kleinigkeiten
%und beschäftiget sich, mit Sylben %und Worten.
/Wir haben eine lebhafte aber auch matte
imagination. Wenn wir worauf denken
und etwas schreiben sollen, so müßen sich viele
Dinge, in unsrer Seele, offeriren woraus
wir, gleich als ein Officier, der die größesten
Leute aus einem Regiment aussondern soll,
sie alle zusammen kommen läst, so müßen wir es auch
in Ansehung der Bilder machen: Wir müßen als denn
im Gehirn gleichsam Lärm schlagen, %und alle Bilder
rege machen, hierauf überlaßen wir uns dem
Strohm unserer Vorstellungen, denn bringt eine
/ Vorstellung
/~Rand_111_Z_27
/{2- Strome -2} ~
|P_112
/die andere hervor, und wir haben hiebey weiter nichts
zu thun, als daß wir die HauptVorstellung nicht
aus dem Gesichte laßen. Denn die Bilder lauf-
fen immer fort, nach dem sie im Gehirn vergesell-
schaftet sind, und weil nun die imagination oft
den Gang nimmt, Den die Bilder in Ansehung der
Zeit haben, so können wir sehr leicht gantz von
unserm Object abgeführet werden, wenn wir
nicht, Aufmerksam sind. Wir haben eben so wenig
Macht über unsre Imagination, als den Lauf,
unsers Blutes, nur das können wir thun, daß
wenn sie gar zu sehr ausschweifet, wir sie sis-
tiren. Als denn muß man wieder von da anfangen
zu denken, wo man erst angefangen, %und ihr hierauf
wieder freyen Zug laßen, als denn wird sie
wieder einen andern Gang nehmen. Man muß
sich aber hüten, seiner imagination Gewalt
anzuthun denn auf die Art hindert man, den gan-
zen fortgang, der Ideen. In diesem Lauf der
Imagination fließen die Bilder entweder nach
ihrer Nachtbarschaft, je nachdem sie zusammen liegen,
oder nach ihrer Verwandschaft, jenachdem sie mit ein-
ander übereinkommen. Man wird auch zuweilen
durch die Verwandschaft der Ideen, so verdrießlich,
als man sich im gemeinen Leben über einen
/ nichtswürdigen
|P_113
/Nachtbar ärgert. Die imagination denckt selber
nicht, sondern ich bemerke nur, ab ich <in> dem Stro«h»m,
meiner Imagination, nicht Bilder entdecken.
Die in meiner Materie einschlagen. Bisweilen
geschiehet es, daß in dem Fluß dieser Bilder
mir eines augenblicklich entwischt, welches ich
doch hätte Brauchen können, als denn ist man ge-
meiniglich unruhig, und Bekümmert. Das be-
ste Mittel wieder auf dieses Bild zu
kommen ist, daß man wieder von neuem
anfängt zu dencken. Kann ich es noch nicht aus-
fündig machen, so fange ich von eben dem Punkte
an, %und gemeinhin gelingts das verlangte Bild
zu ertappen. Denn jezt darf es nur noch
einmahl vorkommen, so wird man es leicht bemer-
ken, weil man sehr praeparirt ist, es <aufzu>anzu-
fangen. Wenn man also etwas schreiben
will, so muß <man> einige Zeit vorher der imagination
freyen Lauf laßen«,». «m»Man darf nur gleichsam
einen zettel im Gehirn anschlagen, darauf
die Ideen nieder schreiben, denn kann man unbe-
kümmert in Gesellschaft gehen, und wenn sich
diese in Partheyen getheilt, %und man nur Au-
genblicke für sich gewinnt, so fält einen gemei-
niglich der Gedancke ein, den man sonst nur
mit Mühe hervorgebracht hat. Wenn man zu
Hause ist, %und sich mit, dieser Ma-
/ terie
|P_114
/Beschäftigt, so darf man nur noch Bücher von andern
Subjecten z.E lustige Geschichte, Reisebeschreibungen
zu hand nehmen, wird die imagination schwach
lieset man in einem solchen Buche, zuweilen
geschiehet es, daß ein einziges Wort, was darin-
nen vorkommt, bey mir ein ganz vortrefliches,
und meiner Materie angemeßenes Bild
hervorbringt. - Dasjenige worauf man sich am
wenigsten praeparirt ist das erste - bey allem
diesen Dencken muß man einen gebrochenen
Bogen Papier zur Hand nehmen, das man alle
Bilder die zur Materie gehören, prompt, auf-
zeichnet, ferner muß man auch einige Intervalla
beym dencken haben, die zur Erhaltung, %und Wür-
kung, der Imagination ungemein viel beytragen.
Man muß sich auch hüten, das was man selbst
aufgeschrieben hat, oft durch zu lesen, sondern
man denke nur immer an die Sache %und sammle
Bilder, wenn nun alle materialien zu unserer
Materie da sind; so wird im Durchlesen, bey uns,
ein Schema entspringen, welches wir in kurzen
Sätzen einkleiden, %und ohne Zwang ausbeßern.
Ist das Schema richtig, so gehen wir zu unserm
Bilder magazin. Nun schreiben wir die Materien
in einem Zuge ohne nachzusinnen nieder fällt
/ uns
|P_115
/uns etwas nicht gleich ein, so laßen wir ein
spatium und notiren mit einem «w»Wort, am
Rande das, was dazwischen kommen soll
/Darauf sehen wir es nach, füllen das was noch
fehlt aus, und denn schreibet man es noch-
mahls ab, während dem Schreiben polirt man
es hin und wieder, noch etwas ab, und so
wird es fertig. Wer etwas auf einmahl
recht gut machen will der dabey seine Ge-
dancken anstrengt, denckt sich dumm, und ver-
fehlt seines Zweckes gewis. Auch beym
Bücher lesen ist es rahtsam, daß man es
erst flüchtig durchlese, wenn man gleich nicht
alles versteht, findet man, da«s»ß der Autor selbst
gedacht hat, und nicht ein Schmierer ist oder
einer der uns alltäglich zeug erzählt; so lie-
set man nach einem nicht großen Intervalle
noch einmahl. Und denn nimmt man eine
Bleyfeder zur Hand, und notiret sich die vorzüglich-
sten «s»Stellen, es sey nun eine gute Historie,
oder recht was arges, oder ein schöner Einfall:
denn man kann das alles brauchen; da wir nun
die Absicht des Autoris beym ersten durchle-
sen gesehen, so werden wir bey denen bewei-
sen oder Definitionen worauf der Autor
/ seinen
/~Rand_115_Z_11
/{2- Bücherlesen -2} ~
|P_116
/seinen ganzen Vortrag gründet, etwas stille stehn,
und da«ß»s was der Autor gesagt, genau exami-
niren. Da wir sollches erst, ehe wir
wusten, was der Autor hieraus folgern würde,
übergingen. Alles dieses, was bisher gesagt ist,
dienet dazu, daß man einsehen könne, wie die
Ideen verbunden, und wie man aus dem Strohm
seiner Ideen, einige nach Willkühr, ausziehen
könne. Das Gedächtnis ist das Vermögen,
beliebiger Reproductionen ehemals gehabter
Vorstellungen. Es unterscheidet sich also von
Phantasie hauptsächlich darin, daß man nach belie-
ben seine Vorstellungen, müße reproduciren,
können, Da die Phantasie unwilkührlicher weise
die vorigen Bilder, in unser Gemüht zurük bringt.
Die Phantasie ist einer rastlosen Thätigkeit
gleich, sie ist gleichsam ein Strohm von
Bildern, sind wir uns zuweilen bewust,
zu weilen auch nicht, hier macht das
Bild das andere rege und das geht ohne
Ende so fort. Wenn wir also eine
Sache verheelen
/ wollen
/Lage 8
|P_117
/so müßen wir im Discours alles dasjenige
«S»sorgfältig decliniren, was beym andern
das angränzende Bild, von dem, was ich ver-
heelen will, excitiren könte. Wenn man
Z.E: wohin reisen will, %und man einem sei-
ne «r»Reise zu entdeken nicht gesonnen ist,
damit man nicht mit Comissionen bescheert wür-
de, so muß man, wenn man mit ihm spricht
bey Leibe nichts von der Post, oder vom We-
ge denken, denn vom Wege kommt er leicht
aufs Reisen, darauf kommt er auf mich, und
frägt mich, ob ich nicht am diesen oder jenen
Ort, hinreisen wolte, %und auf diese Art ha-
be ich dann Beschwerden zu ertragen. Man
pflegt den Narren vom Klugen zu unterschei-
den, nicht durch das, was er denckt, sondern dar-
aus daß ein Narr alles sagt was er denkt, -
ein Kluger aber nur das sagt was sich schicket;
Möchte ein jeder in Gesellschafft reden,
was ihm nach Gesetzen der Phantasie einfält
so würde man, den Klügsten auch für einen
Narren halten müßen. Hieraus folgt auch,
daß, wen ein Wilder verrückt wird, er
niemahls ein solcher Narr seyn könne, als
ein anderer, der mehrere materialien
in der Phantasie gesammlet hat.
/ Unsere
/~Rand_117_Z_1
/{2- Verhehlen -2}
/Z_14
/{2- Narr - Kluger -2} ~
|P_118
/Unsere Phantasie ist mit ein Stoff zur Klug-
heit, wenn sie aber nicht, unter unserer Wil-
kühr stehet, so ist sie mehr schädlich als nützlich. Es
können Leute, eine starke imagination, %und ein schwa-
ches Gedächnis haben. Ja oft ist die größeste
Lebhaftigkeit der Phantasie, die U«h»rsache eines schlech-
ten Gedächtnißes. Wie aber das Gemüht das
mache, daß es aus allen Bildern, das vorlan-
gen könne, was es will, ist nicht zubegreiffen.
/Zum Gedächtnis gehören vornehmlich 3 Stücke
/1) Etwas faßen, 2 Etwas behalten, 3 Etwas
sich erinnern. Die Fähigkeiten äußern sich bey
manchen Subjecten, nur langsam, bey andern
leicht. Man kan ein gutes Gedächtnis ha-
ben aber doch etwas sehr langsam schwer faßen;
solches findet man gemeiniglich bey Leuten die
wenig Witz haben. Wenn sie sich aber
einer Sache erinnern; so thun sie solches, mit weit
mehrerer Richtigckeit als andere. Etwas im
Gedächtnis faßen, ist wenn man es wieder her-
vor bringen kann, wenn man will. Um letzte-
res aber zu «s»Stande zu bringen, muß man Ideen
mit einander verknüpffen. Dieses geschie-
het dadurch wenn man Bilder oft zusammen
stellt, Z.E: wenn Jemand einen Nahmen nicht
/ behalten kann;
|P_119
/kan; so darf man ihm nur einen andern ähnli-
chen nennen; so daß wenn er nur einen be-
hält dieser ihn sogleich auf den zusammengepaarten
ähnlichen führet. Dennoch ist das erste Mittel
Ideen leicht aus der Phantasie hervorlangen
zu können.
/1.) Die bloße Assotiation oder Vergesellschaft-
tung der Begriffe. Die Assotiation ist
unterschieden von der Begleitung. Denn
so kann mich jemand in engen Straßen eine
zeitlang begleiten, der aber darum noch
kein Gesellschafter vor mir ist, derjenige
ist es aber der mich beständig begleitet.
Indeßen ist doch nach der Natur der Phantasie
die Begleitung ein Grund von Asso«t»ciation.
Diese asso«t»ciation ist oft ein Grund des
Ekels vor einer «s»Sache, so kann mancher keinen
Thee trinken, weil er den rhabarber
den er ehemahls damit einnahm, darin
zu schmecken glaubt. Sogar Wörter be-
kommen eine andere Bedeutung durch eine
zu fällige Asso«t»ciation Z.E: Cour machen,
hat jemand vieleicht im Schertz gebraucht,
statt an den Hoff gehen, %und nun denckt
sich fast ein jeder beym ersteren auch
das letztere.
|P_120
/Ja die Ideen hintergehen zuweilen die Menschen.
Es hat das, was durch einen Umschweif der Phan-
tasie in unser Gemüht gebracht wird, lange
nicht einen so starken Eindruck, als was gerade
zu in unser Gemüht kommt. Woher kommt das
daß autores oder auch Leute in Gesellschafft von
lauter Gelehrten, die Wörter die die Natur«i»alia ho-
minis angehen, nicht auf Teutsch sagen, sondern
lateinisch, da sie es so gut verstehen, als das
Teutsche? Daher, weil man das Wort in
Gedancken übersezen muß, %und also der Be-
grif *1in unser Gemüht kommt, welcher weg-
fallen würde, wenn man den Teutschen Aus-
druckt gebraucht hätte, es wird also nach dem
lateinischen Ausdruk, die Bescheidenheit
nicht so gerade zu, Beleidigt. Allein wenn
ein solcher Umschweif oft gebraucht
wird, so laßen wir ihn zulezt gar
weg, %und nehmen den Begrif unmit-
telbar in unser Gemüht auf. So nan-
te man die Krankheit der Wohllüstigen,
die ihren Uhrsprung aus West_Indien nahm,
oder die Venerische Kranckheit, zuerst
eine Neapolitanische Krankheit, weil
/ aber
/~Rand_120_Z_12
/*1 in einen kleinern
Umschweif ~
|P_121
/aber solche mit der Zeit zu grob klang; so
brauchte man den Französischen Ausdruk
mal de Naples; da aber die Französische
Sprache, so gemein wurde, daß man keinen
Umschweif mehr Brauchte, um diesen Be-
grif, ins Gemüht zu faßen; so brauchte
man wieder den Ausdruck, Neapolita-
nische Kranckheit. Hier kann nun ein Mensch
würcklich seinen Witz beweisen, wenn er
in Gesellschaft, da er mit den Frauenzim-
mer, von Dingen redet, die gern gehört
werden, welche doch aber, wieder die Ge-
setze, der Frauenzimmer lieffen<f>, wenn er
sie deutlich ausdrückte, solche Wörter
brauchen kann, die zwar ein jeder so stellen
kann, als verstehe er sie nicht. Die
erste Methode, also, sich etwas leicht zu
reproduciren, ist die Asso«t»ciation. Wenn
Kinder etwa einen Spruch auswendig
lernen, so beten sie ihn so oft her
daß einem andern die Ohren wehe
thun, sie Asso«t»ciiren aber theils dadurch
die Wörter unter ein ander, theils
den Spruch mit allerley andern Vor-
/ stellungen,
|P_122
/die sie beym herbeten haben, und auf die Art
behalten sie ihn. Ferner wenn ein Kind, das
Einmaleins auswendig lernet, so hat es eine
Zahl mit der andern in Gedancken so asso«t»ciiret,
daß nur eine Zahl durch die andre, reprodu-
ciret wird. Daher kommt es, daß wenn
man es frägt, wie viel 3 mal 7 wäre?
es die ganze Reihe wiederhohlen mu«ß»s, bis
es an diese Zahl kommt. Es ist diese Asso«t»cia
tion gefährlich, weil es vieleicht das ganze
Ein mal eins vergeßen könnte, welches auch oft
geschehen würde, wenn man nicht rechnen möcht@e.@
Wiederholt man ein Wort auch nur einige mah@l,@
so ist dieses schon eine Asso«t»ciation mit den Be-
griffen, die man bey jeder Wiederhohlung ge-
habt hat.
/II. Das 2te Mittel der leichten reproduction,
ist die Ähnlichkeit, hier wird durch das
Spiel des Witzes, eine Vorstellung mit
der andern asso«t»ciiret, allein wenn man nur
gleichsam, mit der äußeren Seite der Din-
ge «S»spielt; so wird dadurch der Verstand
nur corrompiret? Als in Banonis
Bilder_Bibel, um Iulius Caesar zu behalten,
ist dabey geschrieben; Einen Lücke schar-
/ ret im Käse
|P_123
/Oder um den Titel in den Pandecten zu behalten,
de haeraedibus suis et legetimis, hat man ei-
nen großen Geldkasten gemahlt, haeredi-
bus, bey diesen ein paar Säue Suis, und zulezt
die Taflen Mosis, et legitimis, diese Ähn-
lichkeiten sind allerdings schwerer zu be-
halten, als die Sache selbst. Wir be-
merken ferner, daß wenn jemand et-
was falsch gerahten, oder etwas einmahl
falsch ins Gedächtnis gefaßet; so bleibt
es immer, Daher müßen die ersten Ein-
drücke, immer richtig seyn. Es ist auch nicht
gleich leicht, Historie und Geographie zu
lernen, denn in der Geographie gehe ich mit
dem Finger um die ganze LandCharte herum
%und zeige die Provinzen, %und wenn ich eine Pro-
vinz verlaße, so bleibet sie doch, daher
ist sie, weit leichter als Historie, wo
immer ein König weg ist wenn der andere
kommt. Es ist auch interessanter daß
ein Land in der Welt liegt, als daß
ein Churfürst in der Welt gelebet habe.
Man nennt leges Phantasie brutae
wenn das Bild bloß durch die zusammen-
paarung hervorgebracht wird. Wenn
man durch eine Ähnlichkeit eine Sache
reproduciren will: so muß es eine wahre
Ähnligkeit an den Sachen nicht aber in wilkühr-
/ lichen Zeichen seyn
|P_124
/Ferner sind Mittel der leichten reproduction. I. Die
Verbindung der Begriffe, nach logischen Gese-
tzen, in so ferne Dinge unter Classen gebracht
werden. Man kann sich den Verstand, als einen
unermeßlichen Raum vorstellen, in diesem
Raum nun, sind für jeden Begrif Abtheilun-
gen, welche man loci, logici, nennen kann,
In diese muß eine jede neue Vorstel-
lung gesezt werden, wenn man sich diesel-
be reproduciren will. II. daß die Dinge ver-
glichen werden, nach dem Verhältnis des Ver-
standes %und der Vernun«p»ft, es wird hier nehmlich
nur die Uhrsache, mit der Wirkung vergliche@n.@
Wenn man z.E: das Mummia mineraliter
behalten will; so muß man wißen daß es
ein Balsam sey vermittelst deßen, man
den zerbrochenen Fuß, eines kleinen
Thieres in 24 stunden heilen kann. III: muß
man die Dinge in die Verhältnis sezen,
mit den Gesetzen unserer Neigungen, dieses
ist die gröste Ähnlichckeit dahero kommts
daß man von judiLäsioncieschen Leuten sagt, daß
sie allemahl ein schlecht Gedächtnis haben,
und es ist nicht ganz unwahr, denn solche
Leute behalten nur solche Dinge, die sie
/ mit
|P_125
/mit den Gesetzen des Verstandes, zusammen
paaren können, da aber solches von denen
wenigsten Dingen gilt, so behalten sie auch
wenig, hätten solche Leute weniger Ver-
stand, so würden sie mehr mit ihrem
Witze spielen, und dadurch mehr behalten.
Es darf sich aber niemand damit prahlen,
daß er ein schlechtetes Gedächtnis ein
ein starkes judicium habe, denn es ist
immer ein Fehler, wenn die Untervermö-
gen schwach sind, und man den Verstand
auch nur brauchen kan, in so ferner man
viele Materialien hat. Diese Ma-
terialien geben uns die äußeren
Dinge, die man ins Gedächtnis faßen
muß, auch selbst ein schwaches Gedächt-
nis, ist von großen Nutzen. Die
Association an welcher wir oben ge-
dacht, ist theils, sinnlich, theils bildlich
jenes ist die Association der Empfin-
dungen, diese der Anschauungen, alle
Dinge die sich gleichsam, in riß bringen
laßen, sind leicht zu behalten, dahero
auch die Geographie weit leichter zu
behalten ist, als die Historie, denn
in letzterer ist eine solche Anschauung
nicht möglich, indem die «s»Stelle der verstorbe-
nen Könige nicht mehr übrig bleibt. Man
/ weiß auch
|P_126
/kein Mittel die Geschichte leichter, ins Gedächt-
niß zu bringen. Das beste Mittel wäre
wohl, daß man die Zeit in große Abschnitte, und
diese wiederum in kleine Theile, theile.
Weil auch ein jedes Land seine eigene Ge-
schichte hat; so trägt der Synchronismus viel
dazu bey. Die Ähnlichkeit macht, daß man
etwas leicht behalten kann, wie auch die
Abtheilung des Ganzen in seine Theile. Über-
haupt hilft alle Ordnung dem Gedächtnis.
Die Dinge, die sich nicht unter allgemeinen
Begriffe«n» bringen laßen, sind schwer zu
behalten. Gemeinhin machen sich die Men-
schen nicht viel daraus, daß sie ein schwa-
ches Gedächtnis haben, aber wenn man ihren
Verstande etwas entziehen will, so empfin-
den sie solches sehr übel. Weil ein jeder
Mensch seinen Verstand für groß genung hält.
Der Grund hievon ist dieser, weil ein jeder
die Größe seines Verstandes, nur durch den
Verstand selbst erkent. Das Judiciarische
Memorium, ist einem Menschen von Jahren
sehr leicht, aber das Sensitive memorium
fällt ihm schwer. Dahero es denn
rahtsam ist, daß junge Leute, bis zu ih-
rem 30ten Jahre, sich einen Haufen materi-
/ alien
|P_127
/ins Gedächtnis faßen, weil solches nach
dem 30te Jahre fast unmöglich ist. Es ist da-
hero unverantwortlich«,» daß Lehrer,
die Kinder, in den Schulen, mit einer
Art von Philosophie, Natur Lehre, %und
andern der gleichen Wißenschaften, be-
schweren, da sie sich doch nur für ältere
Leute schicken. Allein es ist ein all-
gemeiner Fehler der Eltern, %und Lehrer,
daß sie Kinder wieder ihre Natur zu
alten Leuten machen wollen, da sie doch
dieselben nur darin unterrichten sollen,
was sich für ihre Kindheit schicket
in diesem Alter soll man sie viele
Sachen Sensitive memoriren laßen, weil
sie alsdenn am fähigsten dazu sind. Es
scheint zuweilen, daß man etwas ver-
geßen hat, allein es dennoch im Ge-
hirn. So weis man, daß ein
Engelländer, der Vorher die Teutsche
Sprache gelernt hatte, hernach sich aber
wieder 9 @Jahre@ in Engeland aufgehalten
hatte, als er wieder zurück kahm glaub-
te, daß er die ganze Sprache vergeßen hätte,
jedoch nach einigen Wochen redete er die
Teutsche Sprache so fertig als vor-
/ hin
|P_128
/Was den Grund \ Grad des Gedächtnißes, anbetrift,
so findet man hievon «w»Wunderdinge. Ein Polyhis-
tor hatte den Inhalt von gantzen Bibliotheken
inne und wäre es möglich, alles, was in der
Seele eines solchen Mannes Befindlich in
ein klares Anschauen zu Bringen, so würde man
erstauen. Ein außerordentliches Gedächt-
nis hatte Maleabesche \ Magliabecchi ein Bibliothecar
des Herzogs von Floren«t»z, der anfänglich ein
Bauer Junge war, der allenthalben Bücher
suchte wo er sie nur ertappen konnte.
Er war zu erst bey einem Gärtner, hier-
auf bey einem Buch-Händler, wo er lesen
lernte, %und seyn Glückliches Gedächtnis äußer-
te, alles was er laß, behielt er, End-
lich wurde er wegen seiner großen Bele-
senheit, zum Bibliathecar, an gedachten
Orte gewählet. Er war das Orackel von
Europa, wenn man eine Stelle nicht ausfin-
dig machen konte; so frug man Maleabechen
und der konnte einem sagen, daß die «s»Stelle in die-
sem oder in jenem Buche, in einer Bibliotheck
zu Constantinopel, in dem %und dem Fach, auf
der %und der Seite befindlich wäre. Dieser
Magliabecchi, war dabey ungemein schmutzig.
Er trug lederne Beinckleider, die so abge-
/ schmutzt waren,
|P_129
/daß er zu weilen mit einer SteckNadel seine
Gedancken darauf schrieb. Ein nicht weniger
merckwürdiges Beyspiel eines glücklichen ge-
dächtnißes war. Robert Hill ein Schneider in
Engelland, der etwa vor 15 Jahren lebte %und
die Arabischen Sprachen %und Schriften auch andere
Sprachen weit beßer verstand, als der größe-
ste Gelehrte. Man sehe in Bentleys -
Polyhistor das Arabische Manuscript von Hill.
Er wurde auch zum Bibliothecar in Cam-
bridge gemacht. Es ist sehr wahrscheinlich,
daß die Eindrücke auf unser Gehirn fest
kleben bleiben, und daß es nur daran
liegt, daß einer vor dem andern ein beße-
res Mittel hat, die Sachen in ein großes
Licht zu setzen. Daß Kinder etwas leichter
Behalten, wenn sie es des Abends über-
sehen, hat seinen Grund, weil die Seite
Vocabeln, die sie gelernt, Nacht über in der
Phantasie bleiben schweben, %und diese kan
sie sich, desto leichter Vorstellen, je we-
niger Gegenstände, die als denn fehlen, sie
daran hindern können. Wir haben ferner
ein Vermögen, Vorstellungen hervor zu
bringen, die niemahls in unserer Phanta-
sie aufbehalten waren, ja die niemahls
in unsere Sinne gelegen, und dieses ist das
Dichtungs_Vermögen. Dieses Vermögen
/ ist nicht
|P_130
/nicht bloß ein promus, condus, der die Vorstellungen
hervorlangt, auch werd die Vorstellungen
nicht durch daßelbe removirt sondern es
werden neue hervor gebracht, neue Fingiret
man nennt einen Töpffer Figulus, bloß weil
er dem Tohn die Form giebt. Aber so wie
der Töpffer erst den Thon haben muß ehe er
ihm eine gewiße Gestalt giebt, so müßen
auch einem Dichter jederzeit, die Materialien
zum Dichten gegeben seyn. Bey den Sinnlichen
Dichten liegen die Phantasmata, von denen Er-
scheinungen, und Empfindungen, zum Grunde,
die von ihnen auf mancherley Arten verän-
dert werden. Ein Mensch dichtet auch im
Traum, der Stoff dazu aber liegt in der Em-
pfindung, weil aber sich keiner eine Empfin-
dung erdichten kan, so hat man auch dar-
aus die Formel gemacht, daß könnt ihr
euch nicht vorstellen, was das für Schmertz
etc ist. Vielfältig bildet man sich ein; daß
etwas selbst müße empfunden werden. Das
Dichten geht bald unwillkührlich bald aus Physi-
calischer Nohtwendigkeit bald w«ü»ilkührlich
in uns vor. Das unwilkührliche
Dichten, gehöret unter das Vermögen zu
dichten. Daß Romanen lesen macht träu-
merisch %und veru«h»rsacht ein unwilkührliches
Dichten, man verlieret dabey auch alle Ge-
/ lehrsamkeit
|P_131
/so daß wenn man nachher andere Bücher lie-
set %und eine Seite herunter gelesen hat, man nicht
weis, was man gelesen hat«;». Das Dichten
im Traum ist von der Stärcke, daß man es
für würckliche Erscheinung hält. Alle Hoff-
nug ist eine Art von Dichten, wenn aber
das, was man dichtet keine Möglich-
keit enthält, so ist dieses ein Hirnge-
spinst. Ein Hypochondrist, dichtet jederzeit
unwilkührlich, %und darinn bestehet eben seine
größeste Krankheit«,». «m»Man lacht aber gemein-
hin einen Hypochondristen aus, weil die Hy-
pochondrie im höchsten grad der Narrheit ähn-
lich ist, und weil man denckt, daß so ein
Mensch, wenn er wollte, alle die Possen
könte fahren laßen: Allein es ist
ihm nicht möglich. Man hat gemerkt daß
gemeinhin Melancholische Leute geschikt
zum Dichten sind; und ihre Gedichte sind leb-
haft«,». Vieleicht bestehet die Melancholey
bloß im Dichten. Das Dichten ist uns theils
nützlich theils schädlich. Damit wir uns
aber von unwilckührlichem Dichten befreyen,
so müßen wir unsere Aufmerksamkeit immer
auf Erfahrungen richten. Ein Mensch ist
zerstreut, bloß weil er dichtet. Wir kön-
nen aber wie schon gesagt die größeste
Gewalt im Dichten moderiren. Die müßi-
/ ge Einsamkeit
|P_132
/Einsamkeit giebt Gelegenheit zum unwillkühr-
lichen Dichten, daher man solche sorgfältig ver-
meiden muß. Ein Hypochondrist denckt ge-
meiniglich den Gesellschaften beschwerlich zu fal-
len, %und bleibt also zu Hause. Er schlägt
also das einzige Mittel, wodurch ihm könte
geholfen werden aus. Wir können auch nach
dem bloßen hang der Phantasie dichten, und als-
denn giebt den Materien, die uns die Phan-
tasie darbeut, entweder der Verstand oder der
Geschmack die Form. Es ist ein «u»Unterscheid zwischen
dem Dichten beym Lügen, und dem Dichten beym Prahlen@.@
Das Dichten hat nicht die Ähnlichkeit die man
beym Pöten findet. Ferner geht man mit einem
Poeten die Convention ein, daß er uns etwas vor-
lügen werde, das ist aber ein gan«t»z anderes
lügen. Es giebt Leute, die aus einem beson-
dern Instinct lügen, oft gute Leute, denn es
giebet würklich gan«t»z unschädliche Lügen, ja ein
solcher Lügner kann durch seine Kunst «z»Zuweilen
Feinde versöhnen, indem er wechsels weise ei-
nem vom andern versichert, daß er nicht feind-
seelig gesonnen wäre sondern ihm alles gute
gönne. Einen solchen Lügner haßet
/ man zwar nicht
|P_133
/Lage 9
/aber man verachtet ihn. Es fließen diese
Lügen bloß aus einem ausschweifenden
Hange zum Dichten. Betrachtet man den
Dichter als Dichter, und nicht als einen
solchen der altäglichen Gedancken einen
schönen Schwung giebt und sie in Reime
bringt, so sind die requisita deßelben
folgende
/I.) Er muß neu in den Bildern seyn, die er sich
macht, so sagt ein strenger recensent das
Gellert ein $Pseudo$_Poet sey der nicht den
Nahmen eines Dichters verdiene in dem
er zwar bekandte Sachen gut <zu> erzählen wü-
ste, jedoch kein eigentlicher Dichte wäre, aber
gleich glücklich in den Fabeln wäre so würde
doch <dazu> nicht das größeste Talent eines Dichters
erfordert, überdem sind auch die Fabeln des Gel-
lerts mehrentheils aus andern Schriften entlehnt.
/II.) Ein Dichter muß in seinen Schriften; immer ein
A«¿»nalogon von Wahrheiten beobachten, die
Bildungen seiner Erzählungen, müßen
mit dem gemeinen Character über ein-
stimmen, er hat also nicht die Licenz zu
sagen was er will. Milton ist ein
Dichter im eigentlichen Verstande,
Klopstock kommt ihm nicht bey, denn Er
rührt immer per Sympathie indem er
gefühlvoll redet, so beweget er den
/ Leser
|P_134
/den Leser mit, gleich wie wir einen erblaßen sehen
und mit erblaßen; dieses ist was von denen, die
den Klopstock mit den Milton vergleichen, nicht einge-
sehen wird. Der Dichter muß erfinden, und
seine Erfindung in ein Klares Licht zu sezzen
wißen. Das Dichten ist die Quelle von
vielen Empfindungen wenn keine Dinge da
sind, die der Lücke sprechen, so ist dieses
eine Erdichtung: das was gedichtet ist, ist noch
nicht leer«,». Leer nennt man ein Gedicht, was
der Natur wiederspricht, mäßig nennt
man ein Gedicht, wenn die gehörige Kraft
nicht angewendet ist, das jenige was man dich-
tet auszuführen; Pia desideria sind nichts
anders, als dichtungen, von einer moralisch
Volkommenen Welt. Ein Philosoph, der nur
mit solchen frommen Wünschen, um sich wirft@,@
ist ein mäßiger Philosoph. Ein Philosoph muß
auf das Pracktische dencken, wie er nehmlich ein Mit-
tel ausfindig machen. kann, diese Pia desideria
auszuführen, das Glück des Menschlichen Lebens
volkommener zu entwerffen, als wir es wür-
lich finden, ist das Werck eines Romanschrei-
bers. Dahero das Romanenlesen eine schädliche
Würkung hat, außer wenn etwa ein würk-
/ licher
|P_135
/Character geschildert wird. In so ferne aber Ro-
manen die Welt anders schildern, als sie
würklich ist, sind sie mehr schädlich als Nütz-
lich. Sie machen die Gemühts Art Chimae-
risch, %und verzärtlen sie; sie machen die ge-
danken des Menschen müßig und rauben
dem Staate einen Nützlichen Bürger. Ein
solcher Mensch Beschäftigt sich lieber mit
großen Staats Sanctionen in seinem Ge-
hirn, als mit seiner Arbeit, sie machen
das Her«t»z welck %und weichlich, da doch ein Mensch
suchen soll sich gnugsam hart gegen die Schicksale
des Lebens zu machen. Ja wenn ein Mensch schon
Jahre hat, und einen Roman lieset, so findet
er nach dem Lesen jeder zeit, daß er nicht so
wacker ist, als wenn er eine wahre Geschichte,
oder sonsten was lehrreiches gelesen hätte,
er empfindet einen heimlichen Vorwurf.
/ Unglücklich also ist ein Mann, der eine Frau
hat, die Romanen lieset; denn sie ist in Gedan-
ken schon gewis an Grandison verheyrahtet
gewesen und nunmehr Wittwe geworden.
Wie wird Sie Lust haben, nach der Küche zu
sehen«,»? - Eine Idee ist auch jederzeit eine
Dichtung, und ist von der Notion darin
/ unterschieden
|P_136
/daß letzterer ein allgemeiner von der Erzählung
abstrahirter Begriffen ist, Die Begriffe eines
Wesens, des höchsten Wesens des Himmels p ent-
springen alle durchs Dichten und sind Ideen. Der
Mensch vergrößert die Dinge so lange bis er
sie zur Volckommenheit gebracht hat. Das Wohlwol-
len, und die Freundschaft unter Menschen ist
sehr mangelhaft, indeßen dichtet man sich doch
nach Regeln, der Vernunfft, eine «¿»volkommene.
Freundtschaft, welches die Idee der Freundschaft ist,
welcher man sich in concreto gleich zu kommen Be-
mühen soll. Das Dichten geschiehet entweder
nach Regeln der Vernunft, und als denn ist
es das intellectuelle Dichten, oder nach der bloßen
Erscheinung, %und denn ist es, daß Sensitive
Dichten. Die Idee ist immer das maximum
so complet ist, und zum Maasstabe dienet, die
andern Dinge darnach abzumeßen. So dachten
sich die Stoicker, %und Epicuräer ein Ideal vom Menschen,
jene setzten es in der Stärke des Geistes, die-
se in der klugen «w»Wahl der Mittel, zu einer dau-
erhaften Glückseeligkeit. Platons Buch de
Republica enthält gleichsam ein Ideal: eine
Idee die richtig ist, ist nöthig zu beurtheilen
obwohl sie niemahls erreicht wird. Ein Ideal
/ bedeutet
|P_137
/die Iden in concreto oder das maximum in
concreto Betrachtet. So soll Grandison das
Ideal einer completten MansPerson seyn,
allein weit gefehlt; das Ideal muß richtig
abgezeichnet seyn Socrates kan ein Ideal seyn,
wenn er so gelebt hat wie er geschildert wird;
allein die Menschen sind immer geneigt zu dem
welches zwar volckommen, jedoch nicht complet vol-
ckommen ist, das fehlende zu Suppliren, weil
aller Mangel dem Menschen verhaßt ist. Da«ß»s
Ideal ist entweder das aus der Specula-
tivische Ideal. Was das Ästhetische Ideal
betrift, so läßt sich nur von Empfindung
kein Ideal Formiren, dahero das was von
der Glückseeligkeit der andern Welt gesaget
wird, Worte sind, wozu uns das con-
cretum fehlt. Es ist eine solche Glücksee-
ligckeit zwar ein algemeiner Begriff, aber
kein Ideal. In der Form der Erscheinug
kann man sich wohl ein Ideal erdichten, denn
da liegt der unendliche Raum zum Grunde.
Ein Mahler kann in 3facher Rücksicht be
trachtet werden, entweder ahmt er nach
und denn ist es kein original_Mahler
oder er mahlet das Ideal; Nun giebt
es nur ein einziges Ideal, welches
/ der
|P_138
/der Mahler mahlen kann, D.i. Die Volkomm-
menste Menschliche Gestalt.
/Der berühmte Maler Mengs denkt 3 Maler.
/1.) Des Raphael der das Ideal am besten ge-
macht indem er alle das ecklichte, eines
Menschen, was Bedürfniße verräht, wegge-
laßen.
/2.) Des Correggio der ein Maler der Holdigkeit war,
der die annehmlichkeiten beobachtte der die
scharffen Schatten vermied, und durch das
Spiel der Empfindung Gegenstände anbrachte,
durch deren Reflection, der Schatten @der@
andern gemildert wurde.
/3.) Des Titians der nur ein Maler der Natur war.
/Unsere Freyheit im Dichten, ist durch die Con-
dition der Möglichkeit eingeschränckt, sogar
beym Fabel Dichten ist unsere Licentz ein-
geschränckt. Der Character den man einem
Thier giebet, muß der Natur angemeßen
seyn. Wenn man den Character eines
Menschen dichten will, so muß er gut aus-
gezeichnet seyn und den muß man die mo-
ralische Empfindung zu excitiren suchen.
Denn das ist das Practische. hierin hat Fiel-
ding einen Vorzug, weil er sehr launigt
zu seyn scheinet, so entfährt er auch nicht
auf das Böse; sondern stellt es lächer-
lich vor. Man muß aber auch nicht
zuviel vom Menschen verlangen, zuweilen
/ fordert
|P_139
/fordert das Dichten, außer dem Vermögen,
dazu, einen Grund im Naturell. Dadurch
wir angetrieben werden, unserem Carac-
ter gemeß zu dichten, und dieses Dichten kön-
nen wir das Dichten aus dem Temperament
nennen. Hypochondristen haben beständig
den Kopf voll, von traurigen Figmentes; und
entdecken bey jeder Gelegenheit Gefahr, und
bey denen geringsten Handlungen, böse Ab-
sichten, welches Naturell, Tacitus in seinen
Schriften, außer dem darin befindlichen Scharfsinn
verahten zu haben scheinet. Man tadelt die-
ses ebenfals am Rousseax, der sonst ein gutes
Herz besizt«,». «m»Man kann ihn aus der Strei-
tigckeit mit Hume kennen lernen.
Wir nennen dieses Pfantasey, wenn Er
genandte Figmente, die er nach seinen Wunsch
gebildet, für willkührliche Dinge hällt.
Solche Pfantastische Bilder macht sich gemeinig-
lich die Jugend, von ihren Gegenständen,
und siehet bey allen Gelegenheiten den
klaren Ehestands Himmel vor Augen.
Dieses stimmet auch volckommen, mit ihren
raschen Blute überein. Zuweilen gehet
die Pfantasie auf das Gute, und Leute,
die mit Tugendhaften Begriffen Leiden-
/ schafften
|P_140
/verbinden, werden Pfantastisch genannt solche
Pfantastische Tugend Freunden; werden sehr leicht
in Menschen Freunde verwandelt, weil niemand
ihrem Ideal von Tugend, gleichförmig zu leben
vermag. Das Vermögen zu dichten, ohne
Verhältniß aufs Gefühl, %und Verstand, und
der Mangel, irgend eines Caracters, macht
den Dichter aus. Alle diejenigen nehmlich
die einen Natürlichen Hang zur Dicht Kunst
haben, aber nicht viel Geschicklichkeit dazu be-
sitzen, und öfters dieses Naturelles wegen
ein schlechtes Aufsehen machen, und nur elen-
de Verse schmieren, scheinen keinen eigentli-
chen Caracter zu haben, und die Natur hat
ihnen alle diejenigen Dinge versagt, durch
die sie gut dichten sollen. Solche Menschen
wißen sich in alles zu schicken, und stellen sich
in allen Standpuncten zugleich, das aber würde
nicht geschehen, wenn sie einem Character vor-
züglich ergeben wären«,». «d»Derjenige der gerührt ist,
kan keine entgegengesezte Bewegung einneh-
men, und jeder andere Affect verstummt. Man
muß von einem jeden Poeten glauben, daß
er schreke, und die jenigen sind betrogen,
welche keinen Spas verstehen, und in seine Red@e@
/ lauter
|P_141
/Warhaftigkeit setzen, da doch das Poetische
Funke, nur immer eine Nachgeahmte mine bleibt.
Ein Acteur muß gleichfals nicht, wie man glaubt,
von dem was er sagt, gerührt werden, sondern
vielmehr eine große Einbildungs_Kraft haben.
Von Poeten %und Advocaten sagt man, daß sie lügen,
einer lügt im Schertz, und wird im Schertz bezahlt,
dieser aber im Ernst und erhält im Ernst, dafür
Bezahlung. ja er stellt sich beständig das un-
recht seiner Sache, die er als recht vertheidigen
will, wie es würklich ist vor, und sucht als den,
wenn er bey sich selbst beschloßen, die Begeben
heit einmahl als gesetzlich zu behandeln, in
der Perschon eines Beleidigten wie Cicero
für den Milo zu reden.«,» Das Dichten ist
auch zuweilen eine Frucht, des Müßigganges.
Denn der Faule ist nie«h»mals recht faul, son-
dern zehret an seinen Einbildungen, %und das
Romanen lesen unterhält diese unglük-
liche Läßigkeit. Eine Idee ist eine Vor-
stellung die den Grund der Möglichkeit einer
Sache in sich enthält. So erblicke ich an kei-
nem Stein, wohl aber an einer Pflanze, daß
sie vor ihrem Daseyn, in einer Idee«¿» gelegen
haben muß. Unter dem Himmel ist das Mo-
ralische das Vollkommenste. Der diesen Ideen
gemäß lebete, dem nannten die Alten, einen
Weisen, indeßen ist es in der That
/ unmöglich
|P_142
/weil kein Mensch von Natur solche Gaben er-
halten, daß er diesem Ideal gemäß leben
könne, alle diese Ideale sind in der Ver-
nun«p»ft oft wahr, aber nicht real inder Welt, und
diejenigen welche sie zu realisiren gedenken heis-
sen Pfantasten der Vernunft.
/ ≥ Vom unwillkührlichen Dichten ≤
/Unser Gemüht ist beständig geschäftig neue Pro-
specte der Gegenstände zu verschaffen und aus
den Materien, die es vorrähtig hat, neue Bilder
zu formiren. Dieses geschiehet in Wachen %und
Träumen, welches letztere keine besondere
Kraft, in unserer Seele erfordert, sondern
der Unterscheid des Dichtens beym Träumen und
«w»Wachen, liegt bloß darin, daß beym «w»Wachen
die sinnliche Eindrücke und ihre Lebhaftigkeit,
uns des Bewustseins der Chimerischen Ein-
fälle berauben«,» und die Reihe der erdichte-
ten Bilder, die indeßen ihren Lauf immer, in un-
sere Einbildungs_Kraft fortsezen, verdun-
keln. So wie Phosphorische Erden, zu leuchten
aufhören, wenn sie an das Tages Licht gebracht
werden. So lange der Mensch träummt ist
er nicht fähig, Wahrheit %und Falschheit zu
Unterscheiden«,». «m»Man nennt auch denjenigen einen
wachenden Träumer, bey welchem keine äußeren
/ Empfindungen und
|P_143
/Veränderungen haften, %und Eindrüke machen; doch
ist ihm dieses nicht zu verdencken, weil er
sich in seiner erdichteten Welt erhohlen kann.
Der eigentliche Traum aber sezet zum vor-
aus 2 erley, 1tens den Schlaf 2tens die An-
grän«t»zung des Wachens und Schlafens, denn
sobald der Schlaf ganz aufhöret, so hören
wir auch auf zu träumen, und eben dieses
geschiehet, wenn wir im tiefen Schlaf sind
und alle willkührlichen Bewegungen zerstreuet <gestoret oder gehemmt>
sind. Dieses sehen wir auch daraus, daß man
des Morgens am meisten träummt, und bey
dem jenigen, der sehr leise schläft, wird dieses
ebenfals bemerkt. Den Anfang des
Traumes macht allemahl eine «S»sinnliche Em-
pfindung, worauf denn das Gefolge aus der Ein-
bildungs_Kraft entlehnt «ist» wird. Wir ha-
ben im zustande des Schlummers oder des Halb-
schlaffes, einer stumpffen Empfindung, wel-
che sich mit unseren Phantastischen Gemähl-
den vereinigen. Man kann auf die «w»Weise nach Be-
lieben Träume erweken, welche mehrentheils
schrecklich sind, wenn der Cörper des Schlaffenden
eine solche Lage bekommen, daß das Blut nicht
Stangniren kann, es ist dieses eine Würkung, welche
der Coffee gemeinhin hervor bringt. Wenn aber
nur der tieffe Schlaf allein Erholung bringt, so
muß man vorzüglich Maas in Ruhe %und Abend Mahl-
/ zeit halten
|P_144
/denn so lange man träumt, schläft man nur mittel-
mäßig. Im «s»Schlaf %und im Traum hören die Will-
kührlichen Bewegungen auf, jedoch wird der
eingebildete Cörper, durch unsern Willen im
Traumen bewegt, so bald aber auch solches
mit unsern Cörper vorgehet, daß sich derselbe da-
mit «g»vereiniget, so wird dieses die Schlafwan-
derung genandt, welche im gelinderen Ver-
stande, nur vom Sprechen im Schlaf in so ferne
aber von denen willkührlichen Bewegungen ge-
sagt wird. Man kann die so genandten Schlaf
wanderung am besten damit aufmuntern %und
von diesem Fehler heilen, wenn man eine
mit Kaltwaßer angefüllte Matte, vor das
Bett legt, weil so einer gleich aufwacht,
wenn seine Füße sie berühren. Daß aber
die Schlafwanderer gantz richtig handeln, aller
Einbildungs_Kraft ohnerachtet, solches zei-
get die Geschichte eines Italiänischen Haus
Hofmeisters, welcher bey einem Grafen
in Diensten gestanden. Abends wurde er verdrüßlich, ge-
gen 10 Uhr schlief er %und höchstens 2 Minuten, denn
machte er sich mit starren Augen auf, woraus
man leicht den Schlaf ermeßen konte, ging schnell
herum, bestellte die Tractamente, ging in Wein-
häuser und nahm allerhand Geschäfte vor,
/ schien
/~Rand_144_Z_7_
/{2- Schlafwanderung -2} ~
|P_145
/aber keinen andern Sinn zu haben, als das Gefühl
und träumte beständig von Gästen; die Uhrsach
dieses Zustandes scheinet diese«s» zu seyn, daß die
Nerven_Saft haben, hingegen die der sinnlichen
Empfindung außer eines gewißen Grades von
Gefühl, deßen entblößt «sein»sind. Daß aber
die Schlafwanderer, bey «n»Nennung ihres Nahmens
aufwachen sollen, scheint nicht ein bloßer Aber-
glaube zu seyn. Noch ist ein besonderer Zustand
Merkwürdig, welcher sich aber selten bemerken
läst, ist der, der Erstarrung, man hat dabey,
keine Empfindung, kein Gefühl. Ein beson-
deres Beyspiel zeiget sich hievon an einem
@%.Frauenzimmer@ mit welchem man erstaunende und
öfters grausame Experimente machte, die nach-
gehens im Erwachen heftig empfand. Sie
sprach indeßen, %und zwar vernün«p»ftig als im Wa-
chen, <{2- antwortete -2}> jedoch nicht auf die vorgelegte Fragen,
und konte weder durch Feuer noch durch
Waßer, aus dem «s»Schlaf gebracht werden;
Ferner müßen wir die Kranckheiten, unse-
res Gemühtes hiebey erwegen. Das
phantastische und das Verstöhrte davon
man keine Gesetze %und Regeln ausgemacht,
da doch Regeln genung in «ü»Überfluß aus-
/ findig gemacht sind
/~Rand_145_Z_9
/Erstarrung ~
|P_146
/nach denen wir in unseren gesunden zustande
verfahren. Ein Phantast, ist <der> das, was er im
Gehirn hat, für würckliche Dinge hält. Ein jeder
Affect wird Phantastisch wenn man mehr den
ideellen als sensuellen nachhängt. So macht bey der
Geschlechts liebe das Idealische das mehrste aus.
Überhaupt dienen die Affecten zu nichts, und ver-
schwinden, wen die Vernunft die Oberhand be-
kommt, indeßen sind die in der Welt nicht unnütz,
sondern dienen für Narren, für welche die
Weise Vorsicht auch hat sorgen wollen. Sie machen
aus der Vernünftigsten Idée, die sonst nicht
Chimaere ist, Grillen, indem sie ihr gar zu sehr nach-
lauffen. Und Rosseau irret nur darin, daß er
ein würklich Exempel an die Hand giebt, von der
Erziehung auf eine solche Art, wie er sie vortragt,
Ideale finden sich nicht contrefait. Daher auch Ari-
stoteiles ganz recht hat wenn er sagt; lieben
Freunde, es gibt keine Freunde.
/Eine Art von der Pfanterey ist der Enthusiasmus, der
aus dem Ideale der Volckommenheit seinen Uhrsprung
erhält; doch ist ein Enth«usi»ast, allemahl ein
edler Pfantast, und voller Leben %und Stärke.
Daher auch die Jugend dazu incliniret. Ja
/ es verschwindet
|P_147
/Viel gutes aus dem Lande, wo Er ausgerollet ist.
indeßen sind doch Entusiasten gleichsam idea-
lisch Betruncken, und die Geistische Berauschung
schadet allemahl mehr, als die Bürgerliche. {2- Die Phan-
tasie -2} bringt große Dinge zu wege, die kalte
Vernunft aber muß sie dauerhaft machen.
Es gibt auch Pfantasten der geistigen Anschau-
ung, welche Dinge glauben anzuschauen die bloß
aus dem Verstande entspringen, und durch ihn
bekandt werden, die Schwärmer heißen. Die-
jenige aber welche Dinge, die in ihrer Einbil-
dung sind, in die «s»Stelle der würklichen subs-
tituiren die auch bey jedem Tritt Geisterschei-
nungen zu haben glauben, werden Bisconrii
genandt. Das Genus aller Gemühts_Krankheiten,
in so ferne sie keine bloße Abweichung,
sondern würckliche Verkehrheiten sind, heißt
Stöhrung. In Ansehung der Sinne sind sie Wahn-
sinn«e» und Blödsinn«e», jener siehet zu viel,
dieser zu wenig. Blödsinnige sind gar zu
stumpff in Ansehung der Sinne, die für
sich allemahl gut seyn mögen, nur daß sie
von der Aufmerksamkeit %und Reflection des
Verstandes, die bey aller Erscheinung statt
finden muß, entblößt sind, sonst«en» aber bewei-
set der Blödsinnige allemahl Schwäche des
/ Verstandes.
/~Rand_147_Z_14
/{2- Visionaire -2} ~
|P_148
/Endlich ist noch anzumerken daß Blödsinnige meh-
renteils harthörig sind. Der «w»Wahnsinn«.», beruhet
nicht auf einem Fehler des Verstandes, sondern
entstehet daher, daß die Einbildungen auf ein-
mahl einen großen «g»Glan«t»z beckommen. Es
ist mit den mehresten hitzigen Fiebern Ver-
bunden, und die Hypochondrie ist gleichsam die
Vorbereitung dazu, besonderst wenn der
Hypochondrist ein Pfantast seiner Muhtmaßung ist
hier ist er gantz unerträglich da man ihm sonst
zu gut gehalten, daß er nur über seine Schmer-
tzen klagt. Die Verkehrheiten in Ansehu@ng@
des Verstandes sind Wahnwitz und Dumheit.
Ein Wahnwitziger Reflectiret da, wo die Ver-
nun«p»ft gar nicht applicable ist, hingegen
Urtheilt der Dumme gar zu wenig. Der
Unterscheid zwischen Wahnwitz %und Wahnsin
bestehet darin, das bey dem letzteren ein gu-
ter Verstand statt haben kann, bey dem erste@rn@
aber die Anwendung der Vernun«p»ft schlecht
ist, und diejenigen nähern sich ihm, die die
Schrancken der Vernun«p»ft übertreten wie
man davon in {2- Jac. -2} Boehmens schwärmerische Schrif-
ten, unendlich viel Proben hat. Indeßen
bleibt der Wahnwitz immer ein grösterer Fehle@r@
wie der Wahnsinn, weil er beständig das
Grundverderben des Menschen anzeigete. Von
/ diesen
|P_149
/Lage 10
/Fehlern des Verstandes ist die Albernheit unter-
schieden, als welche ein Mangel der Zustimmung
im Objecte und in dem Spiel des Witzes, wel-
cher aber den Umbständen nicht angemeßen ist, be-
steht. Es ist beständig eine Eestigkeit die
aber schlecht angebracht ist im Alter. Auch sind
Narren und Thoren unterschieden: Narheit
Nennt man das gereimte welches schädlich %und
lasterhaft ist, von der Thorheit aber kann man
sagen, das alle Menschen damit behaftet sind,
denn man verfält in Thorheit, wenn man
alles daß sagt, was im Gehirn lieget. Der Klu-
ge unterscheidet sich nur dadurch vom Thorn, daß
er eine geschückte «w»Wahl zur Unterredung zu
treffen weis. Die Narheit aber hat noch
da«ß»s ganz besondere an sich, daß sie sich selbst um
ihre Absicht bringt, welches nohtwendig aus
ihrer Natur folgt. Der ungereimte Stoltz
oder die Aufgeblasenheit, die daraus ent-
stehet, reitzt die Spötter an, den «s»Stoltzen zu Deh-
mühtigen, und sich daran zu divertiren. Es
gilt über dieses nicht, von einer jeden Be-
gierde geehret zu werden, ja es wird nicht
einmahl für Narheit gehalten, wenn
man das Mittelmaas der Ehrenbezeu-
gungen, die man zu fordern berechtiget
ist überfordert, %und mehr Ehre begehrt,
wenn man sich solche Begierden nur nicht merken
läßt. Man könte hier leicht die Frage auf-
/ werffen
|P_150
/ob nicht alle Laster der Menschen Narheiten seyn
mögen. Democrit deßen Character aber nicht son-
derlich aus der Geschichte bekandt ist, scheinet den Men-
schen aus diesem GesichtsPunkt betrachtet zu
haben da er die Gläntzendste Perschen, nur für ver-
deckte Thoren hielt, wenn sich überhaupt die
Menschen entschlüßen möchten, ihre Ambition
einzuschrencken, %und die Eitelckeiten bey seite zu
sezzen, hingegen den Genuß, welcher eine weit
nützlichere Begierde ist, als die Ehrsucht sich ange-
legen seyn ließen, so würde das Gesellschaftliche
Vergnügen einen weit höheren Grad errei-
chen. Es ist uns sehr nützlich, daß wir
den Menschen auch von seiner ungereimten
Seite kennen lernen, es ist aber auch beßer, daß
wir das Laster von seiner lächerlichen als Ver-
abscheuungswirdigen Seite Betrachten. Wir
bemerken daß hierinnen Wahrheit sey. Denn
der Mensch verwickelt sich gemeinhin, aus
ungereimten Absichten in Laster, und die-
se Methode das Laster von der Seite
der Narrheit zu betrachten erhält auch
die Laune des jenigen, der die Menschen
Beurtheilet. Er wird angereitzt den Men-
schen zu verabscheuen, und ihn Feindlich zu
/ begegnen
|P_151
/auch wird die Verachtung des Lasters eher ver-
größert als verringert. Eine Schreibart,
von der Art, daß man alles außer der Recht-
schaffenheit für Tändelwerk ansiehet gefält
auch ungemein. Fielding hat hierinnen ein gros-
ses Verdienst. Es scheinet daß der Mensch auf
keine Weise zu etwas ernsthaftes gebracht
werden kann, als durch Ceremonien, da doch
indeßen diese Ceremonien wenn man sie mit
geruhiger Vernun«p»ft betrachtet, höchst
lächerlich sind, sie zeigen aber daß der Mensch
eine Neigung zum «s»Sinnlichen habe. Der Mensch
schenet zum Vergnügen gebohren zu seyn, da-
her das gezwungene Wesen in Gesellschafft,
da sich ein jeder bemiht, eine ernsthafte
Stellung anzu nehmen, und doch heimlich
wünscht, daß der alle Narrheiten ausstoßen
könte, die ihm einfallen, höchst lächerlich «wird»ist.
und man könte von diesen Gesellschaften
eben das sagen, was Cicero von den Heruspices
picibus sagt, daß es ihm wunderte, wie
sie, wenn sie einander auf der Straße be-
gegnen; sich ohne Lachen ansehen könten.
Man sagt daß die Mangalen beständig
lachen, daß also der Mensch zum Ver-
gnügen geschaffen ist, so misfält es,
/ wenn wir
|P_152
/einen mit einem färsten Gesichte einhertreten sehen,
besonders wenn es eine Leidenschaft ist, mit der man
nicht sympathisiren kan, Z.E: wenn einer darüber
Verdrüßlich ist, daß ihm eine Haarlocke ausgefallen,
und er nicht aufs Assemblée gehen kann, dahero man
auch nicht gerne weinen siehet, es sei denn daß die
Traurigkeit durchs «w»Weinen zerstreuet wird,
welches man gemeinhin beym Frauenzimmer be-
merken kan. Alle Menschen haben Thorheiten
und es scheint als wenn das die größeste
wäre, wenn jemand seine Thorheit noch dazu ei-
ner wichtigen Sache machet. Ein jeder Mensch
hat seine Stecken_Pferde, oder Lieblings_Thorheit,
so will jemand gerne ein Dichter seyn %.und
sich unter diesem Nahmen hervorthun. Er legt
deshalb se«y»in Geschäfte nieder, um sein Glück in
der Dichtkunst zugenießen. Nero suchte seine
größeste Glückseetigckeit darin, daß er Sechs
Pferde die neben ein ander gespant waren
auf einmahl lencken konte, überhaupt
war Nero mehr ein Narr als grausam.
Dieses Stecken_Pferd mag ein jeder immerhin
behalten. Sterne sagt es mag ein jeder
auf seinen Stecken_Pferd auf %und nieder
/ reiten.
|P_153
/Wenn er mich nur nicht nöthiget, hinten mit
mit aufzusizen. Weil ein jeder Mensch seine
lose Thorheit besitzt, so ist es nöhtig, daß er
aus denen Thorheiten anderer gedult habe.
Es ist zu weit getrieben, wenn man je-
manden als einen großen Mann vorstellete,
jeder Mensch ist in seinen Verdiensten ein
Zwerg, daher wollen wir den Menschen
niemahls groß, wohl aber gut nenen. Oft
scheinen Lücke eine Größe zu haben, allein
dieses macht nicht die «s»Schätzung der Menschen
aus. Die Moralitaet giebt uns keine
Idee von der Größe des Menschen.
/ ≥ Von der Vorhersehung. ≤
/Die Vorhersehung ist ein besonderes Ver-
mögen der Seele«,». «w»Wir übersehen jederzeit ei-
nen Umkreis der Zeit, nehmlich das Vergan-
gene, Gegenwärtige, und Zukünftige. Wir
verändern bloß unsere Stelle in der Zeit. Ein
jeder Zusammenhang in Gedancken, und Vorträgen,
pp erfordert, daß man prospicire. Ja, alle
unser Vermögen der Sinnen, in der Imagina-
tion sind nur durch die prospection
möglich. Weil das Gegenwärtige
nur ein Punckt ist, so ist das Feld der
Zeit, eigentlich nur die Vergangenheit, %und
die Zukünftigkeit. Das Vergangene
/ hat
|P_154
/hat nur in so ferne einen Nutzen, als es den Saa-
men zum kün«p»ftigen enthält, Z.E: wenn die
Gelehrten %und Bauren eine Feuer Kugel sehen,
so werden die Erstern fragen was mag doch die
U«h»rsache davon seyn? Diese legen: was mag das
bedeuten? Jene sehen auf das «v»Vergangene, diese
auf das Zukünftige. Die Voraussicht ist nur
möglich in so ferne wir einen gewißen Umfang
der zeit über sehen; wir sehen jederzeit mehr in
das Künftige hinaus, als auf das Gegenwärtige
zurück, wenigstens sehen wir doch in den unend-
lichen Raum der Zeit. Es ist die Zukunft auch
für uns auch weit wichtiger. als das «v»Vergangene
und unsere Erkentniß ist denn practisch, wenn
sie einen Einfluß auf das zukun«p»ftige hat,
«w»Wir sind auch von kün«p»ftigen einer prae-
sension fähig: durch die Voraussicht in die
Zukun«p»ft wird der Mensch einen Unterschied
in der Ordnung in Absicht auf seine Glückse
ligckeit zu machen. So sagen die Türcken
um sich zur Mäßigckeit aufzumuntern,
es wären für jeden Menschen im Himmel
schon gewiße Nahrungs Mittel abgemeßen
und wenn diese verzehrt wären so müßen sie
sterben. Wer also wenig ißet; der
zehrt lange an seiner Portion und lebt auf
/ die art lange.
|P_155
/Es ist aber doch zu verwundern, daß der vor-
ausgesehene Tod, dem Menschen nicht furcht-
bar ist. Es gehet dem Menschen im Leben
so, wie demjenigen, der in einer langen Allée @Zeichen@
spatziren gehet; in einer großen Entfernung
scheint die Allée sich zuzuspitzen, und das Ende
da zu seyn: wenn man aber dahin kommt so
sieht man wieder, in einer weiteren Ent-
fernung das scheinbare Ende. «m»Man stelt sich bey
dem 3ten %und 4ten mahle wieder so vor, als wenn
es nur so scheine, daß das Ende da wäre,
aber man kommt ehe man es vermuhtet hat
zur Alleé heraus. So hintergehet uns oft
unsere praevision selbst, es scheinet aber
daß solches die Vorsicht mit Vorsatz in unsere
Seele gelegt habe, damit ein jeder seinen Kreis
«¿»vohlende: allein gemeinhin sezt man die Er-
füllung seiner Pflichten weiter hinaus,
weil man sein Lebens_Ende gleichsam durch
ein Optisches Glaß sieht. Obgleich die Ver-
nunft einem Mann sagt, daß Er ohnmög-
lich mehr lange leben könne. Oft
sieht der Mensch die gegenwärtige Zeit,
nur als einen Zusammenhang mit dem
künftigen Wohlbefinden an, und als denn wird
ihm diese Überlegung zu lange, und die ge-
genwärtige Zeit wird ihm lästig, wenn aber
Jemand in der gegenwärtigen Zeit glücklich
/ ist
|P_156
/ist, so scheinet ihm die Zeit sehr kurz. Daher
S«c»akespair die Zeit mit einem Pfeile vergleicht. %und
sagt, sie gallopert mit einem Diebe der an einem
Galgen geführt wird, und gehet im Paß, mit einem
Bräutigam. Weil man die gegenwärtige Zeit
nur für einen Übergang hält; so verträumt man
gleichsam dieselbe und se«y»in Leben. Man empfindet
sehr wenig davon, weil die praevision unwülkühr-
lich ist, und man nur immer auf das Künftige
denket, es ist also nöhtig daß man das Vermögen
der Seele ins Künftige hinaus zu sezzen durch
die Vernunft moderire und dirigire.
/ ≥ Von der Praesagition. ≤
/Es ist gewöhnlich, daß die Menschen gerne
ihre künftige Schicksaale wißen wollen, weil
in der That nichts wichtiger ist, als dieses, da nun
die Astronomie die einzige Wißenschaft ist,
vermöge welcher man Phaenomena, einige 100 Jahr
voraus wißen kan, so hat man geglaubt im
Gestierne seine künftigen Schicksale lesen
zu können. Dahero das nativitaet stellen
aufgekommen. In der That aber würde uns die
Praevision unsers Glückes mehr schaden, als nü-
tzen. Ein einziges bevorstehendes «ü»Uebel, wür-
de den Menschen einige Jahre vorher bestürzt
machen, %und der Lauf der Welt würde gan«t»z an-
ders gehen, als er solte. Aus eben der Nei-
gung, das Kün«p»ftige vorher wißen zu
/ wollen
/~Rand_156_Z_7
/{2- carpe diem -2} ~
|P_157
/entspringt auch das Vergnügen, die Veränderung
des Wetters vorher sagen zu können. Einige wollen
solches aus einen alten Schaden, einige aus
Wetter Gläser, und noch einige aus dem Monde Pro-
p«f»hezeyen; allein alles zeigt nicht mehr, als
das gegenwärtige Wetter an, und wenn ein
Mensch mit Gewißheit die Veränderung des
Wetters vorher sagen könte so würde die-
ses zu vielen Unordnungen Anlaß geben,
weil sie nicht wißen, was sie bey einer je-
den Witterung vornehmen sollten. Dieses
sehnliche Verlangen, zu praesagiren, macht den
Menschen schon leichtgläubig. Hiraus ent-
springt die Neigung zur Wahrsagung die Vor-
bedeutung der Träume und die Achtsamkeit
auf die Stimme der Thiere. Der Mensch über-
läst sich dieser ungezähmten Begierde, nicht aus
«m»Mangel der «v»Vernunft, sondern aus gar zu
großen Affect. Wir wollen etwas die
Brodlose Kunst der Traumdeutung untersu-
chen. Es ist nicht möglich das Träume etwas
vorbedeuten können, es sey denn, daß die «Uh»Ur-
sache vom Künftigen, schon in einem gegenwär-
tigen Cörper zustande liegt Z.E. Krankheit.
Man pflegt zu sagen, wenn MannsPerschonen,
von Kurren %und Frauenzimmer von SteckNadeln
träumt; so bedeutet es ihnen Zank %und Streit: Wenn
es eintrift so ist die Ursache hievon nichts
anders, als daß im Schlaf in dem Cörper des Menschen
eine Galligte disposition vorgegangen, %und da der
/ Mensch
|P_158
/schon verdrüßlich aufstehet, so ist kein Wunder wenn
er händel Bekommt. Wenn aber die Träume nicht ihre
U«h»rsache in sich selbst haben; so bedeuten sie auch nichts,
Perschonen, die viel träumen, zeigen dadurch, daß sie
auch im Wachen, zum Träumen auferlegt sind. Das
Weibliche Geschlecht Träumet mehr, als das Männ-
liche. Die Ordnung die man im Träumen be-
merckt hat, veru«h»rsachte daß man glaubte die
Sinne schwärmen zur Zeit des Schlaffes in der
Geister Welt herum. Der Weise Mann hat
facultatem divinatoriam, weil er die Uhrsachen
der Gegenwärtigen Dinge und ihre Verbindung
mit dem Künftigen über sehen kan. Wenn
alle «F»Vorhersehungen, für wahr angenommen wer-
den solten, so würde das die Regel der Ver-
nunft allgemein stöhren. Vernünftige Leute
können nichts wahr sagen, aber unwißen-
de Weiber können es. Man sagt daß unter
dem König Carl_den_IIten in Frankreich sich
ein Wahrsager gefunden, den der König vor
sich kommen laßen; der König hätte den
Wahrsager gefraget, wie lange er noch leben
würde? Weil nun der Wahrsager wu-
ste, daß der König ein grausamer
Herr war, und er ihn hätte auf der Stelle
können umbringen laßen, so soll er geantwor-
tet haben den Tag seines Todes wuste er
nicht gewis, aber das wüste er, das er 8
/ Tage
|P_159
/vor dem König sterben werde. Weil die-
ses nun der König glaubte, so ließ er
ihn leben.
/ ≥ Von den Zeichen, deren sich der Mensch Bedient ≤
/Es sind gewiße Zeichen, die bloß Mittel sind
Vorstellungen herbeyzulocken, %und andere die
den Begrif der Sache ersetzen. Zeichen von
der ersten Art sind «w»Wörter, durch deren
Gebrauch unsere Einbildungs_Kraft, rege
ge«¿¿»egt wird. Zeichen aber, die die Begriffe
der Sache ersetzen, finden wir bey dem Poeten,
%und daß sind die Bilder, deren sie sich bedienen,
als das Bild des Neides. So kann die Hei-
terckeit der Luft als ein Zeichen angesehen
werden, welches den Begrif von der Seelen-
ruhe eines Wesens ersezt. Bilder %und
«w»Wörter sind also sehr unterschieden. Denn die
Wörter müßen nach Verschiedenheit der Spra-
che, um eben den selben Begrif herbey zu
loken, verändert werden, dagegen ein Bild
bey allen %und jeden Nationen die Stelle ei-
nes und eben deßelben Begriffes ver-
treten kan. Ein solches Zeichen nun, welches
die Vorstellungen einer Sache vertritt,
nennt man ein Symbolum welches sich von
den Caracteren unterscheidet«,». Zur Beglei-
tung des Begriffes brauchen wir Wörter:
/ je mehr nun der
|P_160
/Begriff in den Sinnen liegt; desto weniger Braucht
man Wörter jemehr abstracter aber die Begrif-
fe sind, desto mehr Wörter braucht man. Die
Menschen haben eine sehr große Neigung zu
den Bildern, daß den Kindern auch nur durch
Bilder können Begriffe Beygebracht werden.
So ist das Genie aller Orientalischen Völcker,
sie sind vorzüglich Bilderreich, und das ist ein
Beweis vom Mangel der Einsicht, bey Symbo-
les setzt man an die Stelle der Sache andere
ähnliche Sinnbilder, daß aber die Bilder eine
sehr große Macht haben siehet man daraus, weil
die Menschen alles mit Symboles begleiten.
So sind die Titel Symbola des Ranges, die Kleider
Symbola des Reichthums pp ja in unseren reli-
gions_Gebräuchen herrschen so viele Symbola«,». Das
Traurigste hiebey ist wohl dieses, daß die Men-
schen sich dahin bringen können bloß an die Symbo-
la kleben zu @Bleiben@, %und die Sache selbst da-
rüber zu vergeßen. Man sieht nur auf den
Titel ohne zu bedencken, wie man sich dieses
oder jenes Ranges durch Verdienste würdig
machen könte so sind alle Symbola und Feyer-
lichkeiten, Vorstellungen einer geheimen Bedeu-
tung Z.E die Träume. @Man@ sieht hiraus daß
nur durch den Schleier der Symbol durchzudringen
große Vernunft gehöre, je mehr die Symbola
die Sinne einnehmen. Diese Symbola
/ bringen
|P_161
/ferner dem Menschen eine Menge Irthümer
bey Z.E: man stelt sich Gott als einen Für-
sten und die Menschen als seine Unterthanen
vor, Dieses Symbolum ist gut, allein der
gemeine Mann vergießet, daß der Fürst
die Unterthanen und diese jenen nöthig
haben, und daß der Fürst nicht in das Hertz
der Unterthanen sehen kann, Daher gewöhnt
sich der Mensch nur außer<lich>«ordent»lich Gott
zu dienen, ob er gleich im Hertzen gantz
anders dencket«,». «m»Man muß sich also hüten,
daß man das Sinnbild nicht für eine
Ähnlichkeit zu der Erkenntniß hält. Ein
Prediger kann also Symbolisch schön pre-
digen, obgleich die Predigt nicht die
wahre «s»Schönheit hat. D.H. wenn sie nicht
die Entschließung zu einer wahren «v»Ver-
beßerung hervor bringt. Zahlen sind Sym-
lische Vorstellungen, der Größe: wenn sie
aber Intuitiv werden sollen, so müßen sie
auf eine Sache angewandt werden. Da
man denen Grönländern die Menge der
Menschen zu London faßlich machen wolte;
so sagte man ihnen nicht die Zahl, sondern
daß ihrer so viel wären daß sie einen Wall-
fiesch zum Frühstük verzehren könten. Hasel-
quist in seiner «r»Reise nach Aegypten sahe
/ daß
|P_162
/er einen gantz Speciellen Begrif von
den Pyramiden gehabt hätte, ehe er nach Egipten
gereiset: allein bey dem Anblick derselben
vergaß er, daß er jemahls, darvon gewust
hätte. Zuweilen dienet ein Symbolum nur
Dazu um einen andern Begrif uns deut-
lich zu machen. Professor Hejde zu Camfriedge
berechnete die feinen Theilchen der Asta foe-
tida die aus einem Loht in die Luft steigen, ob
nun gleich die Zahl die heraus komt sehr groß
ist, so sieht man doch die Zahl gelaßen an,
um aber Bewunderung zu erregen, hat
er eine andere Berechnung erwählt,
nähmlich er Berechnete die Sand_Körner,
die auf dem Berg Pico Befindlich, der
eine Meile hoch ist, und 5 Meilen im Um-
fange hat, hierauf sagte er daß in einem
Loht Asta foetida so viel kleine Theilchen
wären, als in @5@ Bergen; die so groß als
Pico sind Sand Körner wären; Dieses sezt
in Erstaunen. Zuweilen können Men-
schen von Sachen so sprechen, daß jemand sie
völlig versteht, aber die Sache selbst nicht
versteht, so können Menschen doch zu wei-
len Empfindungs voll sprechen ob sie gleich
keine Empfindung haben«,». Da Menschen
/ von Tugenden
|P_163
/viel rühmen hören, so sind die Worte mit Ähn-
lichen Regungen verbunden, ob sie gleich die
Tugend selbst nicht hoch halten. Viele fragen
mehr darnach was die Leute von einer Sache
sagen, als nach dem Wehrt der Sache selbst,
daher kummts daß sie par Sympathie in ge-
wißen Worten Achtung und Verachtung
gegen eine Sache äußern«,». Daher muß man
vom Frauenzimmer nicht verlangen, was
über ihre Kräfte gehet, Z.E keine zu
große Freygebigkeit, denn da sie nicht ge-
schaffen sind um ein Vermögen zusammen zu
bringen; so sollen sie auch keines dissipi-
ren, Bloße Wörter, können bey einem
Menschen mit Empfindung verbunden seyn
Z.E: bey einem Englischen Schriftsteller
wenn man den lieset, das Vulcan dem
Jupiter die Pfeile schmiedet, und darunter
Blitz, Donner, Hagel, dicke Finsterniß
mischt, so rühren hier die bloßen Worte.
Wenn man jemanden auf der «s»Stelle rühren
will, so ist es gut sich rührender Worte zu-
bedienen, Bey Predigten aber kömmt es
auf die Sache selbsten, die vorgetragen
wird an. Klopstock ist bei weitem
nicht ein Dichter, im eigentlichen Ver-
/ stande,
|P_164
/denn er rührt par Sympathie, weil er gerührt
redet, man lese ihn aber mit kalten Blute,
so verlieren seine Schriften viel. Er bedienet
sich öfters einer gantz u«h»ngewöhnlichen Sprache,
er redet abgebrochen, und zeigt, wie ge-
rührt er ist. Wenn man daher etwas lieset,
so muß man sehen, ob einem die Sprache
selbst, oder das Bild, oder Bloß die Worte, rühren.
/ ≥ Vom Witz %und von der Urtheilungs Kraft. ≤
/Unser Autor hat den Witz der Urtheilungs_Kraft ent-
gegen gesezet, und erklährtt jene, durch ein
Vermögen, das ähnliche, diesen aber durch ein
Vermögen den Unterscheid der Sache zu Erkennen.
Es ist aber beßer daß man dem Witz, die
Urtheilungs_Kraft entgegen sezt.. Zu erfin-
den wird Witz, zu Behandlung und zu trac-
tiren, aber einer erfundenen Sache, Urthei@ls@
kraft erfordert. Und zur Urtheils_Kraft ge-
höret auch das Vermögen der Zusammenstimmung
der Verhältniße ein zu sehen. Der Witz
Urtheilt nicht, sondern schaft nur die Mate-
rialien herbey, worüber hernach geurtheilt
wird. Der Witz ist das Ver-
mögen zu vergleichen,
/Lage 11
|P_165
/Die Urtheils_Kraft, das Vermögen zu verknü-
pfen oder zu trennen. Witzige Leute können
bald Aehnlichkeiten finden, ähnliche Dinge aber
sind noch nicht verknüpft. Die Ideen der
Sache können in unsern Kopf wohl verknüpft
seyn, obgleich die Sachen selbst himmelweit unterschie-
den sind. Scharfsinnigkeit ist das Genus, von allem
Vermögen, und Bestimmt gleichsam nur den
Grad des Vermögens, durch welches wir auch
die geringste Kleinheit leicht bemerken.
Es kann also so wohl beym Witz, als bey der
Urtheils_Kraft, Acumen oder Scharfsin-
nigkeit seyn. Ein Advocat muß einen scharf-
sinnigen Witz haben, wenn er zum E: eine
gantz ungerechte Sache vertheidigen will so
muß er alle Geseze hervorsuchen, welche
dieser Sache auf eine scheinbahre Weise patro-
niciren. Hingegen muß der Richter eine scharf-
sinnige Urtheils_Kraft haben, wenn er die-
se gekünstelte Vertheidigung des Advocaten
wiederlegen und der gerechten Sache mit sei-
nem Urtheil bey treten will. Ein
Mensch ohne Witz ist ein stumpfer Kopff,
ein Mensch ohne Beurtheilungs_Kraft ist ein
Dumm_Kopff. Ein dummer Mensch kann
sich gar kein Concept von einem Dinge
machen, weil man nur dadurch, daß
/ man nur daß
|P_166
/was viele Dinge ähnliches unter sich haben, Abstra-
hirt einen Begrif Bekant. Viele die nur Stumpfe
Köpffe «haben» sind, werden vor dum_Köpffe ge-
halten solches sehen wir an dem Beyspiel des Clavius
der ein Jesuiter_Schüler war, war in der Schule
auf der Obersten Claße gekommen, als er nun
Gedichte und Chrie selbst ausarbeiten solte,
so konte er auch nicht einmahl einen Vers
machen, er mochte auch alle Geistes_Kräfte die
er nur hatte, anstrengen. Die Jesuiter die
wie alle Lehrer die Ausarbeitung einer Chrie
für die höchste Staffel der Geschücklichkeit halten,
die ein Schüler erreichen könte, hielten
den Clavius für einen Dum_Kopff, %und gaben
ihn zum Grobschmied«t», Clavius der seine Seelen
Kräfte fühlete, ging vom Grobschmied«t» weg
legte sich auf die Mathematik, %und wurde
der größeste Mathematiker seiner zeit, Er
war also ein «S»stumpffer Kopff %und nicht ein
Dumm_Kopff. Indeßen ist der Witz der Lieb-
ling unseres Gemühtes, %und ein Poet, sezt
sich lieber der Gefahr aus, gehangen zu werden,
als daß er einen witzigen Gedancken ersticken solte,
er hält es gleichsam für einen Kinder_Mord.
Einen spielenden Witz nennt man, in so ferne
er sich nicht mit den würklichen Verhält-
nißen der Dinge beschäftiget, der nur vergleicht
/ aber
/~Rand_166_Z_4
/Clavius ~
|P_167
/aber nicht dazu dienet, um die Verknüpfung
einzusehen Er unterscheidet sich vom wahren Witz
dadurch, daß er die zufällige Ähnlichkeiten
für beständig annimmt. so kann man mit
den Worten spielen Z.E: auf dem Pallast des
Lücke in Engelland, warum die Thaten
der Marlboroughs abgeschildert waren, stand
ein Hahn, und das Lateinische Wort Gallier,
welches den Franzosen andeuten solte. Ein spie-
lender Witz kann ein schaaller Witz werden,
wenn er nur auf wilkührliche Benennun-
gen, und zufällige«r» Kleinigkeiten gerichtet
ist. So schreibt Koeslar, daß man das Wort
Sat durch einen Teutschen der nach Franckreich
reiset %und Falbe \ <fou> durch einen Teutschen der
aus Frankreich zurük kommt, übersezt, weil er
eben das in Teutschland hätte lernen können,
was er in Franckreich zu lernen, gesonnen war,
und weil er aus Franckreich mit lächerlichen
Dingen angefüllt zurück kommt. Der Mensch
wird nicht verdrüßlich, wenn jemand aus
der Gesellschaft, ihm keine Beschäftigung
giebt, aber er ärgert sich, wenn jemand ihn
mit lächerlichen «s»Schrollen, unterhält. Ob-
gleich ein Mensch ohne Bemühung nicht
glücklich seyn kann so ist er in einem solchen
Zustande doch glücklicher, wenn er sich selbst
überlaßen wird, als wenn er sich mit
/ leeren
|P_168
/leeren Sachen beschäftigen soll. Wenn mir
jemand rahten wolte eine Glocke ohne Klöppel
zu lauten, der Motion wegen, will ich dadurch
meinen Entzwek erreichen, und mit meiner
Motion auch nicht die Stadt beunruhigen würd@e@
oder daß ich auf einem Steken_Pferd reiten
sollte, wird mich diese leere Beschäftigung
nicht unglücklich oder verdrißlich machen. Man
bemerkt an den Schiefs_Leuten, wenn sie auf
dem Lande spaziren gehen, sie nur immer eine
Schifslänge vorwäts gehen, %und denn wieder
umkehren, dieses kommt aus der Gewohnheit,
allein wenn wir spaziren gehen, so machen
wir eine weite tour und als den wieder
zurük da wir doch die selbe motion haben
wenn wir nur eine kurze «s»Strecke einigemahl
auf %und nieder gingen. Das Leere aber hin-
dert uns solches zu thun. Gleich angenehm
ist es uns wenn wir uns vorgesezt nach
einem «s»Spaziergange an einem Bestimmten Ort
auszuruhen, weil wir nicht gerne ohne End-
zweck handlen mögen. Noch ein Beyspiel von
einem Wortspiel, welches lachen anfangs er-
wekt aber doch schaal ist, ist folgendes. Als
jemand der bey einem Präsidenten zur Tafel
/ war, und
|P_169
/und der Bediente ihm einen Suppen_Teller, über
reichen wolte und ihn begoß, sagte: Summam
in Summa injuria. Es ist lächerlich daß er
dieses Praecandicon der Juristen auf eine
S@u\e@ppen applicirte. Witz %und Urtheils_Kraft, ge-
fallen; allein der Witz vergnügt auch, Man
achtet den der viel Urtheils_Kraft hat, %und liebet
den, der viel Witz besitzt. Der Witz bringt
alle Gemühts_Kräfte in Bewegung, die Ur-
theils_Kraft bringt sie zu sammen, %und hält sie in
Ordnung, durch den Witz wird uns allen
vorgelegt, %und die Urtheilskraft ordinirt,
der Witz erfordert die Leichtigkeit, denn darin
besteht seine Empfehlung. Wenn jemand
aber zu reden anfängt, und jederman in
die Erwartung eines schönen Einfals ver-
sezt, hernach aber was erzwungenes oder
leeres hervorkommt, so mag er selbst wie
es oft geschiehet noch so sehr zu seinen Ein-
fall lachen, er erzwingt von der Gesellschaft
nichts als ein wohlanständiges Grüseln oder
eine erzwungene lächerliche Miene, weil er
doch haben will, daß man darüber lachen
soll, %und es die höflichckeit erfordert
in seinem Gelächter mit einzustimmen.
Wenn sich jemandes Uhrtheil «s»Schwürigkeiten
/ entgegen
|P_170
/sezzen %und er sie glücklich überwindet, so schätzt
man einen solchen Mann hoch. z.E Neuton das
Gesellige Leben, erfordert mehr Witz als Nach-
dencken, der Witz erzeiget Einfälle bons mots.
Die UhrtheilKraft bringt Einsicht hervor.
Die Franzosen haben mehr Einfälle als Ein-
sichten dahero ihre Philosophische und
andere Ernsthafte Schriften, voll von Ein-
fälle sind. Terrassons Schriften mögen hier-
von zur Probe Dienen. «B¿¿»Rabelais Werk beste-
het aus lauter Einfällen. Montesquier
zeigt auch mehr Einfälle als Einsichten; Die
Engelländer haben viele Einsichten und
ob es gleich bis weilen scheinet, daß
etwas Einfall sey, so ist es doch zu sehen daß
es praemiditirt ist. Die F«ein»reyheit %und Nai-
v«i»etaet des Witzes sind wohl zu unter scheiden.
Ein feiner Witz ist jederzeit scharfsinnig, der naive
belustiget aber mehr, als der feine. Es giebt
aber eine grobe %und feine Naivetaet von welcher
sich zu überzeugen man nur dem Don quixo-
te lesen darf, als er den Sancho Pansa frug,
was denn ein irrender Ritter wäre; antworte-
te er, ein irrender Ritter ist der keinen Tag
für eine Lücke und keine Nacht für Schläge
sicher ist. Der Witz ist veränderlich, und
Neuigkeiten begierig und wird ungeduldig wenn
ihm etwas lange aufhällt. Er
/ sucht
|P_171
/Er sucht so viele Dinge zu vergleichen als es
nur möglich ist. Witzige Leute sind gemeinhin
sehr veränderlich, dieses findet sowohl bey gan-
tzen Völkern als bey einzelnen Perschonen
Statt. Es giebet einen gewi?en Dau-
erhaften Witz, so sagt ein Engelländer von
des Porcers Schriften, Ihr Witz gleicht ei-
nem Stück Gold welches unter dem Ham-
mer eines Franzosen sehr weit ausge-
breitet werden kan. Hudibras zeiget
den größesten Witz wie wohl er ihn nur
auf pobelhafte Dinge angewandt, so das Hume,
Voltaire und andere, es für das witzigste
in der gantzen Welt hielten. Als Calicho
dem Hudibras rieht er solte doch einer Witt-
we den Besuch geben, da er ihr ihn verspro-
chen hat, so antwortete ihm Hudibras,
das Gewißen gleicht einem Collegi@s\o@ wo
viele Sachen abgemacht werden, gleich wie
die Collegia ihre Ferien haben, so hat auch
jetzt mein Gewißen seine Ferien, ich kann
also deinen Antrag jetzo nicht annehmen.
Ein solcher Einfall gefällt bey deßen ersten
anbringen man ernsthaft aussieht, deßen
Schwierigkeiten, wir aber bald überwin-
den, %und der also im Nachschmack gefält. Der
Witz hat einen Einfluß aufs Lachen. Es
können zwar auch Menschen ohne Witz
lachen erweken aber solches geschiehet
/ auf
|P_172
/ihre Kosten. Es giebet aber eine Geschicklich-
keit das Lachen durch Einfälle zu erregen.
Der Witz ist zuweilen ernsthaft, Z.E: der
Witz der Ausleger, die alle Ähnlichkeit hervor-
suhen um ihre Sache zu rechtfertigen, der
Ernsthafte Witz zeigt ferner bey Erfindun-
gen, denn alle Hypothesen giebt der Witz an
die Hand. Die Gattungen des Witzes, die das
Lachen erregen sind.
/1.) Der Witz der Laune enthält. Man nennt die-
ses auch Drolligte Einfälle. Hudibras ist wohl
davon so wie die Schriften der Engelländer Meh
rentheils sind, den Franzosen fehlt dieses,
hieher gehöret auch der Tristram Schandy. Bey
dieser Art des Witzes scheinet man gar nicht
die Absicht zu haben, das Lachen zu erregen.
Unsere reden von Glück %und Unglük, drücken gemein
hin unsere Gemühts Art aus, mit der wir
die Verhältniße der Dinge auf uns annehmen,
und nennt man daß eine Mysantropische Laune
wenn man alle Menschen für heuchler hält, %und
deßhalb alles mit verdruß ansiehet, hinge-
gen aber, alles für ein Spiel halten, die
Handlungen der Menschen von der Lustigckeit ab
zu halten, %und die Fähigckeit besietzen die Welt
gleichsam zu verschönnern, eine solche Gemühts
Art nent man die Laune überhaupt. Mann
stelt sich die Sache dem Specieller Gemühts
/ Caracter
|P_173
/gemäß vor, wenn ein jeder sich eine solche Laune
anschaffen könte, daß er alles in der Welt für
ein Spiel ansähe, so würde das größeste Glück für
ihn seyn, Vorausgesezet, daß ihn dieses nicht hin-
dern muste, seinen Pflichten ein gnüge zu thun.
Die Menschen mögen gerne über alles Lachen,
die wohlbeleibeten feinsten Leute sind ge-
meiniglich am geneigtesten dazu. Daher
man auf dem Theater, wenn man einen reht
lustigen Kerl machen will, Die Rolle gemein-
hin einem reht Drolligten Kerl aufträgt.
Den wenn es ein hagerer langer Mensch wäre
so würde ihm das Lachen nicht so Natürlich seyn.
Je mehr anlage ein Mensch zum feisten Körper
hat, je mehr bemühter sich bey der Tafel alles
zum Lachen zu reitzen. Es ist nicht so leicht alle
selbst vernün«p»ftige Leute zum Lachen zu rei-
tzen, alles was das lachen erregen soll, muß
unerwartet seyn, %und es muß sich gleichsam
darauf ein Contrast zeigen. In Frankreich
war dem Bau Commissariad aufgetragen,
eine Brücke zu bauen. Als nun die Leute
eines Tages zum Eßen giengen %und einen Gasco-
nier sahen der immer hinumher gieng %und die Brü-
cke gantz bedencklich betrachtete, so sagten sie
unter einander, dieser Gasconier muß auch ein
Bau verständiger seyn wir wollen ihn zum
Eßen bitten %und ihn um seine Meinung fra-
gen, der Vorschlag wurde genehmiget, der
/ Gasconier
|P_174
/sezte sich an den Tisch, und indem die andern rede-
ten, so war er beschäftiget seinen Hunger zu
stillen, sie warteten bis er abgegeßen hatte,
und nun frug ihn einer, was er von dem Brü-
ckenbau, den sie eben unter Händen hätten
meinete, sie hätten wohl geglaubt, daß er ein
Kunstverständiger wäre. Ja fing der Gasconir
mit einer Ernsthaften Mine an, ich sahe
wohl daß ihr eure Sachen recht gut gemacht,
besonders daß ihr die Brücke quer über die
Fluß geleget; denn hättet ihr sie auf den Fluß
in die Länge legen wollen, so würdet ihr das
werck nicht so geschwinde geendiget haben.
Hier brach ein jeder in ein Lachen aus, weil
sie sich viel versprochen hatten, %und jezt das
gegentheil gewahr wurden. Es wird das Ge-
müht bey solchen bons mots, in gewißer Art,
in Direction gebracht, und auf einmahl
gleich einem Balle zurückgeschlagen, dieses
veruhrsacht eine solche Erschütterung, in dem
Körper, welches das Lachen genandt wird,
woher aber das Lachen dem Menschen so ange-
nehm sey, d«¿¿»a es doch nicht für den Verstand
ist, da allezeit Ungereimtheiten Uhrsachen
desselben sind, solches bedarf eine nähere Un-
tersuchung. Wir wollen Das Lachen erst von
der Seite des Gemühts betrachten. Es ist einmahl aus-
gemacht das bey allem was lächerlich ist ein wiederspruch
seyn müße zuweilen aber lachen wir auch
/ ohne
/~Rand_174_Z_27
/{2- Lachen -2} ~
|P_175
/denselben. Das Auslachen ist vom sträflichen
Lachen ganz unterschieden. Denn der jenige
der immer lacht ist bößartig, ein gutherziger
würde wenn jemand ausgelacht wird nicht mit
lachen; obgleich er sonsten gerne lacht, sondern
er thut es nur als denn, wenn alle mit lachen
können, das Auslachen ist immer affectiret
denn ob man gleich dabey aus vollen Halse
lacht, so empfindet man doch etwas, was
dieses lachen misbilligt. Einige Menschen
können sehr darüber lachen, wenn sie einem
fallen sehen, andere hingegen finden nicht
den geringsten «r»Reitz zum Lachen, denn sie sezzen
sich in die Stelle desjenigen der gefallen ist
und denken wie ihnen als denn zu Muhte seyn
würde. Das fröliche Lachen muß jederzeit un-
schuldig seyn, es giebt aber auch ein Lachen, wel-
ches aus einer gewißen Verkehrtheit ent-
springt, und zum Nachtheil des andern gerei-
chet, man lacht z.E: wenn jemand in allen
seinen thun Pracht verrahten will, und es
geschiehet, daß er wieder «w»Willen seine Arm-
seeligkeit verräht. Man lacht in diesem Fall
darüber daß der hochmüthige gede«h»müthiget ist;
allein obgleich hierin dem ganzzen Menschlichen
Geschlecht satisfaction geschiehet, so ist das
Lachen doch etwas boshaftes. So lacht man auch
/ wenn jemand
|P_176
/eine Pfantastische Rede hat halten wollen %und
steken bleibt. Dieses Lachen ist erlaubt, denn
warum übernimmt er eine Rede zu «??»halten
wenn Er nicht reden kann; wenn aber ein guter
Candidat zum ersten «m»Mahle Predigt %und stecken
bleibt, so wird uns zugleich dabey kalt, weil
der Candidat leydet, und wir uns leicht vor-
stellen können, was in ihm vorgehet«,». Das La-
chen ist eine Art von Bandenlosigkeit und
diese ist erlaubt, wofern ihr nur kein Mora-
lisches Gesetz «¿¿» entgegen stehet«,». «w»Wenn wir <auf> die
Materie des Lachens sehen, so entspringt es
jederzeit, aus einem sich plötzlich zeigenden
Gegentheil. Als ein Gasconier ein Bild sahe,
worauf der König gemahlt war dem der Ge-
nius dem Könige den Lorbeer Krantz aufsezt
oder abnimmt Eine Braut bey den Hottentoten
dencket ihrem Bräutigam sehr liebens würdig
vorzu kommen, wenn sie sich mit Schaafsfett
beschmieret %und 6 schwartze Striche auf ihr Gesichte
alle Liebes pfeile zu tragen, mit denen sie das
Hertz, des Liebhabers, verwunden könte. Eine
jede plötzliche Ungereimtheit erwe«g»ket ein La-
chen Es scheint auch, daß das Lachen bey ei-
nem, ein Andenken zurücke läßet, denn
wenn wir alle die prächtigen Speisen die
wir in einer Gesellschaft gehabt lange
/ vergeßen haben,
|P_177
/so erinnern wir uns doch noch dieser oder je-
ner Erzehlung, darüber wir so hertzlich gelacht
haben, und wir sind unzufrieden, wenn der
andere dem wir den Spaas erzehlen nicht mit
lachen will. Sich aber darüber freuen, daß
man nicht so Dum ist wie andere Menschen;
das ist ein Boshaftes Lachen; denn man müste
auf der Straße bestandig lachen. Als Heinrich_der_II:
im Louvre einen Edelman vom Lande sa-
he, der so groß that, so frug er ihn: was
er bedeute? Er antwortete ich diene keinem
sondern ich bin mein eigner Herr! Hernach er-
wiederte der König: das bedaure ich sehr daß
ihr einen solchen Pflegel zum Herrn habt;
hier bringt der Contrast daß ihn der König
anfänglich zu bedauren scheint und ihm dar-
auf eine entsezliche Replique sagt das
Lachen zuwege. Als ein Indianer in der
Englischen Factorey zu gaste war, und
sahe daß als man eine bouteille Cham-
panger öfnete der Wein an die Decke
herauf fuhr, wunderte er sich darüber,
bis ihm endlich ein Engeländer frug wo-
rüber er erstaunte, da doch dieses nichts
besonders wäre, nun schamte sich der In-
dianer, daß er sich so bloß gegeben %und sagte;
ich wundere mich nicht daß es heraus-
/ läuft
|P_178
/sondern wie ihr dieses in eine bouteillie
habt bringen können. Je mehr das Gemüht
ernsthaft zu seyn scheinet, %und zurük geschlagen
wird, desto Lücke ist das schwanken des Ge-
mühtes, der wahre grund von der Frölichkeit
beym Lachen ist mechanisch, michanisch
wird das Lachen beym Menschen mabirt durch
kützeln, dieses erweckt ein um willkühr-
liches Lachen, daher man sich im Lachen gegen
den, den man kützelt nicht Feindseelig betrach-
ten kan, diese Reitze sind zukungen, der
Fasern, deren Erschütterung, sich bis zum zwek-
fell welches ein theil vom Viscus ist propa-
giren. Daher ein Mensch wenn er weiß, das
er gezwickt; werden soll, alle Fasern schon
schon im Voraus zusammen ziehet, %und spannt,
berührt man diese gespannte Fasern, so ge-
ben sie ein gespantes Schreken. Das schwan-
cken des Zwerckfells bringt eine Bewegung
in der Lunge hervor, %und die Lunge die als denn
die Luft geschwinder als sonst aufzieht %und ausstößt
bringt alle Blutgefäße in Bewegung, und die-
se große innere Bewegung ist das Lachen. Die
Transpiration wird nach dem Lachen vergrös-
sert, und der Mensch findet sich gantz remorirt,
dagegen das unmäßige Lachen, die Nerven schwach
macht, daher einige die stark gelacht haben
/ gantz
|P_179
/ganz träumerisch seyn. Wenn die medici
das wüsten, daß die innnere Bewegung weit beßer
sey als die äußere, so würden sie sich beim Paten-
ten genau darnach erkündigen, wer ihm viel ver-
gnügen verursacht, auch wenn sie ihm anrahten
zu fahren zu gehen, zu reiten, %und ihm zugleich einem
solchen Vorschlagen der mit ihm in Gesellschaft ge-
hen könnte alle Handlungen des Gemühts haben
eine Harmonische Bewegung im Cörper. Die
Gedanken berühren Fasern und veruhrsachen die
Handlungen. Daher auch der plötzliche Absprung
der Gedanken eine zittrende Bewegung in
Zwerckfel machte. Als Heinrich_IIte die Magis-
trats_Perschonen eines kleinen Ortes ent-
gegen kamen %und einen Esell mit hatten, so
hielt einer von ihnen die rede an den König
während der rede aber fing der Esell gräslich
an zu schreien, worauf der König sagte:
Ihr Herrn Magistrats_Perschonen redet doch
nicht alle untereinander, damit ich die Rede
des einen verstehen kann. Die Hei«h»lkraft
des Lachens macht vergnügt, und nicht, die un-
gereimtheit daher der jenige, der andre zum
Lachen bewegen will, sich anfänglich gar
nichts merken laßen muß, %und die Contrast
so viel als möglich zur letzten Zeit aufbe-
wahren. Alles was daß lachen veruhr-
/ sacht, gefällt
|P_180
/dem Gemühte nicht unmittelbar, sondern weil
der Absprung der Gedanken die Nerven erschittert.
Die Erschütterung aber bis zum Diaphragma,
von diesem bis zur Lunge gelangt, %und also die
innere Bewegung verursachet; In Gesellschaft er-
zehlt einer gerne selbst, bloß weil das ihm
eine größere Motion macht, als wenn ihm das an-
dere Erschüttert. Er lacht über eines andern
Erzehlung weil die ihn auf eine weitlächerliche
bringt, die er gleich darauf erzehlen kann. Er
behält eine solche Historie, damit er andre
mit ihr zum Lachen bringen kann, so ist es auch
mit den tragischen Bewegungen da uns bald
Zorn bald hofnung, bald Großmuht rührt, von
unsern Gliedmaßen sind viele so beschaffen, daß
sie die Ausdehnung, andre hingegen daß sie die
Zusammenziehung, der Gefäße bedürfen Daher
gehet man zur Transperation in die Comedii
und wenn man in die Tragaedie gehet %und träh-
nen vergießt, oder doch wenigstens empfindet
was Thränen veruhrsachen kan, so ist das
so gut als wenn man sich schröpffen läst. Es
ist auch zu weilen gut, daß ein Mensch sich
ärgere Besonders wenn er ohne wiederspruch
ausspotten kann, ein solcher Mensch der mit
einer gewißen Beredsamkeit seinen Zorn hat
/ äußern können
/Lage 12
|P_181
/komt her nach recht munter in die Gesellschaft.
Wir übergehen hier das Capitel vom Geschmak
weil wir zuerst von allen Erkenntnis_Kräf-
ten reden hernach aber auch das Gefühl von
Lust %und Unlust wohin auch die Lehre vom
Geschmak gehöret, weitläuftig abhandeln
wollen. Der Verstand ist das Vermögen zu
Urtheilen und die Vernunft das Vermögen
zu schließen oder a priori zu Urtheilen,
Verstand haben, heist etwas verstehn; so be-
dienen wir uns vieler Sprichwörter, ohne
ihren Sensum zu kennen, allein wir wol-
len hier nicht die Logic sondern die Antro-
pologie abhandlen. Wir sezen also weiter
wir haben bey allen Kräften des Gemühts
keine Eifersucht die größer ist, als wenn es
auf den Punkt des Verstandes ankommt, ja wir
wollen in ansehung eines guten Verstandes
%und guten Hertzens keinen nachsehen, wir
gestehen wir haben blöde Augen, ein schwa-
ches Gedächtniß pp. Wir geben viel in an-
sehung unseres Witzes nach, auch in Summa, wir
sind in Absicht unserer Gemühts_eigenschaf-
ten sehr nachgebend, nur nicht in ansehung
unseres Verstandes. Dieses kömt daher,
weil der Verstand alle übrige Vermögen
brauchbar machen kan den ohne Verstand helf-
fen uns unsere Seelen_Kräfte nichts, an contraire
/ die
/~Rand_181_Z_7
/{2- Verstand
/Vernunft -2} ~
|P_182
/Disposition unserer Erkentniß_Kräfte mit dem
Verstande, macht die größeste Heßlichkeit unsrer
Seele aus, die Seele ist ohne Verstand krüppelhaft,
Z.E der viel Dinge im Gedächtnis, aber wenig im
Verstand hat, lauffen viel Dinge durch den Kopff
die da er sie öfters anbringet, ihn lächerlich machen
viele Leute Studiren nur recht große Narren zu
werden, denn wenn sie viel gehöret, %und es nicht
recht verstehn, so wollen sie von allem Urtheilen
welches denn Dum heraus kommt. Als jemand
in solcher Gesellschaft war, und sich ein solcher
Schreyhals eingefunden hatte, der von allem re-
dete und nichts Verstand, so lenckte er das
Gespräch so herum, daß er erzehlte, wie Xerxes
einen bestelt hätte, der immer bey der Tafel
aus ruffen müßen; Gedencke König das du ein
Mensch bist, hirauf applicirte er solches
auf den Schreyhals, und sagte er sollte auch
jemanden bestellen, der da ausruffe: Gedencke das
du ein Narr bist. So wie oft der Himmel einen
Verschwender, mit Millionen heimsucht, so trift es
sich auch daß mancher, der keinen Verstand hat,
andere Fähigkeiten im großen Grade bekommt.
Wir können uns einen Verstand dencken
der durch die Erfahrung klug geworden viele
aber werden auch nicht durch die Erfahrung
klug, indem sie wänig auf sich acht haben, es
besietzen aber auch nur sehr wenige, %und scharf-
/ sinnige Leute
|P_183
/diesen empyrischen Verstand. Denn es ist das
Vermögen etwas in abstracto zu erkennen,
gantz unterschieden, von dem, was in concreto
zu beurtheilen ist. Warum sagt man, dieser
Mann ist ein großer Theoreticus: aber kein Practi-
cus; mancher hat einen Empyrischen, aber keinen
speculativischen Verstand, mancher kan sich keine
allgemeine regel machen; viele haben einen bloß
practischen Kopff. So finden wir z.E daß einige
ein vortreflich Tugendmaas haben, in ansehung
der Kunst werke. Es giebt Leute die in der
Kunst so erfahren sind, aus zerbrochenen Por-
cellain schöne stücke zu machen, als z.E @Teutsche@
auszulegen, Rabatten auszuzieren, daß sie gleich
wißen was vor farbe Porcellain sie ergreif-
fen sie ergreiffen sollen um den Tisch recht zier-
lich aus zulegen. So auch in ansehung der Sinne:
einem guten Pferde, darf man nur wenn es
an einen Graben kommt, den Ziegel schießen
laßen, so hat es schon das Augenmaas ob es her-
unter kommen wird, oder nicht. Es giebt über-
haupt einen Doppelten Verstand, den einen
kann man Talent, %und den andern Verdienst
nennen. Diejenige Menschen die die vor-
gelegten Dinge verstehen, %und gut beurthei-
len können haben ein Talent, nun aber gehört auch
ein Verstand dazu, der da überlegt was man von diesem
Talent, für einen Gebrauch machen kann, %und daß ist der
dirigirende Verstand, oder Verdienst vermittelst deßen
man von dem ganzen hinauf steiget. Obgleich viele
Wihrtschaffts Verständige Bauren auf einem
/ Guthe
|P_184
/sind, so wird dennoch ein Arendator gesezt, denn die Bau-
ren haben einen Subordinirten Verstand, sie arbei-
ten alle jedoch fehlet es ihnen am dirigirenden Verstande,
der die Wihrthschaft i«m»n allen übersiehet, und die
Arbeiten so vertheilen muß, daß ein jeder Tag einen
Zusammenhang mit denjenigen hat was im ganzen
Jahr verrichtet werden soll, den Subordinirden
Verstand kann man auch den administrirenden
nennen, wir finden viel Menschen die einen
administrirenden Verstand haben, sie sind
zu dem Geschikt allein ihnen fehlt der dirigi-
rende Verstand; sie wißen diese Geschicklich-
keit, nicht zu einem allgemeinen Zweck an-
zuwenden; Wie kömmt es daß einige die Königin
von Schweden, Christiana für eine sehr kluge
andere hingegen für eine sehr einfältige dame
halten, sie haben beyde recht sie hatte große
Talente aber keinen administrirenden Verstand, es
schien ihr aber, als wenn, ihr ihre Völcker zu rohe wären,
weil sie ihre Verdienste nicht einsahen, sie reisete herum,
changirte die religion, %und legte endlich die Krone
nieder, sie wurde hernach anderen Höfen lästig, %und
wurde bei ihren verdiensten Unglücklich, «S»sie hätte
keinen dirigirenden Verstand. So geht es auch
den Comedien schreiben, sie wißen wenn sie einer
Perschon eine Rolle geben, ihr diese vortreflich
spielen zu laßen, %und sich gut auszudrücken; wenn
aber die Comedie zu ende gelesen, so läuft der
Dichter in gedancken das ganze Stück durch %und
/ sieht auf
/~Rand_184_Z_14
{2- Christina %von
Schweden -2} ~
|P_185
/auf die Verbindung, und denn kann man oft
nicht einsehen warum der Dichter diese oder jene
Perschon hereingebracht; solche Comedienschreiber
haben einen administrirenden aber keinen di-
rigirenden Verstand, selbst Lessing fählt
hierinnen. Wenn man also von diesen ei-
nen für «v»Verständig preisen, jenen aber Ta-
deln hört; so dürffen wir nur auf den doppel-
ten Verstand recurriren. Dieser Verstand kommt
nicht vor Jahren, ja dieser Verstand, der da dient, den
wehrt der Dinge zu schätzen, verspätet sich oft so sehr,
daß er sich wohl selten vor 4 Jahren einstelt.
In diesem Alter gehet als den gleichsam, eine
Palingenesie im Verstande vor. Es giebt einen
wichtigen, gründlichen, ausgebreiteten, %und Tiefen
Verstand: der wichtge ist, der nicht durch den Witz
irrig gemacht werden kann. Der Witz ist gleich-
sam der Gauckler in der Menschlichen Seele. Von
allen, Nationen haben die Engelländer einen
richtigen Verstand. Die richtigckeit desselben
kommt nicht auf die Lebhaftigckeit an, sondern
ein richtiger Verstand ist oft sehr langsam
aber um desto zuverläßiger. Man bemerkt
daß die Frauenzimmer wohl einen subordi-
nirten Verstand oder Talente haben, aber keinen
dirigirenden Verstand. Daher sie auch geschükt
sind, die ihnen an die Hand gegebene Mit-
tel auszuführen, aber sie können sich niemahls
einen rechten zweck Versetzen. Der Mann
/ hingegen
|P_186
/ist geschickt den Wehrt der Dinge zu schätzen. Eben-
so gehet es auch in ansehung der Wißenschaften.
Einige Menschen haben einen Techneschen Kopff
einige hingegen einen Architectischen Kopff,
so haben Zimmer %und Mauer_Leute einen Technischen
Kopff sie können ein Haus recht gut bauen, wenn
ihnen ein Riß vorgeleget ist. Diesen Riß aber
muß ein Archetectischer Kopff machen, der vieleich@t@
keinen technischen hat. Eben so gehet es auch mit
einen Philosopfen, einige können Philosopfische
Sätze, recht gut vortragen; allein sie haben
das erhabene einer Philosophie niemahls ge-
schmeckt. Es ist mit einen Menschen so, als mit
einem, der in vielen Ländern gewesen, aber
niemahls eine LandCharte gesehen hat. Dies@er@
wird viel erzählen können, was er da %und da
gesehen aber er wird sich niemahls einen
Begriff von der Gegend %und ihrer gantzen Lage
machen können. So gehts dem, der zwar vie-
les gelernt, der aber niemahlen den Geist
aus vielen Wißenschaften gezogen hat.
Manche Wißenschaften sind so beschaffen,
daß man vom gantzen auf die theile gehen
muß, als, die Geographie %und astronomie.
Dieser dirigirende Verstand von dem wir bis
hier geredet haben, ist die oberste Kraft der
Seele. Alle Menschen die voll leidenschaften
sind vergleichen nicht das was sie thun mit
/ dem gantzen
|P_187
/gantzen ihrer zwecke, sondern nur mit einer ihrer Nei-
gungen, daher sie auch Sclaven ihrer Leiden-
schaften genandt werden. Es ist schändlich wenn
den großen Herren, gleichsam degradiret hinter
den Pöbel der Leidenschaften gehen muß. Der
König von Macedonien sagte zu seinem Gene-
ral; Nun will ich nach Italien gehen %und die Römer
überwinden hierauf frug der General: %und hernach?
den will ich nach Sicilien gehen antwortete
der König und die Einwohner daselbst über-
winden der General fragte weiter %und hernach?
den will ich nach Klein Asien gehen, denn nach
Sirien und nach allen diesen wollen wir hier
ein Glaß Wein in der ruhe trinken: Ey
sagte der General, last uns unser Glaß Wein jetzt
trincken, %und nicht so lange warten; denn wer weis
was für Unruhen wir Uns alsden aussezzen.
Es giebt ungemein Kluge Frauenzimmer, de-
«sen»nen aber der dirig«e«irende Verstand fehlt,
sie können nicht einsehen warum sie nicht die
Herrschafft erhalten, %und doch sagen sie, wenn
sie die Männer ins Unglück gebracht %und
man es ihnen vorwürft, der Mann hätte
sollen Klüger seyn. Es ist nicht zu läugnen
daß es auch fälle giebt, wo dem «man» Mann der
dirigirende Verstand fehlt, %und wo nur eine
Frau denselben Besiezt; «m»Mit solchen Frauen
mag ich nichts zu thun haben; Allein man muß
eine jede Regel so weit wie möglich algemein
laßen, wenn gleich einige Fälle davon
/ abgehen.
/~Rand_187_Z_6
/{2- Pyrrhus %und Cineas -2} ~
|P_188
/Die Uhrsache ist diese, weil die Natur doch
etwas in Männer gelegt, was man bey einer
Frau vergeblich suchen wird. Der große Dich-
ter Milton hatte die Parthey des Cronwels gehal-
ten, als nun die Parthey des Königes gehalten ward
so traten die meisten von der Parthey des Cronwels
ab, %und traten auf die Seite des Königes; Milton
aber that es nicht, da man nun aber, einen so gros-
sen Mann erhalten wolte, so bo«ht»t man ihm @wenn@
Er zur Seite des Königes treten würde, die Stelle
eines lateinischen Secraetairs an, wo er jährlich
1000 %Pfund Sterlings erhalten sollte. Milton aber
der von der Würde einer republicanischen Frey-
heit %und Regierungs form überzeugt war, blieb un-
beweglich. seine Frau die er hertzlich liebte konte
ihres Mannes Betragen nicht Begreiffen, sie
stellte ihm alles mögliche vor, um ihn zu beweg@en@
die gnade des Königes anzu nehmen. Milton
antwortete. Sie und ihr Geschlecht wollen in
Kutschen fahren, ich aber muß derselbe bleiben.
Der Verstand ist vom Witz gantz unterschieden.
Witzige Leute ohne Verstand nennt man Witzlinge.
Der Witz ist flatterhaft, der Verstand ist
thätig. Der Witz spielt nur %und vergleicht die
Dinge unter einander, der Verstand aber erkennt
die Sachen wie sie sind %und vergleicht sie nicht allein,
obgleich der Witz dem Verstand die Materialien
darbieten muß. Ein Verstand ist aufgelegt
zu Einfällen der andere zu Einsichten, den Ver-
stand von der ersten Art haben die Frauenzimmer,
/ Einfall
/~Rand_188_Z_4
/{2- Milton -2}
/Z_21
/{2- Verstand. Witz. -2} ~
|P_189
/Einfall ist eine Erkentnis, die da ohne einen
überdachten Zusammenhang derselben mit andern
Erkentnißen entspringt. Ein Einfall gefält
um desto mehr, je uner«¿¿»warteter er ist, %und je we-
niger man mercken kann, daß er dem Proferen-
ten Mühe kostet, aber ein gantzes Buch voller
Einfälle ist unerträglich. Die Teutschen sind
nicht zu Einfällen aufgelegt, ihr Naturell
ist langsam. Die Engelländer haben auch
zuweilen witzige Einfälle, diese aber kann
man mit «r»Recht witzige grimassen nennen, weil
sie gar zu sehr überlegt zu seyn scheinen.
/Die Französische Nation ist die Mutter des Ge-
schmacks, es kommt ihr hierin keine Nation bey,
es sey denn, daß man sie mit den alten Grie-
chischen Völckern vergleiche oder ihnen die
Italiener zur Seite sezzen wolte, allein
die Italiäner hatten nur einen Geschmak
der Sinne ZE: der Baukunst, Mahlerey, Music,
etc. Die Franzosen aber haben gleichsam einen
idealischen Geschmack der Sinne Z.E zeigt er sich
in Gedichten, Gesellschaften pp. Man theilt
ferner den Verstand in den seichten und
in den gründlichen ein. Der seichte erckent gleich-
sam nur die Oberfläche der Dinge, der Gründ-
liche aber, dringt bis ins Innerste der Dinge
herein. Die Redekunst macht seichte Köpffe
Die Mathematik aber könte gründliche Köpffe
bilden; allein da sie sich nur mit einem
Gegenstande beschäftiget so ist sie hiezu auch
/ nicht
|P_190
/hinlänglich. Vortreflich aber ist es, wenn man unge-
lehrte Leuten, gleichsam im Anfange, @moralische@
Gesetze vorlegt, und sie hernach hinlänglich be-
weiset, hiedurch lehrt man sie nichts ohne
Grund annehmen. Die Engelländer sind die-
jenigen die am gründlichsten denken, %und wenn
gleich die Arbeit der Franzosen mehr Geschmack
verräht, so fehlt ihr doch die praevision, und
Abgemeßenheit der Englischen Arbeit. Ein jeder
der eine gründliche Vernun«p»ft hat, will die
Sachen in An_sehung der Gründe Complet erkennen.
Ein Tischler der alles so macht, daß es zusammen-
paßt, hat einen grundlichen Verstand, denn so-
bald eine Sache adaequal ist der Idée, die der
Sache zum Grunde lieget, so ist sie gründlich.
Es giebt ferner einen anhaltenden, und flüch-
tigen oder tumultuarischen Verstand, letzt-
rer ist der vom Witz dahin gerißen ist. Der
Verstand ist von der Vernunft folgender mas-
sen unterschieden; der Verstand uh«rth»rtheilt
über das, was ihm durch die Erfahrung vorgelegt
ist, er darf also nur das verstehen, was ihm
gegeben ist. Die Vernunft aber Urtheilt a priori
das ist über Dinge, die durch keine Erfahrung
gegeben sind, und das nennt man «ent» schlüßen und
nur durchs schlüßen kann man etwas für Künf-
tig heraus bringen, daher kommt die Forderung
von diesem oder jenen Menschen. Man sagt nehm-
lich wenn der Mensch nur etwas «v»Vernunft
gehabt hätte so hätte er ja leicht denken
/ können
/~Rand_190_Z_2
/NB.
/Z_15
/Verstand
/anhaltend - flüchtig
/Z_21
/Verstand - Vernunft ~
|P_191
/daß dieses oder jenes geschehen wird. Wenn
man einen Juden, deßen Aufenhalt man nicht
weis, Geld lehnt, so ist zu vermuhten daß er
solches niemahls wiedergeben werde.
Vorstellungen also, die zur Erkentnis der
Erfahrung gehören sind für den Verstand
Vorstellungen die zur praevision dienlich
bringt der Verstand zu wege. Z.E wenn ein Ge-
neral Beordert, seinen Platz zu behaupten
und den Feind deran abzuhalten, so braucht er
nur Verstand, damit er diese Ordre recht ver-
stehe, wenn er aber beordert wird, dem
Feinde Abbruch zu thun, so gehört hiezu
Vernunft, denn hier muß er schließen wie
solches am füglichsten anginge. HErren, die des-
potisch regiren wollen haben gerne bediente die
nichts als Verstand besitzen. Man solte
nicht Begriffe brauchen als bis man sie ver-
steht, indeßen brauchen doch viele Leute Wör-
ter, die sie nicht verstehen, ja selbst Pfiloso-
pfen thun solches, und daher entstehet denn
ein würklicher Streit bis man würklich dar-
auf verfält %und frägt: was versteht man da-
durch? So ist zE gewöhnlich das man einem
Kranken süchtige Speisen vorsezt. Wenn
man nun fräget, was ist süchtig? so kommt
selbst der Artzt in Verlegenheit, %und erzählt
einige der Speisen her, als Schweinfleisch,
weiße Erbsen pp: ohne zu wißen, worin
/ süchtig
/~Rand_191_Z_25
/{2- süchtige Speisen -2} ~
|P_192
/besteht. So ist es ferner mit dem Wort Gift, man
nennt das Bald Gift, was schädlich sey, bald was in
der Medicin gebraucht wird, und verwirrt endlich
den Begrif davon sehr, daß man nicht weiß was
Gift sey. Wenn man das Gift dadurch erkläh-
ren wolte: was kein Bestandtheil des Menschlichen
Cörpers aus machen kan und also durch die
Lücke fortgetriben wurde, so wäre solches der
wahre Begrif vom Gift, als denn aber könte man
viele Medicin zum Gift rechnen. Das @Clima@ aber
und Eßen, giebt würklich dem Menschen viel Nahrung,
und ist also kein Gift, das alte Wort Gift
bedeutet soviel als dosis, daher man auch zu Gift sagt
das Lateinische komt her von venundare, welches
durch Verkauffen übersezt wird. Wenn man so die
ganze Sprache durchgehen solte; so würde man er-
staunen, über die Menge Wörter, die die Menschen re-
den %und doch nicht verstehen. Wenn man also den Ver-
stand excoliren wolte so müste man es dahin
zu bringen suchen daß sie die Worte mit de-
nen sie einen 2 deutigen Begruf verknüpfen
recht verstehen lernen hiedurch werden sie gewoh-
net nichts ohne Grund anzu nehmen, und
was sind die Definitiones anders
als ein Mittel, sich das Verständnis der Wor-
te zu öfnen, der Verstand ist analytisch
wenn man seine eigene Begriffe zerglie-
/ dert.
|P_193
/ ≥ Vom gesunden Verstande. ≤
/Es giebt einen scharfsichtigen, lebhaften, %und ausge-
breiteten Verstand, allein der Gesunde Ver
stand hat doch den größten Beyfall; obwohl
er seine Schrancken hat, so wie Gesundheit des
Cörpers das Größeste von dem ist, was ein
Mensch wünschen kan, und die Wünsche die
weiter gehen, scheinen unverschämte bitten
zu seyn. Denn der gesunde Verstand ist gleich-
sam nur das Tägliche Brodt, warum wir
bitten sollen %und mehreres gehöret schon zum
Überfluß, so wie ferner die Körperliche Ge-
sundheit, die da gekünstelt ist, %und nur durch Ar-
zeney Mittel unterhalten wird, keine Gesund-
heit ist, so muß auch der gesunde Verstand zum
Naturell <werden>. Es gehöret aber auch dazu ferner
eine gewiße Richtigckeit«,». «s»So sagte Diogenes
als er von Plato etwas bat, und dieser es ihm
gedoppelt gab, - der Plato ist doch ein Schwätzer
er thut mehr, als ich haben will. Diogenes
forderte hier Praecision, nichts mehr nichts
weniger«;». «s»So wie man zur Gesundheit nicht
die Lustigkeit zählen darf, so darf auch der ge-
sunde Verstand nicht lebhaft seyn. Er er-
kent die Wahrheiten nur in concreto, d.i:
in Fällen, die durch die Erfahrung gegeben sind.
Der Verstand der in abstracto die Wahrheiten
erkennt, ist ein schon Subtiler Verstand. Wenn
man an einen gemeinen Mann der bloß ge-
sunde «v»Vernun«p»ft hat, eine «r»Rechtsfrage er-
/ gehen
|P_194
/läßt, Z:E: ob der deßen Thier dem Nachtbar schaden ge-
than ohne seine Schuld, schuldig sey, das damum zu
repariren? so wird er zwar dieses anfänglich leicht
verstehen, wenn man ihm aber Zeit gelaßen, wird
er hier erst einen solchen Fall dencken, und denn ur-
theilen: hingegen ein Jurist erkent es in Abstracto,
%und wird gleich decidiren. Das Vermögen in Con-
creto zu Urtheilen ist also der gemeine Verstand
In so fern nun dieser richtig ist nennt man ihn
gesunden Verstand. Man hat im Kirchen_Staat
4 Liquadri illitteract, die weder lesen noch schrei-
ben konten, zur höchsten Obrigkeit gemacht, aus
der Uhrsache damit sie nach dem Gesunden Ver-
stand urtheilen, %und keine Räncke untermischen
möchten. Ein gesunder Verstand ist zugleich
practisch: der abstrahirende erkennt die alge-
meine «r»Reg«e»len, nach denen in besondern Fällen
geurtheilt wird ZE: den Willen Gottes gerne
thun, heißt Gott lieben, hier ist ein solcher Fall.
Ergo ist es zu bewundern, daß keine Gelehr-
samkeit, keine Unterweisung, auch nicht der höchste
Grad, der Scharfsinnigkeit, den Mangel des Gesunden
Verstandes ersetzen kann. Der Rechen_Meister giebt
seinen Schülern algemeine Regeln zum Rechnen, hat
der Schüler keinen gesunden Verstand, so wird er
keinen besondern Fall unter dieser Regel subsu«m»-
miren können. Denn {2- für -2} vor jeden Fall kann man
nicht neue Regeln geben, weil das wieder die
Natur der allgemeinen Regeln wäre«,». «m»Man kan
keinen Menschen lehren, einen Fall unter
/ einer
|P_195
/Regel zu Subsu«m»miren«,». «m»Man erkent einfältige
Leute sehr bald, weil sie immer nach Regeln ver-
fahren; Dieses zeigt schon, daß sie gleichsam im
Gengelwagen müßen geleitet werden. Einen
Narren kan man am besten nach Regeln leiten,
so sagt man ZE: Dieser Mann hat es sich zur Regel
gemacht, nichts wegzugeben, als was höchst nohtwen-
dig ist, und was ein anderer mit «r»Recht von
ihm fordern kann. Nun kann ein Mensch durch
diese Regel oft sehr lächerlich werden, indem
es zuweilen, die Klugheit %und der Wohlstand
erfordert, etwas freygebig zu seyn. Wenn
Menschen nicht die Scharfsinnigckeit haben, alles zu
Subsu«m»miren, so setzten sie sich eine algemeine
Regel, nach der sie beständig handeln. Die
Eltern haben eine Neigung zu Erhaltung ih-
rer Art, daher sie ihren Kindern, nun zu sehr
einprägen, so zu Heyrahten, daß sie ein großes
Vermögen mitbekommen, wenn ihnen gleich die
Braut oder der Bräutigam nicht gefällt. Sie
stellen ihnen vor, wie bald die erste Hitze der
Liebe, %und mit ihr die Schönheit verblüht, ja sie
sagen zuweilen, die Liebe wird sich schon finden
Alles dieses zwecket dahin ab, daß sie nur haupt-
sächlich sorgen ihre Art zu erhalten. Der Ge-
sunde Verstand ist Emp«y»irisch wenn man aber
alle Wißenschafften in concreto betrachten
will, so würde man keinen allgemeinen Be-
grif von einer Sache haben, es wäre als denn
gar kein Begriff.
/ Von
|P_196
/ ≥ Von der gesunden Vernunft. ≤
/Die Vernunft ist das Vermögen etwas a pri-
ori zu erckennen, D: i: ohne alle Erfahrungen. Man
braucht Verstand Stricte Befehle auszurichten %und
Vernunft was in diesem oder jenen Fall zu
thun möglich wäre. Durch den Verstand er-
kent man aus dem rechten Umfange die Sonne;
daß es regnen werde, wenn man aber aus
der Dünheit der Luft schließen will, daß es
regnen werden so brauchen wir Vernunft; Alles
Vorhersehen geschiehet durch die Vernunft,
Cicero sagt ein Philosopf, der die Geschichte mit
einem Philosophischen Geiste durchlieset, kan
einen Wahrsager abgeben, die Vernunft ur-
theilt a priori. In jedem Schluß ist.
/1.) Ein algemeiner Satz der durch die Vernunft
eingesehen wird
/2.) Die Application eines Falles auf den algemei-
nen Satz und dieses durch den Verstand.
/3.) Die Conclusion, die so was durch den Verstand, als
durch die Vernunft geschiehet. Z.E: alles was
veränderlich ist hat eine Uhrsache, daß sie het
die Vernunft ein, der Mensch ist verän-
derlich, %und dieses Subsummiret der Verstand.
/Also hat der Mensch einen Grund; Der Verstand
appliciret die regel aus einen Casum datura.
Sehr oft haben Leute die einen feinen Verstand
haben, keinen gesunden Verstand, so können
/ viele Gelehrten,
|P_197
/lage 13
/Gelehrten, die alles in abstracto erkennen, keinen ge-
gebenen Fall, mit gewißheit, unter eine Regel Subsum-
miren. Denn hiezu gehöret eine Empirische Fähigckeit.
Die Vernunft kan durch regeln bereichert werden, der
gesunde Verstand nicht. Der gesunden Vernunft
ist am meisten die Nachahmung entgegen gesezt,
diese Nachahmung würkt bey der Jugend am stärksten;
und dieser Geist der Nachahmung bleibt haften, wenn
nicht gleichsam eine Philosophische Palingenesie
vorgehet, da der Mensch, wenn er zur Vernunft
kommt, sich nachmahls gleichsam erziehet diese Nach-
ahmung, ist darum der gesunden Vernunft zuwie-
der, weil man bey der Nachahmung weder etwas
a priori noch a posteriori erkent, sondern nur
eine Copie von dem Verstande eines andern
wird, daher komts, daß da, wo jemand Zaube-
reyen sieht. Der Mann von gesunder Vernunft
nichts als Betrug wahr nimmt. Alles das ist der gesunden
Vernunft gemäß, was dem Mittel gemäß ist, wo-
durch die Vernunft a priori schließet, sind die Ge-
seze der Natur. Derjenige der den Gebrauch einer
Erkentniß nach dem Geseze der Natur unmöglich macht,
handelt dem Gebrauch der Gesunden Vernunft zuwider
Z.E der zaubereyen zu spielen vorgiebet. Allein
die Vernunft incommodiret in der Folge, und
man löset den Verstand gerne von der Schildwache
/ ab.
|P_198
/Dahero überläst man sich gerne den Neigungen an-
derer, %und den Phantasien, ja in Geheim ist man dem
strengen Geboht, seine Vernunft zu brauchen Feind.
Denn es ist etwas mühsamer die allgemeinen
Geseze zu erkennen, und bey einem gegebenen
Fall die Verblendungen des Witzes zu vermeiden.
Aus eben der Ursache ist der Mensch zu wunder-
dingen geneigt. Denn diese befreyen einem von
der Nothwendigkeit, seine Vernunft zu gebrauchen.
Die Vernunft hat als denn gleichsam Ferien. Zu
diesen Wunderdingen kann man die Träume zählen.
Die Einbildung einer schwangern Frau den Einfluß
des Mondes auf die Pflanzen, die erscheiugen der
Geister, den wahn den schwangern Perschonen haben,
daß starke Einbildungen einflüße auf die Ge-
buhrt haben, wird lange dauren, weiber vom
weiblichen Geschlechte herrühret. Es ist auch dieser
Wahn dem Weiblichen Geschlecht sehr nüzlich, denn
zu verschweigen, daß sehr oft nur wilkührliche
Ähnlichkeiten, die das Kind mit einer fremden Manns-
Perschon hat, auf diese vermeinte Eindrücke, einer
starken Einbildung geschoben werden können; so muß
auch der Mann in allem, seiner schwangern Frau
den willen laßen, und ihren Apetit genau erfüllen
wenn er nicht haben will, daß das Kind etwa
mit Kazen_Ohren, auf die Welt kommen soll;
/Was die Wünschruhte betrift, so würde man
mit denen Bergleuten, in einen großen Streit
/ gerahten
|P_199
/wenn man derselben die ihr beygelegte Würckung
absprechen wolte, %und selbst Valerius in Schweden
ist dieser Meynung; mit der Wünschrute soll die-
se Bewandnis haben, es muß ein zweig von Haßeln
in der Johannis_Nacht abgeschnitten werden, so daß
es die Gestalt einer Gabel hat, und wenn mann
die zwey hacken anfaßet, %und auf den Berg gehet,
so sollen die metalle die Spize dieser ruhts
an sich ziehen. Diejenigen welche alle angegebenen
Umbstände für nichts bedeutend angeben nehmen
Vielmehr einen abstractischen an, den der Mensch
selbst auf die metalle hat, so daß seine Musklen
dadurch auf diese weise beweget werden, daß
er sich mit dem Stöckchen binden muß, allein diese
Meinung ist eben so Thöricht, des Monden auf die
Menschen und Pflanzen Betreffend so ist dieses
wenigstens doch einer «u»Untersuchung wehrt,
daß aber aller dieser Wahn so leicht angenommen
worden ist kein wunder weil man zur zeit
der Scholastiker, den Klöstern einen angeneh-
men Zeitvertreib dadurch verschaffen konte,
daß man Leuten so wunderbar Zeug erzeh-
lete wobey man den Verstand gar nicht
brauchen dürfte. Ja man verfertigt zulezt
ein ordentlich Sistem von lauter solchen Grillen.
/ Von
|P_200
/ ≥ Von den Gemühts_Fähigkeiten. ≤
/Man nennt die Erkenntniß_Fähigkeiten in gemeinen
Rede«n»gebrauch Kopff so wie man die Menschlichen
Begierden und Neigungen durch das Wort Her«t»z
anzeiget, so unterscheidet man die Menschen ihren
Gemühts_Fähigkeiten nach in wizige, judicioso:
Dem Object oder den Wißenschaften nach in poetische,
Mathematische, Philosophische Köpf«f»e. Es ist aber
das Studium, der besondern Gemühts_Fähigkeit, eines
jeden Menschen von der äußersten Wichtigkeit.
Mancher Mensch hat einen guten medicinischen Kopf,
hiezu gehört ZE. der Geist der Beobachtung.
Ein Medicus muß einen gesunden Verstand hab@en@
doch einen Empyrischen Kopf. Denn allein die
Erkentnis von dem Bau des Menschlichen Cörpers
macht keinen guten medicum aus, er muß be-
obachten können %und nicht nur gute sinnen haben
sondern auch ein Vermögen zu vergleichen; Er muß
ein gutes Gedächtnis haben, daß er sich andern
Fälle besinnen kann. Die medici die keinen
solchen Empyrischen Kopf haben, streiten sehr oft
nach dem Tode desjenigen, den sie curirt haben,
über die Frage? warum er Krankgelegen?
Dagegen wir ein treflich Beyspiel des Nutzens
eines Empirischen Kopfs, bey der Medicin in
Hamburgsche @Aff@ecin zu finden. Es soll in Sach-
/ sen
|P_201
/eines Bauren Sohn eine besondere Krankheit
gehabt haben, so daß er ganz ausgedürret ge-
wesen; aber doch noch herum gegangen sey, im Gehen
klapperten alle seine Glieder. Die Medici stritten
nun über die Art seiner Krankheit, %und über die Mit-
tel, wie sie solche heben sollten. Man erklä«h»r-
te sich endlich, daß die Krankheit von nichts an-
ders als vom Austrocknen der Säfte, die sich
in den Musklen befinden, durch welche die Glie-
der zusammen erhalten werden, herrühre. Al-
lein hir war die Frage: Wie man diesen Saft
erreichen %und wieder herstellen sollte? Man sann
sehr lange nach, bis sich ein Emp«y»irischer Kopf
auf die Erfahrung besann, daß das Queksilber
sich mit dem Speichel vermengen ließe; so daß
es eine zähe materie abgebe, hirauf schloß er,
daß durch solche mercurialische Mittel, auch vie-
leicht die Säfte ihre vorige Flüßigckeit «E»erhalten
könten. Er probirte solches an dem kranken Men-
schen, %und stellete ihm dadurch völlig wieder her.
Daraus läst sich nun erklä«h»ren, wie Ärzte die doch
wenig Theorie haben, glückliche Curen unter nehmen
können, %und selbst H«y»ippocrates der an der Spitze aller
Ärzte stehet, %und deßen Asche mit Recht von allen ver-
ehret wird, war immer der glücklichste«r» «Ä»Arzt, ob
er gleich nichts von der Circulation des Bluts wu-
ste. Ärzte also die viele Theorie, aber keinen
emp«y»irischen Kopf, zuerst die Natur der Kranck-
/ heit
|P_202
/studiret, und den curiret haben; Es wäre nicht unnütz
wenn das Genie eines jungen Menschen erst wohl
probiret würde, ehe jemand ihn eine Wißen-
schaft lernen ließe, denn die Wißenschaften sind
sehr Unterschieden, %und einer dazu der andre zu etwas
anderes auferlegt. So ist ZE. ein Mathematischer
Kopff von einem Philosophischen, himmel weit un-
terschieden. Denn die Mathematik muß ordentlicher
weise erlernet werden, und ein solcher Kopf«f» der
sie zu erlernen im stande ist muß ordentlich contena
¿e haben seinen Kopf«f» auf eben die eine Sache lange
zu heften Er muß auch Gedächtnis haben. Es ist
aber nicht nöthig daß ein mathematischer Kopf«f» et-
was, erfinde. Er kan ohne daß ein großer mathe-
maticus seyn. Er muß das Spiel des Witzes hemmen
können damit ihm solcher nicht, im Nachdenken stö«h»ret
ja zuweilen ist es gut wenn ein mathematicus
einen stumpfen Kopf hat, ob es auch gleich Genies in
der Mathematik giebt. Die da vergleichen und
erfinden, so fließet doch das aus einer ganz an-
dern Quelle %und gehöret nicht wesenlich zum Studi@o@
der Mathematik, hingegen wird zu einem Philoso-
p«f»hischen Kopf express Witz erfordert, damit
er die Sachen von allen Seiten betrachten, auf
die Folgen sehen, und diese untereinander verglei-
chen könne. Ferner die «E»einfachen Begriffe von
Punckte Linien pp sind der Mathematik am leichte-
sten, in der Philosophie am schwersten: in der Phi-
/ losophie ist es
|P_203
/es auch nohtwendig, daß die gesunde Vernunft,
dem feinern Verstande, immer zur Seiten gehe, %und
ihn controllire. Ferner in der Philosophie gehet das
concretum vor dem abstracto, in der Mathematik
umgekehrt. Wenn man sich in der Philosophie ei-
nen allgemeinen Begriff von der Billigkeit machen
will so muß man sich einen Fall in concreto den-
ken, und hievon abstrahiret man die Billigkeit.
In der Mathematik aber redet man erst von ei-
ner aufgerichteten Linie, denn applicirt man
sie auf Berge %und Höhen. Wenn der Philosoph die
Idee der Flüßigkeit abstrahiren will, so muß
er sich erst mit den Eigenschaften des Waßers, oder
einer andern flüßigen materie bekant machen.
Was den Philosophischen Kopf«f» betrift so diffe-
riret solcher von allen andern ungemein denn er
ist schöpferisch. Diejenigen aber die schon selbst
schaffen, bekümmern sich nicht viel um Geschöpfe,
die schon da sind. Ein Poet muß an die Stelle
der Sachen Schatten sezzen können. Den Schatten
kann er schaffen. Wenn er die Tugend schildern
will, so muß er die Sprache eines heldenmühtigen
sprechen können. Ein Poet hat keinen Caracter,
aber er muß alle andre Caractere annehmen kön-
nen: so wie zE der Siegellack keine sonderliche Gestallt
hat, aber geschickt ist alle Gestalten anzuneh-
men. Ein Poet muß vor allen Dingen nur
die Erscheinungen kennen, und wenn er vom
/ Inneren
|P_204
/des Menschen redet; so muß er nur auf die «I»innern
Erscheinungen eingeschrenkt seyn. Er muß viele Ver
gleichungen anstellen können, man, will beobachtet wiß@en,@
daß wenn ein Poet recht dichten will, er auch die
mienen desjenigen, deßen sprache er redet annehmen
soll, %und die Erfahrung lehret solches, daß man je-
mandes Caracter nicht volkommen schildern kann, wenn
man nicht au«¿»ch seine «m»Mienen annimmt. So sagt man
vom Professor Pietsch der ein sehr berühmter Poet
war daß wenn er einen Helden schildern wolt@e,@
er sich reit-Stieflen angezogen, und beym Dichten
so herum gegangen sey. Was einen mechanischen
Kopff anbetrift, so bemerkt man das Kinder, schon
von ihrer Jugend an schnitzlen, das aber zeigt schon an,
das sie einen mechanischen Kopff haben. Wenn
man den Kopff eines jeden jungen Menschen je-
derzeit analysiren möchte, so könte man etwa@s@
bestimmen was für ein metier er künftig ergreif-
fen solte: Allein die jungen Leute selbst solte
man hierinnen nicht wählen laßen, denn so will
ein Kind daß einen mechanischen Kopff
hat, bloß darum ein medicus werden, weil
er solche Männer oft in Kutschen fahren
siehet oder weil er ein Krüppel ist, oder weil
/ er gehört hat
|P_205
/wieviel Stadt_Neuigkeiten er seinen Eltern zu er-
zehlen pflegt; Oder er will ein Geistlicher werden,
bloß weil er gesehen daß der herr Pfarher von
allen geehrt wird. Es ist aber nichts kläglich als
wenn ein Mensch auf solche Wißenschaften ver-
fällt, zu denen er gar keine Fähigkeiten hat,
da geschiehet es denn, daß das StekenPferd alle
andre wahre aus dem Stalle jagt, daß ein
Mensch alles das uncultivirt läßt, wo zu er
geschekt ist. Dieses aber kommt bloß daher,
weil die Menschen immer etwas anders seyn mö-
gen was sie würklich sind, sie dencken es kann
dir doch niemand nehmen, was du schon bist,
es ist aber doch gut daß du noch suchst was anders
zu werden. So kla\imppert mancher zu ganzen Tagen
auf dem Clavier, und vernachläßiget dabey alle
mögliche Geschäfte, weil er doch gern ein musicus
seyn will. Menschen suchen die «v»Veränderung
gleich als wenn sie Prometheus mit einem gro-
ben thon beseelt hätte. Aus diesem allen sie-
het man wie nöhtig %und nützlich das Studium dem
Kopff sey, wofür obwohl Schul«d»en, %und Examinatoria
gestiftet sind, noch nicht gesorget ist. Nunmehro
wenden die Departiments derer Wißenschaften
durch den Zufall Besezt, ja öfters geschiehet die
wahl aus Noht, oder aus «w»Wahn, und daher
kommts daß die Menschen, mehrentheils in der
Welt an eine unrechte Stelle kommen. Wie
/ mancher
|P_206
/Mensch der gemacht ist gute Stücke auf den Puckel zu
tragen, läuft jezo mit Barbier_Beken herum. Wenn
man nun alle Menschen an ihre rechte Stelle
sezzen wolte, was würde da für ein lustiger Plan
heraus kommen. Da würde mancher, der jezo Recht
spricht, und dabey in Gesellschaften gehet, um sie
zum Lachen zu bewegen, %und viel schnattert. Ein
Ehrbahrer Gastwihrt werden mancher Jesuit;
Minister, und mancher General, Trommelschläger.
Da aber dieser Plan nicht zu hoffen ist, so muß
man glauben, daß die verkehrte Versezung,
vieleicht die schöne Mannigfaltigkeit der Welt
ausmacht. Aus der bisher vorgetragenen
Materie fließet endlich die Idee des Genie.
Dies ist ein @O@riminal_Geist, man bedienet sich
des wortes Geist in sehr vielen Fällen ZE diese
Rede hat keinen Geist. Wir haben diesen
ganzzen Abend über einen Discours geführt der
keinen Geist hatte, man siehet hiraus daß das
Wort Geist nichts anders als das Principium
des Lebens sey.
/ ≥ Vom Gefühl der Lust %und Unlust. ≤
/Nachdem wir die Erkentnis_Kräfte erwegen
gehen wir zu dem Gefühl über, wodurch der
Wehrt des Menschlichen Zustandes bestimmt
/ wird.
|P_207
/Ehe wir uns aber zu dem Caracter der Menschen
wenden, müßen wir einige Begriffe fest sezzen
was in der Empfindung gefällt, das vergnüget,
was im Geschmack gefält daß ist schön, %und was ge-
billigt wird ist gut. Wenn wir den Socrates
in Ketten, und den Caesar vom ganzzen Raht be-
gleitet betrachten, der Empfindung %und dem Geschmak
nach, so gefällt uns der Zustand des Caesars.
Erwägen wir aber ihren Zustand durch den Ver-
stand so ziehen wir den Zustand des Socrates dem
Zustande des Caesar vor, Lust und Unlust haben
eine Dreyfache Beziehung denn.
/1.) beziehen sie sich auf unsere Empfindungen, und denn
ist es Vergnügen oder Schmerz.
/2.) auf den Geschmack %und denn nennen wir es schön
oder heßlich
/3.) auf die Vernunft %und denn nennen wir es
gut oder Böse.
/Wenn die Tugend so angenehm wäre als sie gebilliget
wird, so würde Jedermann Tugendhaft seyn.
/Aber an %und für sich selbst vergnügt die Jugend nicht.
Das wahre Gute muß durch den Verstand erkandt
werden. Wir haben die verschiedenen Arten
der Lust %und Unlust angezeiget. Es fräget
sich: worauf beruhet der Unterscheid zwischen
Lust %und Unlust? weil sich doch zulezt alles
/ auf
|P_208
/Gefühl referiren muß so wollen wir zuerst
das Gefühl erwegen, %und das Principium des Vergnügens
und des Schmerzzes aufsuchen. Wir finden daß das
Gefühl des ganzen Lebens alles enthält, was
da belustiget. Jedes Organ, wenn es nach seinem
Mechanismo in die größeste Thätigkeit versezt
wird, empfindet als denn se«y»in ganzes Leben, so ist
es auch mit dem Geschmak. Es scheinet daß die
Geschmaks_Drüsen im Gaumen, der zunge, %und der Lunge
sehr genau zusammen hängen, weil man dasjenige
was gut schmeckt auch gut verdauen kan; diese Ge-
schmacks_Drüsen sind Pyramidalisch und also spitzig,
wenn nun die Salzztheilchen der Speisen diese
ihre Spizzen in Bewegung sezzen so empfindet man in
Ansehung des Geschmacks das höchste principium
des Lebens. Eben so ist auch mit dem Gehör be-
schaffen, die in gleichen Zeiten auf einander folgen-
de Eindrücke, bringen in einem Cörper der Schwan-
kung fähig ist, zu lezt eine sehr große Schwan-
kung hervor, Daher ist es nicht rahtsam daß wenn
Soldaten über Pontons gehen sie Tritt halten
/ weil
|P_209
/diese in gleichen Zeiten aufeinander folgende Eindrücke, solche
Schwenkung der Brücke zulezt geben könte, daß sie einfält.
Nun ist ein jeder Ton gleich zeitig denn dadurch unterscheidet
er sich vom Schall %und diese gleich zeitende Töne bringen
im Ohr zulezt, die stärkesten Bewegungen hervor. Daher
die zertrennung des Körpers einem viele Schmerzen
veru«h»rsacht. Wenn aber Theile, des Körpers ausge-
dehnet werden so ist dieses eine lang dauernde Hin-
derniß des Lebens %und als denn der größeste Schmer«t»z.
Viele Vergnügen aber scheinen zu schädlich zu seyn ZE
der Soff. Wenn der Mensch trinckt so vergrößert
Er das gefühl seines Lebens auf eine 2fache weise.
/1.) In Ansehung des Geschmaks.
/2.) der Berauschung.
/Die Organen schwellen durch das Trincken vom Blute
an, ein Berauschter, ist gleich munterer %und empfindet
keine Sorgen. Daher trincken die Türken Opium,
das Opium macht zwar stumpf, aber am anfange macht
es stark %und herzzhaft. Man hat angemerkt, daß
beym Menschen die schädlichsten Dinge nicht den grös-
sesten Schmerzz veru«h»rsachen sondern ofters die ab-
scheulichsten. ZE Zahnschmerzzen sind entsezzlich und
doch ist noch niemand daran gestorben hingegen
die Lunge kann ganz verzehrt seyn, %und der
/ Kranke
|P_210
/empfindet, wenn er nicht sehr hohe Treppen steigt keinen
Schmerz weil die Lunge keine Nerven hat, und also auch
nicht empfindsam ist. Noch haben wir ein gewißes Ver-
gnügen, welches entspringt aus dem Gefühl, des Lebens,
eines einzigen Organen, der welcher sein ganzes Leben fühlt
ist zu frieden. Man kann die Sinnen aller Empfindung
unmittelbar fühlen, ohne dabey zu reflectiren, so
fühlt man nach dem Eßen, wenn man ruhig seyn kann se«y»in
Leben. Es ist wunderbar daß der Mensch fast niemahls
seine Gesundheit fühlt, denn wir empfinden nichts als
was da absticht, viele junge Leute sind deshalb un-
zufrieden, weil sie Gesund sind. Sie haben immer appetit,
sie werden von vielen projecten des Vergnügens tur-
biret. Indeßen giebt es auch Augenblicke, darinnen
man seine Gesundheit fühlt die <z.B.> nach dem Eßen
bey der decoction und digestion. Ein Mensch kann
zufrieden im Zustande des «w»Wohlbefindens seyn, ob-
gleich einige «s»Schmerzen seine «r»Ruhe stö«h»ren, denn sein
Leben im Ganzen betrachtet, gefällt ihm doch.
/ ≥ Von der Zufriedenheit ≤
/Wir finden Menschen, die da fähig sind, was ver-
gnügt, deren Ruhe aber, weder durch die Ergötzlich-
keit vermehrt noch durch irgend einen Ver-
lust vermindert wird, sie empfinden zwar auch den
Schmertz, sie stöhnen auch, weil daß ein Mittel zur
Erleichterung des Schmerz«z»es ist, so wie durch das
schreyen das Blut welches zum Herzen dringt bey
einem Schreken, wieder dissipiret wird; «w»Wer nicht
/ unter
|P_211
/den Schmerzen stöhnen will, der affectiret. Manche
empfinden Schmerzen %und sind doch vergnügt. weil ih-
nen ihr Leben im Ganzen betrachtet, doch wünschens-
wehrt, vor kommt. «w»Wir müßen einen Unterscheid
machen zwischen dem, was misfällt, %und zwischen dem,
was uns zufrieden macht. Man kann viele Dinge
Verlangen und doch zufrieden seyn; Allein man kann
wünschen die Anmuht seines Lebens zu vergrößern
%und wenn man es nicht erlangen kann, so hört
man auf es zu wünschen. Bey einem solchen Menschen
ist das Leben gleichsam eine schwere Masse. Kein
Vergnügen macht ihn sonderlich lustig, kein Schmerz
sonderlich betrübt, Lustigkeit %und Traurigkeit ist
die modification schwacher Seelen Standhaftigkeit
aber gefält %und ist wünschens wehrt. Ein standhafter
Mensch ist niemahls ein Gegenstand der Beneidung,
aber auch kein Gegenstand des Mitleidens, er be-
sietzt sich selbst. Alles dasjenige was das Ge-
fühl des Lebens hindert, tragt etwas zu seinem
Wohlbefinden bey Der Schmerz ist eine Hindernis
das Vergnügen des Lebens zu vermehren. Die
Zufriedenheit ist nichts positives wenn man
aber weder im Geistigen, noch im körperlichen
Leben, eine Hinderniß empfindet so befindet man
/ sich
|P_212
/wohl, oder ist, zufrieden«,». Epicur setzte die Glückseelig-
keit in einem frohen Herzen, wenn nehmlich die
Zufridenheit oder das Vergnügen aus dem Menschen selbst
entspringt. Es giebt verschiedne Gattungen von Men-
schen. Einige haben, ein fröhliches Herz; andre sind lustig,
andre haben eine scherzhafte Laune. Es zeigt sich, daß
die Dinge der Welt nicht nohtwendiger Weise den
Zustand, des Menschen Schmer«t»zhafter machen, sondern
es kommt darauf an, wie ein Mensch den Schmer«t»z
aufnimmt. Es giebt solche Menschen, die gleichsam der
Tyraney des Schicksals spotten, %und bey alle dem was ih-
nen schmer«t»zhaft seyn könte, Ausflüchte suchen und
wißen. Ja selbst beym Sterben weiß ein solcher
Mensch sich aufzurichten. Er denkt ZE: an die Kürze
des Lebens, und daß er nicht ein Leben, sondern Jah-
re zurük gelegt hat. Das einzige Mittel
eine solche glückliche Gemühths_art zu erlangen,
besteht darin, daß man allen zufällen des Lebens
ihre Wichtigkeit nehmen müße sowohl dem Ver-
gnügen, als dem Schmer«t»z, %und hierinnen bestehet
das große Kunst-Stück zu frieden zu seyn. Man muß
glauben das ein Mensch nicht eben etwas so wichtiges
/ ist.
|P_213
/Lage 14
/ist, und daß nur bloß das Wohlverhalten, den Wehrt
des Menschen ausmacht. Man muß also moralisch
gut leben, aber ob man einige Jahre länger
oder weniger lebet, das ist nichts wichtiger, und
es kommt aus der Befolgung anderer Meynungen her,
daß man für die Verlängerung des Lebens, hat den
handtwerk uns ein zuflößen, das Leben nicht für
wichtig zu halten, Vernünftiges Leben, Recht, Recht-
schaffenheit; %und Tugend; sind die Waffen wider alle
Ungemächlichkeiten, des Lebens. Augustus auf einer
Schaubühne Vorgestellt, frägt seine Generals:
Meint ihr wohl, daß ich die Rolle meines Lebens gut
gespielt habe? Sie antworteten: Ja sehr wohl! Nun
sagte er klatscht, %und ziehet den Vorhang zu. Was kann
uns alles das am Ende unserer Tage helffen, daß
wir gut geschmauset haben, %und in Kutschen gefahren
sind. Nur allein im Wohlverhalten liegt Wich-
tigkeit unseres Lebens«,». Habe ich zeit lebens
Tugendhaft gelebt, %und giebt es eine andere Welt, so
bin ich auch würdig, daselbst einen andern Posten
zu bekleiden. So denckt der Zufridene. Wenn
aber mit dieser Zufridenheit, die Lustigkeit und
Traurigkeit, vergl«e»ichen wird so scheinet die Lustig-
keit vor der Zufriedenheit, noch einen Vorzug zu
haben, denn der Lustige besitzt gleichsam den reich-
/ thum
|P_214
/der Zufriedne aber das nohtdürftige. Allein fließt
daraus das jemand mehr besizt, als seine Bedürfniße
erfordern, auch daß er glücklicher sey«,»? Wenn jemand
über der zufriedenheit, auch noch die Lustigckeit sucht,
so sucht er etwas, was er entbehren kann. Man kann
aber alle Vergnügungen so genießen, daß man dabey
eine Entbehrlichkeit spühret. ZE. Ein zufriedener
kann eine Music mit Vergnügen anhören, wenn
er sie aber im ganzzen Jahre nicht gehört hat, so
macht er sich daraus auch nichts. Wenn man es
in Ansehung aller Dinge so machen kan, so hat
man schon das Wesentliche der Zufridenheit. Die
Vergnügungen tragen nicht allemal etwas zur Glück-
seeligkeit bey. Denn die Glückseeligkeit bestehet
in der Summa aller Vergnügungen; Z.E die Co-
medien schaffen uns Vergüngen, allein wir verlieren
auf der andern Seite auch dabey, indem wir zu Hause
ein gutes Buch halten, %und lesen können. Dort müßen
wir frieren, hier können wir unsere Gemächligkeit
haben, und also tragen die Comedien zu unserer
Glückseeligkeit nichts bey. Es ist aber wohl unbillig
daß ein jeder reich zu werden wünscht? Wir ant-
worten: nein! Denn jeder will gerne alle seine Nei-
gungen befriedigen, Je reicher aber jemand wird, desto
mehr Gewalt besitzt er, seine Neigungen, zu befrie-
digen. Das Geld ist gleichsam eine Souveraine Gewalt
über alles, was der Mensch besizt. Es ist aber
/ kein Wunder
|P_215
/daß ein jeder reich werden will. Ob aber der alleinige
Besitz dieser Gelder glücklich macht, daß ist nicht ausgemacht;
zwar ist das bewust_seyn, alle Mittel in Händen zu ha-
ben, glücklich zu werden sehr angenehm, denn der Geld-
Kasten ist gleichsam ein optischer Kasten, worin der
Geiz«z»ige, Kutschen, Prächtige Taflen, Musick %und alles
siehet. Allein die bloße Macht, glücklich zu werden,
macht den Menschen auch noch nicht glücklich, sondern
der Zustand muß würklich seyn. Es giebt würklich
einige Vergnügungen, die zu unsern Glüke etwas
beytragen«,». «e»Eigentlich können wir bey uns nichts an-
ders zu wege bringen als die «z»Zufridenheit. Bey
der Lustigkeit aber ist der Mensch nicht mehr im Gleich-
gewicht. Wenn aber ein Mensch um sein Vergnügen
bey der Tafel zu vermehren, eine Tafelmusic hält,
so ist die Frage: Ob sie dabey nicht mehr verlieren
als gewinnen, indem sie keine Vernünftige Dis-
course führen können? Man überlege nur ob
es nicht beßer sey, mit einen andern guten @%Freund@
zusammen zu seyn, der so zufriden ist, wie ich, oder
in einer großen Gesellschaft, wo Music und viel
lermen ist«,». Die so genante Lustigkeit, zerstöh-
rend und räuberisch, sie ist mit einem Englischen
Windspiel zu vergleichen, welches man in der Stu-
be hält und welcher auf Tassen %und Gläser her-
um springt. Es ist eine Art von Convulsivischer
/ Bewegung
|P_216
/bey dem Menschen, da der Nervensaft gleichsam über
sein Ufer Tritt, daher kommts, daß lustige Leute
nach dieser Bewegung, traurig werden. Es giebt
auch Leute welche eine scherzhafte Laune haben,
welches die Franzosen Humeor nennen, welches hu-
meur eigentlich übele Laune heißet. Die Menschen
haben ein Vermögen den Dingen einen Wehrt zu geben,
nach dem sie sie ansehen. <So> sieht jemand ZE eine Cere-
monie mit vieler Ehrerbietigckeit an, dagegen ein
anderer, während dem lacht, es liegt also die Wichtig-
keit blos in der Art wie jemand die Sache ansiehet.
Es ist also nöthig.
/1.) Daß man die Sache in ihrem wahren Lichte
besehe
/2.) Daß man sie so ansehe, als es unserer Seele
am heilsamsten ist. Bloß der Wahn und
die Thorheit haben der Sache einen falschen
Wehrt gegeben.
/Betrachtet man daher die Menschen von der falschen
Seite, so hält man sie bald für beneidens wehrt
bald bemitleidigt man sie. Betrachtet man sie
aber mit einem forschenden Auge, in ihrer wahren
Gestalt, so erscheinen sie uns alle mit einer Narren
«h»Kappe. Die Menschen hängen der Thorheit aus Neigung
dem ernsthaften aber aus Zwang nach. Ein zufridener
ruhiger Mensch findet bey allen Widerwärtigkeiten
etwas, woraus er einen «s»Scherz machen und sich beruhi-
gen kann«,». «s»So saget Thomas Morus großCanzler
/ von
|P_217
/von Engelland, der ein rechtschaffener Mann war und im-
mer spaßen konnte, als er bereits den Kopf auf
den Block legte, zum Henker. Er solte ihm nur nicht
den Bart mit abhauen, denn solches stünde nicht im
Urtheil, das ist eine glückliche Gemühtsverfaßung.
Bey den Dingen in der Welt denen man die größeste
Wichtigkeit beyleget, ist nichts anders, als ein großes
Lerm über Thörichte Absichten. Die Traurigkeit
ist das Urtheil über das Elend des Zustandes,
und kommt von der falschen Schätzung her. «w«Wir finden, daß
wir sie gar nicht leiden können. Daher wir <uns> «un»ger-
ne von Traurigen entfernen, und verweilt man
sich dennoch bey ihnen, so geschiehet es, um nicht den
Nahmen eines falschen Freundes hören zu wollen, da-
gegen bleiben wir nicht ungerne in Gesellschaft
des jenigen, der Schmerzzen erduldet sie aber Groß-
müthig überträgt. Wir ertragen auch nicht gerne
einen Lustigen Menschen theils weil wir ihn verächt-
lich finden, theils weil wir voraus sehen, daß er eben
so trostlo«s»ß seyn werde, Bey einem Schmer«t»z der ihm
etwa zustoßen könnte, als er jezzo lustig ist. Theils
aber auch weil er bey seiner Gemühts Art anfängt
kindisch zu werden der Schmer«t»z sowohl als die Freude
müßen communicativ seyn, welches denn geschiehet
wenn sie nicht das Mittelmaas <überschreiten> ausmachen %und in der
Empfindung bestehen. In einem solchen Zustand sich zu
versezzen ist möglich, wenn man sich von Jugend
/ auf übet
|P_218
/von angenehmen, %und unangenehmen, Gegenständen die
Gedanken sogleich abzuwenden, um so mehr als das Gegen-
theil die Caracter sogleich verschlimmert. Es bringt aber
das Vergnügen nicht allein die gegenwärtige Empfin-
dung, sondern das voraus sehen, daß es künftig et-
wa ärger, oder beßer werden kann, hervor. Es ist
curieuxs daß die Alten den Tod als ein Mittel
zur Aufmunterung brauchten, daher auch beständig
der Beschluß ihrer Grabschriften so lautete. Sey
vergnügt %und brauche dies Leben, weil du in Kurz-
zen das bist, was dieser «v»Verstorbne ist. Die
heutige Menschen aber brauchen den Tod, um
Furcht, %und grausen zu erweken. Es ist auch merk-
würdig, daß einige von den Alten ihre Todten
verbrandten, wie die Römer, andre sie einbalsam-
mirten, wie die Egipter. Beyde standen in der Mey-
nung dem Leichnam einen Gefallen zu erweisen.
Nur sezten ihn einige darin die Seele gantz und
gar von der Verbindung des Körpers zu trennen, die
lezten aber damit sie noch lange die Gemeinschaft
der Seele mit dem Cörper erhalten möchten. Der
Geschmak ist von der Empfindung darin Unterschieden,
daß die leztere eine Lust in der Beschauung ist, die
wir vom Objecte haben, in einigen Organen haben
wir mehr Erscheinung, als Empfindung, in andern aber
umgekehrt. Im Gefühl hingegen ist gleichviel Er-
scheinung als Empfindung. Eine gar zu große
/ Empfindung
|P_219
/hindert die Aufmerksamkeit auf das Object So
kommen wir, wenn wir auf einmahl, aus einem
finstern Keller ans Licht oder am Schnee kommen;
nicht auf die herumliegende Gegend Acht haben.
Ein grund der Lust welcher in der Erscheinung lieget
heißet das Schöne, der Grund der Unlust, das Häß-
liche. Eine Lust aus der Anschauung hergenommen,
vergrößert unsere Glückseeligkeit, nicht im min-
desten, und ist weiter nichts als das Verhältniß
meiner Erkentniß zum Object. Wenn aber die
Schönheit unser Wohlbefinden vermehrt, so daß
wir den Gegenstand noch einmal zu sehen wün-
schen, so«¿» ist sie schon mit einem Reitz verküpft.
/Wir gehen nun zu den Bedingungen des Geschmacks
%und merken zuförderst an, daß die Schönheit ganz al-
lein unmittelbar gefalle. Daß Mittelbar an-
genehm ist ZE das Geld %und ein unmittelbahres
gutes ZE die Wißenschaft. Die Schönheiten sind
ferner mehrentheils unnütz, %und daß was man
wesentlich schön nennt, erhält einen andern zu-
wachs. Wir wollen zuweilen etwas ganz rein,
und also auch den Geschmack so haben, das Vergnügen
über die Erfindung %und Auflösung Mathematischer Be-
griffe und Beweise, ist ganz rein, und hier fin-
det der Mensch «v»Vergnügen, wenn er eine Thätigkeit
einer ganz besondern Kraft verspüret. Da
/ er über
|P_220
/dem ein gleiches fühlt wenn er alle seyne Vermögen
vermischt, und in thätigkeit gesezt siehet. Wenn etwas
im Geschmack ganz allein gefallen soll so muß man
gar keine Rücksicht auf den Nutzen der Sache nehmen.
Daher gefällt uns eine wohlgemachte Dose vom
Papier macher weit beßer als eine Künstliche aus-
gearbeitet silberne; weil aus dieser gleichsam
der Gei«t»z hervorgukt, und es nehmlich verkauft
und zu Gelde gemacht werden kan. Das Porcallen,
die Granatene %und brabander spitzen werden
aber aus Mangel des Nuzzens vor schön gehalten.
Doch nennen wir ein wohlgearbeitetes Gefäß
auch schön indem man siehet wie man doch das Geld
hiezu nicht verwandt zu werden pflegt, gleichsam
auf den Nuzzen deßelben renunciiret. Der Nuz-
zen ist ein Gegenstand der Reflection, der Geschmak
aber ein Vorwurf der Anschauung. Wir glaub@en@
@¿¿@eich daß wir nicht stolz darauf thun uns so fein
zu fühlen wenn wir im Geschmak %und in der An-
schauung Vergnügen empfinden. Ja wir haben ZE: von
einem Bauren, der ein schönes Gemählde anstatt einen
Pflug kauft, %und vieleicht die herumstehende Menge
auslachen wird, so gleich eine große Meinung, ob
wir ihn gleich für einen schlechten Wi«h»rth halten
werden. Gefühl und Geschmack unterscheiden sich
unendlich. Vergnügen %und Schmertz werden nur
von Sinnen begleitet, und wird von allen
/ dem
|P_221
/was einen Eindruck hervorbringt, zuwege gebracht.
Hingegen ist der Geschmak eine Vorstellung
der Sache, wie sie im Wohlgefallen erscheinet,
so aus unserer eigenen Thätigkeit Gegeneinan-
derhaltung, %und Vergleichung entlehnt ist. Bey
einigen Sinnen attendire ich mehr auf die Vorstellun-
gen als auf die Eindrüke so viel ist zwar wahr,
daß ich auch die Vorstellungen im Geschmak verglei-
che, und mit einem Gefühl. Doch nur in
Ansehung der Vorstellung. Doch giebt es noch
eine art von Vergnügen, einen schönen Gegenstand
gesehen zu haben, für einen der kein Kenner dar-
von ist, daß nehmlich aus der Zuneigung entsteht,
wo wir vielen, die es noch nicht gesehn oder ge-
hört haben, darvon zu erzehlen wißen sonst
aber gehöret zum Geschmak eine Urtheils_Kraft
ganz allein. Zum Gefühl aber, welches Reitz
und Rührung zum voraus sezzt nur Sinne. Daher
giebts viele Menschen die zwar viel Gefühl
haben, weil sie Reizzbarkeit haben, aber keinen
Geschmack, weil sie an Uhrteils Kraft «m»Mangel«n»
leiden. Der Geschmack muß beständig erlernt
werden, dahingegen das gefühl durch die Übung
nur höchstens verfeinert oder vergrößert wer-
den kan. Ferner richten auch alle Künste, die
für das Gefühl sind, allen Geschmak zu grunde. Daher
scheinen auch alle Dichter, die stürmisch oder sehr süß
rasen denselben zu entbehren, weil der Ge-
/ schmack
|P_222
/ganz richtig ist. Eben das gilt von Predigten die gar keinen
weitern Nuzzen haben, als der sich auf einige Augenbli-
cke bezieht, wenn sie nehmlich das Gefühl rege zu ma-
chen suchen, welches man aber wohl von Moralischen
Gefühl, da man das gute nicht aus Nachahmung son-
dern aus Anschauung erkent zu unterscheiden hat,
da man nehmlich bald ruhig wird, wenn der Pre-
diger mit dem Donner seiner Beredsamkeit auf-
hört, indem das Gefühl nichts Beständiges her-
vorbringt. Ueberhaupt muß man den Thoren durchs
Gefühl bewegen, und der größeste Schaden entstehet
daraus, wenn man sich bey Untersuchung darauf beruft.
Was im Geschmack gefallen soll muß allgemein seyn,
das Urtheil welches durch ihn gefält wird, muß nicht
ein privat, sondern ein allgemeines oder ein
allgemeiner Grund des Wohlgefallens seyn.
So speiset der Nachgeschmack, der nicht bloß dem
appetit sich accommodiret, sondern seinen Tisch so
besezt, daß alle Menschen gerne miteßen
möchten, wiewohl man jezzo den Grund eines
guten Wehrts gantz umgekehrt hat, %und mit diesem
Nahmen einen solchen belegt, der nicht für sich selbst,
%und noch weit weniger für andere gut speiset oder
kurtz ein karger Geizzhals ist. Es erwerben daher
diejenigen, die beständig allein eßen, keinen Geschmak.
Hiebey wäre es wehrt zu Untersuchen, ob auch
wohl bey allen Arten von Empfindungen ein alge-
meiner Grund der Übereinstimmung seyn kann; Daß ein
/ solcher
/~Rand_222_Z_1
/Geschmack ~
|P_223
/beym Geschmack seyn müße, erhellet daraus, daß
es anders nicht möglich sey würde, für alle Perschonen
eine schmackhafte Mahlzeit zu zubereiten %und sie
darauf einzuladen. Indeßen kennen wir den
Geschmack, der aus Empfindungen herausläuft
nur aus Erfahrung, denjenigen welcher sich auf an-
schauungen bezieht, oder den idealischen Geschmack ist
a priori, doch können wir auch zuweilen bey neuen
Gerichten errahten, ob es dem Geschmak allgemein
gefallen wird oder nicht, der Geschmack ist ferner
Gesellschaftlich %und principe des zusammenhaltens
einer Gesellschafft, und des algemeinen Ver-
gnügens. Daher ein Mensch <in> der tiefen Einöde
gar nichts nach Geschmak frägt, ja es ist sehr zu ver-
muhten, daß derselbe auf einer wüsten Insel selbst
mit einer heßlichen Frau sehr zufrieden seyn würde
und daß also der Wehrt einer schönen Gemahlin nur
darin bestehe, daß man sie andern vorziehen könne.
Doch wird endlich der Punkt daß ein Ding allen
gefalle der «S»stärckste, so sieht man sich sehr um, ob nicht
eine in der Gesellschaft den andern einen Geschnak
erzählt, worüber er sehr gelacht sich belustige,
wenn man nicht ein algemeines Gelächter aus-
brechen sieht«,». Da«ß»s Wohlgefallen kan groß seyn, ob-
gleich das Vergnügen selbst ser wenig beträgt, und
hierin besteht eben das Edle des Geschmakes
da wir die Schätzung des Wehrts an einem
/ Dinge
/~Rand_223_Z_10
/{2- gesellschaftlicher Geschmack
/Z_14
/da kann man nicht wählen
/Z_18
/man hat die Wahl
/Z_21
/(Schnack?) -2} ~
|P_224
/nicht in Rücksicht eines einzigen, sondern im Verhält-
nis auf alle mehrere vornehmen. In der Ein-
samkeit und auf dem Lande gefält uns niemahls ein
Garten sondern ein Wald, in der Stadt würcket es das
Gegentheil weil er nehmlich das Land im kleinen
Maasstabe Vorstellt %und es scheint über haupt, daß
der Mensch alleine Betrachtet, gar keinen Begrif
von Schönheit haben würde, daher wir ihn auch bey unge-
selligen gar nicht bemerken. Der Geschmack hat
aber auch innere principia, welche in der Natur
des Menschen ihren Grund haben: allein Beobachtun-
gen müßen uns zuerst die Reglen des selben Vor-
zeigen, wenn aber jemand dawider einwenden solte
daß das jenige was man schön nennt, sehr wechseln
solte so müßen wir sagen daß dieses der Modische
Geschmak seye. Der aber nicht den Namen origi-
nal_Geschmack verdient, derjenige wählt aus mode
der da schön nennt was nach derselben gefällt. Ob
nun ZE die Einstimmungen die man der äußern form
giebt, bis sie nehmlich mit der form der mehresten
übereinstimmt eine Art von Schönheit ist %und nichts
altväterisches anzeigt, wie man nichts als gutes
zu finden fähig ist, als deßen man schon gewohnt sey,
so stimmen dennoch die reglen %und die Urtheile des Schönen
gar nicht mit der mode überein und mode und Ge-
wohnheit sind dem Geschmak entgegen. Der
/ Mann
|P_225
/«U»urtheilt nach Grundsäzzen, das Frauenzimmer nach der
Mode. Einige moden verfallen sehr geschwind, an-
dere halten sich lange«;». «v»Vielleicht daher, weil
kein andrer Ton angegeben worden Viele las-
sen sich daher in Römischer Kleidung mahlen;
weil diese beständig bleibt, unsere hingegen
fast alle Tage geändert ist, %und die alten Moden
der eitlen Welt lächerlich vorkommen. Manche
Moden entstehen daher weil man jemanden den
alles gut kleidet, mit prangen siehet, %und man ver-
wirt gemacht wird worin eigentlich die Schön-
heit bey ihm zu sezzen sey. Der Geschmak zei-
get von Uebereinstimung der Sinlichen Beurthei-
lung, es ist also falsch, daß man über den Ge-
schmak nicht disputiren könne. Denn disputiren
heist so viel als beweisen daß mein Urtheil auch für
einen andern gültig sey und das Sprichwort ein jeder
hat seinen eigenen Geschmak, ist sowohl ein Satz der
unwißenheit als ein principium der ungesel-
ligen. Zwar ist vieles in ihnen emp«y»irisch %und bey Ge-
legenheit der Erfahrungen gesamlet, allein es sind
noch nicht alle Reglen von derselben abstrahirt,
%und den wenn das Urtheil des Geschmacks vom
Verstande begleitet werden, so liegen sie ge-
wis in der Natur unserer Sinnlichkeit;
hier sieht man denn daß sie niemahls sich entge-
gen gesezt seyn können denn da sie von
/ Object
|P_226
/gelten, oder da die Gesezze der Gültigckeit bey
allen einerley «@ihm@»<sind> so würden entgegen gesezte
Urtheile des Geschmacks eine Contradiction hervor-
bringen, Eines müste wie das andre falsch
seyn. Hingegen können Urtheile des Gefühls sich
opponirt seyn, weil die Empfindung «uns»nur das
Subjective ausdrückt«,». «n»Nur müßen es nicht reflec-
tions seyn, die man für Empfindungen hält. Schön-
heit %und Heßlichkeit gilt würklich von den Objecten
%und es würden sowohl algemeine Gesezze der Sinn-
lichkeit, als des Verstandes angefertiget, wer-
den könen. Eines ihrer Gesezze ist: Alles
was die sinnliche Anschauungen erleichtert, und er-
weitert, kommt aus Objectiven Gesezzen, die vor alle
gelten. Unsere sinnliche Anschauungen sind entweder
im Raum, nehmlich die Figuren und Gestalten der
Dinge, oder in der Zeit, nehmlich das Spiel der
Veränderungen. Zweyerley gehört nur zur sinnlichen
Anschauung im Raum nehmlich proportion der
Theile, oder ihr «e»Ebenmaas, %und ihre Richtigkeit faßet
Symmetrie in sich. Eine Ordnung der Dinge in der
Zeit nennt man ein Spiel %und ein Spiel der Gestalten
ist ein «w»Wechsel derselben Zeit. In einer guten
Musik würkt gleichfals zweyerley, nehmlich der
Takt, oder eine gleiche Abbildung der Zeit, dann
aber auch wenn viele Töne vereinigt werden,
/ eine
|P_227
/eine Consonantz oder eine proportion der Töne
erfordert. Es gefält dieses weil alles was
unser Leben vergrößert. Diese Würkung
bey uns hervorbringt welches man allerdings von
einer erleichterung, der sinnlichen anschauung sagen
kann. indem die Menschen ein großes mannigfal-
tige sich nicht anders vorstellen können. Eine
Erweiterung unserer Erkentniß %und Mannig-
faltigkeit aber wird zum sinnlichen «w»Wohlge-
fallen erfordert. Es möchte aber hier-
wieder eingewendet werden daß wenn gleich
ein gegenstand nach den oberwehnten Re-
geln eingerichtet wäre, dennoch der jenige, der
etwas besonders gesehen verachtet. Allein
man muß merken, daß dieses vom Gegen-
stand, in der Vergleichung gegen ein ander so
angestelt wird herkomt, sonst würde, man dennoch
verachtet, daß man etwas beßeres gefunden,
%und dennoch einen Gegenstand schön nennen, das aber die
Vergleichung eine solche Veränderung hervor brin-
gen könne zeigen folgende Beobachtungen.
/Alle auch selbst die schönsten Mannsperschonen
in Frauenzimmer Kleidungen, eingehüllet, sehen
frech %und unangenehm aus; Daher Bilefeld
sagt, daß man bey der Vorstellung einer heßlichen
Mannsperschon, eine Wette anstellete, daß
sie die häßlichste wären die existirten: wie nun
/ die anderen
|P_228
/eine weibsperschon, die freylich in Ansehung anderer
Weibsperschonen, sehr schlecht aussahe, vorzeigete,
so sezzte der erste ihr eine Peruque über
den Kopff, indem er wohl wuste, daß der An-
schein der Häßlichkeit, von der zwischen ihr und andern
Frauenzimmer, angestellten Vergleichung herrühre,
und bald darauf sahe sie leidlicher aus. So giebt
man dem alten Frauenzimmer nur darum solche
empfindliche beywörter als zum %Exempel Hexen; weil
sie das Unglück haben mit jungen Mädchens ver-
gleichen zu werden da sie in Rücksicht auf ihr Ge-
schlecht freylich mehr abgenommen, und Verächt-
lich geworden als die Männer gleiches Alters
welche gegen jene, noch immer schön genung aus-
sehen. Daß Proportion, Gleichheit der Ein-
theilung unsere Beschauungen sehr erleichtert,
so stimmt es mit den subjectiven Gesezzen unserer
Sinnlichkeiten, %und das gilt von allen was uns Vor-
stellungen des ganzen Lücke %und die Erweite-
rung unserer Erkentniße befördert. Wir
müßen aber einen billigen Unterschied zwischen
schönen Gegenständen und schönen Vorstellungen
machen, so sind ZE gewiße Thiere als große
Schlangen, häßlich in unsern Augen, allein eine acu-
rate Abbildung derselben, in Marmor nennen wir
schön, %und obgleich Geometrische Figuren gar keine
/ eigentliche
|P_229
/Lage 15
/eigentliche Schönheit haben, wenigstens ziehen
wir sie nicht in Beobachtung, so ist dennoch eine geo-
metrische Demonstration, wenn sie kurtz %und leicht
ist, eine Schönheit für uns, es ist also bey ihnen
der Grud der schönheit offenbar in der Leichtigkeit
zu suchen. Etwas stimmt also mit den objectiven
Gesezzen überein, wenn in der Erkentnis
Wahrheit, Ueberzeugung, %und Deutlichkeit anzu-
treffen ist wenn sie gleich mit Schwürigkeit er-
langt wird Hingegen mit unsern Subjectiven,
wenn sie die Thätigkeit unseres Verstandes, in
ein leichtes Spiel versezzet. Wir machen aber
dennoch einen Unterschied zwischen dem «s»Schönen,
wobey immer zugleich mit ein Reitz verbunden,
%und dem Hübschen wobey derselbe nicht anzu-
treffen ist. So giebt es Mädtchens, und
andre Dinge, die zwar gute Züge haben, jedoch vom
Reitz entblößt sind, wiederum andere die reiz-
zen ohne schön zu seyn ZE die züge der Sanftmuht,
weil diese den Mangel der Hinderniße in Gesellschaff-
ten, %und die Züge der Munterkeit ist, welche die
Erleichterung des Umganges anzeigen. Jetzt ge-
hen wir zur Betrachtung vom Reitz, dieser ist
entweder Cörperlich oder Idealisch, welcher
letztere die Moralitaet gemeiniglich zum Ge-
genstande hat. Er @kan@ bloß aus Neben-
dingen ZE aus Neuigkeit wenn man der
/ erste
/~Rand_229_Z_23
/{2- Reitz
/körperlich oder idealisch -2} ~
|P_230
/ist, der den Gegenstand gesehen, entstehen. Der
Reitz der durch Cörperliche Bewegungen hervor ge-
bracht wird, heist der indirecte Reitz der durch idea-
lische Bewegungen hervor gebracht wird, heist
der directe Reitz. Gewiße Dinge werden sinlich
angeschauet, bringen eine idee in uns zu wege, und
würken wiederum zurük«,». «v»Von dieser Art ist das
Lachen, bey welchen die Idée eine Unerwartete
Umkehrung des Vorhergehenden ist, welches sonst
gleichgültig ist«,». «s»Sie unterscheidet sich vom Contrast
dadurch, daß hier nur Vorstellungen, neben ein-
ander, dorten aber eine ordentliche Wiederkehr des
des Verstandes ist, so wie «m»Monstren in seiner Reise
Beschreibung erzählt, daß als ein Curländischer
Edelmann %von Sacken auf Befehl des Herzogs nach Cams-
chatka reisen solte, er niemahls dahin gekommen
sondern als er eben glaubte weit genug gereiset zu
so sahe er sich für seine eigene Hausthüre zurük-
geführet, ob er gleich 2 Jahre gereiset war. Die-
ses Vergnügen bringt bloß eine Cörperliche Be-
wegung zu wege. Eine gleiche Bewandnis hat
es mit Trähnen, die wir uns gerne abloken laßen
«s»So sehen wir das gerne, was wir uns mit Bestän-
digen Grausen «V»vorstellen müßen. So stellen
wir uns gerne einen Menschen vor der in einer
wüsten Einöde in einer abscheuliche Tieffe fält.
Das kommt daher weil unser Körper
/ ein
|P_231
/ein sehr feines Gewebe von Nerven ist zu denen
kein Montel keine M«¿»ation keine Medicin
durchdringen kan. Auf diese nun würken unsere
Ideen %und zwar auf eine verschiedene Art, 2 Beobach-
tungen rechtfertigen dieses volckommen.
/1.) Einige Perschonen werden dadurch gesund daß sie
sich ärgern wenn ihnen nur keiner wiederstehet.
/2.) Ein berühmter Artzt der sich besonders sehr mit
der Meßung des Gewichts des Menschen abgege-
ben, entdekte wie derselbe beym Cartenspiel
nicht nur einen weit stärkeren apetit überkommt,
sondern auch in ihm bey der Beschäftigung eine weit
stärkere Transpiration vorgehe: als durch starke
motion dieses ist sehr Vortheilhaft daß wir
Lücke nicht reden können ohne daß die Ideen
auf unsern Cörper würken.
/Die Ursache warum junge Leute gerne Tragoedien
aufführen sehen«,». Die Alten aber Comedien, liegt
bloß darin weil Theils ihre leichsinnigckeit darin
ein Gewicht findet. Theils weil die Trauer bey
ihnen nicht haftet, sondern nachläßt, wenn das
Stück geendiget ist. Doch müßen wir sagen daß
sowohl die Leute, die so Viel lachen, als die wel-
che ernsthafte Gesichter zeigen, über einige
angelegenheiten gar keinen Geschmak verrathen.
/ Die
|P_232
/Die Schönheit ist ernsthaft. Doch ist die Neigung
alles ins Belachens wehrte zu ziehen, %und eine Heiterkeit
des Genie, %und diese wenn sie sich über alles vertreibet,
ist nur eine Masque der gesunden Vernunft. Die
Beschäftigung des Gemühts mit dem schönen verfeinert
nur unser Gemüht, %und machen es zu moralischen Ein-
drüken fähig, %und die Cultur des Geschmaks verfeiner@t@
%und schärffet die Urtheils_Kraft,. «d»Das zu sehr mo-
dische im Geschmak, verräht einen Menschen ohne
Grundsäze«,». Ein solcher Mensch denkt nicht für sich selb@st@,
sondern er suchet nur der erste in dem zu seyn, von dem
er zum voraus siehet, daß e«¿»s allgemein werden kann
Der Gebrauch %und die mode im Geschmak sind also un-
terschieden. Man kleidet sich nach dem Gebrauch,
wenn man sich in der Kleidung nach dem allgemeinen
richtet. Man kleidet sich aber nach der Mode,
wenn man der erste ist, der sich der Kleidung be-
dienet, die nachhero allgemein wird. Die
Mode ist also der Anfang des Gebrauches«,».
Es schikt sich schon nicht für einen vernünftigen
Menschen, wenn er sich in den Grundsäzzen nach dem
Gebrauch richtet, vielweniger wenn er darin-
nen modisch ist; In Dingen aber die bloß in
die Augen fallen, kann man sich auch nach dem
Gebrauch richten, weil dieses die Einför-
/ migkeit
|P_233
/unter den Menschen stiftet, %und sie verbindet, aber in
Grundsäzzen Modisch zu seyn ist wenigstens ei-
nem Mann unanständig. ZE wenn man der
Mode folgen wolte daß man seine Frau immer
alleine gehen %und fahren ließe. So ging
es in Frankreich, daß als ein fremder ei-
nen Mann ganz Kaltsinnig mit seiner Frau
gehen sah %und einen Franzosen «¿»fragte: lieben
sich diese? letzterer ihm antwortete, O Nein,
es ist ja seine Frau, da wäre die mode daß
man sich gar nicht lieben müste. Ja in Genua
und andern Städten Italiens muß sich die frau
schämen mit ihrem Manne zusammen zu gehen denn
eine jede Frau hat außer ihrem Mann noch
einen Cavalier Servante. So hat man in der
«s»Schreibart, allerley Moden angenommen bald ist
sie gedrungen, bald ist sie weitläuftig; bald
ist mode so compress zu schreiben daß Demos-
thenes, sich der Wörter hätte bedienen kön-
nen, um sie statt Kieselsteine in den Mund
zu nehmen, um durch ihre Vermittelung ei-
ne reine Aussprache zu lernen. Hernach
/ kan das
|P_234
/brilliante in der Schreibart auf, da man von nichts als
von Gold, Edelsteine, Donner, Blitz pp redete, bald dar-
auf das heuchelende, da vieleicht jemand einen Franzö-
sischen Schriftsteller, den er vieleicht selbst nicht verstan-
den nachahmen wolte. Man kann aber einer Schreibart
leicht ansehen, auf welchen leisten, sie hätte sollen ge-
paßt seyn. Die wesentliche Eigenschaft einer gu-
ten Schreibart ist die Leichtigkeit. Alle Sinnlichkeit
bereitet dem Verstand schon die Sachen vor, so daß die
Handlung des Verstandes, dadurch eine gewiße
Leichtigkeit bekömt. Der Geschmack führt uns
nicht durch algemeine Reglen, sondern durch besondre
Fälle. Die Vernunft eine Art von Hof-
meisterin mit der man sich @s@ nicht aus Neigung sondern
bloß aus Nohtwendigkeit Beschäftigt. Derjenige
der die Vernunft mit dem Geschmack verbindet be-
streichet gleichsam den Rand des Lachens, der wohl
zwar von einer sehr wiedrigen, aber sehr nützlichen
Arzzeney ist, mit Honig. Viele Menschen
sind wie die Kinder leken den Honig vom Rande,
aber ohne die Arzeney zu berühren; sie lesen schöne
Bücher bloß für den Geschmack etwas zu samlen
als schöne Ausdrücke, Historien, %und dergleichen
/ denken
|P_235
/denken nicht einmahl an den Entzwek, den der
Autor gehabt hat.
/Wir bemerken bey einer jeden Sache etwas selb-
ständiges schönes, indeßen verstehet es sich von
selbsten, daß die Sachen, die an sich nichts selbstän-
diges haben, auch nichts selbstständiges Schönes ha-
ben. ZE das Modische. Jeder Mensch will ein origi-
nal seyn, und diese Idee recommandirt ihm, die
Sache. Es liegt bey jeder Sache eine Idee zum
Grunde. Man kann keine Sache eher für schön hal-
ten, als bis man weis, was es für eine Sache
seyn soll. So ZE kan man noch nicht «¿»Urtheilen, ob ein
gemahletes Gesicht schön sey, wenn man noch nicht weis
ob es ein Frauenzimmer oder ein Mannsgesicht
seyn soll. Man muß allemahl die Idee des Schönen
voraussezzen. Diese Idee ist nach Kants Mei-
nung von vielen Dingen zusammen genommen, ab-
geleitet, %und gleichsam das Mitlere von allen
Excessen %und Defecten vieler Speciarum. Das
Muster der Schönheit liegt in dem «m»Mittlern
der Species. Die Ansehung der Dinge, ist die Über-
einstimmung der Rührung mit der Idée die wahre
Schönheit. Man muß die Matrialien der
Schönheit, von der «s»Schönheit selbst wohl un-
/ terscheiden,
|P_236
/So sind ZE hübsche Farben, Materialien der Schönheit,
allein die Schönheit selbst entstehet, wenn diese
materialien der Schönheit zusammengesezt werden.
Es muß die Sache die «s»Schön seyn soll, mit der Idée
zusammenstimmen. Die Alten machten an den Häusern
Pfeiler von einer Spiral linie, weil sie die Pfei-
ler unserer Art für plump hielten; allein man sieht
ZE daß dieses nicht mit der Idée des Hauses über
einstimmt, denn ein Hauß muß fest seyn, %und die
«s»Schönheiten sind nur accidentien. Alle Annehmlich-
keiten %und Reizze, welche der Absicht der Dinge
wiederstreiten, sind dem selbstständigen der Schönheit
entgegen«,». «s»So kann man ein Kleid, welches sehr
enge ist, nicht schön nennen, weil ein Kleid zur
Gemächlichkeit dienet. Die Moden die viel
Peinlichkeit haben, können nicht dauerhaft seyn.
In einer Rede ist die selbständige Schönheit, die
beziehung der Sinnlichkeit auf Gründlichkeit %und
Wahrheit. Die Kentniß des Menschen
%und Wißenschaften bewandert zu seyn, giebt uns
den «s»Stof an die hand, über den wir alle Schön-
heiten verbreiten können. Die «s»Schönheit ist
nicht Dauerhaft, die dem Verstande wiederstre-
bet. Es ist umsonst, ein schöner Kopff, %und ein
/ schöner
|P_237
/Geist werden zu wollen, wenn man den Davied
Hume der eines der neuesten Schriftsteller ist, %und
einen Englischen Zuschauer lieset, so weis mans
nicht, ob man hier die schönheiten, oder die gründ-
lichkeiten %und Einsicht schäzzen soll. Die Lehre
des Geschmaks ist keine Doctorin<rin>, sondern ei-
ne Kritik. Die Kritik ist die Unterscheidung
des «w»Wehrtes in einem schon gegebenen Subject.
Denn wäre diese Lehre eine Doctorin so konte
man lernen witzig werden: Allein die «C»Kritik
hat den Nuzzen, daß man sich selbst beurtheilen
lernt; sie schärft unsere Urtheils Kraft und
excitiret directe unser Genie. Nun kann
man eine ganze Lehre der Kritik abfaßen.
Es macht jemand ein Gedicht, nach allen Aristoteli-
schen Regeln und dennoch gefällt es zuweilen
nicht. Wenn ist es nun zu glauben denen
Aesthetischen Regelen, oder dem, dem, es nicht
gefällt«,»: Dem lezten; denn alle Aristetelische
Regeln sind nur vom Geschmack vieler Menschen
abgezogen«,». «n»Nichts schadet dem Genie mehr, als
die Nachahmung, %und man kann gan«t»z sicher Be-
/ haupten
/~Rand_237_Z_15
/<oder ästhetischen> ~
|P_238
/Daß der gantze Mangel an Genie bloß aus der Schule
herrühre, wo man den Kindern Regeln zu Chrien
Briefe etc: vorschreibt, wo man sie die lateinische
Phrases auswendig lernen läst pp «w»Wie sehr aber möch-
te ein Römer, der die jezzigen lateinischen Schriff
ten lesen solte, wenn sie gleich im zierlichsten
Latein abgefaßt wären, lachen, weil man, obgleich
die wörter immer dieselben sind, sich in der Verbindung
derselben ungemein irren kann, das Teutsche Wort
übersezzen ist übel angebracht«,». «w»Wenn man sagt
er hat das Deutsche ins Lateinische übersezt, das
ist zwar grammatticalisch richtig gesprochen, und
doch ist der Ausdruk lächerlich. Der Geschmak
scheint nichts wesentliches zu seyn, denn man sieht
wohl ein, daß er von der Volkommenheit sehr un-
terschieden <ist>, indem er uns nur Dinge als Volkommen
vorstellt, die es nicht sind; bloße Politesse
zeigt eben noch nicht gute Gesinnungen, so wie ein
guter Ausdruck noch keinen Verstand anzeiget.
Es scheinet also dem Geschmack nur etwas über-
flüßiges, %und ein bloßes Blendwerk zu seyn.
Obgleich es bei dem Geschmack nur lediglich dar-
auf ankommt, zu machen daß eine Sache gut
erscheine, und also vom Verstande, gantz was
verschiedenes ist, so ist es doch einer wahren
/ Bemerkung,
|P_239
/daß wenn die Urtheile des Verstands practisch
werden solten, der Verstand sich zur Sinnlichkeit
herab laßen muß, denn so wie ein Compass
zwar die Richtung des Schiffes bestimt, solches
aber noch nicht bewegt; so schreibt der Verstand
auch Reglen vor, deren ausübung aber nur in
so ferne möglich ist; als sie auf Gegenstände der
Sinne angewandt werden«,». Es müßen dennoch die Men-
schen Geschmak haben, um die Regeln der Vernunft
in Ausübung zu bringen, «¿»%Und in der That ist auch der
Geschmak im Umgange nichts anders, als die gan-
tze Tugend angewandt, auf Kleinigkeiten oder
auf Gegenstände, die aber keine große Angelegen-
heit des Menschen ausmachen. Es ist eben so als
wenn man einen Krieg nachmacht, wo alles so
zugehet, als wenn würklich zwey Feindliche Par-
theyen da wären; obgleich doch keiner die Inten-
tion hat, den, andern zu schaden. Die Politesse
übet uns auch an dem Geschmak zu finden,
was gut ist, %und edel. «w»Wir fordern von einem
Menschen von Geschmack, daß er dem Weiblichen
Geschlecht mit distinction Begegne«,». «w»Was ist die-
ses anders als Großmuht«,»: die aber hier auf
etwas unerhebliches angewandt wird. Ein
Mensch muß wenn er politesse Besietzt, muß
/ wenn
|P_240
/er Gäste hat bey der Tafel, die unterste Stelle ein-
nehmen, er muß seine größeste Mühe darin beste-
hen laßen, seine Gäste zu bewir«h»then, die Gesel-
schaft aufzumuntern, sich bestreben, wenn es gleich
mit der größesten Unbequemlichkeit verknüpfft
ist, was ist das anders als Freundschaft %und Be-
mühung des anderen «w»Wohl zu befördern. Ferner
muß ein Mensch von Geschmak in Gesellschafft nichts von
sich selbst sprechen, da«ß»s zeigt an, daß man sich kein
vorzüglicheres Recht vor andern einräumen muß,
und so gehet es mit allen Regeln des Geschmakes
im «u»Umgange. Der Geschmak in Kleidung aber
ameublement, Anlegung eines Gartens indem er
von Menschen verfeinert, %und einen Eindruk nach
seinen kleinsten Theilen abwiegen lehrt, macht
den Menschen zugleich fähig in Ansehung des Wichti-
gen, sehr leicht die Disharmonie zu empfinden«,». Alles
sittliche enthält auch zugleich, das «s»Schöne. Wenn ein
Mensch spricht was sich nicht schikt, so sagt man, er hat
keine conduite; allein oft kann man etwas sprechen
was sich schikt, aber doch nicht gefället. Es ist unser
Geschmack gleichsam ein Augenmaas vom allem schikli-
chen«,». Das Urtheil, welches wir in Gesellschaften
von jeder mine anderer Perschonen von dem Betragen,
/ der
|P_241
/Kinder, gegen ihre Eltern machen, hat jederzeit in der
moralität seinen Grund ob wir es gleich zur
politesse rechnen. Auf solche weise arbeitet der
Geschmack der moralitaet vor, und giebt ihr das
Gefällige, %und macht daß die Tugend auch in der Er-
scheinung gefällt, so ist sie ein Gebot. Gebote
aber sind dem Menschen jederzeit verhaßt«,». Es ist
demnach die Verfeinerung, des Geschmacks weil er
ein Analogon der Volkommenheit ist, von großer
Wichtigkeit. Nun aber entsteht die Frage: wie
wird der Geschmack studirt? Der Mensch muß
alles lernen, ja der berühmte Hume behaup-
tet in Ansehung des Rousseau daß selbst die
Tugend muß gelehrt werden, %und er hat in ge-
wißer art Recht. Es ist demnach kein zwei-
fel daß auch der Keim des Geschmacks durch Erler-
nung excoliret werden müße. Welches ist aber
die Art der Erlernung? durch Reglen kann man
keinen Geschmack hervorbringen; sondern der Ge-
schmack unterwirft sich nur der anschauung D.i.
dem Beyspiel oder der Erscheinung selbst. Allein es
kann mir jemand eine Sache unter der Versiche-
rung zeigen wollen, daß sie mir gewiß gefal-
/ len wird
|P_242
/Die Regeln also, die da etwas in Ansehung des
Wohlgefallens gebieten, sind jeder zeit lächer-
lich, weil die Regeln sich auf die Beobachtung
gründen, %und von der Menge der Fälle abstrahiret
sind. Wenn es sich also zuträgt, daß jemanden;
etwas, ob es gleich nach allen Reglen des Ge-
schmacks eingerichtet ist misfält, so kann man
doch nicht sagen daß der Geschmack dieses Menschen
unrichtig sey, sondern die regel ist falsch, es ist
sonderbar genug daß hier die appellation vom
Verstande zur Erscheinung gilt, da es doch sonsten
gerade Umgekehrt ist.
/Lessing ist ohne Zweiffel der «S»stärckste Kenner
der Regeln, des Theaters, in deßen gefallen doch
Viele von seinen «s»Stücken im zusammenhange nicht,
obgleich sogar die Theile deßelben gefallen«,». Wenn
Lessing einem solchen, dem seine Gedichte nicht
gefallen, zeigen wolte, daß seine Lustspiele nach
allen Theatralischen Reglen eingerichtet wäre
was würde ihm jener antworten? O
/ würde
|P_243
/würde er sagen last mich mit allen euren Reglen
zufrieden; genung es gefält mir nicht, dieses ist ein
sicheres Zeichen daß die Regeln unrichtig sind«,». Eine
jede Regel erfordert eine genaue Übereinstim-
mung Nun leßt sich durch solche Regeln leichter
anzeigen was da misfällt, als was gefällt
weil der algemeine Wiederstreit leichter
zu Beobachten ist, als der Grund der Verknüpfung
so laßen sich auch vom Geschmack zwar negative
gute Regeln geben, aber nicht positive. Es ist
der einzige Weg unsern Geschmack zu bilden daß
uns viele Gegenstände der Natur vorgelegt wer-
den, und daß wir in denselben das Reitzende
und Rührende zu «U»unterscheiden suchen. Der Reitz
gehört zum «s»Schönen, die Rührung zum Erhabenen.
zu beyden gehöret Urtheils_Krafft. Zum Erha-
benen gehöret kein Geschmack, denn nur die
Urtheils Kraft vom Schönen ist Geschmack. Alles
was durch die Mannigfaltigkeit, die thätigkeit,
unseres Gemühts in Bewegung sezt, gehört
zum «s»Schönen %und zum Reitz, was aber dem
/ Grunde
|P_244
/nach, die Thätigkeit des Gemütes befördert das
ist erhaben. Das Erhabene erreget Achtung %und
Grentzet an die Furcht das schöne er«w»reget Liebe,
%und grentzet an Verachtung; denn das was bloß
schön ist erreget Ekel; da alles was reitzet
den Menschen zwicket, alles schöne aber reizt,
so wird durch das beständige zwicken, der
Mensch endlich ermüdet, wenn man des Abt
Trablet Einfälle lieset, so wird man
der übermäßigen Lücke endlich so überdrüs
sig, %und müde, daß man wohl die abgeschmackte
ste Mährlein zur Hand zu haben wünschet.
Ueber haupt kann man nichts mehr über
drüßig werden, als das Schöne Daher auch die
süße Herren die voller Gefälligkeit und
Höflichkeit sind zulezt unerträglich wer
den, was das Erhabne anbetrift so spant
solches die Nerven aus %und schmertzt, wenn es
stark angespant wird, ja man kann das
/ Erhabene
|P_245
/Lage 16
/bene bis zum «s»Schrecken und zur Lücke
bringen. Alles «w»Wunderbahre ist erhaben, und da-
her angenehm wenn es in Geselschafften erzehlt
wird: allein in der Einsamkeit schrekt es. Ja
selbst der Bestirnte Himmel wenn man sich bey
deßen Anblik erinnert, daß es alles Welt-
körper und Sonnen sind die wieder eine Ähnliche
Menge Welt Körper um sich drehen laßen, als un-
sere Sonne erreget ein Grausen und Schreken, in der
Einsamkeit, weil man sich einbildet, daß man als
ein Kleines Stäubchen, in einer sollchen Unermeßli-
chen Menge von Welten, nicht verdient, vom al-
mächtigen Wesen bemerket zu werden. Alle die-
se Bewegungen nun des schönen %und erhabenen
lauffen zulezt auf etwas sehr mechanisches
aus. Alle diese Thätigkeit erfordert unser
Leben im gantzen.
/ ≥ Vom Wohlgefallen oder Mißfallen
/in so ferne Gegenstände als
/gut oder böse angesehen
/werden ≤
/Nachdem wir nun von dem was in der Empfin-
dung und in der Erscheinung gefält geredet, so
gehen wir zur 3ten Abtheilung und reden von
dem was in dem Begriff gefällt, oder gut ist.
Die Gründe des Wohlgefallens beym Vergnügen
und schönen sind Subjectiv. Die Gründe des Wohl-
gefallens aber von dem was gut oder böse ist
/ sind
|P_246
/Objectiv. Es ist aber auch der Grund von dem was
in der Erscheinung gefält, zum Theil Objectiv abe@r@
nur in Ansehung der Sinnlichkeit. Was angenehm oder
unangenehm sey, das verstehet ein jeder gerade zu,
wenn aber jemand eine Sache erzählt, ZE der
Apfel ist mit einer farbigten rinde umgeben
die dem Auge gleichsam liebkoset, so redet er von Er
scheinung. Nun Erscheinet zwar die Sache in uns,
nicht allein auf dieselbe Art, indeßen so doch in je
der Sache etwas, was algemein gefällt oder
Mißfält. Es sind demnach alle beurtheilungen
der gegenstände in Ansehung des Wohlgefallens
nach Gesezten der Sinnlichkeit nicht objectiv, %und ein
Urtheil von dem was schön ist, wenn ich etwa@s@
schön zu nennen das recht habe muß es
auch für andere gelten, da im Gegentheil abe@r@
die Annehmlichkeit nicht für alle gült. Wenn
also zwey über etwas, was schön ist streiten,
so hat einer Unrecht @2 %und@ mit guten recht, über
die Annehmlichkeit streiten können pp. nach Ge-
sezze der Sinnlichkeit, denn alle Urtheile des
Geschmacks sind algemein gültig nach gesez-
zen der Sinnlichkeit. Reitz %und rührung sind
Subjectiv, und gehören für das Gefühl.
Dahero wenn jemand von seinem Gedicht
/ behauptet,
|P_247
/daß es reizend sey, dieses Urtheil nicht algemein
seyn kann. Es giebt keine algemeine Geseze
der Empfindung, %und wenn ja einige darin über-
einkommen; so geschiehet es zufälliger weise. So
weis man vom zucker %und von der Süßigckeit, daß es
allen Thieren wohlschmecke: Alles dieses rühret
aus uns unbekandten Uhrsachen her. Es giebt
allgemeine Gesezze der Sinnlichkeit, die von aller
anschauung a priori erkandt werden, dieses
ist raum und zeit. Nur die Musick ist im
stande bey uns ein wohlgefallen zu erregen daß
aus dem bloßen Spiel der Empfindungen herrüh-
ret, den das bloße Klopffen der Luft auf die
Ohr trommel, kann uns nicht so sehr vergnügen,
sondern die vielen Bebungen der Luft in einer be-
stimmten Zeit, %und die proportion der auf einander
folgenden Töne, erregen bey uns das Vergnügen,
obwohl ein einziger Ton schon vergnügt, Das
kommt aber daher, weil auch der Ton schon ein Spiel
unserer Empfindungen veruhrsachet. Das Ver-
hältni«s»ß des Mannigfaltigen ist das Spiel.
In der zeit gefält also das Spiel, %und im Raum
die Gestalt. Die Größe im raum gefält ei-
gentlich gar nicht, sondern sie gehöret zur Rüh-
rung. Der aber seine Seele nicht so ausdehnen
darf, um diese größe zu faßen, wird auch nicht würk-
lich gerühret, so sagt, man daß die Ungarische Tartarn
/ wenn
|P_248
/sie einen von unsern Offecieren sehen, die Hände
ausrecken seine größe zu meßen. Diese werden
gerührt durch die Größe, wir aber sind gleichgül-
tig dabey. Daß erhabene gehört also gar nicht zum
objectiven Urtheile. Werde ich durch die Größe nicht
affivirt so ist die Sache auch nicht in ansehung meiner
erhaben. Die Menschen können sich also in Anse-
hung des erhabenen, mit Fug wiedersprechen.
/Denn Liliputter in Grönland könt ein Offecir
erhaben vor uns aber gar nicht. Die Urtheile
für das schöne müßen zwar für das gantze Mensch-
liche Geschlecht gleichgültig seyn, aber nicht für
ein jedes Wesen gut seyn muß das erhabene
kan mit zum gefühl gerechnet werden. Das
schöne aber gehört nur zum Geschmak. Einiges
ist zwar so erhaben, daß man sich rechnung
machen kan von allm für erhaben für erha-
ben aufgenommen zu werden. ZE der Ocean, die
Unermeßlichkeit der Welt Körper; allein es ge-
het hier eben so, als mit der angeführten Em-
pfindung der Süßigkeit. Es scheinet dieses eine
gewiße allgemeine Gültigkeit zu haben; und
für den Geschmak zu erhören, allein hier kommt
es nicht auf die Proportion sondern lediglich
auf das Gefühl an, daß also was keiner alg@e@
/ meinen rege@l@
|P_249
/gefallen. Da nun zum erhabenen keine
allgemeine Regel erfordert wird so kann es
auch nach keiner allgemeinen regel wohlge-
fallen. Ein Englischer Autor sagt, eine lange Linie
ist sehr erhaben, und und eine große Tieffe
ist das erhabenste: allein es wird vom ange-
führten Autor deswegen das erhabenste ge-
nandt, weil eine große Tieffe uns am
meisten dem Schräken nähret. Ein Französischer
Autor schreibt daß er niemahls den Ein-
druck des erhabenen vergeßen werde, den
er auf dem Berge Aetna da er die ganzze
Insel Sicilien mit ihren Städten, Neapel %und
hinter Neapel, das adriatische Meer hat über
sehen können, «E»empfunden bloß Verhält-
niße sind einer regel fähig, was also durch
den Eindruck aber auf keine Verhältniß
gehet, kann keiner algemeinen regel un-
tergeordnet seyn. Der Ocean ist erhaben
aber nicht für einen Seefahrer, der schon
einmal in Indien gewesen. Das schöne
aber gefält jedermann Z.E ein Stieglitz
muß wegen seinen vortreflichen Farben %und
gantz besondere proportion jedermann ge-
/ fallen
|P_250
/weil die Proportion sich unter algemeine reglen
bringen, und durch den Verstand erkennen läßt
Man hat bemerkt, daß eben demselben Menschen,
den es an geschmack einer Art gefählt, auch
in allen Arten fehle zum voraus gesagt,
daß es Leute seyn, die Umgang %und also gele-
genheit haben müßen ihren Geschmak zu
cultiviren. Man sagt der Mensch hat einen
schlechten Geschmak, d.i. eben so viel als der
Mensch hat gar keinen Geschmak; denn Geschmak
gefält an %und vor sich selbst. Es giebt Menschen
die sich nichts aus der Musik machen, %und man
wird an diesem zugleich finden, daß sie nichts
von einer schönen Schreibart, und von Poesi@e@
halten«,». Eben die Singularitaet die jemand
in einer Kleidung beweiset, hat er auch im
Umgange. So glaubt Lücke, daß er aus ei-
nes Menschen Schreibart wohl urtheilen könn@e@
wie er auf der Straße gehe ob steiff oder flüch
tig. Ja ein Autor will übernehmen aus der
wahl der Farben, die der Mensch in einer reihe
von Jahren getroffen, zu treffen was er für
eine gemühts art habe. Das alte Sprichwort
Noscitur ex foro möchte also auch beynahe ein
treffen. Denn im Geschmak offenbahren sich die
übrigen Gemühts Züge des Menschen. Man
/ könte
|P_251
/wohl aus einem Briefe sehen ob der Verfaßer
ein Heuchler oder ob er ein aufrichtiger Mann
sey. Es hat aber auch zu weilen eine große
Geschiklichkeit ohne Geschmak statt, so giebt
es große Ton Künstler ohne allen Geschmak.
Diese ersezzen den ihnen Mangelnden Geschmak
durch die Kunst, allein man vermißt durch
ihre Musiken jederzeit das gefällige. Man
sagt aber auch: Er verstehet es nicht darum ge-
fält es ihm auch nicht. es ist freylich wahr,
man muß erst die ganzze Absicht einer sahe
wießen, ehe man sagen kann ob sie gefält.
Es giebt Leute die bloß, die Kunst bewun-
dern, ZE das %jemand die haut_bois spielen
kann daß sie den Ton einer Flöte verräht;
Allein solche Leute gehören in die Claße
dererjenigen, denen eine Sache ihrer Selten-
heit halber gefält, %und diese haben gar
keinen Geschmack. Man hat die so genandten
Passings_Drechsler die alles schön %und nett Drechs-
seln: Wenn nun Jemand eine solche gedrechselte
Dose sieht, %und wei«s»ß, das es eine Dose ist, %und
was für Arbeit sie dem Künstler gekostet
hat, so ist er wohl ein Kunstverständiger hat
aber deswegen noch keinen Geschmack %und ein Gegen-
theil der Natur des Geschmacks ist Leichtigkeit,
wer also einen schönen angelegten Garten, aber
mit vielen 1000 %Reichsthalern zusammen gebracht oder
/ eine
|P_252
/Prächtige Tafel siehet, wo ein großer Aufwand
herschet, so gefält dieses eben nicht sehr, aber
mit wenig Kosten so einzurichten, daß dieses ge
fält, dieses gehöret für den Geschmack. Die
Pracht ist also dem Geschmack gantz entgegen.
Den Magnificence %und geschmak sind unterschieden
Obgleich beym Geschmack einiger maßen Magnifi-
cence seyn muß. Als Zeuxis die von einem
andern mit vielen Perlen Gold %und Silber gemahlte
Venus sahe, sagte er dem Künstler, da du die
Venus nicht hast schön «m»Mahlen können hast du
sie reich gemahlen. Das Spiel in Geselschaft
zeigt keinen Geschmak, sondern es muß nur
zum Nothmittel dienen um lange weile Vor
zubeugen als denn wenn die Geselschaft
eine monotonie Bekömmt Das spiel aber ist
soweit gut, weil in demselben ein beständiger
AusBruch von Leidenschaften statt hat. Das
Gemüht hat eine motion allein es rühmt
sich auch aus, und befreyet einen auch in e@t@
was von der beständigen Höflichkeit, weil ein
jeder sein ganzzes Recht dabey braucht, dem andern
zu schaden sucht, %und ihm Masken macht. Es ver-
gnügt daßelbe weil durch die Leidenschaften, d@as@
Principium des Lebens auf alle Art gezwickt
/ wird.
|P_253
/Sartorius sagt, daß er beym Spiel am meisten
transpinire. In einer jeden Gesellschaft sucht
die Manns-Person dem Frauenzimmer zu ge-
fallen weil dieses die beste Richterinnen
in ansehung des äußern sind. Es sind dem-
nach die Gesellschaften die Schulen des Ge-
schmaks für Mannsperschonen. Es ist aber
sonderbahr, daß der Umgang mit Frauen-
zimmer %und Mannsperschonen für erstere
keine schule des Geschmaks ist, sondern um
diesen zu lernen, müßen sie mit andern
Damen umgehen. Das Frauenzimmer hat die
Mannspersonen in Gesellschaft um darum nöh-
tig, weil ihre Talente von letztern aufgefor-
dert werden. Das Frauenzimmer kleidet
sich nicht für Mannsperschonen, denn es weis,
daß es diesen öfters im Neglegé beßer
gefält, als im Putz sondern bloß für andere
Frauenzimmer deren Musterung durch zu gehen
nichts leichteres ist.
/ ≥ Vom Geschmack verschiedener Nationen ≤
/In Europa ist eine Nation; die das eigentliche
in rücksicht aller Nationen in der Welt hat. Das
ist die Französische ihren Wehrt wollen wir
hier nicht untersuchen, weil die Urtheile sehr
verschieden aus fallen würden. Es scheinet schon zu
Caesars Zeiten diese Nation im Geschmack sich her-
vor gethan zu haben. Es herschet bey der selben eine be-
/ sondere glückliche
|P_254
/Art von Leichtsinn, vermöge deßen sie die wichtig-
sten Sachen en bagatelle tractiren, und zu weilen
Kleinigkeiten sehr erheben können. Es ist dahero
ausgemacht; daß wenn bey ihnen eine Sache
in großen Ansehn ist, solches ein sicheres Ken-
zeichen ist, das ihr bevorstehender Untergang sehr nahe
ist, %und deßen Gegentheil eine sache die gantz her-
unter gekommen eben deshalb ein Schicksahl zu
erwarten habe welches sie empor bringt. Es
gehört auch in der That ein beständiger wechsel
für den Geschmack. Ein sehr munterer Geist macht
diese Nation zum wahren Muster des Geschmaks
welches sie auch wohl nicht auf hören dörfte zu
seyn, es sey den daß eine besondere Art von re-
girung solches Bewirken solte. Im alten Gri-
chenland scheint noch mehr, als Geschmack ge
herscht zu haben, für welches man keinen Nah-
men weis, weil bey ihnen nicht nur die leichtig-
keit, sondern eine Art von Proportion %und ein
wahres wohlgefallen nach gesezzen der Sinnlich-
keit statt hat. Es haben die Franzosen in an
sehung der Manieren gantz was besonderes, und
ihre Erziehung ist durchgängig so gut, daß die
Tochter eines Handwerckers eben die Conduite hat
als die Tochter einer Herzogin, solches hat selbst
beym Männlichen Geschlecht statt, bey uns
aber ist hierinnen eine erstaunende gradation,
/ und
|P_255
/findet, man auf der obersten Sproße plumpe
Leute. Dasjenige was an den Franzosen nur
allein zu tadeln ist, ist der unbändige Leicht-
sinn der Jugend sie haben die sittsamsten
Ohren %und sind, doch selbst nicht sittsam, in-
deßen haben sie doch keine wahre Höflich-
keit, Die Deutschen sind eigentlich viel Höfli-
cher als sie: in Gesellschaft der Frauenzimmer binden
sie sich nicht an die reinlichkeit im ausdruk
%und der Aufführung, so haben sie vielmehr
hierinnen hardriese«n». Wenn sie aber zu Jah-
ren kommen haben sie eine besondre Annehm-
lichkeit im Umgange, die sie auch bis ins späte-
ste Alter Behalten. In Frankreich wird
ein fremder sehr höflich begegnet aber zu
Gaste bittet ihn keiner. Dagegen herscht
in Deutschland die Gastfreyheit, durchgän-
gig. Es ist aber wahr daß die Deutschen
in Ansehung des Geschmacks niemahls werden
original werden ob sie es gleich in Ansehung
des Methodischen in ihren Schriften sind wo-
rinnen sie es allen Nationen zuvor thun.
Die Deutschen Schriften sind wie ein Mensch-
licher Körper dem die Haut abgezogen, wo zwar
viele zusammenstimmung in den Nerven, und Mus-
/ keln
|P_256
/herscht, der aber doch niemahls in solcher Gestalt
gefält. Es herscht viel Genauigkeit in den
Schriften der Deutschen, aber keine schönheit. Der
Geschmak ist noch von der reinlichkeit unterschieden,
ob wohl ersterer ohne letztern nicht bestehen mag.
Dahero finden wir Nationen wo zwar Geschmack aber
keine Reinlichkeit herscht, welches man von Italien
zu verstehen pflegt. Es ist daselbst ein recht hoher
Geschmack aber der Reinlichkeit Befleißiget man sich
gar nicht. Die Hallender hingegen die die rein-
lich«keit»sten sind haben gar keinen Geschmack. Der
Geschmack unterscheidet sich vom Vergnügen in
der Empfindung. Denn der appetit wählt
das was ihm gefält. Die reinlichkeit und be-
sonders die zierlichckeit hat nur unter mehre-
ren Menschen statt; wo einer die Musterung
des andern passiren muß. Von einem Men-
schen aber der gantz exulirt sich auf einer wü-
sten Insel befindet, wäre solches nicht zu
fordern. Es wäre auch in der That lächerlich wenn
er ehe er aus der wüsten Insell Tritt sich
die Haare krausen wolte. Dieses zeiget
offenbahr daß der Geschmak nur auf das
äußere des Menschen geht. Was die Englische
/ Nation
|P_257
/betrift, so zeigt selbige in ihren Verrichtungen
Sentiment, man hat im Deutschen keinen Aus-
druck, der den sinn des Wortes und Verstan-
de, worinnen es hier genommen wird entsprechen
man könte es durch erfindung übersezzen: al-
lein eine Empfindung zeigt wieder mehr als
Sentiment an. Es drückt eine gewiße Voll-
kommenheit aus, die für die Vernunft gilt,
derjenige also welcher eine Sinnliche Urtheils
Kraft hat, welche das Vermögen ist, Din-
ge zu wählen %und nach den Sinnen zu erwe-
gen die vernünftige Urtheils_Kraft hin-
gegen, ist das Vermögen Dinge zu wählen %und
durch die Vernunft zu erwegen. Man sagt
von einem Menschen er sey sehr vernünftig
wenn er durch eine wülkührliche Handlung
der Vernunft, den Wehrt oder unwehrt,
der Dinge Unterscheiden kann, wenn
aber Menschen die nicht Studiret haben
gantz in praemeditirte Vernunft in ihren
reden äußern, so gefält dieses noch mehr.
wenn ZE jemand einen andern aus Noht
geholffen, letztrer ihm solches hernach wie-
der geben will Er aber sagt: ich hatte schon
/ im
|P_258
/im sinne ihnen das Geld zu schenken, da ich es
ihnen gab, ich muß also das Versprechen was
ich mir selbsten gethan halten pp: Es hat ferner
mit dem Sentiment die Bewandnis, daß wir
solches mit der Erkenntnis des guten %und Bösen,
noch eine Art von Gefühl deßelben bewei-
sen. Es gehört eigentlich das gute %und böse
nicht für das Gefühl wie wir schon wißen,
sondern für den Verstand, so schätzt ein jeder die
Tugend, auch der Lasterhafteste aber sie
vergnügt ihn nicht. Ein Menschenfreind kann
für seine Perschon einen andern gantz gleichgül-
tig seyn, obwohl objective die Menschen-
freundlichkeit an ihm gefält %und geschäzt wird,
aber als denn hat der andere kein Gefühl %und
kein Sentiment. Es giebt viele Lehrer, die die
Tugend unabläßig lehren, aber selbst in An
sehung derselben gantz gleichgültig sind.
Diese sind den Wegweisern nicht ähnlich,
die zwar immer den Weg zeigen, sich aber nie
niemahls von der stelle bewegen. Es entste-
het hier aber die Frage? was bey uns das
so genannte Gefühl der Lust oder des Ab-
scheues hervorbringen kann Der Grund hie
von ist schwer einzusehen, in deßen ist so viel
/ gewis
|P_259
/daß es keine geistige regung seyn kann,
weil es eine contradictio in adjecto wäre,
sich bey einem Menschen eine geistige Regung
zu denken, %und alles wohlgefallen beym Men-
schen kommt von Körper her. Wir kommen
jetzt wider auf die Englische Nation zurük,
sie hat gar keinen Geschmack aber doch etwas
was dem Geschmack ähnlich ist oder sehr nahe
kommt; man könte es ein Analogon von Sen-
timent nennen. Man bewundert billig
die richtigkeit %und Vollkommenheit in den Ar-
beiten der Engelländer, die die Gegenstände
der Sinne betreffen bey einem Gegenstan-
de der Sinne ist die Bonitas %und Pulchritu-
do so nahe verwandt, daß man sie kaum un-
terscheiden kann, der richtigkeit halber de-
ren man sich in Engelland befleißiget,
kommt es auch daß die Französische Regirung
daselbst alle ihre Astronomische Instru-
mente anfertigen läßt. Ob nun gleich
die richtigkeit in den wercken der Engelländer
das gröste Lob Verdient, so fehlt es
doch derselben an Haut. Es ist in, deßen
nicht zu leugnen, daß das, was richtig ist
/ auch
/~Rand_259_Z_23
/{2- (gout?) -2} ~
|P_260
/einiger Maaßen schön sey, weil die Volkommen-
heit und Schönheit stark an ein ander Grentzen.
Was die Schriften anbetrift, so ist die Haupt
absicht der Franzosen in denselben die Verschön-
nerungen, so daß sie außer der Mathematik
in allen Wißenschaften ihren Witz spielen
laßen, ja so gar die Metaphysic halten
sie für einen Fruchtbahren Boden für die Bilder
ihres Witzes, sie gehen in ihren händlen so weit
daß schon alle Gründlichkeit bey ihnen wegfält,
und daß man außer Mathematick %und Physick
nicht den geringsten Nuzzen ziehen kann. Die
Die Engelländer zeigen in ihren Schriften
keinen Geschmak aber doch eine Art von
Sentiment oder Genie. Das Genie ist vom
Geschmak aber disponiret und ordnet sie so
daß sie in der Erscheinung gefallen es ist
hier eben so ein Unterscheid, als zwischen
einer Tafel wo zwar alles mögliche Eßen
vorhanden ist wo aber einer die Suppe
der andre den Braten der 3te den Kuchen ißt
und wo alles ganz ungeordnet
/ hingesezzet
|P_261
/{3- ist, daß man in einem Augenblick sich ein Bild von
der ganzen Tafel in der Seele machen kann. Bey der
letzteren herschet Geschmack bey der ersteren aber nicht.
Die großesten Autores als Young. Pope, Addisson
haben etwas frappantes und hohes in ihren Schriften
aber nichts gefallendes, keinen Geschmack, selbst.
Hume einer ihrer großesten Autoren gestehet. von
seiner Nation alles das was wir angeführet haben.
Aus dem Geschmack der Nationen. nen kann mann sehr
leicht den National_Charackter beurtheilen. Wenn
der Geschmack prachtig ist so zeiget solcher den Stoltz
der Nation an als in Spanien in der Malerey. Bau-
kunst Malerey Musick zeigt sich daselbe besonders.
Ihre besten Mahler als Raphael und Michel.
Angello zeigen in der Malerey einen recht hohen
Geschmack. Ohnerachtet des vorzüglichen Geschmackes
den die Franzosen zeigen. vermißt mann die Em-
pfindung. Mann merckt auch im Umgange mit Fran-
zosen. sie sind ungemein artig. aber dabey ohne
Empfindung. auch ihre Gebäude zeigen es.
selbst Versailles ihr Meisterstück betrachtet.
findet man zwar viel prächtiges aber nichts
frappantes. Dagegen in Engeland die gro-
ßen Parcks darinnen sie den Geschmack der
Chineser angenommen zu haben scheinen. frappi-
ren sehr siehet man bey uns nicht das geringste
/ Beyspiel.
|P_262
/von der Idee des Gartens. das komt dahero
weil man diese Sorge ganz einfaltigen
Leuten über laßet. Es hatt ein gewießer
Autor den Geschmack der Chinesischen Garten
beschrieben man findet auch Nachricht hievon in
der Bibliothek der schönen Wißenschaften.
In Asien ist keine Nation die Geschmack
hatt. außer der Persischen. Die Perser sind
die Franzosen in Assia. wo aber das Tartarisch@e@
Blut hingekommen. da hatt es die Nation grob und
ohne Geschmack gemacht. Wie weit. sind die @Teur@
von allen freyen Empfindungen entfernet.
sie tanzen gar nicht und ihre Frauen ihre @Mus@
ist zum Melanchalischen schwer fällig. Sie
tuhen nichts als Tabak rauchen, Coffe trinken.
und wen sie verstohlene Weise @V@ein trink@en@
so schweifen sie sehr aus. Die Perser
haben einen weit feineren Geschmack sie
sind gute Dichter %und dem Schmerz un
gemein ergeben. sie sind satirisch im Dich@ten@
und Witzig. In Ansehung ihrer Religion
aber sind sie so leichtsinnig wie die Franzos@en@
sie plaudern in ihren Moscheen trinken auch
Coffe sagen auch zuweilen zu ihrem Predig@er@
ja du hast recht. die Türken hingegen
sind von ganz unglaublicher Ernsthaftigkeit
Wir finden im Hackmonn eine Passage.
/ wo ein
|P_263
/ein Türck erzählet daß ein daß ein Franzose mit dem
Teufel auf dem Wege zusammen gekommen. worauf.
sie Gesellschaft gemacht. und unter sich ein gegan-
gen wären, daß einer den andern auf seynen
Achsell wechsels weise tragen solte. so lange
als der getragen würde seyn können hie-
rauf hätte sich der Franzose zuerst aufgesetzet
und sein tralleri trallera gesungen. Nun
sagt der Türcke daß, derjenige der sich
mit dem Franzosen im singen ein ließe
übel daran wäre,. China scheinet einen pri-
vat Geschmack zu haben, solches bemerket
man aus ihren Gebäuden. die alle nur eine
Etage haben. aber sehr bequem gebauet sind.
wenn man sich ein mahl in ihren Geschmack ge-
wohnet hatt. so gefällt es einem recht gut
unter ihnen. Was die alten Nationen betrift
so verdienen die Grichen in Ansehung ihres
Pratiments. oder des so genanten edlen
Geschmacks. der ihnen eigen war. den Vorzug
vor allen, Die Urheber aller Künste und
und Wißenschaften sind die Indianer, von die-
sen kamen sie auf die Grichen. die sie
ausbildeten und die Grichen brachten sogar
die Musick in eine Art von Theorie. Phy-
/ tagoras
|P_264
/Phytagoras machte den Anfang. und entwarf. Ca-
nones musicas. nach ihm Aristaxes von Tarent.
Die Römer die die Schüler der Grichen waren
brachten es niehmaalen so weit am wenigsten in
Werken des Geschmacks. Die Grichen hatten.
bey der Bildhauer Kunst die Ideen die zum
Grunde liegt beynahe getroffen. Es ist aber auch
wahr daß die Mitilogische Religion viel
zur Vollkommenheit der Bildhauer_Kunst bey
trug. Ueberhaupt ist eine Religion die ans sinn
liche klebt. den Künsten sehr vortheilhaft
Bachus wurde in einer sehr schönen Gestallt
praesentiret nicht so wie man heut zu Tage den
Bachus mahlet. Sie hatten 3. Welt Alter angenomm@en@
/I. Die Zeit des Saturni die das goldene Zeit-
Alter war.
/II. Die Zeit des Jupiters. da die Wuht und Gewalttha
tigckeit im Schwange gehet. und in der Zeit leben wir.
/III. Die Zeit des Bachus da heißt es werden die
Menschen fröhlich und guter Dinge seyn.
/Ihre Bellona stellete die Kriegerische Wuht
Minerva die kriegerische Klugheit vor. den
Mars mahleten sie im %.Königlichen ansehn sehr eigen,
und übertraf nicht die Schöhnheit der Venus.
Kurtz alle ihre Statuen zeigen von ihrem freien
Geschmack und vom Verstande der Maler. Die aus so-
vielen Bildern die ihnen die Phantasey vormachte
/ dieyenigen.
|P_265
/diejenigen Stücke zuzurichten wusten die mit der
Idee des Menschen so vollckommen über einstimmt
daß mans heut zu Tage in der Mahlerey weiter
gebracht hätt. Dazu hatt die Erfindung der Per-
spective. und Öhle-Farben von der die Griechen
nichts wusten, anlas gegeben. Mann hatt gewiße
alte Gebäude als den Nordson in England.
und andere mehr. von denen mann saget daß sie
im Gothischen Geschmack gebauet wären, Mann
findet viel edles in dieser Bauart und es ist
daher wohl nicht einer so rohen Natur zuzuschrei-
ben. Daher auch einige die Mohren für deßen
Verfertiger halten. Die Schreib Art der Morgen
länder ist nicht nach zu ahmen. weil sie sehr bil-
derlich ist. Denn diejenigen. welche viele Bil-
der haben. zeigen wenig Verstand. so wie die
die mit den Händen viel fechten können. nicht
viel mit dem Munde zurecht kommen, Ein Bild
welches einen Begriff anschauend macht ist für-
trefflich als eine richtige Vergleichung. Das
Bild muß aber nur als eine Folge der Idee
anzusehen seyn. Die Vernunft braucht die Sinn
lichkeit. wie die große Herren ihre Bedienten
Allein die Morgenländer setzen anstatt der
Vernunft die Sinlichckeit. Noch etwas von
der vernünftigen Urtheils_Kraft. Diese
/ beurtheilet.
|P_266
/beurtheilet ob etwas vollckommen oder un
vollckommen gut oder böse sey. Das Urtheil
dieser vernünftigen Urtheils_Kraft muß für
alle gelten, daher mann auch von den guten und
bösen Maximen die Principia der Beurthei
lung a priori geben kann, Um aber zu bestimm@en@
was schön oder häßlich müßen wir viele Erfah-
rung haben, ¿ d. i., wir müßen a posteriori herlei
ten, Wir kennen dasjenige was unsere Sinnlich
keit ins Spiel bringt nur aus Erfahrung. Es ist
etwas vollckommen in Beziehung auf einen andern
Zweck oder auf sich selbst, jenes macht die @mittel@
baare Bonitaet oder die Nützlichckeit dieses
die mittelbare Bonitaet aus. Es ist die Tugend
im ganzen betrachtet immer nützlicher als das Laster
und ich bin versichert daß wie alle Menschen 100
Jahr leben mochten, alle Schelme zuletzt an den
Galgen, und alle Tugendhafte zu Ehren kämen,
Nun aber ihre Lebens_Zeit kurtz ist. so kom@men@
sie nicht an den rechten der den Tugendhaften
zu belohnen und den Lasterhaften zu stürtzen suche
Außer der Nützlichckeit aber hatt die Tugend ei
nen innern Werth. oder eine unmittelbahre bonit@taet@.
Es kann etwas nach logischen Reglen gut seyn,
wenn es wahr und deutlich ist. oder auch nach
practischen Reglen, wenn es brauchbahr ist
/ dieweil
|P_267
/die Vernunft nichts desto weniger würcket.
ob wir uns gleich ihrer Thätigckeit nicht be-
wust seyn, so komt es daß wir durch den Verstand
urtheilen, und was wir anzuschauen gedencken.
Wir haben auch ein Sentiment der gesunden.
Vernunft. welches mann am Voltaire am meisten.
bewundern kann. Das Sentiment ist in Ansehung
des guten das. was die gestus in Anschauung
des schönen sind. Die Menschen befinden sich
bis weilen in einem stande. wo sie sich kurtzer Em-
pfindungen bewußt sind. Zuweilen aber sind sie
so unruhig daß sie beständig wünschen und doch
keinen Gegenstand der Wünsche haben. Einige
Menschen sind im Stande den ganzen Tag die Leute
durchs fenster spatzieren zu sehen. und eine
Pfeiffe Toback zu rauchen, die glauben nicht ordent
lich zu leben, und wißen nicht das daß Leben nichts
darin bestehet. daß mann bloß seynen Körper die
gehorigen NahrungsMittel reichet. dennoch abe
ist diese glückliche Gedanckenlosigckeit weit-
beßer als das mann wünschet und nicht weis was
mann wünschet. dieses ist gemeiniglich der Zustand
der Reichen. Mann nennet diesen Zustand auch ge-
meinhin der Vapeurs und der üblen Launen.
/ Ein
|P_268
/Ein Mensch der sich eine bastendige Abwechselung des
Vergnügens oder eine uner müdete Geschäftigckeit
angewohnet hatt. den quälet nicht allein die
lange weile. wenn mann sich auf einmahl die Empfindsamckeit
wählet die unter dem Nahmen Vapeurs das frauen-
zimmer verzehret. sondern auch die beständigen Wünsche
ohne Gegenstand. Der Mensch kann sich ann alles gewöhnen.
doch hatt er auch einen Hang zur Einsamckeit. aber auch zu¿
Abwechselung daher auch einige wen sie zu Hause sind
und nicht Abwechselungen haben unruhig sind, Es zei-
get aber schon eine Kranckheit an wen ein Mensch wün-
schet und weis nicht was. dieses laßt der grillichte
Zustand oder die üble Laune die sehr gefährlich ist:
daher ein gewißer Autor saget, die Engeländer hängen
sich bloß auf um die Zeit zu vertreiben. Als Lord
Montmow sich mit einer Pistole erschoß. fand mann
auf dem Tisch ein Billet worinnen stand alle Tage
spielen schmausen in Carossen fahren maitressen
zu caressiren pp: ist immer dieselbe Abwechselung
in der Welt mann muß in eine andere Welt gehen
und Abwechselungen suchen. gewis mann hatte
ihm diese Abwechselungen nicht verdacht. wenn er
nur zurück gekommen wäre, Unsere Fähigckeit
/ zu
|P_269
/zu genießen wird matt. wenn man gleich das Ver-
mögen hatt sich alles werden zu laßen. Daher
auch bey manchen Leuten die ganze Zeit zwischen
der Mittags und AbendMahlzeit verlohren gehet.
Das Gemüth wird zuletzt in der Fahigckeit zu
genießen stumpf. Eine solche Kranckheit ist mit nichts
zu heilen, als durch Geschäfte die S mann durch Zwang.
tuhet, Denn wenn das Mittel nicht gebraucht wird.
so verlieret der Mensch zu letzt allen Geschmack
am Vergnügen. Ein jeder Mensch hat diese Absicht
nehmlich erst was zu lernen, unnd ein Amt zu beckommen.
hernach eine Frau zu nehmen und sich in Ruhe zu be-
geben. Die Faulheit ist also die letzte Aussicht
die ein Mensch intendiret Ein Mensch der sich
selbst eine Arbeit aufleget und arbeitet. so viel
als ihm beliebet den keiner wird sich mehr
Arbeit auflegen als er tragen kann, arbeitet.
gar nicht, sondern seine Bescheftigung ist nur occu-
patio. Es muß ein jeder Mensch zur Arbeit ge
zwungen seyn folglich muß seyne Bemuhung eine
beschwerliche Bemuhung seyn, auf diese beschwer
liche Bemuhung folget eine Ruhe des Geistes.
/ daher ein
|P_270
/ein KaufMann am PostTage wen er vormittag ar
beitet gerne nach Mittag in Gesellschaft gehet die
lustig ist. Weil er als dann am aller vergnügsten ist.
Den da wir durch die Arbeit unsere Gefäße von
Nerven_Saft ausleeren, so werden selbige bey un
ser Ruhe wider gefüllet. welches das Vergnügen
wieder hervorbringet. Ein Mensch der schon gar keinen
Herrn hatt. hatt schon einen großen Mangel. Der
launigte Zustand von dem wir oben gemeldet ist
von Sehnsucht es giebt nun aber mußige Begier
den und Wünsche und auch thätige. Die tathige
Begierden gehen auf dasjenige was in meiner Macht
ist zu erlangen, Es ist aber für den Menschen nichts
unanständiger als sich mit mußigen Begierden zu
beschäftigen Diese müßige Begierden werden ge
reitzet.
/I: Durch ein vorgemahltes Idealisches Glück wel-
ches in denen Romanen geschiehet die das Ge-
müth zu leeren Wünschen desponiren. mit einer
solchen Idealischen Welt kann man sich nur eine
kurtze Zeit vergnügen,
/II: Durch die Beschäftigung mit einem wahren
Ideal. solches siehet mann ann denenyenigen.
die von nichts als Tugend und Vollckommenheit
reden, und schreiben, aber niemahls bemerckt
/ haben.
|P_271
/wie groß der Grund der Tugend sey deßen
ein Mensch fähig sey.
/Hierin hatt Gellert gefehlet. er blähet das Herz.
gleichsam mit moralischen @W@inden auf. er re-
det von nichts anders als von Wohlgewogenheit
Menschenliebe Mittleiden. niehmahls aber
bemerket er ob die Forderung auch dem mensch
lichen Vermögen angemeßen ist Mann setze aber
einen solchen Menschen in die Welt der von
alle diesem Unter richtet ist. so wird mann zwar
finden daß er an dem Carackter mit Bewunderung
gebunden seyn wird. allein er haesitiret wenn er zur
Ausübung komt solche Menschen sagen gemeiniglich.
wen ich nur soviel Geld hätte. wie gerne wolte
ich es mit den Armen theilen, mit welchem
Vergnügen würde ich den Elenden. unterstütze
komt mann aber zum Vermögen so heißt es -
Es wird mir niemand verdencken daß ich gemächlich le-
ben will ich muß Wagen und Pferde kaufen
und den bleibt für die armen nichts übrig Er-
langet er weitläuftige LandGüter so gedencket
er sich in den GrafenStand erhaben zu sehen.
und hier fordert es sogleich die Ordnung
daß man anständig leben muß. Wo will da für
den Armen etwas übrig bleiben. Im hamburg
schen Magazin findet mann eine gute Annec
/ dote
|P_272
/Anecdote. Es waren nehmlich zwey Vertraute ge-
wesen die sich von dem niedrigsten Stande
bis zu den hosten Stuffen empor geschwungen sie
hatten sie hatten aber beyde in ihren Leibes_Um-
ständen geklaget, daß sie nicht mit gnugsamen
Glücks Gütern versehen wären selbst als Räthe
klagten sie über die Unzulanglichckeit ihrer Glücks
Güter und Einkünfte keine Ausflucht war ihnen übrig
eine complette Bequemlichckeit zu erlangen.
als Betrügerey und Räncke die sie auch zufrie
den stellete allein man schlage nur verbotene
oder gesetzwiedrige Wege ein, so wird Verrätrey
nicht weit seyn ihr Ausgang zeigt es. den sie wur
den entdeckt und musten den Rest ihrer Jahre in Zucht
häusern zu bringen, hier zeigte es sich daß sie ge
nug zu leben hatten. Die Menschen werden durch
die müßigen Begierden oft hintergangen. ZE: -
In Anschauung der Frömmigckeit, weil ein Mensch
überzeugt ist, daß ein Mensch sich Gott zu Ehren,
so wünschet er inniglich Gott herzlich zu Ehren und
fürchten zu können jetzt ausert er es zuweilen mit
Worten die dem Ansehn nach aus einem Ehrfurchts
vollen Herzen fließen nun bildet er sich ein
er fürchtet schon Gott jetzt also in seinen an
derweitigen Geschäften und glaubte also schon
genug gethan zu haben. Hier aber ist kein beße-
rer Probier_Stein, als das Leben eines solchen
/ Menschen.
|P_273
/wenn mann genug Aufmerksamckeit hatt. so wird uns
sein Seelen_Zustand bald sichtbar werden. Es
ist beßer «s»Standhaft zufrieden und hart zu seyn
als ein gar zu weiches Herz zu haben; Ich verlange
nicht daß Leute Mittleiden mit mir haben sollen ich
werde schon mein Elend allein zu tragen suchen will
mir jemand seine affection zeigen. und helffen ohne
zu weinen so kann mann nicht helfen. so tritt hier die
Meinung der Stoicker vor. sey nicht ein Spiel von des andern
Empfindung. sondern suche darin freude zu helffen.
gehts nicht ann so kehre dich um und sey hart.
/Wir wißen nunmehro daß es müßige und täthige Be
gierden giebet Diejenige Leute die musige
Begierden haben. sind gemeiniglich verdrießlich
sie wünschen und nichts ist ihren Wünschen gemäß.
Da nun aber in der Welt nicht alles aus unsern
Wünschen entspringt, so ist es am besten daß.
man seinen Willen nach dem Lauf der Dinge richte
und zu hemmen suche volentem facta curant, noten-
tem trahunt. Der Lauf der Dinge wird durch
unsern Willen gehemt, er rafft uns mit wenn
wir uns gleich wiedersetzen solten. Ein hartnackiges
Wollen zerreißt das Herz mit lerren Begier
den, ein Mensch der aufgebracht ist. und nachdem
er zornig ist nichts schaden kann. ist weit zorniger,
als deryenige der seinen Zorn ausgießen kann.
Die desideria bey den Alten bedeuten
eine wunderbahre Sehnsucht nach Dingen
/ die
|P_274
/die schon geschehen. Nos omnes coepit desi-
derium defuncti. Ein Mensch kan begehren
und doch zufrieden seyn, wen er seine Begier
den für entbehrlich hält, wir konnen unsere
Begierden in sinliche und niedere, und in in-
tellectuelle und obere, Begierden. eintheilen.
Die sinnlichen entstehen aus der Vorstellung
des angenehmen und schönen, die intellectuellen
aus der Vorstellung des guten und bösen. Die
sinlichen entspringen aus der Art wie mann
affectiret wird und heißen Triebe der Hang
ist ein Grund, woraus eine Neigung beym Men-
schen entstehet die Begierde nach einem Gegen
stande heißt Neigung. Die Begierde nach einem
noch unbeckanten Gegenstande, heißt Instinct,
der Mensch hatt oft einen Hang zu dem wozu
er noch keine Neigung hatt. so hat manche,
Nation einen Hang zum Sauffen der denen
allererst zur Neigung wird, wenn sie ein starckes
Geträncke kennen lernen. Das Weib eines
Wilden welche doch niemalen ans Herschen
gedencken darf hat einen Hang dazu Bey Kin
dern ist oft ein Hang zum Bösen. wenn sie noch
keine Neigung dazu kennen solche Kinder
kann mann unschuldig nennen. in Ansehung der
facta. aber nicht in Ansehung des Carac-
/ cters.
|P_275
/Diesen Hang rechnet mann nicht zum Tempera-
mente. mann kann ihn bey. frühen Jahren zu
rück halten, und ihn auf die Gegenstände lencken
Der Instinct ist also eine sinnliche Begierde
nach einem Gegenstande den man selbst
nicht kent. so hungert dem Menschen wenn er
gleich niemahls Eßen gesehen hätte. Eine
solche Bewandniß hatt es mit dem Geschlech
ter Neigung. Die Neigung ist ein dauerhaf-
ter Antrieb in Ansehung eines Gegenstan-
des den mann kent«,». Ein Antrieb ist also noch
keine Neigung sondern dadurch daß man die-
sen Antrieb ofters folget entstehet eine Nei-
gung. Die Neigung kann einem jeden Men-
schen repraehiret werden, Allein kein An
trieb, den zur Neigung ist mann durch die öftere
Befriedigung des Antriebes geckommen, da
mann doch nur nach Grundsätzen handeln solte
Einige Menschen faßen sehr geschwinde
zu etwas Neigung, allein eben dieselbe
beckommen auch zu balde eine Abneigung da
rann, und in der Tath kann es nicht anders
seyn, denn ein Baum der lange wahren soll
muß lange wachßen. Ein Trieb ist nicht zu
/ verwerfen.
|P_276
/es ist gleichsam ein Winck der Natur dadurch
sie dem Menschen zu etwas einladet, die
jenigen bey denen kein Ding einen Trieb
verursachet. nent mann unempfindlich so sagt
mann daß alle Indianer und Nordamericanische
Neger unempfindlich seyn sollen. Es ist wahr
mann schätzet einen Menschen hoch der nach
Grundsatzen handelt, handelt er aber nie aus
Neigung so wird mann schlecht mit ihm zufrie
den seyn. ZE: Wie würde sich eine Frau ge-
bährden wenn sie wüste daß ihr Mann ihr blos
beywohnet um den Stand der Ehe zu er
füllen, aber nicht aus Neigung. Indeßen ist
es doch durch die Erfahrung bestätiget daß
die Ehen da jemand blos einer regelmäßi
gen Wirthschaft wegen eine Frau nimt weit
dauerhafter sind als alle Ethusias-
tische Ehen. Denn ein solcher Mann er
zeiget seyner Frau die gebührende Ehre
Achtung und in der Länge der Zeit findet
sich auch Neigung ein.
/ Wir
|P_277
/Lage 18
/Wir handlen noch etwas von dem Begehrungs_Vermögen ab
Es ist aber schon gesagt, daß Hang Trieb Neigung und Affeckt
ganz unterschieden sind. Man kann eigentlich nicht sagen, der Mensch
hatt eine Neigung zu allem Bösen sondern er hatt einen
Hang dazu. Wir haben also sehr wenig Ursache unns über
andere Menschen zu erheben. Das einer zum Galgen ge-
führet wird, der andere die hochste Ehrenstelle erreichet.
komt vieleicht bloß von der Erziehung, indem der erste Ge
legenheit gehabt hatt. seinen Hang zum Bösen in Ausubung
zu bringen. beym letzteren aber dieser Hang erstickt ist.
oder anders gelencket worden. den der erste Hang der Men-
schen ist jederzeit thierisch. Der Hang ist eine Hipa-
tetische Möglichckeit zur Begierde, den mann hatt zu
derselben noch keine Empfindung.
/Der Trieb Stimulus ist der Grund des Ursprunges
einer sinlichen Begierde durch den Trieb wird der
Mensch zur Begierde gereitzet. aber mann begehret
noch nichts. Die Triebe sind beym Menschen
wegen Mangel der Vernunft oft nöthig. Aber
die Natur giebt uns die Triebe wo die Ver-
«t»nunft vieleicht zu schwach ist. um uns zu überreden
ZE: die Geschlechter_Neigung. Wenn hier die
Menschen keine Triebe hätten, wie wenig
würde die Welt bevölkert seyn. Alle Trie
be zusammen genommen. machen blos das Fleisch
/ liche
|P_278
/Fleischliche, die Bewegungs_Gründe der Vernunft.
aber. das Geistliche aus. Diese wiederstreiten ein-
ander sehr oft. Da nun aber alle Triebe blind sind
den die Triebe urtheilen nicht so so müßen sie von
der Verunft im Zaume gehalten werden. Die Natur
hatt uns Triebe zur Fortpflanzung unseres Gesch-
leichts gegeben; eben so den Eltern für ihre Kinder
zu sorgen. aber nicht umgekehret, den Kindern für das
Wohl ihrer Eltern zu sorgen. Alle Triebe der Dank
barckeit. Wenn es aber die Kinder thun so ist es blos
eine Sache der Reflection von seiten der Kinder
Großelternn lieben ihre Kinder noch weit mehr. als
ihre rechte Kinder. die Ursache die Helwetius hie
von anführet ist etwas hart. Er sagt nemlich sie
lieben sie daher. weil sie feinde ihrer Kinder sind
weil sie eben so auf den Tod ihrer Eltern warten
wie die rechte Kinder auf den Tod ihrer Groß-
Eltern. Allein so böse darf mann die Sache nicht
auslegen. Die Neigung ist eine Begierde zu etwas
in so fern diese eine Bedürfniß des Menschen aus
machet. Eine Bedürfniß aber ist ein Verlangen
nach etwas. deßen Abwesenheit uns unzufrieden
machet. Wenn mann etwas in der Form verlanget
so ist dieses keine Neigung. Den durch die Neigung
/ wird
|P_279
/mann gefeßelt,. Es ist daher rathsam daß kein Phi-
losoph oder ein anderer Mensch sich durch Neigung an
eine Sache hängt. sondern lediglich durch Bewegungs_Gründe
Es kann eigentlich keine Neigung auf etwas gutes
gehen. obgleich unsere Neigung auf etwas gutes ge
richtet seyn kann, s«ie»o ist sie doch niemahls auf die
Bonitet gerichtet. Nur allein die Vernunft kann die
Gründe enthalten. wodurch wir zu etwas gutes
bewogen werden. Zum Guten müßen wir vernünfti-
ge Maximen haben. Es ist aber oft zuträglich
das wir um das gute in einem sinlichen vortheilhaf
ten Lichte vorstellen. und auch zugleich die Neigung. ex-
citiren; Weil wir nicht blos Vernunft. sondern auch Nei-
gung haben. die befriedigt werden wollen.
/Die Neigung Apetitio bruta ist blind weil mit derselben.
keine Erckenntniß des Verstandes verbunden ist. Es kann
aber der Mensch nicht allein ohne sondern auch wieder
die Neigung handlen. Jeder Mensch reflectiret zuwei
len über seine Neigungen und wünschet andere zu haben.
Wir sehen also daß sie kein Fundament des Be
gehrungs_Vermögen ausmachen obwohl sie es vom
thierischen sind. Mann kann eigentlich ein Kind so gewöhnen
daß es gar keine Neigung habe. weder zum Früh-
stück eßen, noch zum frühen schlafen gehen. noch zu
sonst etwas. damit es im Elter gar nicht. durch
/ Neigung
|P_280
/Neigung regieret werde Den alle Neigungen unter
jochen, den Menschen und schräncken die Macht der Ver-
nünftigen Bewegungs_Gründe ein, und in der. Tath macht
nicht der Mangel der Sache. sondern die Neigung zu et-
was mann nicht habhaft werden kan den Menschen un
zufrieden. Eine jede Begierde die so groß ist, daß
sie uns unvermögend macht. die Summe aller Neigungen
zu befriedigen, ist ein Affeckt. denn beym Wohlbefinden
kommt es darauf an, daß mann einen Gegenstand mit
der Summe aller Neigungen vergleiche. Beym Affect
aber folgt man bloß einer Neigung. Ein Mensch
kann lieben ohne verliebt zu seyn diese Liebe ob
sie gleich kaltblütig zu seyn scheinet ist gemein
hin die dauerhafteste. Eine solche Liebe erlaubt
dem Menschen Ueberlegungen. anzustellen. ob
diese Befriedigung nehmlich dieser allgemeinen
Neigung mit der Summe aller Neigungen über
einstimme, man kann lieben aber auch zugleich
überlegen. ob die Person die meine Neigung
zum Vorwurf hatt, Geld habe, aus guter Fami-
lie abstamme, ob sie eine gute Wirthin, eine ver
nünftige Mutter, gefallig oder herschsüchtig seyn
werde. Es giebt auch eine Rachbegierde von dieser
Art. Da der Mensch Zeit zur Ueberlegung hatt
ob es auch in seiner Gewalt stehe. dem andern
/ seinen.
|P_281
/seinen zorn empfinden zu laßen. oder ob er auch
selbst Gefahr liefe zu unterliegen und seinen
Feinden Gelegenheit zum Triumphiren zu
geben. Daß aber ein Verliebter ein Thor
sey. das liegt schon in terminis. Den eben da-
durch daß er alle seyne Vortheile für nichts achtet.
und sie gerne verliehret, wen er seyne Schöne nur
heurathen kan. und daß er alle ungereimte Be
fehlen seyner Geliebten blos um ihr zu ge
fallen aus übet eben dadurch zeiget er daß er
ein Thor ja blind sey. denn blind seyn oder mit
Affect seyn ist einerley. Mann nennet den Affect
im Teutschen Leidenschaft. weil ein solcher Mensch
leidet daß er hingerißen werde. Der Affect
wiederstreitet der Klugheit, wir können
hier eine schöne Gradation mercken. nehmlich
/I. Eine jede Neigung wiederstreitet der Sittlichckeit.
/II. Der Affect wiederstreitet nicht nur der Sitt-
lichckeit. sondern auch der Klugheit.
/III. Ein blinder Affect wiederstreitet nicht nur
der Sittlichkeit und Klugheit. sondern auch
der Geschicklichckeit. Um dieses zu beweisen
ist zu merken.
/ad. I.) Die Moralität bestehet darinnen. daß mann
bey allen Vorschriften der Sittlichckeit,
/ seyne
|P_282
/seine Handlungen Lücke Bewegungs_Gründen. der
Vernunft dirigire, Der aber nach Neigungungen.,
giebt nicht den Bewegungs Gründen der Vernunft,
sondern Sittlichckeit Gehör, also wiederstreitet die
Neigung der Sittlichkeit. Die Ariopagitae mußen
bloß darum im Finstern richten, damit sie nicht aus
Neigung gegen eine Person. verliebt würden. ihr
Urtheil zu verändern und das recht zu beugen.
nur allein die Neigungen machen Arm. sie sind
gleichsahm viele Mäuler die da gestofet werden
wollen. sie sind schrey_Hälse, die dem Men-
schen gleichsam keine Ruhe laßen. dahero der
Mensch der große Thor ist der sich Bedürfnißen
beladet.
/ad II) Die Fahigckeit die besten Mittel zu Glückseeligckeit
zu wahlen ist die Klugheit die Glückseeligckeit beste-
het in der Befriedigung aller Neigungen, um also,
sie wählen zu können muß mann frey seyn. es ist der
Klugheit alles zuwieder, was blind macht. der Affect.
macht blind, also ist der Affect der Klugheit zuwieder.
/ad III Der blinde Affect ist die Stärcke des sinnlichen Trie
bes, daß er den Verstand hindert selbst durch die
Befriedigung des Triebes der ihn blind macht zu
dencken, es kann der starcke Trieb selbst sein eigenes
Theil nicht erreichen. so weis mann das ein heftiger
Zorn stumpf wird. Wer recht zürnet weis selber
nicht was er dem Beleidiger vor empfindliche Worte
/ geben kan,
|P_283
/Ein blinder Affect versteinert; so ist es mit einem hef-
tigen verliebten der weis nicht wodurch er sich insinu-
iren könte, zu sagen, dagegen derjenige der am wenigsten
empfindet. am gesprächigsten ist. Da nun die Geschicklich
keit in der Kunst bestehet. Mittel zu allen möglichen
Endzwecken ausfündig zu machen. ein solcher Mensch aber.
der in einen solchen blinden Affect geräht nicht einmahl.
ein Mittel zu einem einzigen Endzwecke ausfündig zu
machen weis: so wiederstreitet der blinde Affect der
Sinlichckeit, oder dem Geschmack. Einige Engländische
Schriftsteller. machen einen Unterschied; zwischen einem
Affect und einer Paßion. sie sagen der Affect sey
ein so starcker Vorzug des. Gefühls. daß mann sich nicht der
Summe aller Vergnugungen bewust ist. Passion sey aber
eine so starcke Begierde, daß man sich nicht der Summe
aller Begierden bewust seyn kann,
/ ≥ Vom Affect. ≤
/Alle bedenklose Lustigckeit macht uns fähig auf and-
re Quellen des Vergnügens zu denken, Ein dau
erhaftes Vergnügen des Menschen bestehet darin
nen. daß mann das Vergnügen durch alle Organen
empfindet. Das Gemüth muß in allem Empfindun-
gen offen seyn, dagegen die Befriedigung und Nei-
gung, jederzeit Unruhe, und Verdrießlichckeit nach
sich ziehet, Das Gefühlvolle Gemüth in Ruhe ist das
groste Vergnügen. Es ist nichts absurder als eine
Tafel Musick. Mann hatt ja weit feinere Arten,
des Vergnügens. bey der Tafel. die Musick aber
/ füllt
|P_284
/füllt nur blos den leeren Raum der Gedankenlosig
keit, und kann etwas zur Verdauung bey tragen.
Beym Affect opfert mann alle mahl etwas von seynem
Zustande auf, bey der Passion aller heftigen Be-
gierden, opfert mann etwas von seyner Thatigckeit
auf. Mann nennet einen Menschen der einer Leiden-
schaft ergeben, einen Sclaven. weil er dieser
Leidenschaft dient. Ob es nun aber für einen Ver
nünftigen Menschen gleich unanständig ist. sich dem Affect
zu überlaßen, so sind doch einige Leidenschaften
so beschaffen, daß sie ein anderer billiget,
weil man mit demselben sympathisiret. Es ge
rathen oft Menschen blos darum in Affect
weil sie stupide und ohne Empfindung sind. be-
sonders pflegt mann mit dem Zorn simpathisiren.
zu können, wenn mann aber eine Beleidigung zurück
dencket weil die Beleidigung eine allgemeine
Sache ist. Wenn jemand bestohlen ist. findet die
ses nicht so leicht statt. weil der Dieb ofters der
Person nichts Leides thun will, wenn er nur Geld
bekommen kann, wenn aber jemand beleidigt
ist, so sagt jedermann, mit dem Chremes im Te
rentz: Homo sum et nihil humanum a me
alienum esse puto. Bruto der den Caeser ermo@rdet@
hatte sahe den todten Korper vor der Thür
/ des
|P_285
/des und frug ist keiner der dieses rächet und
da mann ihm mit Nein beantwortete so sagte
er, dann reichet mir den Degen. Er konte die
Beleidigung des Volcks nicht ertragen. wir
billigen auch Leidenschaften. wen sie uns
/I vortheilhaft sind,
/II. Weil kein genugsaamer Ernst dazu zu seyn schei
net wo keine Beckantschaft ist.
/Freylich ist der Affect wohl der beste Beweis von
dem Ernst. aber darum zeigt der Mangel des Affects
noch nicht den Mangel des Ernstes an. Im Gegen
theil ist der überlegte Ernst von weit großerer.
Dauer. Es ist nicht gut wenn man sein Glück
auf ein mahl so hoch treibet. daß mann es nicht
höher steigern kann, denn wenn wir einmahl von einer Sache
recht starck gerührt seyn, so mißfallt uns mancher die @mitte@
re Rührung. Derhalben thut mann dem, den man mit
den großesten Lobsprüchen erhebet eben keinen Gefallen
denn verdient er sie hernach nicht ganz complet; so
mißfällt er schon we«il»nn mann ihn sonst für einen recht-
schaffenen und geschickten Mann gehalten, Alles unser
Wohlgefallen wenn es in «¿»Abnahme geräth. zeigt uns
schon den sich heran nahenden Verdruß, daher müßen
wir es niehmals in Abnahme kommen laßen, Es glaubt
oft ein Mensch betrogen zu seyn, und betrügt sich selber.
Wen jemand in seiner frühesten Jugend aus seynem
/ Vaterlande
|P_286
/Vaterlande verreiset und in seinem Alter wieder
kommt so glaubt er gemeinhin daß sich in der Zeit
alles geändert habe, allein er hatt sich selbst ver
ändert. Wie kann er jetzt das Vergnügen empfinden.
das er dahmals empfand als er Ball spielete. Beym
Heyrathen ist der Mann doch mehrentheils besorgter
als die Frau; Der Grund hievon ist, die Frau
gewint dadurch ihre Freyheit. Der Mann verliehrt
etwas daran. Ein sogenanter frommer Affeckt ist immer
ärger als alle andre, denn je erhabener der Zweck
ist um den mann eifert, desto größer ist der Zorn, denn
der Zorn beckomt hier eine Art von Beschönigung.
Das aber die Natur Leidenschaften in unsere Seele
gelegt hatt komt daher, weil sie allemahl den
sichersten Weg wäht zu ihrem Zweck zu gelangen, der
sicherste aber ist allemahl die Berührung der Sinlich-
ckeit, jedoch konnen wir unsere Leidenschaften hie
durch nicht rechtfertigen den dazu haben wir die
Vernunft daß wir dieselbe im Zaum halten sollen.
Die Natur hatt uns nur provisorie den Affect
gegeben weil mann oft nur sehr spät zu seyner
Vernunft komt, so wie mann aber einem Kinde einen
Hofmeister giebt nicht das er solchen zeitlebens be
halte sondern nur so lange seyner Führung anver-
trauet ist bis es zur Ueber legung komt, so hatt
/ auch
|P_287
/die Natur gewollt daß wir nur so lange den Affect
folgen solten bis wir durch die Vernunft geleitet
werden könten. Es ist aber doch sonderbaar daß
beym Affect der Theil der Bedürfniße wircklich
die Summe aller Bedürfniße über wigt. Alle Nei-
gungen konnen zu Affecten werden, aber die Nei-
gung selbst wenn sie gleich sehr starck ist behält doch
noch immer eine Klarheit die im Affect vermißt
wird. Es giebt tathige Affecten die mit der Un-
ternehmung der Handlung verbunden sind, denen
die müßige entgegen gesetzt werden. Mann solte
dencken daß die Chineser und andere Ostyndi-
sche Nation gar keine Affecten hätten weil sie
sehr zurükhaltend in ihren Affecten sind. Den
wenn ein Europaeer etwa von ihnen Seide kauft
und sie den Untertheil des Faßes mit etwas
anderes gefüllt, worauf die Seide gestoppelt ist
Ihre Betrugerey aber von dem Europaeern entdeckt
wird, so fallt ein jeder auf die Vermuthung daß
der ganze Zorn des Verkäufers darüber ent
brennen und in die violenteste Ausdrücke ausbre
chen werde. Was aber erwartet mann von dem
Chineser darauf für eine Antwort. Nun warum seyd Ihr
so böse. Euer Vater sagte mir daß ihr die
Seide nicht besehen werdet. Obgleich die Chine
ser die Europaeer hierin zu übertreffen scheinen
/ so
|P_288
/so haben sie doch eben dieselbe Affecte nur sie
sind aus Furcht und damit sie sich mit mehrerer Ue
berlegung aus der Sache ziehen konnen sehr zuruck
haltend wir konnen alle Neigungen aus zwey Gesichts
punckte betrachten, nehmlich
/1). Insoferne sie die allgemeine Bedingung aller Nei
gungen sind, und dieses konte mann die Neigung in
abstracto nennen, und
/2). Insofern die Objecte der Neigung eingetheilt sind.
/Die Allgemeine Bedingung aller Neigungen ist
Freyheit und Vermögen. Die Freyheit bedeutet
den Zustand in welchen mann seinen Neigungen gemäß
handlen kann daher auch die Menschen eine erstauen
de Neigung zur Freyheit haben, bloß darum weil sie
die einzige Bedingung ist unter der wir unsere Nei
gung befriedigen konnen. Es ist daher sehr lächerlich
wenn ein Guths Herr seinen Erb Untertahnen nach
seyner Weise behandelt und sie nach seiner Idée
und Gluckseeligckeit zu leben zwinget, dabey aber
zur Raison angiebet solche Leute wißen nicht was
ihnen dienlich ist. Es ist dieses in der Taht der schreck
lichste Zustand für die Erb Untertahnen. Den mann
ist nur glucklich wenn man seynen Neigungen gemäß
leben kann. Indeßen ist die Freyheit doch nur eine
negative Bedingung unter welche der Mensch seyne Nei
gungen befriedigen kann. Es muß zu dieser Freyheit
/ noch
|P_289
/das Vermögen kommen, denn mann laße einen Unter
tahnen laufen, und mann gebe ihm die Freyheit,
wenn er kein Geld, kein Ansehn und keine Für
sprache hatt; so wird ihm gar nichts an der Be-
friedigung seyner Neigungen hindern aber befrie
digen wird er sie nicht konnen. Das Vermögen
ist die Kraft, wodurch mann etwas welches un-
serer Willckühr gemäß ist zu stande bringen kann.
Es gehören zum Vermögen eigentlich 3. Stücke.
/1. Ansehen
/2. Natürliche Kräfte und Geschicklichckeit,
/3. Geld, welches das Vermögen genant wird weil
es das Mittel ist. sich alles zu verschaffen,
was nur durch Menschliche Bemühen moglich ist
/Wer Geld hat kann sich auch wohl gar Verstand
anschaffen den ein guter Vorrath von Büchern
ist die Ersetzung des Verstandes. Mann hatt.
bemerckt daß die Stärcke der andern zu überwäl
tigen mit ein Gegenstand menschlicher Neigungen
sey ja bey allen rohen Nationen ist die Tapfer
keit die großeste Tugend unter den gesitteten
Nationen sind die Disputationes bey Gelehr
ten eingeführt die in der Tath ein wahres
Hanen Gefechte abgeben. Bielefeldt erzählet
in seinen Briefen eine sehr lustige Geschichte
die sich auf einen Coffe_Hause zugetragen. Es
hatte nehmlich ein Bescheidener sein Urtheil
/ worüber
|P_290
/worüber gefället, ein andrer wiedersetzte sich ihm
und bemühete sich eine stunde lang ihm, durch hundert
terley Gründe zu wiederlegen so gar das ersterer
ganz stille schweigen muste hierauf wandte sich letz
terer zu einem Engländer hin der in einem Win-
kel saß und ruhig seine Pfeiffe Taback rauchte,
und fragte ihn ob er jenen nicht gut abgeferti
get hätte? Der Engeländer antwortete ihm hie
rauf, o ja, recht sehr gut, und wenn ich mit den Phie
listern einen Streit haben solte so würde ich mir
andere Kinbacken ausbitten. Mann kann zum
Vermögen auch Dreistigckeit rechnen denn sie
macht den Menschen fähig etwas zu unternehmen
was ein anderer unter laßen muß. Diese Dreu
stigckeit kann mann nicht erlernen. Der Mangel
der Dreustigckeit schränckt unser Vermögen ein.
und macht uns schwach. Dreuste Menschen haben ge
meiniglich keinen Muth: sondern wie Homer saget:
das Gesicht eines Hundes und das Herz eines Hir
sches. Solche Menschen die schon durch ihr Gesicht
eine Dreustigckeit anzeigen, sind unleidlich wenn aber
das Gesicht eben keine Dreustigckeit verräth der
Mensch aber doch Dreustigckeit hatt so kann es einem
solchen Menschen sehr vortheilhaft seyn. Das Ver
mögen sich glücklich zu machen ist ein unmittelbahrer
Gegenstand unserer Neigungen Geschicklichckeiten sind
nur Fehigckeiten einen vorgelegten Zweck aus
/ zuüben,
|P_291
/und diese Geschicklichckeiten werden ofters höher
geschatzt als alle Endzwecke. So ist die Tapferckeit
ein Mittel dem Menschen sicher zu machen allein sie
gefallt uns auch unmittelbahr. Die Ehre vermehrt auch
unser Vermögen weil wir dadurch mit vielen Menschen
beckant werden und unser zeitlich Gluck hängt gro
ßesten Teihls von der Gunst und dem Ansehen an-
derer Menschen ab. Es ist sonderbahr daß sich der
Geitzige sich ungemein hitzig beweiset Mittel
zu erwerben, in Ansehung der Zwecke aber ist er
ungemein gleichgültig. Den er sucht nur Geld zu
sammen zu scharren wenn es auch mit Unrecht gesche-
hen solte auf die Anwendung deßelben
aber denckt er gar nicht. Die Ercklarung der Mög
lichckeit dieser Ungereimheit liegt darinn daß blos
das Vermögen schon ein Idealisches Vermögen
aus macht; den ausgegebenes Geld hatt nur ei-
nen einzigen Nutzen der in der geckauften
Sache liegt. Allein das Geld hatt einen allgemeinen
Gebrauch wie wohl diese Allgemeinheit so be-
trachtet werden muß das mann sich für das Geld
alles anschaffen kan aber nicht alles zusammen son
dern nur eines von allen durch diese Allgemeinheit
beckomt das liegende Geld schon einen Vorzug
für das Ausgegebene. Mann konte zur allgemei-
nen Neigung auch die Neigung zur Gemächlichckeit
/ rechnen.
|P_292
/Die größeste Ungemächligckeit ist wohl der Zwang,
man kann aber frey und doch ungemächlich leben. ZE:
Die Wilden; Aber die Freyheit versüßet alles
indeßen haben doch einige Wilde einen Hang zur
Gemächlichckeit, schwere Dinge werden uns deshalb
unangenehm weil sie der Gemächlichckeit wiederstrei
ten: Indeßen giebt es doch Personen die ein desto
größeres Vergnügen empfinden je großere Schwie
rigckeiten sie zu überwinden haben. Aber mann,
kann gewiß dencken das solche Leute wiederum in
andren Fällen ihre Gemachlichckeit suchen es mißfallen
uns bis weilen Wercke der Kunst blos darum weil
aus ihnen Annehmlichckeit hervorleuchtet. So mißfält
eine Rede wo mann mercken kann daß die Ausdrücke
mit großer Mühe herbey geholt sind.
/Wir gehen zu den verschiedenen Objecten unserer
Neigung und unserer Leidenschaften. Unser Autor
theilt die Leidenschaften nach unserer Empfindung
in Schmerz und Vergnügen ein, es giebt eigentlich
nur angenehme und unangenehme Affecten. Bey
den Alfecten wird unser Zustand afficirt und wir sind
passiv. daher hatt Affect seynen @N@ahmen nicht aber
angenehme und unangenehme Leidenschafften. Denn Lei
denschaften sind heftige Begierden wir sind tähtig
und können dabey weder angenehm noch un
angenehm afficirt werden. Ein jeder
/ angenehme -3}
/Lage 19
|P_293
/angenehem Affect ist Freude, %und jeder unangenehme
Affect ist Traurigkeit. Der aber der ruhig ist,
ist in keinem Affekt, auch <der> nicht der Frölich ist.
Denn die Frölichkkeit, ist blaß das Vermögen
alle Vorfälle unseres Lebens, aus dem Ge-
sichts Punckte zu betrachten der uns auf ir-
gend eine Art, an den Unangenehmen Vorfäl-
len Vergnügen verschaft. So war Epicur
der Philosoph eines Frölichen Gemühts keines
weges aber ein Philosoph der Wollust, denn die
alten haben nur bloß aus Versehen das Wort
Voluptas durch Wohllust übersezt. Er war
weit entfernt von der Wohllust solches kann
man zum Theil daraus sehen, weil er seine Gäste
in seinem Garten, den er ihnen als den Ort
des Vergnügens anpries, mit einer Art von
schlechten Grütze aufnahm. Nicht ein jeder
Schmertz ist eine Traurigckeit wenn man ihn
bis zum Gemühte dringen läst. Alle Philo-
sophie zweckt dahin ab, daß der Mensch kei-
nen Schmertz, aber auch kein Vergnügen bis zu
seiner Seele dringen laße; außer den Schmertz
wegen übertretung seiner Pflicht und, daß
es der Mensch würklich soweit bringen kann
sehen wir hieraus das die Natur, nicht so ge-
macht hat, daß wir dem Affect der Traurig-
keit unterworffen seyn sollen. Der
Qualitaet nach, gehören alle Affecten
entweder zur Freude, oder zur Traurichkeit,
/ dem
|P_294
/Grade nach aber sind sie sehr unterschieden obgleich
sie auch dem Grade nach so übereinstimmen, daß
sie alle das Gleichgewicht der Summen alles Ver-
gnügens umschwebt. Man verachtete regulari-
ter alle Menschen die im Affecte sind, einige
Affecte aber hält man dem Menschen zu gut. ZE
den Edlen Zorn, da jemand für die rechte der Menschen
zürnet, ins Besondre aber die Unterdrückung der
Armen. Ein jeder Affect ist eine Degradation
der Menscheit, weil als denn beym Menschen die
Thorheit praevalirete, %und er nicht mehr nach über-
legung über seinen ganzzen Zustand disponiret.
Eine ausgelaßene Freude ist Kindisch, außer wenn
sie aus der bonitaet oder dem Glüke der Menschheit
entspringt. Alle Thiere sind des Vergnügens
%und schmertzens, aber nicht der Freude %und Traurigkeit
fähig, weil letztere nur aus der vergleichung
des jetzigen Zustandes, mit unsern Vorigen
Zustande entspringen; ein Thier aber eine solche
Vergleichung nicht anzustellen im stande ist, daß
also «m»Menschen auch ihrer Thorheit nach wodurch
ergötzt %und Vergnügt werden können, aber das
sie Schmertz empfinden, das kann ihnen nicht
verdacht werden, daß sie aber worüber außer-
ordentlich Freudig oder Betrübt werden stehet
/ ihnen
|P_295
/ihnen gar nicht an. In allen Begierden kann man
sich etwas Continirlich vorstellen, %und eine solche
Continirliche Begierde nent man sucht, so
giebts eine Herschsucht, Habsucht, Ehrsucht,
Diese sucht macht, daß der Mensch auf den
geringsten Grad seines Vergnügens so er-
picht ist. Ein Geldgieriger ist nicht allemahl
habsüchtig, denn ein habsüchtiger läst auch nicht
den geringsten Vortheil aus seinen Händen
durch den er seyn Geld vermehren kann. Ein
Ehrsüchtiger ist derjenige, der auch sogar von
Narren sich gerne loben läßt. Ein Affect
gehört zum Gefühl eine Leidenschaft aber
zur Begierde. Man muß sehr wohl die Em-
pfindsamckeit vom Gefühl unterscheiden, die Em-
pfindsamkeit welche die Feinheit, in der Unter-
suchung ist, da jemand nehmlich sehr leicht Be-
merken kan, was gefält, oder misfält, ste-
het einem jeden Menschen an. Das Gefühl
entstehet wenn diese Empfindsamckeit, in
eine Begierde versezt wird, diese schickt sich
für Keinen Mann. Eine Frau verlangt
jederzeit, daß der Mann, die Ungemächlich-
keiten über sich nehmen soll. Dieses
kommt daher, weil sie ein starkes Ge-
fühl haben, oder weil sie verzärtelt sind.
/ Sehr
|P_296
/Sehr reitzbar seyn ist, eine große Schwäche, aber die Em-
pfindsamkeit, oder die Zärtlichkeit in der Untersuchung
ist eine sehr gute Sache. ZE jemand der viel Empfind-
samkeit hat, wird in Geselschaft bey einem Schertz,
der persöhnlich gemacht wird doch immer so sprechen
daß er keinen besonders kein Frauenzimmer belei-
digt. Denn man muß wißen daß ein Frauenzimmer
sich am allerleichtesten, in ansehung der ihm ge-
bührenden Achtung offendirt findet. Die
Uhrsache hiervon ist diese weil«l» alle Menschen in
ansehung des Punctes, der ihnen streitig gemacht
werden könte, am aller aufmerksamsten sind. Ist ein
Ausdruk zweydeutig so bleibt man desto leichter bey
ihm stehen, weil man glaubt, daß man beleidigt
ist. So gehts mit dem Frauenzimmer, denn der
Grund der Achtung derselben ist gewis zweydeu
tig genung, indem sie doch selten soviel Achtung
verdienen, als eine Mansperschon, %und eben deswe-
gen, sind sie in ansehung dieses Puncktes so delicat.
Die Zärtliche Liebe besteht nicht in der größe
des Affects; sondern in der Feinheit der beurthei-
lung alles deßen, was einem andern im mindesten
unangenehm seyn könte, denn Zärtlichkeit ist @also@
weit von der Verzärtelung unterschieden, denn
man zärtlich lieben %und eben desshalb die größe-
sten Ungemächlichkeiten unternehmen. Es kön-
nen bey jemanden starcke Affecten herschen
/ aber
|P_297
/sie sind darum noch nicht heftig. Die Höf-
lichkeit bestehet im grade des Affects nicht, sondern
in deßen Überraschung. Menschen die Feig sind
haben gemeinhin große Leidenschaften aber sie
sind deshalb nicht ungestühm %und auffahrend Beym
Zorn sowohl als beym Haß, liegt ein Unwille
gegen Einen andern zum grunde, sie «S»sind aber
darin unterschieden daß der Haß daurend, der
Zorn aber nicht daurend, sondern heftig ist. Wah-
re Leidenschaften aber entspringen nur aus dem
Verhältnis gegen Sachen. Eine Einzige Aus-
nahme wäre wohl zu machen wenn man das
thierische in der Liebe des Menschen betrachtet.
Denn hierin hat der Mensch gleichsam einen Ape-
tit zu einer Sache, er suchet den Menschen vom
andern Geschlecht bloß als eine Sache an, die man
brauchen kann. Diese Liebe enthält auch keinen
«Apetit» Affect des Wohlwollens; sondern ein Mensch
macht sich nichts draus, ob er nach der, oder nach
jener andern Sache einen Apetit hat. Durch den
Gebrauch unglücklich zu machen in regula
aber scheinet es doch als wenn es gegen Sachen
von keiner wichtigckeit wäre, sondern daß
dieses nur in so weit einigen wehrt habe,
als es auf den Menschen einige Beziehung
hat. Nun können wir in Ansehung des Men-
schen folgendes mercken.
/1.) Der Zustand anderer Menschen ist bey uns ein
Grund der Sympathie diese ist ein großer Grund
/ von
|P_298
/von Regemachung, unserer Affecten.
/2.) Von unsern Neigungen sind die Menschen Uhrsache,
blos durch ihre Urtheile. Die Neigung bey
andern in guten Ruf, oder guter Meinung zu stehen,
ist Die Ehrliebe Eigentlich aber ist es keine Nei-
gung sondern nur eine Art von Billigung. Sie ist
so wenig der Tugend entgegen daß sie sogar eine Be-
gleiterin derselben ist. Man versteht unter
dem wort Ehrliebe nichts anders als den Abscheu,
ein würdiger Gegenstandt, der Verachtung zu seyn.
Der Ehrbegierige ist ganz von der Ehrliebe. unter-
schieden. Ein Ehrliebender flieht oft die Gesell-
schafft, %und wählt die Einsamkeit, damit er nur
verhindern könne das er sich keine Verachtung zu
ziehe. Ein Ehrbegieriger aber sucht die Gesellschaft.
Die Ehrbegierde wird zur Ehrsucht, wenn man die
Ehre zum Hauptgegenstand, seiner Neigungen macht,
%und zum Ehrgeitz, wenn man bey der Ehre auf die ge-
ringste Kleinigkeit siehet. Die Ehrbegierde %und
Ehrgeitz sind Leidenschaften, die sehr erhöhet
werden können. Es liegt in der Ehrbegierde
das ungereimte, daß man eben durch die
große Bestrebung nach Ehre ein Gegenstand der
Verachtung wird.
/3.) Wir haben einen großen Hang zur gemeinheit,
da wir die Dinge bloß; nach dem Maaße schä-
zen alles sie von andern gebilligt oder geschäzt
werden, hiedurch hat die Vorsicht unsre Vergnü-
gen von dem Interesse des ganzzen abhangend machen
wollen
/ 4.)
|P_299
/4.) Wir besizzen eine rechts Liebe, doch wir haben
einen Affect an dem Moralischen, oder an den Ur-
theilen über Recht %und Unrecht. Wir gerahten
oft in einen Affect, nicht weil wir durch das
factum eines andern großen schaden erlitten,
sondern weil uns dadurch ein großes Unrecht ge-
schehen. Es wird durch das Unrecht entweder
das Recht an der Sache, oder das Recht was der
Perschon anhängt beleidiget, letzteres Bringt den
Affect zu wege, gewiße Affecten bekommen ihre
Nahmens nicht; von dem Object; sondern von
der Art wie sie entspringen, ihre Ehrbitterung
%und Haß sind nicht dem Object nach sondern nur
dem Grunde nach, von einander unterschieden,
daher man einem Menschen der leicht zuviel, aber
auch leicht wieder besänftiget wird, eher duldet,
als einen der langsam zum Zorn bewegt wird,
deßen Haß aber langwieriger ist. Indeßen
ist doch ein Jachzorniger Mensch der durch die ge-
ringste Kleinigkeit in Harnisch gebracht wird
doch darum unleidlich weil dieses ein habitueller
Zustand ist, denn obgleich ein solcher Mensch wegen
kurtz vorher angethaner Beleidigung abbittet
so bin ich doch nicht einen Augenblik sicher, daß
er mir nicht wieder grobheiten sagt, Die Ir-
ritabilitaet des Zorns nennt man auch die
/ Em
|P_300
/Empfindlichkeit, %und die ist höchst verwerflich es liegt
dieses aber bloß an der Erziehung. Menschen
sind heftig %und anfahrend, weil sie in der Jugend kei-
nen wiederstand gefunden haben. Alle Geograpfen füh-
ren von den Caolen, welches Leute sind die in Ame-
riken von Europärischen Eltern gebohren sind an daß
sie ungestühm %und auffahrend stoltz pp seyn sollen. Indeßen
sagt ein neuerer Autor von ihnen, daß sie die besten
Leute wären die auch vielen Verstand hätten.
Woher kommts denn Nun daß sie auffahrend sind?
Bloß daher weil sie von ihrer Kindheit an
mit einer Menge von Neger Sclaven umgeben sind,
die so abgerichtet sind wie die Pudelhunde, %und die
schon für das bloße Geschrey der Kinder, ohne zu
untersuchen abgeprügelt werden; wenn bey
uns die Jungen Herren so erzogen würden, so
würden sie ebenfals solche Caolen werden.
Der Mensch ist ein Thier welches Disciplin
nöhtig hat, die fortsezzung der Betrachtung
der Leidenschaften, wird unten folgen. Jetzt
wollen wir reden. Vom
/ ≥ Carackter der Menschen ≤
/Wenn man alles zusammen nimt, wodurch
sich der Mensch unterscheidet so können
wir ihn in einer «v»Vierfachen Rücksicht Be-
trachten, nehmlich
/ 1.
|P_301
/1.) Nach seinem Körper, oder Complexion.
/2.) Nach der Verbindung der Seele mit dem
Körper oder, nach dem Temperament.
/3.) Nach seinen Gemühts Kräften oder Naturell.
/4.) Nach dem besondern Gebrauch seiner Gemühts
Kräfte oder nach seinem Caracter.
/Was die Complixitaet anbetrift; so gehet
solche auf die Beschaffenheit des Körpers,
daher man sagt, der Mensch ist von einer starken,
Feuchten, Troknen, schwachen Complexion. Es
kömmt dieser Unterscheid bloß von der Lage
%und Spannung der Fasern her, allein diese Ma-
terie gehöret gantz zur Arzeney_Wißenschaft.
Die Gemühts_Beschaffenheit, in so ferne sie
sich auf die Complexion beziehet, heist
das Temprament. Unter dem Gemüht ver-
stehet man nicht das Vermögen der Seele
sondern um die Kraft sich dieses Vermögens
zu Bedienen; mithin die Beschaffenheit
der Neigungen %und Affecten, die aus solcher Com-
plexion flüßen. Man zählt gemeinig-
lich 4 Tempramente. Wir wollen um
mehrerer Deutlichkeit willen die Gemüths
Beschaffenheit bey herschenden Neigungen
/ auf eine
|P_302
/Zweifache Art eintheilen %und Unterscheiden, zuerst
wollen wir die Tempramente auf zwey Gattungen
reduciren %und hernach einer jeden Gattung zwey Tem-
peramenten <«¿»> zuordnen. Es ist aber der Unter-
scheid zwischen Begierde %und Gefühl fest ge-
sezt. Hieraus folgern wir daß Menschen zu-
weilen gleiche Empfindungen haben, und doch in
Ansehung ihrer <«¿¿»> Begierden gantz unterschieden
seyn können. Die erste Gattung von Tempera-
menten ist vom Gefühl hergenommen, %und zu
dieser Gattung zählen wir das Melancholische
% und Sanguinische Temprament. Ein Mensch der
nur das Gefühl der Annehmlichkeiten suchet
hat ein Sanguinisches dem aber alle Gegenstände
nur Furcht %und Bangigkeit einjagen hat ein Me-
lancholisches Temprament. Man siehet hier-
aus leicht ein, daß es sehr viel auf den Zustand,
%und die Beschaffenheit ankomme, wie einem die
Welt vorkommt, %und daß die Menschen sehr viel durch
die Seite thun können, von der sie die Dinge
der Welt betrachten. Wir wißen daß der Mensch
nicht verhindern kan, daß ihn etwas schmertze
oder «V»vergnüge, aber Traurigkeit %und Freude stehen
sehr in seiner Gewalt. Der ein Sanguinisches Tem-
prament hat ist gemeinhin sehr leichtsinnig. Der
Melancholische ist aber hartnäckig in seinen Vor-
sätzen, %und Eigensinnig seiner Perschon nach bey einem
Melancholischen haftet alles sehr stark. Ein
|P_303
/Ein Sanguinischer, vergist leicht seyn Versprechen,
aber auch eine ihm angethanen Beleidigung,
daher die Freundschaft die mit einem melancho-
lischen Temperament verbunden weit dauerhafter
und reeller ist als bey einem Sanguinischen. Denn
beym lezten verdunstet die Freundschaft leicht,
allein die melancholie hat wieder das übele,
daß ein denselben ergebener Mensch gantz
unlenksam bey seinem Haß %und willen ist.
Wir sehen aber doch nicht ein daß die Caracters
die etwas Achtungs würdiges ansich haben
sollen, jederzeit, eine Ingredientz von melan-
cholie haben müßen. So siehet ein Partheyisch
gesinnet gemüht diese Welt nicht als
einen Schauplatz zum Spiel sondern vielmehr als
einen Ort, der zu ernsthaften großen %und wich-
tigen Vorsäzen bestimmt ist. Ein Sanguinischer
Mensch der nichts in der Welt als wichtig an-
sieht, hat die bequemste Situlation. Aber
ein melancholischer der da glaubt, daß die Men-
schen einen sehr wichtigen Posten in der Welt
haben, hat es nicht bequem weil nun das
Melancholische Temperament eine jede Freundt-
schaft; dauerhafter macht; so fordert man,
daß selbst in der Geschlechter Liebe eine Melan-
cholische Zärtlichkeit seyn müße, indem diese von
einer weit größern delicatesse zu seyn scheinet,
als eine Lustigkeit im Leben. Wenn
/ man
|P_304
/hier den Unterscheid zwischen einem Melancholischen,
%und Sanguinischen Menschen aus der Complexion
herleiten wolte; so würden wir uns gar zu tief
in die Medicin wagen, wo es uns a«m»n genungsamer
Kentnis fehlen dürfte, so viel ist indeßen ge-
wis daß das Gefühl des gesammten Lebens,
eine disposition zu allen Vergnügungen sey.
Dieses Gefühl aber ist die Spannung Fasern
die eine jede Bewegung anzu nehmen fähig sind
%und auf ein verdüntes Blut, welches recht trans-
piriret, oder auf ein Dickes Blut ankommt.
/Die 2te Gattung von Temperamenten hat eine Bezie-
hung auf die Thätigkeiten der Begierden, zu
dieser Gattung rechnet man das Colerische
%und pflegmatische Temperament das Colerische
ist ein Temperament der Thätigkeit, das pfleg-
matische aber der Unthätigckeit. Im Colerischen
ist eine große Triebfeder der Thätigkeit. Man fühlt
sein eigenes Leben, dadurch das man in sich selbsten
die Receptivitaet zu allen Eindrüken findet. Es
sind bey einen solchen Menschen alle Fasern zur Geschäf-
tigkeit gespant, er muß also immer etwas zu
thun haben. Er wird daher immer gewißen Zwe-
ken nachgehen, %und gerne Schwierigkeiten überwün-
den. Eine folge aus diesem Temperament der
thätigkeit ist die Ehrbegierde, denn der Antrieb
davor, der am wenigsten der Empfindung nahe kommt
erfordert, die größeste Thätigkeit. Nun aber ist
/ die
|P_305
/Ehre ein solcher Antrieb der am wenigsten der Em-
pfindung nahe kommt, als muß der Mensch der
durch Ehre bewegt wird, die größeste Thätigkeit haben,
Überhaupt paßt das Temperament der Thätigkeit
immer mehr auf die Ehre als auf die anderen An-
triebe, weil man in ansehung anderer Endzwecke es
nicht so in seiner Gewalt hat, ihn zu erreichen
als bey der Ehre. Es ist dahero die Ehr_Begierde
der Reitz wodurch Colerische Menschen getrieben
werden. Ein pflegmatischer empfindet bey aller
Arbeit eine Ungemächlichkeit %und das Unangenehme,
woher sie entstehet bestehet in der anstrengung
der Kräfte. Ein Pflegmatiker in einem guten
%und mildern Verstande bedeutet nur das Gegen-
theil der Reitzbarkeit, die Reitzbarkeit aber Be-
stehet darin, daß jemand leicht zu etwas Be-
wogen werden kan. Das Phlegma dienet da-
zu, daß es die Uebereilung in Entschlüßen
%und die Entwickelung der Triebe so lange aufhält
daß die Vernunpft dadurch Zeit gewinnt ist
über die Sache recht zu reflectiren. Denn eine
große Uebereilung macht gemeiniglich, daß einem
seyn Unternehmen gereue, wir dürfen nur etwas
auf die Perschonen, bey denen sich etwas cholera
oder Phlegma findet, sehen. So verlangt man daß
ein großer General ein phlegma habe, damit er erst
Zeit gewinne lange über einen Entwurf zu de-
liberiren, ehe er ihn zur ausführung bringt. Von
einem gemeinen Soldaten aber fordert man daß er
Colerisch sey, damit er ohne nach der Uhrsache nachzufragen
/ gleich
|P_306
/Zuschlage, wenn es ihm befohlen wird. Einem Mann
stehet jederzeit ein Phelegma sehr wohl an obgleich
nicht ein phlegmatisches Temperament, weil es
als denn nicht mehr in seiner Gewalt steht wie
lange er über den Entschluß, einer Sache es anstehen
laßen soll hingegen ist ein schlechter Ruhm
für ein Frauenzimmer wenn es phlegmatisch ist,
man will daß sie alle Colerisch seyn sollen.
Seeleute sind gemeinhin pflegmatisch weil sie auf
ihren reisen theils niemahls weiter gehen können
als die Schiffslänge, theils weil sie sich in den
sehnung ihrer Speisen, als auch ihres Umganges an
eine große Einförmigkeit gewöhnt haben,
müßen, theils weil auch ein Seefahrer alle seine
Entschlüße %und Ordres, die er giebt, zuvor woll über-
legen muß. Die Braminen in Indostan er-
zählen in ihrer Cosmogonie oder Deologie daß
der Gott Brama der die Menschen erschaffen,
die Soldaten Colerisch, die Braminer Melan-
cholisch, den Handwerker sanguinisch und
den Kaufmann pflegmatisch erschaffen habe.
Wenn man die Function dieser Leute Bemerkt,
wird man finden, daß die Temperamenten
fürtreflich ausgetheilt sind. Sonst drückt man
durch Wort Cholra, bloß den Zorn aus.
Die Uhrsache ist diese weil der Zorn nichts anders
als das Bewust_seyn, einer großen Thätigkeit
ist. Auch ist mit der Cholera gemeiniglich die
/ Poliphragmosie
|P_307
/Poliphragmosie vereinbahret, indem ein Cole-
rischer Mensch seine Hand gerne in alles mi-
schen mag. Am wenigsten steht also die Colera einem
Geistlichen an. Die Sanguinischste Nation hat
die Quelle ihrer Freude in sich selbst. Der
Bauerstand der die mehreste Unbequmlichckeit
hat, ist frölich. Die fabricanten die die gan-
ze Woche hindurch arbeiten eßen sehr schlecht,
damit sie nur etwas samlen %und am Sontage aus-
geputzt %und mit einen Degen Tanzen gehen
%und sich lustig machen können. Die Nordische
Nation ist «die» in ansehung ihrer Vergnügungen
Passiv. Die franzosen haben Gesellschaft-
liche Eigenschaften. Unsere Vorfahren such-
ten ihr größestes Vergnügen, in Eßen %und Trin-
ken. Es erschöpft aber die Frölichkeit, welche
im Bloßen Genus bestehet würklich und ist
von keiner Dauer bey der Thätigkeit empfin-
det man sein Leben Der Discours in Gesell-
schaft last es einem gantz empfinden. Der
Geschmack des Wihrts zeigt sich darinnen, daß
er die Gäste so placire daß einer den andern
vergnügen unterhalten könne. Denn einer
hat Hof Kentnis, der andere hat Bücher-
kenntnis der Dritte versteht die Landwirth-
schaft, daher kommt es nur darauf an, daß
diese Köpffe gut geordnet werden. Es giebt
Personen die nicht dazu auferlegt zu seyn scheinen ei-
nen discours führen, rege zu machen und
/ Die
|P_308
/Gesellschaft zu animiren, denn erforschen
können, was für eine Materie die Gesellschaft
im Gespräch wohl in Bewegung sezzen könte ist
nicht leicht. Der Affect einer solchen Ge-
sellschaft ist eine gute Transpiration: wie San-
tonius der in ansehung des Menschlichen Körpers
als nach Maas %und Gewicht ausmacht, %und dar-
thut. Wenn man aus einer solchen Gesell-
schaft mit Mäßigkeit in sein quartier gehet,
so ist man gleichsam wie von neuem geboh-
ren, %und ein Medicus solte hierauf genaue
rücksicht nehmen. Ein Sanguinicus empfin-
det jederzeit ein Verlangen nach etwas neues,
und ist über das alte Verdrißlich. Er ist
modisch und kann die Dinge nach Belieben
verwandeln auch einem schlechten Spiel eine gute
wendung geben. Die Einerleyheit erschweret
%und jeder Wechsel erleichtert. Das sehen wir
an der Französischen Nation. Die Einför-
migkeit in der Kleidung zeigt wohl etwas
erhabenes an, aber sie muntert sich auf die Schwa-
che des Sanguinicus ist die Unzufriedenheit
über die Einerleyheit Daher er alles gerne
ändert obgleich zum schlechten. Der Melancho-
licus hat die Quelle der Annehmlichkeiten %und
Traurigkeiten in sich. In der Art der Empfin-
dungen ist zwischen einem Sanguinischen und Melan-
/ cholischen
|P_309
/Lage 20
/cholischen kein Unterscheid, doch aber wohl in an-
sehung der aufnahme der Empfindungen. Die Trau-
rigkeit entspringt aus der Reflection über
schmertzhafte Eindrücke. Ein Melancholischer
sieht immer auf die schlechten folgen zum Voraus
da ein Sanguinischer auf dieselben gar nicht siehet;
Ein Melancholicus siehet daher alles für größer
%und wichtiger an, als es ist. Ein Sanguinicus hat
die Wohllust zum Objecte hier aber muß nichts
als ein frölich Hertz unter der Wohllust verstan-
den werden. Der Melancholicus aber wie
einige Autores bemerken die Ungeselligkeit
und Geitz zum Object. Allein es giebt auch
Geitzige Leute die gar nicht melancholisch
seyn, und umgekehrt. Ja die franzosen die
doch gewis gar nicht melancholisch sind, sind
doch einigermaßen der Freyheit ergeben, sie sind
zwar gegen einen Fremden sehr höflich, aber daß
sie ihn zu erste bitten solten thun sie nicht. Hin
gegen sind die Teutschen die weit vom Sanguinischen
Temperamenten weit entfernet sind, doch
weit gastfreyer. Vosvel in der Beschreibung
von Corsica erzählt von einem Officier daß er
sich mit vielen Vergnügen der Gastfreyheit in
Teutschland erinnert habe. Es habe sich alle
die Autores bey nahe geirret, die den Melan-
cholischen den Geitz beymeßen. Ein Melan-
cholischer ist Daher nicht so wohl zum Zorn, als
zur Rache %und «Wuh» Wuht geneiget. Die
/ Melancholie
|P_310
/verfält gemeinhin auf ernsthafte Dinge, in Religions
Sachen aber sind die Melancholischen Schärmer. Die
Engeländer sind beständig mehr Melancholisch als
Sanguinisch, ihr Wütz hat jederzeit was tiefe¿
Alle ihre Arbeit hat eine gewiße Dauerhaf
tigkeit, auch ihre Schriften sind nicht so wie die
Französischen Papillons die herum fliegen aber
bald verschwinden und in Abnahme gerathen. Ein
Melancholischer hat gemeinhin Misantropische Vor-
stellungen, eben deshalb trägt er viel zum besten
des Menschlichen Geschlechts Bey. Allein der ist
doch immer am Glückseeligsten, der allen Dingen
ihre wichtigkeit nehmen kan, denn es ist für
den Menschen, auch würcklich nichts wichtiges in der
Welt. Wir müßen um unserer Bedürfniße
willen etwas Besorgt seyn aber die Besorgnis
muß sich niemahls in eine Sorge verwandeln.
Das Physische vom Temperament ist schwer zu
determiniren diejenigen die es von der Beschaffen-
heit des Blutes herleiten, irren ungemein.
Denn obgleich Melancholie so viel heist schwartze
Grille so findet man doch, daß ein Melancha-
lischer ein mit Galle vermischtes Blut habe:
%und obgleich das lustige Temperament, ein dünnes
Blut voraus sezt, so findet man doch auch melan-
cholische %und Schwermüthige die ein dünnes Blut
haben.
/ Es
|P_311
/Es scheint vielmehr die Complexion des Körpers
eher von den festen als flüßigen Theilen herzu-
rühren, indem die Flüßigen von den festen
bewegt werden, diejenigen die die Tem-
peramente«r» nach denen Neigungen einthei-
len irren gleichfals. Denn die Menschen
können gleiche Neigungen und doch verschie-
dene Temperamente haben. Sie differiren
bloß in der Art, wie sie ihren Vergnügun-
gen nachhängen. ZE den Geitz schreibt man
dem Melancholischen zu; allein man hat an-
gemerkt, daß Sanguinive bis weilen gei-
tzig gewesen Bey einem Phlegmati-
schen findet man nicht viel Thätige Begier-
den, und selbst die Zwecke zielen auf ge-
mächlichkeit ab. Was den Affect der
Temperamente in der Religion betrift,
so will man bemerket haben, daß die
Melancholische in derselben die schwär-
merey der Sanguinische der Freygeisterey,
der Phlegmatische dem Aberglauben, und der
Colerische der Ortodoxie ergeben sey. Der
Grund dieser Meynung läßt sich auf folgende
Art einsehen. Der Melancholische ist
/ ein
|P_312
/Schwärmer, weil er alles für wichtig ansiehet, alles
Ernsthaft tractiret, die größeste Ernsthaftigkeit
aber sich der Schwermuht nähert Bey dieser Schwer-
muht verfält der Mensch in eine heilige
%und vermeßene Kühnheit, das ist eben
die «s»Schwärmerey, so daß diese schwärmerey,
wo er sich Gott mit den aller devotesten
und zuversichtlichsten worten nähren will,
fast in eine Blasphemie Degenerirt weil er sich
Ausdrüke bedient die eine gantz unziemende
Vortreflichkeit mit Gott anzeigen.
/Der Sanguincus ist der FreyGeisterey
ergeben. Er betrachtet die Religion als
eine Mode weil er gar zu ungeduldig ist
sich an Reglen zu binden; so giebt es auch eine
Moralische FreyGeisterey eine solche FreyGeiste-
rey finden wir bey den Franzosen, weil
überhaupt bey ihnen der Gebrauch ist, was
andere Leute mit vieler Ernsthaftigkeit
tractiren lächerlich zu machen, hingegen
Kleinigkeiten eine anscheinende Wichtigkeit
zu geben. Sie Behandlen alles mit einem
gewißen Leichtsinn! Daher man bey ihnen
viel Conversation oder Freundschaft, aber doch
/ auch
|P_313
/ohne Falschheit antrift. Ihre Sache ist sich
an nichts zu hängen. Doch glauben die Fran-
zosen, daß ihr Frauenzimmer, zur freundtschaft
sehr auferlegt sey. Die Engeländer haben
an den franzosen bemerkt, daß in anse-
hung der Conduite zwischen den Vornehmsten
und geringsten, kein Unterscheid ist.
/Die Handwerkers Tochter weis so manirlich
zu reden als die Princeßin in «¿»Engeland ist
aber wieder die Kentnis %und wißenschaften,
bis auf den geringsten Mann ausgebreitet,
in dem die Zeitungen nicht nur daselbst,
so eingerichtet sind, daß sie vom geringsten
Mann mit Nutzen können gelesen wer-
den, sondern auch in der That von allen
gelesen werden. Der Colerische ist
in der Religion ortodox ob man gleich kei-
ne Nation nennen kan die Colerisch wäre
so muß man doch vom Colerischen merken,
daß er die Triebfeder der Thätigkeit hat,
er muß jederzeit was zu thun haben,
daher steigt er gerne zu Ämtern wo er
viel zu reden %und zu ordnen hat. Er ist
zugleich polyphragmatisch %und menget sich in alle
Händel gerne. Er weis sich die Miene eines
Verständigen %und andächtigen zu geben.
/ Wenn
|P_314
/er gleich keinen Verstand keine Andacht hat. Da
er gerne Beschäftigt ist so mag er auch gerne die Reglen der
Religion Strickte befolgen, und andere zur genauen
Observantz derselben anhalten daher er auch
Ketzer macht wo keine sind.
/Der Pflegmatische ist Aberglaubisch, der Aberglaube
bestehet in einer gewißen @Idolie@ und entstehet
aus der Unthätigkeit, die man bey Phlegmatischen
findet. Denn weil er selbst nicht denken mag
so hört er gerne wunder Dinge erzählen. Denen
er bald Glauben beylegt. Die Vernunft incom-
modiret, und man muß ihr gleichsam ferien geben,
um seinen Neigungen nachhängen zu können. Die
Temperamente der Menschen äußern sich auch in
der Schreibart. Ein Melancholischer %und Tiefsin
niger holt seinen Ausdruck aus dem innersten
der Wißenschaften her. Der Sanguinische
wählt das gefallende in der Erscheinung, die
Nettigkeit und Überhaupt das schöne. Daher die San-
guinische Nation auch Muster in Geschmak sind Bey
den Teutschen findet man das Metodische in der
Schreibart. Daher alle ihre Schriften, das Schulmäßige
an sich haben. Dieses ist ihrem Plegma an-
gemeßen, die Ordnung aber die bey ihnen herscht
kommt von der Colera, Denn die Colerische Völcker
sind gemeinhin sehr ordentlich.
/ Sonst
|P_315
/bedeutet das Wort Phlegma das Waßer so man
zu gießet um die Stärke eines Geträncks zu Dämpf-
fen. Aber hier bedeutet das Phlegmatische Tempe-
rament nur den Mangel der Lebhaftigkeit,
überhaupt ist die Nordische Nation mit vielen
Phlegma afficirt, Daher sie auch in ihrem An-
stande eine gewiße Sittsamkeit haben. Eben
deshalb aber, wird auch ein Teutscher Acteur
niemahls die Volkommenheit erreichen, die
ein Französischer hat, denn ein Franzose wird
schon als ein Acteur gebohren, man hat be-
merkt daß die Engelländer beßer ein Lust-
spiel vorstellen wie die Franzosen, und letzte
wieder ein Trauerspiel Dadurch die Engeländer
in verfertigung der Trauerspiele %und die Fran-
zosen in verfertigung der Lustspiele Meister
sind. Woher kommt dieses? Wir können diese
Frage schon aus dem «v»Vorigen beantworten
wenn ein Mensch eine Perschon die diesen
oder jenen Affect ergeben ist recht vorstel-
len will, so muß er selbst nicht afficirt
seyn. So muß ZE ein Herr der seinen Be-
dienten recht ausschelten will, %und also die
Rolle eines Zornigen macht, in der That
wenig afficirt seyn. Denn ist er afficirt
/ so wird
|P_316
/er bloß reden wollen, aber nicht worte fin-
den. Der Bediente sieht daß sein Herr Zornig
ist. er hört aber nichts. Einer der die rolle eines
Verliebten spielen will, muß nicht verliebet
seyn, «k»denn ist er es; so wird er sich zwar sehr
zärtlich %und dehmühtig stellen, allein er wird ver-
stummen und roht werden, auch sich wohl gar pöbel-
haft aufführen. Da nun die Engelländer so wenig
lustig, %und zum Lachen nicht aufgelegt sind mit hin
nicht zu besorgen %und zu vermuthen daß sie bey vor-
stellung eines Lustspiels in Affect oder Lustig-
keit gerahten werden, so haben sie Zeit genug
sich die Person eines lustigen bey der Action
vorzustellen und sie aufs beste nach zu ahmen.
Hingegen sind auch die Franzosen so weit von der Trau-
rigkeit entfernet, daß sie gewiß bey einem
Trauerspiel nicht in affect gerahten werden
und Bloß dieser Uhrsache wegen sind sie Meister
in Aufführung eines Trauerspiels Man pflegt
die Temperamente auch zusammen zu sezzen.
Nach unserer Eintheilung in Temperamente der
Empfindsamkeit %und der Begierde ist nur eine
Vierfache Zusammensetzung möglich. Denn
die sich entgegengesezten Temperamente können
in keinem Menschen vereiniget werden, die
Zusammensetzungen sind.
/ 1.)
|P_317
/1.) Das Melancholisch Colerische Temperament
daß bringt allerley Hirngespinste große %und
blendende Handlungen hervor und ist der Eng-
lischen Nation eigen.
/2.) Das Melancholische Phlegmatische wer
das hat grämmt sich gemeiniglich immer, klagt,
%und hängt sich zulezt auf.
/3.) Das Sanguinisch phlegmatische. Ein solcher
Mensch ist keiner Sache so sehr ergeben
als dem wohlleben. Er ist wie eine
Milch_suppe, die sich mit allen Verträgt.
Er thut nicht Böses, aber auch nichts gutes,
weil ihn beydes incommodiret solche Leute
sind im stande den ganzen Tag am fenster zu
sizzen, %und die Leute vorbey gehen zu sehen.
Sie hangen auch zwar ihren Vergnügungen nach
aber es muß nicht lebhaft seyn.
/4.) Ein Sanguinisch colerischer ist ein Nützlich
Glied im gemeinen Wesen, indem er Arbeit-
sam ist, %und allen Dingen die Wichtigkeit
benimmt, sich über nichts betrübet, sondern
in allen ein Vergnügen suchet.
/Zulezt ist noch zu merken, daß man nicht jede
starke Neigung gleich zum Temperament Zählen
muß. Denn die Ernsthaftigkeit gränzet
sehr nahe an die Melancholie sie ist aber
deshalb nicht eine Melancholie.
/ ≥ Vom Naturell ≤
/Durchs Naturell verstehet man die Fähig-
/ keiten
|P_318
/und Vermögen der Menschen. So sagt man der
Mensch ist von einem gelehrigen Naturell
wenn er fähigkeiten hat gelehrt zu werden und
eine Begierde zu lernen hat. Ferner sagt
man er ist von einem Sanften, oder Ungestüh-
men Naturel. Die rauhigkeit, des Naturels
bestehet im wieder sprüche. Was das Naturel
in ansehung des Vermögens betrift, so sagt
man der Mensch hat ein Naturell zur Poesie
zur Geschichte etc. von manchen sagt man auch: er
hat gar kein Naturel. So sagt man von
den Rußen, daß sie zwar gelehrig wären, daß
sie aber kein Naturel hätten, sie ahmen gerne
und mit sehr vieler genauigkeit nach: Allein es
fehlt ihnen an den ersten Grund Begriffen,
%und principien Daher sie niemahls was lehren
können, denn man lehret niemahls gut, wen
man so lehret als man ist gelehret worden.
Die Fähigkeiten des Kopfs heißen Talente, die
Vermögen deßelben heißen Genie, zum Genie;
wird erfordert ein gewißer Geist %und ein Eigent-
licher Geist. Auch sagt man das Buch ist ohne
Geist wenn nichts als altägliche wahrheiten
darinnen enthalten sind. Denn man verlangt
von einem Buche außer der der richtigen Ord-
nung %und Gründlichkeit, noch einen gewißen
Geist. Nun bedeutet das Wort Geist eigent-
lich nichts anders als das Principium des
/ Lebens
|P_319
/Ein Geist im Buch nennt man eine Ingredi-
entz wodurch das Gemüht gleichsam einen
Stoß bekomt %und belebt wird. So muß ein
jedes bon mot etwas unerwartetes, er-
schüttern des, oder einen Geist enthalten, daß
Genie erfordert auch ferner einen eigentlichen
Geist. Dieses ist dem Geist der Nachahmung
entgegen gesezt. Es kann jemand ein guter
Mathematiker, guter BauMeister ohne Genie
seyn, weil er hier nur nachahmen darf.
Fürnehmlich findet man das Genie bey den Fran-
zosen, Engeländern, %und Italiänern, das
wahre eigentliche Genie ist nur bey den En-
geländern wozu die Freyheit %und regirung viel
beytragen mag. Denn wo schon der Hoff
zu gewaltig ist, %und sich etwas nach Einerley
Muster bildet Da muß zuerst alles einerley
Farbe enthalten. Bey den Teutschen findet
man größesten theils den Geist der Nach-
ahmung, woran unsere Schrifsteller viele Uhr-
sache haben. Denn hier werden Kinder mit nichts
mehr als mit Nachahmung %und mit Gedächtnis
Sachen gequält, ja das gantze Lateinisch lernen
in Schulen wo die Kinder so gar die Phrases
auswendig lernen müßen, %und in Ausarbeitung
sich ihrer bedienen, hindert nur gar zu sehr den
/ Schwung
|P_320
/der Gedanken %und des Geistes. Ein jeder Mensch hat
etwas Eigenthümliches, aber durch solche Schulan-
stalten wird solches erst«ä»ickt %und das Genie des
Menschen gäntzlich verdorben. Die Laune ge-
hört zum Eigenthümlichen der Talente der Un-
terscheid zwischen Genie %und Naturell ist dieser:
wir sind leidend in ansehung des Naturells
%und thätig beym Genie.
/ ≥ Vom Charracter. ≤
/Der Character beziehet sich auf die Complexion
des Körpers, %und bestehet in dem Eigentlichen der
Obern Kräfte des Menschlichen Gemühts der
Mensch hat vielerley Fähigckeiten gewiße
formen anzunehmen, Er hat antrieb, Begierde
Leidenschaften. Er kan auch eine gewiße Sympa-
thie haben da er von allen Leidenschaften frey
ist. Er besietzt aber auch noch etwas Unter-
scheidendes von allem diesem apparatus nehmlich
das Vermögen, sich aller dieser Kräfte, Vermögen
Talente etc. zu bedienen, seine Begierden in ein frey-
es «s»Spiel zu sezzen, oder zurük zu halten %und auf
der Beschaffenheit dieser oberen Kraft Beruhet
der Caracter der Menschen. Es kommt also bey Bestim-
mung Menschlicher Caractere nicht auf seine Triebe
sondern lediglich auf die art an, wie er dieselbe
/ modificiret.
|P_321
/Wir fragen also darnach, wie der Mensch sein
Vermögen %und seine Kräfte gebrauchet, %und zu was
für einem Zwek er sie anwendet? Um also den
Caracter des Menschen bestimmen zu können, muß man
die ihm in seiner Natur gelegte Zweke kennen.
Die Charactere der Menschen sind alle Moralisch.
Denn die Moral ist eben die Wißenschaft
von allen Zweken nach denen wir unsere Vermögen
richten, und anstrengen. Der Character ist
eine Subjective Regel des Oberbegehrungs_Ver-
mögen. Die Objective Regel deßelben enthält
die Moral, mithin macht das Eigenthümliche des
Oberbegehrungs_Vermögens, den Menschlichen Ca-
racter aus«,». So betrachtet ein Mensch bloß aus
dem Gesichts_puncte. Die Ehre. Sein gantzes Ober
Begehrungs_Vermögens gehet nur auf die Ehre.
Ein andrer Mensch hat wieder einen liebreichen Cha-
rackter, deßen gantzes Ober_Begehrungs_Vermögen
auf Wohlthun hinaus läuft. Sehr oft ist der Cha-
racter des Menschen ungemein verwickelt, weil
viele Zweke in seiner Natur liegen. Als denn
muß man die Hauptzweke aussondern %und dar-
aus seinen Character bestimmen. In den Jugendli-
chen Jahren ist des Menschen sein Caracter noch
nicht kentbar %und ein Mensch von von 16 bis 17 Jahren
kan selbst nicht seinen Caracter kennen lernen,
/ weil
|P_322
/weil sich vieleicht noch keine fälle ereignet wo sich
der Caracter könte sehen laßen, denn bildet sich der
Character allemählig aus. Man sagt der Mensch hat
seinen Character verschlimmert oder verbeßert. Man
kann zwar den Hang den man wozu hat, Mindern,
lindern, %und lencken; allein man wird deswegen
keinen beßern Character bekennen. Wer einen Bö-
sen Character hat, wird niemahls den entgegengesezten
guten erhalten, weil der wahre Keim fehlet der
zu dem Ende in der Natur geleget seyn muß.
/ ≥ Von der Phisiognomie. ≤
/Die Menschen haben eine so große Neigung ein-
ander kennen zu lernen, daß sie gar wenn etwas
großes von einem praedicirt wird %und wäre es die
größeste Thorheit, man einen solchen Menschen zu se-
hen wünschet, als wüste man zum Voraus, das
in den Augen eines solchen Boshaften, das Bös-
artige Hertz zu leisen wäre, %und daß man an
einem solchen Menschen lernen könte andere zu flie-
hen, die mit ihm einerley Gesichts Bildung haben.
Woher kommt diese so starke Neigung mit seinen
Augen die Gesinnungen des Menschen auszuforschen
? Man siehet hieraus daß ein Mensch in seinem
äußeren viel habe, voraus man nach Natürlichen
Gesezzen auf das innere schlüßen kan. Daher
/ mögen
|P_323
/wir gerne einen Delinquenten der zum Richtplatz
geführet wird in die Augen sehen, gleich als
wenn wir da bemerken könten, was in demsel-
ben vorgeht. Die Natur hat dem Menschen
den Instinct gegeben, andern ins Gesicht zu sehen;
ja was sonderbahr ist, so scheinet es das wir
mehr demjenigen was wir an jemandes Gesicht
bemerken trauen, als selbst seinen Reden. - Der
Ausdruk Loqu@or@ ut te videam gehet nur darauf,
daß wir aus dem Reden eines Menschen Ta-
lente erkennen können; was aber seine Gesin-
nungen, die aus dem Temperament entspringen
%und die Gemühts_Character deßelben Betrifft so
trauen wir hirin weit mehr unsern Augen
als den Reden eines Menschen zu. Es
hat uns also schon die Natur darauf geführt,
daß wir den Menschen nicht allein aus seinen
Reden; sondern auch aus der Gestalt deßelben
beurtheilen sollen können. Es hat aber mit
der Physiagnomie oder dem Mittel aus den An-
blick die Gesinnungen eines andern zu erkennen,
eine solche Bewandnis daß man daßelbe hierin
niemahls zu sichern Regeln brauchen <bringen> kan.
/Die Vorsehung selbsten hat verhindert, daß das
nie zu einer Kunst geworden, denn würden sich
/ hievon
|P_324
/allgemeine Reglen geben laßen, so würden sich die
Menschen oft haßen, als ob einer dem andern et-
was zu leide gethan. Es würde, da doch ein jeder
Mensch etwas hat, was misfält, das Zutrau-
en unter den Menschen wegfallen, die Einig-
keit würde aufhören %und die Menschliche Gesell-
schaft würde getrennet werden. Es hat
zwar würklich die Vorsicht in den Zügen des
Menschen eine gewiße Maske geleget, damit man
sich für solche Menschen in Acht nehmen könne.
/Allein das Urtheil hierüber ist immer ungewiß
Indeßen wollen wir doch so viel wie sich davon
sagen läst anführen. Unter die Physiognomi@e@
verstehet man nicht nur den gantzen Bau des Kör-
pers, sondern auch die gantze Manier des Men-
schen %und seinen Geschmack in Kleidung. Überhaupt
dasjenige was man mit den äußern Sinnen an
dem Menschen bemerken kan.
/Wir wollen zuerst von der Physiagnomie reden; in so-
ferne man den Gegenstand des gegenwärtigen Zustan-
des des Menschen beobachtet. Ein Mensch kan
sich sehr vergnügt anstellen %und dennoch erkent man
an seinen Augen die Traurigkeit. Man stelt sich oft
frey aber man entdekt in seinen Augen dennoch
eine Verlegenheit. Ein Colerischer der ohne dem
/ sehr Thätig ist
|P_325
/Lage 21
/ist, ist der Vorstellung am meisten fähig. Denn
seine Fasern sind stark gespant daher hat er eine
besondere agilitaet er gehet ordinair steif
%und seine Sprache klinget etwas hoch über die
Brust, %und träget den Kopf gerade. Ein Sangu-
inischer aber nimt allerley Stellungen an.
/Der Colerische kan den Ton eines Lobredners
annehmen er wird am andern große Achtung
bezeigen aber dieses alles ist nur verstelt
er hat einen guten Anstand es ist aber
alles gekünstelt. Seine Musklen sind in
seiner Gewalt Daher er auch wen er Zornig
ist seine Miene nicht verheelet. Es giebt
aber Gesichter die gar nichts bedeuten, %und sagen
um daraus, den Zustand der Seele errathen
zu können solches geld was die Rührung
Betrift, von den Pflegmatischen. Indeßen
wenn man Mienen annimt die die Gesinnungen
verbergen sollen, <so> kommt man doch nicht sonderlich
damit zurecht ZE: Wenn man lachen will
bloß jemanden zu gefallen; so ist solches nur
ein grüseln wo die Mienen zwar verzogen wer-
den die Augen aber gantz starr bleibet und
das sieht heßlich aus, so auch wenn sich jemand
freundschaftlich stellen will, so kann er es doch
nicht so machen daß ein forschendes Auge nicht
merken solte. Man kan sonst den Zustand
des Gemühts aus den Gesichts
/ zügen
|P_326
/bemercken, nur nicht bey denen, die sich verstellen
Sonst aber ist die Beobachtung, ob jemand gesund, oder
krank, Traurig, oder Frölich, liederlich lebhaft ist, nicht
schwer. Man kann solches zum Theil aus den Augen lesen wenn
der Regenbogenfarbigte Rand vom Auge, von dem weißen
gantz Separirt ist; so ist er sehr wohl disponiret
die dunkle farbe vom Auge aber wenn sich dieser
Rand mit dem weißen unmerklich vermischt, so ist
es ein zeichen der Kranckheit. Ferner wenn die
Augen lieder stark geöfnet sind, so ist der Mensch ge-
sund, wenn nicht, so ist er krank. Wenn man
aber auch den gegenwärtigen Zustand doch noch
von dem habitus in der Gemühts art; man kan
aus dem Anblik die Complexion eines Menschen
beurtheilen. Die Complexion ist die Beschaffen-
heit seiner Natur, ob ein Mensch stark, schwach
Gesund, Krank, lebhaft etc ist. Ein Mann der
heyrathen will wird auch gewiß seyn Augen-
merk auf die Complexion richten. Es siehet
darauf auch ein Herr der Sclaven kauft, und
Bediente annimt«,». Ferner wenn man Solda-
ten anwirbt, so solte man auch billig
auf die Complexion sehen, ob sie rauhe Wit-
terung und strenge Lebensart ausstehen können
Indeßen haben oft Leute die Mager sind die
stärkste Complexion. Denn es kommt hier
nur auf die Elasticitaet, der Fasern und
/ Muskeln an
|P_327
/besonders wenn die Musklen im Gesicht
stark sind. Man bemerckt auch aus dem äußern
des Menschen sein Naturel oder alle seine
Fähigkeiten %und Vermögen oder Talente man
siehet wozu er sich lenken läst %und was er thun
kan. Die Fähigckeiten des Menschen, laßen
sich wohl nicht aus dem Anblick beurthei-
len. Die Talente aber wenigstens
will man ausspähen können, da man zum Exem-
pl sagt, der Mensch siehet nicht verständig aus,
oder dem sieht man den Witz an, er sieht recht
fein aus, man sieht ihm das Poßirliche an. Ja
man will einem die Talente des Muhts an-
sehen, allein darin kan man sich sehr irren. Denn
mancher hat wie Homer sagt, das Gesicht eines
Hundes, %und das Hertz eines Hirsches, %und Leute
die sehr blöde zu seyn scheinen haben öfters
den größesten Muht. Denn wenn solche Leute
mit aller ihrer Sanftmuht nicht durch kömmen
so lieben sie der Gefahr die Spitze %und denn zeigt
sich ihr Muht, der sich auch so bald entkräften
läßet, es kommt der eigentliche Muht nicht
vom Bewust_seyn des Besizes, der körperlichen
Stärke her sondern er ist eine Natürliche Folge
vom Bewust_seyn des Besitzers der Vernunft,
und des festen Entschlußes her, auf alles
/ ja
|P_328
/ja auf sein Leben sogar zu resigniren, wenn der
Vorsatz nicht anders in Ausübung gebracht wer-
den kann. Man sieht auch wohl das der Mensch
der den schwächsten Körper hat, dennoch Muht
haben kan, denn was Braucht er einen starken
Körper wenn er auf sein Leben resigniren kan,
so einen Menschen aber sieht man den Muht nicht
an, dagegen sich eine Ungestühme Tapferkeit,
stark in den Mienen äußert, %und auch sehr
bald in ein eine Freyheit verwandelt wird
Ein Muht aber von der ersten Art ist dauerhaf-
ter. Man glaubt auch einen Menschen den edlen
Stoltz ansehen zu können, allein darin irret
man, den Stoltz kan man einem wohl ansehen
aber nicht den edlen. Denn dieser ist Bescheiden
%und äußert sich nicht im mindesten, äußert er sich
aber so ist er nicht mehr edel. Wir bemer@ken@
daß ein Bauer von einem Könige, oder wohl
gar von einem Kayser reden hört er sich ihn
als einen Menschen vorstellt, der nicht
durch die Thüre durch kommen kann, %und bey deßen
Anblick man gleich in die Knie sincken möchte.
Solte er ihn nun zu sehen bekommen, %und der Kay-
ser oder der König wäre wohl gar noch gebrech-
lich so kan er sich nicht überreden, in ihm den
Kayser zu sehen. @Uns@ allen geht es in ge-
/ wißer
|P_329
/art nicht beßer. Denn wenn wir einen Au-
tor gelesen, %und deßen tiefe Kentnis und
Gedanken bewundert haben, hernach aber seyn
Portraet sehen welches uns ihm in unsern
Augen in kleiner hypachondrischer Gestalt
vorstelt; so kommt es uns fast unglaublich
für, daß dieser Mensch solche gute Gedanken
solte gehabt haben, auf solche weise ist die
Gegenwart den Menschen nohtwendig. Dieser
beweiset genugsam, daß man aus den Gesichts
Zügen nicht auf die Talente der Menschen schlüßen
können. Die Natur hat gewolt daß sich alle
Menschen für solche ansehen solte, die eine Gesun-
de Vernunft besizen. Indeßen ist doch gicht
zu leugnen das wen es beym Menschen, vom
gewöhnlichen Mittelmaß gar zu sehr abweichet;
sich solches doch zu äußern pflegt; so kan man
einem recht Dummen Menschen, seine Dumheit, %und
einem Gelehrten Menschen, sehr leicht seine Ge-
lehrsamkeit und Verstand ansehen. Alle
unsere Affecten äußern sich an Mienen %und umge-
kehrt, wenn man die Mienen deßen der im Affect
ist oft nachmacht, so geräht man in Affect.
Die Mienen sind gewis eine weit stärkere
Sprache als die Worte und die Pantomin kan
sicher für eine Sprache gehalten werden
die in der ganzen Welt verstanden wird.
/ Wenn
|P_330
/Wenn wir einen belauschen wollen der Völlig
ruhig ist, der an nichts denkt, was irgend sein
Gemüht in Bewegung sezzen kan; so liegen
die Musklen des Gesichts bereits in der Lage
die seinen Haupt Neigungen gemäß ist. Es ist
kein einziger Mensch ohne Mienen; so hat
einer eine spötische, hönische Miene, der andre
eine Neidische, ja man kan dem andern sogar sei-
ne Grobheit ansehen, %und einen solchen siehet
man nicht gerne lange an, weil man immer
besorgt ist von ihnen beleidigt zu werden,
wenigstens in ansehung seiner Eitelckeit.
Gewiße gesichter haben gar keine Mienen aus
denen man etwas annehmen könte, %und haben
auch keine Fähigkeiten Mienen anzunehmen.
Allein selbst diese Unbiegsamkeit ist schon eine
Miene, %und zeigt an, daß ein solcher Mensch
gar keinen Caracter habe. Manche können
alle Mienen nachahmen, %und dieses hält man
für ein zeichen des Witzes. Man liebt ü-
berhaupt das Pantominische, wenn es sich nur
in schwanken hält, %und in keine Caracter oder
Grimmaßen aus artet solche Menschen können
aber keine Gestalten annehmen. Mancher
hat einen Poetischen Instinct, das heist er
/ muß
|P_331
/dichten, es mag gerahten wie es wolle er
mag ein Talent haben oder nicht. Ein solcher
Mensch hat eine gantz besondere Gemühts
Beschaffenheit er kan alle Charactere
annehmen, aber für sich selbst hat er kei-
nen. Von unsern Poet Pietsch sagt man daß
als er den Prinzen Eugen vorstelte, er mit
großen reitstiefeln in einer gewißen art
von Wuht herumgegangen sey und mit einer
solchen Miene von Wuht sezte er ein Ge-
dicht auf, die Mienen Betrachten ihn auf
gute gedanken, %und ausdrücke. Wenn man
also aus dem ganzen Zuschnitt des Gesichts
und dem protrait, diejenigen die hervorstehen,
und die HauptNeigungen bemerken will, so muß
man den Caracter des Menschen so spalten können,
wie Neuton die farben des Lichts durchs
Prinsma. Die Gestalt des Menschen ist
noch von de«m»n Mienen unterschieden;
so kan ein Mensch was noch seine Gestalt
betrift, ländlich, oder Städtisch aussehen, %und
dieser Unterscheid der Gestalten hat gewis
unter den Menschen statt. Es geht auch gantz
Natürlich zu. Denn diejenigen die auf dem
Lande sind, sind erstlich der Luft mehr expo-
nirt und verlieren dadurch die Delicatesse,
in ihren Gesichtszügen. Die Musklen ver-
lieren ihre Biegsamkeit. Es wirft ein Mensch
/ der
|P_332
/auf dem Lande gezogen ist, seine Blicke immer
auf die Weite, wodurch er denn schon einen gantz
andern Gebrauch seiner Augen Bekommt, als die
welche sich immer im Zimmer aufhalten. Es
haben auch die Städtchen jederzeit mehr sanftes
in ihren Zügen, als die Land leute, der Grund
ist weil die Landleute nicht immer die
Stadleute mit Leuten zu thun haben, die Vor-
nehmen sind, als sie selbst, diese dagegen mit
niedrigen ZE Pferde, jungen, Bauren etc, etc dabey
sie sich eine Gebietherische Miene angewöhnen
Selbst die Stände geben eine unterschiedene
Miene, so bemerkt man an den Fleischhauern
etwas Trotziges, %und Kuhnes, an den Schneidern
etwas Demüthiges, weil die Fleischhauer
aufs Land gehen müßen, um Vieh zu kauf-
fen, wo sie es mit den schlechtesten Leuten
zu thun haben, denen sie was vorpochen %und
lermen müßen, außerdem hat ihr Hand
werk schon so etwas Manhaftes an sich. Ei-
nen Geistlichen der die wahre Religion hat,
sieht man das beate, das selbst zufriedene an
seinem Gesichte an, %und wer kan auch vergnüg-
ter seyn als der die wahre Religion hat.
Oft macht schon die Geburt, %und daß herkommen
daß der Mensch eine besondere Miene hat
/ Mancher
|P_333
/Mancher große herr hat schon eine Miene die
jeden zurük hält, aber man sagt auch von
einem Vornehmen Mann, der Mann hat
ein gemeines Gesicht: Was will das
sagen? ist denn ein gemeines Gesicht so
etwas verhaßtes, man muß glauben
daß das was schon so algemein ist, einen
Grund habe, wens gleich sehr schwer ist den
Grund ausfindig zu machen. Die Raison
vom obigen Urtheil ist diese: Die Maniren,
Manche Menschen schlagen in das glatte ein
%und das liegt schon in ihren Naturel. Wenn
diese Zuge nicht recht exprimirt sind, so än-
dert die Erziehung eine solche Miene, %und
so bekommt er eine andere Miene, aber die
vorigen Mienen mischen sich doch mit ein. Der
Caracter des Menschen läßt sich schwer aus
den Gesichts Zügen ziehen, weil man hier
nicht nur die Temperamente fest zu sez-
zen hat; sondern selbst das Hertz unter-
suchen, welches von allen Temperamenten
gantz unterschieden ist, die man alle nicht
kennt, so sucht man um so viel mit seinen
Augen, das Hertz des Menschen auszusprähen,
damit man sich einen wähle, mit dem man
sich unterhalten könne. Man addressiret
sich als denn gerne an einen, dem man was
/ gefälliges
|P_334
/ansiehet, und der Talente verräht. Das aller-
erste was sich im Caracter des Menschen äußert,
ist die Guthertzigkeit, nach welcher man nicht
gerne thut, was einen Misfält, %und leicht über
einen ausdruk, der denn auch beleidigt errohten
kann, außer Dieser Guthertzigckeit verlangt
man an seinen Gesellschafter auch die Frey-
mühtigkeit, denn dadurch nähren sich die Men-
schen am Meisten, sie faßen ein Wechsel-
seitiges Zutrauen. Mit der Guthertzig-
keit aber müßen Talente verbunden seyn.
Man möchte einem guthertzigen gerne was
anvertrauen, allein wie kan man wen er
bloß guthertzig ist, wißen, ob er es verschweigen
könne. Man möchte gerne einen guthertzigen
Geld leihen, allein wer weis aber seyn
Wort halten %und es mir zu rechter Zeit wie-
der geben kann. Was die Bücher anbetrift,
die von der Exegie der Bücher handlen, so kön-
nen zwar darin viele richtige Anmerkungen sind;
allein es läßt sich doch nichts mit gewißheit da-
von sagen. Eine Anmerkung anzuführen so hat
es seine Völlige Richtigckeit, daß wenn ein Mensch
der sonsten nicht spielet, beym Erzählen spielet, so ist
das was er sagt gewis gelogen, das roht %und blaß
werden kan, gantz entgegengesezte Uhrsachen haben,
der eine wird roht weil er sich des Vergehens
/ deßen
|P_335
/man ihn beschuldiget, bewust ist, der andere
bloß darum, weil er sich dadurch schon beleidiget
findet, daß der andere gegen ihn einen Verdacht
äußert. Mancher General der nicht für Batte-
rien erschrikt; wird roht, wenn er öffentlich
reden soll, das macht, es betrift einen Ehren-
punkt. Derjenige der sich an eine gewiße
Fermeté gewöhnt hat, wen er es nur nicht
misbraucht, das größeste Geschenk von
der Natur. Wenn aber diese Fermeté in
eine Dumdreistigkeit aus artet, so ist nichts
so sehr misfällig. Sehr oft gefält die Blö-
digkeit so, daß auch Cicero bey seinen reden sich
oft blöde stellt, ob er es gleich nicht war.
/Die Zuhörer haben es denn, wenn der redner nur
nicht steken bleibt, eine große Nachsicht ge-
gen den, wenn er aus Respect gegen sie blöde
ist. Die Blödigkeit empfielet sich, uns mehr
weil sie unsere Mitleiden rege macht. Wer
mit Vorsatz blöde Thut, handelt ungroßmühtig.
Ein Mensch kan gebildet werden.
/I. Nach seinem Temperament, %und das geschiehet
durch die Disciplin, denn der Mensch ist ein
Thier welches Disciplin nöhtig hat
%und der ohne Disciplin aufwächset ist
einem wilden Thiere nicht unähnlich: und
hierin hat Russau@p@ wohl gefählt wenn
er glaubt das die Disciplin schon aus der Natur
des Menschen fließe.
/ II.
|P_336
/II.) Nach seiner Complexion so daß er in ansehung
seines Cörpers alles ertragen lernt %und das
geschiehet durch die Erziehung.
/III.) Nach seinem Naturel. Dies geschiehet durch die
Information. Allein solche Information
haben wir selten, wo das Kind nicht nur
in Wißenschaften unterrichtet wird, son-
dern wodurch das Naturel eines Kindes
zuerst ausfindig gemacht wird, und wenn
man in demselben einen Kein des Genies
findet, solches aus zubilden %und zu exculiren
sucht.
/IV.) Nachdem Carackter %und dieses geschiehet
nur durch Beyspiele, denn dadurch da«s»ß
man ihm sagt, was gut, was rechtschaf-
fen %und Tugendhaft heißt, lernt der
Mensch sich wohl von allem gut reden, aber
in sein hertz können nur Beyspiele eindrin-
gen. Unsere Eltern bilden nicht ein-
mahl die Complexion des Kindes, sie
pflegen und vertäntelt es, %und wißen nicht
daß sie das Kind, eben dadurch unglück-
lich machen. Was die Bildung des Tem-
peraments betrift; so wird den jungen
HErren, in allem Wille gelaßen, da-
mit er nicht vor ärgernis krank werde.
/ Die
|P_337
/Die Information möchte wohl das einzige
seyn wofür sie sorgen, wiewohl man sich wenig
um das Naturel der Kinder bekümmert, die Bey-
spiele die sie den Kindern zur Bildung ihres
Caracters geben, sind öfters schlecht genug,
einige Menschen, sind sehr aufgelegt, auch
die schwächsten Empfindungen %und Veränderun-
gen in sich wahr zu nehmen andre hinge-
gen sind gar nicht Geschikt dazu, %und sind auch
nicht vermögend andre zu Beobachten. Es
kan jemand in der Phisiognomie es sehr
weit gebracht haben, allein er kann diese
Geschicklichkeit keinen andern das feine
in seiner Erziehung geben kan. Manches
Gesicht erwekt zutrauen, manches Mis-
trauen, jedoch können dieses einige gar
nicht bemerken. Die Mienen sind desto
sprächender jemehr jemand gesprochen hat,
Daher man an einem solchen der seine Zeit
in der Einsamkeit aber in einer Gedanken-
losigkeit zubringt fast nichts bemerken
kan. Es wollen zwar einige bey erachtung
des Caracters, den ganzen Bau des Körpers
und nicht allein die Mienen in Anschlag
bringen. Allein aus dem Bau des Kör-
pers kann man nur die Complexion %und einen Theil
des aus der Complexion herfließenden Tem-
/ peraments
|P_338
/niemahls aber den Caracter, des Menschen errahten. In-
deßen will man doch bemerkt haben daß große
Leute sanfter sind, als kleine, welches auch von
allen Thieren gelten soll. Der Grund hiervon
ist dieser, weil bey jedem Thier die Beweg-
Kraft der Muskeln %und die spannung der Nerven
%und Fasern, nach der Proportion ihrer zunehmenden
Größe ab nimt. Wie solches Gallelaeus Mathe-
matisch bewiesen hat. Man kan den Menschen
auch ferner Beurtheilen aus seinen gantzen
äußeren Betragen, aus der Art der Kleider,
aus der Wahl der Gesellschaften, aus seinen
Lieblings zerstreuungen, etc aus der Kleidung
des Menschen, kan man schon sehen wie ein
Mensch in die Augen fallen will, denn die Klei-
dung, der Aufputz ist die Methode, die Aufnahme
zu praepariren. Einer der sich in helle farben
mit Gold besezet kleidet, %und reinlich in seiner
Wäsche ist, will auch reinlich aufgenommen
seyn Derjenige der reine starke %und schreyende Far-
be zu seiner Kleidung nimmt, dem sieht man
sicher an, daß in seiner Art zu denken nicht das
wahre Mittelmaas angetroffen wird. So kann
man also die Richtigkeit des Geschmackes eines
Menschen an seiner Kleidung bemerken, nur muß
man viele seiner Kleider die er sich gewählet hat
sehen. Endlich will man sogar am Gange, das Tem-
perament, des Menschen errahten, Ein Colerischer gehet
gemeinhin steiff %und das hüpffende im gange zeigt
/ das
|P_339
/Flatterhafte im dencken an.
/ ≥ Vom Caracter der Völcker. ≤
/Es haben Hume und viele andere fast gäntz-
lich ableugnen wollen, daß es einen Nati-
onal_Caracter gebe, aus der Uhrsache, weil
uns etwas oft gantz gleich zu seyn scheinet,
bey welchem wir doch wenn unsere Kent-
niße von der Sache erweitert «sind»wäre; viele
unterscheide bemerken. So kan man ein
paar Menschen von ferne für Brüder ansehen,
so ähnlich scheinen sie sich zu seyn; allein ge-
näher man ihnen komt, desto mehr Unterschei-
de durch Zeichen, fallen, uns in die Augen.
Wenn wir aber wißen das durch den Carac-
ter die gesinnungen, unseres Gemühts verstan-
den werden, und hiebey vieles auf das Tempe-
rament ankommt, denn so ist ein Mensch Jach-
Zornig weil er sich thätig. fühlt, das Tem-
perament aber zum aus der Complexion her-
komt %und diese nach verschiedenheit der Blut-
mischungen, der Bildung der Mechanischen Theile
des Körpers %und der Reitzbarkeit der Nerven unter
verschiedenen Clema, aus sehr verschiedenen
Clematen auch sehr verschieden ist; so ist es
wohl nicht zu läugnen, daß es einen Na-
tional_Caracter gebe, Lied von der Kranckheiten
/ der
|P_340
/Europäer und anderer Länder zeigt was die Cor-
rumpirte Luft, für gantz besondere Wirkun-
gen habe. Er führet an, daß es unter den
Negers einige sehr witzige einige gantz Stupide
und dumme Leute gebe nachdem sie entweder auf den
Bergen oder in andern Gegenden Gebohren %und auf-
erzogen wären. Der Caracter aller Ameri-
aner ist, die Unempfindlichkeit %und die hieraus
entspringende gleichgültigkeit, ja selbst die Cra-
olen, die alda von Europäischen Eltern gebohren
werden, sind von der Beschaffenheit. Es affi-
cirt sie nichts, sie werden weder durch Versprä-
chungen, noch drohungen gerührt, ja sie sind selbst
in Ansehung der Geschlechter Neigung kaltsinnig
Die Nation welche wohl am meisten in Ge-
danken seizzen kan, sind die Indianer die in ihrer
wohl etwas Würffel spielen, welches an sich
schon ein Melancholisches spiel ist; Bey her-
annahenden Iahren aber wohl etliche Stunden,
nach einander an einer Angel siezzen können,
wenn gleich kein Fisch anbeißt. Die Ne-
gers in Africa sind von einem gantz entge-
gen gesezten Caracter. Sie haben eine sehr
starke Empfindlichkeit, sind aber dabey läp-
/ pisch
|P_341
/läppisch. Denn obgleich ihre Fasern sehr reitzbar
sind, so fehlet ihnen doch eine große Festigkeit
in demselben sie sind wie die Affen %und sehr ge-
neigt zum Tantzen dergestalt daß sie auch
an dem einzigen Lücke den sie von ihren
Arbeiten frey haben, übermäßig viel %und wenn
sie auch den gantzen Tag gearbeitet haben,
so plaudern sie doch fast die gantze Nacht durch,
%und schlaffen wenig, obgleich sie den folgenden
Tag sie die schweresten Arbeiten zu verrichten
haben, überdem sind sie sehr leichtsinnig und
eitel. Der Caracter der Ost_Indianer
ist zurück haltend %und behutsam, sie sehen alle
so aus, als Philosopfen, wenn ein Europäer
sie anfährt, so besänftigen sie ihn, %und ent-
fernen sich gerne um nicht Streit zu haben.
Das scheint von der F«rey»einheit ihrer Fasern herzu-
kommen, da sie sehr leicht aus aller Faßung
gebracht werden. Die Türken %und Tartarn
so ein Volck aus machen (man rechne aber
hierher nicht die Nageyer wie auch nicht die
Budziacker hin, wenn sie gleich die nehmliche
Religion haben, so sind sie doch nicht von der
selben race) haben schon in ihrem Aussehen
einen gewißen Stoltz, sie sind Trotzig und
unterdrückend, %und daß sind sie zu aller zeit
gewesen, %und das werden auch wohl blei-
/ ben.
|P_342
/Ein National_Caracter ist nicht eine bloße Chi-
maere, denn so wie ein Kalmükisches, %und Neger-
sches Gesicht gleich in die Augen fält, so leicht be-
mercket man auch von welcher Nation jemand
sey, wenn man die National_Caracter kennet.
Wer solte woll nicht einen Franzosen kennen.
Unter den Preußen kan wohl kein National
Caracter angetroffen werden, weil die Na-
tion sehr gemengt ist. Indeßen will man ihr
doch die Falschheit %und zurückhaltung beymeßen
das letztere kann wohl als eine folge da-
von angesehen werden, daß die familien
gantz verschieden, %und sich einander fremde sind
Von den Czeremissen welches heiden waren an
den Grentzen des Gebürges so Rusland vom Mas-
wischen Gouvernement abhandelt, hat man auch
versichert, daß sie alle fremde unterscheiden
können, sie mögen gekleidet seyn wie sie wollen.
/ ≥ Vom Carackter der Geschlechter. ≤
/Bey dem Geschlecht unter den Menschen welches
die größeste Schwäche bey sich führet, deßen
Organisation die wenigste Dauerhaftigkeit
%und die mindeste stärke ist, kan man sicher die grö@ße@-
ste Kunst voraus sezzen; so wie bey kleinen
maschinen zwar nicht die Dauerhaftigckeit, der großen
jedoch aber mehr Kunst angetroffen wird, und
/ es
|P_343
/ist weit künstlicher sie so ein zu richten, daß die
kleinere; die größere Bewege, als daß die
große die kleinere in Bewegung bringen solte.
So muß auch der Natürliche Caracter eines
Weibes, die dem Mann bewegen soll, eine an-
gelegte Kunst seyn. Dieses sind die allgemeine
Betrachtungen die uns zu dem Beweise vor-
bereiten, daß von dem Weiblichen Geschlecht
alles durch die Kunst %und unter einem gewißen
scheine müße ausgerichtet w«¿tz»erden., es gehört
zur vereinigung der Personen, nicht nur die
Einstimmung, Einerleyheit, Gleichheit, %und Ähn-
lichkeit, denn «was» wenn daß nur wäre so
konte zwar eine Perschon an der andern einen
gefallen haben sie könten aber doch einander
entbehren, sondern es wird zur Vereinigung
zweyer Personen von verschiedenen Geschlechte erfor-
dert, daß sie sich unentbehrlich seyn. Wenn
der einen Person das fehlt, was die andere
besiezt, %und wechsels weise einer die Bedürf-
niße des andern ersezen kan, denn nur
auf solche weise kan eine Dauerhafte
Verbindung gedacht werden wofür denn auch
die Natur gesorgt hat. So ist daß dem Weib-
lichen Geschlecht versagt, was sie dem Mänlichen
gegeben und Umgekehrt. Wir bemerken daß
wenn die Weiber critisiren sie ein recht zu
haben glauben, über ihre schwäche zu spotten %und wenn
solches nur mit Manier geschiehet ohne die Grentzen
/ der
|P_344
/Achtung zu überschreiten, so findet sich das Weibliche
Geschlecht hiedurch gar nicht beleidiget. Der Grund
ist dieser weil es sehr gut weiß daß eben die schwä-
che, der Mangel worüber man spottet eben die
Faden sind, an die sich die Manner verstriken. Der
Mann ist einer Fliege ähnlich die wenn sie ins ge-
webe kommt, noch so viel flattern mag, ihre Er-
lösung ist vereitelt. Ein Frauenzimmer ist nie lie-
benswürdig um des Mänlichen das ihr beywohnet,
eben so wenig es eine Mannsperson um des Weib-
lichen willen ist das er in sich hat. Die Schwäche
steht einem Frauenzimmer immer sehr wohl an,
%und hat eine sehr große würkung auf den Mann,
so daß es sehr oft eine gewiße Wichtigckeit, Ekel,
Furchtsamkeit afficiret, bloß um die Großmuht
beym Manne rege zu machen Denn es liegt schon
in der Männlichen Seele ein Natürlicher Beruf
das Weib zu schüzzen, %und es ist gleichsam dem di-
plom der Menscheit zuwider das Weib mit har-
ten Worten viel weniger mit schlägen, an zugreif-
fen. Es fordert also die Affectirte schwäche, die
Großmuht der Manner auf, solches sehen wir @von@
allen: ZE: Wenn Mann %und Frau an einem Waßer
kommen, welches sie nohtwendig durchwandern müßen
%und sie hätten beide Schuh %und Strümpffe an, so hülft
dem Mann nichts er muß die Frau auf die Ar-
me nehmen %und sie durch tragen, daß der Mann die
Beschwerden über sich zu nehmen verbunden sey,
/ weis
|P_345
/weis das Frauenzimmer so gewis, daß bey ihnen
dem Mann eine Beschwerde veruhrsachen so
viel heißt, als ihm dadurch eine Gelegenheit
geben seinem ihm von der Natur auferlegten
Ambte ein Gnüge zu thun. Das Weib muß
nicht die Natur dirigiren sondern die Natur
muß der Mann %und der Wille des Mannes hin-
wiederum dem Willen der Frauenzimmer un-
terworffen seyn, Daß heist aber nicht so viel
die Frau muß den Mann beherschen sondern
die Sachen gehören alle dem Departement
des Mannes; wenn also eine Sache im
Hauße fehlt; so muß der Mann für die
Herbeyschaffung derselben Sorge tragen: Al-
lein er muß doch hierin die frau um Raht
fragen, %und ihren Willen. Gemäß handlen, am
Ende ist also die Frau immer mächtiger als
der Mann, sie ist es aber mit mehrerer Beqüm-
lichkeit. Ein Bewundrens würdiges Kunststük
der Natur bemercken wir in unserer Einrich-
tung, daß sie nehmlich den Mann phisica-
lisch stärker als das Weib gebildet hat
ihn aber schwächer gemacht in Ansehung der
Neigungen. Es ist gewis daß die Neigung der
Männer gegen die Weiber, die gegenseitige
weit übertrift, %und dieses ist eben was die
Männer schwach macht, hieraus entspringt
/ auch
|P_346
/auch das blinde zutrauen des Mannes gegen das Weib
%und die leicht gläubigkeit in ansehung deßen was ihm
das Weib sagt. Ja die Frauens glauben auch daß
es eine schuldigkeit des Mannes sey, der Frau
alles geradezu, zu glauben. Pape erzählt vom
Januarie %und der Maja, daß als ersterer diese
im Ehebruch angetroffen, %und seinen Verdruß
äußerte sie zu ihm gesagt haben soll. Ach Verräh-
ter du liebst mich nicht mehr, denn du glaubest
mehr dem was du siehest, als was ich dir sage.
Die große Neigung des Mannes gegen das
Weib macht ihn auch so offenhertzig gegen daßelbe,
daß er ihr alles entdeckt, Dahingegen das
Weib ihre eigene Geheimniße wohl zu verschwei-
gen weiß. Daß Frauenzimmer kann sonst
schweigen, aber man verstehet dieses nur von
ihren eigenen Geheimnißen, daß was den Mann
ferner schwächt, ist daß dem Weiblichen Ge-
schlechte Trähnen zu gebote stehen. Die Miene
der Unschuld die es anzunehmen weis die
Paßende Exclamation bey ihrer Vertheidigung
kurtz alles vereinigt sich in ihnen, den Mann
zu unterwerffen, %und seine Großmuht zu exci-
tiren. Zu dieser ihrer Vertheidigung hat ihnen
die Natur auch eine besondere Beredsamkeit
gegeben. Es hat das Weibliche Geschlecht auch
eine besondere Fertigckeit sich ser geschwinde von
allen Dingen eine superficielle Kentnis zu
/ verschaffen
|P_347
/und eine besondere leichtigkeit von dem zu reden, waß
sie nur halb wißen. Es sagt auch ein gewißer
Autor wie es sehr gut %und Nützlich sey, daß, das
Frauenzimmer soviel spräche, denn wie würden sonst
die kleinen Kinder reden lernen, wenn nicht jemand
wäre der ihnen immer vorschwatzte. Es hat
die Natur dem Frauenzimmer die Gesprächigkeit;
zu einem doppelten Endzwek ertheilet, nehm-
lich um sich vertheidigen zu können und den
man von seinen ersten Geschäften ausruhen
zu laßen, daß es aber besonders zur Verthei-
digung ist, siehet man an den gemeinen Leuten.
Ein Handwercker schickt, wenn seine Gegenwart, nicht
nohtwendig erfordert wird gemeiniglich seine Frau
aufs Rahthau«ß»s um die strittige Sache mit sei-
nen Nachtbar gut zu machen, weil er nicht so
gut mit der Sprache zurecht kommt als das Weib;
im disputiren, wo es auf gezangte ankomt
übertrift wohl nichts das Frauenzimmer. Es
glaubt nie genung gesagt zu haben, wenn es
gleich eine Stunde weg gesprochen hat. Die
Weibliche Neigung ist, immer algemeiner
als die Männliche und die Weiber sind indif-
ferenter gegen einzelne Männer, dagegen die
Männer leicht auf eine einzige Person ver-
fallen, %und hierin ist eben das Weib stärcker
%und der Mann schwächer, die Natur muste auch
/ das
|P_348
/Weib in ansehung der Neigung nicht schwächer ma-
chen denn so wäre sie da sie phisicalisch schwächer
ist als der Mann, eine Völlige Sclavin deßelben
Es ist auch das Frauenzimmer nicht so fein in
der Beurtheilung %und der Wahl der Männer als
diese in der Wahl die Weiber. Das Frauen-
zimmer hat hierin einen etwas derben Geschmak
es kan bald einen Mann vergeßen, %und einen an-
dern lieben. Allein die Männer besonders
in der Jugend ehe sie zur reiffen Überlegung
kommen opfern wohl ihr gantzes Vermögen auf
bloß einer Person die ihnen gefält habhaft
zu werden. Die Uhrsache liegt zum Theil d@ar@
innen die Männer sind nicht so schön gebauet
als die Frauenzimmer, wenigstens fehlen ihnen
die feinen Gesichts züge die man beym Frau-
enzimmer Bemerckt. Es müste also die
Natur einen etwas derben, %und weniger Zar-
ten Geschmak in ansehung der wahl der
Männer den Weibern geben, denn da sie alle
nicht recht schön sind, so würden sie keinen lie@ben@
können, hingegen muste die Natur den Män-
nern einen verfeinerten Geschmak geben, da-
mit sie nicht vergeblich die feinen Gesichts_züge
an Frauenzimmer verschwendet hätte. Es hat
auch die Natur das Frauenzimmer dazu Be-
stimt, nicht Männer zu wählen, sondern
/ sich
|P_349
/gantz gleichgültig gegen das andere Geschlecht
zu stellen; so daß sie nicht anders in die Verei-
nigung willigen müße, als wenn sie von der
Mannsperson dazugezwungen zu seyn scheinen, %und
was schon nicht anders sein kan. Sie müßen
Daher niemahls eine Neigung gegen eine
Mannsperschon verrahten, denn wer einer
Neigung nachhängt wird schwach. Nun aber
hat die Natur nicht gewolt, daß die Frauenzimmer
in Ansehung der Neigung schwächer seyn sollen
daher sie ihnen eine stärke mitgetheilet,
%und ein Vermögen damit verbunden, gantz gleich-
gültige Begierden annehmen zu können;
wenn sie gleich vor Begierde brennen, einen
Mann zu ehelichen. Das Fundament dieser
Maske, ist also daß, das Frauenzimmer, in
Rücksicht der Neigungen stärker seyn soll als der
Mann. Der Mann liebet die Frau, die Frau
aber duldet nur die Careßen, das Weibliche
Geschlecht muß gegen das Männliche gantz indif-
ferent seyn, denn sie sollen nicht wählen; sondern
gewählt werden. Es geschiehet auch sehr oft daß
ein Frauenszimmer, nicht den Mann bekomt,
den es wünschet, würde nun sein Geschmak
von Natur aus indifferent seyn; so würde das
Frauenzimmer unglüklich seyn. In regula kann
das Weib alle Männer dulden, wenn sie
/ auch
|P_350
/excessiv häßlich sind. Alles Frauenzimmer auch wenn
es gleich verheyratet ist, nicht aufhöre«t»n zu gefal-
len. Daher ihnen die Natur die reitzende Gesichts
Züge auch im verheyrateten Stande noch läßt,
damit es einem dritten gefallen könne wenn
der Mann stirbt. Denn an %und für sich hat das
frauenzimmer gar keine quelle des Unterhalts
Es ist also jedes Frauenzimmer auch verheyratet
noch immer eine Coquette im gelindern Ver-
stande, es muß zwar continuiren zu gefallen
wenn es gleich verheyrathet ist, nur nicht die
grentzen der Bescheidenheit übertreten. Auch
bemerket man das ein Frauenzimmer sich nicht sehr
über den Verlust ihres Mannes grämet son-
dern bald einem andern zu gefallen suchet,
aus diesem allen leuchtet die weise Sorge der
Natur für die Erhaltung der Art hervor. Es
ist diese Philosophische Betrachtung über den
Geschlechter Caracter so wohl in ansehung unserer
künftigen Führung, als auch bey Erziehung der Kin-
der nützlich. Hume in einer seiner Philosophischen Un-
tersuchung führt an, daß ein Frauenzimmer eher alle
Satyren vergeben könne als die Satyren auf den
Ehestand, vieleicht weil es weis daß der Mann
mit«¿¿» recht alle Beschwärden des Ehestandes, auf
ihre rechnung bringen kan. Die wahre Uhrsache
ist wohl diese weil in der That der Wehrt
/ des
|P_351
/Frauenzimmers nur darauf beruhet daß es die
einzige Bedingung sey, unter welche das
Männliche Geschlecht in einer ehelichen Ver-
bindung die frau gewinnt. - Denn der Mann
verliert dabey einen Theil seiner Freyheit,
das Frauenzimmer aber wird durch die Ehe
frey, indem ihr im verehelichten stande vie-
les frey stehet was ihr im UnverEhlichten Unan-
ständig war. Die freyheit ohne Vermögen
ist auch von Keinem Nutzen, ein frauenzim-
mer aber bekommt durch die verbindung diese
Macht, dieses Vermögen, worin sie ihre freyheit
äußern kan. Was das Regiment im Hause
betrift, so muß man hier die regirung oder Verwal-
tung des Hauses, wohl von der Herrschafft unterschei-
den. Die Herrschaft im Hause führt der
Mann, die Regirung die Frau. Der Mann siehet
auf das gantze im Hause %und schaft das nöhtige
herbey, Die Frau aber darauf, daß, was schon in
einem Hause vorhanden ist, zu einem Vergnügen
der, angenehmen genus, wird. So findet man
doch nicht selten, daß die Herrschaft auf Seiten
der Frau ist Hier kan man sich eine allgemeine
Regel merken. Ein junge Mann ist allezeit
Herr über eine alte frau, %und eine junge frau
herscht über einen alten Mann. Es zeigt sich hier
ein sehr guter prospect in ansehung der Uhrsachen, die-
ser allgemeinen regel und Erfahrungen, wir
/ wißen
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/nehmlich, daß derjenige der nicht zählen kan, jederzeit
sehr höflich ist Daher wenn man zwey Leute bey
einem Kaufman siehet, sehr leicht unterscheiden
kan, welcher die Waaren vorher Bezahlt hat,
oder welcher sie auf Credit genommen, letzterer
ist jederzeit höflich, eben so gehet es auch mit
den Ehen, daher es auch kein wunder ist, daß
wenn der Mann nicht zahlen kan, die frau die
Herrschaft im Hause führe. hieraus siehet
man, daß das Mittel der Herrschaft im Hau-
se, die vorhergehende Jugend ist. Derjenige
der nicht also künftig ein Sclave seiner Frau
seyn will, sondern an ihr eine Gesellschafterin
nicht aber eine gebieterin haben will muß
die Ausschweiffung in der Jugend vermeiden.
Obgleich dieses kleine Beobachtungen sind, so
fließen sie doch ins gantze Leben ein. Wenn
aber die Frau wieder die Natur die Herrschaft
im Hause führet, so gehet alles verkehrt im
Hause zu. Denn wenn die Frau gleich einen
großen Verstand hat, so ist er doch von gantz ande-
rer Natur, als der Mänliche. Ein Frauenzimmer
ist immer geschickter Mittel zu einem Endzwek
zu erfinden. Der Mann aber besiezt mehr ge-
sunde Vernunft zur erwählung eines Zwekes. Es
ist auch in der That die größeste Unehre des Mannes,
von den Einfällen seiner Frauen zu dependiren. Daß auch
das Frauenzimmer sehr wohl weis, daß wenn es sich
/ die
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/Herrschaft anmaßet, es in die rechte des Mannes
greift, solches siehet man daraus, weil die Frau
wenn sie den Mann ins Verderben stürtzt, doch
noch dem Mann, du hättest es wißen sollen, der
haupt Endzwek des Frauenzimmers ist der Glantz wo-
mit sie andere ihres Geschlechts zu verdunklen sucht,
daher sie gemeiniglich für sich allein schlecht eßen.
Der Mann wird zwar auch so abgespeiset, allein
er hat den Vortheil, daß wenn er eine féte
giebt alles desto prächtiger seyn wird, daß Frauenzimmer
ist überhaupt mäßiger als das Männliche Geschlecht
aber nur für sich zu Hause. Ihre gantze Bemühung
gehet nur dahin, daß sie gut in die Augen fallen
diesen Instinct hat ihnen die Natur nur des we-
gen gegeben, weil sie gewählt werden sollen,
es ist aber doch sonderbar wie es kommt daß das
Frauenzimmer sich nie vor Mannspersonen putzt,
sondern vor andere Frauenzimmer. Es Betrift
dieses einen Ehrenpunkt, in ansehung ande-
rer Frauenzimmer, %und ist schwer zu erklähren.
Die wahre Ursache scheint diese zu seyn, weil
das Frauenzimmer in einer durchgängigen Ja-
lousie ist. Kein Frauenzimmer hat an der andern
eine wahre«¿» vertraute, sie sind einander
Nebenbuhlerinnen, %und deshalb suchet eine die
andere zu übertreffen. Es ist auch das Frauen-
zimmer in ansehung des Titels weit delica-
ter als die Männer, Überhaupt sucht ein je-
des Frauenzimmer die preference für die an-
/ deren
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/ZE. Eine Adeliche vor der Bürgerlichen, der Grund
ist dieser. Je zweydeutiger der Unterscheid
zwischen zwey ständen ist, desto erpichter ist
ein jedweder auf Vorzüge, nun ist der Unterscheid
des standes unter Frauenzimmer sehr klein, weil ihr
stand in ansehung der Erbfolge von keiner wich-
tigkeit ist, sie werden von denen Manspersonen,
nach ihren unmittelbahren Wehrt betrachtet,
daher ein schönes %und artiges Frauenzimmer ehe
verdinet eine Prinzeßin zu werden, wenn sie
gleich von einem niedrigen stande ist: als wie
eine vom vornehmsten stande, die sonst keine
Verdienste hat. Ein vernünftiger Mann wird
auch nicht auf den Rang eines Frauenzimmers
sehen den er ihr durch die vermählung selbst ge-
ben kann. Da also die Frauenzimmer ihrem Range
nach, wenig unterschieden sind; so ist ihre
Jalousie unter einander desto stärker. Auch hier
hat die Natur ihre Absicht gehabt, weil
sie gewolt das jedes Frauenzimmer ihren Mann
allein nach hängen soll. Wir bemerken auch
das die Frauenzimmer Karger sind als die Männer
daher sie auch gerne Geschenke annehmen wenn
sie auch noch so reich sind, dieses kömt daher
weil es durch geschenke niemahls obligirt
wird, ein Mann aber wird durch sie etwas Ver-
bunden. Man pflegt nach der heutigen Mode den-
jenigen einen guten Wehrt zu nennen, der
/ karg ist,
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/in der That aber kann man dem diesen Namen
geben, bey welchen man gut aufgenommen wird.
Wer aber ist nun wohl weniger ein guter wihrt
als ein karger? der sich selbsten nicht ein mahl
gut aufnimmt. Es ist eine ganz plumpe art reich
zu werden, das man es seinem Munde abzieht,
allein so machen es die Klugen, daß sie ohne
großen Aufwand, doch gut leben, %und andere auf
eben die art gut aufnehmen, %und das heist gut
wihrtschaften. Alles Frauenzimmer incliniret
zum Geitz, %und wenn es je etwas giebt, so
ist es so viel, daß es ihnen entweder gar nichts
kostet, oder sie nicht brauchen können, auch hierinnen
kan man die Vortrefliche Einrichtungen, der
Natur Bewundern, die gewolt hat, daß
der Theil des Geschlechts der nichts erwirbt,
auch nicht freygebig seyn soll. Es ist gut das der Mann
Freygebig %und die Frau karg ist. Man sieht auch
daß die Frauenzimmer dem Putze %und der reinlich-
keit ergeben sind. Es giebt aber in ansehung
der reinlichkeit einen Doppelten Geschmack der
Reinlichkeit hat gemeinhin der Mann, er siehet
nicht viel darauf, ob es im Hause reinlich sey
wenn es nur auf seinem Leibe ist. Daher
auch der Mann weit eher ein weißes Hämde
anzieht als die Frau. Das Frauenzimmer hat ei-
nen modischen Geschmak, es sorgt nur dafür
daß äußerlich an ihrem Leibe, %und im Hause rein-
lichkeit sey, bey dem was in die Augen fält,
/ allein
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/allein um das was keiner siehet, sind sie unbeküm-
mert Ueberhaupt geht alles Frauenzimmer auf
den äußern schein, der Mann aber auf die Soli-
dität %und wahren Besiz«¿t» der Sache, Beyde der
Mann %und die Frau besizzen eine Ehrliebe
%und Ehrbegierde, aber Eigenschaften die sie ge-
mein haben, sind doch gantz unterschieden, des-
halb ist angemerkt, daß das Frauenzimmer
immer mehr darauf sieht, was man von
ihnen sagt, die Männer hingegen, was man von
ihnen denkt. Wenn das Frauenzimmer nur ver-
sichert ist daß man das was man von ihnen
weis nicht sagen darf, so sind sie schon unschuldig
%und kehren sich wenig dran, was man von ihnen
denket, dieses macht schon eine große Verschie-
denheit des Ehrenpunkts, zwischen Mann %und Frau
aus. Wie mag es kommen, daß, das Frauenzimmer
die Schmeycheleyen derer Männer nach den Worten
aufnehmen kan? Woher ist dieses ein Tribut
den man ihnen ablegen muß, da doch sonsten
die Schmeicheleyen Laster sind? Die Ursache da-
von ist diese; der Mann giebt sich selbst den
Wehrt, des Frauenzimmers wehrt aber hängt
von der Neigung der Manspersonen gegen sie
/ ab
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/Lage 23
/ab, denn hätte das Männliche Geschlecht keine
Neigung gegen das Weibliche, so würde es die
niedrigste Creatur in der Welt seyn. Es ist
also eine schuldigkeit eines Mannes seine
Neigungen durch schmeicheleyen zu äußern %und
dadurch den Wehrt des Frauenzimmers zu be-
stimmen. Das Frauenzimmer weis auch
gut daß die schmeicheleyen ein Tribut sind,
daß sie sogar stoltz darauf thun, %und die Män-
ner billigen auch diesen Stoltz sehr,
daß ohne demselben ihre Neigung bey-
nahe wegfallen würde. Wenn man
nun aber einem recht schönen Frauen-
zimmer, recht hochgetriebene schmeicheley-
en vorsagt, worüber man insgeheim
lachen möchte, ists möglich, daß dieses
im Ernste aufgenommen wird?
Vieleicht würde sie es Eben so wenig
von ihr im Ernste aufnehmen, als man die über-
triebene Complemente im gemeinen Le-
ben, dafür hält? Nein das Frauen-
zimmer glaubt diese schmeicheleyen gantz
gewis, wenn ihnen gleich der Spiegel
das gegentheil saget, denn weil man
/ doch
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/keine regeln vom hübschen aussehn geben
kan, so glauben sie, daß sie vieleicht
in den Augen deßjenigen, der ihnen schmeichelt
würklich hübsch sind. Und daß sie in Ab-
sicht dieses Mannes eine Zauberkraft
besitzen. Und diese Schmeicheleyen wie
auch geschenke sind die beyde Verfuhrungen
wodurch ein Frauenzimmer so leicht verführt
wird. Denn indem das Frauenzimmer
diese Schmeicheleyen fest glaubet so denkt
es, daß es schade sey, einen solchen Menschen
fahren zu laßen, in deßen Augen es eine
solche Göttin ist, %und denn ist sie gefan-
gen.
/Endlich bemerkt man noch, daß, das
Frauenzimmer die verdienste nicht nach dem in-
nern Wehrt schätzt, sondern nach dem Verhält-
nis, welches die Verdienste auf sich selbst
haben, daher wenn sie eines Mannes
Freygebigkeit loben hören? so denken sie
gleich was hilfts wenn er dir doch noch et-
was gebe. Dieses aber zeigt an, daß
sie selbst kein Verdienst besizzen wollen;
sondern zufriden seyn wenn sie anderer Ver-
dienste profitiren können, Daher wenn
/ eine
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/Mannsperson %und ein Frauenzimmer, ein %und eben
denselben Roman lesen, worinnen etwa
ein großmühtiger Mensch abgeschildert
ist; so wird der Mann dabey denken;
wärest du doch auch ein so groß mühti-
ger Mann, die Frau aber wird es
gantz gleichgültig lesen. Die verschiede-
ne Schätzung der Verdienste aber macht
eine große Verschiedenheit in anse-
hung der Moralitaet der Handlungen
/Schnörkel
/
/{2- abgeschrieben in Jahre 1783 I. A. Euchel -2}