/δ_Blatt_0

/ ≥ Inhaltsanzeige. ≤

/

/Die Anthropologie oder Lehre vom Menschen wird in zwei Theilen abgehandelt
von denen der erste die Elementarlehre, der 2te die Methodenlehre genannt wird,
der erste beschäftigt sich mehr mit der Theorie, der 2te mehr mit der Anwendung;
die Abschnitte und Gegenstände welche beide umfaßen, ergiebt das folgende:

/ Pagina

/ 1)

/Einleitung - - - 5)

/ Erster Theil

/Elementarlehre - - - 5

/ Erster Abschnitt Erkenntnißvermögen 6

/I. Von der Sinnlichkeit - - - 16

/ - Einbildungskraft %und Phantasie - 40

/Witz %und Scharfsinn (@%.vid p@ 73) 45

/Gedächtniß - - - 50

/Dichtungsvermögen - - 52

/Bewegungen der %.schwärmerischen %Einbildungs_Kraft 59

/ - Vom Lachen - - - 76

/II. Von dem Verstande (Obererkenntnißvermögen) 81

/Von der gesunden Vernunft - - 93

/Krankheiten der Vernunft - - 98

/Von den Gemüthsfähigkeiten - - 105

/Begriff des Genies - - 113

/Zweiter Abschnitt Vom Gefühl der Lust und <Unlust> 124

/a. (Laune) (was in der %Empfindung gefällt 143

/b. Vom Geschmack (was in der Erscheinung %gefällt) 160

/Nutzen der Cultur desselben - - 186

/c. Vom Guten %.und Bösen (%und dessen Beurtheilung)
oder dem was im Begriff gefällt oder <mißfällt> 201

/Bemerckungen über den Geschmak 205

/δ_neue_Spalte

/ %.Pagina

/Dritter Abschnitt. Vom Begehrungsvermögen - - - 216

/Sinnliche Begierden - - - 222

/Affecten - - - 230

/(Leidenschaften) - - - 244

/Zweiter Theil

/Methodenlehre oder Charakteristik - - 270

/I. Charakter der Person - - - 271

/a. Vom Naturell (Talent) . . . - 

/b. - Temperament - - - 275

/c. - Charakter - - - 309

/II. Charakter des Geschlechts - - - 316

/III. - der Nationen - - 333

/IV. - - Race - - - 350

/V. - - Menschengattung - - - 354

/a. im Vergleich mit der Thiergattung - - - 

/b. als vernünftiges Wesen - - - 357

/ bis 365

/δ_Blatt_1

/

/ ≥ ANTROPOLOGIA

/docente

/%.Professor Kant.

/ -------------- 

/

/

/

/ Heinrich L. A. %.Graf zu Dohna.

/ angefangen %den 11ten %.September 179«2»1. ≤

/

/δ_Lage_A.

/δ_Blatt_2

/δ_leer

/|P_1

/ ≥ Die Menschenkenntniß.

/

/Einleitung. ≤

/ ≥ δ_Erste Stunde von 8-9 den 12ten Mittwoch. ≤

/

/Es gab von jeher 2 Arten vom Studiren wodurch man sich bildete:

/1.) Schule. Sie macht geschickt. Ihr Hauptaugenmerk ist andre
an Menge der %.Wissenschaften zu übertreffen, solch einen Gelehrten nennt
man einen Scholiasten er kann seine Gelehrsamkeit höchstens als
Schulmann mit Nutzen anbringen. Der durch Schule gelehrt wird ist passiv.

/2.) Weltkenntniß. Sie macht gescheut und klug seine Geschicklich-
keit an Mann zu bringen. Ein Mann von Welt ist Mitspieler
im großen Spiel des Lebens.

/Ein Pedant ist ein Mann der seine Gelehrsamkeit nicht an Mann
bringen keinen zwekmäßigen Gebrauch davon machen kann, der durch
Schule nicht durch Welt gebildet ist. Pedanterie ist Anhänglichkeit an
das Formale. Ein Pedant bringt keine Zeit mit Frauenzimmern
zu, nützt sie lieber zu Erweiterung seiner Kenntniße.

/Der gröste Theil der Menschen bildet sich durch Schule zur Welt
und wird durch die Welt für die Welt gebildet. Beides vereinigt,
1.) Schulkenntniße %und 2. Bildung durch den Umgang thut am besten.

/Welt kennen heißt die Verhältniße zu andern Menschen
und wie's im %.menschlichen Leben zugeht wissen.

/Welt haben, heißt Maximen haben und große Muster nachahmen.
Es kommt aus dem %französischen. Zum Zwek gelangt man durch Conduite, Sitten, Umgang pp.

/|P_2

/Man kann viel Welt haben, und doch Ignorant seyn. Welt
beruht auf Formalien. Diejenigen die von Natur ungeschikt
dazu sind nehmen nicht einmal Weltbildung an, wissen aber
demohnerachtet alles genau zu beurtheilen.

/Man kann die Anthropologie nach zwiefacher Methode bearbeiten:

/1.) Schulmäßig (scholiastisch) speculativ, insoweit sie uns den
Menschen kennen lehrt, wie er ist. Dies ist theoretisch.

/2.) Populär (Pragmatisch) insoweit sie uns nützlich ist, um
zu wissen was man aus dem Menschen machen kann, um von
dem was man weiß gute Anwendungen machen zu können.

/Nicht immer wird man aus Erfahrung und Schaden klug, ich muß
noch Regeln bekommen die mich warnen. Erfahrung macht witzig.
Alle practische Lehre ist: 1) Teschnisch, Lehre der Kunst und Geschiklichkeit,
oder 2.) Pragmatisch Lehre der Klugheit, Menschen zu meinen
Absichten zu gebrauchen. Z. E. Ein Uhrmacher der das lezte nicht
kann, grob, aber sonst im technischen geschikt ist, kann wenig Erwerb
haben. Menschen und Maschinen zu regieren, gehört eine
sehr verschiedene Art der Kunst. Pragmatische Geschichte macht
den Menschen klüger, (durch Anwendungen) theoretische nicht.

/%.Pragmatische %.Anthropologie giebt Maximen an die Hand wie man gegen
Menschen handeln soll. Iunge Theologen müssen sich bemühen nicht
allein eine vernünftige Wah«¿»l in practischen Lehren zu treffen,
sondern auch sie an Mann zu bringen suchen.

/|PR_002_Z_5

/Die Psychologie <(Seelenlehre)> ist
eine solche speculative
%.Anthropologie Sie geht aufs
Innere. ~

/|P_3

/Wer Menschen gewinnen will, hat große Schwierigkeiten
zu überwinden. Auch ist es schwer sich selbst %.und andre zu erfor-
schen. Will man seine eigne Sinnes art ergründen, so muß
man sich selbst beobachten. Dies kann nur im Fluge, oder hinter-
her wenn die meisten Eindrücke Empfindungen u. s. w. erloschen
sind, geschehen. Bei Alten sind die Triebfedern, die sie als Iüng-
linge regierten, erloschen: Daher kommen ihnen die in ihrer
Iugend gethanen unüberlegten Handlungen unglaublich vor.
Im Zorne oder in der Gelassenheit sich beobachten wäre Wi-
derspruch. Man müßte nemlich immer in einem andern Zustande
seyn.

/Ein Mahler kann einen Menschen schwer nach dem Leben treffen; denn
der Gedanke: ich lasse mich mahlen, bringt die Wirkung hervor
daß man wie auf Draht gezogen ist, und seine Gesichtszüge
verstimmt. Der Mahler kann nur denn nach dem Leben treffen,
wenn die Person welche er mahlt zerstreut ist.

/Schwer lernet sich der Mensch selbst kennen. Andre hingegen
zu beobachten, ist beleidigend, man hat auch überdies genug mit
sich selbst zu thun. Ungern läßt man sich erforschen. Man
merkt es auch bald, verstellt sich, ist selten offen, oft affectirt,
verschroben, und läßt sich immer von der besten Seite sehen.
So ists ohngefähr mit den meisten Ehen beschaffen. Auf Fêten in Ge-
sellschafften glaubt man lauter Paradisische Ehen zu sehn. - 

/|P_4

/So sind sie von aussen. - Nicht selten ganz anders von innen.
Ferner muß sich bemühen zu erforschen:

/1.) den Charakter des Menschen, nemlich verschiedener
einzelner Personen. Dies ist möglich, indem sich ein
jeder Mensch von dem andern immer durch gewisse Eigen-
thümlichkeiten unterscheidet; dennoch ist es schwer, aufs
Genaueste geht es nie.

/2.) den Character der Menschheit überhaupt. Was der
Mensch apart als Species sey ist noch schwerer zu erfor-
schen als das Vorhergehende. Bei Einzelnen Personen gehen
Vergleiche an, beim Ganzen aber gar nicht.

/

/Was die Quellen der %.Anthropologie betrifft, so hält man davor:

/1.) Das Reisen, doch lehrt es eher Länder %.und Städte als Menschen
kennen, wozu gehört, daß man über den Menschen reflectiren gelernt habe.

/2.) Den Umgang mit Menschen. Er muß populair d. i. offen seyn. Durch
Offenherzigkeit, ein freyes munteres Wesen kann man nur Menschenkenntniß
erlangen. Anders werden Politiker nie den Sinn des Ministerii erforschen.
Sie verrathen zwar nichts, errathen aber auch nichts. Ieder Mensch hat ei-
nen Trieb sich zu öffnen *1 sein Herz auszuschütten, es ist ein Labsal für. Kommt
man ihm mit Offenherzigkeit zuvor, so traut er, %.und öffnet sich wieder. Ein feiner
Mensch wird beim grösten Unglück im Pharoospiel gelassen scheinen,
- er flucht innerlich. Um ihn zu erforschen muß man ihn bei einer
andern Gelegenheit in einer solchen Situation sehen, da er sich nicht
zurückzuhalten braucht.

/|PR_004_Z_14

/D. i. sich mit Bemerkungen
bekannt machen die bereits
andre über den Menschen
gemacht haben.

/δ_Z_17

/Wie's im Evangel: Klug
wie Schlangen ohne Falsch
wie die Tauben. ¿¿ das %.Sprichwort
volto sciolto %etc.

/*1 Wer dies Gefühl nicht
hat muß enweder ein
Tölpel oder ein schlechter
Mensch seyn. ~

/|P_5

/3.) Die Geschichte; sie setzt schon vorläufige Kenntniß der
Anthropologie voraus.

/4.) Theater %.und Romane, wenn sie so sind wie es in der wirk-
lichen Welt zugeht. Ideale wie Grandison, Addison u. s. w.
verderben. Bei Schauspielen ist es in der Art besser, weil
sie allerhand Situationen, und verschiedene Charaktere dar-
stellen. Man tadelt die «Charaktere» <Romane> des Rochefaucault, weil er
immer nur die schlechte Seite der Menschen schildert. Die Ursache
warum z. B. Großeltern Enkel mehr als ihre Kinder lieben,
gibt er so an: Weil ihre eigene Kinder ihnen den Tod wünschen,
um von ihnen zu erben, hassen sie dieselben, lieben aber ihre
Enkel weil sie ihren Eltern nemlich den verhaßten Kindern
ihrer Großeltern den Tod wünschen aus der nemlich Ur-
sache die oben angeführt.

/

/ ≥ δ_2te Stunde von 9-10 ≤

/ ≥ Von dem Selbstbewustseyn. ≤

/I. Elementarlehre. Theorie der Anthropologie. Begrif
aller Bemerkungen über sie.

/II. Methodenlehre. Characteristik, ist der Gebrauch hie-
von, einen Menschen von dem andern zu unterscheiden.

/ ≥ A. Elementarlehre. ≤

/1.) Erkenntnißvermögen. 2.) Gefühl der Lust und Unlust.
3.) Begehrungsvermögen.

/|PR_005_Z_21

/Dies ist die «ganze»
Eintheilung
der gesammten
Anthropologie ~

/|P_6

/ ≥ &¿&. Erkenntnißvermögen. ≤

/Das Bewustseyn, das Ich, ist das Fundament des Vorzugs
des Menschen vor den Thieren die es nicht haben. Identität
des Ich's «sein allerliebstes Selbst». Es kann ein Mann Streiche
die er in Iugendjahren begangen, ganz ablegen, er kann auch von
keinem Richter mehr für Iugendvergehungen gestraft werden,
denn er ist ein ganz anderer Mensch? - Die Meynung wenn
man sich am Ende bekehrt so ist alles verbrochene vergessen, oder
Ende gut alles gut - ist nicht richtig, gehört mit zur Identität.
Am Ende unsers Lebens wird unser ganzes geführtes Leben
haarklein vor uns liegen, und wir danach gerichtet werden. - 

/

/Dem Menschen ist viel an sich selbst gelegen, er muß
es nicht blicken lassen. Der Egoism ist

/a.) Metaphysisch, meynend: ich bin das einzige Wesen.

/b.) Moralisch, Wenn man zu viel Werth auf sich selbst
legt, %.und dagegen alles über gegen sich geringschätzt. Eigen-
dünkel, <der> sein allerliebstes Selbst allem vorzieht.

¿»c.) Aestetisch, Egoism im Umgange im Reden. Wenn man
zu seiner Bewunderung andre immer mit sich selbst unterhält.
Wer ihn blicken läst ist ein aestethischer Egoist; Es ist dies
gegen die Regeln der Höflichkeit. Auch würde ein solcher
Egoist gewis allen Menschen unausstehlich seyn.

/|P_7

/Wer Menschen gewinnen will muß andern Gelegenheit
geben viel von sich zu reden. Wer sich selbst zur Schau
stellt verliert bei andern. Eine Dame erzählte einst einem
Manne der den Ruf der Geschiklichkeit hatte, sehr viel, worauf
er immer <bescheiden> stille schwieg <höchstens mit dem Kopf nikte>, sie lobte ihn als einen feinen Mann, wuste
aber nicht, daß er taub sey, also von allem nichts gehört hatte.
Großen Herrn muß man das worin sie sich stark dünken
anbringen um sich bei ihnen beliebt zu machen. Kinder die
sonst gut reden können sagen selten ich. - Sie haben noch
nicht das Selbstbewustseyn. Z. B. ein Kind spricht: Karl will das
haben, nennt sich wie eine andre Person. Durch Nennung ihres Na-
mens werden tiefsinnige Menschen gleich aufmerksam, und
mondsüchtige kommen zu sich selbst. Ein großer Gelehrter der
aber Jansenist war, de la Montaqua schrieb ein Buch: Essai %etc.
welches man sehr oft lesen kann. Es ist aus den Alten zusammen-
gestoppelt, kommt von einem Thema auf ein ganz anders, wie
Z. B. von dem der Vorsehung Gottes auf die Handpferde.
Er redet gerne von sich. Recht einen zu beleidigen, muß man
auf seine Person Anmerkungen machen. Ist Aufmerksamkeit
auf sich selbst rathsam, oder nicht? Sie ists, ist aber mit
vielen Unbequenlichkeiten verknüpft.

/δ_Lage_B.

/|P_8

/Lavater getadelt weil er fantastisch ist. Die Seele ge-
winnt durch Objecte und verliert durch Fantasie. Hypochonder
haben mehr auf ihren Körper als Geist acht. Sie sind dem Wahnsinn
nahe. Alles was sie von Uebeln lesen hören, pp glauben sie von
sich selbst. In Gesellschaft ißt man mehr als sonst; allein muß
man mäßiger seyn im Essen und auch Trinken, Auf seine eigene
Hand sich betrinken sieht häßlich aus. In Gesellschaft ist man
außer sich, mit andern beschäftigt %.und kann mehr Essen. Nach Spie-
len (wobei man auch ausser sich ist) hat man mehr Appetit. Das
Gemüth ist denn von sich selbst abgezogen. - Eine wohlthätige
Gedankenlosigkeit; bei einem Objekt ermüdet man.

/In China ist eine Secte, Laokium genannt, welche behauptet das
Glück bestehe in Nichts. Um dieses Nichts hervorzubringen, schließen
sie sich einsam in dunkle Kammern, wo sie unbeweglich in Nachden-
ken vertieft sitzen. Sie sagen die Seelen wären aus dem Urwe-
sen Gott geflossen, und wollen sich auf diese Weise in ihren
ursprünglichen Zustand zurücksetzen.

/In Gesellschaft muß man sich vor folgende Fehler hüten

/1.) Affectation; Mangel an Grundsätzen, bestrebt sich ab-
sichtlich seinen Gang, Geberden und Stimme zu
verdrehen.

/|PR_008_Z_19

/Der Affectirte @von@
Philopthie eingenommen
sezt sich selbst äusserst
herab, niemand kann
ihn leiden, auch kann
er sich nicht bessern. ~

/|P_9

/2.) Genirtes Wesen, Mangel an Muth haben, wenn
man immer besorgt ist einen sehr schlechten Anstand zu zeigen.

/Iunge Leute die genirt sind, wissen in Gesellschaften von
Frauenzimmern nicht wo sie die Hände lassen oder stehen sollen.
Ein Bauer ist ungenirt, er kratzet sich vor dem Könige
wie vor seines Gleichen den Kopf. Géne ist die Besorgniß
jemanden unvortheilhaft in die Augen zu fallen. Ein
Wilder hat davon keinen Begrif. Ein Amerikaner sah einst
ohne Furcht den %.König von Frankreich %.und seinen Hofstaat, sprach in
seiner wilden Kleidung mit allen Vornehmen, und erkundigte
sich bei ihnen über vieles. Das einzige wovor er sich fürchten
konnte, war todtgeschlagen zu werden, %.und hierüber war er
schon beruhigt. Als man nachher frug was ihm unter allen
Merkwürdigkeiten von Paris am besten gefallen hätte, ant-
wortete er, die Garküche.

/ ≥ δ_3te Stunde Sonnabend den 15ten von 8-9 ≤

/ ≥ Repetition des vorigen. ≤

/Wenn der Mensch einmal anfängt von sich zu reden, so
hört er gar nicht auf; er glaubt die Aufmersamkeit aller
Menschen zu verdienen. Man kan 4 Arten des Egoismus angeben,
nemlich 1.) den logischen, der darin besteht daß man andrer Urtheil
gegen seins unrichtig glaubt, ohne es mit dem, der Mensch-
heit überhaupt, zu vergleichen. Dies wird oft zum

/|PR_009_Z_1

/Es ist noch Hoffnung
da daß ein %.uncultivierter
sich bessere. ~

/|P_10

/Grundsatz angenommen, aber es ist ein falsches Princip; die
Natur hat gewollt, wir sollen unser Urtheil prüfen, %.und frem-
de Vernunft zum Probierstein der Richtigkeit der unsrigen
nehmen. In keiner Sache muß blosser Schein für Wirklich-
keit gelten. Wie ungereimmt wäre dies in der Mathematik
2.) %.metaphysisch 3) aestethisch 4.) %.moralisch, wenn der Mensch
immer sein allerliebstes Selbst vorzieht, man kann ihn theilen:

/1.) in den Egoism des Wohlwollens gegen sich selbst, wenn man
sich allein wohl will. Er heißt Solupsismus (Solus ipse).

/2.) in den Egoism des Wohlgefallens an sich selbst. Er heißt
Phylaphtie. Wer den leztern besitzt ist ein vollkom-
mener Narr. Ie strenger man über sich selbst wacht,
je mehr Fehler findet man an sich, %.und je mehr ist Hofnung
zur Besserung da.

/Selbstbeobachtung ist Achtgebung auf seine Empfindungen;
je mehr wir uns mit fremden Objecten beschäftigen, und
je weniger wir an uns selbst denken, je gesunder sind wir.
Die Seele muß sich nicht mit den Verdauungsgeschäft überladen;
man zieht nie davon Nutzen. - 

/(%.Fortsetzung des erstern)

/ ≥ Ursachen des Genierten %.und Affectirten. ≤

/Man muß einem Kinde nicht bei jeder Gelegenheit sagen, schäm
dich, %.eigentlich sollte man «d»es nur sagen wenn es lügt, um ihm

/|PR_010_Z_3

/Es ist dies nicht alle-
mal blos Egoism
der Eitelkeit. ~

/|P_11

/davor einen desto größern Abscheu bei«¿»zubringen. Es würde
so oft es die Unwahrheit reden wollte ihm das Blut nach dem
Kopfe steigen und denn nicht reden können. Auch muß man bei
jedem Fehler nicht gleich sagen, wie läßt das; das bringt etwas
genirtes bei ihm hervor, das man sehr gut mit dem Worte steif
ausdrückt. Das Gegentheil hievon dégagé. Der Mensch hat
Naivetät wenn er sich keinen Zwang anthut, sie ist sehr rar, der
lezte Funke der unverdorbenen Natur, der gleichsam einmal,
(wie an trüben Tagen) der Sonne gleich zwischen den Wolken her-
vorblikt, es ist eine Ungezwungenheit, Seelenlauterkeit, Offenherzigkeit.
%.Anmerkung Es ist ohngefähr das Mädchen ist der Gellertschen Fabel
hievon ein Beyspiel welches so naiv sagte: nein, vierzehn Iahr und sie-
ben Wochen, ohne dabei ihren Wunsch daß sie bald einen Mann
haben wollte zurückzuhalten.

/ ≥ Von der Dunkelheit und Klarheit
der Vorstellungen. ≤

/Vorstellungen sind dunkel wenn sie nicht hinreichend sind,
wenn man sich ihrer nicht bewust ist, klar, wenn man sich ihrer
bewust ist. Z. E. der Begrif von Billigkeit und Recht; er ist unter-
schieden, die Sache ist subtil. Der Mensch hat eine große Menge
von Vorstellungen die ihm unbewust sind. Dies ist ohngefähr so
wie eine große Charte, wovon ein Theil illuminirt, der

/|PR_011_Z_2

/Besser sagen,
wie machens andre?

/δ_Z_17

/Es ist aber nicht nöthig
durch Empfindungen
zum Bewustseyn zu
gelangen, mann kanns
auch durch Schlüße Z. B
So schloßen die Alten
über die Sterne in der
%.Milchstraße ohne sie dur@chs@
%.Fernglas zu empfinden. ~

/|P_12

/andre nicht illuminirt ist, die illuminirten Stellen sind klare
<die ausnehmend hellen deutliche> die «¿¿»unilluminirten <sind> dunkele Vorstellungen.

/Der Mensch weiß nie was in seinem Kopfe ist, soll er was
erzählen so weis er, daß er nichts weis, so bald aber ein
anderer eine Materie anfängt, so kann er drein entriren,
%.und weis dann daß er viel weis. Wäre ihm alles bekannt was
er weis, so würde er über sich erstaunen wie über ein %.himmlisches
Wesen, wie über einen Gott.

/1.) Der Mensch ist ein Spiel seiner dunkeln Vorstellung: Z. E. Ein
jeder will ein anständiges Begräbniß haben. Man will gern
auf dem Troknen begraben sein, etwa auf einem Hügel un-
ter einem Baume wo man oft eine Pfeife Tabak gerauchet,
als wollte man als denn noch einer plaisanten Aussicht ge-
nißen. Tibetaner halten <es> für das ehrenvollste Begräbniß das
sie ihre«n» Leichname von den Hunden fressen lassen, dies ge-
schieht an einem besonders dazu eingerichteten Orte. Die Feuer-
anbeter, Parsistan, legen sich auf Thürme damit sie von den
Geyern gefressen werden, die ihnen die Augen aushacken u. s. w.
Der Ekel entsteht von einer dunkeln Vorstellung von einem
vorgefaßten Eindruk einer Sache. Z. E. Hat man einmal Rha-
barber mit Caffee getrunken, so liebt man ihn nicht mehr. Tritt
man vom Geländer des Schloßthurms zurück so ists Vorstellung des Falls.
(Schwindel) «¿¿¿Lambert» <wenn er sprach %.und hörte> kehrte das Gesicht nach der andern Seite.
(das Kunstwort was diese Sache anzeigt heist Idiosyncratie)

/|PR_012_Z_1

/Sie nehmen den
größten Platz weg
liegen aber auch
den klaren Vorstellun-
gen zum Grunde.
z. E. das Microscop
illuminirt nur die
Objecte, es kann %.eigentlich
nicht mehr zeigen als
wir mit dem bloßen
Auge sehn können.

/δ_Z_11

/Z. E. das Point
d'Honneur, ist eine
dunkle Vorstellung
daß uns die Urtheile
andrer sehr interessiren.

/δ_Z_16

/Viele Vorstellungen
erscheinen so %plötzlich
wie Minerva völlig
gerüstet aus dem
Hirnschädel des
Iupiter sprang.

/δ_Z_23

/Lambert. ~

/|P_13

/2.) Der Mensch spielt zum andern selbst mit dunkeln Vor-
stellungen. Er bemühet sich sie zu enträthsteln. Auch will er über
vieles ungern ganz deutlich reden, besonders über dasjenige,
was er mit den Thieren gemein hat. Er sucht immer viel
dabei zu künsteln, wie z. B. beim Essen. Iedoch geht dies gar
bei der Ausleerung nicht an. Den Ort wo sie vorgeht mit
einem zierlichen Namen zu nennen, hat man sich viel Mühe ge-
geben, <%.und doch nichts verschönert.> Auch beim Kinderzeugen konnte er keine Kunst anbrin-
gen. Beim Tode geht's noch eher an. Vom Verhältniße des Ge-
schlechts %.und %.der %.gleichen spricht man verblümt. Die dazu neuerfundnen
Wörter sind desto feiner, je weiter sie hergeholt sind. Ganz kan
dennoch kein Schleyer solche Dinge bedecken. Der Mensch
hat vieles mit der Natur der Thiere gemein.

/Im dunkeln sieht alles größer aus als es wirklich ist. Das
wissen die Schriftsteller die ihre Schriften mystisch eingekleidet wie
faul Holz im Dunkeln leuchten lassen. Unerfahrne halten
sie bloß deswegen für wichtig. Pythagoras dunkle Sprüche
enthielten viel Weisheit. (Aehnlichkeit mit der Freimäurerei.)
Der erste Grad war Klarheit, nun folgt der 2te.

/ ≥ Von den deutlichen Vorstellungen. ≤

/Die Deutlichkeit ist eine Wirkung der Unterscheidung und Ordnung.
Die Unterscheidung wird zur Klarheit, %.und die Ordnung zur Einheit,
in der Zusammensetzung erfordert. Ohne Ordnung können

/ ≥ δ_4te Stunde ≤

/δ_Stundeneintrag_Z_5

/|PR_013_Z_6

/Die Worte die @¿¿¿¿¿@
%.natürlich ausdrücken
nennt man @g\p@latte
schlüpfrige Reden,
man muß sie ver-
meiden, weil sie
an %ekelhafte %.Dinge erinnern.
Man spielt mit %dunklen
%.Vorstellungen indem man
Privé; %.Commodität sag@t@

/δ_Z_13

/Jeder %.witzige Einfall
erfordert von Anfang
Dunkelheit. Ganz Licht
ist er abgeschmakt, gan@z@
dunkel leer. Es schmeich@elt@
uns gewißermassen
den Schleyer wegge-
zogen zu haben.

/So ists auch mit Ge@nies@ ~

/|P_14

/wir uns nicht deutlich machen. Wirft man einen Haufen
Geld auf den Tisch so ists undeutlich. legt man es in Reihen
so ist es deutlich. Es giebt einen <übertriebnen> Hang zur Ordnung ohne allen
Zweck, diese ist Peinlichkeit im Formale Z. E. im Anzuge,
Manschetten drehen, in Sprachen, abgemessner Ort für dies oder
jenes, daß die Haarlokken wie gedrechselt Holz seyn müssen.
Diese Dinge verrathen einen Pedanten, einen eingeschränkten
leeren Kopf. Der methodische Charakter der deutschen Nation
ist Schuld, daß der Genies wenige sind.

/Der sogenannte Barraga-Geschmack ist eine scheinbare
gekünstelte Unordnung, die doch ihre unmerkliche Regeln hat,
die man in der Natur und in Produkten des Geschmaks sehr gerne
sieht. Das %.Frauenzimmer weis sich mit Vortheil desselben zu bedienen.

/Leichtigkeit und Deutlichkeit ist verschieden. Man nennt
oft das %.Faßliche deutlich, %und das %.Unfaßliche %.undeutlich nicht selten
ists grade das Gegentheil. Deutlichkeit, ist, wenn man das was
man von selbst nicht versteht, einsieht. Nicht immer muß man wenn
man nicht versteht auf Undeutlichkeit schließen; ein profundum
kann nicht mit Leichtigkeit vorgetragen werden.

/ ≥ Von der Vollkommenheit
unserer Erkenntniß. ≤

/Die Vollkommenheit unsrer Erkenntniß ist

/1.) Objectiv, besteht in Ausführlichkeit Wahrheit, Größe
Deutlichkeit. Mann nennt diese %.Vollkommenheit auch die logische.

/|PR_014_Z_14

/Ein Docent kann
leicht seyn aber nicht
deutlich. Die Schwie-
rigkeit einen Vortrag
zu verstehn nennt man
oft mit Unrecht Un-
deutlichkeit. Man muß
sich nicht immer nach dem
Ruf der Undeutlichkeit
richten.

/δ_Z_22

/Micrologie ist Be-
schäftigung mit Gründen
@¿¿¿ kleinen@ peinlich, im %.wichtigen nicht.
Ein micrologischer Geist
ist ein kleiner Geist. ~

/|P_15

/2.) Subjectiv, wenn sie auf Leichtigkeit, Lebhaftigkeit, und
Interesse beruht. Man nennt sie auch die aestethische Voll-
kommenheit.

/3.) Die %.Vollkommenheit der Erkenntniß im Verhältniß unter einander
durchs Object aufs Object, besteht in Mannigfaltigkeit, Ordnung
und Einheit. Man nennt sie auch die Practische Vollkommenheit.
Man muß sehen

/a.) ob sie wahr sey,

/b.) ob sie groß sey. Wer immer bloß anfänglich nach
dem Nutzen frägt der wird es nicht weit bringen.
Zuweilen wird der Nutze von Dingen erst nach %.Iahrhunderten be-
kannt, wie z. B. ehemals erfundene mathematische Figu-
ren Kegel, Parabel pp. jetzt mit Nutzen auf die Astro-
nomie angewandt werden.

/Wahrheit ist die Grundvollkommenheit aller unserer Erkenntniß.
aber nur für den Verstand nicht für die Neigung. Daher liebt
man Romane mehr als die alltäglichen wahren Begebenheiten,
Erdichtung gefällt mehr als Wahrheit. Der leztern ist entgegengesetzt

/1.) Unwißenheit, Mangel an Erkenntniß,

/2.) Irrthum, ein positives Hinderniß der Wahrheit, eine Krankheit
ist im allgemeinen <nicht in allen Fällen nicht so gut> «schlechter» als Unwißenheit. Nur durch die
Gefahr zu irren gelangt man zur Wahrheit. Paradoxon ist ein
auf die Gefahr des gemeinen Wahns gewagtes Urtheil. Meynungen
können paradox klingen %.und es doch nicht seyn. Heterodox Abweichung
von der angenommenen Lehre. Sentenzen, Sprüche voll Sinn. Nonsense
Unsinn.

/|PR_015_Z_1

/ Einer versteht leicht
der andre schwer.

/δ_Z_15

/ Man hat fälschlich die
Alte Geschichte mit Erdichtung
zu verschönern gesucht,
die neuere hat einen größern
Fehler %.und Hinderniß der
Wahrheit, die Parteylich@keit@

/δ_Z_20

/ Daher der Gelehrte
mehr Irrtümer als
der Bauer hegte.

/δ_Z_22

/ Z. E. daß die Erde sich um
die Sonne drehe, daß die @Farben@
nicht den @%.Körpern@ adheriren.
Perkley <Idealismus> Meint die Erde
sey kein Körper. ~

/δ_Lage_C.)

/|P_16

/ ≥ δ_Den 19ten %.October Mittwochs 3tes mal, 5te Stunde. ≤

/

/ ≥ I. Von der Sinnlichkeit,

/im Gegensatz mit dem Verstande. ≤

/Spekulative Köpfe klagen über die Sinnlichkeit als Hinderniß des
Verstandes, %.und räumen allein dem leztern alles Verdienst ein. Man
theilet das Begehrungsvermögen in die sinnliche und intellectuelle
Lust, wenn mann nach einer überlegten Willkür handelt. Das
%.Erkenntnisvermögen ist ebenfalls 1.) sinnlich, 2.) intellectuel. Sinnlich
machen heißt klar machen. Begriffe gehören dem Verstande
an; <die Anschauung der Sinnlichkeit.> Anschauungen sind das jenige wodurch die allgemeinen
Begriffe deutlich vorgestellt werden. Geist kann nicht versinnlicht
werden. Verwirrungen muß <man> nicht dem Verstande, sondern blos
seiner Nachlässigkeit schuld geben. Eitelkeit ist ein Geschäft ohne
innern We«h»rth. Gefällt man sich z. B. in einen neuem neuen modischen
Kleide, so ist man eitel. Man vergiebt gerne diese Eitelkeit dem
schönen Geschlecht. Ohne Beyspiele die durch den Verstand aufgehellt
sind, kann man lange nicht eine Sache ganz verstehn. Durch Anschauung
wird denn der Begriff deutlich. In der Metaphisik läßt sich nicht
alles anschaulich machen. Z. B. Tugend, Aufrichtigkeit Wahrhaftigkeit
nur nach Grundsätzen. Wir haben kein Beispiel zum Ideal eines
tugendhaften Menschen jetzt in der Wirklichkeit.

/Die Sinnlichkeit ist also nicht Schuld an den Irrthümern sondern
der nachläßig gebrauchte Verstand. Wer nie urtheilet, raisonnirt
oder entscheidet, kann nie irren. Der Grund des Irrthums liegt im Verstande.

/|PR_016_Z_2

/ Sie ist das Untererkennt-
niß Vermögen, vide
pag 81 den Verstand
das %.Obererkenntnißvermögen

/δ_Z_20

/ Die Sinne können nicht Irrthum
hervorbringen, weil sie nicht
urtheilen können, verursachen
nie Verwirrung weil sie
die Objecte treu in ihrer
Mannigfaltigkeit darstellen
Hingegen kann der Verstand
%.Irrthum %.und %.Verwirrung hervorbringen ~

/|P_17

/Dennoch muß man Urtheile auf die Gefahr zu irren, wagen;
eben so wie <man> reine Luft, auf die Gefahr unreine einzuathmen,
einziehen muß. Verstand %.und Sinnlichkeit müßen nothwendig bei-
sammen seyn um Begriffe zu bilden. Ohne die beiden Stücke würde
man nie urtheilen, also nie irren können. Wir beschäftigen uns jezt
mit der Apologie der Sinnlichkeit, man nennt sie Untererkenntniß-
vermögen, den Verstand aber Obererkenntnißvermögen.
Der leztere ist Quelle der Regeln, welche er nach Grundsätzen
vorschreibt. Er ist höher <weil er Regeln vorschreibt> also vornehmer als die Sinnlichkeit. Ange-
nommen er wäre der Fürst, die Sinnlichkeit das Volk, Was «wäre»könnte w«ich-»ohl
«tiger» ohne das andere bestehn? Eher kann sich das Volk ohne Fürsten
behelfen, also könte Sinnlichkeit ohne Verstand, nie Verstand ohne Sinn-
lichkeit bestehn. Sinnlichkeit muß

/1.) cultivirt werden, d. h. sie auf eine edle Weise vergrößern.
Dies geht am besten durch Poesie.

/2.) disciplinirt werden, d. h. ihren wilden Gebrauch der Sinne
mäßigen, %.und durch Verstand regieren.

/Reden wie <die> von Gott, der Moralität %.und %.der %.gleichen, muß sich die Sinnlichkeit
nicht einfallen lassen, sie muß erst cultivirt werden. Wir
müssen sie stets in unserer Gewalt behalten. Ist man aus gelassen
froh, so hat man schon die Laune nicht mehr in seiner Gewalt;
Alle Lehren müssen durch Bilder und Simbole versinnlichet wer-
den. Die Sinnlichkeit ist ein Instrument des Verstandes; sie muß
nie ihr Spiel mit ihm treiben sondern er muß herrschen.

/|PR_017_Z_12

/ Wir sehen die Möglich-
keit an Thieren ~

/|P_18

/Es ist am rathsamsten mit der Geographie den Unterricht bei Kin-
dern anzufangen, weil man sie versinnlichen kann, indem sich der
Raum abbilden läßt. (Mit der Zeit geht dies nicht füglich an.)
Wer schwere Geschäfte hat, (wie das %männliche Geschlecht) ist ernsthaft, daher
hat das weibliche Geschlecht mehr Sinnlichkeit. Virtuosen sind Mah-
ler der Sinnlichkeit; ihnen stehn entgegen Meister des Verstandes, beyde
gewinnen, wenn sie sich wechsels weise abborgen. Der Virtuose
ist gegen den Componisten das was der Chirurgus gegen den Arzt
ist. Virtuosen sind Künstler der Darstellung. Meist sind sie eigen-
sinnige Köpfe, die aber in ihrer Kunst stark sind. Die ersten Producte
der Philosophie waren in Versen, und enthielten Bilder, weil
noch nicht genug Worte waren, die Begriffe anders zu offenbahren.
In Absicht auf Sinnlichkeit, in schönen Künsten haben die Alten ein
Maximum erreicht, welches man noch nie bei dem Verstande erreicht
hat.

/ ≥ δ_6te Stunde von 9-10 ≤

/

/ ≥ Von dem Positiven %.und Negativen

/ Theil unserer Erkenntniß. ≤

/Die Erkenntniß ist 1.) positiv wenn sie erweitert wird. Bei dieser
Erweiterung können sich wohl auch Irrthümer einschleichen.

/2.) negativ, wenn man blos darauf sieht Irrthümern zu wehren. Eine
solche negative Erziehung, die blos im vertreiben des Uebels besteht,
empfiehlt Rousseau (auch Socrates). Eine negative Heilmethode ist Diät.
Negativ sind Gesetze, wenn man's so einrichtet daß ihrer nur wenig seyn dürfen.
Der Mensch muß seinen Begierden Abbruch thun, %.und seine Bedürf-
niße verringern.

/|PR_018_Z_4

/ Sinnlichkeit ist im Orient
am stärksten.

/δ_Z_12

/ Regellos ist die Einbil-
dungskraft in warmen
Ländern, gezügelt in
kalten.

/δ_Z_21

/ Glückseeligkeit der
Stoiker %.und Zyniker
Sustine et abstine.
also negativ,
Man kann negativ
he«¿»urathen. ~

/|P_19

/ ≥ Vom Leichten und Schweren. ≤

/Bei jeder Anstrengung der Kräfte ist der Gegenstand leicht,
oder schwer. leicht wenn ein starker, schwer, wenn ein geringer
Ueberschuß von Kräften bleibt. Beschwerlich hat einen ganz
andern Sinn als schwer. Beschwerlich ist das was man mit Un-
lust thut und wovon man keinen Nutzen absieht, e. g. die Regeln
des Ceremoniels %.und andre unnütze <Hudeleyen %.und> Plackereyen. «¿¿»So ward auch
ehedem der Pennalismus an jungen Studenten geübt, um ihnen ihre
große Freude ein wenig zu verbittern. Meine Gebote sind nicht
schwer d. h. <nicht> beschwerlich. Eine Bekehrung ist wohl schwer doch aber
nicht beschwerlich es ist keine Vexation dabey. Balanciren, Sprin-
gen %.und andre dergleichen Leibesübungen, haben eben keinen %wesentlichen
Nutzen; zeigen aber doch wie weit es der Mensch bringen kann.
Stellt ein Lehrer, «d»eine Sache die in der That schwer ist, leicht vor, so
ist dies ein Beweis seiner Seichtigkeit, indem er dadurch zu erken-
nen giebt, daß er die Sache nicht verstehe.

/Wenn man etwas schweres gethan, oder leicht gemacht hat so befrie-
digt dies sehr. Alle Maschinen in den Fabriquen prestiren das letztere.
Auch können viele an einer Sache arbeiten z. E. geschieht dies an einer Steknadel,
wodurch die Sache um so viel geschwinder fortgeht. So wollen sich
auch die Aerzte theilen, in Hühneraugenärte, Zahnärzte, Augenärzte pp.
Dies geht aber nicht, indem man um ein Glied gehörig zu heilen, den
ganzen Menschen kennen muß; dennoch ist schon die Theilung
in Chirurgi und Medici fabrikenmäßig.

/|PR_019_Z_13

/Die Schwierigkeit wo-
von zeigen heißt nicht @schwer@
machen, %.und sie verh¿hlen
heißt nicht leicht machen
schwer ists das Schwere
zu zeigen.

/δ_Z_18

/Einer zieht den @Draht@
ein andrer schneidet
ihn u. s. w. ~

/|P_20

/Sangvinische Personen versprechen leicht %.und halten nicht, sie finden
beim ersten Anblik eine Sache leicht, übernehmen hitzig die Aus-
führung lassen aber auch eben so bald davon ab.

/Der Melancholische findet alles schwer weil er sich die gröste
Kleinigkeit wichtig vorstellt.

/Der Phlegmatische findet alles beschwerlich, weil er sein Vergnü-
gen in der Gemächligkeit sucht.

/Man muß nicht immer Schwierigkeiten hervorsuchen wo keine sind.
Es pflegt dies immer zu geschehn, wenn man in Furcht ist. %Vorzüglich
kann man sich nicht auf die Richtigkeit des Schlusses verlassen, den
ein Kriegsrath abgefaßt welcher in Gefahr sich befindet. Dies
war der Fall, als vor der Schlacht in der der %.Herzog von Bevern
unglücklich war der Kriegsrath den furchtsamen Schluß faßte, der
auch mißlang.

/Das Leichtlaßende ist eine große Vollkommenheit im Umgang.
Die Menschen scheinen hierinn etwas sympathetisches zu haben,
denn sehn wir daß es jemanden in der Gesellschaft schwer wir einen
Vortrag zu thun, oder wenn es einem jungen Kanzelredner abzu-
merken ist daß er nicht mehr weiter fort kann, so ängstigt sich
die ganze Gesellschaft oder Gemeine mit. Man nennt das
leichtlaßende air dégagé, das Gegentheil aber schwerfällig
Die Schriften des Voltaire und Wieland sind von der ersten
Art. Der Umgang muß nicht immer ernsthaft %.und steif seyn.
Das Schwere ist 2fach, erstlich der anhaltenden Bemühung,
Zweitens der kurzen Bemühung, es erfordert:

/|PR_020_Z_4

/Wer alles für leicht
hält heißt leichtsinnig,
%.und wer alles für schwer
hält peinlich.

/δ_Z_20

/So leicht des %.Voltaire Verse
scheinen so %ausserordentliche
Mühe haben sie ihm gekostet.
Bisweilen wird durch die
Feile der Verse die Schwie-
rigkeit derselben größer. ~

/|P_21

/1.) Anstrengung, d. i. eine große Bemühung in kurzer Zeit,

/2.) Aemsigkeit, d. i. eine geringe aber anhaltende Bemühung.

/Das Sprichwort: der Faule arbeitet sich zu Tode, ist sehr wahr,
denn weil er gerne bald fertig seyn will, so ruinirt er seine
Kräfte auf eimal. Z. B. Säcketräger tragen in einem Tage so viel
Säcke, daß sie sich um ihre Gesundheit bringen, um viel <auf einmal> zu verdienen
damit sie die folgenden Tage faulenzen %.und in Ruhe saufen
können. Eben so machen es auch oft die Bretschneider. Es ist
ein Eigenthum der nordischen Nationen. Also ist zu Große An-
strengung sicherer Beweis der Faulheit. Aemsigkeit schwächt nicht
sondern giebt der beständigen Uebung wegen, immer mehr Kräfte.
Metaphysik kann nur durch Aemsigkeit ergründet werden.

/1.) Sanguinische übernehmen eine leichte %.und kurze Arbeit.

/2.) Cholerische sind geschäftig, %.und wählen eine «leichte» <mannig>faltige Arbeit

/3.) Phlegmatische wählen eine leichte %.und lange,

/4.) Melancholische eine schwere %.und lange Arbeit.

/ ≥ Gewohnheit und Angewohnheit. ≤

/Die Gewohnheit erleichtert alles. So ist die Gedult Gewohnheit einen
gewißen Schmerz zu ertragen. Der römische Athlete Milo soll
alle Tage ein Kalb getragen, %.und es endlich, so weit <durch Gewohnheit> gebracht haben,
daß <er> das nemliche Rindvieh noch tragen konnte, als es schon Stier wurde.
Gewohnheit ist der Grund der Leichtigkeit. Angewohnheit ist eine
Gewohnheit, die eine Nothwendigkeit hervorbringt etwas zu thun;

/|PR_021_Z_7

/Man nimmt dies %deutlich
wahr, wenn man die Arbeit
der Preußen %.und Salz-
burger vergleicht. ~

/|P_22

/e. g. das Stammeln, oder gewiße Wörter die man ohne Bewust-
seyn immer im Munde führet. Alle Angewohnheiten sind Fehler
weil das Gemüth dadurch dependent wird. Man findet sie
gewöhnlich bei affectirten Leuten. Hat man sich einmal etwas
angewöhnt, so kann man nie mehr anders handeln als man
gewohnt ist. Hat man sich zum %.Beispiel Brandtwein angewöhnt, %.und
man trinkt ihn einmal nicht, so wird die Verdauung gehindert.
So sterben diejenigen welche sich Opium angewöhnt, und ihn einmal
nicht genießen können. Leute die sich beim Einschlafen an das
Klappern einer Mühle gewöhnt haben, können wenn sie stille steht
nicht schlafen. Sogar Krankheit wird zulezt durch Gewohnheit
erträglich. Durch leztere wird man am Ende ganz mechanisch.
Ein Mensch der sich früh zur Wahrhaftigkeit gewöhnt, bleibt
es auch in der Folge. Z. B. die Tungusen können nicht lügen,
die Russen würden es ihnen bald ansehn. Doch ist diese Ehrlichkeit
noch nicht Redlichkeit. Ein redlicher Mann ist durch Grundsätze
ehrlich, denn es giebt auch eine Ehrlichkeit durch Gewohnheit welche
aber der Verführung unterworfen ist. Es giebt oft Menschen
die leicht etwas von andern annehmen, man kann insgemein von
diesen schließen, daß sie geringe Köpfe sind, denn wenn sie selber
Klugheit hätten würden sie nicht geringfügige Dinge von andern
entlehnen, und sie nachahmen. Uebrigens kann auch die Manier
die einem gut ansteht, dem andern oft gar nicht paßen.

/|PR_022_Z_1

/Sich leicht ein neues
Sprichwort ange-
wöhnen ist ungezogen ~

/|P_23

/ ≥ δ_den 22ten %.October Sonnabends 4tes mal 7te Stunde von 8 - 9 ≤

/ ≥ Attention und Abstracktion. ≤

/1.) Die Aufmerksamkeit, ist eine Erkenntnißkraft zur Klar-
machung der Vorstellungen.

/2.) Die Abstraction ist eine Handlung, wodurch die Aufmerk-
samkeit vorsetzlich abgewandt, also die Klarheit der Ideen
verhindert wird. Sie verhält sich zu jenen wie das negative
zum positiven, und ist folglich weit schwerer als die Attention,
weil wir vermittelst ihrer etwas entgegen arbeiten müssen.

/Man ist unglücklich, wenn man nicht abstrahiren kann. Man kann
dadurch vielen Unannehmlichkeiten des Lebens ausweichen. Z. E.
Weil viele die Pockennarben nicht abstrahiren können, so heurathen
sie nicht. Ebenfalls ist's nicht gut wenn man das Lächerliche
einer Sache nicht abstrahiren kann, wie Kinder nach einer lustigen
Tischgesellschaft bei dem Gebete das Lachen ankommt. Sie können
sich nicht auf einmal aus einer lachenden Stellung in eine ernst-
hafte versetzen. So war es auch mit der Geschichte vom Opfer
des Ochsen wobei die Leute um ihren Zwek zu erreichen, nicht
lachen sollten, %.und es zulezt dennoch thaten.

/Speculative Köpfe sind diejenigen welche immer abstrahiren
und nie attendiren, also alles im Concreto nicht im allgemeinen
denken. Im Gegentheil sind empirische Köpfe sehr aufmerksam,
ohne aber abstrahiren zu können. Sie bemerken alles in der Gesellschaft.
Dagegen können %.speculative Köpfe in den Fall kommen nach einer Erzählung auf
die sie nicht attendirt, eine dumme Frage zu thun.

/|PR_023_Z_21

/%.Empirische haben den Vor@zug@
daß sie sich auf Reisen
den Weg merken, %.und i@hn@
so leicht widerfinden
welches %.speculative nicht
können. ~

/δ_Lage_D.

/|P_24

/1.) Abstraction ist: (ihr Gegentheil Dissipation Zerstreuung)

/1.) Objectiv, wenn man die übrigen Mannigfaltigkeiten eines
eines Gegenstandes abstrahirt. Z. B. Begrif vom Thier überhaupt.

/2.) Subjectiv, Wenn man von seinen Gemüthszustande abstrahirt.

/a.) wenn man sich in eine willkürliche Gedankenlosigkeit
versetzt. Kann man dies, so wird man dadurch sein Gemüth
auf eine besondre Art aufmuntern %.und stärken.

/b.) wenn man von gewissen Empfindungen abstrahiren kann,
dies trägt zum Glück bei. Denn wenn man immer attendirt, findet
man viel Schlechtes %.und kann Misanthrop werden.

/2 Attention %.und ihr Gegentheil Dissipation:

/a.) Lesen der Romane %.und %.der %.gleichen macht distract, unfähig
wichtigere Bücher mit Attention zu lesen.

/b.) Sie verursacht, daß wenn jemanden ein Zahn oder Knopf
fehlt, man immer hinsieht.

/3.) Hypochondristen attendiren durch Krankheit unwillkürlich.

/Daher lachen sie oft über eine längstvergangne Sache, weil
ihre Aufmerksamkeit lange darauf geheftet bleibt

/4.) Nur durch Aufmunterung kann man die Aufmerksam-
keit auf einen Gegenstand verlängern.

/Die gröste Vollkommenheit des menschlichen Gemüths ist,
wenn es alle seine Vorstellungen, in Ansehung ihrer Ent-
stehungsart und Dauer in seiner Gewalt hat. Aber leider
haben wir eine unwillkürliche Aufmerksamkeit, %.und %.unwillkürliche
Abstraction.

/|PR_024_Z_16

/Darum müssen Hy-
pochondristen nicht
medicinische Bücher
lesen, natura medi-
catrix sua. ~

/|P_25

/ ≥ Von den Haupt %.und Adhärirenden
Vorstellungen. ≤

/Die Hauptvorstellung (principal) z. B. auf einem Kupfer-
stich wo der Tod des General Wolf <vor Quebec> vorgestellt ist, nennt
man $ergon$, sie wäre der General selbst, wie er durch eine feind-
liche Kugel getödtet wird. Die übrigen Nebenvorstellungen,
Bäume, Felder, Blessirte Soldaten, nennt man $parerga$.
Dergleichen kommen auch auf dem Theater vor. Arabesken,
- ein schlechter Geschmack; sie sind $parerga$ die die Welt fan-
tastisch vorstellen. Es ist nicht zu tadeln, daß Shaekspear in
Trauerspielen Lustigmacher anbringt, denn es ist so im wirk-
lichen Leben.

/Oft sind die %.adherirenden %.Vorstellungen trocken, %.und heben dennoch, wie
die Saucen die Speisen.

/Façon ist das, wodurch sich Dinge recommandiren. Aber wo
nur Accessoria den Werth geben sollen, geht bald alle wahre
Achtung verlohren, oft mehr als es in Ansehung des wirklichen
Wehrts seyn dürfte.

/ ≥ Von der Ueberredung %.und Ueberrzeugung. ≤

/Die Ueberzeugung ist ein Objectiver %.und die Ueberredung ein %.subjectiver
Grund des Fürwahrhaltens.

/Wer leicht zu überreden ist, der läßt sich auch leicht was ausreden.
Es liegt in der Unerfahrenheit von der einen %.und der Ueberlegenheit
von der andern Seite. Manche Leute lassen sich Dinge einreden
von deren Gegentheil sie überzeugt sind.

/|PR_025_Z_5

/Die Russen haben
ein Sprichwort: Man @um-
fängt@ den Gast nach se@inem@
Kleide %.und begleitet ihn na@ch@
seinem Verstande.

/Sprichwort lehren den
Volkswitz kennen.

/δ_Z_12

/Oft passen sie gar
nicht, z.E. auf eine@r@
Venus eine prächtige
Krone. ~

/|P_26

/ ≥ Von den Sinnen. ≤

/Der Sinn ist die receptivitaet von Vorstellungen, in soweit
wir von Gegenständen afficirt werden.

/1.) In die äussern Sinne, oder der Zustand des @%.Körper@ wenn er afficirt
wird.

/2.) Den innern Sinn, oder der Zustand des Gemüths dabei

/3.) Die Organe.

/ ≥ Materie der Sinnlichkeit. ≤

/Sie ist das, was in der Sinnlichkeit zu den Empfindungen
gehört. Zu Empfindungen werden erfordert: 1.) Sinne, 2.) Ein-
bildungskraft etwas in sinnliche Form zu bringen. Der Sinn
ist 1.) Äusserer, die Empfänglichkeit, 2.) «i»Innerer.

/

/ ≥ Von dem äussern Sinn. ≤

/Man theilet ihn ein:

/I.) In den Vital-Sinn, der sich über das ganze Nervensystem
verbreitet e. g. das Gräuseln, der Schauer @%aber@ afficiren den
ganzen Körper ohne daß man dabei den Gegenstand empfindet.
Empfindung von Wärme %.und Kälte gehört auch dahin.

/II.) In den Organ-Sinn. Obgleich wir einen %.allgemeinen oder vitalsinn
haben, so sind doch die Nerven verschiedner Eindrücke fähig, oder sie
formiren die fünf Organe. Einige davon sind objectiv d. h. sie
stellen uns nicht blos den Gegenstand vor, sie lassen ihn auch erkennen,
dies können die %.subjektiven Sinne Geruch, Geschmack, nicht.

/|PR_026_Z_2

/Die Art wie wir affi-
cirt werden: Empfind-
lichkeit, Dunkelheit, Klar-
heit, Deutlichkeit.

/δ_Z_16

/Ie %empfindlicher Vitalsinn,
je %unglüklicher sind die Personen,
Mangeln muß er daran
@doch@ auch nicht, weil alsdenn
auch die Gemühtskräfte stumpf
sind.

/δ_Z_20
Organempfindungen
haben Beziehung auf
ein Objekt, einen
%wirklichen Gegenstand.

/δ_Z_24

/Sie sind blos Genuß
die andern mehr
Erkenntniß. ~

/|P_27

/1.) Die objectiven Sinne sind:

/a.) das Fühlen. Tactus. Dieser Sinn ist fast über den
ganzen Körper verbreitet, äussert sich aber vorzüglich in den
Fingerspitzen. Er ist Hauptobjectivsinn %.und unentbehrlich.
Nur vermittelst des Gefühls können wir Begriffe von der Gestalt
und Masse der Körper bilden. Die Augen stellen uns die
Gegenstände nur wie Flächen vor. Versuche mit Blindge-
bohrnen beweisen dies. Sie sahen z. B. eine Kugel nur wie
einen Zirkel, konnten auch Hunde %.und Katzen nicht eher unterscheiden
als bis sie dieselben befühlt hatten. Ein Blinder konnte in
England zum Wegebesserer gemacht werden, weil er durch
Fühlen mit dem Stock sein Amt verwaltete. Blinde können
die Farben mit den Fingerspitzen unterscheiden. Nach ihrer
Aussage ist weiß %.und roth im Anfühlen rauh, schwarz blau
%.und violet hingegen glatt. Der Abgang eines Sinns, wird da-
durch ersetzt daß die andern schärfer werden.

/b.) Das Gehör. Es informirt wohl nicht von der Gestalt
eines Körpers überzeugt uns aber doch von seiner Gegenwart
%.und ist in so fern objectiv. Das Gehör ist ausserordentlich
fein. Z. B. Da die Russen Danzig belagerten, hörte man
die Kanonade bis in Königsberg. Dies kam daher weil
das Haf dazwischen liegt, welches keine Wellen hatte wodurch
der Schall hätte aufgehalten werden können. Durch das Gehör
können Menschen außerordentlich erschüttert werden. Mit einem
Brummeisen oder Baß kann man daher Würmer vertreiben. Durchs Gehör
kann man sich vielen communiciren. Es ist der geselligste Sinn, %.und gereicht
oft blinden Alten zum Troste.

/|PR_027_Z_4

/Er ist der edelste,
der Fundamentalsinn.
Er kann nicht wie
Gesicht %.und Gehör zur
Beurtheilung des
Schönen angewandt
werden.

/δ_Z_10

/Ein Schmerz der
im Moment aufhört
giebt Annehmlichkeit.

/δ_Z_17

/Es giebt keinen
Begrif von der Masse
des Posthorns oder
überhaupt von Gestalt
einer Sache, daher ists
unter dem Gesicht.

/Nicht Tritt halten bei
Besteigung des Pontons.
2000 Ruthen eine Meile
9000 Bebungen hat der
höchste Ton in einer Secunde
Ein Ton ist eine Bebung @der Luft@
Nach angestellten Versuchen
können sie die Erschütterung
des Nervensystems nicht er@tra@-
gen, %.und lassen los.

/Der Schall ist in 2 mal @weiterer@
Entfernung 4 mal kleiner
in 3mal weiterer 9 mal
kleiner u. s. w. ~

/|P_28

/ ≥ δ_Den 26ten %.October Mittwoch 5tes mal 9te Stunde von 8 - 9 ≤

/c.) Das Gesicht. Wer sehen lernen will muß fühlen können.
Ein Blinder wollte lieber ein Haus als einen Menschen sehn,
weil er sich durchs Gefühl von der Gestalt des leztern
unterrichten konnte. Dies ging aber in Absicht des Hauses
nicht an. Die Sinne des Gehörs %.und Gesichts sind unbegreiflich.
Das leztere ist ein großes Mittel der Erkenntniß. Der nächste
Fixstern ist der Sirius, (Hundsstern) er ist der hellste. Dergleichen
Gruppen von Sonnensystemen wie z. B. die Milchstrasse, die
nur wie ein weisser Strich unsern Augen erscheinen, nennt man
Nebelsterne. Nach des großen Herschels Berechnung braucht
das Licht von einem solchen Nebelstern 10,000 Jahre Zeit
ehe es auf die Erde kommt. Da man die %ausserordentliche
Schnelligkeit des Lichts (welches von der Sonne in 8 Minuten in unsere
Augen kommt) kennt, so kann man sich die entsetzliche Entfernung
eines solchen Nebelsterns von der Erde denken. Gegenstände
die in die Augen fallen, muß man nicht so erheben, daß man
mehr den Eindruck den sie auf uns machen, als den Gegenstand
selbst empfindet, z. E. wenn man Thurmspitzen so stark
vergüldet daß man sie nicht ansehn kann.

/ ≥ δ_10te Stunde von 9 - 10 ≤

/2.) Die Subjectiven Sinne sind:

/a.) der Geruch. Er ist Geschmack der Ausdünstungen. Körper
müssen in Dunst verwandelt werden, wenn man sie riechen
soll. Der Geruch wirkt vorzüglich in Ohnmachten; er ist
ausserordentlich fein, Z. B. der Geruch eines Iagdhundes.

/b.) Der Geschmack, ist wie der Geruch Sinn des Genusses. Er ist
modisch %.und wechselt ab. Manches schmekt man mit der Zunge andres
Z. B. Rheinwein mit dem Schlunde.

/|PR_028_Z_3

/Die Augen sind nie
schlecht es kommt nur
darauf an, wie sie
mehr oder weniger
vom Licht afficirt werden
durch Uebung schärfen.

/δ_Z_7

/Gesicht %.und Gehör sind
von der %.Beschaffenheit daß
sie die %.unendlichen Grade be-
merken können in die die Augen
das Licht %.und die Ohren
die Bebungen der Luft
theilen.

/δ_Z_13

/Wir sehn also nur
immer wie der
Nebelstern vor ¿¿¿ Iahren
ausgesehn hat.

/δ_Z_23

/Mit einem parfüm@irten@
Schnupftuch tracktirt man
wider Willen eine %Gesellschaft
Daher ists impertinent
Die Damen in Rom wür-
den in Ohnmacht fallen.

/δ_Z_27

/Nicht alle Luft die
wir einathmen hauchen
wir aus. M

/δ_Z_rechts_24

/Weil er
viel Stunden
hernach
riecht.
Raub@thiere@
riechen
Meilen-
weit ~

/|P_29

/Der Einfluß der Sinne ist

/I.) Chymisch, d. i. der Einfluß durch «Druk %.und Stoß.»<Auflösung.>

/II.) Mechanisch d. i. der Einfluß durch Druk und Stoß.

/1.) Riechen und Schmecken sind chymische Sinne. Denn alles was
wir riechen und schmecken lößt sich auf, %.und wird mit den Säften des
Körpers vermischt. Der Geschmack ist der Sinn der am öftersten lebhaft
betrieben werden kann. Er befördert die gesellschaftlichen
Unterhaltung. Er ist Prüfung der Natur die Nützlichkeit
oder Schädlichkeit einer Sache zu zeigen. Man glaubt den Geruch
entbehren zu können, weil er oft unangenehme Empfindungen zu-
wege bringt. Man irrt sich, er bewahrt uns dadurch vor viel %schädlichen
Dünsten. Americaner haben bisweilen das Feuer weiter riechen können
als sie den Rauch sahen, %.und konnten dennoch den ärgsten Gestank ertragen.

/2.) Fühlen, Sehen, Hören sind mechanische Sinne. Welcher Verlust
ist erträglicher, der des Gehörs oder der des Gesichts? Ein Greis
antwortete einst hierauf, er habe nie einen Tauben glücklich gesehn,
eher noch einen Blinden. Das gröste Vergnügen, die Mittheilung
durch Conversation fehlt dem Tauben ganz. Da einst ein
Taubgebohrner durch eine <große Thurm->Glocke hörend wurde, war ihm
als wäre er aus einem Traum erwacht, alles kam ihm jetzt anders
vor, er sah nun jede Sache aus einem neuen Gesichtspunckte an.
Er hatte Ceremonien %.und %.der %.gleichen in der Kirche mitgemacht, aber
ohne das mindeste dabei zu denken. Man kann nicht anders

/|PR_029_Z_15

/1.) Das Gefühl, %.und 2 der
Geschmack werden nur
durch unmittelbare Be-
rührung afficirt. 3.) Der
Geruch in einiger Entfernung
4 Das Gehör, in grösserer
Weite. Das Gesicht erstreckt
sich in die fernsten Gegenden.

/%.Anmerkung. Die Farben haben ei-
ne besondre Analogie mit
den Tönen. Man sieht dies schon
aus den 7 Tönen der Octave
%.und den 4 Farben des Re-
genbogens. Das Gesicht theilt
den Raum %.und das Gehör
die Zeit in gleiche Theile. ~

/|P_30

/denken, als wenn man mit sich selber spricht.

/Der Geruch ist negativ, denn wer nach nichts riecht, riecht gut.
Im Orient liebt man da«ß»s viele Räuchern, %vermutlich weil
sich die übeln Gerüche in der Wärme leicht ausdehnen. Einen
herrlichen Geruch giebt das theure Adler oder Aloësholz auch Para-
diesholz genannt. Zu dieser Art Empfindungen gehört das
Tabakrauchen %.und Schnupfen. Beides ist blos Mittel die Nerven in
beständigem Reitz zu unterhalten, %.und sich vor langer Weile
zu sichern; darum zieht auch ein rechter Tabakschnauber den
scharfen dem wohlriechenden vor. Soweit vom äussern Sinn.

/ ≥ Vom innern Sinn. ≤

/Der innere Sinn ist die eigene Vorstellung unserer Gedanken.
Die Seele ist sonst Object ihrer eignen Vorstellungen. Ihre Imagination
giebt allerley Gestalten. Durch Phenomene des innern Sinns
entstehen hypochondrische Grillen. Man nennt das Schwärmerey,
z. E. um «bey» d«er»ie Handlungen der Menschen nicht mehr aus Furcht
vor Strafe, oder aus Hofnung der Belohnung entstehen zu
laßen, das Paradies verbrennen, %.und die Hölle auslöschen.

/Bei Schwärmern kann man mehr mit Purganzen als mit
Vernunft ausrichten.

/ ≥ δ_Den 29sten %.October Sonnabends 6tes mal 11te Stunde von 8 - 9. ≤

/ ≥ Vom Gebrauch der Sinne. ≤

/Mancher klagt über schwache Augen, er braucht sie nicht. Durch
Gebrauch, durch Aufmerksamkeit müssen die Sinne geschärft
werden. Etwas die Aufmerksamkeit anziehendes ist:

/|PR_030_Z_5

/Das %Pfund kostet
300 %Reichsthaler. ~

/|P_31

/ ≥ Von der Art wie unsere Vorstellungen belebt werden. ≤

/I. Der Contrast, Abstechung. Wenn man sein Vaterland
%.und die bürgerliche Ordnung desselben lieben will, so muß man
in ein Land gekommen seyn worin es schlimmer zugeht %.und keine
Ordnung ist, welches also gegen das Vaterland absticht. Man
hält deswegen Gegenden die bei uns für mittelmäßig gelten
würden, im Orient für Paradiese, weil sie gegen die Sand-
wüste abstechen. So ists z. B. der Fall bei Damaskus. Die
Chineser geben ihren Gärten durch den Contrast, von dornichten
wüsten, %.und blumigten Gegenden ein reitzendes Ansehn. Bei-
nahe die nemliche Beschaffenheit haben die englischen
Gärten, wozu aber doch viel Land erfordert wird. H@ewe@
ein Engländer, ein liebenswürdiger Mann, schrieb einen Commen-
tar über die Heßlichkeit, worin er unter andern sagt
daß er (ein kleiner %unansehnlicher Mann) sich immer hüte neben
einen gewißen schönen großen Herrn zu stehn, weil
dies <zu> einer für ihn nachtheiligen Abstechung Veranlassung gebe.
So geben auch schöne «¿»Kleider und grobe Manieren einen
großen Contrast. Auf diese Weise hat Blumhauer ganz
unvergleichlich den Virgil travestirt, indem er wichtige
Personen wie Pöbel, Wäschermädchen aber aus einem
hohen Tone reden läßt. Er weis dies oft sehr komisch
und unerwartet anzubringen. Vorzüglich vergnüget
er durch den erhabnen Ton geringer Personen.

/|PR_031_Z_2

/Verschieden von Widerspruch
der das Wiederspiel in einer
%.und derselben Sache ist. ~

/δ_Lage_E.

/|P_32

/II. Neuigkeit. Wenn eine Sache gleich unwichtig ist, fin-
det sie dennoch, wenn sie nur neu ist mehrentheils Beyfall.
Raritäten sind eo ipso weil sie uns Neuigkeiten sind <werden>, ange-
nehm. Z. B. Vasen aus den Städten Pompeji %.und Herculaneum,
welche durch das 69 Iahre nach Christi Geburt erfolgte Erbe-
ben tief in die Erde versenkt wurden. Man fand in
einen der dort vorhandnen unterirrdischen Zimmer den
Körper eines Frauenzimmers in sitzender Stellung. Dies
machte sehr aufmerksam. Man lies den Körper %.und alle
Sachen in dem Zimmer so liegen wie man es fand, weil es
doch allerdings interessant ist, ein Stube zu sehn
wie sie vor mehr als 1700 Iahren ausgesehn. Der Neu-
igkeit wegen ist Gesundheit nach Krankheit besonders
angenehm. Eben so verhält es sich mit der Freyheit nach
der Sclaverey. Erst denn empfindet man das Wohlthätige
dieser Güter wenn man die Bitterkeit ihres Verlusts kennt.

/III. Der Wechsel.*1 An eine Sache wobei kein Wechsel ist,
wird man leicht gewöhnt, sie schläfert ein. Man nennt dies
Monotonie. Daher hat die Vorsehung Leiden in unsre
Freuden gemischt. Denn wir schmecken das Glück erst denn,
wenn wir Unglück kennen. Ein Land worin lauter Kunst
wie z. B. Holland, gefällt nicht, es ist Monotonie. Wechsel
zwischen Kunst %.und Natur verursachet Lebhaftigkeit
der Eindrücke. Ruhe wird nur durch Arbeit angenehm. Meilen-
lange Alleen *2 haben viel Langweiliges, weil kein Wechsel dabei ist.

/|PR_032_Z_17

/*1 Der Wechsel der Vorstellung
kann 1 der Art nach 2 dem Grade
nach 3 der Zeit nach, ein-
getheilt werden.

/δ_Z_23

/*2 Dergleichen sind: von
Capua bis Neapel, auch von
Petersburg bis Moscau
ein perspektivischer Weg. ~

/|P_33

/IV. Steigerung. Iunge Leute müßen sich blos darum viel
versagen, weil der Prospekt des künftigen Genusses unterhal-
tender als der Genuß selbst. Als ein Papst den Petrarch
frug, ob er wohl die Dinge die er seinen Gedichten beschrie-
ben in der Wirklichkeit haben wollte? Petrarch antwortete
Nein, er fände mehr Vergnügen in der Idee. Der Geizige
genießt alles in der Idee, Reitpferde, Kutschen Landhäuser pp
sieht er in seinem Kasten, und noch obenein der wichtige
Vortheil - er behält ja das Geld, indes andre nach dem Ge-
nuß von Vergnügen nichts haben. So lange wie möglich
muß man sich der Bequemlichkeiten Z. B. in Kutschen zu
fahren u. s. w. enthalten, damit man die angenehme
Erwartung unterhalten kann, es künftig haben zu können,
denn es ist sehr unerträglich unangenehme Dinge erfahren,
wenn man vorher Bequemlichkeiten genoßen. Daher muß man
sie sich frühzeitig versagen, um in der Folge höher steigen
zu können, wenn man sie genießt.

/Die Kraft der Sinne kann durch körperliche Dinge abge-
stumpft werden nemlich durch Schlafen, zweitens durch
alt werden. Alte Frauen verlieren oft das Gefühl in
den Fingerspitzen, so daß sie den Faden womit sie spinnen
wollen nicht mehr halten können. Auch können die Sinne
vorsetzlich durch starke Getränke, besonders durch Opium ab-
gestumpft werden. Die Leute wollen sich durch Trinken sorgenleer
machen, sie irren, denn wenn der Trunk zu Ende, %.und der Rausch ausgeschlafen,
wird die Sorge doppelt.

/|P_34

/ ≥ δ_12te Stunde von 9-10 ≤

/ ≥ Von der Betäubung der Empfindungen. ≤

/Wenn ein Mensch aus seiner Fassung gebracht ist, so sagt
man, er ist nicht bei sich selbst; kann er sich aber gar nicht mehr
erhalten, so ist er seiner selbst nicht mächtig, man sagt dann
er ist perplex oder verblüft. (Das leztere ist ein pommerscher
Ausdruck.) Ein Italiäner würde sagen, er hat die Tra-
montana verlohren. Tramontana heißt Nordwind. Weil
man doch gewöhnlich in Gesellschaften vom Wetter *1 zu reden anfängt,
und jemand der in eine ungemein große Gesellschaft tritt, hie-
rüber bestürzt, kein Wort zu reden weiß, also auch nicht einmal
sagen kann was vor Wetter draussen ist, so spricht man: er
hat die Tramontana, (den Nordwind) verloren. Der bekannte schrekliche
Sirocco ist Südwind.

/Hofnung und Schlaf sind die Balsame des Lebens.

/Die Empfindungen werden geschwacht:

/1.) Durch den Schlaf. Er ist ein natürlicher Zustand der
Schwächung der Empfindungen. Wie es komme daß demohngeachtet
andre Functionen des Körpers vor sich gehen, ist noch unbekannt.

/2.) Durch den Trunk. Er ist ein unnatürlicher aber will-
kürlicher Zustand der Schwächung der Empfindungen. Der
Trunk ist Mittel die Geselligkeit zu befördern, er befreyt
die Menschen vom Zwange und macht sie offenherzig. Daher
leidet man bei Trinkgelagenen keinen Nüchternen, weil
dieser entweder von der Offenherzigkeit der Anwesenden
profitiren will, oder selbst vieles zu verbergen hat.

/|PR_034_Z_3

/1.) Der %.Mensch nicht bei sich selbst
wenn er nicht seiner Empfindung
gebiethen kann.

/2.) der %.Mensch ist sein nicht mächtig wenn
die Affecten ihn ausser Stande setzen
was zu thun.

/3 perplex wenn er von einer
%.Empfindung so überrascht wird daß
er die andere nicht in Gewalt
hat.

/δ_Z_8

/*1 Es wäre gewiß sehr lächerlich
beim Eintritt in ein fremdes
Zimmer gleich zu sagen die
Russen %.und Türken haben Friede ge-
schlossen. ~

/|P_35

/Wenn man trinkt so bekommt man viel Hofnungen in
den Kopf, nur Schade daß sie wenn der Rausch ausgeschla-
fen ist, wieder verschwinden. Man irrt sehr, wenn man
glaubt die Neigungen eines Menschen bei dem Trunk ergründe
zu können. Denn der Trunk macht einen zum ganz andern
Menschen. Manche werden dadurch lieblich, manche polternd, einige
weinen, andre singen %.und beten dabei mit vieler Rührung.

/Der Rausch von Opium %.und Brandtwein macht stumm, unemp-
findlich %.und ungesellig Wein %.und Bier bewirken das Gegentheil.
Die Géne scheint nöthig, damit die Menschen civilisirt
bleiben sollen. In England stehen die Damen früher von
Tische auf als die Herren, damit die letztern, welche denn
ungenürt %.und vom Zwange befreyt sind die Zeche anfangen
können. Von Friedrich_%.Wilhelm_I erzählt man, daß er nur
im Trunke wohlthätig war, daß ihm aber dieses wenn er wie-
der nüchtern wurde gereuete. Leute die sehr wenig offen-
herzig sind, hüten sich vor dem Trunk, damit sie nicht alsdenn
ihre Geheimnise wider Willen bekannt machen.

/Der Rausch ist nur für Mannspersonen. Das Frauenzimmer
hat selten sehr wichtige Geheimniße, hat also nicht nöthig so
verschwiegen %.und zurückhaltend zu seyn, als Männer. Da also
die Frauenzimmer nicht in dem Zwange sind als Mannspersonen,
bedürfen sie auch nicht des Trunkes als eines Mittels sich
desselben zu entledigen, %.und dahero ist es schändlich wenn ein

/|PR_035_Z_6

/Die Entschuldigung des
Rausches Geselligkeit, da-
her ist der Brandwein-
Rausch %.und jeder andre
der nicht in Gesellschaft
geschieht, schändlich.

/δ_Z_16

/Es war Basedows
Fehler, daß er zu
viel Malaga trank ~

/|P_36

/Frauenzimmer sich betrinkt. Ein besoffenes *1 Weib ist den
Menschen ein so äusserst seltsames Thier, daß die Iungen schaar-
weise hinterherlaufen. Man behauptet von jeder erfundnen
Sache daß sie dem %menschlichen Geschlecht mehr Nutzen als Schaden
bringe, dies liesse sich aber in Absicht auf Brandtwein wohl
schwerlich beweisen. Sein Schade ist ausserordentlich. In «¿»Danzig
giebt es viele Sorten von Brandwein, eine immer stärker wie
die andre, wer einmal bis zum stärksten gelangt ist, kann
nur noch eine kurze Zeit leben, man kann allenfalls den Tag
seines Todes bestimmen, das schlimmste hiebei ist, daß diejenige
welche sich den Brandtwein angewöhnt, ihn unmöglich lassen
können, weil ihr Magen ohne ihn schon gar nicht mehr ver-
dauen kann. Der Brandtwein ist wirklich Ursach von der
Entvölkerung der Staaten, %.und schadet sehr, ohne etwas zu nützen.

/Alle nördlichen Völker trinken gerne, um sich zu beleben.
Tacitus sagt von den Deutschen: Sie fassen ihre Anschläge beim
Trunke, damit sie Muth und Nachdruk haben sollen, %.und er-
wägen sie nüchtern, damit sie verständig wären. Die Orien-
talen haben keinen Hang zum Trunk, indem er bei ihnen Wuth
%.und Raserey hervorbringt. Ein Beispiel davon geben auf
Batavia die sogenannten Mucker, die wenn sie betrunken
sind, alles was ihnen auf der Straße begegnet umbringen.
Alten Leuten läßt der Rausch beßer, weil sie dadurch belebt
werden. Der Iugend ist er ganz unpassend, auch bedarf sie sei-
ner nicht, da sie so schon Feuer genug hat.

/|PR_036_Z_2

/In England sind sie
eben nicht so selten.

/δ_Z_22

/vide Campe. ~

/|P_37

/3.) Durch Ohnmacht oder Tod. Der Tod ist ein unnatürlicher
unwillkürlicher Zustand der Schwächung der Empfindungen.
Man muß nicht denken daß ein kurz Verstorbener nichts mehr
denke und empfinde. Tissot erzählt Exempel von <allgemein> für todt
gehaltenen Leuten, die nachdem sie auf dem Brette zu sich gekommen,
erzählten, daß sie alles gehört, was um sie vorgegangen, %.und
sich sehr bestrebt den Leuten die Meynung zu benehmen daß sie todt
wären, aber nicht im Stande gewesen wären, auch nur ein Glied
zu rühren.

/ ≥ δ_Den 2ten November %.Mittwoch 7tesmal 13te %.Stunde von 8 - 9. ≤

/Die Irrthümer die man den Sinnen zur Last leget sind:

/1.) Betrug ist ein Schein der einen Irrthum hervorbringt, <der> sobald
man aber weiß daß es ein Schein ist, in dem Augenblicke auch
aufhört von uns davor gehalten zu werden, Z. E. Taschenspielerkünste.

/2.) Illusion ist ein Schein welche bleibt, wenn man auch
weiß daß es ein Schein ist, e. g. alle optischen Blendwerke.
Dieser sinnliche Schein heißt fallace vestigium. Unsere
Sinne urtheilen nicht %.und können auch aus eben dem Grunde
nie betrügen. Blendwerke (vestigia sensuum) sind, wenn
wir von dem, was wir mit unsern Sinnen nachmachen,
nicht nach den Regeln des Verstandes Gebrauch machen.
Es ist Täuschung, wenn wir durch Lichtstrahlen die höher liegen,
eine Sache höher zu sehen glauben, und das wahre Bild durch
falsche Auslegung auf einen unrechten Gegenstand deutet.
So sah einst der berühmte Pferdearzt Kerstein, als er

/|P_38

/ein Pferd secirte, plötzlich einen Menschen vor sich sitzen
der ihm völlig ähnlich sahe; jeder andre würde vor Furcht
%.und Schreck davongelaufen seyn, er aber untersuchte das was
er sahe kaltblütig und befand, daß es der Dunst des warmen
Pferdes gleichsam einen Spiegel hervorgebracht habe, in dem
er seine Gestalt gesehn. Wenn Neger sich im Spiegel sehn
so glauben sie daß in der That noch mehr Menschen bei
ihnen wären. Mann kann mit einem Hahn ein Blendwerk ma-
chen, wenn man ihn mit dem Schnabel auf den Tisch drükt, %.und vorne einen
Strich mit Kreide macht, der Hahn glaubt alsdenn sein Schnabel sey
am Tische fest gemacht, %.und wagt es nicht, sich zu bewegen.

/Neigung veranlaßt oft starke Illusionen, die man höchstens
nur wieder durch Illusionen vertreiben kann. So lies sich
zum Beispiel einer der seine Geliebte in den Armen eines an-
dern gesehen, dadurch wieder zurechte bringen, daß er selbst
seinen Augen nicht traute, indem sie ihm vorwarf, daß er mehr dem
was er gesehn als ihren Worten glaubte. Alle Hoflichkeiten
im Umgange sind Illusionen von wechselseitiger Achtung %.und
Liebe, von denen wir wissen, daß sie nichts bedeuten, sie aber
so gerne sehen, daß diese Scheine endlich wirklich einen Grad von
Wahrheit bekommen, %.und uns dahin bringen daß wir andern Leuten
mit eben der Achtung begegnen.

/Die innere Illusion vermöge welcher wir durch ein vortheilhaftes Urtheil
über uns selbst uns täuschen, heißt Wahn. Es giebt unzählige Arten
von Wahn, z. E. religiöser Wahn, wenn <wir durch> «¿¿» äussere %.religiöse Handlung dieselbe Zu-
friedenheit bei uns «¿¿¿¿¿»empfinden, als ob man religiöse nach principien wäre.

/|PR_038_Z_4

/Wiegleb natürliche
Magie empfohlen.

/δ_Z_12

/Neigungen gehören mit
zur Sinnlichkeit, sie stellen
uns die Dinge in einem
vortheilhaftern Lichte
dar als sie in der That
sind. ~

/|P_39

/Der moralische Wahn, der ein Hauptzug im Charakter der
sogenannten gutherzigen Leute ist, welche glauben sie würden
die ganze Welt glücklich machen wenn das große Loos auf ihrer
Seite wäre, es bleibt aber auch blos bei dem Wunsch. Ferner
ist auch Reue ohne Besserung ein Wahn.

/Schminke ist ein Betrug, sie soll das Gesicht verschönern, erregt
aber den Verdacht der Häßlichkeit. Illusionen dienen zum Ver-
gnügen. Alle Artigkeit im Umgange ist Illusion. Der gute An-
stand ist ein Schein der Achtung einflösset. Die Politesse ist
ein Schein, der Liebe einflösset; wenn man selbst auch weis daß
die Höflichkeitsbezeugungen erdichtet sind, so gefallen sie dennoch.
Man erspart sich dadurch viele Unannehmlichkeiten, rauhe
Wahrheiten p.; auch würden im entgegengesetzten Falle weit
mehr Absurditäten grade weg gesagt werden. Ia wenn
es auch gleich Anfangs nur Spiel war, daß man eine grosse
Rolle spielen wollte, mit der Zeit wird es doch wohl Ernst
%.und es glükt.

/Illusion die so angenehm ist, müssen auch Dichter benutzen: Wieland *1
ist wohl der einzige in neuern Zeiten der Dichter und Gelehrter
zu gleicher Zeit in einem so hohen Grade ist. Wenn Menschen
durch einen Zufall in Verzweiflung gerathen sind, so kann
man durch einen neuen eine Diversion machen. Z. B. Wenn
einen Kaufmann seinen Sohn verloren hat, so kann dieser Schmerz
durch die noch schreklichere Nachricht, daß er sein Schiff verloren,
(wodurch er ganz zu Boden geschlagen wird) aufgewiegt werden.
Eben so ist es auch in der Medicin.

/|PR_039_Z_11

/Es ist besser Scheide-
münze zu haben als
gar keine, des Verkehrs
wegen.

/δ_Z_18

/*1 Er ist ein Schwabe
Sulzer ein Schweitzer. ~

/δ_Lage_F

/|P_40

/ ≥ δ_14te Stunde von 9 - 10 ≤

/ ≥ Von der Einbildungskraft %.und Phantasie. ≤

/Die Einbildungskraft *1 ist ein Vermögen eine Anschauung
hervorzubringen, deren Gegenstand nicht da ist. Dies Ver-
mögen ist von großem Umfange, überschreitet in Ansehung
der Form die Natur, doch so daß es den Stof aus ihr nimmt. So kann
ein Mensch sich keine neue Farbe einbilden als die er gesehn
hat. Wir können folglich durch die Einbildung nicht schaffen
sondern nur umbilden.

/Die Einbildungskraft ist 2fach

/1.) Productiv wenn sie neue Bilder neue Gegenstände
hervorbringt die wir mit unsern Sinnen noch nicht gefaßt
haben, die uns vordem nie vorgekommen. Sie ist schöpferisch
das Hauptfundament des Genies, von dem der Nachahmungs-
geist am weitesten entfernt ist; sie läßt sich wieder theilen

/a.) In Willkürliche, wenn der Mensch die actus seiner
Imagination nach Belieben exerciren kann, d. i. Bilder
erregen, und auslöschen kann.

/b.) In Unwillkürliche oder Phantasie. Bei der %willkürlichen
Imagination spielen wir mit den Bildern, bey der Phan-
tasie spielen die Bilder mit uns.

/2.) Reproductiv, wenn sie Bilder die uns schon vorge-
kommen sind <in> ihrer Abwesenheit erneuert. Sie ist nur nach-
bildend und liegt der Nachahmung und dem Gedächtnisse
zum Grunde. Sie ist nur in Ansehung der Empfindung %.reproduktiv.

/Nie kann man andern Empfindungen produktiv mit-
theilen. - Ein besondrer Aberglaube der Bergschotten ist,

/|PR_040_Z_3

/*1 Sie ist das 2te Stück
der Sinnlichkeit. ~

/|P_41

/<(Noch jetzt bekommen sie wachend Erscheinungen, die sie das 2te
Gesicht nennen.)>

/daß ihre Vorfahren zwei Gesichter gehabt, %.und mit einem
die Dinge um sich mit dem andern die Dinge ausser
sich gesehn. Es ist Wahnsinn wenn man ein Produkt
der Einbildungskraft für was wirkliches hält. Die
Imagination representirt Bilder von ehemaligen
Gegenständen. Fantasie wird erregt durch Langeweile
sie ist dasjenige womit der Mensch seiner Einbildungskraft
Nahrung verschaffet. Vorstellungen werden afficiirt
durch Concomitanz (Begleitung, theils durch Ver-
wandschaft. Es ist eine swere Frage: wer denkt
mehr an den andern, der Freund oder der Feind? Ver-
muthlich der Feind, denn man interessirt sich mehr, Ue-
bel wegzuschaffen, als Annehmlichkeiten zu haben. Die
productive Einbildungskraft entsteht wenn der Kopf
wovon voll ist. So glaubt z. B. ein Verliebter, indem
er den Schatten eines Thurms sieht, es sey der Schatten
seiner Geliebten. Alte Leute klagen immer über die
gegenwärtige, und rühmen dagegen die alte Zeit.
Dies rührt von einer Täuschung her, denn sie empfinden
sehr natürlich im Alter mehr Mühseligkeiten als in
der Iugend.

/ ≥ δ_8tes mal 15te Stunde Sonnabends den 5ten %.November von 8 - 9

/Die Einbildungskraft wirkt durch Sympathie auf
den Menschen, sie wirkt zur Nachahmung. So gähnt

/|PR_041_Z_1

/Alle %nördlichen Völker haben
der troknen Kälte wegen
sehr %empfindliche Nerven
%.und daher eine %unwillkürliche
Phantasie. Da man eine@m@
Samojeden einen schwarzen
Handschuh anzog, glaub@te@
er, seine Hand zur Bärent@at@-
ze verwandelt.

/δ_Z_8

/(Occupatus in otio)

/Die Association beruht

/1.) auf der Verwandschaft
%.Aehnlichkeit der Verhältniße

/2.) auf der Nachbarschaft
d. i. Einheit des Orts %.und
der Zeit. Z. E. Wenn
man die Schule vorbei-
geht erinnert man sich
an seine Schuljahre. ~

/|P_42

/Z. E. wenn einer es thut auch der andre. Die Menschen
lieben ihr Portrait. Personen die sich gerne sehn, ahmen
einander die Mienen nach. Mit Convulsionen hat es eine
sonderbare Bewandniß. Wenn nemlich Kinder welche
haben, so kann man sie ihnen auf folgende Weise vertrei-
ben: Man bildet ihnen ein, wenn sie nicht bald aufhören
würden solche unvernünftige Bewegungen zu machen,
so würde man sie durch allerhand Operationen curiren
müßen, «¿»unter andern würde ihnen ein Loch in den Kopf ge-
macht und denn Kohlen hereingelegt werden. Man hat
Beispiele daß die Kinder wenn man Instrumente %.und Kohl-
pfannen zusammen ins Zimmer gebracht, sie alle Kräfte zu-
sammen genommen haben, und die Convulsionen blieben
weg. So ists auch in der That mit den Krämpfen, wenn
man seine Imagination stark auf einen andern Gegen-
stand richten kann, so hören sie wie auch andre dergleichen
Uebel auf. Ohne Zweifel wirkt die Einbildung sehr
stark darauf. Die Leidenschaften erhöhen die Kraft
der Imagination, und täuschen uns vermittelst der-
selben. Liebe ist darunter die schädlichste, vorzüglich in
der Abwesenheit, weil der Gegenstand alsdenn beständig
schöner aufscheint. Man hat Beispiele daß vornehme Herren
durch Reisen sich haben zerstreuen wollen, aber gerade
im Gegentheil, denn je weiter sie sich entfernten, je größer
wurde der Wunsch den Gegenstand ihrer Liebe wieder-
zusehn, %.und zurükzukehren.

/|PR_042_Z_2

/*1 Verheyrathete die sich
wechselseitig lieben, be-
kommen endlich grosse
Aehnlichkeit der Gesichts-
züge. ~

/|P_43

/Man nennt den einen Phantasten denjenigen dessen Vor-
stellungskräfte Zwar nach den Gesetzen der Imagination,
aber nicht nach den Gesetzen der Vernunft ihre Richtung nehmen.
Einige Leute werden zerstreut wenn sie nicht gewiße
Eindrücke an die sich gewöhnt haben, empfinden. Ein Advocat
in Paris hatte sich gewöhnt, wenn er vor den Schranken
redete einen Bindfaden um den Finger auf %.und ab zu wickeln,
sein Gegenpart bemerkte dieses, prakticirte ihm den Bind-
faden weg und gewann den Proceß.

/Die Phantasie mahlt das verfloßene wie ein arcadischer
Dichter nur das Angenehme, läßt aber das unangenehme
weg. Dies macht uns in Ansehung des Gegenwärtigen
und Zukünftigen misvergnügt

/Wenn die Phantasie *1 in %Ansehung ihrer Cultur fehlerhaft ist, so heißt sie:

/1.) Zügellos, wenn es nicht in unserer Macht steht sie
zu überwältigen. Mit einem heftigen Temperament ist
Zügellose Phantasie immer verbunden. So wiederholt
ein jachzorniger Mensch einen vorgefallenen Streit, wenn
er allein ist in Gedanken, und verdirbt dadurch seinen
Charakter sehr durch Groll %.und Haß - Zügellos ist
auch des Dichters Phantasie wenn er nur Carricaturen mahlet.

/2.) Regellos wenn sie den Regeln des Verstandes zuwider
ihren Lauf nimmt. Sie ist ohne Schranken und schreklicher
als die Zügellose Phantasie.

/In Neapel ist der reiche Prinz von Palagonien, (er mag noch
leben, vid. Brydone's Reisen (%.campagnes) durch Neapel %.und Sicilien) der um sein Palais
in einer <Villa> ausserordentlich viel Statuen hat erbauen lassen. Sie sind
über alle %.Beschreibung toll %.und zügellos fantastisch. Z. E. Ein Gott mit einem Hundkopf. pp.

/|PR_043_Z_14

/*1 Die Phantasie
hat Originalität wenn
in ihren Bildern Neuheit
oder auch Regelmäßigkeit
herscht, man nennt sie Genie
Fast alle Laster beruhen
auf der Phantasie. ~

/|P_44

/Ariost ist vielleicht der Dichter der die reichste Phantasie
hatte. Zum Künstler taugt niemand ohne Phantasie. Sie
hat des Abends mehr Hang zum ausschweifen, des Morgens
herrscht der Verstand. Des Abends muß man nicht wichtige
Dinge arbeiten weil die Kräfte schon ganz abgespannt
sind, und die Einbildungskraft um so viel stärker ist. Daher
wachen hypochondrische Menschen lange in der Nacht, und
schlafen dagegen am Tage. Es schädlich Abends die
Phantasie schwärmen zu laßen, denn mit den Hirnge-
spinsten die sie baut, sind doch immer Affecte verbunden
eg. Hofnung süße Ruhe pp welche die Nerven sehr stark
abnutzen. In Gesellschaften wird die Phantasie
im Gleise gehalten, daher muß man wenn man aus
der Gesellschaft kommt, entweder sich was zu thun
machen oder schlafen gehn, wenn sie nicht schwärmen
soll. Man träumt abends schon wachend, daher sind
auch die Gespenstergeschichten <die> abends ein angenehmes
Grausen erwecken, morgens so unangenehm als äße
man früh Sauerkraut. Des Morgens muß man nicht
Gedichte lesen, sondern arbeiten. Bei der Arznei thut
die Einbildung das meiste. Sie ist der treueste Gesellschafter.
Die Welt wird durch sie regiert. Die %.Einbildung der bürger-
lichen Freiheit ist die angenehmste, aber es ist auch nichts als
Einbildung, denn selbst unter demokratischer Regierung sind
die Bürger nicht ganz frey. Wenigstens stehn sie unter Gesetzen.
Die Meinung der Freiheit macht edel denken. Wird aber auch
der Schein der Freiheit den Unterthanen benommen, so entstehn oft Revolten.

/|PR_044_Z_1

/Der Verstand muß
der Phantasie folgen
können. Er bedient
sich ihrer zur Anschauung.

/δ_Z_24

/Das %.Sprichwort Mundus
regitur opinionibus
ist eine gute Regel
für Regenten. ~

/|P_45

/ ≥ δ_16te Stunde von 9 - 10 ≤

/ ≥ Vom Witz und Urtheilsvermögen. ≤

/Das Vermögen zu vergleichen ist zweifach:

/1.) das %.Vermögen Aehnlichkeiten der Dinge wahrzunehmen, heißt Witz

/2.) - - <von Aehnlichkeiten> die Verschiedenheiten der - -, heißt Verstand,
allenfalls Scharfsinn, Beurtheilungsvermögen, das
judicium discretivum.

/Witz ist ein positives Vermögen denn er erweitert den Um-
fang unserer Erkenntniß dadurch, daß er viele Dinge, auch nur
durch eine entfernte Aehnlichkeit verknüpft; die Urtheils-
kraft aber ist negativ, indem sie «oft» die «¿¿» Dinge unter-
scheidet und dadurch Irrthümer abhält, die die Illusion des
Witzes veranlaßte. Alles wobei Erweiterung statt
findet ist positiv, das hingegen wodurch blos dem Schaden
gewehret wird ist negativ, wie z. B. des Rousseaus Er-
ziehung, der blos die Laster abhalten wollte. Es ist schwer aus-
zumitteln was den Vorzug verdiene Urtheilskraft oder
Witz. Lezterer ist im Umgange beliebt wenn er aufgewekt
ist, die erstere ist desto mehr geehrt und geschätzt. Sie
schikt sich fürs Alter, für die Iugend der Witz. Den leztern
kann man lernen die erste erst durch lange Uebung erlangen.
Wo mehr Witz hervorleuchtet, das nennt man sinnreich, wo
aber aber die Urtheilskraft hervorstreicht, scharfsinnig. In bei-
den Fällen muß aber Verstand hervorleuchten, sonst faselt
der Witz %.und die Urtheilskraft grübelt. Witz allein ist Quell
der Einfälle, Urtheilskraft der Einsicht.

/|P_46

/Eine allgemeine Regel ist in so fern sehr angenehm
daß man sich ihrer gleichsam wie eines Hauptschlüssels
(Passe par tout) bedienen kann. Vernunftregeln müssen
allgemein %.und ohne Ausnahme seyn. Einen Ausdruk des Wit-
zes, der zur allgemeinen Regel dienen kann, und welcher
mit Geschmack gegeben ist nennet man ein Bon mot.
Alle Bonmots müssen sich erst durch Neuigkeit empfehlen,
ehe sie das Ansehn einer Sentenz %.und eines Sprüchworts erhalten.
Theat«h»ralische Stücke die zwar viel Witz haben aber am Ende
keinen rechten Zwek aus führen, unterhalten zwar, machen
aber zulezt misvergnügt. Denn unser eigennütziger Ver-
stand glaubt auf diese Weise betrogen zu seyn.

/Derjenige der mit dem Witze spielt, und Profession davon
macht, heißt ein Witzling, %.und ein solcher Mensch ist ekelhaft,
Wer aber mit der Urtheilskraft spielt und ein Subtilitäten-
krämer ist, heißt ein Klügling, %.und dieser ist verhaßt, denn
niemand läßt sich gerne Urtheilskraft absprechen, ein Klüg-
ling aber gibt sich das Ansehn daß er allen Menschen nur
nicht sich Urtheilskraft abspricht.

/Ein Volk bei welchem man viel Abwechselung in den Moden
bemerket kann man sicher für witzig halten, eine mehr
auf Gebräuche haltende Nation (wie die Spanier) hat
mehr Urtheilskraft. Der Witzige ist hardi im Urtheil
der aber Urtheilskraft besitzt ist bedenklich. Hardi denken
heißt urtheilen auf die Gefahr zu irren. Dies that Buffon häufig.

/|P_47

/Man hat ihn des wegen gelobt, aber mit Unrecht, denn
es ist gar kein Verdienst so viel gewagte (oft falsche)
Urtheile zu fällen. Man muß behutsam seyn, ohne
doch in den Fehler der zu großen Bedenklichkeit zu verfallen.
Wenn man so redet wie ein Buch, oder so schreibet
als man spricht, so thut man in beiden Fällen Unrecht.
Der Witz ist schal, wenn blos die Oberfläche witzig ist.
Kästner macht einen Unterschied zwischen einen Laffen %.und
einem Gek, er sagt: viele Deutsche gehen als Laffen nach
Frankreich kommen aber als Gecke wieder zu Hause.

/Der Witz muß original seyn wenn er gefallen soll, nichts
ist elender als nachgeahmter Witz eine Warnung für die
Deutschen. Ein Mensch der keinen Witz hat, muß wenigstens
bescheiden und zurückhaltend seyn.

/Der Witz heißt launigt, wenn man die Welt in dem
Lichte ansieht, in dem sie unserm Kopf scheint, und diese
Art von Witz gefällt der Originalität wegen außerordentlich.
Man findet diese Laune vorzüglich in Swifts Schriften
und in Buttlers Hudibras. Launigt, läu<n>isch nennt man auch
einen Menschen der nicht gut zu sprechen ist, und gar den Mund
nicht aufthut. Solche nennt man in Preussen einen linischen <(läunischen)> Hund.
Der Witz ist seicht wenn er nichts vor den Verstand enthält.
Schulwitz heißt er, wenn er nichts vor den Umgang enthält.
Der Witz belebt die Gesellschaft durch Scherz. Denn jede Unter-
redung fängt gemeinhin mit Erzählen an, wird mit Disputen
und Raisonnement fortgesezt und endet mit Scherz.

/|PR_047_Z_2

/Anders war die
Hardiesse eines Galiläi
der dennoch blos darum
im 70ten Iahr ins Gefängnis
kam.

/δ_Z_8

/*1 Darin der Gedanke
vom Stallmeister Ralf
Mein Gewissen hat
jetzt auch Ferien, ich
kann also thun was
ich will. Ferner ich
will dich zum Perpendikel
aller Schneiderellen machen
d. i. ich will dich hängen
Zugleich ist viel %.Gelehrs@amkeit@
darin.

/Sehr abgeschmakt
ist es wenn man in Gesellschaft
es drauf anlegt, in einem
Zuge zu scherzen. ~

/δ_Lage_G.

/|P_48

/ ≥ δ_Mittwochs den 9ter %November stes mal 17te Stunde von 8 - 9

/Der Witz zeigt sich bisweilen <blos> in Gedanken. So sagte
einmal Fontenelle, da man erzählte ein geitziger Mann
habe jemanden eine Gabe gegeben, %.und hierauf einer versezt
hatte: ich habe es nicht gesehn aber ich glaube es, - mit vielem
Scharfsinn ich habe es zwar gesehn, glaub es aber dennoch nicht.
Ein Sinnspruch Bonmot geht auf Witz, ein Denkspruch Sentenz
auf Verstand. Sprüchwörter, Proverbia geben den Volkswitz zu erkennen.
Civilisirte Personen reden nie Sprüchwörter, sie sind eigent-
lich Erfindung und Eigenthum des Pöbels. (Chesterfields Briefe.)
Der Witz muß immer eine Illusion machen, sie muß gefallen
wenn sie bleibt, obschon man weis daß es Illusion ist, im ent-
gegengesetzten Falle wäre es Betrug.

/Es sagte einmal jemand, der bei einem Canzler zu Mittag
speisete, bei einer langen Suppe die ihm nicht schmekte, Summum
jus, summa injuria, dies konnte in doppeltem Sinne verstanden werden.
Eben so wurde ein andermal, als von mislungenen Absichten
auf eine Krone gesprochen wurde, gesagt, er hat ein kleines
Versehn begangen, er hat den Roßapfel vor den Reichsapfel
angesehn.

/Der Witz muß leicht seyn, denn auf der Stelle thut er
am meisten Wirkung; oft halten wir mit Unrecht den
leichten Witz für schal.

/Bey wichtigen Dingen, wie z. B. Predigten muß man
keinen Witz anwenden, der gehört nur für Gesellschaften

/|PR_048_Z_6

/Ein witziger Einfall
bei dem %.Gemälde Ludwig_14
%.und drüber ein Genius
mit dem Cranz. - Nimmt
der Genius den Cranz
von %.Ludwigs Haupt oder
sezt er ihn ihm auf. ~

/|P_49

/Scherz ist Wechsel von witzigen Einfällen. Spas, der
Versuch einen durch Witz zu necken. Dies ist gefährlich,
denn wenn der Genekte übelgesinnt ist, so kann daraus
bisweilen ein heimlicher Groll entstehen. Ein jeder
Mensch bemüht sich eine besondre Rolle zu spielen, und zwar
diejenige die er etwa für sich für die rühmlichste hält, wo-
durch er etwas in der Welt vorzustellen glaubt.

/Nur bei Laune kann man witzig seyn, überhaupt läßt
es sich gar nicht gut befehlen, denn des Menschen Witz
hängt gar zu sehr von seiner jedesmaligen Gemüths-
stimmung ab. Der Witz muß nicht recherchirt, d. h. mit
Mühe hervorgesucht seyn. Subtilität ist dabei nicht noth-
wendig. Der Witz behandelt alles en gros, die Ur-
theilskraft en détail, daher ist jener gut zu Entwürfen
dieser zum Ausführen. Wenn man Menschen beurtheilt
so muß man sie lieber en gros beurtheilen als en détail,
denn im leztern Fall kann so leicht keiner bestehn.

/ ≥ Vom stumpfen %.und Dummkopf. ≤

/Der Mangel alles Witzes bedeutet einen stumpfen Kopf, dem
es aber an Urtheilskraft fehlt, nennt man einen Dummkopf.
Menschen die viel Urtheilskraft besitzen, haben oft keinen
Witz. Ein Grübler geht auf Micrologie aus, auf Kleinigkeiten
ohne Werth %.und ohne alle Folgen. Mangel an Urtheilskraft
bringt Albernheit %.und wahre Dummheit hervor. So ist es z. B.
der Fall bei den Russen. «E»Den, der viel Urtheilskraft hat, nennt man gescheut.

/|PR_049_Z_4

/Die Verstellungskunst
ist ganz allgemein desto
angenehmer %.und überrasch@ender@
ist die plötzlich herausb@rechende@
Aufrichtigkeit

/δ_Z_17

/%Menschen von eingeschränkter
Fähigkeit bringen es oft höher
als kluge, sie haben keine
Nebenbuhler, man übersieht
sie, %.und denn haben sie
doch auch ihre Plane.

/δ_Z_20

/Mikrologischer Witz
herrscht e. g. in Wort-
spielen.

/Ein %redlicher ist nie dumm.

/Die %Geschichte daß die Russen
nicht eher als ein Signal
mit Kanonen gegeben über
die Newa dürfen, ist bekannt.
ist er schon herüber %und hört den
Schuß so geht er zurück %.und
noch mal herüber ~

/|P_50

/ ≥ δ_18te Stunde von 9 - 10 ≤

/ ≥ Vom Gedächtniß. ≤

/Das Gedächtniß ist von der Imagination nur in einem
Grade unterschieden, %.und ist das Vermögen, gehabte Vorstellungen
mit Bewustseyn zu reproduciren, ferner: die repro-
ductive Einbildungskraft bald etwas zu fassen, oder
kurz das Vermögen sich zu erinnern. Das Gedächtniß ist die
bewundernswürdigste aller Seelenkräfte. Durch die Auf-
merksamkeit die man sich angewöhnt, auf dem Object, das
man vor hat, ganz geheftet, zu bleiben schärft %.und kul-
tivirt das Gedächtniß ungemein. Daher verderben eben so
sehr die Romane, welche man doch nur lediglich zum Ver-
gnügen lieset, ohne einigermaaßen den Kopf dabei anzu-
strengen. Hernach behandelt man wichtige Dinge eben
so als Romane, %.und ließt sie ebenfalls mit Unbedachtsamkeit,
blos um die Zeit hinzubringen.

/Es giebt folgende Arten von Vollkommenheiten des Gedächtnisses,
darin ein Mensch vor dem andern excellirt, das %.Gedächtniß ist:

/1.) Capax, wenn man etwas bald fassen,

/2.) Tenax, wenn lange behalten,

/3.) Prompt, <(Behende)> wenn man keines Besinnens bedarf, etwas aufzufinden.
«3.) Behend»<und dann ist> es auch noch eine logische Vollkommenheit wenn es

/4.) Treu (Fida) ist

/Man kann dem Gedächtniß etwas einprägen, durch blossen
Vorsatz es behalten zu wollen, %.und durch Associirung der Ne-
benvorstellungen. Das Einprägen geschieht

/|PR_050_Z_20

/Witzige Leute haben
selten ein «gut»<treu> Gedächtniß.

/ Das Wort entsinnen ist
schwer zu definiren,
Es ist %ohngefähr ich weis es
kann es aber nicht finden ~

/|P_51

/1.) Auf mechanische Art, oder durch memoriren wie z. B.
Kinder das Einmal Eins lernen. Verse auswendig zu
lernen ist in dem Fall nützlich, nur muß man mit Ver-
standeserkenntnißen nicht so verfahren.

/2.) Auf Ingénieuse Art, wenn man durch Vergleichung %.und Aehn-
lichkeiten seinem Gedächtniß etwas einzuprägen sucht. Die
mehresten solcher Anweisungen sind, im höchsten Grade dumm
und schaden nur dem Gedächtniß. Z. B. Buno schrieb Bil-
derhistorien %.und Bilderpandecten, wo er das Gesetz de
haeredibus suis et legitimis durch einen Kasten auf einem
Wagen, eine Sau %.und die Gesetztafeln Mosis vorstellt. Es ist un-
angenehm daß wenn man einmal bei Nennung eines Namens
oder %.der %.gleichen fehlgegriffen, uns in der Folge fast immer den
unrechte Name wieder einfällt.

/3.) Auf Iudicieuse Art, wenn man durch den Zusam-
menhang der Kenntniße, %.und dadurch die Anwendung derselben
sich etwas eindrükt. Dies ist nothwendig. Walisius soll
da er in einer Krankheit durch vieles Romanelesen sein
Gedächtnis verloren, es nur dadurch haben widerherstellen
können, daß er einige mal die Quadratwurzel von 12 Zahlen
in Gedanken auszog.

/Es hat Leute gegeben die Wunder des Gedachtnisses waren.
Picus de Mirandola konnte 2000 Wörter aus einer fremden Sprache,
wenn man sie ihm vorsagte von vorn %.und rükwärts nachsagen.
Magliabeki wußte sogar ein Buch welches er einmal gelesen
hatte auswendig. Allein ein so vaster Vorrath %.historischer <Kenntniße> drükt alle %.Urtheilskraft nieder

/|PR_051_Z_9

/ Aus einer unbe-
kannt gewesenen <Sprache in die> Mutter-
sprache übersetzen
ist leicht, weit schwerer
das Gegentheil

/δ_Z_25

/Wenn das Gedächtniß
noch so groß %.und dabei nicht
treu ist so verliert es
allen Werth. ~

/|P_52

/Bei gemeinen Leuten ist das Gedächtniß im höchsten Grade
untreu. Ihre Zeugniße können aufrichtig aber nie recht getreu seyn.
weil sie bei einem schlechten Unterscheidungsvermögen, «ihren» ihre
Gedanken, die Raisonnements anderer, %.und die Begebenheit selbst vermengen.

/1.) Sanguinische Leute haben ein behend und und untreu

/2.) Phlegmatische ein langsames und treues

/3.) Cholerische ein fähiges aber nicht ausgebreitetes

/4.) Melancholische ein ausgebreitetes Gedächtniß.

/ ≥ δ_Sonnabends den 12ten %.November 10mal 19 Stunde von 8 - 9. ≤

/ ≥ Vom Dichtungsvermögen. ≤

/So wie das Gedächtniß auf der reproductiven, so beruht
das Dichtungsvermögen auf der produktiven Einbildungskraft;*1
aber auf der %willkürlichen %.und ist also: eine vorsetzliche Schöpfung
neuer Gedanken. Das Dichtungsvermögen ist:

/1.) Die Grundlage aller Erfindung.

/2.) Der Quell von unserm Wohlbefinden, indem wir
uns doch in der Gedankenwelt immer besser befinden als in
der wirklichen.

/I.) Wenn wir zuerst das Dichten als Grundlage der Er-
findung betrachten, so müssen wir hier verschiedene Arten
von Erfindung unterscheiden lernen:

/1.) Etwas entdecken, heißt etwas neues antreffen was
vorher schon da war; z. E. America, auch der Magnet ist entdekt,
nicht erfunden, denn er war vorher schon da.

/|PR_052_Z_12

/*1 ohne alle Gegen-
stände. ~

/|P_53

/2.) Etwas erfinden heißt, etwas finden, was vorher
nicht da war, z. E. Schiespulver,*1 Schreibekunst, pp. Eine Maschine.

/3.) Ausfündig machen, heist etwas finden, wovon man
schon voraus wuste, daß es da war, obgleich man es bis
dahin vergeblich gesucht hat; z. E. die phönizische Schrift
auf den Grabmälern der alten Carthaginenser in Malta.

/4.) Aussinnen, heißt einen Handgrif finden, wodurch etwas
zu Stande gebracht werden kann, z. E. Ein Handwerksinstrument.

/5.) Ersinnen heißt von etwas Schöpfer seyn, durch
die Sinne %gänzlich der Urheber *2 einer Sache seyn.

/6.) Erdenken, von etwas Urheber seyn was nur in
seinen Gedanken ist, z. E. eine romanhafte Begebenheit.

/7.) Erdichten heißt etwas falsches mit Vorsatz für wahr ausgeben.

/8.) Dichten, die Vorstellungen so verbinden, daß sie un-
mittelbar durch ihre Neuigkeit, Mannigfaltigkeit %.und Einheit
vergnügen sollen, und nicht mittelbar wie die andern
Erfindungsarten

/Dichtkunst, Ars Poëtica, (heißt eigentlich ein Machwerk.)
Dichten ist etwas neues schaffen. Waller sagt: Poeten
sind glücklicher in der Fabel als in der Wahrheit. So
wie dies in der Dichtkunst zutrift, so ist es auch auf andre
Art in der Musik und Mahlerei. Dichtkunst unterscheidet
sich von der Beredsamkeit darinn, daß

/|PR_053_Z_1

/*1 Es ist wahrscheinlich
in China erfunden
Schwarz hat es nur
entdeckt.

/δ_Z_3

/Die Strumpfwebermaschine
eine der künstlichsten die je
ausgedacht worden.

/δ_Z_5

/ Dies ist vor nicht
sehr langer Zeit
geschehn.

/δ_Z_9

/*2 Es ist fast derselbe
Fall bei dem Erdenken
nur daß der Verstand
mehr dabei wirkt. ~

/|P_54

/1.) Wir bey dem Dichten die Vergnügung der Imagination
%.und so die übrigen %.sinnlichen Vermögen zum Hauptgeschäfte machen.
Der Verstand ist hier nur Nebenzwek %.und dient dazu, dem Haupt-
zweck, den Bildern der Einbildungskraft Einheit zu geben.
Also sind die schönen Künste Mittel die menschlichen Vorstellungen
harmonisch, d. i. mit Verstande zu beleben.

/2.) Die Beredsamkeit *1 ist die Kunst die Ideen des Ver-
standes durch die Sinnlichkeit zu beleben. Folglich ist hier
der Verstand Hauptzwek die Sinnlichkeit Mittel ihn leichter
zu überreden, indem sie sehr gut täuschen kann.

/Verstand und Sinnlichkeit sind 2 Freunde die nicht von ein-
ander lassen, %.und dennoch auch sich nicht vertragen können.
Sehr künstlich und schwierig ist es, bei den Unternehmen,
beide zu vereinbaren, Sieger zu bleiben.

/Merkwürdig ist es, daß die dichterische Sprache vor der guten
Prosa voraus ging; die ersten Griechen schrieben Geschichten Philosophie pp
in Poesien, Pherecides war der erste der es wagte in Prosa
zu philosophiren, bis man es endlich soweit brachte, daß man
für die mehresten abstracten Begriffe Wörter fand.

/Der Redner sucht durch Symbole und Allegorien seine Begriffe
anschaulich zu machen. Beredsamkeit wird in verschiednem Verstande genommen:

/1.) Beredheit, bedeutet wenn man leicht viel sprechen kann,
ist noch eine große Neigung dazu verbunden, so heißt sie Redseeligkeit.

/2.) Beredsamkeit bezieht sich auf Täuschung, und ist die Kunst,*2
seine Zuhörer nicht durch Wahrheit, sondern durch allerley
Kunstgriffe, zu seinem Vortheil zu bewegen.

/|PR_054_Z_6

/*1 Sie ist die Fertig-
keit sich gut auszu-
drücken.

/δ_Z_12

/%.Einbildungskraft wird
durch den Verstand
zurechtgebracht %.und in
Schranken gehalten.

/δ_Z_23

/*2 Sie gehört daher
nur für Advocaten, nicht
für die Würde der
Religion aber %.und Phi-
losophie schikt sie sich
gar nicht

/δ_Rand_rechts_Z_23

/ist dem
%schönen Ge@schlecht@
eigen ~

/|P_55

/3.) Wohlredenheit *1 ist mehr auf den Verstand, und
die Ueberzeugung gerichtet, %.und nicht auf die Täuschung
desselben durch Belebung der Einbildungskraft.
Die Europäer sind schon von Natur zur Nüchternheit
im Reden und Wohlredenheit, die Orientalen zur schwül-
stigen Beredsamkeit geschaffen.

/Beredsamkeit *2 ist so wie alle Produkte des Verstandes
eine Arbeit, die Poesie aber nur ein Spiel, daher
verliert sie allen ihren Werth wenn sie mühsam zu
seyn scheint.

/Bey der Poesie muß Sinnlichkeit gleich einnehmen, und
der Verstand muß der Nachschmak seyn. Bei der Beredsamkeit *3
muß anfangs der Verstand nur zu bemerken seyn, hinter-
her muß man aber auch im Nachschmack die Sinnlichkeit
empfinden. Nicht alle Redner beobachten diese Regel; wenn
Cicero eine Rede hielt, so rühmte man ihn, that es aber
Demosthenes, so rüstete man sich zum Kriege.

/Zu jedem Verse wird erfordert:

/1.) Entweder Sylbenmaaß, weil dieses zum Gesange
erfordert wird, und alle Poesie eigentlich auf Gesang
ausgeht. Das Sylbenmaaß ist das bei der Poesie,
was bei der Music der Tact ist. Diese Einschränkung
ist der Dichtkunst nothwendig, sie möchte sonst gar
zu sehr aus schweifen.*4

/2.) Oder Reim; bei den Alten war Reim gar nicht
anzutreffen. Die Ursache, warum man fast in allen

/|PR_055_Z_1

/*1 Sie beruht auf großen
Reichthum an Ideen %.und
Weltkenntniß en gros;
daher waren die %.berühmten
Redner Cicero %.Demosthenes Schaftes-
bury, große Staatsleute.

/δ_Z_6

/*2 Sie hat gewißer-
maaßen Aehnlichkeit
mit der Mahlerei, so
wie Music mit der
Poesie.

/δ_Z_10

/*3 Hugo Blaire von
der Beredsamkeit, ein
sehr lesenswerths
Buch.

/δ_Z_21

/*4 Es sagte einst jemand
mit Scharfsinn, er glaube
immer, wenn etwas prosaisches
mit dichterischem Schwung
geschrieben sey (wobei kein
%.metrisches Sylbenmaaß ist) es sey
dollgewordne Prose. ~

/δ_Lage_H.

/|P_56

/andern Sprachen den Reim anstatt des Sylbenmaaßes
behält, ist: Die Prosodie (d. h. das Sylbenmaaß) ist bei
den Neuern nicht so bestimmt wie bei den Alten, so daß
man viele Worter nach Belieben lang oder kurz nehmen
kann; weil aber dadurch der Endzweck der Poesie nemlich
der Gesang wegfallen müßte, so sucht man ihm we-
nigstens durch Reime zu accommodiren.

/Die Alten ließen durch einen Flötenspieler dem Redner
den Ton angeben, in welchen er seine Rede anfangen sollte.
Der Poet hat mehr Freiheit als der Redner, indem er sich
zuweilen neuer (nur nicht grammatisch falscher) Wörter %.und
Wortfügungen bedienen kann. Man erlaubt ihm diese
Freyheit der Sprache (Licentiam Poëticam) weil man
glaubt ihnen etwas nachsehen zu müssen, indem sie so schon
den Zwang des Sylbenmaaßes %.und Reimes über sich nehmen.

/ ≥ δ_Sonnabend 20te Stunde ≤

/Alle Originalität«¿¿» eines Genies wird gemeinhin
dadurch auf den Schulen untergraben, daß man Imitationes
Ciceronianas Livianas, %.und %.der %.gleichen aufgiebt; die jungen Leut
gewöhnen sich dadurch blos nachzuahmen, %.und werden %.mechanische Köpfe.
Ein mittelmäßiges Gedicht ist unerträglich, dagegen eine
mittelmäßige Prose noch zu dulden ist. Dies kommt daher
weil das Gedicht einen unnatürlichen, die Prose hingegen einen
natürlichen Gang geht; befriedigt nun der unnatürliche
gar nicht, so gefällt er sicher noch weniger als der natürliche.

/|P_57

/Die Ursache warum Verse und Sinnsprüche beliebter
als Prose sind möchte wohl seyn, weil sie kürzer %.und ge-
wöhnlich nachdruksvoller sind. Es sind nur überaus
wenige, die dergleichen Dinge besser machen können, sonst
gibt es Kritiker ohne Ende.

/Wenn die Iahre herankommen, so verliert der Dichter
seine feurige Einbildungskraft, er altert wie die
Schönheit. Des wegen ist besonders Voltaire ein Wunder
der bis ins späteste Alter ein guter Dichter blieb. Die Ein-
bildungskraft kann man durch keine Mühe erlangen,
der Poet muß geboren werden. Diejenige Art zu
dichten, welche am längsten dauert, ist die launige Schreib-
art die Thorheit der Welt zu schildern. Die mehresten
Dichter sollen eigentlich gar keinen bestimmten Charakter
haben, denn weil sie jede Sache müssen vorstellen können,
so müssen sie auch in alle Sättel gerecht seyn. Colberg sagt:
die Advocaten lügen auf Ernst %.und die Poeten auf Spaß.
Daher bezahlt man die Advokaten auf Ernst %.und die Poeten auf Spaß.
Alle schöne Künste sind ein Spiel, nur ist:

/1.) Die Poesie %.und %.Beredsamkeit Spiel der Ideen,

/2.) Musik %.und Gesang Spiel der Empfindungen.

/3.) Tanz «¿¿¿¿»<ist> das Spiel der Gestalten.

/Einige schöne Künste sind nicht bloßes Spiel, sondern
stellen auch die Gegenstände der Natur durch Nachahmung dar,
und zwar geschieht dies:

/ I.

/|P_58

/I.) In der Apparenz, hieher gehört

/a.) Die Mahlerei, wo die apparenz am höchsten getrie-
ben ist, indem sie sogar körperliche Dinge auf Flächen
darstellt, so daß sehendgewordene sie, ehe sie sie ge-
fühlt hatten, für natürliche Körper hielten.

/b.) Die Bildhauerkunst, stellt die Gegenstände nicht durch
Figuren auf Flächen, sondern durch %wirkliche Körper vor,
kann aber eben darum nicht so mannigfaltig seyn wie
die Mahlerei.

/Wir übertreffen zwar die Alten in der Malerei, aber
in der Bildhauerkunst kommen wir ihnen nicht bei. Die
Wachspoussirkunst gefällt nicht so wie die Bildhauerkunst
weil bei der erstern, die gar zu große Aehnlichkeit in %wirklichen
Dingen, gewissermaaßen ein Grausen erweckt, be«y»i der
%.Bildhauerkunst aber bemerket man nur apparenz %.und Nachahmung
der Natur, nicht die Natur selbst; daher würde eine
marmorne Statue sehr verdorben werden, wenn man sie
durch Farben natürlicher machen wollte.

/II. In der Realität werden die Gegenstände vorgestellt:

/a.) In der Baukunst

/b.) In der Gartenkunst. %Eigentlich veranlaßten es die Engländer
durch die %.contrastirende Anordnung ihrer Gärten, diese Kunst
unter die schönen Künste zu zählen.

/Das Dichtungsvermögen ist, wie die Einbildungskraft

/a.) Willkürlich

/b.) unwillkürlich %.und zwar

/(1) in Ansehung des eignen Ganges den die Gedanken nehmen.

/(2) in %.Ansehung gewißer Producte des Dichtungsvermögens, die sich
uns aufdringen, wir mögen sie ertragen oder nicht,
diese kommen im Folgenden vor

/|P_59

/ ≥ Von den Bewegungen der schwärmerischen
Einbildungskraft.

/I. Die Träume. ≤

/Wir träumen im Schlafe unaufhörlich, und wir
schlafen denn am festesten, wenn wir uns in wenn wir uns
in einem großen Tumulte durcheinander kreuzender
Bilder befinden, «die» welche s«ie»o unordentlich schnell, %.und
ohne Zusammenhang abwichseln, daß wir uns ihrer,
weil sie mit unserm Zustand bei der Erwachung
in gar keiner Verbindung stehn, gar selten erinnern können.
Bei einem recht festen Schlaf hört zuweilen auch das Athem-
holen auf, der gemeine Mann glaubt als denn vom
Alp gedrückt zu werden; es muß also zu der Zeit
etwas da seyn, welches die Lebenskräfte in agitation
erhält, %.und diese agitation, ist im Schlafe weit inniger,
als beym wachenden Muthe.

/Es ist sehr unrecht den Charakter eines Menschen aus seinen
Träumen, oder wenn er trunken ist, beurtheilen zu wollen;
man wird fast immer fehlen. Träume entstehen aus
der zu starken Anhäufung des Blutes auf die Herzkammer,
also sind die Handlungen, die man im Traume thut
ganz unwillkürlich, %.und es läßt sich gar nicht daraus auf
die wahre Denkungsart schliessen.

/Nach %.Beschaffenheit der Träume die ein Mensch gehabt hat, ist

/|PR_059_Z_8

/Man kommt in den Träumen
fast immer von hundert-
sten aufs Tausendste,
ja oft kann man's nicht
glauben daß man selbst
Autor eines Traumes
ist. ~

/|P_60

/seine Laune verschieden; merkwürdig ist es daß er nach
%ausserordentlich angenehmen misvergnügt, hingegen nach
unangenehmen aufgeräumt ist. Die Ursache hievon ist
leicht einzusehn. Man träumt oft schöne Verse zu
lesen oder selbst Reden zu machen, die uns mehr als
wenn wir wachen gefallen. Dies kommt vielleicht daher
daß im Traume das Gedächtniß lebhafter ist. Daher ist es
Mittel sich etwas zu imprimiren, wenn man es kurz
vor den Schlafengehen durchgeht, wir setzen denn
im Traume die Lection fort.

/ ≥ δ_Mittwoch den 16 %November 21ste Stunde von 8 - 9

/ ≥ II. Die Phantasterey. ≤

/Die %.Phantasterei ist ein Traum bei wachendem Muthe. Es giebt
2 Arten von Phantasten:

/1.) Ein Enthusiast *1 ist ein %.Phantast nach Grundsätzen. Die Idee
oder das Muster einer vollkommenen %.Republik - ist recht
gut, ist man aber so davon eingenommen daß man sie
realisiren will, so ist man ein Enthusiast. Es giebt ver-
schiedene Arten von %.Enthusiasmus e. g. der Freundschaft, des Patri-
otismus etc. %.Enthusiasmus weicht der Spötterei.

/2.) Schwärmerey, die Art von Verwechselung der Gegen-
stände der Einbildungskraft. Sie fängt %.gemeinhin mit einer
nähren Gemeinschaft mit Gott an, %.und dann folgen
Gemeinschaften mit allerhand Arten von Geistern.

/|PR_060_Z_14

/*1 Er giebt nach %.Grundsätzen
den Ideen Realität. ~

/|P_61

/Jeder Eigenliebige ist ein Phantast, weil er sich immer
viel Schönes von seiner eignen Person einbildet. Ex-
orbitant nennt man die %.Einbildungskraft die ganz von
den Regeln ausschweift. Die Schwärmerey kommt
dem Wahnwitze näher, indem beide den Verstand betreffen.
Der %.Enthusiasmus hat Aehnlichkeit mit dem Wahnsinn (Delirium)
der die Sinne durch %.Einbildungskraft betrügen läßt, %.und Dinge
zu sehen glaubt die nur in seinem Kopfe sind

/ ≥ III. Hypochondrie %.und Delirium. ≤

/Der Körper ist eigentlich Ursache aller Gemüthsfehler
%.und Launen. In den Köpfen des Rousseau %.und Swift
fand man nach ihrem Ende Wasser, welches vielleicht
die Ursache vom Delirio des leztern, %.und von der para-
doxen originellen Denkungsart beyder war. Ueberhaupt
scheint das Delirium seinen Sitz im Gehirn, %.und zwar an
der Stelle zu haben, wo alle Nerven zusammen kommen, welches
die Aerzte das commune sensorium nennen. Die Grillen-
krankheit aber, in dieser oder jener Nerve.

/Deliriren ist durch ein unwillkürliches Spiel seiner Ein-
bildungskraft wachend getäuscht werden. Dies kann leicht
die Folge von schweren Krankheiten seyn. Wenn das
Gemüth aber in der That gestört ist, d. h. wenn die
Täuschung ganz habituel ist so nennt man es Wahnsinn. Der
Wahnsinn unterscheidet sich von der Hypochondrie darin daß:

/ 1.)

/|P_62

/1.) Der Hypochondrist kann sich gewißer Bilder
nicht entschlagen, obgleich er weis daß sie nur Täuschungen sind.

/2.) Der Wahnsinnige weis dieses nicht %.und träumt wachend.

/Die Schlafwanderer heißen Noctam buli, man
sezt diejenigen die im Schlafe reden in eine Classe mit
ihnen. Diese Leute reden oft auf die Art mit Ver-
stande %.und Zusammenhang, aber wenn sie wieder auf-
gewacht sind, so wissen sie nichts davon. Manche
können in der *1 Nacht im Finstern ihre Geschäfte fast
eben so wie am Tage verrichten, sie bekommen (in Gedanken)
Gäste - pp. Haben sie nur ein vollkommenes Vorstellungs-
vermögen, wie am Tage alles gestanden hat, so fin-
den sie es auch in der Nacht, ohne zu fehlen.

/Da der Wahnsinn seinen Sitz in Körpern hat, so ist
er auch auf viele Generationen erblich, äussert sich aber
nicht eher als bis alle Organe zur Entwickelung kommen, daher
wird sich niemand, wie man sagt überstudieren, als
wenn er schon eine Anlage dazu geerbt hat. Eben so
wenig ist die Linie Ursache des Deliriums verschiedner
Avanturiers, sondern mit einem Menschen der schon kein
ander Mittel sich fortzuhelfen weis, als die Reise nach
Ostindien, ist es schon diesseit der Linie nicht richtig.

/Ein gestörter Mensch hält nur *2 sein Urtheil für wahr. Die, welche
viel mit sich selbst reden oder Geberden machen, verrathen schon einen
Grad von Wahnsinn. Ein Thor schlägt den Werth von Kleinigkeiten,
ein Narr seinen eigen hoch an. Ein Laffe: der ohne Erfahrung in die %.Welt tritt.

/|PR_062_Z_10

/*1 Ein Haushofmeister
in Turin hatte alle
Frühjahr solche An-
wandlungen. Er
blieb eine lange Zeit
Tag %.und Nacht in <einem> gewissen
Schlaf, wobei er doch
vernünftig handelte.
War dieser Zustand
vorbei so betrübte es ihn
sehr ihn gehabt zu haben.

/δ_Z_20

/*2 Daher so gewiß einem Hy-
pochonder %.Gesellschaft nutzet,
so gewiß schadet sie dem
Wahnsinnigen, der das %ge-
sellschaftliche Urtheil flieht
weil er darin alles
wider sich findet. ~

/|P_63

/ ≥ Von der Praevision. (Praesagition) <Vorhervermuthung> ≤

/Wir haben:

/1.) Einen Sinn vor das Gegenwärtige

/2.) - - vor das Vergangene oder das Gedächtnis, Nachbildungsvermögen.

/3.) - - vor das Zukunftige, Vorbildungsvermögen Facultas praevidendi.

/Sie ist der Ordnung nach, nicht die erste Gemüthskraft,
denn vor der praevidirenden geht die reproductive
Einbildungskraft. Die Praesagition oder Prävi-
sion (Expectatio casuum similium) haben nicht
nur Menschen sondern auch Thiere. In einem vorzüglichen
Grade besitzen selbige die Hunde. Wissen sie z. E.
daß wenn zu einer bestimmten Zeit eine Glocke gezo-
gen wird, sie zu essen bekommen, so laufen sie zusammen,
und keiner versäumt es, sich einzufinden.

/Die Zukunft interessirt den Menschen am meisten,
er giebt jeder Thorheit Gehör die ihn dieselbe eröfnen
kann, nur zum Unglük ist kein Vermögen des Menschen
mehr eingeschränkt als dieses.

/ ≥ δ_22ste Stunde von 9 - 10 ≤

/Es folgen jezt einige
Arten von Prognosticis. In Absicht auf die Calender-
Prognostica ist noch anzumerken, daß die Wetterprophe-
zeiungen (ausser dem Beobachten nach dem Planetenlauf,
welche richtig sind) in die Calender eingerückt werden
ohne daß die welche sie verfertigen, selber daran glauben.
es geschieht der gemeinen Leuten wegen, die immer
gern zukünftige Dinge wissen wollen.

/|PR_063_Z_14

/Ein nachtheiliges
Urtheil über Stöwe's
Physicalische Entdeckung
gefällt; wie können
die so sehr entfernten
Planeten auf den
Luftkreis unsrer Erde
viel wirken? ~

/δ_Lage_I

/|P_64

/1.) Das Ahndungsvermögen.*1 Viele Leute reden
häufig von ihren Ahndungen, sie vergessen die unzähligen
Male daß sie fehlgeschlagen wenn es ein einziges mal
«¿¿»zutrift. Dergleichen Besorgnisse äussern z. B. Mütter
die ihre Kinder zärtlich lieben, wenn sie mit auf die Iagd
<mit>genommen werden, daß sie dort das Leben verlieren
werden. Hundert mal trift es nicht ein, - denn wird
gar nicht mehr daran gedacht, geschieht aber einmal
ein Unglück so hört man gewöhnlich: ey ja, sagt ich's
nicht, ich hab es wohl vorher schon geahndet.

/2.) Die Traumdeutung ist so alt als Menschen existirt
haben, war doch ehedem in größerm Ansehn als jetzt:
Es soll immer das Gegentheil zutreffen von dem was
man träumt. Z. E. Träumt jemand, daß er gehangen
wird, so kommt er zu hoher Ehre. Die canadischen
haben beständig Träume und halten insgesammt viel da-
rauf. Sobald einer unter ihnen Lust zu dem Marder-
fell des andern hat, so darf er blos sagen, er habe da-
von geträumt, so muß es ihm der Besitzer willig geben.
Durch diesen Aberglauben könnte viel Unglück gestiftet
werden, welches aber dadurch verhütet wird, daß der
dem eine Sache abgenommen, wieder von etwas träumt
was dem andern gehört, der es ihm denn gleichfalls
ohne Widerrede zurückgeben muß.

/|PR_064_Z_1

/*1 Hieher gehört %eigentlich das
eben von den %.Calenderprognosticis
gesagte.

/Die Ahndung soll seyn
eine dunkle Voremp-
findung des Zukünftigen

/δ_Z_16

/Die Vernunft frägt bei
Träumen die Unvernunft um
Rath, %.und «¿¿»eben ihres Unsinns
wegen scheinen sie einen
mystischen Inhalt zu haben ~

/|P_65

/3.) Die Astrologia judiciaria, Nativitaet, Calculus,
heilige Zahlen, Vogelflug die Gedärme der Opferthiere pp
waren bei den Alten, selbst bei Männern von vieler
Einsicht in großem Ansehn. Die Astrologie ist die Kunst,
aus der Lage, @%.Beschauung@ pp der Sterne zukünftige Dinge
vorher zu sagen. Sie sollen Einfluß auf Begebenheiten
die sich auf der Erde zutragen haben, z. E. auf Kriege. Ach-
met Effendi bat einst Friedrich_II. er möchte ihm die
Manier sagen wie er durch die Astrologie in alle Schlachten
siegte? Er bekam zur Antwort: durch Exerciren der Soldaten pp.

/4.) Die Mantica oder Chiromantie,*1 wo man aus
den Gesichts und Händezügen zukünftige Dinge vorher
sehen will. Die Zigeuner leben davon, und wahrsagen
aus einer Linie in der Hand des Menschen. Sie sind
in der That Indianer, dies verräth ihre Farbe %.und Sprache.

/5.) Das Loos, z. E. die Sortis virgilianee, man schlug
den Virgil auf, %.und legte mit zugemachten Augen den
Finger hinauf, und denn war die getroffene Strophe
die Weissagung. Schwachsinnige Leute ziehen aus einem
Stammbuch morgens ein Sprüchelchen, %.und der Inhalt desselben
zeigt ihnen die Zukunft des Tages an, an dem sie leben.
Bei dem wichtigen Spruch: Sorget nicht für den andern
Morgen, denn pp. ist nur die unzeitige %.und nichtige Sorge,
keines weges aber eine heilsame Vorsorge verboten,
denn das erstere betrift die Zukunft, insoweit sie nicht *2
in unsrer Gewalt ist, das andre in so weit sie in unserer *3 Gewalt ist

/|PR_065_Z_6

/Die Astronomen haben
viel Schuld an diesem
Misbrauch, der jetzt
nicht mehr so sehr im
Schwange geht.

/δ_Z_11

/*1 von $¿chir$ die Hand
%.und $mantike$ $¿¿$ $techne$, die
Kunst zu weissagen

/δ_Z_17

/Augustus heißt: dem
der Vogelflug Glück
gebracht hat, keines-
weges Mehrer des Reichs.
Und doch wird es allgemein
in dem falschen Sinne über-
setzt.

/δ_Z_24

/*2 In dem Fall heißt der
Mensch sorgenfrey,
dies ist lobenswerth

/*3 In diesem sorg«en»los
«frey», wenn er nichts
besorg dies ist tadelnswerth. ~

/|P_66

/Man muß einen Unterschied zwischen Wahrsagen
%.und Weissagen machen:

/1.) Wahrsagen betrift das Schiksal einzelner Personen

/2.) Weißsagen <aber> dasjenige ganzer Völker. Z. E. die
Propheten, die sybillinischen Bücher.

/Der gemeine Mann ist mehr für die Folgen, der Gelehrte
mehr für die Ursache interessirt. Dies äussert sich z. B.
wenn ein Comet erscheint.

/Wir könnten uns der Begierde zukünftige Dinge vorher
zu wissen durch die Worte Glük und Schiksal entschlagen.
Doch würde man auch wohl die Schiksale vorher *1 wissen
wollen. Das Wort Glück steht vornehmlich bei denen in Ansehn
die «sich auf»<mit> Geschiklichkeit allein nicht alles forciren
können, %.und das sind besonders Iäger,*2 Fischer, und Spieler.

/Divination ist die Gabe der Vorhersagungen die nicht
aus der Vernunft hergeleitet sind. Neuerdings hat
man etwas von der Art durch das magnetisiren
aufgebracht. Gmeli ein Schwabe empfiehlt es in
einer Schrift gar sehr. Man <kann> es nur bei Personen,
die große Nervenschwäche haben, anbringen; diese
werden zuvor desorganisirt, und denn theilet ihnen
der Magnetiseur durch Streichen über verschiedne Theile
des Körpers sein electrisches Fluidum mit; aber eben
durch diese Mittheilung verlieren die %.Magnetiseure selbst viele Kräfte.

/|PR_066_Z_4

/Die Türken %.und Araber
haben für tolle
Leute grosse Ehrfurcht
weil sie selbige für
Weissagende ansehn.

/δ_Z_10

/*1 Sehr heilsam ist es uns
daß wir sie nicht wissen
denn wäre uns der Todes-
tag bekannt so hätten
wir selten einen ver-
gnügten Augenblik.

/δ_Z_13

/*2 Alle deren %.Vortheil vom
Glück abhängt, wie hier
der Fall ist, sind gewöhnlich
abergläubisch. In Ma-
dagaskar ist ein %schreklicher
Aberglaube, dort wer-
den alle Kinder die an
gewissen Tagen (die sie
die %unglüklichen nennen) gebohren
werden, umgebracht. ~

/|P_67

/ ≥ Von den Zeichen. Facultas
signatrix vel characteristica. ≤

/Wir bedienen uns der Imagination %.und ihres Gesetzes
der association auf 3fache Art. - durch Erinnern,
Vorhersehen und Bezeichnen. Vom Gedächtniß %.und der
Praevision (Praesagition) haben wir gehandelt, wir kommen
itzt auf das Bezeichnen, oder: Von dem Vermögen
des Gebrauchs der Zeichen.

/Die Zeichen dienen dazu eine Vorstellung durch die
andre hervor zu bringen, und bezeichnen entweder

/1.) Das Daseyn, oder 2.) Die logischen Begriffe der
Dinge. I. Die Zeichen welche auf das Daseyn der Dinge
gehen sind:

/1.) Demonstrativ, wenn sie Zeichen der wirklichen existenz
der Dinge in der gegenwärtigen Zeit sind.

/2.) Rememorativ, wenn sie das Daseyn der Dinge in der
vergangenen Zeit anzeigen.

/3.) Prognostisch, wenn sie das Daseyn der Dinge
in der künftigen Zeit vorstellen.

/Der Pulsschlag ist für den Artzt ein Demonstrations-
Zeichen, ob das Fieber da ist, oder nicht. Die Kleidung ist ein
Demonstrationszeichen des Standes %.und Reichthums, ein
Orden aber des Verdienstes eines Menschen. %.Rememorat@ions@-
Zeichen sind e. g. die alten Inscriptionen, ferner die

/|PR_067_Z_10

/Wenn Menschen «¿¿¿»blaß werden,
so ist dies ein Zeichen von
Furcht oder von Zorn;
wer bei dem Zorne blaß
wird von dem hat man
auf der Stelle zu befürchten;
von dem aber der dabei roth
wird, ist dies nicht der Fall
Denn der trägt es nach. ~

/|P_68

/Erdschichten, die Muschellager, die Versteinerungen,
diese sind %.rememorative Zeichen des alten Zustandes der Erden.
%.Prognostische Zeichen sind viele Naturdinge besonders die
Witterungsverkündigungen, %.überhaupt alle %abergläubischen Vorbedeutungszeichen.*1

/II. Die Zeichen welche die Begriffe bezeichnen sind:

/1.) Stellvertretende Zeichen; Von der Art sind die
Zahlzeichen. Die Indianer sind die eigentlichen Erfinder
der Ziffern 1, 2, 3 bis 9 und 0, wodurch man im Stande ist
die höchsten Zahlen auszudrücken. Die Araber
brachten diese wichtige Erfindung nach Europa. Es ist
zu bewundern, wie die Römer bis dahin mit ihren unbe-
quemen Zahlen die schwierigsten Rechnungen, so richtig
und genau haben herausbekommen können.

/ ≥ δ_Sonnabend den 19ten %.November 23ste Stunde, 8 - 9 ≤

/2.) Begleitende Zeichen sind unsere Wörter. Sie sollen
mit den Sachen in einiger Analogie stehn. Solange die
Sprachen in ihrer Kindheit sind, bedient man sich der
Symbole,*2 wegen Mangel an Worten, die abstracte
Begriffe bezeichnen sollen. So war bei den Aegyptern
der Gott Anubis mit einem Hundskopf eine Abbil-
dung der Wachsamkeit. So hat man den Iupiter Ammon
als einen Menschen mit einem Widderkopf abgebildet, weil
vermuthlich eher das Schaaf als das Rind gezähmt, und
den Menschen nützlich geworden ist. Der Tempel dieses
Iupiter Ammon muß noch in einer Oase (Wüste)
von Barca stehn auch hat man Hofnung ihn zu entdecken.

/|PR_068_Z_2

/*1 Auch unter andern die
Facies Hippocratica
d. h. gewisse Züge <im Gesicht> nach
denen man mit Zuver-
läßigkeit den Tod eines
%Menschen vorhersagen kann; die
Aerzte glauben noch daran

/δ_Z_15

/*2 haben auch die <%.amerikanischen> Wilden
die nicht schreiben können,
die Gewohnheit, durch Symbole
ihre Thaten in Baumrinde
zu schreiben, Z. E.
δ_Figur d. h.
ein Mann (von der Nation der
Biber) (mit Namen Dreipfeil)
(vom Stamm der Bären)
(hat 3 Männer umgebracht)

/Auch der %.sogenannte Fetisch Glaube
(aus dem %.Portugiesischen Fetisso ich zaubre)
der im Grunde Gaukelwerk ist,
%.und die grüne Hausgrille die
eben dasselbe in @Madras@ «¿¿»vor-
stellt, %.und andre Dinge in
Amerika %.und Indien Mar-
derfelle, %.und in Indostan das @%.Zeugungs@_Glied
sind Symbole. ~

/|P_69

/Die Schrift der Chineser ist bis auf den heutigen
Tag Symbolisch, und ihre Gelehrten verdienen den
Namen Litterati mit Recht. Es giebt sehr verschiedne
Arten von Buchstaben, wie auch Methoden zu schreiben,
ausser denen die fast allgemein bekannt sind ist auch
eine die die Ochsengewinde-Schrift heißt, weil man
immer einmal herunter %.und einmal herauf schreibt, %.und über-
haupt so verfährt als der Bauer mit dem Pfluge.
Die deutsche Sprache hat in einem Betracht vor
allen übrigen europäischen einen Vorzug, in dem sie
diejenige unter ihnen ist, welche der griechischen am
nächsten kommt. Nemlich darin, daß sie ganze Begriffe
nicht durch ein einziges, sondern durch Zusammensetzung
mehrerer Wörter ausdrücket. Die Araber haben
auch fast zu jedem neuen Begrif ein neues Wort,
Z. E. die verschiedenen Lagen des Löwen, drücken sie
nicht etwa durch Beiwörter aus, sondern sie haben 12
(vielleicht auch noch sehr viel mehrer) <besondre> Benennungen für jede Stellung
oder Handlung des Löwen. Dies scheint anfangs lobens-
werth, aber von der rechten Seite betrachtet ist es nichts we-
niger. Daraus daß in der französischen Sprache oft
unter einem Worte, so viel verschiedene Bedeutungen
enthalten sind, kann man schliessen daß sie ärmer als die Deutsche ist.

/|PR_069_Z_7

/δ_Figur

/δ_Z_16

/Kant sagt: die Uniformen
sind schlecht ausgedacht,
sie bezeichnen die Sclaverei
Es muß jedem frey
gestellt werden, sich
nach seiner Phantasie
zu kleiden. Denn das
aussehen des ganzen
Menschen hängt gar zu
sehr von der Farbe
seines Keides ab, wenn
dieses auf eine unange-
nehme Weise gegen sein
Gesicht absticht so gefällt er %nicht
%.und er sieht gleich frischer
aus wenn er ein ander Kleid
an hat. ~

/|P_70

/Derjenige welcher zuerst Buchstaben hinschrieb, bil-
dete sich bei jedem eine Sache ein, die ihn zum An-
fangsbuchstaben hätte, %.und so wurde das Bild dieser
Sache ein Buchstabe. Er dachte sich ein &¿¿& <B A>, %.und malte
sich also eine Cubam dabei den Phöniziern die Ge-
stalt eines &¿& hatte - &¿& bedeutet einen Ochsenkopf, und
dieser war bei den Phöniciern ein Zeichen der obersten
Gewalt.

/Symbola sind Zeichen, die gewisse Eigenschaften der
Dinge bedeuten sollen. Sie gaben Gelegenheit zur
Abgötterey, indem unwissende Menschen, das, was die
Eigenschaften der Dinge vorstellen sollte, für die
Sache selbst ansahen. Das Crocodill in Aegypten, war
nur anfänglich das Wapen einer Stadt, ehe es mit
der Zeit als göttlich verehrt wurde.

/Der Mensch ist noch immer geneigt, das, was nur das
Zeichen einer Sache ist, für die Sache selbst anzunehmen.
Ein Dutzend ist die Beziehung einer Menge, die dadurch
leichter unter eine Einheit gebracht werden kann. Und
doch confundirt uns der Begrif vom Dutzend so,
daß wir oft Sachen, die nicht Dutzend ausmachen,
wenig ästimiren. Wenn z. B. jemand 11 Paar Tassen
kauft, so wird er immer denken, schade daß nicht das
Dutzend voll ist. Dies ist sonderbar, bittet man
denn die Gäste zu Dutzenden. Eben so denkt man,

/|PR_070_Z_1

/Der welcher zuerst
Wörter mit Buchstaben
zusammensezte, muß
ein subtiler Kopf
gewesen seyn, denn es ist
keine Kleinigkeit, die
Beobachtung zu machen, daß
eine ganze Sprache sich in
so wenig Töne auflösen läßt.

/δ_Z_18

/Der %.Kaiser von China
soll (so sagt man
wenigstens) 9999
Schiffe haben - 
warum nicht noch
eins, wird man gleich fra-
gen; wenn er es nicht
braucht so ist auch
dies eine überflüßig. ~

/

/|P_71

/wenn man auf einer Auction 13 Tassen erste-
hen will,: ey nun, damit wenn eine zerbrechen
sollte, doch das Dutzend voll bleibt. Von der
Art ist auch jener Aberglaube, daß man nie 13
Gäste bitten muß, denn die unfehlbare Folge hie-
von ist, daß einer (%.und zwar der dreizehnte) gerichtet
wird, der Trost ist denn noch daß man nicht weis
wer eigentlich der dreizehnte ist.

/Decanus heist eigentlich einer der über 10 gebietet
%.und das kommt vermuthlich daher, weil für jeden
Astralgeist immer 10 untergeordnete sind. Vielleicht
«¿¿»steht dies in Verbindung mit den 12 himmlischen
Zeichen. Weil dies just ein Dutzend machte, so
hatten die Alten auch 12 Richter. Den ganzen
Thierkreis theilten sie in 28 Wandhäuser weil 4 mal 7
28 macht, %.und andre dergleichen Sonderbarkeiten mehr.
Die Türken haben, wie schon oben gesagt, den
sonderbaren Glauben, daß die Dollheit eines
Menschen allemal als ein sicheres Zeichen anzunehmen
wäre, daß er ein Heiliger sey. Ein Reisender Europäer *1
der den Fehler hatte, daß er unauflich stotterte %.und
stammerte wurde darum von einem Araber für doll
und deswegen wieder für einen Heiligen *2 gehalten.

/|PR_071_Z_19

/*1 In den Osmanischen
Provinzen Asiens.

/δ_Z_22

/*2 Man begegnete ihm aus
dem Wahn mit vieler Achtung
%.und schafte ihn unversehrt
bis Aleppo dem Ort seiner
Bestimmung. ~

/δ_Lage_K.

/|P_72

/Wenn ein Nachdruck seyn soll, so muß die
symbolische Erkenntniß aufhören und die intui-
tive anfangen.

/Frauenzimmer äussern <im ganzen nicht immer> per Sympathie in gewißen
Worten Achtung %.und Verachtung gegen eine Sache.
Z. B. Viele tadeln das Laster, ohne %innerlichen Abscheu,
sondern reden es nur andern nach, haben also nur
einen sympathetischen Abscheu dafür. Das männ-
liche Geschlecht hat überhaupt andere Empfindungen
als das weibliche. Wenn man jemand auf der Stelle
rühren will so muß man sich rührender Wörter
bedienen. Bei Predigten aber kommt es auf die Sachen
selbst an die vorgetragen werden. Klopstok
ist lange kein eigentlicher Dichter, denn er
rührt nur per Sympathie, indem er als Ge-
lehrter redet, %.und wenn man seine Schriften
mit kaltem Blute lieset, so verlieren sie viel.
Oft bedient er sich einer ungewöhnlichen %.und halb
polnischen Sprache, spricht abgebrochen, um zu
zeigen wie gerührt er ist. Wenn wir etwas lesen
so müssen wir immer sehen, ob uns die Sache
selbst, oder das Bild, worin sie vorgestellt wird,
oder ob uns nur blos die Worte rühren. Will man einen
Dichter recht beurtheilen, so man <metrum %.und die Bilder> weglassen, und es blos als Erzählung
weglesen; rührt es denn noch, nach wie vor, so ist der Verfasser
ein Dichter zu nennen.

/|PR_072_Z_21

/Durch Worte wird man
am häufigsten in Reden
Predigten, %.und Gedichten
gerührt, gleichfalls
oft durch Bilder, am
seltensten durch die Sache selbst.

/Diese Prüfung soll
Klopstok nicht immer
aushalten. ~

/|P_73

/ ≥ *1 Vom Witze Scharfsinnigkeit %.und Urtheilskraft

/Der Autor hat den Witz dem Scharfsinn entgegen-
gesetzt %.und erklärt jenen durch ein Vermögen der
Aehnlichkeit, diesen aber durch ein Vermögen die Unterscheide
der Dinge zu erkennen. Zum Erfinden wird Witz erfordert, zur
Behandlung und Tractation Urtheilskraft. Der Witz ur-
theilt nicht, sondern schaffet nur Materialien herbey
worüber hernach geurtheilt wird. Witzige Leute können
bald Aehnlichkeiten treffen, darum sind sie aber noch
nicht verknüpft. Dies leztere wie auch das Vermögen
die Unterschiede einzusehn gehört der Urtheilskraft,
nicht dem Witze. Die Scharfsinnigkeit ist das Genus
von beiden, %.und die Fähigkeit überaus verborgne Klei-
nigkeiten zu entdecken, und leicht zu bemerken. Es kann
also sowohl bei dem Witze als bei der Urtheilskraft
ein Acumen oder Scharfsinnigkeit seyn. Ein Advocat *2
der eine ungerechte Sache vertheidigen will, muß scharf-
sinnigen Witz haben, und ein Richter der ihn widerlegen
will, kann es nicht ohne scharfsinnige Urtheilskraft.
Ein Mensch ohne Witz ist ein stumpfer Kopf, einer
ohne Urtheilskraft ein Dummkopf. Ein dummer Mensch
kann sich gar kein Concept von einem Dinge machen,
weil man dadurch nur einen Begrif bekommt,

/|PR_073_Z_1

/(*1 gehört zum 2ten
Abschnitt, dem Oberer-
kenntnißvermögen.)

/δ_Z_2

/Es ist besser wenn
man den Witz der
Urtheilskraft
entgegensetzt.

/δ_Z_16

/*2 Er muß alle Kleinigkeiten
die die ungerechte Sache
scheinbar vertheidigen
auffinden, %.und der
Richter ein gerechtes
Urtheil darüber
fällen.

/δ_Z_20

/Mangel an %.Urtheilskraft mit
Witz ist Albernheit, %.Albernheit
ohne Witz ist Dummheit. ~

/|P_74

/indem man dasjenige abstrahirt, was viele Dinge
unter sich ähnliches haben, daß man aber viele Stumpf-
köpfe für Dummköpfe gehalten hat ersieht man aus
dem Beispiel des Clavius. Dieser Mann war zuerst
ein Iesuitenschüler, und so weit gekommen, daß er
nun Elaborationen, Reden und Verse machen sollte,
es war ihm aber unmöglich sich auf einen Einfall
oder poetische Wendung zu besinnen. Die Iesuiten
welche wie beinahe alle Lehrer die Ausarbeitung einer
Rede oder eines Gedichtes für die höchste Stufe der Geschik-
lichkeit halten, die ein Schüler erreichen kann, hielten den
Clavius für einen Dummkopf, und gaben ihn zum Grob-
schmiede, wo er jedoch nicht blieb, denn er legte sich auf
die Mathematik %.und wurde der erste Mathematiker seiner
Zeit. Hier sieht man Clavius hatte viel Urtheilskraft,
er war wohl ein stumpfer, aber kein Dummkopf. Bei
vielem lebhaften Witz zweifelt man sehr an der
Urtheilskraft, indem man nicht glaubt, daß jemand
2 so große Vermögen zugleich haben kann. Indessen
ist der Witz doch Liebling unsers Gemüths, %.und wer einmal
Hang dazu hat, kann ihn nicht dämpfen.

/*1 Spielender Witz unterscheidet sich von dem ächten, dadurch,
daß er zufällige Aehnlichkeit, für die wahre und beständige
ansieht. Ein spielender Witz kann ein schaaler genannt
werden, wenn er nur auf willkürliche Benennungen,

/|PR_074_Z_23

/*1 Wenn man z. E. %.Aehnlichkeit
der Wörter oder Wort-
spiele hervorsucht, die
gar nicht mit der Sache
stimmen. ~

/|P_75

/und zufällige Kleinigkeiten gerichtet ist. So schreibt
Kästner, daß man das Wort Fat durch einen Deutschen
der aus Frankreich zurückgekommen, übersetzet, %.und das Wort
Fou durch einen Deutschen, der nach Frankreich reiset, weil
er in Deutschland eben das hätte lernen können.

/Der Mensch muß bei allen Beschäftigungen immer
einen Endzweck haben. Selbst bei dem Spazierengehn
mögen «¿¿¿»wir gern einen Zwek oder Absicht haben, wir
wählen uns daher einen Ort, wohin wir uns begeben,
das wir doch unsere Motion eben so gut haben würden
wenn wir auch das leztere nicht thäten. Von Schiffern
bemerket man, daß sie wenn sie eine Strecke auf dem
Lande gegangen sind, immer wieder umkehren, dies
kommt daher weil sie es also auf ihren Schiffen gewohnt
werden, wo keine andere Motion statt finden kann.
Der Witz belustigt und vergnügt, die %.Urtheilskraft macht
zufrieden. Ersterer legt alles vor, letztere ordinirt.
Das gesellige Leben erfordert mehr Witz als
Nachdenken, den der Witz erzeugt Einfälle, Bonmots,*1
die Urtheilskraft hingegen, bringt Einsichten hervor. Man
sieht das an den Franzosen %.und Engländern. Die erstern, die
mehr Witz besitzen, haben mehr Einfälle als Einsichten.
Die leztern die mehr %.Urtheilskraft haben, besitzen mehr Einsichten.
Naivetät des Witzes belustiget mehr als Feinheit. Der Witz

/|PR_075_Z_18

/*1 Sie sind im genauesten
Verstande: Einfälle,
die überraschen.
Ein Einfall ist eine Erkenntniß
die ohne überdachten Zu-
sammenhang derselben mit
andern Erkenntnissen
entspringt.

/δ_Z_22

/Ein Beispiel von naivem
Witz im Don Quixote:
Als Sancho Pansa gefragt
wurde, was ein irrender
Ritter wäre? so sagte er: ~

/|P_76

/ist veränderlich um Neuigkeiten begierig, daher sind
auch witzige Leute sehr veränderlich, welches sich so-
wohl bei ganzen Völkern, als einzelnen Personen
findet. Solche Leute wollen immer der Gesellschaft was
zu lachen machen, und können ihre witzigen Einfälle
nicht bei sich behalten. Hume, Voltaire, %.und %.andere %.mehr haben
den Hudibras für das witzigste gehalten, das man nur
je in Form eines Gedichtes ge«lesen»sehn. Der Witz, der
die Laune erhält, heißt ein drolliger Einfall; Hudibras
%.und Trestram Shandi sind voll davon. Nachdem man
die Dinge einsieht, sind die Arten von Launen unter-
schieden. So giebt es eine %.Misanthropische %.und %.Hypochondrische Laune, wenn
dem Menschen alles widrig ist, und seine Freunde ihm als
Heuchler vorkommen. Im %.Gegentheil sind Naturelle die
immer lustig sind, weil sie die Dinge in der Welt so
betrachten, daß sie Vergnügen daran finden.

/ ≥ Vom Lachen. ≤

/Dies ist eine sonderbare Erscheinung. Alle Menschen mögen
gerne lachen, auch sogar Hypochondristen. Wohlbeleibte
feiste Leute sind am meisten geneigt dazu, %.und es steht ihnen
auch gut an. Daher nimmt man auf dem Theater zu einer
recht lustigen Rolle einen kleinen, dicken Kerl, weil er schon

/|PR_076_Z_1

/Ein irrender Ritter ist der
keinen Tag für eine Krone
%.und keine Nacht für Schlägen
sicher ist.

/δ_Z_14

/Solche Menschen haben
oft eine eben solche
angenehme Schreibart,
man muß dies aber
nicht nachahmen. ~

/|P_77

/durch sein Aussehn und per Sympathie zum Lachen
reitzet. Einem langen hageren Menschen, würde das
Lachen nicht so natürlich stehn. Besonders lachen Leute
die eine Anlage zum feisten Körper haben, gern
beym Essen. Es ist aber gar nicht leicht, alle, selbst
vernünftige Leute ins Lachen zu versetzen, sondern
es muß unerwartet kommen, und es muß sich gleich
darauf ein Contrast zeigen, wenigstens muß es
in der Vorstellung unerwartet seyn. Alle witzige
Einfälle haben das Merkmal, daß man sich in der
Erwartung betrogen findet. Das Gemüth wird dabei
auf gewisse Art in eine andre Direction gebracht,
gleich einen Ball zurückgeschlagen, %.und dadurch wird
die Erschütterung im Körper zu wege gebracht, welche
man das Lachen nennet. Bei allem was lächerlich ist,
muß ein Widerspruch seyn. Doch lachen wir auch bis-
weilen ohne denselben. Das Auslachen ist von dem frölichen
Lachen sehr verschieden; ersteres zeigt meistentheils nicht
die beste Gemüthsart an. Das fröliche Lachen muß
immer unschuldig seyn und sich allen communiciren kön-
nen. Will einer eine pathetische Rede halten, deren er hätte
können überhoben seyn, %.und bleibt alsdenn stecken, so ist das Lachen erlaubt.

/|PR_077_Z_7

/Die %.Geschichte von der
%.Bemerkung des Gasconiers über
den Bau einer Brüke
es wäre gut daß sie die
Länge %.und nicht die Quere
über den Fluß gelegt
wäre pp. ist bekannt.

/δ_Z_21

/Er hätte es ja gar
nicht übernehmen dürfen. ~

/|P_78

/Das Lachen überhaupt ist eine Art von Banden-
losigkeit, und diese ist erlaubt, wenn ihr nur kein
moralischen Gesetz engegensteht. Wenn wir auf
die Materie des Lachens sehn, so entspringt es jederzeit
aus einem sich plötzlich zeigenden Gegentheil. Man lacht
bisweilen auch über eine Kleidung, die nicht Armsee-
ligkeit sondern Eitelkeit verräth. Sonderbar ist der
Putz der Hottentotten-Weiber. Eine Braut denkt
ihrem Bräutigam recht liebenswürdig vorzukommen,
wenn sie sich mit Schaffett beschmiert, und 6 schwarze
Striche ins Gesicht malt. Das Lachen läßt auf lange
Zeit ein Andenken zurück, es zeigt aber eine
Schwäche *1 unserer selbst an; wenn man eine solche Sache
nicht vergessen kann, sondern für sich darüber nachlächelt.
Boshaft ist das Lachen über die Thorheit anderer, denn es zeigt
wenig Verstand an, %.und man hat wenig Ursache, sich zu freuen
daß man nicht so dumm ist wie andere, und auf der Strasse
beständig lachen müsse. Wir können auch gar nicht einsehen,
daß eine Ungereimtheit eine Ergötzlichkeit seyn, oder eine
machen könne. Es ist nicht immer so leicht, die Ursache des
Lachens durch einen Widerspruch einzusehn. Heinrich_IV. sah
im Louvre einen Landedelmann mit einer trotzigen
Miene auf %.und nieder gehn, es schien, daß er selten aus seinem
Dorfe müsse gekommen seyn, wo er der Vornehmste war.

/|PR_078_Z_4

/*1 Z. E. der Gasconier bei
dem Lorbeerkranz
über Ludwigs_14 Haupt

/δ_Z_13

/Wenn wir %nemlich bei Er-
zählung solcher Dinge unzu-
frieden sind wenn andre
nicht mitlachen. ~

/|P_79

/Der König war schlecht angezogen, %.und frug ihn,
wem dienen sie? Er antwortete, "Keinem, sondern ich
bin mein eigener Herr". Hierauf sagte der König:
So bedauere ich auch, daß ihr einen solchen Flegel zum
Herrn habt. Hier steckt der %.Widerspruch darin, daß der %.König
beim Bedauren, etwas Gutes zu haben scheint, %.und just das
Gegentheil meinet. Ie mehr das Gemüth ernsthaft zu seyn
scheint, %.und gleich einem Balle zurückgeschlagen wird, einen desto
stärkern Schwung nimmt es. Die wahre Fröhlichkeit des Lachens
ist die melancholische. Hiedurch können viel andere Sachen
erklärt werden. Warum gehn wir Z. E. gern in
eine Tragödie um zu weinen? Das %melancholische Lachen
wird leicht bei denjenigen excitirt, die küzlich sind. Dies
ist ein wirkliches Lachen. Das Schwanken des Zwergfells beim
Kützeln bringt eine Bewegung in der Lunge herfür, die
alsdenn die alsdenn die Luft geschwinder als sonst einzieht
und ausstößt, %.und alle Blutgefässe in Bewegung bringt. Die-
se große innere Bewegung ist das Lachen. Sie ist besser als
Holz sägen und reiten, denn die Transpiration wird nach
dem Lachen vergrößert und der Mensch findet sich ganz
renovirt. Doch ist das unmäßige Lachen auch schädlich,
es erschlaft die Nerven %.und Fasern. Alle Handlungen des
Gemüths haben ein harmonische Bewegung im Körper, %.und so
wie die Seele denkt, beweget sich der Körper mit. Die Gedanken

/|PR_079_Z_11

/Das Kützeln ist ein Reitzung
der Nerven und Fasern
deren Zuckungen und
Erschütterungen sich bis
zum Zwergfell propa-
giren.

/δ_Z_19

/Die Medici würden
gut thun ihren Patienten
bei einer Motion zu-
gleich einen Gesellschafter
mitzugeben der ihnen
zu lachen machte. ~

/δ_Lage_L

/|P_80

/bewegen die Fasern, und die Bewegungen des Gehirns
gehen weiter fort, und verursachen die Handlungen.
Die Heilkraft des Lachens macht vergnügt, nicht die Ungereimt-
heit. Daher muß der, der andre zum Lachen bringen will, es sich
anfänglich nicht merken lassen, sondern den Contrast bis zulezt
ersparen. Wollte man eine solche Sache nicht ernsthaft erzählen
so bliebe zwar die Ungereimtheit, aber das Lachen «¿¿¿¿»<würde>
wegfallen. Oft lacht man über die Erzählung eines andern,
weil sie uns auf eine weit lächerlichere bringt, die
man gleich darauf erzählen kann; man behält solche Historien
um andre wieder damit zum Lachen bringen zu können.
Eben so ist es auch mit unsern tragischen Bewegungen
beschaffen, da uns Zorn, - Hofnung - Großmuth rührt. Unsere
Gliedmaaßen sind von der «Besch»Art, daß einige Zusammenziehung
andre Ausdehnung der Blutgefäße bedürfen. Daher geht
man der Transpiration wegen in die Komedie. Geht man
aber in die Tragödie, %.und weint, oder empfindet doch wenig-
stens, so ist dies so gut als liesse man sich schröpfen. Sicher
ist's daß das Weinen erleichtert; nur muß es nicht eigene
Angelegenheiten betreffen, denn diese liegen uns zu lange
im Kopf. Auch ist es gut wenn die Menschen bisweilen in Affect gesetzt
werden. Nur muß der %Mensch wenn er z. E. in Zorn gebracht wird, <d. h. niemand widersetzt sich, damit er> auspoltern,
%.und mit einer *1 gewissen Beredsamkeit seinen Zorn äussern kann.

/Wir übergehen hier das %.Capitel vom Geschmak, weil vorher von allen %.Er-
kenntniskräften denn vom Gefühl der Lust %.und Unlust, wohin auch die Lehre vom
Geschmack gehört, die Rede sein wird. δ_Schnörkel

/|PR_080_Z_1

/Daher macht der plötz-
liche Absprung der
Gedanken eine zitternde
Bewegung im Zwerchfell
%.und frappirt uns

/δ_Z_6

/Die %.Geschichte ist bekannt von
den %.MagistratsPersonen deren
Esel schrien da einer
redete, Heinrich_@V@:
Redet doch nicht alle unter
einander ihr Herrn.

/δ_Z_21

/*1 Ein solcher %Mensch kommt
hernach munter in die Ge-
sellschaft, Aerzte haben
es sogar der Gesundheit
zuträglich gefunden. ~

/|P_81

/ ≥ II. Von dem Verstande, oder
dem Obererkenntnißvermögen. ≤

/ ≥ δ_%.Sonnabend, @2@4ste Stunde von 9 - 10. ≤

/Der Verstand als das Obererkenntnißvermögen
betrachtet begreift unter sich:

/1.) Verstand ist das Vermögen der Regeln <(zu urtheilen)>.

/2.) Urtheilskraft, Vermögen zu sehn, ob etwas unter
der Regel steht.

/3.) Vernunft aus den <(das %.Vermögen zu schließen)> Regeln, nach den Regeln
das besondre aus dem allgemeinen abzuleiten.

/Ohne Urtheilskraft kann niemand zu einem Grade
von Vollkommenheit gelangen. Iuristen Aerzte, wenn
sie gleich die beste Theorie haben, sind wenn ihnen
Urtheilskraft mangelt unbrauchbar. Urtheilskraft kann
nicht instruirt werden, geht nur durch Uebung an
zu witzigen. Unter gesundem Verstande versteht
man oft Urtheilskraft, er ist eigentlich, richtige An-
wendung der gegebenen Regeln. Erfahrungsregeln
lassen sich mit ihren Folgen nicht a priori bestimmen.
Die Urtheilskraft ist langsam, der Witz aber
behende. Manche Leute sagen immer kluge Dinge
darum sind sie aber selber in ihren Handlungen nie

/ klug.

/|PR_081_Z_1

/Das Untererkentni-
vermögen vide pag 16.

/δ_Z_4

/(Vorzüge des Verstandes

/Er macht alle übrige Ver-
mögen brauchbar, dirigirt
alle andre Gemüthskräfte
%und macht alle übrige Talente.
Der praesidirende %.Verstand
ist die oberste Kraft der Seele

/%Leidenschaftliche vergleichen ihre
%.Handlungen nur mit einer Neigung
%.und vergessen sie mit der Summe
aller übrigen zu vergleichen, daher
sie Sclaven ihrer Leidenschaft heißen.

/----------------------------------- 

/(Mancher kann einen
empirisch guten Kopf
haben, %.und gute Regeln
wissen, er hat aber keinen
%.speculativen Verstand sie all-
gemein zu machen. Z. E. die
%.Historie vom %.Sauerkraut Mittel
fürs Färben beim Schmidt
nicht beim Schneider.
Viele haben auch blos einen
practischen Kopf, z. E. besitzen
ein herlich Augenmaaß in
Ansehung der Kunstwerke,
als einen Tisch auszulegen.
Untersuchen wie man sich culti-
viren kann.

/Der Verstand urtheilt
a posteriori, die Vernunft
schließt a priori.

/Es giebt einen doppelten Verstand
den einen kann man Talent, den
andern Verdienst oder dirigirenden
Verstand nennen; er erste den
man auch den subordinirten
%.und %.administrirenden nennen kann,
besitzen viele, dagegen fehlt
ihnen %gewöhnlich (der Iugend
am häufigsten) der dirigirende. ~

/|P_82

/klug; dies trift vornemlich bei der Königin Christi-
na *1 in Schweden ein, welche zwar in ihren Reden
sehr vielen Verstand zeigte, doch in den Thaten
desto weniger. Es ist sehr wahr Verstand kommt
<Zuweilen kommt er erst im 40ten Iahre denn geht eine Palingenesie im %.Verstande vor>
nie vor Iahren; statt des Wortes Verstand
sollte man eigentlich Urtheilskraft sagen, denn
Verstand kann wohl früh kommen, die Urtheils-
kraft aber immer nur spät. Speculativer Verstand
ist derjenige, der selbst in sich die Regeln der
Anwendung enthält. Wenn alte Leute sagen
sie wollten, wenn sie noch einmal gebohren
würden ihr Leben nach einem ganz andern Plane
einrichten, so irren sie, denn wenn dieselben
Umstände blieben, so würden sie sicher auch eben
so handeln, als sie vordem gehandelt hatten.
Frauenzimmer müssen sich nach dem rühm-
lichsten Beispielen anderer, die am häufigsten
nachgeahmt werden, richten. Männer sich selbst
eine neue Bahn brechen, der männliche Verstand
ist derjenige, der keine Regeln abborget. Daher
sind auch %weibliche Regierungen meist glüklich gewesen
weil da sie gelinde waren, das Land sich so zu sagen
selbst regierte.

/|PR_082_Z_1

/*1 Sie hatte große Talente,
%.und einen guten admi-
nistrirenden Verstand,
sie konnte sehr geschikt
ihr Vorhaben ausführen,
aber keine Wahl da-
rin treffen, es fehlte
ihr %gänzlich der dirigi-
rende Verstand. Der letzte
muß alles zusammensehen
%.und fragen, wozu soll
das dienen, %.und was wird
nun mein Zweck seyn.

/Frauenzimmer haben %ge-
wöhnlich subordinirten
nicht dirigirenden Verstand,
das heißt, sie können zwar
die Mittel zu ihrem Vor-
satze gut ausführen,
aber selten selbst gute
Zwecke wählen. Sie können
nicht einsehen, warum sie
%.nicht die Herrschaft erhalten;
doch sagen sie, wenn der
Mann sich ins Unglük gebracht
%.und man es ihnen vorwirft,
der Mann hätte sollen
klüger seyn. Es giebt
wohl Fälle, da der Mann
nicht dirigirenden Verstand
hat %.und die Frau ihn besitzt
aber selten. Im ganzen
genommen hat die Natur ihn
in den Mann gelegt, %.und er
ist sehr verschieden von dem
erfinderischen witzigen
Verstand der Frauenzimmer
In dem Fall kann der Mann
gegen die Frau wie ein
Klotz aussehen, %.und die Frau
sich wundern warum sie
nicht herrscht, weil sie nicht
weis daß der dirigirende
Verstand ihr fehlt. Son-  ~

/|P_83

/Gemeiner Verstand ist derjenige der jedem
zum Muster dienen kann, das was man im %.französischen
sens comm«y»un nennet, aber ganz etwas andres
ist sens vulgaire, das heist so viel als der Verstand
den alle Menschen haben.

/Behender Verstand ist nicht immer richtig. Die %.Richtigkeit
des Verstandes wird bestätigt in der Ausübung
durch Erfahrung. List ist Ueberlegenheit des Ver-
standes über einen andern. Doch hat nicht immer
der Betrüger mehr Verstand als der Betrogene.
Sonst gewöhnlich läßt sich ein Mann von aus-
gebreitetem Verstande nicht betrügen. Viele hat
man gerne in Gesellschaften, nicht eben, um sich
durch Unterhaltung mit ihnen zu vergnügen,
sondern um ein zufriednes Gesicht zu sehn

/ ≥ δ_Mittwoch 25ste Stunde von 8 - 9 den 23sten %.November ≤

/Man sagt von jemanden, er habe Verstand, wenn
er nicht nur das Vermögen hat, sondern auch
sich desselben bedient. Viele zeigen in ihren
Raisonnements daß sie viel Verstand haben,
sie gebrauchen ihn aber nicht. Der Urtheilskraft

/|PR_083_Z_1

/derbar, die %.berühmten klügsten
Weiber haben die dümmsten
Dinge gethan. Dieser; nun
erklärte <technische> Frauenzimmerverstand
ist ihren Leidenschaften
zinsbar; %.überhaupt ist ein tech-
nischer Kopf, der sich in einzelnen
Dingen vortrefflich zeigen
aber aufs Ganze keinen
Blick werfen kann.

/δ_Z_6

/(Man theilt den Verstand
auch in den seichten %.und
gründlichen. Der
seichte saperficielle
Kopf erkennt nur die
Oberfläche der Dinge,
der, der %gründlich tief-
sinnige, dringt in das
innerste der Dinge.

/In der Erziehung muß
man nicht mit der Rede-
kunst anfangen, sie würde
den Kopf seicht machen
besser ists mit dem Muth.
noch besser mit moralischen <%vide @p¿¿@ *a>
Sätzen anfangen, die
man immer beweiset, damit
sie nichts ohne Grund anehmen.)
Der %gründliche Verstand un-
terscheidet sich von dem
seichten, daß er die Sache complet
bis auf die ersten Gründe
sucht; %.überhaupt sobald eine
Sache ist adaequad der idee
die ihr zum Grunde liegt,
ist sie gründlich.)

/Nochmals empfohlen
nicht über die Augen
zu klagen, sondern
sie zu gebrauchen. ~

/|P_84

/wird der Witz entgegengesetzet. Witz ist
das Vermögen die Aehnlichkeiten wahrzunehmen.
Urtheilskraft ist das Vermögen die Unterschiede
wahrzunehmen, Es ist ein Unterschied zwischen
der vergleichenden und verknüpfenden Urtheils-
kraft. Denn vergleichende Urtheilskraft besitzen
selbst die Thiere, aber nicht verknüpfende.

/Die Vernunft ist das Vermögen der Ableitung
der Regeln und Principien. Verstand das %.Vermögen der
Regeln (wie schon oben erwähnt worden). Es ist sehr
nothwendig aus dem Allgemeinen das besondere
abzuleiten. Ein Princip dem unsre Vernunft nicht
Beifall geben will, müssen wir nicht unter unsre
Maximen (Naturgesetze) aufnehmen. Erzählt
man uns zum Beispiel ein Wunder, so weigert
sich unsre Vernunft es zu glauben. Der Aber-
glaube nimmt die Regeln ohne auf die Principien
zu sehn. Wenn man frägt, was ist schädlicher
Aberglaube oder Schwärmerei? so kann man
antworten die Schwärmerey. Für die Wissen-
schaften ist der Aberglaube gewiß nützlicher ge-
wesen, denn er hat viele derselben angefeuert,
man hat die Gelehrsamkeit mit mehrerem Eifer durcharbeitet.

/|PR_084_Z_1

/*a %.vide 83 Man sollte nie eher Begriffe
gebrauchen als man sie ver-
steht. Indeß brauchen
doch viele, selbst %Philosophen
Worte die sie in ihrem Leben
nicht verstehn. So ist z. B. das
Wort Gift: bald nennt
man das Gift, was schädlich
ist, bald das, was in der
Medicin gebraucht wird
%.und verwirrt %endlich da durch
den %.Begriff ganz. Wollte man
sagen: Gift ist das jenige,
was keinen Bestandtheil des
%menschlichen Körpers ausmachen
kann, %.und also durch die innere
Mechanik fortgetrieben wird
so wäre dies der wahre Begrif
von Gift. So könnte man eine
Medicin als z. E. Queksilber Gift
nennen, es kann ia ein Theil
des Körpers bleiben
Eisen %.und China giebt dem Kör-
per Nahrung ist also nicht
Gift. Gift hieß ehedem Dosis.
%.und zeigte nichts schlimmes an *b

/δ_Z_15

/Ein wahres Wunder
kann man eher mit
der Vernunft anneh-
men als Geister.

/δ_Z_18

/*b Dahero auch der Ausdruck
Zugift, Mitgift. venenum
kommt von venundare
verkaufen. Wollte man
so die ganze Sprache %durchgehen
so würde man erstaunen über
die Menge Wörter die
wir nicht verstehn. ~

/|P_85

/Sympathie und Antipathie wirken sehr auf aber-
gläubische Leute. Sie machen sich %.und %.andere auf fol-
gende Weise ein Pulver: sie legen grünen Vitriol
in eine weisse Flasche, und stellen dieses an die
Sonne, wenn dies nun troknet so zerfällt es in ein
weisses Pulver, welches sie das sympathetische
nennen. Wenn man im Duell jemanden verwundet hat
und bestreicht damit die Degenspitze ¿¿ so heilen die
Wunden bald. Hat den Vernunftmaximen ein-
mal durch Aberglauben entsagt, so kennt der
letztere keine Grenzen. Schwärmerey ist der
Gelehrsamkeit und Ausbreitung der Kenntnisse im
höchsten Grade zuwider. Aberglaube läßt sich
in ein System bringen, Schwärmerey gar nicht.
Leichtgläubigkeit *1 ist ein Fehler der Urtheilskraft.
%Urtheilskraft ist ihrer Natur nach behutsam. Verstand
kann corrumpirt werden, Urtheilskraft aber
nicht, ihre Fehler können nur seyn, daß sie ent-
weder schwach oder noch nicht reif ist.

/Selbst kalte Wetterschläge können schmelzen, so schmolz
einst ein Leuchter der auf einem Altar in der Kirche
stand, und der Altar blieb unverletzet.

/|PR_085_Z_14

/*1 Ist immer mit
%.Aberglauben verbunden. ~

/|P_86

/ ≥ δ_26ste Stunde von 9 - 10 ≤

/Es merkwürdig daß niemals die Wunder statuirt
als Begebenheiten die sich noch zutragen könnten
sondern immer nur <als> solche, die ehedem hätten geschehn
können. Maximen sind subjective Vernunftprinci-
pien, die sich gar nicht mit Objekten beschäftigen. Es
giebt 3 besondere Vernunftmaximen:

/1.) Selbstdenken; es ist das Princip der Aufklärung,
es ist das Bewustseyn, und das erweiterte Ver-
mögen selbst zu denken.

/2.) An der Stelle jedes andern denken können, das Vermö-
gen sich ganz in die Denkungsart eines andern ver-
setzen zu können. Man kann es auch die erweiterte
Denkart nennen. Wer dies nicht kann, ist ein ein-
geschränkter bornirter Kopf.*1 Es ein Princip der
Indianer, jede Nation habe eine Religion für sich,
sie zwingen auch daher niemanden die ihrige anzunehmen.
Wenn %christliche Missionäre ihnen von Christo seinen
Lehren, Leben pp erzählen, so hören sie aufmerksam
zu, und wenden nichts ein, wenn sie aber nachher
anfangen von ihrer Religion zu erzählen, und
die Missionärs darüber unwillig werden, %.und ihnen
vorwerfen wie sie solche Unwahrheiten glauben kön-
ten, so nehmen die Indianer ihnen dieses übel, indem
sie sagen daß sie ihnen alles geglaubt, ohne daß sie die Geschichten
hätten beweisen können, warum sie ihnen nicht eben so glaubten

/|PR_086_Z_1

/Nie zur gegenwärtigen
sondern immer nur in
alten Zeiten.

/δ_Z_13

/*1 Ein %Mensch nennt man einge-
schränkt, der nur immer
in einem Schranken bleiben
kann, übrigens aber doch
auch verständig seyn
mag. ~

/|P_87

/3.) Iederzeit mit sich selbst einstimig zu denken,
%.und zu urtheilen, dies ist die consequente Denkungsart.

/ ≥ Reflexion. ≤

/Reflexion ist die Vergleichung des Gemein-
schaftlichen oder Verschiedenen. Distraction
ist unwillkürlich, wenn man sagt der Mensch
ist distrahirt, so heist das, er ist unfähig gemacht,
durch etwas weiter zu denken. Wenn man durch
immerwährende Attention das Gemüth erschöpft
und abgestumpft hat, so erholt und dissipiret
man sich, indem man seine Attention auf viele
Gegenstände zu vertheilen sucht, damit sie
auf keinem einzigen besonders stark haften
bleibt. Die Gedankenlosigkeit kann willkürlich
seyn. Wenn man die Aufmerksamkeit gar zu lange
auf nichtige Gegenstände hemmt, so nennt man
dies eine unwillkürliche Zerstreuung. Mannig-
faltige Geschäfte verschaffen uns eine gute
Zerstreuung; Gedankenlosigkeit erholet im Grunde
nicht, nur die Abwechselung. Dies ist in der That
die beste Art sich zu erholen. Wieland bedient sich
derselben, indem er zu gleicher Zeit prosaische, poe-
tische %.und historische Arbeiten macht.

/|PR_087_Z_16

/Und denn wird
sie sehr schädlich

/δ_Z_21

/Abstrakte Begriffe, die
sich nicht in Concreto hin-
stellen lassen distrahiren
sehr. ~

/δ_Lage_M.

/|P_88

/ ≥ δ_Sonnabend 27ste Stunde von 8 - 9 den 26ste %.November

/ ≥ Von der Unmündigkeit. ≤

/Die Unmündigkeit ist das Unvermögen ohne
Leitung eines andern, etwas selbst bestimmen
zu können, kommt dies vor den Iahren, so nennt
man es Minorenität, wenn es nicht mehr von
den Iahren kommt, so nennt man es natürliche
Minorenität. Die leztere besaß Philipp_der_4te
König von Spanien. Er ließ z. E. noch vor
seinem Ende, durch seinen Beichtvater, der ihn
überhaupt immer beherrscht hatte, einen
Aufsatz von demjenigen machen, was ihm
noch zu thun übrig wäre. Da dieser Aufsatz
fertig war fand ihn der König durchgehends
gut, nun mochte er aber selbst nicht einmal
die Befehle zur Vollstreckung der darin
gethanen Vorschläge selbst ertheilen, sondern
auch dies mußte der Beichtvater thun Die Unmün-
digkeit kann:

/1.) Geschäfte,

/2.) Das Denken betreffen.

/Unmündigkeit im Denken nennet man, wenn
Menschen sich selbst in der Religion nicht das

/|PR_088_Z_22

/Diese Leute denken immer,
ich bin ein Laye, der Philo-
soph nennt sie Idioten. ~

/|P_89

/geringste Selbstdenken zutrauen. So war
es ehemals der Gebrauch, daß sich viele Leute
Menschen hielten, die für sie ein gut Gedächt-
niß oder wohl gar ein gutes Herz, haben
sollten, von der leztern Beschaffenheit sind
doch eigentlich die Almos@¿¿@. Man erzählt
daß jemand einst, da man ihm die Nachricht
brachte, sein «¿¿»Haus brenne, <den Leuten> zur Antwort gegeben
habe: Ich habe es euch ja schon tausendmal gesagt,
solche Dinge gehören für meine Frau. Wenn
Mann und Frau in solchem Verhältniß mit
einander stehn, so führt die leztere Vormundschaft
über den ersten. Uebrigens sind Frauenzimer in
bürgerlichen Geschäften stets unmündig. Man
betrachtet das ganze Publikum für unmündig,
wenn man den falschen Grundsatz in Aus-
übung bringt: "Das Publikum braucht die
Gesetze nach denen es gerichtet wird nicht zu
wissen, wenn jemand gefehlt hat so wird man
es ihm schon sagen." Die Frauenzimmer sind eher
reif zu «H»haushälterischen Geschäften als die Männer,
man kann ihnen früher Geld anvertrauen, was Iünglinge
vielleicht verschwenden würden.

/δ_Schnörkel

/NB Eigentlich ist hier der Theil vom %.Erkenntnisvermögen zu Ende, jedoch
ist das folgende noch ein davon unzertrennlicher Anhang.

/|PR_089_Z_19

/Die Natur hat weise den
Trieb zur Sparsamkeit
in das %weibliche Geschlecht gelegt,
damit es desto besser einer
Haushaltung vorstehen
könne. Von einem %Menschen
der schon in der Iugend
geizig

/δ_Z_21

/@Verrate\Verwandte@ ~

/|P_90

/ ≥ (Vom gesunden Verstande. ≤

/Dem gesunden *1 Verstande geben wir den größten
Beyfall, durch ihn erkennen wir Recht und Unrecht.
Der Mensch bittet um das Wenigste wenn
er um Gesundheit des Verstandes bittet.
Alle Wünsche die darüber gehn scheinen gleich-
sam unverschämte Bitten zu seyn. Denn der
gesunde Verstand ist uns so nothwendig als das
tägliche Brodt, %.und die Gesundheit unsers Körpers;
so wie wir aber wenn wir nur durch Arzney-
mittel erhalten werden, nicht sagen können, wir
sind gesund, so muß auch der gesunde Verstand
ungekünstelt seyn, denn er liegt im Naturell
zum Grunde. Der gesunde Verstand braucht eben
nicht lebhaft %gründlich oder %.scharfsinnig zu seyn, sondern
die Sache nur in concreto zu erkennen, d. h. in Fällen
die durch die Erfahrung gegeben sind - a posteriori,
denn derjenige Verstand der die Wahrheit in abstracto
erkennet ist schon ein subtiler Verstand. Das %.Vermögen
in concreto zu urtheilen ist also der ge-
meine Verstand, insofern aber dieses richtig
ist, heißt er der gesunde. Man hat in Hortichia *2

/|PR_090_Z_2

/*1 Wir ziehen ihn dem scharf-
sinnigen lebhaften
%.und ausgebreiteten vor.

/δ_Z_22

/*2 Nach dem Büsching
Noroia. ~

/|P_91

/einer Stadt im Kirchenstaate einen Rath, der
aus 4 Personen (quadri illiterati) besteht, die
aber weder lesen noch schreiben können, weil
sie bei Leuten, die lesen und schreiben können, listig
Ränke vermuthen, die sich in ihren Urtheilen unter
den blos gesunden Verstand mischen könnten.
Um nun also ehrliche Leute im Rath zu haben, lassen
sie den der eine Rathsstelle haben will, schwören,
daß er weder lesen noch schreiben könne. Auch
bei uns gibt es dergleichen Gerichte, nemlich die Schulzen
die einzig nach dem gesunden Verstanden, und richtig
urtheilen. Solche Leute urtheilen blos in concreto
%.und wissen auf jeden Fall zu antworten, niemals
aber in abstracto. Ein gesunder Verstand ist zu-
gleich practisch, der subtile oder abstrahirende ist,
der die allgemeinen Regeln, nach den in besondern
Fällen geurtheilt werden soll, erkennet. Es ist zu be-
wundern, daß selbst der höchste Grad von Scharfsinnig-
keit den Mangel der gesunden Vernunft nicht
ersetzen kann. Der Schüler bekommt allgemeine
Regeln zum Rechnen, hat er aber keinen gesunden Ver-
stand, so wird er keinen besondern Fall unter diese
Regeln subsumiren können. Man kann überhaupt
niemand für neue Fälle besondere Regeln geben,
wenn er nicht gesunden Menschenverstand hat.

/|PR_091_Z_24

/Das wäre auch
wider die Natur
der allgemeinen
Regeln. ~

/|P_92

/Also ist der Verstand eine Subsumtio casus
dati sub certa regula, ob es der gegebene Fall
ist, wo die Regel soll angewandt werden. Es ist
minor propositio in syllogismo practico.
Man erkennt daher einfältige Leute bald, denn
sie verfahren immer nach Regeln, %.und dies zeigt
schon daß sie immer am Gängelbande müssen
geführt werden, %.und nach Regeln die man ihnen
genau vorgeschrieben. Narren kann man also
nur nach Regeln leiten, aber nicht vernünftige
Leute. Z. B. Iemand hat es sich zur Regel gemacht,
nichts wegzugeben als was höchst nothwendig ist,
und was ein anderer mit Recht von ihm fordern
kann, dann erfordert aber bisweilen die Klugheit
daß man etwas freigebig sey, wenn man nicht gegen
den Wohlstand sündigen will. In solchen Fällen
kann man übel anlaufen, %.und dagegen durch Abweichung
von der Regel sich grossen Nutzen verschaffen.
Der gesunde Verstand ist also das Vermögen in concreto
zu urtheilen, der feinere urtheilt in abstracto.
Der erstere ist, wie man aus diesem allen ersehen wird,
empirisch, %.und formirt %folglich seine Urtheile durch die Erfahrung.
Wollte man alle %.Wissenschaften in concreto vortragen, so würde man
keinen <%.allgemeinen> Begrif von einer Sache haben, %.und es wäre als denn gar kein Begrif.

/|P_93

/ ≥ Von der gesunden Vernunft. ≤

/Der Verstand ist folgendermaaßen von der Vernunft
unterschieden; der erstere urtheilt über alles, was
ihm durch die Erfahrung vorgelegt wird, %.und darf
also nur das verstehn, was ihm gegeben ist. Die
Vernunft aber urtheilt a priori, d. h. über
Dinge, die durch keine Erfahrung gegeben sind. Und
heißt man schließen. Und nur durchs Schlüssen
kann man etwas fürs künftige heraus bringen.
Man fordert daher von einem Menschen, daß er
nur Vernunft haben, um voraus zu sehn, daß
dies oder jenes geschehn, oder nicht geschehen
werde. So kann man z. B. leicht voraus sehn,
daß, wenn man einem Iuden, dessen Aufenthalts-
ort man nicht kennet, Geld leihet, er es nicht
widergeben werde. Vorstellungen also, die
zur Erkenntniß der Erfahrung gehören, betreffen
den Verstand, %.Vorstellungen aber, die zur Prävision dienlich
sind, bringt die Vernunft zuwege. Alles vorhersehen
und muthmaassen pp geschieht durch die Vernunft, weil
wir als denn nicht aus Aehnlichkeiten, sondern
aus Gründen schl«ü»ießen, durch den Verstand erkennt

/|P_94

/man aus dem rothen Aufgang der Sonne
daß es regnen werde; dasselbe aus der Dünnheit
der Luft zu schlüssen, braucht man Vernunft.
Gesunde Vernunft ist, die aus den Erfahrungs-
sätzen a priori urtheilt. Sie schl«ü»ießt, %.und heißt
deshalb das Vermögen zu schliessen.

/Cicero sagt ein Philosoph der die Geschichte mit
einem philosophischen Auge durchließt, kann einen
Wahrsager abgeben. Die Vernunft urtheilt
a priori oder schlüßt; in jedem Schluße ist:

/1.) Ein allgemeiner Satz, der durch die %.Vernunft eingesehen wird.

/2.) Die Application eines Falles auf den allge-
meinen Satz, und dieses geschieht durch den Verstand.

/3.) Die Conclusion, die sowohl durch den Verstand, als
durch die Vernunft geschieht, z. E. alles was veränderlich
ist, hat eine Ursache. Die Vernunft sieht dieses ein,
der Mensch ist veränderlich *1 - dies subsumirt der Verstand - 
Also hat der Mensch einen Grund: So schließt die
Vernunft in majori propositione, Verstand in minori,
beide in conclusion. Der gesunde Verstand applicirt
eine allgemeine Regel auf einen casum datam.
Oft haben Leute von feinem Verstande keinen gesunden. So
können viel Gelehrte, die alles in abstracto erkennen,

/ keinen

/|PR_094_Z_17

/*1 Dies ist schon aus dem
gemeinen Verstande klar. ~

/|P_95

/keinen gegebenen Fall mit Gewisheit unter einer
Regel subsumiren, denn hierzu gehört eine empirische
Fähigkeit. Die Vernunft kann durch Regeln bereichert
werden, der gesunde Verstand nicht. Die Schulen können
den gesunden Verstand nicht geben, wohl aber durch
viele vorgelegte Fälle cultiviren. Nachahmung ist
für die gesunde Vernunft der Tod. Der Geist der
Nachahmung der am stärksten bey der Iugend wirket,
bleibt auch haften, wenn nicht gleichsam eine philo-
sophische Palingenesie vorgeht, da der Mensch, wenn
er zur Vernunft kommt sich gleichsam nochmals erzieht.
Diese Nachahmung ist darum der gesunden Ver-
nunft zuwider weil man dabey weder a priori,
nach a posteriori noch a priori etwas erkennt, sondern
nur copie vom Verstande eines andern wird. Wodurch
die Vernunft a priori schlüßt, das sind die Gesetze
der Natur. Es läßt sich also über Dinge in der Welt
nur urtheilen, wenn sich die Gesetze der Natur deutlich
zeigen. Derjenige also, der den Gebrauch meiner Er-
kenntniß nach den Gesetzen der Natur unmöglich macht
handelt dem Gebrauch der gesunden Vernunft zu-
wider. So scheint ein Weib, die Zauberey zu spielen
vorgiebt, durch mächtige Worte, pp die Ordnung der Natur umzukehren.

/|PR_095_Z_22

/Wo solche %.Vorurtheile bei
einem Volk gegründet
sind, geschieht der Vernunft
großer Abbruch. ~

/δ_Lage_N.

/|P_96

/Der Mensch ist zu Wunderdingen geneigt, beson-
ders zu solchen, die durch unsere Vernunft nicht zu
begreifen sind. Denn diese Befreyen ihn von der Noth-
wendigkeit seine Vernunft zu gebrauchen.*1 Wir
würden es uns vorwerfen, wenn wir bei begreif-
lichen Dingen «l»nicht unsere Vernunft gebraucht hätten,
aber itzt, da die Sache über unsere Vernunft geht,
dürfen wir uns keine Vorwürfe machen, zu
diesen Wunderdingen gehört:

/1.) Träume %.und ihre Bedeutung.

/2.) Einbildungskraft schwangerer Weiber %.und der
vermeinte Einfluß auf die Frucht.

/3.) Einflüsse des Mondes *2 auf die Pflantzen.

/4.) Erscheinungen der Geister

/5.) Antipathie, %.und Sympathie

/6.) Die Wünschelruthe.

/Der Wahn in Ansehung schwangerer Weiber, wird
obgleich er längst durch medicinische Gründe wi-
derlegt ist, noch lange dauren, weil er vom weiblichen
Geschlecht herrührt, welches eher als das männliche
einen Wahn annimmt. Dieser Wahn ist ihnen angenehm
%.und nützlich, indem sie ihre Männer überreden können, daß

/|PR_096_Z_4

/*1 Dies ist uns zu müh-
sam.

/δ_Z_11

/*2 Es ist bekannt daß er Ebbe %.und
Fluth verursacht, daraus folgt
aber nicht, ein Einfluß auf
%Menschen, auf @Bäumefällen@, Erbsen@blühen@ pp
doch ist dieser Gegenstand
einer Untersuchung werth. ~

/|P_97

/sie durch ihre Einbildungskraft alles was sie wollen
schaffen können, müssen ihnen dieselben auch alles was
sie verlangen kaufen, damit das Kind nicht etwa
mit Katzenohren zur Welt kommt. Man lese Wikmanns
Buch von der Einbildungskraft nach.

/Was die Wünschelruthe betrift, so wird sie den Berg-
leuten zugestanden, man würde sie sehr wider sich
aufbringen, wenn man denselben die ihr eimal bei-
gelegten Wirkungen absprechen wollte. Selbst Valerius
der grosse Mineralienkenner in Schweden ist dieser
Meinung. Mit der Wünschelruthe hat es diese Bewandniß
daß man sagt, in der Iohannisnacht muß ein Zweig
von Haseln abgeschnitten werden, so daß er die Gestalt
von einer Gabel hat. Wenn man nun damit auf einen
Berg geht worin Metall ist, so soll dies die Spitzen die-
ser Ruthen an sich ziehen. Einige sagten nun es dürfe
eben nicht in der Iohannisnacht geschehen, andere sagten
die Bewegung der Wünschelruthe «liege» würde verursacht
durch die elektrische Wirkung der mineralischen Theile <auf den Leib>,
aber beide Meinungen sind thöricht.

/Was die Geschichte der Geistererscheinungen betrift
so scheinen die Ausdeutungen der Träume ihren Ursprung
daher genommen zu haben. Man vertrieb sich ehemals des

/|P_98

/Abends in den Klöstern die Zeit «da»mit solchen Geschichten,
machte auch sogar ein %ordentliches System dieser Grillen,
%.und theilt die Geister in Classen, in Cubos, Succubos, pp
ohne daß man je welche gesehn. - Wir fühlen immer bei
Anhörung solcher Wunder einen Befehl in uns, der
uns zuruft: bediene dich deiner Vernunft. Denn
fällt die Vernunft weg, so haben wir nichts als
den thierischen Instinkt, die Vergleichung durch
Witz und die Einbildungskraft übrig.)

/ ≥ Krankheiten der Vernunft. ≤

/Ein gestörtes Gemüth ist das Genus, Delirium *1 ist Species.
Delirium ist nicht allein Schwächung, sondern auch gänzliche
Umstimmung der Gemüthskräfte, die nicht in derselben Proportion
wirken, als in dem gesunden Zustande des Menschen.

/I. Schwachsinn, Blödsinn, Imbecillitas. Dies wird aber
nicht zum gestörten Gemüth gerechnet, %.und kann so weit gehen,
daß der Mensch dem Thiere gleich wird. In den Schweizer-
gebürgen wohnet eine Menschenart, die Cretins *2 genannt,
sie haben eine gänzliche Unfähigkeit im Gebrauche des Ver-
standes. Ihre Wohnplätze sind im Walliserland, %.und dem
angrenzenden Savoyen, wo keine rechte Circulation der Luft

/|PR_098_Z_3

/Siehe Kants Träume
eines Geistersehers,
erläutert durch Träume
der Metaphysik.

/δ_Z_11

/*1 Wahnwitz, Wahnsinn Aberwitz
sind nur Veränderungen
in der Regel.

/δ_Z_18

/*2 Sie sind eigentlich
Mißgeburten. ~

/|P_99

/statt findet. Sie mögen gerne in der stärksten Sonnen-
hitze liegen, %.und betragen sich bei allem ganz passiv.
Die dort wohnenden Leute halten es für ein Glück, der-
gleichen Kinder zu bekommen, %.und pflegen sie mit der grösten
Mühe %.und Sorgfalt. Alt werden sie nie. Eine andre solche
Menschenart auf den Pyrenäen, heissen Cagots. Dies Volk
soll gleichfalls sehr im Gebrauche des Verstandes herabgesetzt
seyn. Es ist der Rest der arianischen Gothen die ehedem in diesen
Gegenden ihre Wohnplätze hatten. Die Dummheit ist unter
ihnen erblich, %.und ihre Race artet nie aus.

/II. Zu dem Delirio rechnet man auch das Irre Reden
bei Krankheiten. Bei der Anatomie gestörter Menschen, hat
man den einzigen Unterschied gefunden, daß ihr Gehirn com-
pacter als das Gehirn andrer Menschen ist, bisher hat
man andre Unterscheidungszeichen noch nicht auffinden können.
Dies leztere (das irre Reden) entsteht nur durch eine unharmo-
nische Stimmung der Gemüthskräfte in Krankheiten. Eigent-
lich läßt es sich «s» nicht recht erklären, was ein gestörter
Mensch sey. Fontenelle sagt: wir sind alle Narren, nur
mit dem Unterschiede, daß man die von der allgemeinen
Art für klug hält, aber diejenigen von der besondern
von uns Narren genannt werden. Und wir sind auch
in der That vollgepfropft von %.Thorheiten würden wir uns recht
untersuchen, so würden wir es auch finden.

/|PR_099_Z_5

/vide hier Carbonnier
einen neuen Autor ~

/|P_100

/ ≥ δ_Andre Stunde von 9 - 10

/III. Amentia, Sinnlosigkeit, auch Blödsinnigkeit,
Dementia, eine Verrückung, Verkehrung, %.und gänzliche
Verstimmung aller Geisteskräfte, läßt sich theilen in:

/1.) Wahnsinn, da liegt der Fehler in der Einbildungskraft.

/2.) Wahnwitz, - - - - - - - - - - in der Urtheilskraft.

/3.) Aberwitz - - - - - - - - - - in der Vernunft.

/4.) Blödsinn - - - - - - - - - - im Verstande.

/Hypochondrie ist die körperliche Ursache der Gemüthskrankheit
Grillenkrankheit genannt, «sie ist» welche obschon noch nicht völlig
Delirium, doch das Analogon davon ist. Ein solcher Mensch
weis es, daß seine Gedanken unregelmäßig sind, %.und sucht
sich seiner Phantasie zu entschlagen, obschon er es nicht vermag.

/1.) Wahnsinn ist eine Einbildung. Lavater glaubt in den
Physiognomien der Menschen alles das zu sehen, was er von
ihnen gehört hatte. Ein Fleischer in Göttingen, mit Namen
Rickerot, der viele Weiber getödtet, hatte in seinem Gesicht
wenn er sprach, immer etwas lächelndes. Man lies in mahlen,
%.und schikte Lavatern das Gemählde, ohne jedoch von den Thaten
des Mannes die mindeste Erwähnung zu thun. Lavater konnte
aber aus seiner Physiognomie nichts weiter schließen, als daß
er etwas spöttisches an sich habe. Die Marquisin von Brin-
villier was eine ausserordentliche Giftmischerinn. Sie vergiftete

/|P_101

/ihren Vater, Bruder, Schwäger %.und andre. Sie sahe sehr gut
aus, demohngeachtet fand Lavater, der von ihren Handlungen
nichts wuste, sie habe in ihren Augen einen teuflischen Zug.
Dennoch sind die Physiognomisten (auch selbst hierinn der
gute Lavater) Phantasten, %.und Phantasie *1 kommt dem Wahnsinn nahe.
Ein Mensch der oft mit sich selber redet, ist eine Species davon.
Es ist merkwürdig, daß man nie ein gestörtes Kind findet.
Sondern erst zu der Zeit wenn sich die Vernunft entwickelt,
nemlich mit 15 - 16 - 17 Iahren, entwickelt sich auch die
Dollheit, oder wie man es auch nennt der Wurm, Sparn. Der
Sparn ist ein Wapen des Felsischen Hauses - Man sagt
auch von einem solchen, er hat die Linie passirt, er hat einen
Raptus. Verrückungen sind ins gesammt nicht zu gezogen, son-
dern mehrentheils erblich.*2 Ueberstudiert ist nichts. Wer
nicht schon einen Ansatz zum Wurm hat, wird durch zu vieles
Studieren nicht dahin kommen, daß er die Offenbahrung Iohannis
entziffern will. Eben das gilt von Hochmuth, Verliebthe pp
Der Hochmüthige ist schon %.gewissermaßen doll er wird es nicht
erst durch seinen Hochmuth. Ein Mensch kann raptus haben,
ohne ganz gestört zu seyn. Es sind Abweichungen vom
gesunden Verstande, die durch den Affect zuwege gebracht
sind. Manche sind nur in Ansehung eines Punkts wahnsinnig.

/|PR_101_Z_5

/*1 Ist %sinnliche Empfindung.

/δ_Z_8

/%.Delirium nie vor der %.Männlichkeit
weil sie große %.Veränderungen
giebt.

/δ_Z_12

/*2 Wenn ein Kind in einer %.Familie
seinem Verwandten gleicht
welcher gestört ist, so wird
es %.gemeinhin auch gestört.
Das dauert bei den folgenden
%.Generationen lange fort. ~

/|P_102

/%.und das nennt man Delirium circa objectum.
Kommt man mit ihnen auf einen gewissen Punkt, so ist
alles vorbei. Etwas anders ist Delirium vanum.
Manche Menschen haben eine noch andere Art von Wahnsinn,
sie glauben nemlich, daß alle Menschen sich beredet haben,
sie anzufeinden %.und zu beleidigen. Ein Beispiel von
der Art ist Werner, der in vielen Ländern herumreis«e»te,
sich aber an jedem Orte nur so lange aufhielt, als
er vermuthen konnte daß sein Name noch nicht bekanntgeworden
wäre, denn sobald dies nur geschehn, glaubte er alle
%Menschen paßten schon auf, ihn zu beleidigen %.und zu kränken.

/2. Wahnwitz im Raisonniren (ist unterschieden von dem andern)
Ein solcher %Mensch bildet sich ein, daß er über alles weit besser
raisonniren könne als andere. Man kann es den logischen
Egoismus nennen, weil er glaubt er brauche nie das Urtheil
irgend eines andern, indem das seinige stets das beste ist.

/3.) Aberwitz ist der Wahn vom Witz oder Verstande, in
Ansehung des Ueberschwenglichen, ein überflüssiges Vermögen
haben wollen, indem man sich zu gleich dasselbe mit Deut-
lichkeit vormahlet, so wie Schwedenborg Umgang mit Engeln,
überhaupt viele Geheimniße einsehn zu können, vorgab.
Wahnsinn ist eher zu heilen als Wahnwitz %.und Aberwitz. Hy-
pochondrie nähert sich gar nicht dem %.Wahnwitz %.und %.Aberwitz wohl
aber dem Wahnsinn.

/|PR_102, Z. 9.

/δ_Figur ~

/|P_103

/ ≥ δ_29ste Stunde Mittwoch den 30sten %.November

/Die Gradationen der Gemüthskrankheiten sind so unend-
lich, daß man sie kaum unterscheiden kann. Bei der
Störung des Gemüths finden oft große Talente
statt. Es giebt Menschen, die viel sonderbares Zeug
aber doch mit einer gewissen Methode reden, also
oft Talente %.und Originalität in der Dollheit. Der
Engländer Harrington ist hievon ein Beyspiel. Es ist
sonderbar, daß manche %Menschen bisweilen glauben Funken
aus ihrem Körper springen zu sehn, %.und %.überhaupt versichert
sind daß viel Electricitaet in ihrem Körper ist.

/Was mag es wohl seyn, was den Unterschied zwischen einem
tiefsinnigen, gestörten Gemüth (wenn man einen Autor tiefsinnig
nennt, so ist dies eben kein großes Lob, denn es würde anzeigen
er gehört in's Hospital, tiefdenkend muß man sagen,)
%.und einem bloß schwachen Kopf macht? Der gestörte %Mensch
hält seine Urtheile nie an *1 die Urtheile anderer, welches
der schwache doch thut.

/Es ist eine sehr alberne Idee, wenn man glaubt, viel
Feinde zu haben, sie zeigt entweder einen schwachen Kopf
oder einen gewissen Hochmuth an. In England geschieht es
häufiger als anderswo, daß gestörte wieder zur Vernunft
gebracht werden es sind großentheils Nervenkrankheiten,

/|PR_103_Z_2

/Blödsinn Gemüthsschwäche
Störung pp.

/δ_Z_16

/*1 Wer dies nie thun will
ist gewöhnlich gestört. ~

/δ_Lage_O

/|P_104

/die nur vorübergehend sind. Die Vapeurs sind eine schlimme
Krankheit, welche aus Ueberdruß an allem aus Langer-
weile entsteht. Seit der Revolution haben sie in Frankreich
aufgehört; dagegen sind, da sich die Frauenzimmer oft das
Gemüth überspannt, mehr verrükt geworden; - demnach
im Ganzen weniger gestorben. Bei der Annäherung von
Verrückung kommt zuerst Einfalt, d. h. Mangel an Verstand.
Mangel an Urtheilskraft ist Dummheit. Es findet zuweilen
bei großen Gelehrten statt, die sich ganz einem Fach widmen,
daß sie in manchen andern Fällen unwißend sind.

/Ein Narr *1 ist der, der einen größern Werth in sich selbst
setzet als ihm zukommt; einer der grössern Werth in
Dinge setzet als ihnen zukommt, ist ein Thor. Man
lacht ihn aus. Weisheit ist der Thorheit, Klugheit der
Narrheit entgegengesetzt. Den größten Theil der Menschen
könnte man eher Narren als Bösewichter nennen. Deswegen
sagt ein Autor: Ein Narr stößt dem andern an den Kopf,
und stößt mit seinem leeren Kopf seinen Bruder an.
(%.Anmerkung %.Asiatische Völker haben sonderbare Meinungen über
die Erde; die Perser sagen, die sey der Abtritt, wohin der Engel
die Menschen einmal aus dem Paradiese gebracht, wo sie
aber unglüklicher Weise durch ein Versehn geblieben

/|PR_104_Z_11

/*1 Er ist beleidigend
hochmüthig. ~

/|P_105

/wären. Die Indier sagen sie sey das Zuchthaus, wohin
sie der böse Engel Moasor gebracht, %.und sie dadurch zu
reinigen; sie wären ehedem blos Geister gewesen, jetzt
wäre aber der Körper ihr Fegefeuer, ergastulum.)

/Wir lieben nie den ganz fehlerfreyen Menschen im
Roman, (wie Grandison), %.und das deswegen, damit wir
in Betracht gegen unsre Fehler etwas zur Gegen-
rechnung behalten. Man würde sich zu tief unter ihm fühlen.

/ ≥ δ_30ste andre Stunde von 9 - 10 ≤

/NB Da nun die %.Krankheiten des Gemüths abgehandelt sind folget jetzt
noch etwas von den Fähigkeiten desselben.

/ ≥ (Von den Gemüthsfähigkeiten. ≤

/Man nennt die Erkenntnißfähigkeiten im gemeinen Redegebrauch
Kopf so wie man die menschlichen Begierden %.und Neigungen
durch das Wort Herz ausdrükt. Man gibt einem Menschen
einen solchen Beinahmen, der von dem Vermögen wozu er
ins besondre inclinirt entlehnt ist, %.und so unterscheidet man
die %Menschen nach ihren %.Gemüthsfähigkeiten. Unter Kopf versteht man %.überhaupt
die Proportion aller Erkenntnißvermögen, daher sagt man
ein einfältiger, behender verständiger, kluger, witziger, judiciöser,
zerstreuter Kopf, dem Objekte oder in %.Wissenschaften mechanischer,
dichterischer, philosophischer, empirischer pp. Das Studium
der besondern Gemüthsfähigkeiten ei«¿¿»nes jeden Menschen,

/|P_106

/ist von der äussersten Wichtigkeit, %.und es ist belohnend
genug zu untersuchen, was für Gemüthsfähigkeiten oder
Kräfte dazu erfordert werden, einen Kopf oder eine
Fähigkeit auszumachen.)

/Ein Mann von Kopf ist derjenige der sich in alles zu finden
weiß. Mann von Geist seyn ist noch mehr, denn dieser weis
Dinge zu erfinden. Wer nicht Kopf hat, den nennt man
einen Pinsel. Dieser Ausdruk Pinsel ist von den Klek-
mahlern hergenommen, die nichts weiter können, als den Pinsel
mechanisch führen. Es kommt bei den Menschen viel auf die
Proportion an, womit sie Witz %.und %Urtheilskraft verbinden. Es
ist besser, auf einer niedrigen Stufe Lob als auf einer
hohen Unehre zu erlangen. Man nennt Leute witzig, %.scharfsinnig
%.verständig pp nachdem eine oder die andre Fähigkeit mehr hervorleuchtet.
Manche wissen sich mehr als andre in Dinge zu bequemen,
sie können z. E. durch ein Mikroskopium mehr sehen %.und
entdecken als andre. Dagegen besitzen wieder andere
das Talent besser Methoden zu erfinden. Durch diese
leztere Eigenschaft zeichnen sich vorzüglich die Schweitzer
aus. Viele Bauern unter ihnen kann man mit Recht Eléves
de la nature nennen. Ohne je Unterricht empfangen zu
haben, machen sie die geschiktesten Kunstwerke, z. E. Brücken

/|P_107

/über reissende Ströme, welche sie ganz selbst aus gedacht
hatten. Ein von Sulzer dem verstorbenen %König Friedrich_II.
empfohlner Schweitzer erfand ein Klavier, wobei durch eine
Walze alles was darauf fantasirt wird, ziemlich leserlich
auf Papier geschrieben wurde.

/Poëta heißt ein Macher, er schaffet alles um sich her. So
stellt ein Leichendichte den Menschen vor, wie er hätte seyn
sollen, aber nicht wie er war. %.Philosophie ist der %.Vernunftgebrauch aus
Begriffen; oft kann ein guter Mathematiker nie ein guter
Philosoph werden. Esprit universel, Ingenium ist die angeborne
Anlage des Menschen im Gebrauche der obern Erkenntnisse.
(Schon oben wurde vom Studium der Köpfe %.und Fähigkeiten
gehandelt - Mancher %Mensch hat einen guten %.medicinischen Kopf.
Hierzu aber gehört z. E. der Geist der Beobachtung %.und der
gesunde Verstand, der zugleich mit beobachtet, d. h. ein
empirischer *1 Kopf. Dazu gehört eben nicht Feinheit der Ver-
nunft um in abstracto %.urtheilen zu können (welches doch auch gut ist)
sondern er muß die Umstände %.und ihre Verknüpfung untersuchen,
um zu bemerken, was der Kranke für eine Krankheit hat.
Als Carl_VI gestorben war stritten die Aerzte <noch>, welche %.Krankheit
er gehabt, %.und so geschieht es noch oft. Aber zum %.empirischen Kopf
gehören nicht nur gute Sinne, sondern auch das %.Vermögen zu
vergleichen, also ein ausgebreiteter sensitiver intuitus.

/|PR_107_Z_2

/Mit Namen Hochwald.

/δ_Z_6

/Der Poetische Kopf
differirt von allen ungemein
denn er ist %.schöpferisch %.und die
welche schaffen bekümmern sich
wenig um Geschöpfe die
schon da sind.

/δ_Z_14

/*1 Der mehr %.Beobachtungen %.und %.Erfahrungen
macht, man nannte ehedem alle
Aerzte Empiriker, der
Stifter der %.Skeptischen Secte
war ein Arzt! ~

/|P_108

/Er muß ein gut Gedächtniß haben, sich der vorigen Um-
stände des Kranken erinnern zu können, %.und sich auf viele andere
Fälle zu besinnen. Wir finden in dem %.hamburgischen Magazin ein %trefliches
Beispiel des Nutzens eines %.empirischen Kopfs. Es soll eines Bauren
Sohn in Sachsen eine so sonderbare Krankheit gehabt haben, daß
er ganz aus getroknet, %.und wenn er gegangen, alle Glieder
an seinem Leibe geklappert haben. Die Medici stritten nun
über die Art seiner %.Krankheit %.und über die Mittel, wie sie sie
heben könnten. %Endlich erklärten sie sich daß die %.Krankheit von einer
Vertroknung derjenigen Säfte herrühre, die sich in den Muskeln
befänden, %.und durch die, die Gliedmaaßen beisammen erhalten
würden. Die Frage aber war nun, wie sie diesen Saft erweichen,
%.und wiederherstellen sollten. Mann sann lange nach. %Endlich besann
sich ein empirischer Kopf auf die Erfahrung, daß sich das Queksilber
mit Speichel vermischen ließe, %.und eine zähe Materie abgäbe.
Hieraus schloß er, daß durch solche %.mercurialischen Mittel auch
vielleicht die Säfte ihre vorige Flüßigkeit erhalten könnten,
das Gliederwasser wieder zu verschaffen. Er applicirte Mer-
kurialsalbe %.und stellte diesen kranken %Menschen völlig wieder her.
Daraus erklärt sich es wie Aerzte mit wenig Theorie viel
glükliche Curen machen können. Selbst %.Hyppocrates dessen Asche
mit Recht verehrt wird, der an der S«¿»pitze der Aerzte steht, der
so glüklich in seiner Praxis war, wußte nichts vom Kreislauf
des Bluts. Der %.empirische Kopf untersucht erst die Natur der Krankheit,

/|P_109

/%.und denn curirt er; dahingegen derjenige Artzt, der viel
Theorie hat, alle Kranke a priori nach seinem System heilen
will, welches ihm denn oft fehlschlägt. %.Ueberhaupt wäre es %nützlich
das Genie eines jungen %Menschen erst wohl zu probieren, weil die
%.Wissenschaften verschieden %.und einer zu dem, der andre zu jenem auf-
gelegt ist. So ist %.Philosophie %.Wissenschaft des Genies, %.Mathematik eine Kunst.
In der %.Mathematik muß man den Kopf auf eben dieselbe Sache
lange h«¿»eften können, %.und ein gut Gedächtniß haben, um die Auf-
gaben im Kopf zu behalten. Dabei muß man das Spiel des
Witzes hemmen, damit er nicht im Nachdenken störe. Ia es
ist zuweilen gut, wenn ein Mathematiker einen stumpfen Kopf hat.
Hingegen wird zum %.philosophischen Kopf express Witz erfordert,
damit er die Sachen von allen Seiten betrachten, auf die Folgen
sehn, %.und diese unter einander vergleichen könne. In der %.Mathematik sind
die einfachen %.Begriffe von Punkten Linien pp die leichtesten, in der
Philosophie die schwersten. In der %.Philosophie geht das concretum vor
dem Abstracto, in der %.Mathematik das Abstractum vor dem
Concreto. In der %.Philosophie kann man sich nicht eine Sache in abstracto
denken, sondern muß immer erst einen Fall in Concreto annehmen.
Z. E. will man sich in der %.Philosophie einen %.allgemeinen %.Begriff von der
Billigkeit machen, so muß man sich erst einen Fall in
Concreto denken, %.und die Billigkeit davon abstrahiren.
- Gesezt ich habe bei einer Sache mehr Arbeit gehabt, als ich
vorher glaubte, so habe ich zwar mehr verdient als ich mit

/|PR_109_Z_2

/Der %.menschliche %.Körper soll sich da
nach dem System, das er im
Kopf hat, richten ~

/|P_110

/dem andern bedungen habe, er darf mir aber nicht mehr
geben, sondern wird es nur aus Billigkeit thun können.
Die %.Mathematik redet erst (in %.abstracto) von einer aufgerichteten Linie,
%.und applicirt sich hernach auf Berge pp, «auf»kann also zuerst nicht
in %.concreto die Sache betrachten, sondern in %.abstracto. Die %.Mathematik
sieht nicht erst auf Materien einer Sache, die %.Philosophie aber,
wenn sie die Ideen der Flüssigkeit abstrahiren will, muß
sich erst mit den Eigenschaften des Wassers, oder einer andern
flüßigen Materie bekannt machen.

/Ein Poet muß an die Stelle der Sachen Schatten setzen
können, denn Schatten kann er erschaffen. Man sehe Miltons Reise
des Engels. Beim Poet kommt nur Manier, Art %.und Weise der
Sachen vor, nicht aber die Sachen selbst es sind nur Schattenbilder
derselben. Er ahmt die Stimme des tugendhaften nach, ohne selbst
%.tugendhaft zu seyn; er scheint wie ein Held, %.und hat doch kein
Herz. Er ist wie jenes Thier das alles im Walde in Schrecken
setzte, weil es sich in eine Löwenhaut gehüllt hatte, das man
aber nachher an den langen Ohren erkannte. Daher besitzt der
Poet (wie oben schon gesagt) keinen Charakter, weis aber alle nach-
zuahmen, so wie der Siegellack an sich selbst keine %sonderliche
Gestalt hat, aber geschikt ist, alle Gestalten anzunehmen. Der
Poet muß Witz %.und Leichtigkeit haben, die Erscheinungen kennen,
%.und Vergleichungen anstellen können, %.und man will beobachtet haben,

/ daß

/|P_111

/daß ein Dichter welcher recht dichten will, auch die Miene
desjenigen annehmen solle, dessen Sprache er redet. Und die
Erfahrung lehrt, daß man den Karakter eines Menschen
nicht vollkommen schildern könne, wenn man nicht auch
seine Mienen annimmt. Dies sieht man zE. wenn in Gesell-
schaften Leute etwas von jemanden erzählen. Man erzählt
vom %.Professor Pietsch, daß er wenn er einen Helden dichten wollte, sich
Reitstiefeln angezogen, %.und beim Dichten so herumgegangen sey.

/Es giebt ferner mechanische Köpfe. Man bemerkt, daß
viele Kinder schon von ihrer Iugend an, schnitzeln, pp %.und dies
zeigt schon an, daß sie einen mechanischen Kopf haben. Wenn
man den Kopf eines jeden jungen Menschen immer analysiren
möchte, so könnte man schon voraus a priori bestimmen, was
für ein Metier er künftig ergreifen müße. Man sollte aber
nicht junge Leute selbst hierinn wählen lassen. Denn sehr
oft will ein Kind, das vielleicht einen guten mechanischen Kopf
hat, bloß darum ein Medicus werden, weil es solche Männer
oft in Kutschen fahren sieht, oder weil es krüpelhaft ist, oder pp.
Es ist aber nichts kläglicher, als wenn ein %Mensch auf eine
%.Wissenschaft verfällt, wozu er nicht die geringste Fähigkeit hat.
Daher kommt es, daß das Steckenpferd alle andre wahre
aus dem Stalle jaget, %.und daß ein Mensch alles incultivirt
läßt, wozu er geschikt ist, %.und das bearbeitet wozu er im
höchsten Grade ungeschikt ist. Die Ursache davon ist diese,

/δ_Lage_P

/|P_112

/weil die Menschen immer gern etwas anders seyn mögen
als sie wirklich sind. Sie denken, das kann dir doch keiner nehmen
was du schon bist, es ist aber doch gut, daß du noch suchst, was
anders zu werden. So dichten z. E. viele Poeten ohne daß
sie jemand ließt; und so klimpert mancher den ganzen Tag
auf dem Clavier und componirt, %.und niemand will ihn
hören, Er will aber doch gern ein Musikus seyn. Menschen
suchen die Veränderung gleich als wenn sie Prometheus
mit einem groben Thon beseelt hätte. Aus diesem aber
sieht man leicht wie nöthig %.und nützlich das Studium der
Köpfe sey. Und obgleich Schulen %.und examinatoria genug
angestellt sind, so ist doch dafür wohl nicht gesorgt. Die
Departements der %.Wissenschaften %.und Künste werden itzt nur durch
einen Zufall gut besetzt. Oft geschieht die Wahl nur aus
Noth, oder aus Wahn, %.und daher kommt es, daß die Menschen
mehrentheils in die Welt an eine unrechte Stelle kommen.
Es würde aber ein lustiger Plan seyn, wenn man jeden %Menschen
an seine rechte Stellen setzen möchte, wohin ihn die Natur
bestimmt hat. Mancher General würde Tambour werden,
mancher Iesuit ist Minister, mancher schlechte Iurist
ein guter Holzhacker, mancher der in Gesellschaft geht, um
sie zum Lachen zu bewegen, %.und viel schnattert, ein %ehrlicher Gastwirth
%.und mancher der itzt mit dem Barbierbecken herumläuft,
würde geschikter seyn, gute Stüke auf dem Buckel zu tragen.

/|P_113

/Die menschliche Freyheit nach dieser Verwirrung, da der
Mensch selbst fremde Stellen wählen und nicht aus Neigung
sondern aus Noth, oft nicht aus Geschiklichkeit, sondern
aus Wahn. Da aber dieser Plan nicht zu hoffen ist, so muß
man glauben, daß die verkehrte Versetzung vielleicht die schöne
Mannigfaltigkeit der Welt ausmacht, ob sich gleich die Menschen
oft so verwirren, daß sie gar nicht wieder heraus kommen

/%.Musicalischer Kopf ist ein Unding, man kann ihn nicht haben, wohl
aber musikalisches Genie.

/ ≥ Vom Begrif des Genie's

/Dies ist eine Materie vorüber schon sehr viel geschrieben.
Genie ist eigentlich Talent vom höhern Range - die
musterhafte Eigenthümlichkeit des Talents. Dieses Talent
hat eine Eigenthümlichkeit, was durch Nachahmung nicht bewirkt
werden kann, %.und diese Eigenthümlichkeit nennt man Originalitaet.
- Genie bedeutet einen Originalgeist. Das Wort Geist gebraucht
man in vielen Fällen, denn man sagt oft von einer %Gesellschaft,
Gemählde, Rede, Discours, es ist ohne Geist. d. h. es ist nichts
belebendes dabei. Und man sieht leicht, daß das Wort Geist
das principium des Lebens bedeute. Es ist aber ganz
was anders wenn man sagt Originalgeist, er ist nicht Geist
der Nachahmung,*1 der Deutsche hat für Genie kein Wort.

/|PR_113_Z_12

/Genie besteht darinn, daß
etwas ausgeführt wird
was ein Muster für andere
werden kann.

/δ_Z_21

/*1 Nur der Geist der Nachahmer
z. B. die Russen im Mahlen,
sie können gut copiren, aber
nicht selbst machen, sie haben
keine %Eigenthümlichkeit im Mahlen. ~

/|P_114

/auch ist das Wort Genie nicht %ursprünglich französisch, son-
dern es kommt aus dem lateinischen Wort Genius. Genius
war bei den alten Römern der eigenthümliche Geist des
Menschen, der bei der Geburt anfängt, %.und mit dem Tode
aufhört. Dieser Geist war dem Menschen beigesellt, um
ihn an, %.und abzurathen. Das ist eine Art Metapher %.und Alle-
gorie. Doch hat das Wort bei den Lateinern nicht die Be-
deutung die es bei uns hat. Es bedeutett nemlich nicht Genie
sondern ein reines Ingenium.

/Im Genie ist Originalitaet der Einbildungskraft das vor-
züglichste %.und hauptsächlich nothwendige, in so fern sie ein Muster
wird. Der Verstand %.und die Urtheilskraft muß sie doch
im Zügel halten, weil sie sonst zügellos %.und regellos
wird. Man hat auch gewiße Künste des Genies. %.Wissenschaften
können durch anhaltenden Fleiß erlernt werden, voraus-
gesezt daß man das Mittelmaaß der Talente die dazu
erfordert werden, habe: Z. E. «Die»In %.Mathematik, Geschichte, pp kann
man durch anhaltenden Fleiß ziemliche Fortschritte machen,
ohne sonderliche Talente. Allein mit allem Fleiß kann man es
doch nicht weit in der Person bringen, wenn man nicht schon %natürliche
Anlagen dazu hat. Das Genie *1 geht %eigentlich auf Künste, %.und diese nennt
man schöne Künste. Schöne %.Wissenschaften giebt es gar nicht, denn sie gehören
zum Verstande. (Dichtkunst, Redekunst pp sind schöne Künste.)

/|PR_114_Z_21

/*1 Es ist angebohren, durch
alle %mögliche Mühe kann man %nicht
dazu gelangen.

/(Weiß man etwas von einem Hand-
werk, so kann man es auch machen
bei der Kunst ist's nicht so z B
beim Mahlen. ~

/|P_115

/Virgil hat zwar den Homer nachgeahmt in der Manier, hat aber doch
Originalitaet. Diese %.Originalitaet des Virgil wurde aber durch den Homer
aufgewekt, %.und ohne Homer wäre nicht Virgil gewesen. Voltaire
sagt sogar, wenn Homer den Virgil geschrieben hat, so
wäre lezterer sein bestes Buch.

/- Ein Mahler kann nachahmen in der Manier, wenn er
auch nicht dieselben Stücke zeichnet. Die Gruppirung (Stellungen)
Licht %.und Schatten kann er nachahmen, denselben Styl kann er
Zwar haben aber nicht denselben Innhalt. Zum nachahmen
braucht der Mensch Verstand, zum Nachäffen aber Affen-
verstand; diese sklavische Art der Nachahmung benimmt
alle Eigenthümlichkeit, %.und man findet sie bisweilen in Schulen,
z. E. die Nachäffung der Cicero«¿»nianischen Reden. Wenn auch
viele bei Einem schreiben lernen, so hat doch jeder eine andere
Manier, das beruht auf der organisation der Finger.
Ein Talent ist jede Eigenschaft unserer Erkenntnißkraft.
Man sezt das Genie in der Freyheit vom Zwange der
Regeln z. E. In der Poesie.

/Man nennt das exemplarisch musterhaft, was andere
zur Regel dienen kann, was nachgeahmt zu werden ver-
dient. Das Talent, insofern es vom Gebrauch vom
bloßen Nachahmungsvermögen sich unterscheidet, ist negativ;

/|PR_115_Z_14

/So hat auch jeder im Vor-
trage seine besondre
Manier. ~

/|P_116

/insofern es aber selbst nachgeahmt zu werden verdient
nennt man es positives Genie, dies wird stets besonders
gerühmt.

/Der Nachäffer ist selbst nichts als der Schatten eines Andern,
hatt keinen Werth, hätte er nur wenigstens noch sein Ta-
lent aufgedrükt.

/ ≥ δ_31 %.Stunde %.Sonnabends %von 8 - 9

/Genie wird (wie oben gesagt) gesetzt in der Freiheit
vom Zwange der Regeln. Es giebt auch Originalitaet
in der Narrheit, auch Methode im Unsinn. Original ist
das was nicht nachzuahmen ist, exemplarisch aber das,
was nachahmungswürdig ist. Daher ist die exemplarische
Originalitaet die beste

/Regeln sind Gängelwagen wovon wir geführt sind,
sind sie schon vorhanden, so ist man Nachahmer. Sofern die
Mahlerei Kunst des Genies ist, besteht sie in der Nichthaltung
an Regeln. Lernen ist nichts anders als Nachahmen. Die
Hervorbringung des Genies ist das, was man nicht lernen
kann - z. E. man kann wohl reimen aber nicht dichten lernen.
Der Dichter wird gebohren, (Chesterfield).

/In Italien gab es ehedem Erbprofessoren; es wunderte
sich jemand hierüber, aber er erhielt zur Antwort: ey
hat man doch Erbkönige! - ist es etwa leichter, einen
Staat zu regieren, als eine %.Wissenschaft methodisch zu lehren?

/|P_117

/Wenn man schon einmal Narr ist, so ist es besser, Narr
in, als ausser der Mode zu seyn. Von gewißen Regeln, die
conventionell sind, können wir uns nicht so recht frey machen,
weil die Vernunft sie uns lehrt. Nur in Dingen, wo nie-
mand vor uns die Bahn gebrochen, ist es erlaubt, etwas
zu wagen, %.und seine Hypothesen vorzutragen. Die
Poeten haben eine gewisse Licentia poetica, aber nicht
wie @Pap¿@, der wenn in einer Zeile eine Sylbe zu wenig
war, auf der andern eine dazu nahm. Der Dichter kann
einmal ein Wort machen, welches nicht gebräuchlich ist, oder
ein Wort in einer andern Bedeutung gebrauchen - Es giebt
Genieaffen, welche nachher auch keine einzige Regel mehr
beobachten. Die Producte des Genie's sind immer Arten
von Eingebungen. Sachen des Genies können nicht nachge-
ahmt werden. Durch das Genie giebt die Natur der Kunst
die Regeln. - Geniemäßig d. h. obenhin Dinge behandeln
dient zum Spott.

/Geist ist das Vermögen, die Einbildungskraft durch Ideen
zu beleben. Ein Genie hat immer Geist. Schwung ist eine
Bewegung, die immer fortdauert, wenn sie einmal ein-
gedrükt ist, - eine Art von unwillkürlicher Bewegung,
wie z. E. wenn etwas von einem Berge herunterfällt, oder %.der %.gleichen.

/|PR_117_Z_18

/Oder: der %.Einbildungskraft
einen Schwung zu geben. ~

/|P_118

/Dem freyen Schwung des Geistes ist der Mechanismus
entgegengesetzt. Ein %.mechanischer *1 Kopf kann alle Talente
haben, muß aber immer durch eine Regel gelenkt werden.
Genie's sind zwar in der Welt zu großen Revolution¿
nöthig, haben viel Vorzüge, machen auch wohl Epoche
in der Welt, aber doch haben am Ende die %.mechanischen Köpfe
das größere Verdienst, sie erhalten Ordnung %.und das ge-
meine Wesen, sie machen sich vom Zwange der Regeln
nicht los, thun daher auch das meiste Gute in der Welt,
indeß große Genie's oft durch die Verwirrung die
sie gestiftet viel Schaden angerichtet haben.

/Man kann das Genie mit einem kollernden, %.und den %.mechanischen
Kopf mit einem Schul-Pferde vergleichen; das erstere
wird gern geritten, weil es durch seine Wildheit viel
Aufsehn macht, %.und demohngeachtet bleibt das leztere
immer am meisten lobenswerth.

/Das Genie kann man von dem Virtuosen unterscheiden,
im Grunde betrachtet giebt lezterer keine Regel an die
Hand. Der Musiker, der ein guter compositeur ist, ist
ein Genie, denn Erfindung gehört zum Genie. Die Exe-
cution des Stücks erfordert ein eigentliches Talent in %.Ansehung
der Ausführung wozu Mechanismus in den Organen sehr
beförderlich ist. Man kann zum Genie rechnen:

/|PR_118_Z_2

/*1 Er hat Verstand
aber nicht Geist. ~

/|P_119

/1.) Einbildungskraft, sie muß aber nicht regellos, und
noch weniger zügellos seyn. Sie ist sowohl in %.Ansehung
der Fruchbarkeit, als Mannigfaltigkeit die Basis des Genie's.

/2.) Urtheilskraft, ist die Kraft, welche die %.Einbildungskraft ein-
schränkt, %.und unter Regeln bringt, Behutsamkeit im
Gebrauch seines Verstandes, negative Klugheit, sie ist ernst-
haft %.und glänzt am wenigsten.

/3.) Geist, aus den beiden vorigen zusammengesezt,
ist das Vermögen die %.Einbildungskraft durch Ideen zu beleben, dies
entsteht denn, wenn sie in Schwung gesetzt wird - beruht
auf dem großen Gehalt der Ideen. %.Anmerkung Als der Vater
des berühmten Raphaël Mengs, diesen seinen Sohn taufen
lies, wunderte man sich warum er ihn Raphael genannt,
da er doch noch nicht voraus sehen könnte ob er einstens, so-
viel Genie zur Mahlerey zeigen würde als Raphael, hie-
rauf versetzte er; Ich will ihm das Genie schon beibringen.
Er hielt auch in der That Wort, indem er seinen Sohn durch Schläge
dahin brachte, daß er die Contours immer richtig zeichnet. Mengs
gestand auch selbst daß ihm dieses viel geholfen indem er in der
Folge stets gewiß war, daß seine Contours fehlerfrey wäre,
%.und des wegen nur blos auf Schatten Licht, Ausdruk pp sein <Augenmerk> richten durfte.

/4.) Geschmack zeigt die Reife der Producte des Genies an, dies ist das
schwerste. Man kann ihn aestetische %.Urtheilskraft nennen. Die %.Einbildungskraft
muß stets vom Verstande geleitet werden.

/|PR_119_Z_14

/Es hatte einmal jemand
ein %vortrefliches Gemälde
verfertigt, welches aber
todt schien, Mengs rieth
dem Verfertiger, er solle
im Vordergrunde noch
eine Mewe mahlen, %.und durch
diesen Vogel wurde schnell
das ganze Gemälde gehoben,
%.und sah lebhaft aus. Wer
solche Dinge erfindet, zeiget
daß er einen großen Kopf habe. ~

/δ_Lage_Q.

/|P_120

/ ≥ δ_32ste %.Stunde %.von 9 - 10 ≤

/Das Genie bei verschiedenen Nationen,*1 nimmt folgende
Wendungen an:

/Bei den Italiänern schießt das Genie in die Krone,
d. h. sie lassen sich bei ihrem Genie durch die Sinnlichkeit
hinreissen, dies ist Einbildungskraft.

/Bei den Deutschen in der Wurzel d. h. sie besitzen
viel Urtheilskraft in ihrem Genie.

/Bei den Engländern in die Frucht d. h. in dem Genie, was
sie zeigen, ist viel Geist, %.und in ihren Schriften findet man am
meisten Gedankenfülle %.und Reichhaltigkeit am Verstande.

/Bei den Franzosen in die Blüthe, d. h. sie haben viel Geschmak
in ihrem Genie.

/Die Schulanstalten %.und selbst die Regierung, sind Schuld da-
ran, daß es so wenig Genie's giebt. Der Mechanism sollte
da er doch nöthig ist, behutsam gebraucht werden, damit nicht
alle Genie's untergehen. Der %.Mechanismus erstrekt sich auch wohl
nachher so sehr auf die Denkungsart, daß man nicht anders
als nach einem Model denkt. Die deutsche Nation ist dazu
sehr gestimmt. Zu einem Beweise dient ihre Titelsucht. Dies
%.mechanische hängt sehr von der Regierung ab, indem die Richter
nach dem Buchstaben des Gesetzes richten müssen, %.und es doch
nicht möglich ist, daß auf alle Fälle ein Gesetz gemacht
werden kann.

/|PR_120_Z_2

/*1 Bei manchen findet sich
mehr als bei andern, in
Italien ist viel Stof
dazu. ~

/|P_121

/Es giebt in Deutschland viel affectirte, %.und angemaaßte
Genie's, welche zwar die rohe Stärke der Einbildungskraft
haben, bei denen sie aber nicht durch «Zustand» <Geschmak> cultivirt ist.

/Gewöhnlich nennt man einen außerordentlichen Kopf Genie,
welches nicht %eigentlich ist, weil die alle Kräfte proportionirende
Originalitaet fehlt. Newton war ein großer Kopf, kein
Genie. Genie geht auf %.Einbildungskraft angemessen ihrer eigenen Freyheit
des Geistes. Es ist ein glüklich Talent, nach dem Qualität durch
Fleiß cultivirt. Milton, Schakespaer sind Genie's.

/Wenn jemand wozu Naturhang hat, besizt er auch dazu
Naturtalent? Es ist schwierig auszumachen; %.und leider ist es oft
nicht wahr. Z. E. Kinder die Aerzte in Kutschen <So auch mit Mahlerey %.und Predigen.> sehen wollen werden
was jene sind pp - Es giebt Günstlinge der Natur, wie z.
B. die Eléves de la Natures in der Schweiz.

/Ein frühzeitiger Kopf, (ingenium precox, frühreifes Talent)
kann eigentlich nicht zum Genie gerechnet werden, weil er nicht
soviel leistet als er verspricht. Ein Kind z. B. das sehr klug
ist, bringt es hernach doch nicht weiter als andre, der einzige
Unterschied ist daß es früher fertig wird. Am unerträglichsten
ist die frühe Urtheilskraft. Heiniken aus Lübek ein Kind von
10 Iahren, war %ausserordentlich klug, %.und starb frühzeitig - er wäre
doch nur ein %.mittelmäßiger Kopf geworden. Dagegen findet man große
Köpfe, die in ihrer Iugend wenig versprochen haben, als Fontenell.

/|PR_121_Z_4

/Nach dieser Proportion
die durch %.Einbildungskraft har-
monisch belebt wird unter-
scheidet sich das Genie vom
Kopf.

/δ_Z_11

/Daher ist's gut sich frühzeitig
zu allerley Zwecken geschikt
zu machen.

/δ_Z_19

/Die Spanier in Amerika
werden früh brauchbar
haben aber nach dem 30sten
Iahr ihr non plus ultra
erreicht.

/δ_Z_23

/ein Tausendkünstler in den
Wissenschaften. ~

/|P_122

/Die Mikrologen sind von den Genie's unterschieden, sie
können viel Scharsinnigkeit beweisen, taugen aber nicht zu großen
viel umfassenden Sachen. Dem Mikrolog ist der extendirte Kopf
entgegengesetzt. Es giebt cyclopische Gelehrsamkeit, «¿¿»wo
viel historisches Wesen ist, doch die %.Urtheilskraft fehlt, in wie fern
die Kenntniße richtig sind und angewandt werden können. Das
ist Polyhistorie, dieser Name kommt eben daher weil das
meiste darin, in historischen Kenntnißen besteht. Salmasius
(Saumaise) %.und Iulius Caesar Scaliger waren Polyhistoren.
Bei Plato war mehr Genie, bei Aristoteles mehr Verstand.
Montucla sagt in seiner Geschichte der %.Mathematik es habe im
Alterthum nur einen Archimedes, %.und in der neuern Zeit nur
einen Newton *1 gegeben. Auch Leibnitz war kein Original-
genie. - Selbst nicht Leonardo da_Vinci, welcher doch
so zu sagen, alles war, er besaß nemlich alle Wissenschaften,
%.und Kenntniße, war der gröste Mahler %.und Bildhauer seiner
Zeit pp stellte dabei selbst eine sehr schöne Figur vor, und
was noch weit mehr als dieses alles ist, er war ein complett
rechtschaffener Mann. Er starb in den Armen Königs Franz_V.

/Naturalisten einer Wissenschaft nennt man diejenigen
welche ohne Anweisung %.Wissenschaft erlernt haben. Doch mangelt
da das Fundament. Die Leichtigkeit einer Ausübung «geschieht» <entsteht>

/|PR_122_Z_2

/Esprit bedeutet %.Verstand %.und Witz
da haben die %.Franzosen keinen
Unterschied.

/δ_Z_12

/Der doch noch %.kein %.Original %.Genie ~

/|P_123

/durch öftere Wiederholung, wodurch eine Fertigkeit ent-
steht, aber auch eine Nothwendigkeit, die nennt man An-
gewohnheit. Z. E. man kann sich das Flükwort oder die Miene
eines andern angewöhnen, wenn man es ihm oft nachmacht.
Wenn ein Flükwort gleich ein gutes Wort ist, so taugt es
doch nicht, denn das Gute muß nach Grundsätzen %.und nicht
durch Angewohnheit ausgeübt werden. Bey der Angewohnheit
findet Hülfe statt. Die Angewohnheit wird nothwendig,
%.und bei ihrer Erhaltung schädlich. Man muß alles in der Welt
thun %.und erdulden können, d. h. man muß an alle Handlungen
und Leiden sich gewöhnen, und es ist nicht gut wenn man es
nur mit gewißen Handlungen %.und Empfindungen so macht.
Denn eine Gewohnheit ist jederzeit ein Mechanismus,
und der muß vermieden werden. Der Mechanismus in
Ausübung der Fähigkeiten ist dem Genie nicht zuwider. Aber
der Mechanismus muß in der Unterweisung aufhören
wenn auch die Genie's nicht wollen. Er ist nothwendig,
in Ansehung des Gedächtnisses %.und der Materialien, die gefaßt
werden sollen.

/%.Anmerkung Hier ist der erste Theil vom %.Erkenntnisvermögen zu Ende, %und es
fängt an der 2te - 

/|P_124

/ ≥ δ_33ste Stunde %.Mittwoch den 4ten Ianuar 179«1»2

/ ≥ &¿&. Vom Gefühl der Lust und
Unlust. ≤

/Nachdem wir die Erkenntnißkräfte des Menschen erwo-
gen haben, so gehen wir nun zu seinem Gefühl von der
Lust %.und Unlust, und zu seinen Gründen der Thätigkeit über.

/Gefühl generaliter genommen ist das Subjective unsrer
Vorstellung, was keine Erkenntniß seyn kann. %.Empfindung
ist das Genus %.und Gefühl die Species. Empfindungen können
auch Erkenntnißstücke werden. Alle unsere Vorstellungen
von Farben, oder vom sauren %.und süssen Geschmak sind Empfindungen.
So auch Licht, kann ein Erkenntnißstück werden; man braucht
diese Empfindungen, um sich die %.Beschaffenheit eines Gegenstandes vor-
zustellen. δ_Lücke Lust %.und Unlust sind subjective Empfindungen,
denn ich kann es von keinem Gegenstande ausser mir sagen, sie
liegen also blos in mir. Das Angenehme liegt freilich im
Gegenstande, als z. B. in der rothen Farbe, sagt man aber, überhaupt
es ist angenehm,*1 so ist es blos %.subjektive %.Empfindung in mir. Lust ist die
Beziehung meiner %.Empfindung auf ein Subject. Gefühl der Lust ist
dasjenige Gefühl, welches Grund und Ursache <im %.Gemüt> hat sich selbst zu
continuiren fortzusetzen, dagegen ist das Gefühl der Unlust
ein<e> solche«s» Empfindung, welcher los zu werden, das Gemüth sich bestrebt.

/|PR_124_Z_17

/*1 In sofern können Gefühle
nicht Erkenntnißstücke werden. ~

/|P_125

/Die Gegenstände aus denen das Gefühl der Lust %.und
Unlust entspringen, werden nach der Verschiedenheit
desselben genannt;

/1.) angenehm, (%.oder schmerzlich)

/2.) schön, (oder %häßlich)

/3.) gut, (%oder böse.)

/Das Angenehme ist der Grund der Lust %.und Unlust durch
den Sinn (%oder Empfindung) - %oder ist das das, was uns in
der Empfindung gefällt %.und vergnügt.

/Das Schöne *1 ist der Grund der %.Lust %.und %.Unlust durch die Reflection,
(Geschmak) - Oder was uns in der Erscheinung ohne Geschmak

/Das Gute ist der Grund der Lust und Unlust, nur allein
durch Begrif der Vernunft möglich, - oder es ist das
was uns im Verstande gefällt.

/Das Angenehme vergnügt,

/Das Schöne gefällt

/Das Gute wird gebilligt, in Beziehung auf den Zweck.

/Diese Ausdrücke sind sehr verschieden, %.und oft einander entgegen-
gesezt. - Wenn wir den Socrates in Ketten %.und Banden,
und den Caesar vom ganzen Rath begleitet, betrachten,
so gefällt der Zustand Caesars dem Geschmak %.und der %.Empfindung mehr

/|PR_125_Z_10

/*1 Es gefällt nur in
der puren reflektirten
Anschauung. ~

/|P_126

/der Verstand aber zieht den Zustand des Socrates vor. Vieles
gefällt, aber vergnügt nicht, z. E. wäre uns die Tugend so
angenehm als sie gefällt, (gebilligt wird) so würde jeder-
mann tugendhaft sein, denn sie ist das höchste Gut, %.und alles
außer ihr gehört blos zur Annehmlichkeit, aber leider ver-
gnüget sie an sich selbst nicht. Angenehm ist dasjenige wo-
von uns das Daseyn gefällt. So erkennen wir von vielen
Dingen daß sie schön sind, wie z. B. Von einem prächtigen
Pallast mit Kolonnaden, aber angenehm finden wir ihn <nicht>,
denn an seinem Daseyn können wir eigentlich keinen Gefallen
finden. - Also nur das, dessen Daseyn uns gefällt,
vergnügt die Empfindungen.

/Das wahre Gute muß stets durch den Verstand erkannt
werden, %.und dies sind die verschiednen Arten der Lust %.und Unlust.
Das Gefühl derselben aber ist vom Geschmak unterschieden.
Geschmak *1 ist nur eine gewiße Urtheilskraft im Reflectiren.
Es frägt sich nun hier, worauf der Unterschied zwischen Lust
%.und Unlust beruhe? weil sich zulezt alles auf's Gefühl re-
duciren läßt, so wollen wir zuerst das Gefühl erwegen - 
%.und das princip des Vergnügens %.und des Schmerzens aufsuchen.
Wir fühlen in allen Fällen, daß das Gefühl des Lebens alles ent-
hält, was belustigt, und daß alles, «%.und daß alles» was in uns zusammenstimmt,

/ unser

/|PR_126_Z_15

/*1 Er gehört dazu, um das
Schöne wahrzunehmen,
er schon Talent, ein dumme
%Mensch hat ihn nicht auch kein Thier
kann Unterschied zwischen
dem schönen %.und heßlichen
machen. ~

/|P_127

/unser Leben uns fühlen zu lassen, uns Lust verursachet
%.und hingegen alles, was unsre Lebensfähigkeiten bindet,
in uns Unlust hervorbringt. Wenn uns etwas belustige,
so empfindet als denn jedes Organ, wenn es nach seinem
Mechanismo in die größte Thätigkeit gesezt wird, sein
Leben ganz. Mithin liegt das %.Princip aller Lust %.und Unlust
in der Begünstigung oder Bindung unserer Lebensfähigkeit.
So empfindet z. E. das Auge das größte Vergnügen, wenn
es von Gegenständen in die möglichst größte Activitaet versezt
wird. Ist aber der Anblik von der %.Beschaffenheit daß unser Auge
gezerrt wird, %.und ein Eindruk den andern hebt, oder auch wenn
es gar keinen Eindruk hat, so empfindet es Unlust, im Fall
während der Zeit kein anderer Sinn vergnügt ist, d. h. in
Activitaet gesezt wird, so ist es auch mit dem Geschmak, was
unsre Geschmaksdrüsen in die größte Activität sezt, das
schmekt uns am besten, Es scheint, daß die Geschmaksdrüsen
am Gaumen, der Zunge, mit der Lunge sehr genau zusammenhängen,
weil man dasjenige was gut schmekt, auch gut verdauen kann.
Diese Geschmaksdrüsen sind pyramidal %.und also spitzig.
Wenn man die Salztheilchen der Speisen, diese ihre Spitze in
Bewegung setzen, so empfindet man in %.Ansehung des Geschmaks
das höchste %.principium des Lebens. Eben so ist's mit dem Gehör bewandt.

/δ_Lage_R

/|P_128

/Die in gleichen Zeiten auf einander folgende Eindrücke der
Musik bringen in einen Körper der schwenkungsfähig ist, zuletzt
eine starke Schwenkung hervor. (Daher ist's nicht rathsam
daß Soldaten welche Pontons besteigen, dabei Tritt halten,
weil die Schlag auf Schlag folgende Eindrücke der Brücke
eine solche Schwenkung geben könnten, daß sie untersänke.)
Die gleichzeitigen Töne bringen zuletzt im Ohr die
stärkste Bewegung herfür, daher verursacht die Trennung des
Cörpers einem %Menschen viel Schmerzen. Wenn aber Theile des Körpers
gedehnt werden, so ist dies eine langdauernde Hinderniß
des Lebens, %.und als denn der größte Schmerz. - 

/Zum Vergnügen gehört blos Sinn. Es befördert nicht unser
Leben, <sondern es> läßt «es» uns dasselbe stärker fühlen. Viele Vergnügen *1
scheinen %schädlich zu seyn z. E. der Sof. Wenn ein %Mensch trinkt, so
vergrössert er das Gefühl seines Lebens auf zwiefache

/Art: 1.) In Ansehung des Geschmaks,

/ 2.) In Ansehung der Berauschung.

/Die Organe schwellen durchs Trinken vom Blute an.

/Ein Berauschter empfindet keine Sorgen. Die Türken trinken
Opium, welches zwar stumpf, doch im Anfange stark %.und herzhaft
macht. Alles was unsere Sinne bindet, schmerzt. Oft sind
die schmerzlichsten Dinge doch nicht die schädlichsten wie z. B.
Zahnschmerzen. Noch niemand ist daran gestorben; dagegen
können andre ohne Schmerz wieder desto %schädlicher seyn.

/|PR_128_Z_12

/*1 d. h. ausschweifende das
Leben ruinirende.

/δ_Z_24

/So kann Z. B. die Lunge
verzehrt seyn, %.und der Kranke
merkt es nicht, wenn er nicht
etwa Treppen steigt. ~

/|P_129

/Außer dem Vergnügen an der Thätigkeit eines einzigen
Sinnes, giebt es noch ein andres aus den Theilen aller Sinne
bestehendes, ein %.Vergnügen aus dem Gefühl des gesammten Lebens.
Der lustige Abbé, der nach einer guten Mahlzeit die
weichen Polster drükt empfindet es. Sein ganzer Zustand
besteht aus einer %.Empfindung aller Sinne, wo keiner vor dem
andern hervorsticht. Der, welcher sein ganzes Leben fühlt,
ist zufrieden. Wunderbar ist es daß die %.Gesundheit %.nicht das ge-
sammte Leben fühlen läßt, ja daß der %Mensch seine Gesundheit
selbst nie fühlt, denn wir empfinden nichts als was absticht.
Indeß fühlt man doch in gewißen Augenblicken, seine
Gesundheit, z. B. nach dem Essen bei der decoction %.und digestion.

/

/Vergnügen ist das Gefühl von der Beförderung *1 des
Lebens. Schmerz, das Gefühl von der Hinderung des Lebens.
(Freilich befördert im Grunde der Schmerz das Gefühl des Lebens
denn der, welcher auf der Tortur ist empfindet es am meisten
daß er lebet, aber zu seinem grösten Unglük.) Der Schmerz
macht uns gewissermaaßen untaugbar, etwas anders zu
empfinden, %.und eben dieses enthält gewiße Hinderniße
des Lebens; fühlen wir diese Hinderniße, so ist
es Schmerz. Der %Mensch empfindet übrigens sein Leben, sowohl
im Schmerz als im Vergnügen - jeder Ademzug befördert

/ unser

/|PR_129_Z_13

/*1 Keinesweges die %.Beförderung
des Gefühls des Lebens. ~

/|P_130

/unser Leben, nur vergnügt uns dies nicht mehr, weil wir
es nicht mehr empfinden. Das Gefühl des Lebens an
sich ist also kein Vergnügen, sondern das Gefühl von der
Beförderung des Lebens; vor einer Beförderung aber
muß ein Hinderniß gewesen seyn. Also ist Vergnügen
die Aufhebung des Schmertzes.

/Greweri hat ein sehr gutes Buch über die %.Beschaffenheit des
Vergnügens geschrieben. Er sagt wir können nie unsern
Zustand mit Vergnügen anfangen. Schon sobald das Kind
auf die Welt kommt, sagt er ferner, legt es seinen Schmerz
durch ein jämmerliches Geschrey an den Tag, wie es auch
einem Wesen zukommt dem so unzählige Uebel bevorstehn.
Vielleicht scheint dies etwas exagerirt aber es ist doch wahr.

/Wir haben noch zu bemerken:

/1.) Schmerz ist immer vor dem Vergnügen.

/2.) Zween Vergnügen können nicht unmittelbar auf
einander folgen. Es schleicht sich immer ein Schmerz da-
zwischen. Das %.Vergnügen im Leben kann nie größer als der
Schmerz werden. Denn ist der Schmerz groß gewesen, so ist
auch das Vergnügen, das durch die %.Aufhebung des Schmerzes
entsteht groß, %.und so auch im %.Gegentheil.

/3.) Die allmälige Verschwindung des Schmerzens macht
kein Vergnügen, sondern nur die %plötzliche Z. B. <wenn> ein %Mensch der auf
einmal reich wird, ist die Freude größer, als wenn es nach
%.und nach geschieht. Eben so ists mit dem wiedergesund werden einer <von ihrem Mann geliebte> Frau.

/|PR_130_Z_22

/So erlischt mancher Schmerz der
%.langsam abstirbt ohne Vergnügen

/

/%.Vergleich mit einer Fontaine
@nimmt@ man den Finger %plötzlich
von der Oefnung so springt
das Wasser doppelt so stark. ~

/|P_131

/ ≥ δ_34ste %.Stunde %von 9 - 10 ≤

/Das physische Vergnügen kann nicht ohne Schmerz ge-
nossen werden, denn nur der Schmerz macht den Genuß
möglich. Z. E wenn man anfängt Toback zu rauchen, so
ist es einem anfangs ganz unausstehlich, aber auch noch denn
wenn man sich es angewöhnt hat, bedient man sich starker
Getränke, die den Geschmak geschwinde wegnehmen,
denn jeder Zug macht Schmerz, %.und indem man ihn wegbläßt,
macht es Vergnügen. Es ist eine Hemmung des Lebens der
Wärzchen auf der Zunge, %.und am Gaumen, der Speichel
belebt sie aber wieder, der durch das Getränk auf die
Art plötzlich den Schmerz aufhebt. %.Ueberhaupt gewähren
gemeinhin die Dinge, welche anfangs viel Misvergnügen
machen, in der Folge das gröste Vergnügen - In der
Musik muß bisweilen eine Dissonanz seyn damit uns
die folgenden angenehmen Töne desto besser gefallen.

/Ruhe ist nur denn angenehm, wenn Aufregung vor-
hergegangen ist. Nur der, der den Vormittag über ge-
arbeitet hat, genießt eigentlich den Nachmittag.

/Romane, Schauspiele lassen ihren Helden immer
erst große Trübsale erdulden, %.und denn wird alles durch
die Ehe gekrönt. Vielding hat einen beliebten Roman
den Tom Iones geschrieben. Er wechselt ebenfalls mit
Ungemächlichkeiten Hoffnungen pp ab, endigt sich auch mit

/ einer

/|P_132

/einer Heirath, %.und besteht aus 4 Theilen. Nun hat jemand
versucht, noch einen 5ten Theil dazu zu verfertigen (recht
wie das 5te Rad am Wagen) wo sie schon verheyrathet sind,
dieser fiel aber sehr schlecht aus. - So bald die Liebes-
pein aufhört, hört auch die Liebe auf; wir sehn also, daß
Vergnügen ohne Einmischung des Schmerzes nicht genoßen
werden kann.

/Die Natur, die uns zur Thätigkeit bestimmte, gab uns «¿»als
Stachel derselben Vergnügen %.und Schmerz. Die Unzufrie-
denheit mit dem gegenwärtigen Zustande, ist jedem %Menschen eigen,
wir streben alle nach einem neuen Zustande, %.und sind wir
darinn, so wollen wir noch einen neuen haben, %.und sind
doch nicht zufrieden. Der Mensch ist %.überhaupt nie im Genuß
desselben Zustandes, sondern stets in Gedanken bei dem
Uebergange in einen neuen begriffen. Weil bei der
Lectüre ein immerwährender Wechsel %.und Uebergang zu
neuen Gegenständen ist, lieben wir selbige vorzüglich.
Auch die Annehmlichkeit des Spiels *1 beruht blos auf
dem fortdauernden Wechsel der Zustände, weil bald
Schmerz %.und bald Vergnügen dabei unsre %Empfindung wird.

/Im Schmerz wird uns das Leben lang

/Im Vergnügen - kurz. Unsre %.Vergnügen gehn immer rück-
weise, währt %.einerlei %Empfindung fort, haben wir Langeweile.
Diejenigen die am meisten über Langeweil klagen, beschweren
sich am häufigsten über die Kürze des ganzen Lebens.

/|PR_132_Z_18

/*1 Es ist (wenn %.interessierte Neigung
wegfällt) gar nicht zu ver-
werfen. es giebt unserm Gemüth
eine gesunde Motion, die
stark mit der Motion der
Eingeweide correspondirt.

/

/Müssiggängern wird jeder
Tag lang, doch auch andern können
bisweilen Stunden in manchen
Tagen lang werden. Das ver-
floßne Leben scheint allen kurz,
man glaubt denn beinahe gar
nicht gelebt zu haben. ~

/|P_133

/ ≥ δ_35ste Stunde %.Sonnabends den 7ten Ianuar 1792. ≤

/Wir finden Menschen, deren Ruhe weder durch die Ergötz-
lichkeiten vermehrt, noch auch durch irgend einen Verlust ver-
mindert wird; ob sie auch gleich Schmerz empfinden,
und stöhnen, weil dies ein Mittel der Erleichterung der
Schmerzen ist, so wie durchs Schreyen das Blut, welches
im Schrecken nach dem Herzen zusammenfährt, wieder
dissipirt wird. Wer unter dem Schmerz nicht stöhnt, der
affectirt. Manche sind auch bei Schmerzen vergnügt, weil
ihnen das Leben doch wünschens werth vorkommt. Wir müssen
einen Unterschied machen zwischen dem, was misfällt,
%.und dem was uns zufrieden macht. Man kann viel Dinge
verlangen %.und dabey doch zufrieden seyn, weil man diese
Dinge als zur Vergrösserung seiner Glückseeligkeit dienlich
ansieht. So kann man sich größere Anmuth des Lebens wün-
schen, %.und darin aufhören wenn man sie nicht erlangt.
Bei einem solchen %Menschen ist das Leben gleichsam eine schwe-
re Masse, %.und kein Vergnügen macht ihn %sonderlich lustig,
kein Schmerz %sonderlich betrübt. Wer sie aber als %.Bedürfnis zur
Befriedigung ansieht, ist bei seinem Verlangen unzufrieden
Lustigkeit und Traurigkeit ist die Modification aller Seelen.

/|P_134

/Standhaftigkeit aber gefällt, %.und ist wünschenswerth. Das
gesezte Gemüth bewundert jeder, %.und wenn es auch keine Annehm-
lichkeit hat, so hat es auch keine Traurigkeit. Ieder wünscht
sich lieber ein geseztes Gemüth, als eine immerwährende
Freude. Denn diese ist allezeit unsicher, und es darf sich nur
etwas weniges ändern, so ist es mit der Lustigkeit aus.
Der gesetzte Mann aber hängt nicht vom Zustande ab, er
ist zwar kein Gegenstand des Neides aber auch nicht des
Mitleidens. Er besetzt sich selbst.

/Alles das, was nicht Gefühl von der Hinderniß des Lebens
ist, trägt zu unserm Wohlbefinden bei. Man ist zufrieden
wenn das erwähnte Gefühl weggeräumt ist. Die Zufrie-
denheit ist nicht positives Vergnügen. Der Schmerz hingegen, das
Gefühl von der wahren Hinderniß des Lebens, ist positiv.
Was mit der %.Zufrie«e»denheit zusammenstimmt, erfreut nicht alle-
mal. Wenn man weder im geistigen noch unkörperlichen Leben
eine Hinderniß empfindet, so befindet man sich wohl %oder
ist zufrieden. Epicur behauptete daß die Glükseeligkeit,
welcher der Mensch theilhaftig werden kann, das fröhliche %.und zufriedne
Herz sey, wenn das Vergnügen %nemlich aus dem %Menschen selbst quillt.
Wir müßen den Hang zur Fröhlichkeit und Zufriedenheit, vom
Hange zur Lustigkeit, %.und der Neigung alle Vorfälle zum
launigen Spaße zu kehren, unterscheiden. Denn wenige haben ein
fröhliches Herz, - mehrere sind lustig %.und haben scherzhafte Laune.

/|P_135

/Es zeigt sich daß die Dinge der Welt *1 den Zustand der
Menschen nicht nothwendiger Weise scherzhaft machen,
sondern daß es blos darauf ankommt, wie ein Mensch die
Sache aufnimmt, %.und von welcher Seite er sie ansieht.
Es giebt %Menschen die die Tyrannei des Schiksals gleichsam
verspotten, %.und bei alle dem, was ihnen schmerzhaft seyn
konnte, Ausflüchte wissen. Ia selbst beim Sterben weis sich
ein solcher Mensch aufzurichten, indem er Z. E. an die Kürze
des Lebens denkt, %.und daß er nicht ein Leben, sondern Iahre
zu gelegt hat«t». Das große Kunststück dazu zu gelangen,
besteht darinn, daß man sowohl den schmerzhaften als
vergnügten Augenblicken des Lebens ihre Wichtigkeit benimmt.
Der Schmerz wird als denn einen solchen %Menschen nur matt affi-
ciren, %.und der Mangel desselben wird ihm eben so gleich-
gültig seyn; als sein Daseyn. Es wird ihn kein Unglück
niederschlagen, %.und er wird immer Ursache finden, vergnügt
zu seyn, wird er an einem Orte nicht gelitten, so geht er
an einen andern, dadurch wird er nicht fühllos, sondern
er fühlt <gerne> den Schmerz %.und alles was ihm begegnet, aber
nie wird er sich seiner bemächtigen - Glückliche Gemüthsart!!
Ein Mensch zu seyn ist wirklich keine so nichtige Sache, denn
nur blos das Wohlverhalten bestimmt den wahren Werth des %Menschen,

/|PR_135_Z_1

/*1 %.Ueberhaupt alle Vorfälle
%.und Gegenstände.

/δ_Z_20

/¿¿¿ ~

/δ_Lage_S

/|P_136

/daher ist die Rechtschaffenheit das wichtigste bei ihm. Er muß
also moralisch gut leben, denn wohl %.und lange leben, ist
für den Menschen gar nichts wichtiges, und vorzüglich
begünstigt dies nur den Wahn %.und die Eitelkeit. Wir
müssen aber nicht darum eine Wichtigkeit daraus machen,
weil andere es thun. Vernünftiges Leben, %.Rechtschaffenheit
%.und Tugend sind die Waffen, gegen alle Ungemächlichkeiten
dieses Lebens. Die Kürze desselben aber kann uns am
besten in die Gemüthsart setzen, zufrieden zu seyn. Genaue
Befolgung dessen, was die Moral uns vorschreibt, damit uns das
Gewissen nichts vorwerfe, macht zufrieden, - am Ende ruhig.
Was kann ich dafür daß die Dinge der Welt nicht nach mei-
nem Willen gehen, meine %.Zufriedenheit sollen sie mir nicht
rauben, sondern ich will mich in sie schicken. Was kann
es uns am Ende unsrer Tage helfen, daß wir gut geschmauset
haben, %.und in Kutschen gefahren sind. - Nur allein also
im Wohlverhalten liegt die Wichtigkeit des Lebens. Habe
ich aber immer rechtschaffen %.und tugendhaft gelebt, so gibt
es noch eine andere Welt, so bin ich auch daselbst würdig
einen <andern> Posten zu bekleiden. So denkt der zufriedne Mann.
August, auf einer Schaubühne vorgestellt, fragt seine
Generale; Me«y»int ihr wohl daß ich die Rolle meines Lebens
gut gespielt habe? Ia antworteten sie, sehr gut! Nun
sagte er, so klatscht, und zieht den Vorhang zu.

/|PR_136_Z_21

/(NB. Dies soll %wirklich
geschehn seyn,
%.vide %.anekdoten %.großer Männer) ~

/|P_137

/Wenn wir mit dieser Zufriedenheit die Lustigkeit und
Traurigkeit vergleichen, so scheint die Lustigkeit noch einen
Vorzug vor der Zufriedenheit zu haben, denn das Lustige
besitzt gleichsam den Reichthum, der Zufriedne aber nur
das Nothdürftige. Fließt aber daraus, daß jemand
mehr besitzt als seine Bedürfnisse erfordern, daß
er auch glüklich sey? Wenn jemand über die %.Zufriedenheit
noch die Lustigkeit sucht, so sucht er etwas was er entbehren
kann. Man kann aber alle Vergnügen so genießen, daß man
dabei alle Entbehrlichkeit spüret. So kann Z. B. ein Zufried-
ner eine Music mit Vergnügen anhören, er macht sich aber
auch nichts daraus, wenn er sie ein ganzes Iahr nicht hört.
Macht man es so in allen Dingen, so hat man schon das
wesentliche der Zufriedenheit. Ein Leben ohne Vergnügen
scheint zwar kaum wünschenswerth zu seyn, allein die
Vergnügungen tragen nicht allemal zur Glükseeligkeit
etwas bei, denn die Glükseeligkeit besteht in der %.Zufriedenheit
der Summe aller Neigungen. Wenn man sich alle Vergnü-
gungen des Lebens entbehrlich macht, aller Glükseelig-
keit desselben entsagt, so vergrößern alle Vergnügen
unsre Zufriedenheit, und tragen mehr zur Glückseelig-
keit bei. Ueberdieß verlieren wir ofte auf der andern
Seite das, was wir auf der einen gewinnen.

/So schaffen uns z. E. die Comödien Vergnügen,

/|P_138

/allein wir verlieren dabei auf der andern Seite,
indem wir zu Hause auch ein gutes Buch lesen können,
%oder einen guten Freund besuchen. In der Comoedie
frieren wir, %.und hier können wir unsre Gemächlichkeit
brauchen. Unbillig aber ist es wohl daß jeder Mensch
nach Reichthum strebt, weil der Reichthum eine souveraine
Gewalt giebt, über alles was in der Macht des Menschen
steht. Er sucht dadurch alle seine Neigungen zu befrie-
digen, %.und je reicher er ist, desto mehr Gewalt besitzt
er zu dieser Befriedigung. Ob der alleinige Besitz
dieses Geldes glüklich macht, ist noch nicht ausgemacht.
Zwar ist das Bewustseyn, alle Mittel glüklich zu werden,
in Händen zu haben, sehr angenehm, denn die Geld-
«¿»chatoulle ist gleichsam ein optischer Kasten, worinn der
Geitzige Kutschen, prächtige Tafeln, Musik, pp. erblickt,
allein er hat doch nur die Macht, %glüklich zu seyn, seyn
Zustand ist nicht wirklich. Reichthum vermehrt überdies
unsre Begierde nach Vergnügen, denn man glaubt,
für Geld alles haben zu können, selbst Gesundheit und
ein ruhiges Gewissen. Behält der %Mensch sein Geld als
Mittel seine Neigungen zu befriedigen, so ists Thorheit
«d»wenn er eben damit noch mehr verdienen will, %.überhaupt
eine sonderbare Art sich des Geldes zu bedienen. Solhe
Leute weiden sich mit der Imagination, sie freuen sich
daß es nur auf sie ankommt, sich alle <Arten> von Vergnügen zu verschaffen.

/|PR_138_Z_25

/Ihr Geldklumpen gleicht
einer zauberischen Macht ~

/|P_139

/dies Vergnügen nutzt sich selbst ab, denn es hat
keine Mittel sich zu renoviren. Es giebt aber doch
einige Vergnügungen, die zu unserm Glücke wirklich etwas
beitragen, aber auch nur im Anfange. Der Mensch kann
bei sich auch nichts anders zuwege bringen als die Zufriedenheit.
Die Lustigkeit aber, welche der Grad des Gefühls von der
Verbesserung des Lebens heißt, ist ein positiver Grad des Ver-
gnügens, - größer als die Zufriedenheit. Das Gemüth aber
ist bei der Lustigkeit nicht mehr im Gleichgewicht, und stimmt
nicht mehr überein. Das Glük der Menschen besteht in der
Abwesenheit des Schmerzes und des Misvergnügens. Wenn
aber «ein» Menschen, um bei der Tafel ihr Vergnügen zu vermehren,
sich eine Tafelmusik hält, so ist die Frage: Ob sie dabei nicht
mehr verlieren als gewinnen, indem sie keinen vernünf-
tigen Discours führen können. Man überlege nur, ob es
nicht besser sey, mit einem andern guten Freunde beisammen
zu seyn, oder sich in einer großen Gesellschaft zu befin-
den, wo Musik %.und viel Lärm ist, kommt aber wohl die
Lustigkeit mit der Fröhlichkeit in Vergleich. %.Bisweilen nicht,
die <sogenannte> Lustigkeit ist zerstörend %.und räuberisch - endigt
sich mit Traurigkeit. Sie gleicht einem %englischen in der Stube
gehaltenen Windspiel, was auf Gläsern %.und Tassen herum-
springt. Es ist eine Art convulsivische Bewegung bei dem %Menschen da der
Nervensaft gleichsam über sein Ufer tritt. Daher kommt es daß lustige Leute
nach dieser %.Bewegung traurig werden, wegen Erschöpfung der Kräfte.

/|P_140

/- Die Menschen sagen, sie sind glüklich, wenn sie
gegen die, ihnen zustoßende Uebel Mittel finden; oft
nennen sie auch das, - Glük, woran sie einmal gewöhnt
sind. Daß dies wahr sey, sieht man aus dem Beispiel der
Grönländer. Man brachte einstens welche nach Dännemark,
um zu sehn ob der Contrast dessen was sie da finden
würden, mit dem was sie gewohnt waren, in ihrem
Vaterlande zu sehn, eine angenehme Empfindung ihnen ein-
flößen würde. Sie fanden in Dänemark in Betracht
gegen Grönland eine herrliche Natur, sie sahen Bäume
Gesträuche, Wälder, Blumigte Wiesen, angenehme Dörfer,
viele Menschen pp. aber alles dies wurde ihnen bald uner-
träglich; denn eben die Menge %Menschen die sie täglich umgab
wurde ihnen lästig, ohne andrer Dinge Erwähnung zu thun,
deren sie nicht gewohnt waren, %.und da sie diesen Uebeln
nicht abhelfen konnten, sehnten sie sich nach Grönland zurück.

/Man hält es allgemein für Wohlthat, wenn die Zeit
uns verkürzt wird, die Arbeit ist von der Art, daß
uns während derselben die Zeit nicht lang wird, eher
noch fast zu kurz. Also ist die Arbeit Wohlthat.
Wir finden darin unser Glük, (denn die Natur hat
uns zur Thätigkeit bestimmt), um so mehr, weil sie
stets dem Arbeitenden einen Prospect hinterläßt %nemlich Ruhe.

/|PR_140_Z_16

/%.vide ~

/|P_141

/Der Bräutigamsstand ist %glüklicher als der Ehestand, denn
er läßt immer noch einen Prospect vor sich. Geld erwerben
ist angenehmer als es besitzen, aus demselben Grunde - denn
der Kaufmann hat %unendlich mehr Ver«»gnügen, wenn
ihm seine Bemühungen gelingen, als wenn er in Ruhe
gesezt ist, %.und von Interessen lebt. - Es ist gewiß mehr
der Würde des Menschen gemäß zu handeln, als zu
genießen. - Glükseeligkeit ist also eine Idee, von
etwas, dem wir nachjagen, was wir aber noch nicht erreicht
haben, denn wäre dies schon geschehn, so könnte man es
nicht mehr Glückseeligkeit nennen. Unser vergangenes
Leben genießen wir nicht, es scheint verschwunden zu seyn.

/Wir können uns einen Fond der Zufriedenheit denken,
den ein jeder Mensch haben muß. Ein Mensch wird ver-
ächtlich, wenn er weibisch traurig beim Unglück ist, %.und
sich zu sehr bei seinem Glücke freut, der leztere beträgt
sich wie ein Kind, indem er nicht vorher sieht, daß wenn
er dieses Glück lange besessen hat, er es wieder ver-
lieren kann, %.und neuen Wünschen nachhängen wird. Wer
die Erbschaft im Prospect hat, ist gewißermaaßen
glüklicher, als der, welcher sie besitzt. Die Idee von
den meisten Dingen (denn viele könnte man doch aus nehmen)
ist angenehmer als der Genuß, der Vorschmak %.angenehmer als der Nachschmak.
In den Sterbelisten in London findet sich daß immer mehr Menschen

/ aus zu %.großer Freude,

/|P_142

/aus zu großer Freude, als vor Betrübniß gestorben
sind, nicht als ob es mehr Freude in der Welt gäbe, son-
dern der Grund liegt darinn: Wir geben uns Mühe
der Betrübniß zu widerstehn, bei der Freude aber han-
deln wir ganz anders, wir überlassen uns ihr ganz,
oft zu sehr. Der Mensch vertieft sich in den vor-
stellenden Genuß der Glückseeligkeit, er hat keine
Macht sich zu finden, und die Natur wird zerrüttet.
Zufriedenheit muß gesucht werden, in dem Vermögen
entbehren zu können. Wenn der Mensch fühlt daß er
Bedürfniße hat, die in der Natur nicht gegründet sind,
so ist er schon unglüklich. Der Luxus %.und das Wohlleben ist
dieser Zustand. z. B. %.Anmerkung zum Luxus gehören die schönen Tücher
die mit einer aus Fernambukholtz verfertigten Färbe
zubereitet werden. Ganze Schiffsladungen Fernambukholz
werden zu dem Ende aus Brasilien gehohlt, die Eingebohrnen
lachen hierüber, einer frug einmal den Besitzer des Schiffs,
warum <er> es thäte, %.und da er zur Antwort erhielt: ich thue es
damit meine Nachkommen keinen Mangel an Tüchern haben
so erwiederte der Brasilianer: Hieraus sehe ich
daß ihr Mären *1 alle Narren seyd.

/Die Genügsamkeit kann als denn leichter statt
finden, wenn jemand es noch nicht versucht
hat, viel zu genießen.

/|PR_142_Z_19

/*1 Mären zeigt bei ihnen
soviel als Europäer
an, «%und» man weis aber gar
nicht, woher dies Wort
seinen Ursprung habe. ~

/|P_143

/In Ansehung des Wechsels des Guten <Angenehmen> %.und Bösen <Unangenehmen> sind
zwey Ausdrücke: (%nemlich wie man sich dabei verhält)

/1.) Gleichmüthig - ist der nie durch seine Empfindungen
außer Fassung gebracht wird.

/2.) Gleichgültig - ist der der nicht leicht durch irgend
etwas afficirt wird. Dieß sezt eine gewiße Un-
empfindlichkeit voraus, welche keinesweges zu loben ist.
Dagegen ist Gleichmuth sehr zu empfehlen. Ein Mensch
der ihn besizt muß Grundsätze haben; er erfreut %.und
betrübt sich nicht, oder thut doch wenigstens beides
ohne Affect. (Affect ist die Bewegung des Gemüths, wo-
durch jemand aus einer Fassung gebracht wird

/Freude %.und Traurigkeit entspringen aus der Reflexion
über unsern Zustand. Nur nach der Vergleichung seiner
selbst mit andern fühlt man sich glüklich, oder unglüklich.
Z. E. Wüsten wir daß niemand etwas besseres hätte, als Ger-
stenbrey, so würde sie uns auch ganz treflich schmecken. - 
Gleichmüthigkeit ist dem läunischen Zustande entgegenge-
sezt. Läunisch ist ein Mensch der wider seinen Willen im Gemüths-
zustande sich verändert, so daß man nie weis wessen man
sich zu versehn hat. Läunisch von lunatisch mit dem Monde wechselnd
wetterwendisch. Das %.Läunische äussert sich da wenn der %Mensch aufgebracht
wird, da andre sich dessen am wenigsten vermuthen; Solche sehn am
schärfsten auf jede nichts bedeutende doch so geringe %.Abweichung der Regel.
Der Bauer nennt so einen, einen lynischen Hund *1

/|PR_143_Z_20

/- ist sehr unterschieden
von launigt, welches die
Eigenschaft eines Talents
ist welches original im
Denken %.und handeln ist.

/

/*1 Wenn man den @anredet@
freundlich anredet @antwortet@
er mit bitterkeit %und gleicht
darin beißenden Hunden. ~

/δ_Lage_T

/|P_144

/ ≥ δ_36. %.Stunde %Sonnabends von 9 - 10 der 7te %.Ianuar

/Eine beharrlich gute Laune *1 ist eine vortrefliche Gemüths-
stimmung, die auch für andre vortheilhaft ist. - Wenn
man die Uebel des Lebens aus einem lächerlichen Gesichtspunkte
betrachtet, so geschieht dies aus einer besondern Gemüths-
Disposition, nach welcher man alles aus einem ganz andern
Gesichtspunkte betrachtet, als die übrige Welt, so war auch
Demokrit einzig in seiner Art, eben so auch Heraclit,
der den %Menschen als ein Geschöpf betrachtete, das immer mit
Elend und Kummer umgeben wäre. Die Laune des erstern
ist der Laune des Leztern vorzuziehn. Launigte Männer
%.und eine solche Schreibart lieben wir; denn die gewöhnliche
Beurtheilung hat nichts Aufweckendes.

/Empfindsamkeit ist der Gegensatz von Empfindseeligkeit.
Empfindsamkeit ist eigentlich das Vermögen, sich denen
Empfindungen, die «g»aus einer Idee entspringen, zu überlassen.
Empfindseeligkeit ist eine Affectibilitaet, Affectation der Empfind-
samkeit. - Delikatesse *2 ist würklich nichts anders als Emp-
findsamkeit (man glaubt dies Wort nicht ins Deutsche über-
setzen zu können,) Delikatesse hat man 1.) in %.Ansehung der
Frauenzimmer, d. h. wenn man gleich bis weilen Gelegenheit
hätte, ihnen Reprochen zu geben, es aber doch nicht thut.
2.) zeigt man sie in einer Art von Feinheit andere zu beur-
theilen, ob es ihnen unangenehm ist %oder nicht.

/|PR_144_Z_1

/*1 Sie findet am %häufigsten
bei der Frömmigkeit die in
Reinheit des Herzens besteht,
statt.

/δ_Z_14

/Empfindsamkeit ist das
Vermögen %Empfindseeligkeit
der habitualismus.

/δ_Z_16

/*2 besteht in dem Wohlwollen
andrer Unannehmlichkeiten
zu übernehmen. ~

/|P_145

/Ueberhaupt besteht sie im Wohlwollen, andere ge-
wißer Unannehmlichkeiten zu überheben. - Empfind-
seeligkeit ist die Nachäffung eines theilnehmenden Gemüths.
Diese Denkungsart ist bei den Männern am ekelhaftesten.
Den Frauenzimmern die damit Parade machen, über alles
gleich gerührt zu seyn, kann man es eher verzeihen. Aber
eine solche Mannsperson die immer weint %.und kläglich thut,
ist unausstehlich; er denkt, wenn er nur mitheult, so ist's genug
es ist aber nichts mehr als: es weinen zwey: er aber weis sich
nicht anders zu helfen, als daß er mit in den Klageton einstimmt.
- Derjenige der eine mürrische Laune hat, ist auch wieder
ausgelassen frölich. Das beste ist dieses: man kann nicht immer
frölich seyn, man muß sich aber bemühen, gleichgültig zu seyn,
um zum Vergnügen anderer beitragen zu können, %.und nicht
hinderlich zu seyn. Gute Laune in Ansehung seines eige-
nen Unglüks, ist eine gewiße Delicatesse, andere nicht
zu belästigen.

/Es giebt auch Leute die eine scherzhafte Laune haben; die
Franzosen nennen sie humeur, wiewohl humeur eigentlich
eine üble Laune anzeigt. Die Menschen haben ein Ver-
gnügen den Dingen einen Werth zu geben, nach Beschaffenheit
des Gesichtspunktes, in dem sie selbige ansehn wollen. So
So sieht z. E. jemand einen Aufzug oder große Ceremonie.

/|P_146

/mit vielen Ehrerbietigkeiten, dagegen der andre dazu
lacht. Es liegt also die Wichtigkeit einer Sache blos in der
Art, wie sie jemand ansieht, und also ist nöthig:

/1.) daß man die Sachen in ihrem wahren Lichte besehe.

/2.) daß man sie so ansehe, wie es der Beschaffenheit der
Seele am heilsamsten ist. Bloß Wahn %.und Thorheit haben
denen Dinge einen falschen Werth gegeben. Betrachtet
man von dieser falschen Seite die Menschen, so scheinen
sie bald beneidens, bald bemitleidenswerth. Das forschende
Auge aber sieht sie alle in der wahren Gestalt, nemlich
in der Narrenkappe. Der Thorheit hängt man nach aus Nei-
gung zur Ernsthaftigkeit,*1 %.und den wichtigen Geschäften aus
Zwang. Ein ruhiger zufriedner Mensch findet bei allen
Widerwärtigkeiten etwas, woraus er einen Scherz machen
und sich beruhigen kann. Der rechtschaffene Großkanzler
in England hatte eine so glükliche launige Gemüthsart. Wenn
ihm eine Sache widrig seyn wollte, so sahe er ob er sie nicht
zum Spaße brauchen könnte, aber nicht zu schaalem Witze.
Als er seinen Kopf bereits auf den Block legte; so sagte
er zum Henker: er solle ihm nur nicht den Bart abhauen,
denn dieß stände nicht in seinem Urtheil. Und so haben
manche Menschen von Natur die glückliche Gemüths-dis-
position daß sie den Dingen die Wichtigkeit nehmen können.

/|PR_146_Z_12

/*1 Sie grenzt an
Kummer. ~

/|P_147

/Bei den Dingen, denen man die gröste Wichtigkeit bei-
legt, ist nichts anders, als ein großer Lerm über thörichte Ab-
sichten. Die Lustigkeit, ein positiver Grad des Vergnügens ist
räuberisch, indem sie uns andre Vergnügen nimmt, da wir
dem einen nachhängen, und sie verschwendet die größten Kräfte
der Seele, daher man lustige Leute ohne irgend eine Ursache
auf einmal traurig sieht. Die Traurigkeit ist das Urtheil
über das Elend des Zustandes, und kommt von der falschen
Schätzung her. Wir finden, daß wir sie gar nicht leiden
können, daher entfernen wir uns gerne von traurigen Leuten,
%.und verweilen wir auch bei ihnen, so geschieht's nur, um nicht
den Namen eines kalten, oder gar schlechten Freundes hören
zu wollen. Dahingegen bleiben wir gerne in Gesellschaft
desjenigen der Schmerz erduldet, %.und so großmüthig erträgt.
Aber auch einen lustigen Menschen ertragen wir nicht leicht,
theils, weil wir ihn verächtlich finden, theils weil wir sehen,
daß ein Schmerz der ihm zustoßen könnte, ihn eben so kraft-
los machen würde, theils aber auch, weil wir neidisch zu
werden anfangen über seine gute Gemüthsart. Der Schmerz
sowohl als die Freude müssen communicativ seyn, und
dieß geschieht, wenn sie die Mittelstraße nicht über-
schreiten, und in der Empfindung bestehn. In einen solchen

/|P_148

/Zustand sich zu versetzen, ist möglich, wenn man sich
von Iugend auf übt, von angenehmen %.und unangenehmen
Gegenständen die Gedanken sogleich abzuwenden, denn
das Gegentheil verschlimmert sogleich den Charakter.
Die Traurigkeit %.und das Vergnügen bringen nicht allein
die gegenwärtige Empfindung hervor, sondern auch das
Voraussehn daß es künfighin %.entweder besser %oder ärger
werden kann. Es ist doch etwas besonderes, daß die Alten
den Tod als ein Mittel der Aufmunterung brauchten,
daher auch der Beschluß ihrer Grabschriften beständig so
lautet: Sey vergnügt, brauche dieses Leben, weil du in
kurzem das bist, was der Verstorbene %.gegenwärtig schon ist.
Die Alten suchten nicht wie wir Furch %.und Schrecken durch
den Tod zu erregen. Auch ist merkwürdig daß einige alte
Völker ihre Todten verbrannten, z. E. die Römer, die
alten Preußen, andre sie einbalsamierten, wie die Aegypter.
Beide standen in der Meinung, dem Leichname dadurch einen
Gefallen zu erweisen, die erstern sezten ihn darinn,
die Seele von der Verbindung des Körpers ganz und
gar zu trennen, %.und leztere hingegen die Gemeinschaft
der Seele mit dem Körper noch zu unterhalten.
Der Geschmak ist von der Empfindung dadurch zu unter- 

/|P_149

/scheiden, daß die Empfindung eine Lust, über meinen
eignen veränderten Zustand ist, der Geschmak aber eine
Lust in der Anschauung ist, die wir von dem Objekte haben.
In einigen Organen haben wir mehr Erscheinung als Empfindung,
in andern umgekehrt. Eine gar zu große Empfindung hindert
das Urtheil von der Aufmerksamkeit aufs Object. So können
wir z. E. wenn wir aus einem finstern Keller auf einmal ins
Licht oder an Schnee kommen, nicht auf die herumliegende
Gegenstände acht haben, %.und sie bemerken. Ein Grund der Lust,
der in der Erscheinung ist, heißt das Schöne. Der Grund der Unlust
heißt das Heßliche. Eine Lust aus der Anschauung genommen,
vergrößert unsre Glükseeli«ch»gkeit nicht im mindesten, und
ist weiter nichts, als das Verhältniß meiner Erkenntniß
zum Object. Wenn aber die Schönheit unser Wohlbefinden
vermehrt, so daß wir den Gegenstand noch einmal zu
sehen wünschen, so ist sie schon mit einem Reitz verknüpft.

/Melancolische Personen sehen es ungern, wenn andre
Menschen um sie heitern Sinnes sind, sie gönnen niemanden
Fröhlichkeit, ja sogar sie lieben nicht einmal heiter
Wetter, sondern haben es am liebsten, wenn der Himmel in
heftigen Regengüssen auch so weint <wie> sie.

/Sich zu Gemüthe ziehen heißt sich ganz dem Schmerz über
irgend eine Sache überlassen. Etwa«s»ß

/|P_150

/Sich zu Herzen nehmen heißt, sich in so fern dem
Schmerz überlassen, als er eine Triebfeder ist, Uebel
abzuhalten.

/Das zu Gemüthe ziehn ist eine vergebliche Quaal. Den
Tod eines andern kann man nicht zu Herzen, sondern
zu Gemüthe ziehn. Man muß eigentlich sich nichts zu
Gemüthe ziehn, aber alles zu Herzen nehmen. Dahin gehört
die Reue und Busse welche in sofern gut ist, wenn man
das gethane Uebel zu Herzen nimmt, aber die müßige,
fruchtlose Reue, wodurch das Geschehene nicht ungeschehn
gemacht werden kann, ist das zu Gemüthe ziehen, welches
nichts nützet, denn blosse Reue hilft nichts, man muß
sich plötzlich resolviren ein besserer Mensch zu werden.
Von allen Vergnügen können wir steigen, und alles Ver-
gnügen muß steigen, denn wenn es nicht steiget so sinkt
es. Daher ist es besonders für junge Personen gut, daß
sie sich viele Vergnügen versagen die für Männer gehören,
sie müßen sich den Genuß ersparen für die Zukunft. Ge-
setzt auch man stirbt, so wird man nicht darüber betrübt
werden, daß man Vergnügen nicht genoßen hat. Denn was
sind genoßene Vergnügen in der Folge? - nichts noch zuweilen
abgeschlagene angenehmer. Nur das Gute was man gethan
hat, nur das erfreut uns am Ende des Lebens.

/|PR_150_Z_19

/Besonders denn, wenn
sie nur Genuß sind, %.und
keine Cultur bei sich
führen. ~

/|P_151

/Nicht nach der Summe des Vergnügens und des Schmerzes
schätzen wir das Glük, sondern nach dem Maasstabe, ob
es vorher oder nachher gekommen. Denn wenn selbst
das ganze Leben irgend eines Menschen unglüklich ver-
flossen wäre, und er nur den lezten Tag seines Lebens
recht angenehm %.und zufrieden vollbracht hat, so hält man
ihn für glüklich. Eben so ists auch mit einer Tischge-
sellschaft die während der ganzen Mahlzeit nicht %sonderlich
vergnügt gewesen ist, kommt nur am Ende ein recht lustiger
Einfall, so werden sie alle dadurch zu einer freudigen
Stimmung gebracht. Also hat man Ursache stets auf den
Nachschmak unserer Vergnügen zu sehen, ist dieser gut, so
sind sie vollkommen. Ob unsere Grundsätze fest sind, das
kann man nur erst nach langen Zeitverlauf gehörig prüfen,
erst dann kann man mit Zuverläßigkeit sagen, ob sie
Stich halten - oder ob wir <uns> nur blos <mit> dergleichen angeneh-
men Vorspiegelungen getäuscht haben. Es ist ein sehr
falscher, trauriger Grundsatz, womit viele sich lange
hinhalten - Ende gut alles gut. Sie rasen in das Leben
hinein, und denken am Ende wollen sie auf einmal *1
gute Menschen werden. - - Als «E»ein Missethäter der einige
Zeit gefangen gesessen gefragt wurde,: wiefern er sein
Leben, wenn er sollte befreyet werden, künftig bessern
würde, antwortete *2 er: darüber kenne ich mich noch nicht so genau.

/|PR_151_Z_20

/*1 @vct@

/δ_Z_24

/*2 Klüger als die Frage
war. ~

/δ_Lage_U.

/|P_152

/ ≥ δ_37ste Stunde %.Mittwoch 11 %.Ianuar

/Dasjenige Vergnügen, was zu gleich Cultur ist, kann
am längsten genoßen werden, denn es macht uns ver-
mögend, das Vergnügen fernerhin zu genießen. So ist
das Essen %.und Trinken nicht Cultur, denn je mehr man ge-
gessen hat, je weniger kann man noch essen. Unter die
Vergnügungen der erstern Art, welche dauerhaft sind,
gehören die des Geschmaks und des Umgangs. Denn durch
diese werden wir immer mehr cultivirt %.und verfeinert.
Man kann hieher rechnen die idealischen Vergnügen im
Gegensatz von den physischen. Iene entspringen blos
aus der Einbildungskraft, aus Vorstellungen %.und Gedanken,
%.und sind am dauerhaftesten, diese nutzen <das Vermögen zu genießen> sich selber ab.
Dieses Gefühl welches abstumpft, steht also weit
unter dem welches Cultur bringt. Das physische Ver-
gnügen kann auch in so fern zum %idealischen gehören, wenn man
es sich zum Prospect macht. Generaliter gehört hieher
die Iugend, die sich eine Ehe oder %.Vorstellung vom %.andern %.Geschlecht macht,
Vergnügen mit Geschmak verbunden ist das dauer-
hafteste, es stärkt das Vermögen des ferneren Genußes.
Von der Art ist auch der Umgang *1 mit wohlerzognem
tugendhaften Frauenzimmer.

/Luxus - wird nicht vollkommen ausgedrükt durch Ueppig-
keit, denn diese zeigt an: Unmäßigkeit sich gewißen Vergnügen
zu überlassen. (%.und dies ist ein Tadel) Luxus läßt sich gar
nicht ins Deutsche übersetzen. Der Franzose giebt dem

/|PR_152_Z_20

/*1 Er ist ein Vergnügen
welches cultivirt. ~

/|P_153

/Wort eine %.französische Endung, %.und sagt Luxé, dies kann aber
der Deutsche nicht, dessen Sprache überhaupt den Vorzug
hat daß man alle fremde Wörter die sich in ihr befin-
den, sogleich erkennen kann. Luxus ist die Neigung des Zeit-
alters, zu einem entbehrlichen Aufwande mit Geschmak.
Man auch wohl denjenigen der in Ansehung des Entbehr-
lichen Aufwand macht einen Verschwender. Luxus ist:

/1.) Die Würkung einer großen Cultur.

/2.) würkt er selber auf die Cultur, weil er mit
Geschmak eingerichtet, %.überhaupt ideal ist. Der Geschmak
wird dadurch Vergnügen; %.und Vergnügen läßt sich
als solches in tausend Mannigfaltigkeiten vermehren.
Wenn der Aufwand auch auf das entbehrliche ver-
wandt wird, so folgt doch der große Nutze daß die In-
dustrie dadurch befördert, und ungemein belebt wird.
Viele sonst müßige Hände erhalten dadurch Arbeit,
Der Geschmak, die Zierlichkeit %.und %.Annehmlichkeit im Umgange, wird
dadurch cultivirt. Die schlimme Seite des Luxus ist:
Er kann auch so beschaffen seyn, daß das gemeine Wesen
dadurch leidet in Ansehung des Unentbehrlichen, wenn nemlich
durch den Aufwand gar zu viel %entbehrliche Dinge verbraucht
werden. So sagt Rousseau: Manche Menschen, die
sich sehr viel Mehl auf den Kopf streuen, bewirken
eben dadurch, daß viele keins in der Suppe haben.

/|PR_153_Z_2

/(gleichsam eine
gewiße Keuschheit) ~

/|P_154

/Gesetze «s»wider den Luxus heißen auch Aufwandsgesetze,
sie sind aber nicht rathsam, denn der Luxus wird wirk-
lich nicht dadurch vermindert, sie verfehlen überhaupt
ihre Wirkung, denn die Menschen verfallen auf ein
ander Object, wenn ihnen eins untersagt wird; die
Industrie würde dadurch gehemmt, %.und wo würden
die Menge Menschen bleiben, die dadurch sich ihren
Unterhalt erwerben. Vor alten Zeiten war weniger
Luxus, aber es war auch weniger Antrieb zur Arbeit.
Solche Artikel sind rathsam zu verbieten die von
auswärts kommen, (da man überdieß scheint hiedurch
den einheimischen Vorzug zu gestatten) und deren
Werth vorzüglich auf der Einbildung beruht Z. E.
englisch Tuch. %.Ueberhaupt kann man nur durch Klugheit
nicht durch Zwang den Luxus einschränken. In einem
Buch über den Nationalreichthum wird gesagt: - - - Fürst@en@
sind die grösten Verschwender, ein Friseur ist kein
productiver Arbeiter, aber wohl ein Perüqenmacher.
Bei dem lezten bringt eine Arbeit die andre hervor.
Ein Engländer gab folgende %.Definition des Luxus an: %.Luxus ist
das Uebermaaß der Vergnügen, welche weichlich machen.
Dies kann wohl von dem schädlichen Luxus gelten. - 
Home (in seinen %.Betrachtungen über den %Menschen) sagt fahren macht weich-
lich, aber nicht reiten, also gehören Kutschen zum Luxus

/|PR_154_Z_17

/Auch Bediente sind nicht
productive Arbeiter,
sie bringen nichts %.verdienstliches
hervor. ~

/|P_155

/aber nicht Reitpferde. Er rühmt auch ferner, daß
die Vergnügen seiner Nation von der Art wären,
daß sie nicht weichlich machten wie z. B. Wettrennen pp.
aber sie können auch so beschaffen seyn, daß sie durch Ue-
berspannung die körperlichen Kräfte ruiniren.

/Das sustine et abstine der Stoiker, aushalten %.und aus-
dauern, in Summa, daß wir uns Vergnügen versagen
ist das wahre Mittel, uns Vergnügen zu erschaffen. Der
Mensch de«s»r es auf Vergnügen nicht anlegt, genießt ge-
rade am leichtesten das Vergnügen, %.und der welcher es sich
versagt, genießt es am meisten.

/Wir sind auch noch fähig eines Vergnügens oder Schmer-
zes von höherer Art, nemlich eines Wohlgefallens %.und
Misfallens sowohl am Schmerz als auch am Vergnügen.
Ein Gegenstand kann angenehm seyn aber doch misfallen,
weil wir nicht damit zufrieden sind, daß er uns ge-
fällt. Z. E. ein Sohn der einen strengen Vater hat, %.und in
Verlegenheit ist, freuet sich auf die Erbschaft, er wird
aber doch den Grund dieser Freude sich sehr reprochiren,
welche er nicht verhüten kann. Ein Adjunctus, wenn er
sagt, Gott wolle den Prediger noch lange erhalten,
so lügt er, und wenn er sich in Bedrängniß fühlt,
so hat er doch einen angenehmen Prospect, den er nicht ver-
hüten kann - tanquam vultur expectat cadauer. - 

/|P_156

/Ein Gegenstand kann unangenehm seyn aber der Schmerz
kann gefallen. Von dieser Art sind die Schmerzen aller
Leiden von denen man sich nicht will trösten laßen z. E. eine
Tochter über den Tod ihres Vaters, eine Gattin über ihren
Mann. Von der Art ist die Reue wegen eines Uebels oder Ver-
sehens, daß wir über dem Schmerze brüten; und ihn uns
nicht entreißen lassen, denn wir fühlen uns schuldig, %.und schätzen
uns hoch, daß wir den Schmerz haben, er gefällt uns, %.und wir
approbiren daß wir uns selbst Vorwürfe machen. Ein
solcher, der sich nicht %innerlich betrübt und sagt: was ist zu thun
ist kein guter %Mensch. Die Ursache des Wohlgefallens liegt auch da-
rinn, die Vernunft sieht es als eine Art von Pflicht an, einen
Schmerz zu fühlen. Es ist aber auch viel phantastisches dabei,
%.und der, welcher sich zu sehr härmt, ist auf immer (verloren).

/Ein Vergnügen kann auch noch überdem gefallen,*1 z. E. Iemand
lieset gern alte Classiker %.und Dichter, der empfindet nicht allein
an der Sache selbst Vergnügen, sondern auch noch ein besondres
Wohlgefallen an sich selbst, daß er im Stande ist, so etwas
zu thun.

/So kann auch ein Schmerz noch zugleich besonders misfallen,
nemlich nicht allein durch seine Unannehmlichkeit an und für sich,
sondern auch durch das Mißfallen welches man zugleich über sich
selbst empfunden hat. ZE. Neid, dem Neidischen sebst ist es unan-
genehm, daß er neidisch ist. Betrübt zu seyn über das Gute anderer,

/|PR_156_Z_15

/*1 d. h. daß die Vernunft es
billigt, wenn die Empfäng-
lichkeit für dies Vergnügen
zu billigen ist. ~

/|P_157

/was einem gar nicht hinderlich ist, ist häßlich. Der Menschenhaßer
misfällt sich selber, indem er andere beleidigt.

/ ≥ δ_38ste Stunde %von 9 - 10 ≤

/Das Vergnügen, was wir uns selbst erwerben, gefällt mehr
als das, welches wir durch den Zufall erhalten. z. E. das erwor-
bene Geld. Man freuet sich immer, daß wir für die Arbeit
Geld bekommen, und der Prospect des Genußes enthält bisweilen
mehr Vergnügen, als der Genuß selbst. So schämt *1 man sich
etwas in der Lotterie gewonnen zu haben, weil man dabei
gar keinen Fleiß hat anwenden können. Die Lottospiele
sind wirklich dem gemeinen Wesen sehr schädlich, sie erfüllen
die Menschen mit Phantasien, und mancher traut seiner Phantasie
und glaubt dadurch glüklich zu werden, welches doch nie angeht.

/Es ist schwer zu entscheiden was schmerzhafter ist, schuldig
oder unschuldig leiden? Doch betrübt wohl der selbstverursachte
%.und verschuldete Schmerz mehr, als der woran man nicht Schuld
ist. Die %Menschen führen aber in diesem Fall oft zweyerley Sprache.
Der eine sagt: mein Gott ich mußte soviel leiden, %.und war
doch unschuldig. Der andre: Mein Trost ist daß ich unschuldig
war. Beides läuft am Ende auf das hinaus, wenn ich un-
schuldig leide von Menschen, so entrüstet es, wenn ich von %Menschen
schuldig leide so schlägt es nieder. Derjenige der aufs %moralische
Wohlgefallen sieht, findet Trost; das Bewustseyn seiner
Unschuld macht ihm den Schmerz erträglich. Derjenige, der

/|PR_157_Z_7

/*1 Dies thut ein Rechtschaffener
%.und verwirft sich vor, daß viel
Arme %.und Elende dazu ihr
bischen Geld beigetragen
haben ~

/|P_158

/aufs physische Wohlgefallen sieht, findet Unwillen. Ihm
ist es unerträglich, daß er unschuldig leiden muß, er wünscht
lieber daß er schuldig wäre, weil ihn doch in dem Falle we-
nigstens kein Unrecht geschähe.

/Vergnügen wächst durch Vergleichung mit anderer Leiden.
Wenn man im Winter bei dem kältesten Frost, oder bei Regen
und Sturm an einem Spieltische sitzt, die bunten Karten in
der Hand, so kann man sich so voll Mitleiden anstellen;
man beklagt den armen frierenden Wandersmann, den
%vermutlich in Gefahr sich befindenden Seefahrer pp %Eigentlich
aber stellt man sich zu einer solchen Zeit, fremder Leiden,
nicht eben aus Mitleid so vor, sondern nur darum, damit
man seinen behaglichen Zustand desto besser fühlen könne.
Dies zeiget aber eben nicht einen bösartigen Charakter,
es liegt schon in der menschlichen Natur %.und ist der Erfolg von
der oppositio juxta opposita.

/Schmerz wächst durch die Vergleichung mit anderer Freude.
Der Unglükliche ist boshaft sagte einmal ein Parlaments-
glied. Etwas ist wohl daran. Der Unglükliche kann es werden
wenn er so viele Glückliche sieht. Aber immer findet dies nicht
statt, höchstens denn, wenn er sich für Unglüklich hält.

/Dem Leidenden ist es Trost, wenn er hört, daß auch andre
Leiden haben. Ia selbst in dem Leiden unserer besten Freunde,

/ ist oft

/|P_159

/ist oft für uns ein gewißes Vergnügen: - der Mensch
scheut sehr die Ueberlegenheit des andern, %.und aus diesem
Grunde kann man sagen, der Wohlthäter macht sich
Feinde. Das Spiel der Rivalitaet, welches überall
fast ohne Ausnahme herrscht, hat eigentlich die Triebfeder
aller menschlichen Handlungen in Bewegung gebracht.

/Es ist uns darum unangenehm wenn wir an einem andern kei-
nen Fehler entdecken können, weil uns nun gar nichts zur
Gegenrechnung übrig bleibt, deswegen hassen wir stets
die Superiorität des andern, - Schadenfreude ist dies
Betragen nicht, nur Rivalität.

/Es giebt noch eine Art daß man meint der Schmerz könne
vermindert werden, wenn man sich vorstellt, es hätte
wohl noch ärger seyn können. Dieser Gedanke wiegt
den Schmerz auf. <(Eulenspiegel)> Gesner sagt, Gott wolle ihn nur
vor 3 Dingen bewahren. 1.) für großes Glück, weil die %Menschen
wenn sie etwa den Arm brechen, sagen es ist ein großes
Glück daß er nicht den Hals gebrochen hat. 2.) für starkes
Getränk - welches die Mühlenräder treibt 3.) für gesunde
Speisen (medicin aus der Apotheke.)

/Glük macht weichlich, Unglük <ver>zweifelnd. Ersteres übt nicht
die Kräfte, lezteres härtet ab, wenn man sich nicht ih«nen»m
ganz überläßt. Uebermüthig durch Glük, und niedergeschlagen
durch Unglük ist verächtlich und zeigt Schwäche des Geistes an.

/|PR_159_Z_3

/%Anmerkung: Man will immer gern
mit andern %Menschen in gewißer Gleichheit
seyn, z. B. wir begnügen uns allen-
falls mit Käse %.und Brod, wenn es
nur niemand sieht, aber einen
abgeschabten Rock mögen wir
nicht gern tragen, denn so können
wir gar nicht in Gesellschaften
gehen, weil uns denn jeder-
mann unsre Armuth ansieht,
%.und wir dadurch herabgesetzet
werden. ~

/δ_Lage_V.

/|P_160

/ ≥ Vom Geschmack. ≤

/Wir haben eine 3fache Art des Wohlgefallens,:

/1.) Das Wohlgefallen durch den Sinn ist Vergnügen
im Gegensatz vom Misfallen durch den Sinn, welches
Schmerz ist - Vergnügen ist angenehm, Schmerz unangenehm

/2.) Wohlgefallen durch Reflexion, dies ist das Wohlgefallen
am Schönen, hiezu gehört Geschmack, oder Vernunft und
Sinn. Wesen die blos Vernunft und keine Sinne hätten,
würden nirgends Schönheit finden. Sie erfordert nicht
allein Sinn (Empfindung) und Verstand (Begriffe) sondern
auch Reflexion. Das Geschmaksvermögen ist ein schwer
zu erforschendes Vermögen.

/3.) Das Wohlgefallen an einem Gegenstande durch
den Begrif ist gut. Es ist das absolute Gut, was nie
schlecht seyn kann.

/Das Angenehme ist also für den Sinn.

/Das Schöne für die aestethische (%.sinnliche) Urtheiskraft, Geschmak.

/Das Gute für den Verstand.

/Das angenehme vergnügt.

/Das Schöne gefällt.

/Das Gute wird gebilliget.

/Vom Angenehmen muß man sagen, es ist mir angenehm,
und nicht, es ist angenehm. Vom Schönen muß man sagen
es ist schön, und nicht, für mich ist es schön, denn was schön
seyn soll, muß jedermann gefallen, nicht a priori durch die
Vernunft, sondern durch die Erfahrung.

/|P_161

/ ≥ δ_39ste Stunde Sonnabend den 12 Ianuar 1792. ≤

/ ≥ Von der Geschmakslehre, oder Aesthetik. ≤

/Ausführlich können wir davon nicht handeln, denn man betrach-
tet in neuern Zeiten diese Lehre als eine besondre Wissenschaft.
Wir wollen also nur die Hauptbegriffe anführen und
bei der Erklärung einiger Sprüchwörter anfangen.

/De gustibus non est disputandum. Dieses Sprüchwort
muß wie alle andre sehr eingeschränkt werden. Dieses
zeigt an, daß man über den Geschmack wohl streiten kann,
aber nicht vernünfteln soll. Denn Schönheit läßt sich
nicht beweisen, und vordemonstriren, «denn» ein jeder muß
wißen, was ihm gefällt, oder nicht gefällt, also läßt
sich über den Geschmak nicht disputiren, d. h. nicht
mit Gründen argumentiren, was schön sey. - Ein
Gedicht z. B. ist ein Gegenstand des Geschmaks, und kann
einem schön, dem andern nicht schön seyn, denn die Vernunft
ist wohl der Richter des Wahren, aber nicht des Schönen.
Man streitet also allerdings, denn einer sagt: es ist
schön, der andere behauptet das Gegentheil. Aber über
das Angenehme streitet man nicht. z. E. Wenn einer
sagt, ich trinke rothen, der andre, ich trinke weissen Wein
so wird man darin nie widerlegt werden, jeder genießt
das, was ihm am Angenehmsten ist. Es ist aber ganz et- 

/ was

/|P_162

/etwas anders, wenn von Gesundheit die Rede ist.

/Wenn ich etwas schön nenne, so kann ich nicht sagen, dies
ist schön für mich, und das für dich pp z. B. wenn ein ganz
vortrefliches Gefäß von Porcellain worauf sich eine schöne
Mahlerei befindet herum gezeigt wird, und es findet sich
etwa einer oder der andre, dem es nicht gefällt, so sagt
man von ihm, er hat keinen Geschmak, hier liegt das zweite
Sprüchwort zum Grunde:

/ein jeder hat seinen besondern Geschmak. (Chacun à son
goût.) Wer aber einen besondern Geschmak hat; hat
keinen, denn unter Geschmack verstehn wir eine solche
Beurtheilung des Schönen, die für jedermann gültig
seyn muß, denn ein Gegenstand heißt schön wenn er jeder-
mann gefällt. Das Schöne soll etwas seyn, das ein
Gegenstand der Lust ist, es ist unterschieden von dem an-
genehmen, welches ein Privat-Wohlgefallen anzeigt,
(wie auch schon oben durch %.Beispiele erwiesen) auch von dem
Guten (dies gefällt durch den Begriff) denn es geschieht durch
Reflexion. Das Intervallum zwischen den Vorstellungen
und den Begriffen eines Gegenstandes, ist Reflection. Alles
was schön ist gefällt im Gedanken, im Spiel, z. E. Musik.
Der Mensch der nicht reflectiren kann, findet kein Vergnü-
gen an einer zusammenstimmenden Musik. In der Reflection
muß etwas liegen, was dem Gemüthe behagt. Die Chinesen

/|PR_162_Z_3

/Wenn aber auch Sauer-
kraut nicht jedermann ge-
fällt, so wird man darü-
ber nicht getadelt.

/δ_Z_10

/Ein gut Princip
der Ungeselligen. ~

/|P_163

/lieben nur die Musik eines einzigen Instruments, sobald
accompagnement dabei statt findet, so gefällt sie ihnen
nicht mehr; dies kommt daher weil sie nicht reflectiren, nicht
aufmerken, wie die verschiednen Töne auf einander folgen
und endlich zu einer Harmonie zusammenstimmen. Zwar
haben die Sineser ein musikalisches Tribunal, dessen Zwek ist
ihnen begreiflich zu machen, daß eine aus mehrern %.Instrumenten
zusammengesetzte Musik besser klingt, aber %wahrscheinlich
werden sie nie dies einsehen lernen. Aus dem %nemlichen Grunde
weil sie nicht reflectiren können, statuiren sie nicht einmal
Schatten auf Gemälden, sie wollen haben, daß alles Licht seyn
soll, ja sie verlangen sogar dasselbe von der Natur, und rech-
nen es ihr zum Fehler an, daß sie so viel Schatten giebt.

/Der Grund des Wohlgefallens im Geschmak läßt sich nicht
beweisen, es ist genug, wenn wir wissen, was im Geschmak
vorkommt.

/Begrif der Schönheit. Winkelmann sagt, daß ein Unter-
schied sey, zwischen Reitz und Schönheit sey. Die Farben am
Gemälde geben den Reitz, das Wohlgefallen durch den Sinn,
die Zeichnung giebt die Schönheit, %oder das Wohlgefallen durch
die «¿¿¿¿»Reflexion. Er sagt ferner: die Schönheit in Gemälden ist
mit Neigung interessirt, und man sie reitzend, aber selten schön
nennen. So ist der Körperbau des weiblichen Geschlechts ohne
Zweifel nicht so regelmäßig als der des männlichen, hat also
auch im strengen Sinn genommen, nicht so viel Schönheit, aber

/|PR_163_Z_2

/Sie kommt ihnen denn
so vor, als ein confuses
Getöse, was sie ohne
Zusammenhang sausen
hören. ~

/|P_164

/die Schönheit des %weiblichen Körperbau's, besteht darinn daß er
sehr reizend ist, daraus läßt sich nun leicht erklären, woher
es kommt daß man an %.weiblichen Figuren mehr Schönheit findet.
Die Producte der Schönheit z. E. die Venus waren bei den
Alten sittsamer als jetzt. Denn bei dem Urtheil über Schönheit
liegt gemeinhin Neigung oder gar Leidenschaft zum Grunde,
welche das Urtheil verfälscht. Ein Mahler pflegte sein
Gemälde, wenn es schlecht gerathen war, zu einem goldnen
Rahmen zu condemniren, und er erreichte dadurch ge-
wöhnlich seinen Zwek - Der gemeine Mann sieht mehr auf
Reiz, als auf Schönheit, d. h. ihm gefällt die Form mehr als die
Materie, z. B. in Pracht findet er Vergnügen, denn hier ist mehr
Empfindung durch den Sinn - «wie in»<darunter gehören> Vergoldungen.

/Die Schönheit ist entweder Schönheit der Natur, oder Schönheit
der Kunst. Die Natur ist schön, wenn sie aussieht wie Kunst, die
Kunst ist schön, wenn sie die Natur nachahmt. Z. E. Wenn
wir im Walde einen grünen Rasenplatz finden, der
rund herum mit Bäumen eingeschloßen ist, und wie ein
Amphitheater aus sieht, so finden wir es sehr schön.
Die regelmäßigen Blätter bei einer Narcisse sind schön, weil
sie aus sehen wie Kunst, und eine gemahlte Narciße ist schön,
wenn sie aus sieht wie die natürliche. So muß man auch immer
bei der Kunst sich bemühen, allenthalben Natur anzubringen.

/|P_165

/Bei allen unsern Vorstellungen wollen wir, daß unsere Ge-
müthskräfte im Spiel und nicht beschäftiget sind. Ein
peinlicher Fleiß, der sich dabei zeigt, gefällt nicht. - 
Das Spiel des Verstandes und der Imagination; das sich
wechselseitig hilft, macht daß uns Schönheiten der Natur,
herrliche Prospecte wohlgefallen, und daß wir so lange
dabei verweilen können. Denn die große Mannigfaltigkeit
der Dinge, die in unser Auge fallen, verursacht daß wir stets
nur Beschäftigung haben. Musik ist fürs Gehör, %.Baukunst %.Mahlerei
Kupferstecherkunst fürs Sehen. Die größte Kunst ist Mahlerei,
viele Räume auf einer Fläche vorzustellen, sie ist %.überhaupt in
Darstellung des Schönen am weitesten gekommen. Baukunst
macht einen dauerhaften Eindruk für die Nachkommen.

/ ≥ Gefühl des Erhabenen. ≤

/Ueber das Schöne haben wir die besondre Benennung Ge-
schmak, über das Erhabne aber haben wir keine dergleichen
auszeichnende Benennung. Das Erhabne bedeutet eine Ver-
gleichung, übertreffend den gewöhnlichen Maasstab der Größen.
%oder was über den gewöhnlichen Maasstab der Größen hinaus-
geht. Burg ein aufgewekter Kopf hat vom Schönen und
Erhabenen geschrieben, und sagt: Erhaben ist dasjenige
dessen Vorstellung uns Schauder und Furch einjagt, z. E.
die See, der Sturm, Steile %oder herüberragende Felsen,

/|P_166

/jähe Höhen, tiefe Einöden, darin der einsame grausen-
volle Aufenthaltsort eines Eremiten, «pp»ferner die Nacht ist
erhaben, pp aber der Tag ist schön. So ganz Recht hat
Burg aber dennoch nicht; denn das was in uns Schaudern
erregt, finden wir nicht immer erhaben, im Gegentheil
bezeugen wir Widerwillen %.und Verabscheuung vor dem,
was uns mit Furcht erfüllt. - Besser möchte folgende
Definition seyn: Erhaben ist dasjenige, wo die Imagi-
nation durch den Gegenstand so erweitert ist, daß der
gewöhnliche Maasstab nicht mehr hinreichend ist, sie zu
fassen. Darum wollen wir jedoch gar nicht leugnen
daß manche erhabene Dinge einen heiligen Schauer *1 in
uns erregen können, z. E. ein ungeheures wüstes Schloß
dessen zum Theil verfallene Ruinen uns das graue
Alterthum anzeigen, %.und %.der %.gleichen

/Doch müssen solche Dinge nie ganz oder zu sehr vom
gewöhnlichen abgehen, denn das gigante, monströse
misfällt immer. z. E. wenn man sagt das russische
Reich ist ungeheuer groß, so ist dies gar kein Lob. Wie
weit etwas gehen könne, daß es nicht gigantesk werde, läßt
sich nicht bestimmen. Der Iupiter Olympicus war, wenn er
gestanden hätte 60 Fuß hoch, er enthielt also 10 Menschen von
6 Fuß in sich. Ein witziger Kopf sagte; Wenn Iupiter auf- 

/ stünde

/|PR_166_Z_10

/*1 Oder: von einer Seite
die Anlagen zur Tugend,
von der andern den Ab-
grund einer schwarzen
Seele des %Menschen.

/δ_Z_21

/Er saß. ~

/|P_167

/aufstünde, so würde er das Dach umreißen. Wir
schätzen die Größe eines Menschen nach dem cubischen
Innhalt, wenn es aber darüber ist, so werden wir verlegen
und dies ist analogisch der Schrek. Wir ziehen dabei unsre
Imagination, und nicht die Vernunft zu Rathe.

/ ≥ δ_40ste Stunde von 9 - 10 ≤

/Der Geschmak gründet sich auf Interesse und dieses
hat er nur in Gesellschaft. In ihr werden die Gegenstände
des Geschmaks erst wichtig. Einer *1 der auf einer wüsten
Insel allein lebt wird nie ein Blumenbeet anlegen. - %oder
auf geschmakvollen Schnitt und Farbe des Kleides sehen pp
Ueberhaupt haben wir alles was zum Geschmak gehört, nur
für fremde Augen. Geschmaksneigung ist Eitelkeit, Ge-
schmakstalent ist gut. Geschmaksneigung ist eine sehr große
Plage, wenn er weit extendirt wird. Was dem ächten
Geschmak in der That zuwider ist, das ist die Mode. Der Mensch
der guten Geschmak in Mobilien hat, besitzt ihn nicht immer
in Conversationen. Der Conversationsgeschmak, ist eine
ganz aparte Art des %.Geschmaks %.und ist in Frankreich zu Hause;
aber der Geschmak in %.Ansehung der Dinge (Mobilien) fin-
det man in Italien. Der %.ConversationsGeschmak ist sehr der
Mode unterworfen, und nichts verdirbt ihn mehr als sie.
Es darf eine Sache nicht schön seyn, wenn sie nur neu
und durch Beispiele empfehlend ist. Mode ist ein Gebrauch,
dessen Werth blos in der Neuigkeit besteht. Sie ist sehr dem
Geschmack zuwider z. E. Unsere Frauenzimmer tragen itzt

/|PR_167_Z_9

/*1 Es ist sogar zu ver-
muthen, daß er mit einer %.heßlichen
Frau zufrieden seyn würde
denn der Werth einer schönen
besteht nur darinn, daß man
sie andern vorziehen könne.

/δ_Rand_links_Z18

/45 %.Minuten ~

/δ_Lage_W.

/|P_168

/wahre Matrosenhüte, bloß weil es Mode ist, sie ge-
stehn übrigens selbst: daß sie sehr heßlich sind. Manchen
Personen läßt alles gut, sie dürfen nur was aufbringen,
so gefällt es allen, und alle machen es nach, ohne zu un-
terscheiden, ob es an sich hübsch läßt, oder ob es gut, dauer-
haft %oder nützlich sey. Ein Schneider in London wollte eine
neue Mode aufbringen, %.und versprach einem jungen Menschen
dem alles gut lies, und der in viele Gesellschaften <kam>, (diese
beiden Stücke waren nothwendig zu dem was der Schneider
wollte, erforderlich) ein Kleid von neuem noch nie gesehenen
Schnitt ganz umsonst zu machen. Der junge *1 Mensch ging es
ein, und sobald er in Gesellschaft kam, so gefiel jedem
der neue Rock, alle drängen sich zu ihm, und fragen, bei
welchem Schneider er den Rock habe machen lassen; er sagt
es ihnen, %.und nun entschließen sie sich, den folgenden <Tag> sogleich
hinzugehn, %.und sich ähnliche Kleider bei ihm zu bestellen: - 
keiner bleibt aus, und bald kam der Schneider unter Kunden.
So bringen auch Actricen auf dem Pariser Theater, denen
ebenfalls alles gut läßt, Moden auf, welche die Königinn
nachahmt, - und denn unterläßt es auch zuverläßig keine
andre Dame.

/Iunge Leute, die gar zu sehr (%.und fast allein) auf Musik
bekommen gewöhnlich nur einen seichten, schaalen, Charakter,
und zwar deswegen, weil dergleichen Musikliehaber selten
andre Geschäfte vornehmen, oder wenn sie es ja thun, doch

/|PR_168_Z_11

/*1 Wenn man einem solchen
dem alles gut läßt, prangen
sieht, so wird man %ordentlich
verwirret, worinn die Schön-
heit bei ihm zu suchen
sey.

/δ_Z_17

/Es ist sehr %natürlich daß die
Franzosen Moden auf-
bringen, denn sie haben vor
allen Nationen die größte
Leichtigkeit. ~

/|P_169

/nur überhin, denn sobald irgendwo ein Concertchen ist,
so müssen sie mit dabei seyn. Es sagt einst jemand zu
einem solchen Menschen: Sie sind just wie ihr Instrument
weiter läßt sich mit ihnen nichts anfangen, als daß man
auch auf ihnen spielt. Dergleichen Leute machen es ohnge-
fähr so wie die Comoedianten, welche denken jedermann
muß den Titel des gestern aufgeführten Stüks wissen, und
sich außerordentlich wundern, wenn sie Leute finden,
die nicht drein gewesen sind, weil sie nur einzig und
allein mit diesen Gedanken erfüllt sind.

/Beim Schönen sieht man nicht immer auf den Nutzen;
sondern nur unmittelbar auf die Vorstellung. Das
Schöne muß immer so beschaffen sein, daß es das Wohl-
gefallen befördert, und mit dem Guten übereinstimmt.
Das Schöne hat viel Analogie mit dem Moralisch gu-
ten. Derjenige Mensch, der Wohlgefallen an den Schönheiten
der Natur findet, zeigt schon eine gute moralische Seite,
in ihm liegt wenigstens ein guter Fond. Das Wohlgefallen
an den Schönheiten der Kunst kann lauter Eitelkeit seyn. Kann
die Schönheit bestehen wenn sie dem Nutzen widerstreitet? Ge-
wiß nicht, das Nüzliche muß zum Grunde liegen, das
Nützliche macht zwar nicht das Wesen der Schönheit aus, aber
es muß hervorleuchten, und alle Arten von Schönheiten, die
dem Zweck widerstreiten, gefallen nicht.

/|PR_169_Z_11

/¿ Ein Prrcellänerer
Teller %.und ein silberner ~

/|P_170

/Iede Nation hat vielleicht eine ganz andre Idee, wenn
sie sich das höchste Ideal menschlicher Schönheit denkt, so wer-
den sich z. B. die Neger nie einen andern Gegenstand als einen
schwarzen darunter denken. - Der Schein des Guten
gehört wenigstens mit zum Geschmak, z. E. Höflichkeit ist
ein Schein des Wohlwollens. Was das Gute selber betrift
so versteht man oft unter einem <guten %Menschen, einen> gutmüthigen Menschen <d. h.> ei-
nen solchen, der sich alles gefallen läßt, vor dem man sich alles
Gute zu versehn, und nichts böses zu besorgen hat, der überhaupt
eigentlicher zu sprechen, eine Schlafmütze ist. <So bonhomme ein %Hahnrei> Ein guter
Mensch ist eigentlich der, der gut von Charakter, der gute
feste Grundsätze in seinen Handlungen hat. Gut zu seyn
kommt uns leicht vor, aber es gehört dazu eine beharrliche Stand-
haftigkeit. Ehrlichkeit ist nichts weiter als der kleinste Grad <das minimum>
der Aufrichtigkeit, im Verkehr mit andern Menschen. Ein
Zeitalter also, wo die Ehrlichkeit so ganz vorzüglich gepriesen
und geehrt wird, ist sehr im Verfall, denn die Folge ist, daß auch
sie selten ist, dennoch ist es besser, als wenn sie gar verachtet
würde. Gutes und Böses muß in der Welt vermischt seyn, so hat
es die Natur gewollt. Man macht sich gemeinhin die Vorstellung
ein Volk hätte alles Gute, und das andre alles Böse, -------- 
Die Mischung guter und böser %Menschen giebt Anlaß zur Cultur. Gute Menschen
unter einander können nicht bestehen, nichts würde ihre Gutmüthigkeit
erhalten, denn das Böse unter den %Menschen ist der Wetzstein zum Guten.

/|PR_170_Z_12

/- %.Anmerkung Des jungen
witzigen Lord Rochester
Grabschrift auf Carl_II.
Hier liegt Carl der
in seinem ganzen Leben
viel Kluges gesagt %.und
nichts Kluges gethan hat - 
dies wahr ganz richtig.
Der König nahm es ihm
auch nicht übel. ~

/|P_171

/Die Schönheit gefällt ganz allein unmittelbar, da es hingegen
ein mittelbar Angenehmes z. E. die %.Wissenschaften giebt. Vergrößern
aber die %.Wissenschaften an sich selbst die %.Vollkommenheit des %Menschen %oder tragen
sie nur etwas dazu bei? Die %.Schönheiten sind mehrentheil unnütze
%.und das was man %wesentlich schön nennt, erhält einen andern Zuwachs.
Ob nun eine Person schön %oder heßlich ist, sieht man durch die Anschauung.
Die schlechten Züge aber werden durch Goldsäcke nicht schön. %.Schönheit
betrifft das Urtheil über die Anschauung, %.und Anschauung ist etwas
unmittelbares also auch die Schönheit. Wir wollen zuweilen
etwas ganz rein haben, und also auch de«r»n Geschmak. Das
Vermögen über die %Empfindung %.und Auflösung mathematischer
Beweise ist ganz rein. Und hier findet der Mensch ein Vergnügen,
wenn er die Thätigkeit einer ganz besondern Kraft verspürt;
Wenn etwas im Geschmack allein gefallen soll, so muß man
auf den Nutzen der Sache gar keine Rücksicht nehmen. Vereinigt
sich aber die Schönheit mit dem Nutzen, so wird der Gefallen
daran, desto gründlicher und dauerhafter. Indeß ist die reine
Schönheit, die bloß für den Geschmak ist, und ein gewißes
reines Vergnügen gewährt, von allem Nutzen leer. Daher
gefällt uns eine wohlgemachte Dose von Papier-Maché weit
besser, als eine %häßliche ausgearbeitete silberne, weil aus dieser
gleichsam der Geiz hervorgukt, %.und sie zu Gelde gemacht werden kann.

/|P_172

/Porcellan hält man aus Mangel des Nutzens für schön,
Der Nutzen ist Gegenstand der Reflection, der Geschmak
aber ein Vorwurf der Anschauung. Wir thun auch wohl
stolz darauf daß wir uns so fein fühlen, wenn wir im
Geschmak %.und in der Anschauung Vergnügen empfinden.
Ia wir haben von einem Bauer, der sich statt eines Pfluges
ein Gemälde anschafft %.und den die herumstehende Menge vielleicht
auslacht, eine große Meinung, obgleich wir ihn vor einen
schlechten Wirth halten werden. Gefühl %.und Geschmak un-
terscheidet sich unendlich. Vergnügen und Schmerz werden nur
von Sinnen begleitet, %.und von alle dem verursacht, was
einen Eindruk zuwege bringt. Hingegen ist der Geschmak
keine Vorstellung der Sachen, wie sie im Wohlgefallen
erscheinen, welches aus unserer eigenen Thätigkeit gegen
Einanderhaltung und Vergleichung entsteht: Man vergleicht
zwar, die Vorstellungen im Geschmak mit einem Gefühl,
aber doch nur in Ansehung der Vorstellungen. Es giebt
auch eine Art Vergnügen einen schönen Gegenstand
gesehn zu haben, das aus der Zuneigung entsteht, wovon
viele, die es noch nicht kennen, zu erzählen wißen. Sonst
gehört zum Geschmak Urtheilskraft; zum Gefühl, als welches
Reiz und Rührungen zum voraus sezt, Sinne. Geschmak ist
sinnliches Urtheil nicht Urtheilskraft, der Sinne und Empfindung,
sondern die Anschauung, verglichen, Lust %oder Unlust zu bekommen.

/|PR_173_Z_1

/Auch wohl
ein schönes goldnes Gefäß
weil man hier gleichfalls
auf den Nutzen renoncirt. ~

/|P_173

/Daher haben manche Menschen zwar viel Gefühl, weil sie
Reizbarkeit besitzen, aber keinen Geschmak, aus Mangel an %.Urtheilskraft.
Der Geschmak muß beständig erlernt werden; da hingegen das
Gefühl nur höchstens durch Uebung verfeinert wird. Ferner richten
auch alle Künste, die fürs Gefühl sind, den Geschmak zu Grunde,
daher scheinen alle Dichter, die sehr stürmisch, und süß rasen,
desselben zu entbehren, weil das Gefühl ganz richtig ist.

/Eben dies gilt auch von Predigten, - die nur das Gefühl *1 rege
zu machen suchen, welches man aber vom moralischen Gefühl, da
man das Gute nicht aus Nachahmung, sondern aus Anschauung
erkennt, unterscheiden muß. Ueberhaupt muß man Thoren
durchs Gefühl nur bewegen, und der größte Schade entsteht
daraus, wenn man sich bei Untersuchungen darauf beruft.
Was im Geschmak gefallen soll, muß allgemein seyn, doch
das Urtheil was durch ihn gefället wird, muß kein privat
sondern ein allgemeines Urtheil (%oder Grund des Wohlgefallens)
seyn. So speiset der mit Geschmak, der seinen Tisch so besetzt
daß andre gern mit essen mögen, wie wohl man jetzt den
Grund eines guten Wirths ganz umgekehrt hat, und kurz-
gefaßt darunter einen Geizhals versteht. Es erwerben sich
daher diejenigen, die beständig allein essen, keinen Geschmack.
Es wäre hier werth zu untersuchen: Ob auch wohl bei allen
Arten von Empfindungen ein %.allgemeiner Grad der %.Uebereinstimmung
seyn kann, daß ein solcher beym Geschmak seyn müße, erhellet

/ daraus,

/|PR_173_Z_8

/*1 nur ein augenblik-
liches ohne weitern
Nutzen. Sobald der
Donner der %.Beredsamkeit
aufhört, ist es fort. ~

/|P_174

/daraus, daß es anders nicht möglich seyn würde, für alle
Personen eine schmakhafte Mahlzeit zuzubereiten, und sie da-
rauf einzuladen. Indessen können wir den Geschmack der
auf Empfindungen hinausläuft, nur als Erfahrungen,
denjenigen aber, der sich auf Anschauung bezieht, oder den
idealischen, Geschmak a priori nennen. Doch können wir
zuweilen bei neuen Gerichten errathen, ob «es»sie dem Geschmak ge-
fallen werden, %oder nicht. Der %.Geschmack ist ferner gesellschaftlich;
und das Princip des Zusammenhaltens einer Gesellschaft, %.und des
allgemeinen Vergnügens, Der Punkt, daß ein Ding allen ge-
falle wird endlich der stärkste. Wenn daher jemand in einer
Gesellschaft dem andern einen Schnak erzählt, worüber er lacht,
so sieht man sich sehr um, ob nicht ein allgemeines Gelächter
darüber entstehe. Das %.Wohlgefallen kann groß seyn, obgleich das
Vergnügen selbst wenig dazu beiträgt, %.und hierinn besteht
das Edle des Geschmaks, da wir die Schätzung des Werths
an einem Dinge, nicht in Rüksicht eines einzigen, sondern im
Verhältniß auf alles vornehmen. Es scheint überhaupt daß
der Mensch, allein betrachtet, gar keinen Begriff von Schönheiten
haben würde, daher wir ihn auch bei ungeselligen Leuten gar
nicht bemerken, wenn man nun aber immer ausspähen muß,
was allgemein gefällt, so hat der Geschmak ja gar keine Regeln
die fest sind. Der Geschmak hat immer Principien, die in
der Natur der Menschheit gegründet sind, allein Beobachtungen

/ müssen

/|P_175

/müßen uns erst die Regeln desselben zeigen, und wir können
sie nur durch Erfahrung bekommen. Wollte man da wider
einwenden, daß dasjenige, was man schön nennt, wechselt, so
müßen wir sagen: daß dies der modische Geschmak sey, der aber
nicht den Namen eines OriginalGeschmaks verdient. Wer
aus Mode wählt, weil er sich für princip des Schönen hält, der
wählt aus Eitelkeit und Wahn, nicht aber aus Geschmak.
Ob nun gleich die Einstimmungen, die man der äußern Form giebt,
daß sie mit der Form der mehresten übereinstimmt, eine Art von
Schönheit ist, %.und das altväterische anzeigt, wie man nichts als gut
zu finden fähig ist, als dessen man schon gewohnt ist, so stimmen
dennoch die Regeln %.und Urtheile des Schönen, gar nicht mit der
Mode überein, und Mode und Gewohnheit sind dem Geschmak
entgegen. Der Mann von Geschmak richtet sich zwar auch nach der
Mode, aber nach principien des Geschmaks. Das Frauenzimmer
ist modisch im Urtheil, der Mann hingegen urtheilt gewöhnlich nach
principien. Einige Moden verfallen sehr geschwind, andere erhalten
sich lange, daher laßen sich viele eine römische Kleidung machen,
weil diese beständig bleibt, und unsere hingegen fast alle Tage
geändert wird, - %.und weil die alten Moden der Enkelwelt
lächerlich vorkommen. Der Geschmak zeigt eine Uebereinstimmung
einer sinnlichen Beurtheilung an, %.und das Sprüchwort: de gustibus
non est disputandum ist also falsch, indem disputiren soviel

/δ_Lage_X.

/|P_176

/als beweisen heißt. Wäre nun aber im Geschmak nichts, was
allgemein gefiele, so wäre es ein Gefühl. Mithin muß sich
über den wahren Geschmak disputiren lassen - Ieder nach %seinem Ge-
schmak, d. h. jeder genieße sein Vergnügen allein«¿» bleibe allein.
Wenn jemand gute Freunde zu sich bittet, wird er da erst <sich bei>
jedem nach seinem Geschmak erkundigen? nein er wird sich nach
dem allgemeinen richten. In den Principien des Geschmaks ist
zwar vieles empirisch, und bei Gelegenheit der Erfahrungen
gesammlet, aber die Gründe der Beurtheilung sind nicht bloß
aus der Erfahrung abstrahirt, sondern sie liegen in der Mensch-
heit, und denn wenn das Urtheil des Geschmaks mit dem des Verstandes
begleitet wird, so liegen sie gewiß in der Natur der Sinnlichkeit.
Daher ist das Urtheil des Geschmaks nicht privat. sondern die
Menschen haben allgemeine Regeln der Beurtheilung des
Geschmaks. Hieraus sieht man, daß sie nie entgegen gesetzt
seyn können, denn da sie von eben dem Objecte gelten, oder da
die Gesetze der Sinnlichkeit bei allen einerley sind, so würden
entgegengesetzte Urtheile des Geschmaks eine contradiction
herfürbringen. Eins muß wahr, das andre falsch seyn. Urtheile
des Gefühls hingegen können sich opponirt seyn, weil Emp-
findungen das Subjektive ausdrücken, nur müßen es nicht
Reflectiones seyn, die man für Empfindungen hält. Wenn
also dem einen in der Stube zu warm, dem andern zu kalt ist,

/|P_177

/so sind ihre Urtheile zwar widersprechend, aber sie können
doch beide Recht haben. Denn es sind zweierley Subjekte, und
jeder urtheilt so, wie er afficirt wird. Die Menschen
aber nehmen sehr oft ihre Subject Urtheile für Objekt.
Einer sagt von einer Person, daß sie heßlich ist, dem andern
kommt sie unleidlich vor, und der 3te findet gar keine Annehm-
lichkeit an ihr. Diese urtheilen nicht von der Person, sondern
von ihren Empfindungen, und also nicht objectiv, sondern sub-
jektiv über die Art, wie sie afficirt werden. Vom %.angenehmen %.und
unangenehmen muß man nicht streiten, weil dies ein Streit über
das Subject wäre. Gutes und Böses ist eine Sache des Objekts.
Schönheit und Heßlichkeit gilt also gewiß von den Objekten, %.und es
werden sowohl allgemeine Sätze der Sinnlichkeit, als auch des Ver-
standes aus gefertigt werden können, für erstere eine Aesthe-
tik (von der schon oben gehandelt worden) für leztere eine Logik.
Ein Gesetz der Aesthetik: Alles was die sinnliche Anschauung
erleichtert und erweitert und erweitert, erfreut uns nach ob-
jektiven Gesetzen, die für alle gelten. Unsere %.Sinnlichen anschau-
ungen sind entweder im Raum, nemlich die Figuren %.und Gestalten
der Dinge, oder in der Zeit, ne«h»mlich des Spiels der Veränderungen.
Es sind also gewiße allgemeine Regeln der Aesthetik, Reitz %.und
Rührungen aber müßen wir itzt bei Seite setzen. Die Vorstellungen
der Gestalt oder der Figur der Dinge sollen nach Gesetzen der Sinnlichkeit

/|P_178

/gemacht werden. Nun haben alle Menschen gewiße einstimmige
Gesetze, wodurch sie sich die Gegenstände formen, dieß
sind Gesetze und Vorstellungen. Zweyerley gehört zur
%sinnlichen Anschauung im Raum, nemlich Proportion der Theile
%oder ihr Ebenmaaß %.und ihre Richtigkeit, welche Symethrie
und Eurithmie heißt. Eine Ordnung der Dinge in der Zeit
nennt man ein Spiel, %.und ein Spiel der Gestalten ist ein Wechsel
derselben in der Zeit. Zu einer guten Musik wird gleichfalls
zweierley erfordert, nemlich der Tact oder eine gleiche Abthei-
lung der Zeit, und wenn viele Töne vereinigt werden, eine
Consonans oder Proportion derselben. Dies gefällt, weil
alles was unser Leben vergrößert, diese Wirkung bei uns
hervorbringt, welches man allerdings von einer Erleichterung
des sinnlichen Anschauens sagen kann, indem der Mensch ein gro-
ßes Mannigfaltige sich nicht anders vorstellen kann. Was al-
so die sinnliche Anschauung erleichtert, gefällt, %.und ist schön,
es ist den Subjektgesetzen der Sinnlichkeit gemäß, %.und beför-
dert das innere Leben, indem es die Erkenntnißkräfte in Thä-
tigkeit sezt. Diese Erleichterung geschieht durch Raum und
Zeit. Symmetrie erleichtert die Begreiflichkeit, Verhältniß
der %Sinnlichkeit bei einem unproportionirt gebauten Hause,
kann ich mir das Ganze schwer vorstellen; bei einem
wohlgebauten aber sehe ich Gleichheit auf beiden Seiten

/|P_179

/Gleichheit der Theile, %.und dies befördert meine sinnliche Vor-
stellung. Eine Erweiterung unserer Erkenntniß %.und Mannigfaltigkeit
aber, wird zum sinnlichen Wohlgefallen erfordert. Nun ver-
mehrt aber die Anschauung das Leben, die Thätigkeit, und
begünstigt sie, daher muß es mir gefallen, aber eben
deshalb auch allein, denn diese Regel liegt bei allem zum
Grunde. Alle Menschen haben Bedingungen, unter denen sie sich
ein großes Mannigfaltige sinnlich vorstellen können.
Musici heißen Spieler, wir können aber auch Tänzer, Spieler
der Gestalt nennen, so wie bei Pantominen. Beim Garten
finde ich Schönheit durch Begreiflichkeit. Ist keine Ordnung
darinn, so kann ich mir davon kein Bild machen, denn ich sehe zu
viel auf einmal. Wenn ich einen Garten ansehe, so bin ich
beim ersten Blick ernsthaft, und sehe Proportion und Symmetrie.
Er gefällt mir, daher, weil ich Gemächlichkeit habe ihn mir
vorzustellen. Es darf etwas nicht allen gefallen, deshalb

/1.) Weil dazu eine Kunst gehört. Ohne daß ich etwas verstehe,
kann ich es nicht schön finden.

/2.) Weil wir noch etwas besseres kennen.

/Wenn wir das Beßere vergeßen könnten, so würde uns die
Sache gefallen, aber sie gefällt uns doch auch wirklich,
ohne daß wir es wissen. Diese scheinbare Geringschät-
zung kömmt her von der Vergleichung der Gegenstände gegen
einander, die man anstellt, daß aber die Vergleichung

/|P_180

/eine solche Veränderung hervorbringen kann, zeigen die
Beobachtungen. %.Von Bielefeld sagt in seinen Briefen, Heydeker
glaubte wegen seiner Pockennarben der heßlichste zu seyn, und
man stellte deshalb eine Wette an. Der andre zeigte eine Weibs<person vor>
die freilich in Ansehung anderer ihres Geschlechts heßlich aussah, aber
dennoch da <sie> sich die Perücke des Mannes aufgesetzt, %.und er ihre Kleider
angezogen, noch leidlicher, der Mann aber heßlicher aussah. Heydeker
wußte wohl daß der Anschein der Heßlichkeit eines Weibes
nur von der Vergleichung mit den übrigen Frauen her rühre,
daß man also auch ihn als Weib gekleidet, mit Weibern vergleichen
würde, sie hingegen, in der Perücke mit «Weibern»<Männern>, und so
verlor er noch weit mehr, und sie hingegen gewann mehr. Alte
Frauen sehen gegen alte Männer gut aus, hingegen verlieren sie
in Vergleichung mit hübschen Mädchen. Die schönste Mannsperson
in Frauenkleidern gehüllt sieht frech und unangenehm aus. Daher
giebt man auch den Frauen so empfindliche Beywörter, z. E.
Hexen, weil sie das Unglük haben, mit jungen Mädchen verglichen
zu werden, da sie in Rüksicht auf ihr Geschlecht mehr abgenommen
haben, als Männer gleiches Alters, gegen welche jene noch immer
schön genug aussehen. Ließen wir das interessirte zum schönen
Geschlecht fahren, so würden sie uns vielleicht nur %erträglich seyn.
Der eine kann etwas häßlich nennen, was der andre gut nennet.
Es ist hier etwas comparatives. Das Princip: de gustibus non pp
bleibt also immer dumm, %.und es wird dem Verstande dadurch ein so schönes

/|P_181

/Feld der Beurtheilung entzogen. Es ist aber ein wahrer Beweis
der Vorsicht, daß sie solche Gründe des Geschmaks in den Menschen ge-
pflanzt hat, wodurch der Grund der Glükseeligkeit bei den Men-
schen gelegt ist. Wir müssen einen Unterschied machen, zwischen
schönen Gegenständen, und schönen Vorstellungen derselben.
Denn auch von %heßlichen Gegenständen können wir schöne Vorstellungen
haben. So kann uns eine heßliche gutgemachte Person gefallen.
Einige Thiere misfallen uns, sind sie aber in Marmor schön vor-
gestellt, so gefällt uns das Bild wegen Uebereinstimmung der
Gegenstände. Logische Gesetze sind die welche zeigen, wie man
zur richtigen Erkenntniß der Sache gelange, es sey durch Schwierig-
keit oder Leichtigkeit. Etwas stimmt also mit den objectiven
Gesetzen überein, wenn in der Erkenntniß, Wahrheit und Deutlichkeit
anzutreffen ist, wenn sie gleich mit Schwierigkeit erlangt wird,
- hingegen mit unsern subjektiven Gesetzen, wenn sie die Thä-
tigkeit unsers Verstandes in ein leichtes Spiel versetzt. Wenn die
Aestetik eine Wissenschaft wäre %oder wenn aestethische Gesetze
existirten, so würden sie zeigen, wie man eine %.Demonstration leicht,
faßlich, naiv, und durch ein natürliches Licht klarer machen könne.
Voltaire wußte die schwersten Sachen leicht zu machen, so daß
man sich zulezt wundert, bei dergleichen Dingen Schwierigkeiten
gefunden zu haben. Bei aller Schönheit des Geschmaks aber muß
man dennoch einen Unterschied machen, zwischen dem was schön
und was hübsch ist, denn beim Schönen ist immer ein Reitz anzutreffen, beim
hübschen aber nicht. Ein Frauenzimmer ist ¿enusta, wenn ihre Schönheit

/|P_182

/mit dem Reize der Grazien verbunden ist. Pulchra aber, wenn
ihr diese fehlen. So können Mädchen %.und andre Dinge gute Züge haben
doch von Reitzen entblößt seyn, anderntheils reitzen, ohne schön
zu seyn. Z. E. die Züge der Sanfmuth stimmen mit den sanften
Empfindungen, und machen Reitz, die Munterkeit stimmt mit
der Delicatesse oder Höflichkeit, und die Leichtigkeit wird im Umgang
bald bemerkt. Bey Frauenzimmern die Reitze haben, ohne Schönheit,
kommt der Reitz überhaupt von der Geschlechterneigung her,
weil es ein Frauenzimmer ist. Eine Gesellschaft ohne Reitz, nennt
man todt. Der Reitz ist körperlich, %oder ideal, ersterer ist grob,
lezterer hat gemeinhin die Moralität zum Gegenstande. In
der Musik liegt der Reiz in dem, was meine Affecten in Bewegung
setzt. Oft kann ein wohlcomponirtes Stück, doch keine Reitze haben,
und Nebenumstände sind es die uns nicht sollen die Sache reitzbar
machen z. E. weil sie neu ist, weil ich allein sie sehe, weil sie mir
oder meinem Verwandten gehört pp. Eine Gegend ist schön, %.und hat
besondern Reitz für mich weil ich sie aus meinem Zimmer
übersehen kann. Dabei sind die Menschen eigen; sie suchen oft
aus dem elendesten Dinge, Reitze heraus. Dieser körperliche
Reitz heist indirect, oder Rührung. Gewiße Dinge, die sinnlich
angeschaut werden, verursachen Ideen. Diese Ideen würken
wieder zurück auf den Leib, bringen Bewegungen im Körper
herfür, worauf eine Empfindung erfolgt, die uns in ihren Folgen
gefällt. Von dieser Art ist das Lachen, wobei die Idee eine unerwartete
Umkehrung des vorhergesehenen ist, welches sonst gleichgültig wäre.

/ Woher

/|P_183

/Woher kommt es aber daß uns daßjenige, was Lachen erregt,
vergnügt? und weshalb gefällt uns das; worüber man lacht?
Dies Vergnügen kömmt <nicht> von den Sachen her, denn dies sind meisten-
theils, schlechte alberne, und einfältige Dinge. Also nicht die
Schönheit des Gegenstandes, auch nicht die Eigenliebe ist Ursach
davon, denn sollte ich mich darüber freuen, daß ich beßer
bin als ein anderer? Die Ursache aber ist viel mehr eine
unerwartete Umkehrung der Idee, eine Herfürstechung
einer Sache, die mich nicht interessirt. Sonst ist es entweder ernst-
haft oder gleichgültig.

/Woher kommt's daß wir ein schauernd Vergnügen empfinden,
und daß wir das gerne sehen, was wir uns mit beständigem
Grausen vorstellen müßen. Woher erwekt das melan-
cholische durch Beklemmung der Brust ein Vergnügen? So stellen
wir uns gern einen Menschen vor, der in einer wüsten Einöde, in
eine abscheuliche Tiefe fällt; dies kommt daher, weil in unserm
Körper ein sehr feines Gewebe von Nerven ist, zu denen keine
Motion, kein Mittel durchdringen kann. Auf diese würken
nun unsre Ideen, und zwar auf verschiedene Art. Auch kommt
es daher, weil der Gegenstand interessant ist, %.und uns nichts angeht.
Denn interessirt uns etwas, so ists Ernst, und denn hört alles
Plaisir auf. Das Vergnügen dabei, entsteht daher, weil eine
ernsthafte Idee, die wir uns vom Unglück machen können,
nachlaßen kann, wenn wir wollen. Durch unsere Willkühr

/ δ_Lage_Y.

/|P_184

/können wir den Körper in eine Bewegung bringen, die
keine Medicin verschaffen kann. Alles kommt wieder in
ein Aequilibrium, wenn wir uns satt geweint haben,
da die Nerven vorher subtil erschüttert wurden.

/Bei diesen Organen des menschlichen Körpers, die durch
die verschiedenen Stellungen nicht in Bewegung gebracht
werden können, hat es die Vorsicht so eingerichtet, daß die
Ideen des Menschen auf die Empfindungen wirken, doch je-
der auf eine besondre Art. Einige Nerven werden zusammen-
gezogen, andere dilatirt, und so wird der ganze Körper
durchgearbeitet und es ist eine gute Repuration des Körpers,
die uns immer nützlich ist. Die Vorsehung hat daher sehr weise
gesorgt, daß wir nicht sehen, hören pp können, ohne %Empfindungen
zu haben. Einige Personen werden dadurch gesund, daß sie
sich ärgern, nur muß ihnen niemand bei ihrem Poltern
widerstehn. Ein berühmter Arzt, der sich besonders mit Meßung
des Gewichts des Menschen abgegeben, entdekte, daß er nicht nur
beim Kartenspiel weit größern Appetit bekäme, sondern
daß auch eine weit stärkere transpiration ergehe, als durch
Motion. Es ist also sehr vortheilhaft, daß wir nicht sehen, reden
können, ohne daß die Ideen auf unsern Körper wirken. Der
Alte, der das lachen liebt, geht gern in Comoedien, die Iugend
hingegen, sie sonst weit häufiger lachen mag, sieht gern
Tragoedien. Die Ursache liegt darinn, weil die Leichtsinnigkeit

/|P_185

/der Iugend darinn ein Gegengewicht findet, durch die Schwer-
muth und Beklemmung des Herzens, welche aber bei ihnen nicht
haftet, sondern nachläßt, wenn das Stück geendigt ist.
Bei den Alten hingegen haften die Eindrücke der Tragoedien
länger, und sind dauerhafter, da im Gegentheil das Vergnü-
gen bei ihnen bald aufhört, und bei der Iugend längerhaftet.
Doch muß man auch sagen, daß sowohl Leute, die sehr viel lachen,
als die ernsthaft sind, über einige Angelegenheiten keinen Ge-
schmak zeigen. Das Vergnügen also, was man an Comoedien
und Tragoedien empfindet, liegt nicht in den Ideen (%sondern im Magen) ¿¿
Daher rührt es auch, daß einem ein Stück nicht tragisch genug ist, und
für den andern wieder viel traurige Auftritte hat. Der erste Geschmak
ist von dem allen unterschieden. Die wahre Schönheit ist ernsthaft und
gelaßen, das wahre Schöne besteht nicht im Lachen. Das Leben
gehört zum indirecten Reitz. Etwas im Ernste zu nehmen, ist keine
Kunst, und es zeigt wenig Genie an (Die Neigung alles ins Lachens
werthe zu ziehen, zeigt die Heiterkeit des Genies nur an, und diese,
wenn sie sich nur über alles verbreitet, ist nur eine Masque der
gesunden Vernunft), wenn man bei Geschäften eine gravi-
tätische Miene macht. Es ist beßer, etwas bei gesunder Laune
verrichten, wodurch der Mensch bei den Fähigkeiten erhalten
wird. - (<¿¿> %.und daher ist es auch beßer, das Laster von der
%lächerlichen als %schädlichen Seite zu schildern Der Mensch bei einer
%.ernsthaften %.und %.gravitaetischen Miene sieht %lächerlich aus, %.und je ernsthafter er auch
sein Steckenpferd reitet, je lächerlicher erscheint er.

/|P_186

/ ≥ Vom Nutzen der Cultur des Geschmaks. ≤

/Die Beschäftigungen des Gemüths mit dem Schönen ver-
feinern es, und machen es moralischer Eindrücke fähiger.
Auch schärft die Cultur des Geschmaks die Urtheilskraft.
Sie verfeinert den ganzen Menschen, und verursacht, daß
er eines idealischen Vergnügens fähig wird. Der Genuß
der mehrsten Dinge ist im Verbrauch der Sache.*1 Die Vergnügen
des Geschmaks sind edler. Sie sind theilnehmend und darinn stekt
eben das feine. Z. E. Ein schöner Garten kann viele vergnügen.
Der Geschmak hat etwas feines - mit der Moralitaet analogisches.
Er vermehrt nicht mein Wohlbefinden, sondern es laßen sich mei-
ne Vergnügen nach Geschmak vertheilen. Er richtet alle Vermögen
der Menschen so ein, daß sie zum Vergnügen anderer beitragen
z. B. Musik. %.Geschmack macht uns auch gesellig, fähig selbst
Schöpfer seiner Vergnügen zu seyn. Alle %idealischen Vergnügen
sind mehr aus der Reflexion, als aus dem Genuß der Sache
genommen. Ein Autor sucht, die leichfertige Art in Gedichten
z. E. die Liebe - Wein pp mit schönen Farben zu schildern, und
zu rechtfertigen --- Derjenige Mensch ist glüklich, der sich
ein idealisches Vergnügen machen kann, %.und ein %Mensch dessen
Geschmak verfeinert ist, ist eo ipso besser geworden.
Hume behauptet gegen Rousseau, daß die alten rauhen Sitten
auch die Menschen einander ungesellig, und der Moralität
unfähig gemacht haben, und daß die Verfeinerung des %.Geschmacks

/|PR_186_Z_7

/*1 also nicht %Theilnehmung
vieler ~

/|P_187

/uns, zwar nicht ganz allein, aber doch unvermerkt beßere.
Das zu sehr modische im Geschmak verräth einen Menschen
ohne Grundsätze - Der Gebrauch und die Mode im
Geschmak sind aber unterschieden. Kleidet man sich nach dem
allgemeinen, so geschieht es nach dem Gebrauch. Ist man aber
der erste der sich einer Kleidung bedient, die hernach allgemein
wird, so kleidet man sich nach der Mode. Es schikt sich nicht
für einen vernünftigen Menschen, daß er sich nach den %.Grundsätzen
im Gebrauch richte, viel weniger, daß er darinn modisch sey.
Bei Dingen die bloß in die Augen fallen aber, kann man
sich nach dem Gebrauch richten, weil dies die Einförmigkeit
unter den Menschen stiftet, und «d»sie verbindet. Aber in Grund-
sätzen modisch zu seyn, ist unanständig. Wenn man Z. E. der Mode
folgen wollte, seine Frau immer allein gehen oder fahren zu laßen.
In Frankreich sahe ein Fremder einen Mann ganz kaltblütig mit
seiner Frau gehen, %.und frug einen Franzosen: lieben sich diese?
Der Franzose antwortete: O nein! es ist seine Frau, hier wäre die
Mode, daß man seine Frau nicht lieben müße. In Genua schämt
sich eine Frau neben ihrem Manne auf der Straße zu gehen, glaubt
es verstehe sich von sich selbst, daß dies unanständig sey; jede
Frau hat auch da außer ihrem Manne noch einen Cavalier <Cicisbeo> Servant.
Im Geschmak modisch zu seyn ist ein Beweis, daß man gar
keinen hat. In der Schreibart hat man ivn Deutschland viel Moden
angenommen. Bald wurden die Gedichte @viel@ mit Iuwelen, Gold,

/|PR_187_Z_13

/Eine allgemeine Regel
der Sitten brauchen wir
nicht zu suchen, wir haben sie. ~

/|P_188

/Stürmen, schwarzen Wolken ausgefüllt, Kurz darauf kam
die Mode auf tändelnd zu schreiben. Vielleicht bemühte sich
jemand hier einen französischen Schriftsteller den er selbst
nicht verstanden, nachzuahmen; - es gelingt aber nicht, hierinn
die Franzosen nachzuahmen. Nachher kam ein gewißes Spiel
in Ant«h»ithesen auf. Man sieht es einer Schreibart bald an
wenn sie auf einem gewißen Leisten gemacht ist. Das wesentliche
der %.Schreibart ist Leichtigkeit, sie muß gar nicht scheinen Mühe
gekostet zu haben. Soll etwas gut geschrieben seyn, so muß man
dies nicht einmal bemerken, außer nur nachher in den Folgen.
Verfeinerung des %.Geschmacks ist von der Verzärtelung unterschieden.
Die Empfindung gehört zur Beurtheilung. Gegen Vergnügungen
empfindlich seyn, zeigt Schwäche, wer einen verfeinerten Geschmak
hat, findet bald wo Beleidigungen stecken, aber er kann sie groß-
müthig ertragen, und braucht seine Kenntniß dazu, daß er sich
hütet, andere zu beleidigen. Aber die Verzärtelten sind empfindlich
%.und nehmen die kleinste Beleidigung übel auf. An einer Manns-
person ist dies Schwäche, bei den Frauenzimmern leiden wir sie
wegen ihres Geschlechts. An ihnen schätzen wir sie hoch, und
ein dreistes Frauenzimmer ist uns eben so zuwider, als ein
weibischer Mann. Ein Mann muß %empfindend %zärtlich seyn
aber nicht %.empfindlich oder verzärtelt. Ein %zärtlicher Ehemann %oder
Liebhaber ist der, der in der Wahl der Wörter behutsam
%.und delikat ist, und alles was ja beleidigen könnte, sorgfältig abhält.

/|PR_188_Z_2

/So werden verschiedne
Versarten Mode. z. E.
Lieder nach Klopstock. ~

/|P_189

/Dazu gehört ein feiner Geschmak, d. h. quod emollit mores.
Die Wissenschaften gewöhnen die Menschen nur zu reflectiren,
und können auch dadurch ihren Geschmak verfeinern. Unser Gefühl
in Ansehung der Reize und Rührungen, ist im Geschmak sehr unter-
schieden, und kann zwar mit ihm vergesellschaftet werden,
aber es macht den Geschmak selber nicht aus. Wer immer
Reitze und Rührungen verlangt, hat keinen Geschmak.
In Schriften, Gedichten und allen Werken des Witzes, können Rührungen
schön angebracht werden, allein es muß erst das Thema, der Gegen-
stand schön ausgemahlt seyn. Ich muß erst von der Sache selbst
ein faßliches Bild haben, und die Rührungen werden nur mit
untermengt, und dienen zur Theilnehmung einer Sache. Reitz aber
ohne Geschmak ist ein blinder Reitz. Prahlerei und Pracht sind
dem wahren Geschmak entgegengesezt, durch Verschwendung
verliert der Geschmak viel, denn er besteht eben darinn,
daß man mit Sparsamkeit und wenigen Kosten etwas schön
habe. So sagt ein Mahler von der Venus eines andern, da
du sie nicht beßer hast mahlen können, mahlst du sie sinnreich.
Er hatte sie aber mit Iuwelen behangen. Eine Person mit viel
Schmuck gefällt lange nicht so, als das sanfte, %.und dies ist nicht
kostbar %sondern simpel %.und geschmakvoll. Pracht bezieht sich auf
Ehrgeitz, %.und alles was prächtig und gezwungen läßt will %nicht
gefallen. Wenn die Manschetten so herfür kommen, als
wollten sie nicht gesehn seyn, so laßen sie schön. Ein Kleid

/|P_190

/muß commode seyn scheinen, nicht als ob man sich ängstlich
fürchte, irgendwo damit anzustoßen, um es nicht zu beschädigen.
Es muß %.überhaupt immer etwas legères beim Geschmak seyn.
Wenn ich an einem Ort zu Gaste bin, %.und die Frau läuft
zusammt dem Bedienten stets herum, so gefällt es nicht,
die Speisen mögen noch so schön seyn. Denn das Vergnü-
gen muß man nicht mühsam suchen, wohl aber die Nahrung.
In Ansehung des Geschmaks müßen wir etwas festgeseztes,
gewiße Urbilder haben, sonst zerstört die Mode alles. Der
griechische und lateinische Geschmak hat sich noch am reinsten
gehalten, und dient zum Muster. Gingen diese Dichter verloren,
so würde der Geschmak großen Revolutionen unterworfen
seyn. Es muß eine todte Sprache seyn, sonst werden Worte und
Ausdrücke geändert. Vor 100 Iahren lobte man den Reineke Fuchs
%.und er war damals in den besten Versen abgefaßt; jetzt lacht
man darüber. Die Franzosen fürchten den Verfall des Geschmaks
sehr und haben auch Ursache, denn alle lateinische und griechische
Bücher werden in ihre Sprache übersetzt. Als zulezt das Corpus
juris in ihre Sprache übersetzt wurde, sagte jemand, jetzt
wird auch keiner mehr lateinisch lernen. Die Antiquen der
Bau und Bildhauerkunst, in der Poesie und Redekunst, dienen
zum Muster, hörten diese auf, %.und gingen verloren, so würden die %Menschen
auf vielerley Empfindungen kommen, und es muß also ein Muster
da seyn, wenn etwas bleiben soll.

/|P_191

/Der Delicatesse des Gewißens bei dem, was zur Freund-
schaft gehört, ist der fähig, der seine sinnliche Urtheilskraft
geschärft, der Geschmak hat. Denn dieser bringt den Menschen
darauf was allgemein gefällt, und preparirt ihn schon zum
gesellschaftlichen Leben. Der Mensch von Geschmak wählt nicht
was ihn vergnügt, sondern was allgemein gefällt. Er sieht die
Dinge aus einem gemeinschaftlichen Punkte an, Er muß aber
natürliche Quellen aus innerer Beschaffenheit des Geschmaks,
nicht aus Mode wählen, (denn das %modische Wählen verräth einen
Menschen «ohne» von wenig Grundsätzen. Alle Sinnlichkeit bereitet
dem Verstande schon die Sache vor, so daß die Handlung des
Verstandes dadurch eine gewiße Leichtigkeit bekommt. Der %.Geschmack
führt uns nicht durch <all>gemeine Regeln, %sondern durch besondre
Fälle. Die Vernunft ist eine Art von Hofmeisterin, mit
der man sich nicht aus Neigung %sondern aus Nothwendigkeit beschäftigt.
Der Verstand ist etwas, das durch die Länge beschwerlich wird, daher
ist uns alles, was die Function desselben mit mehrerer Leich-
tigkeit verwaltet, angenehm. Dies thut aber der Geschmak, %.und
stellt uns Fälle in Concreto vor. Derjenige der die Ver-
nunft mit dem Geschmak verbindet, bestreichet gleichsam den Rand
des Bechers, der voll von einer zwar etwas widrigen, aber sehr %nützlichen
Arzney ist, mit Honig. Aber viele Menschen sind wie Kinder, sie lecken
vom Rande den Honig ab, ohne die Arzney zu berühren. Sie lesen
schöne Bücher, um blos für den Geschmak etwas <zu> sammeln, als schöne
Ausdrücke, Historie, %.und %.der %.gleichen %.und denken nicht einmal an den Endzwek des Autors.

/ δ_Lage_Z.

/|P_192

/Bei jeder Sache bemerken wir etwas selbstständiges Schöne, indeß
versteht es sich von selbst, daß die Sachen, die an sich nichts selbst-
ständiges haben, denn ihr etwaniger Reitz ist nichts selbstständiges
z. E. das Modische. Ieder Mensch will Original seyn, %.und diese Idee
recommondirt ihm eine Mode zu machen; indem er sich vorstellt,
wie viele ihm folgen werden, %.und eine Idee muß bei jeder
Sache zum Grunde liegen. Wir können eine Sache nicht eher für
schön halten, als bis wir wißen, was für eine es sey. So kann
man z. E. noch nicht urtheilen, ob ein gemaltes Gesicht schön sey, wenn
man noch nicht weis, ob es ein Mann %oder ein Frauengesicht seyn
soll, und ein gemachter Kopf kann als Mannsperson schön,
als Frauenkopf aber heßlich seyn. Ein Rock kann als Regenrock
vielleicht schön, als Gallakleid aber heßlich seyn. Man muß also
ehe man urtheilt, wißen, wozu die Sache bestimmt ist. Man muß
allemal die Idee der Sachen voraus setzen. Diese Idee ist von
vielen Dingen zusammengenommen abgeleitet, und gleichsam
das mittlere von allen Egressen und Defe«k»cten vieler Specierum.
Das Muster der Schönheit liegt also im Mittlern der Species. In
Ansehung alle Dinge ist die Uebereinstimmung der Rührung mit
der Idee die wahre Schönheit. Man muß aber die Materialien der
Schönheit, von der Schönheit selbst sehr wohl unterscheiden, denn die
Materialien machen nicht die Schönheit aus, sondern die Zusammenord-
nung, Verbindung und die Form. So sind z. E. hübsche Farben die
Materialien der Schönheit, allein durch ihre Zusammensetzung ent-
steht die Schönheit selbst. Sie wird als ein Accidens angesehn,

/|P_193

/wenn man erst den Begrif einer Sache hat. Was aber der Absicht
der Sache wiederstreitet, ist der Schönheit zuwieder, und kann nicht
lange gefallen, d. h. die Sache die schön seyn soll, muß mit
der Idee zusammenstimmen. Ein enges Kleid z. E. gefällt nicht
denn es wiederstreitet der Absicht, es sollte commode seyn.
Die Alten machten an den Häusern Pfeiler nach einer Spi-
rallinie, weil sie die Pfeiler unsrer Art für plump hielten,
man sieht aber bald daß dies mit der Idee des Hauses
nicht übereinstimmt, wenn es fest seyn soll, %.und die Schönheiten
sind nur accidentia. Alle Reitze die der Absicht der Dinge
wiederstreiten, sind dem Selbständigen der Schönheit entgegen.
Dies leztere besteht in einem Gedicht, oder in einer Rede, in der
Beziehung auf Sinnlichkeit, auf Gründlichkeit, Wahrheit und
Reinlichkeit. Die logische Vollkommenheit macht also das Schönste
Selbstständige aus. Die Kenntniß der Menschen und der Wissenschaften
giebt uns den Stoff an die Hand, über den wir alle Schönheit
verbreiten können. Der Verstand macht dazu die Grundlage
und wo er durch Schönheit secondirt wird, da ist was dauer-
haftes. Alles hingegen ist umsonst, ein schöner Geist mit
einem leeren Kopf werden zu wollen. Wenn man den David
Hume, einen der neuesten Schriftsteller, und einen englischen
Zuschauer ließt, so weis man nicht ob man hier die Schönheit %oder die
Gründlichkeit und die Einsichten schätzen soll. Keiner unter den

/|P_194

/Schriftstellern, die dies Selbstständige nicht gehabt, ist in
seinem Geschmak bewundert geblieben. Schönheit aber kann vom
Meister nicht erlernt werden, wenn man keine gründliche Kenntniß
von Sachen hat. Denn die aesthetic ist keine Doctrin, sondern nur
eine Critik. Critik ist die Unterscheidung des Werths in einem
schon gegebenen Subject, indem man gewiße Produkte critisirt
übt man den Geschmak. Wäre sie Doctrin, so könnte man lernen
witzig werden, den Doctrin ist eine Unterweisung so wie man
etwas schönes herfürbringen soll. Das Sylbenmaaß und das Rei-
men, kann man zwar eben so gut lernen, als drechseln, aber dichten,
Neuigkeit der Gedanken, lebhafte Bilder, Abstechungen machen, oder
Bewunderung erregen, ist nicht zum lernen. Indeß hat sie den Nutzen
daß man durch vielfältige Cultur durch Critic anderer, sich in Uebung
%.und Fertigkeit setzt, sich selbst zu critisiren %.und zu beurtheilen, daß
sie die Urtheilskraft schärft, und das Genie indirecte excitirt.
Man wird als denn nichts, %oder wenn man schreibt, etwas schö-
nes schreiben. Die Critic lehrt aus den Vorrath, den wir an
Erkenntnißen haben, wohl anbringen. Was da gefällt, ist den aesthe-
tischen Regeln gemäß, aber nicht alles was nach aesthetischen Regeln
abgefaßt ist, gefällt. - Ist aber ein Fall, der unter einer
Regel steht, nicht nach Geschmak, und gefällt nicht, so ist die Regel
falsch. Denn aesthetische Regeln können nicht a priori %sondern
aus Beyspielen d. h. durch Erfahrungen (a posteriori) bewiesen werden.

/|P_195

/So kann man eine ganze Lehre der Kritic abfaßen, z. E. es macht
jemand ein Gedicht nach allen Regeln, und doch gefällt es zuweilen
nicht. Wem ist nun zu glauben? den aesthetischen Regeln, %oder denen
welchen es nicht gefällt? Den leztern, denn alle aesthetische Regeln
sind nur vom Geschmak vieler Menschen abgezogen. Nichts aber
schadet mehr dem Genie als Nachahmung, wenn man nemlich glaubt,
nur nach der Aesthetik entscheiden zu dürfen, dieß geschieht
leider in den Schulen, und eben diese, wo man Kindern Regeln
zu Briefen, Chrien pp vorschreibt, sind Schuld an dem Ma<n>gel
der Genie's in unsern Zeiten. Gewiß möchte ein alter Römer
nicht wenig lachen, wenn er unsre lateinische Schriften lesen sollte,
denn man kann sich ungemein in der Verbindung der Wörter
irren. Das deutsche Wort übersetzen ist übel angebracht, wenn
man sagt, er hat das Deutsche ins Lateinische übersezt, so ist
dies zwar grammaticalisch recht, doch ein lächerlicher Ausdruk.
Bei den alten Griechen wurden die Autoren nur citirt, und
die Genie's dadurch excitirt.

/Der Geschmak scheint nichts wesentliches zu seyn, denn man
sieht wohl ein, daß er von der Vollkommenheit sehr unterschieden
ist, indem er uns nur Dinge als vollkommene vorstellt, die
es nicht sind. Bloße Politesse zeigt eben noch nicht gute Gesinnung an
so wie ein guter Ausdruk noch keinen Verstand anzeigt. Eine
Uhr kann richtig gehen, ohne viel Schönheit. Und Modenuhren
sind schön geputzt, gehn aber darum doch oft sehr unrichtig.

/|P_196

/Also scheint der Geschmak gewißermaaßen ein Blendwerk zu
seyn, womit Menschen sich hintergehn, um die Dinge sich ange-
nehm vorzustellen, und üble Stellen dadurch zu verdecken. Die
Artige Manier sich gut auszudrücken, ist gleichsam nur ein Firniß, wo-
mit man alles überzieht, aber kein eigentliches Verdienst. Das Wohl-
gefallen durch den Verstand ist ganz etwas anders, als durch
Sinnlichkeit. Das erste heist gut, das andere schön. Sollen aber
alle unsre Urtheile des Verstandes practisch werden, so muß
sich der Verstand zur Sinnlichkeit herablassen, denn allein ist
er nicht hinreichend. Doch muß ihm stets die Sinnlichkeit unter-
geordnet seyn. So zeigt der Compas nur die Weltge-
gend an, und giebt dadurch Anlaß zur Richtigkeit des Schiff's,
aber er bewegt das Schiff nicht, dazu gehören Regeln. Und
so schreibt auch der Verstand Regeln vor, deren Ausübung
aber nur in so fern möglich ist, als sie auf Gegenstände der
Sinne angewandt werden. Es müßen demnach die Menschen
Geschmak haben, um die Regeln der Vernunft in Ausübung
bringen zu können, vorzüglich in der Sittlichkeit. Und in der That
ist der Geschmak auch nichts anders, als die ganze Tugend, angewand
auf Kleinigkeiten, %oder auf Gegenstände, die keine große An-
gelegenheit des Menschen ausmachen. Z. E. Politesse --- <@kluges@ %.Verhalten> auf
kleine Gegenstände angewandt. Ist die den Frauenzimmern er-
wiesene Höflichkeit nicht aus «Distinction»<Großmuth> entsprungen?

/|P_197

/Begegneten ihnen die Mannspersonen nicht großmüthig, wie
tief würden sie wegen ihrer Schwäche sinken, und so erwarten
alle Personen von der Großmuth anderer Achtung. Wird aber
nicht die Großmuth hier auf etwas unerhebliches angewandt?
Ein Mann von Politesse muß, wenn er Gäste bewirthet, bloß darin
seine gröste Mühwaltung bestehen lassen, den lezten Platz einnehmen pp
sollte auch dies auf seiner Seite mit der grösten Unbequemlichkeit
verbunden seyn. Was ist dies aber anders als Freundschaft und
Bemühung anderer Wohl zu befördern, was anders als Politesse
gutartige Gesinnungen, und ist dies nicht Tugend. Auch muß ein Mensch
von Geschmak in Gesellschaft nichts von sich selbst sprechen. Denn
es zeigt an, daß man sich ein vorzüglicheres Recht einräumen
wolle, welches andere nicht gerne sehn. So gehts mit allen
Regeln des Geschmaks im Umgang. Er macht den Menschen
fähig in Ansehung des Wichtigen sehr leicht die Disharmonie.
Und auf diese Art ist der %.Geschmack eine beständige Cultur der Tugend,
indem er die Menschen fähig macht bei wichtigen Dingen aufs
pflichtmäßige zu sehn, und das geringste gegen einander abzu-
wiegen. Alles Sittliche enthält zugleich das Schöne. Wenn ein
Mensch etwas ungeziemendes spricht, so sagt man, er hat
keine Conduite, Oft kann man auch etwas sprechen, was sich
zwar schikt, aber doch nicht gefällt. Es ist unser Geschmak gleich-
sam ein Augenmaaß von allem Schiklichen. Es kann auch zuweilen ein

/ Mensch

/|P_198

/Mensch der unschikliches redet Conduite und Artigkeit
besitzen. Ein Mensch der schiklich ist, ist wohlerzogen, der welcher
darauf sieht, was gefällt, hat Geschmak. Schicken und geziemen
ist der Grund von Schönheit, und dies schreibt der Verstand vor.
Alles Schöne, alle Manieren haben den Grund in der Moralität,
denn was boshaft ist, kann nicht schön seyn. Man kann die Mo-
ralität in allen Handlungen der Menschen finden, das Urtheil
das wir in jeder Gesellschaft von jeder Miene anderer Personen,
von dem Betragen der Kinder gegen ihre Aeltern fällen, hat je-
derzeit seinen Grund in der Moralitaet, ob wir es gleich zur
Politesse rechnen, dieß macht, daß die Moralitaet nicht ungesellig
ist. Die Tugend nimmt uns ein, nicht durch den Gebrauch, %sondern
in sofern sie uns gefällt. Auf diese Weise arbeitet der Geschmak
der Tugend vor, giebt ihr das Gefällige und macht, daß sie auch in
der Erscheinung gefällt, denn sofern sie nur durch oder in der
Vernunft gefällt, ist sie ein Gebot. Gebote aber sind dem Menschen
jederzeit verhaßt. Der Geschmak ist also ein Analogon der
Vollkommenheit, und seine Verfeinerung von großer Wichtigkeit.
Es ist in der Anschauung das, was Sittlichkeit in der Vernunft ist.
Nun aber entsteht die Frage, wie wird der Geschmak studiert?
Man muß ihn lernen, - Der Mensch ist eine besondre Creatur,
die alles lernen muß. Hume behauptet in Ansehung des Rousseau,
daß auch Tugend müße gelernt werden, und so auch der Geschmak

/|P_199

/durch Erlernung kann man ihn nicht erzeugen, %sondern indem
wir unser natürliches Talent excoliren. Welches ist nun die
Art zu einem richtigen und gesunden Geschmak zu gelangen?
Nicht durch Regeln, denn er unterwirft sich keiner Regel, %sondern
nur durch Anschauung, d. h. dem Beispiel in der Sache selbst,
und dem unmittelbaren Anschauen, das die Sache in mir hervor-
bringt, d. h. der Erscheinung selbst. Allein es kann mir jemand
eine Sache zeigen wollen, mit der Versicherung, daß es mir gefallen
werde. Allein eigentlich kann niemand sagen, das soll mir gefallen,
denn der Geschmak gründet sich nicht aufs Sollen, die Regeln mögen
sagen was sie wollen, so gebieten sie nicht, sondern critisiren nur.
Zu allem andern kann man eher gezwungen werden, als daß uns
etwas gefalle. Dies steht gar nicht in des Menschen Gewalt.
Alle Regeln also die etwas in Ansehung des Wohlgefallens ge-
bieten, sind lächerlich, weil sie sich auf Beobachtungen gründen
%.und von der Menge der Fälle abstrahirt sind. Geschieht es nun,
daß jemanden etwas, was nach allen Regeln des Geschmaks ein-
gerichtet ist, doch nicht gefällt, so kann man nicht den Geschmak
des Menschen unrichtig nennen, %sondern die Regel ist falsch.
Es ist sonderbar genug, daß hier die Apellation im Verstande
zur Erscheinung gilt, da es sonst doch gerade umgekehrt ist. Lessing
ist ein starker Kenner der theatralischen Regeln, und doch gefallen
viele seiner Stücke im Zusammenhange nicht, ohnerachtet die Theile
gefallen. Wenn er nun einem, dem seine Gedichte nicht gefallen,

/ zeigen

/δ_Lage_AA.

/|P_200

/Zeigen wollte, daß seine Spiele nach allen theat«r»hralischen
Regeln abgefaßt wären, so würde er ihm antworten: laßt
mich mit euren theathralischen Regeln zufrieden, genug es gefällt
mir nicht. Dieß ist ein sicheres Kennzeichen, daß die Regeln
unrichtig sind. Eine jede Regel erfordert eine besondere
Bestimmung. Nun läßt sich durch solche Regeln eher anzeigen
was da misfällt, d. h. negative, als was gefällt %oder positive ist,
weil der allgemeine Wiederstreit leichter zu beobachten ist
als der Grund der Verknüpfung. Der einzige Weg, unsern
Geschmak zu bilden, ist der, daß uns viele Gegenstände der
Natur vorgelegt werden, und daß wir an denselben das
Reitzende und das Rührende zu unterscheiden suchen. Der
Reitz gehört zum Schönen, die Rührung zum Erhabenen - und
zu beiden Urtheilskraft. Zum Erhabenen gehört kein Geschmak,
den nur die Urtheilskraft vom Schönen ist Geschmak. Alles was
durch die Mannigfaltigkeit die Thätigkeit unsers Gemüths in
Bewegung setzt, gehört zum Schönen, und zum Reitze. Was
aber dem Grade nach die Thätigkeit des Gemüths befördert,
ist erhaben. Das Erhabene erregt Achtung, und grenzt an Furcht.
Bei allem Erhabenen wird die Seele ausgedehnt, und die Nerven
werden gespannt. Das Schöne erregt Liebe, und grenzt an
Verachtung, denn was blos schön ist, erregt Ekel. Beim Reitze
ist man zur Abstechung geneigt, denn alles ist uns zuwider, was
uns lange voreilt. Alles aber, was den Menschen reizt, zwikt ihn,

/|P_201

/das Schöne aber reitzt, und daher wird der Mensch durch be-
ständiges Drillen endlich ermüdet. Ueberhaupt kann man keiner
Sache eher überdrüßig werden, als wo alles auf Schönheit ange-
legt ist. Daher auch die süßen Herren, die voll von Höflichkeit
und Geschmak sind, zulezt unerträglich werden. Was das
Erhabene betrifft, so spannt es die Nerven aus, und schmerzt
wenn es stark angegriffen wird. Ia man kann es bis zum
Schrecken und zur Athemlosigkeit treiben. Alles wunderbare ist
erhaben, und eben deswegen angenehm, wenn man es in Gesell-
schaften erzählt, in der Einsamkeit aber schrekt es. Ia selbst der
gestirnte Himmel, wenn man sich bei dessen Anblik erinnert,
daß dies alles Weltkörper und Sonnen sind, die wieder eine
ähnliche Menge Weltkörper um sich drehen lassen als unsere Sonne,
erregt ein Grausen und ein Schrecken in der Einsamkeit, weil man
sich einbildet, daß man als ein kleines Stäubchen in einer un-
ermeßlichen Menge von Welten, nicht verdient, von dem all-
mächtigen Wesen bemerkt zu werden. Alle diese Bewegungen
nun, wie das Schöne und Erhabene, laufen zulezt auf etwas
sehr mechanisches hinaus, und alle diese Thätigkeit befördert
ihr Leben im Ganzen.

/ ≥ Vom Wohlgefallen, oder Misfallen in Ansehung der
Gegenstände, in so fern sie als gut oder böse
angesehn werden. ≤

/Nachdem wir nun geredet haben von dem was in der %Empfindung
und Erscheinung gefällt, so gehen wir nun zur 3ten Abtheilung,

/ und reden

/|P_202

/und reden von dem was im Begriffe gefällt, %oder was gut ist.
Die Gründe des Wohlgefallens @beim@ Vergnügenden und Schönen
sind subjectiv, beim Guten und Bösen aber objectiv. Der
Grund von dem was in der Erscheinung gefällt, ist zwar zum
Theil auch objektiv, aber nur in Ansehung der Sinnlichkeit.
Was angenehm oder unangenehm ist, versteht ein jeder grade
zu. Wenn aber jemand etwas beschreibt z. E. der Apfel ist mit
einer farbigen Röthe umgeben, %.und liebkoset gleichsam dem Auge,
so redet er von einer Erscheinung. Nur erscheint zwar dieselbe
Sache nicht allen auf die nemliche Art, aber es ist doch in jeder
Sache etwas was allgemein gefällt oder misfällt. Und es
sind mithin alle Beurtheilungen in Ansehung des Wohlgefallens
oder Misfallens nach Gesetzen der Sinnlichkeit auch objectiv.
Folglich muß mein Urtheil von dem was schön ist, wenn ich etwas
schön zu nennen Recht habe, auch für andere gelten, da im
Gegentheil mein Urtheil über die Annehmlichkeit nicht für jeder-
man gilt. Streiten also 2 über etwas schönes, so kann nur
einer Recht haben, hingegen wenn der Streit Annehmlichkeiten
betrift, so können beide Recht haben. Alle Urtheile des Geschmaks
sind allgemein gültig nach Gesetzen der Sinnlichkeit. Reiz und Rüh-
rung sind subjectiv, und gehören also fürs Gefühl. Daher kann
ein Urtheil von einem Gedicht, daß es reitzend sey, nicht allgemein
gelten. Denn es gibt keine allgemeine Gesetze in der Empfindung.
Und wenn ja einige darinn übereinkommen, so geschieht es zufälli-
ger Weise. So weiß man vom Zucker, und von der Süssigkeit überhaupt,

/|P_203

/daß es allen @Thieren gut schmekt@ allein dies rührt aus uns un-
bekannten Gründen her Es giebt aber auch gewiße allgemeine
Gesetze der Sinnlichkeit die @ich@ a priori vor aller Anschauung
und Erfahrung erkenne, und die das ist Raum und Zeit - - - 
Nur allein die Musik ist im Stande bei uns ein Wohlgefallen
zu erregen, das aus dem bloßen Spiele der Empfindung herrührt.
Denn das bloße Klopfen der Luft auf der Ohrdrommel, kann
uns nicht so sehr vergnügen, sondern die vielen Bebungen der
Luft in einer bestimmten Zeit, und die proportion der auf ein-
ander folgenden Töne, erregt bei uns das Vergnügen, was
durch eine einzige dieser Empfindungen nicht verursacht werden
könnte. Auch ein einziger Ton verursacht schon ein Spiel der %Empfindung.
Das Verhältniß des Mannigfaltigen in der Zeit, ist das Spiel.
In der Zeit gefällt also das Spiel, im Raum aber die Gestalt,
d. h. die Qualitaet in der Einschränkung des Raumes. Die Größe
im Raum gefällt eigentlich gar nicht, sondern sie gehört zur Rüh-
rung - also zum Erhabenen, wenn sie gefällt. Schön bleibt
schön, aber erhaben bleibet nicht erhaben, wenn ich es gewohnt bin.
So sagt man, daß die nogaische Tartaren, wenn sie einen von
unsern Officires sehen, die Hände ausstrecken um ihre Größe
zu messen, da wir hingegen gleichgültig dabei sind. Werde ich
durch die Größe nicht afficirt, so ist die Sache auch in Ansehung
meiner nicht erhaben, und mithin gehört die Größe gar nicht
zum objectiven Urtheil - : also sind Urtheile über das Schöne allgemein.

/|PR_203_Z_11

/NB. Es ist bekannt, daß ein
Ton 500 und mehr Bebungen
in einer Secunde macht.

/δ_Z_24

/Wie oben schon
bewiesen. ~

/|P_204

/Die Urtheile über das Gute und Böse sind allgemein
für alle vernünftige Wesen, sie mögen seyn wer %oder was
sie wollen, Engel, Menschen pp. Das Erhabne gehört zum
Gefühl, das Schöne zum Geschmak. Was wohlgefallen
kann ohne daß es allgemeinen Regeln untergeordnet ist,
darf auch nicht allgemeinen Gesetzen gefallen. Mithin
gehört alles Urtheil vom Erhabenen zum Subjectiven. Ein «Engländer»
französischer Arzt schrieb, daß er nie den Eindruck des
Erhabenen vergessen würde, den er auf dem Berge Aetna
empfunden, da er die ganze Insel Sicilien mit ihren Städten,
Neapel, das adriatische Meer habe übersehen können.
Beim Felsen kommts nicht auf das Verhältniß, sondern auf
den lezten Affect den ich davon habe, an. Nur bloß Verhält-
niße sind einer Regel fähig, was aber auf den Eindruk geht,
kann allgemeinen Regeln nicht untergeordnet seyn.

/Der Ocean ist erhaben, aber nicht mehr für einen Seefahrer
der schon in Indien gewesen ist. Das Schöne gefällt jederman
z. B. Ein Stieglitz. Man wird zwar das Schöne gewohnt, aber
gleichgültig wird es uns nie, denn Ordnung %.und Ebenmaaß mit
Mannigfaltigkeit verbunden, wo mehr Abstechung der Vor-
stellungen ist, erleichtert das Spiel der Sinnlichkeit. Obgleich
allgemeine Regeln sind so dürfte es doch oft schwer fallen
sie heraus zu klauben; wenn mir etwas gefällt, %.und ich sehe bei

/|P_205

/andern das Gegentheil, so halte ich es nicht für eine
ei<gene>gentliche Beschaffenheit des Objekts, sondern meines Subjekts.
Man würde gewiß keine Veränderung des Objects auf uns für
wahr halten, wenn andere nicht übereinstimmen sollten.
Wenn mir etwas in den Ohren klingt, und andere sagen, es
wird gelautet, so halte ich meine Empfindung für wahr.

/ ≥ Bemerkungen über den Geschmak. ≤

/Man hat bemerkt, daß es den Leuten, denen es an einer
Art vom Geschmak *1 fehlt, an allen Arten desselben fehle,
vorausgesetzt, daß es Leute seyn müßen, die Umgang, und
also Gelegenheit gehabt haben, ihren Geschmak zu cultiviren.
Am Umgange, an der Kleidung lernt man den Geschmak
kennen. Menschen die sich aus Musik nichts machen, halten
gewöhnlich auch nichts von einer schönen Schreibart %.und von
Poesie, ja sie sind wohl gar gefühllos gegen die Reitze der
Natur. Eben die Singularitaet, die jemand in Kleidung und
Umgange beweiset, hat er auch in andern Sachen. Man kann
annehmen, daß man aus eines %Menschen Schreibart wohl urtheilen
könne, wie er auf der Straße geht, steif -- %oder flüchtich.
und wie er in Gesellschaft sich bezeiget. In anderer Art
kann man aus der Wahl der Farben, die ein Mensch in einer
Reihe von Iahren getroffen hat, schlüßen, was er für eine
Gemüthsart habe. Das alte Sprichwort, noscitur ex foro pp

/|PR_205_Z_8

/*1 Man versteht da-
runter die Fertigkeit
zu wählen, was
jedermann gefällt. ~

/|P_206

/möchte also hier eintreffen, denn im Geschmak offenbaren
sich die übrigen Gemüthszüge des Menschen sehr deutlich. Ob
jemand ein Heuchler %oder ein Aufrichtiger, ob er stolz oder
eitel sey, kann man schon aus einem Briefe erkennen.
Es findet zuweilen aber auch eine große Geschicklichkeit ohne
Geschmak statt. So ersetzen z. B. sehr oft Tonkünstler den
ihnen mangelnden Geschmak durch ihre eigenthümliche Kunst. Doch
vermißt man in ihrer Musik das Gefällige. Wenn
einem etwas nicht gefallen will, so sagt man er versteht es nicht,
man braucht den Ausdruck bei einer Sache deren Kunst man
nicht zu schätzen weiß die aber sonst vielleicht gar nicht
schön ist. Es giebt Leute, die blos Kunst bewundern, z. E.
daß jemand die Haut bois spielen kann, daß sie den Ton einer
Flöte verräth, allein solche Leute gehören in die Classe derer-
jenigen, denen eine ihrer Seltenheit wegen gefällt. Der Geschmak
am künstlichen ist wie der Geschmak am seltenen, gar kein Geschmak.
Ein mit großen Kosten angelegter Garten, %oder eine prächtige Tafel
wo lauter Aufwand herrscht, gefällt also nicht, denn für den
Geschmak ist, etwas mit wenigen Kosten so einzurichten, daß es
gefällt. Magnificence %.und Geschmak sind also unterschieden.
Das Spiel in Gesellschaft ist wenn sie eine Monotonie <Langeweile> be-
kömmt, Nothmittel dagegen. Es ist gut indem das Gemüth dabei Motion
auch Ruhe findet. Es vergnügt, weil «alle»<das> Princip«e» des Lebens
hier auf alle Art gezwikt wird, es befördert selbst die Transpiration.

/|PR_206_Z_20

/Venus mit Gold %.und
Perlen geschmückt, xeuxis
sagt, du kannst sie nicht
schön mahlen, %davor hast du sie reich
gemahlt. ~

/|P_207

/Eine Gesellschaft ist nicht complet, wenn kein Frauenzimmer
dabei ist, denn diese müssen als Richterinnen in der Erscheinung
des Schönen angesehn werden. Es sind demnach die Gesellschaften
Schulen des Geschmaks, besonders thut der Umgang einer
Mannsperson mit dem Frauenzimmer hierinn sehr viel. Die
Frauenzimmer haben nur darum das %männliche Geschlecht nöthig, weil
ihre Talente von demselben aufgefordert werden, nicht aber
wegen der Ausbildung des Geschmaks. Ein Frauenzimmer puzt
sich nicht für Mannspersonen, denn es weis daß es diesen im
Negligee oft besser gefällt, als im Putz, sondern es putzt sich blos
für andere Frauenzimmer, deren Musterung durchzugehn, nichts leichtes ist.

/ ≥ Vom Geschmak verschiedener Nationen. ≤

/Die französische hat hierinn etwas besonders eigenthümliches; sie
scheint sich schon seit Caesars Zeiten im Geschmak herfürgethan
zu haben. Im alten Griechenland aber findet man mehr als blos
Geschmak. Es herrscht bei der %.französischen Nation eine besondre
Fröhlichkeit eine glükliche Art von Leichtsinn, vermöge dessen
sie die wichtigsten Dinge en bagatelle tractirt, und hingegen
Kleinigkeiten zuweilen sehr erheben kann. Daher kommt es, daß
es ein sicheres Kennzeichen bei ihnen ist, wenn eine Sache in
großem Ansehn steht daß sie ihren Untergange nahe ist, %.und daß
im Gegentheil eine Sache, die ganz heruntergekommen zu seyn
scheint, eben deshalb ein Schiksal zu erwarten hat, welches sie bald emporbringt.

/δ_Lage_BB.

/|P_208

/Und in der That gehört auch für den Geschmak ein beständiger
Wechsel. Die alten Griechen hatten noch etwas ausser dem Geschmak,
dem man aber keinen Nahmen geben kann, weil bei ihnen nicht nur
Leichtigkeit, sondern auch ein gewiße Art von Proportion, %.und ein wahres
Wohlgefallen nach Gesetzen der Sinnlichkeit statt hatte. Die Fran-
zosen haben durchgängig selbst bis auf die niedrigern Classen eine
gute Erziehung. Bei uns hingegen ist hierinn eine erstaunliche Gra-
dation, %.und man findet sogar auf der obersten Stufe plumpe Leute.
Der unbändige Leichtsinn der Iugend ist bei den Franzosen zu ta-
deln. Sie haben die sittsamsten Ohren, %.und selber sind sie doch nicht
sittsam, und besitzen keine wahre Höflichkeit, %.und die Deutschen
sind im Grunde weit höflicher als sie. Denn in Gesellschaft des
Frauenzimmers binden sie sich an keine Reinlichkeit im Ausdruk;
und in der Aufführung. Wegen des Bewustseyns, daß sie sich
in alle Gestalten schicken können besitzen sie Hardiesse aber
keine Höflichkeit. Wenn sie aber zu Iahren kommen, so haben
sie eine besondere Annehmlichkeit, die sie bis in späte Alter behalten.
In Frankreich ist man gegen Fremde höflich aber nicht gastfrey,
aber in Deutschland herrscht Gastfreiheit im eigentlichen Sinne.
Im Geschmak möchten die Deutschen wohl nie Original werden,
dagegen haben sie viel voraus in Ansehung des methodischen,
der Geist der Disposition, Genauigkeit, Ordnung pp ist ihren
Schriften ganz eigen. (sie gleichen einem %menschlichen *1 Körper dem die Haut abgezogen)

/|PR_208_Z_24

/(*1 Wo zwar viel Zusammen-
stimmung in den Muskeln %.und Ner-
ven herrscht, der aber nie in
solcher Gestalt gefält) ~

/|P_209

/Wir finden Nationen wo Geschmak ohne Reinigkeit «zu» herrsche«n»t
«pflegt» welches man von Italien zu gestehen pflegt. (Siehe %.brittisches Museum
2ter Theil) - Die Unreinlichkeit, wenn sie ja beim Geschmak ist,
muß nicht in die Augen fallen, denn der Geschmak geht blos
auf das in die Augen fallende. Die Holländer sind die reinlichsten
und haben keinen Geschmak. Er unterscheidet sich vom Vergnügen
in der %Empfindung, denn der Appetit mahlt das was ihm gefällt.
Reinlichkeit %.und Zierlichkeit %finden nur unter mehrern Menschen
statt, wo einer die Musterung des andern passiren muß.

/Die englische Nation zeigt in ihren Verrichtungen Sentiment
an, im Deutschen hat man keinen Ausdruck, der dem Sinn dieses Wortes
genau anpaßte. Es drükt mehr als Empfindung aus, es ist <%gleichsam> das
Augenmaaß über das was vollkommen und gut ist, %.und nach der
Vernunft wohlgefällt pp - Man sagt von einen Menschen,
er sey vernünftig, wenn er durch eine %willkürliche Anwendung
der Vernunft, den Werth und Unwerth der Dinge unterscheiden
kann. Wenn aber Leute die nicht studirt haben, eine ganz
praemeditirte Vernunft in ihren Reden äußern, so gefällt
solches noch mehr. Das Sentiment ist auch noch so beschaffen,
daß derjenige der es hat, auch noch eine Art von Gefühl der
Erkenntniß des Guten und bösen beweiset, wogegen die Menschen
so oft gleichgültig sind. So schäzt der Lasterhafte oft die Tugend,
aber sie vergnüget ihn nicht. Ein Menschenfreund kann für seine
Person einem andern ganz gleichgültig seyn, obwohl objective

/ die

/|PR_209_Z_10

/Moralisch Gefühl. ~

/|P_210

/die Menschenfreundlichkeit an ihm geschäzt wird, aber als denn
hat der andere kein Gefühl %.und Sentiment. Lehrer der Tugend welche
selber gegen sie gleichgültig sind, gleichen den Wegweisern,
welche den Weg zwar unabläßig zeigen, aber sich selber doch
nie von der Stelle bewegen. Der Grund hievon ist schwer ein-
zusehn, indeß ist so viel gewiß, daß es keine große geistige
Regung seyn kann, indem es Contradictio in Adjectio wäre,
sich eine solche zu denken, da alles Wohlgefallen bei dem Menschen
vom Cörper herrührt. Wie es zugeht das die Beleidigung und
Misbilligung des Bösen mit Gefühl begleitet wird, mag vielleicht
daher kommen, daß wir uns in die Person des guten Menschen
setzen, und als dann die Billigung des Guten auf uns appliciren.
Epicur schon behauptet, daß alles Vergnügen körperlich sey.

/Die Engländer haben eigentlich gar keinen Geschmack, aber ein
Analogon desselben, und Sentiment. Man bewundert in ihren
Arbeiten *1 Richtigkeit und Vollkommenheit. Bei einem Gegenstande
aber ist die Bonitas und Pulchritudo so nahe verwandt, daß
man sie kaum unterscheiden kann, die Engländer gegen immer
auf die Bonitas - Vollkommenheit der sinnlichen Gegenstände,
Wegen der Richtigkeit deren man sich in England befleißigt,
läßt auch die französische Regierung daselbst alle ihre %.astronomischen
Instrumente verfertigen - dagegen fehlt's ihnen an Geschmak.
Was Schriften anbetrift so ist die Hauptabsicht der Fran-
zosen Verschönerung derselben. Sie suchen weder Gründlichkeit noch

/|PR_210_Z_16

/*1 Welche Gegenstände
der Sinne betreffen. ~

/|P_211

/Einsicht, sondern frappanten Witz, den sie nicht allein in
der Mathematik und Experimentalphysik, sondern auch sogar
in der Metaphysik spielen lassen. Sie halten nur das für frucht-
baren Boden, worauf sie Blumen des Witzes streuen können.
Daher sind ihre meisten Schriften blos zum Vergnügen, gar nicht
zum Unterricht: - Der Geschmak ist vom Genie unterschie-
den, indem er die Materialien desselben so disponirt und ordnet,
daß sie in der Erscheinung gefallen. - Es ist hier ungefähr so
wie mit einer Tafel, worauf alles in Unordnung gestellt ist
und einer die Suppe, der andre den Braten ißt pp. Aber selbst
solche Schriften die witzig seyn sollen, haben nicht sowohl
Geschmak als Empfindungen. Man könnte die Sentiments der Eng-
länder den hohen Geschmak nennen. Denn selbst ihre größten Schrift-
steller Young, Pope, Addison haben mehr hohes als gefallendes
in ihren Schriften. Hume selbst gesteht dies von seiner Nation.
(Voltaire hatte viel Geschmak, doch wird kein %Mensch was von ihm lernen)
Aus dem Geschmak einer Nation kann man leicht auf ihren Na-
tionalcharakter schließen. Ist jener prächtig, so ist dieser
stolz. z. E. die Spanier. In Italien findet man den sogenannten
edeln Geschmak, der auf Empfindungen geht. In der Mahlerei
Baukunst Musik zeigt er sich besonders. Ein Raphaël M. Angelo
haben die Empfindungen unnachahmlich ausgedrükt. Man vermißt
bei den Franzosen, ohnerachtet ihres vorzüglichen Geschmaks,
die Empfindung besonders in der Musik. Dies gilt auch in ihrem
Umgange mit den Frauenzimmern. Sie sind ungemein artig, aber

/ dabei

/|P_212

/dabei ohne Empfindung. Man findet viele Complimente,
Galanterien, Coqueterien, aber nicht für die Empfindung;
dieß zeigen auch ihre Gebäude. Selbst Versailles ihrem
Meisterstück findet man viel prächtiges, nichts frappantes, da-
gegen frappiren die grossen Parks in England sehr, worinn
sie den Geschmak der Chinesen angenommen haben. Daß in
unsern Gärten selten was unterhaltendes zu finden ist, rührt
daher, weil wir gemeinhin die Sorge einfältigen Leuten überlassen.
Von den chinesischen Gärten findet man in der Bibliothek der
schönen Wißenschaften Nachricht.

/In Asien hat nur eine Nation Geschmak, nemlich die Persische.
Die Perser sind die Franzosen von Asien. Wo aber das tartarisch
Blut hingekommen, hat es die Nation grob und ohne Geschmak gemacht.
Die Türken sind weit von allen feinen Empfindungen entfernt. Ihre
Musik ist bis zum melancolischen traurig und schwerfällig. Sie lieben
lauter Gaukelspiele, sie thun nichts als Tabak rauchen und Caffee
trinken, %.und schweifen aus, wenn sie verstohlner Weise Wein trin-
ken, dahingegen besitzen die Perser einen weit feinern Geschmak,
sie sind gute Dichter, besonders in Fabeln, sie sind witzig, scherzhaft,
satyrisch, und gegen die Religion sehr leichtsinnig, wie die Franzosen.
Ihre Verse sollen gut klingen, wenn man sie auch nicht versteht,
doch sind sie im Umgange nicht so gravitaetisch wie die Türken.
Die Perser trinken in ihren Moschéen auch Coffée, plaudern %.und
sagen zuweilen zu ihrem Prediger: Ia, ja, du hast ganz Recht,

/|P_213

/da hingegen die Türken von ganz unglaublicher Ernsthaftig-
keit sind. Wir finden im Hieckon eine Passage wo ein Türke
erzählt, daß ein Franzose auf dem Wege mit dem Teufel zu-
sammengekommen, worauf sie Gesellschaft gemacht, und die
Bedingung unter sich eingegangen wären, daß einer den andern
wechselsweise so lange <auf den Achseln> tragen sollte, als der Getragene würde
singen können. Darauf soll sich der Franzose zose zuerst darauf
gesetzt, und sich Trillo's vorgesungen haben, und sich auf diese
Weise immerfort haben tragen lassen. Darauf fügte der Türke
die Anmerkung hinzu: Wer sich mit den Franzosen in Singen ein-
ließe, wäre übel dran.

/China scheint einen Privatgeschmak zu haben der nur alsdenn gefällt,
wenn man sich eine Zeitlang da aufgehalten hat. Man bemerkt
dies an ihren Gebäuden welche alle nur eine Etage haben, aber
doch sehr bequem gebaut sind. Die Griechen verdienen in Ansehung des
Sentiment's oder des edlern Geschmaks vor allen Nationen den Vorzug.
Unter den Indianern scheinen die Bewohner Indostan's die ersten ge-
wesen zu seyn, die Künste %.und Wissenschaften aus der rohen Natur
zogen. Die Griechen haben alles was zum Geschmak gehört nur
zur Vollkommenheit gebracht. Sie trugen die Musik zuerst als
Theorie vor. Pythagoras machte den Anfang und entwarf
Canones musices, nach ihm Aristoken von Tarent. Die Römer
die ihre Schüler waren, brachten es nie so weit, am wenigsten in den
Werken des Geschmaks. Die Griechen trafen beinahe in der Bild-
hauerkunst, die sie nur aus Egypten bekamen, die zum Grunde liegende Idee.

/|P_214

/Aber es ist auch wahr daß die mystische Religion viel zur
Vollkommenheit derselben beigetragen hat, so wie überhaupt
eine bilderreiche am sinnlichen klebende Religion zur Beförderung
der Künste viele Vortheile giebt. Sie hatten viele Götter, also
auch viele Urbilder, einen Donnergott, Bachus, (der nicht wie
heut zu Tage sondern sehr schön verfertigt war) eine Bellona,*1
Minerva,*2 Iuno Venus,*3 lauter verschiedene Ideale. Ihre 3 Weltalter

/1.) Das goldene Zeitalter «z¿»die Zeit des Saturns.

/2.) Das silberne zur Zeit Iupiters, da Gewalthätigkeiten im Schwang gingen.

/3.) Das eherne die Zeiten des Bachus, wo die %Menschen frölich seyn sollten.

/Daß man es heut zu Tage in der Mahlerei etwas weiter gebracht
daran ist die Erfindung des Perspectivs und die Oelfarbe
von denen die Griechen nichts wußten, die Ursache. Von gewißen
alten Gebäuden, (wie z. B. die Neridsen in England sind)
sagt man daß sie im gothischen Geschmak gebaut wären. Man
findet aber darin so viel edles, daß man es einer so rauhen Na-
tion nicht zuschreiben kann, daher auch einige die Mohren für
deren Verfertiger halten. Man sagt die Barbaren hätten den
Geschmak verwüstet, aber er war schon vorher untergegangen.
Der orientalische Geschmak ist nicht nachahmungswerth. Die
vielen Bilder in der Sprache zeigen ihre Ungewißheit an. Die
englische Sprache ist auch von dieser bilderreichen Beschaffenheit.
Ie weniger Begriffe man hat, je länger braucht man Bilder und
Aehnlichkeiten. Ie länger einer Nation im rohen Zustande ist, desto bilderreicher
ist sie, denn sie lernt nicht abstrahiren. Daher kommt's daß die Wilden in lauter Bilder
reden. Sie sind wie Leute, die viel mit den Händen fechten, aber mit dem Munde
nicht zurechte kommen können.

/ Noch etwas

/|PR_214_Z_6

/*1 Die kriegerische Wuth.

/*2 ---------------- Klugheit

/*3 übertraf alle an Schönheit ~

/|P_215

/ ≥ Noch etwas von der vernünftigen Urtheilskraft. ≤

/Diese Beurtheilung ob etwas vollkommen oder unvollkommen,
gut oder böse ist, das Urtheil dieser vernünftigen %.Urtheilskraft
muß für alle gelten, daher man auch gute %.und böse Maxime, d. h.
Principia der Beurtheilung a priori geben kann. Um aber zu
bestimmen was schön oder heßlich ist müßen wir viele Erfahrungen
haben, d. h. wir müßen es a posteriori herleiten. Etwas ist voll-
kommen, entweder in Beziehung auf einen andern Zwek oder für sich selbst.
Ienes macht die mittelbare Bonitaet oder Nützlichkeit, dieses die
mittelbare. Die Tugend hat nicht allein Nützlichkeit sondern auch
innern Werth, unmittelbare Bonitaet. Die Dinge außer dem
Menschen sind unmittelbar gut. Das was wir beurtheilen sollen
kann gut seyn, entweder nach logischen Regeln d. i. wahr %oder
nach practischen Regeln, d. i. brauchbar, es dient zur Vollkommenheit
Weil unsere Vernunft nichts desto weniger wirkt, ob wir uns
gleich ihrer Thätigkeit nicht bewußt sind: so kommt es, daß
wir bisweilen durch Vernunft urtheilen, wo wir glauben durch
Sinnlichkeit geurtheilt zu haben, und es anzuschauen gedenken; dies
nennt man Sentiment. Wir haben also auch ein Sentiment der
gesunden Vernunft, welches bei Voltairen am meisten zu bewundern
ist. Das Sentiment ist das in %.Ansehung des Guten, was Geschmak in %.Ansehung
des Schönen ist. Bei Dichtern fordert man ein Urtheil was neben der
Sinnlichkeit ist. Die Franzosen haben weniger Sentiment als die Engländer.

/NB. Der 3te Theil der Ele-
mentarlehre handelt:

/ δ_Lage_CC.

/|P_216

/ ≥ δ_41ste Stunde Mittwoch den 18ten %.Ianuar @%.von 8 - 9@ ≤

/ ≥ &¿&. Vom BegehrungsVermögen. ≤

/Es ist das Vermögen durch seine Vorstellungen zu erkennen, daß
Gegenstände die Ursachen zu unsern Vorstellungen sind. z. E.
bläßt jemand in ein Posthorn, so ist dieser Gegenstand die Ursache
zu unserer Vorstellung. Die Vorstellungen bestimmen unsere
thätige Kraft zur Hervorbringung des Gegenstandes, und
denn das Begehren. Alle unsere Begierden beziehen sich auf
Aehnlichkeiten, und die nicht dahin abgezielt sind, werden Wiß-
begierde oder leere Begierde genannt. Das Begehrungsvermögen
ist also die Bestimmung einer Kraft gewiße Gegenstände hervor-
zubringen, es entstehen daher Wünsche und Sehnsuchten. (Wenn
ein Wunsch im Affect geschieht, so heißt er Sehnsucht.) Nichts erschöpft
das Gemüth so sehr als leere Wünsche *1 und Sehnsuchten, bei denen
wir bewust sind, da«s»ß wir die Kraft nicht haben uns den Gegenstand
zu verschaffen. Z. E. Iemand hat ein Loos in der Lotterie, wünscht
immer daß bald einen Gewinnst erhalten möchte, obgleich er weis
daß die Post darum nicht eher als gewöhnlich ankommen kann,
(Mit solchen Wünschen kommt die leere Reue sehr überein - Unzu-
friedenheit mit sich selbst - Wunsch daß etwas ungeschehen sey, ist ein
leerer Wunsch, dennoch brüten gute Personen über der Reue)

/Durch phantastische Objecte werden leicht Sehnsuchten erregt. Mit
Recht würden sie unsre Begierde hervorbringen, wenn es möglich
wäre sie zu erreichen, dies ist aber nie bei phantastischen %.Vorstellungen möglich.

/|PR_216_Z_13

/*1 Sie machen das Herz welk
besonders in %.Ansehung der Zukunft. ~

/|P_217

/Das weibliche Geschlecht hat mehr Hang dazu als das männliche.
Von der Art sind auch die Romane, sie erfüllen mit das Herz
welk machenden Sehnsuchten; man findet kein adaequat der Idee
immer ein unerreichbares Hirngespinnst. - Es ist noch die Frage
ob in der That lebhafte Wünsche auch noch in der Folge möchten
erfüllt werden Z. E. der Wunsch eines Geitzigen nach Reichthum
um damit allen Armen zu helfen.

/Brav bedeutet zwar i«m»n «allgemeinen»<vielen Fällen> Tapferkeit im Kriege
aber im allgemeinen wacker, thätig rüstig. Es giebt vague unbe-
stimmte Begierden, die uns immer aus unserm jedes maligen
Zustande in einen andern versetzen, und dies geht auch denn
fort, wenn wir uns in dem andern Zustande befinden. Sie kommen
gewöhnlich aus Langeweile, oder aus dem Zustande des abgestumpten
Genußes, des Ekels %.und Ueberdrußes an Gegenständen. Hauptsächlich
beherrschet diese Langerweile vornehme Weiber, unter dem Namen
Vapeurs. Sie wünschen in einem solchen Zustande etwas, und wissen nicht
wozu; sie sind so wie kleine Kinder, denen man anfänglich alle Wünsche
erfüllt, welches aber nicht immer geschehen kann, und in solchen Fällen
den Kindern <welche zu grinsen fortfahren> nichts anders als die Ruthe geben kann. Besonders schädlich
ist diese Langeweile, wenn man <fremde> Geschäfte thun muß. Denn solche
die man sich selber auferlegt hat, verrichtet man mit weniger Fleiß,
wer also nicht Langeweile haben will, muß sich Zwangsgeschäfte
auferlegen. Ihr kann niemand entrinnen der immer genießen will.
Sie bringt eine Menge Ausschweifungen hervor. Ihre erste Wirkung ist

/|PR_217_Z_2

/Z. E. Grandison.

/δ_Z_3

/Solche %Menschen sagen o hätte ich Geld
wie wollte ich es mit den Armen
theilen. Kommen sie aber zum
Vermögen, denn heißts: müssen
sie gemächlich leben, %oder sie
erheben sich in den Adelstand
denn müssen sie standesmässig
leben, - so daß am Ende doch
nichts für die %Armen übrig bleibt.
O ihr hartherzigen Reichen!

/δ_Z_20

/Bei selbst auferlegten
Geschäften ist man nur occu-
patus in otio. ~

/|P_218

/Spiel, es vertreibt die Zeit durch Zerstreuungen indem die Gegenstände
oft wechseln, Zweite Wirkung: Neigung zu starken Getränken
Tabakrauchen, Gesellschaften pp. Mittel wider die Langeweile kann
man auf die Art Arzneimittel für die Krankheiten des Gemüths
nennen. Wir nennen die Begierden frey wenn sie von der
Art sind, daß sie uns den Gegenstand als entbehrlich vorstellen.
Wir nennen sie Neigungen (Neigung ist habituelle Begierde) wenn wir
immer in ihren Fesseln sind. z. E. Ein Mensch hat Neigung zu Blumen,
zu Musik, Comoedie ist ihm unentbehrlich geworden, so ist er, wenn
er sich gar nicht ohne eine solche Sache behelfen kann, ein Sclave
derselben, und dies macht ihn natürlicher Weise sehr oft unglüklich;
finden wir aber an dergleichen Dingen dergestalt Vergnügen,
daß wir sie auch entbehren können, so ist dies ein Zusatz zu
unserm Glücke.

/Manche Menschen befinden sich in einem Zustande wo sie sich keiner
Empfindung bewußt sind. Sie sind capable viele Stunden lang am
Fenster zu stehn die Leute vorbei passiren zu sehn, %.und eine Pfeife Tabak
zu rauchen; nicht selten bringen sie ihr ganzes Leben so hin ohne
sich desselben bewust zu seyn. Sie glauben ordentlich zu leben, %.und
wißen nicht daß dieses keines weges allein darinne besteht, daß
man seinem Körper die nöthigen Nahrungsmittel giebt. - - 

/Die Menschen sind so beschaffen, daß manche sich an Einförmigkeit
andre an Wechsel, noch andre an Genuß gewöhnen. Ein Mensch der
sich an immerwährenden Wechsel, an Geschäftigkeit gewöhnt hat,

/|P_219

/und auf einmal in die Einsamkeit geräth, wird nicht allein durch
Langeweile, sondern auch durch beständige Wünsche ohne Gegen-
stand gequält. Es zeigt schon Krankheit an, wenn der Mensch
wünscht, und nicht weis wonach er sich sehnt. Die desperaten
Selbstmorde sind oft Wirkungen dieses sehnsuchtvollen Zustandes
gewesen. Es haben sich Menschen das Leben genommen weil ihre
Fähigkeit zu genießen ohnerachtet alles Vermögens sich Genuß zu
verschaffen, stumpf geworden. Daher sagt ein gewißer Autor,
der Engländer hänge sich auf zum Zeitvertreibe. Wenn der König
von Persien eine gewiße Premie auf die Erfindung eines neuen Ver-
gnügens sezt, so ist dies gewiß Zeichen eines Unglücks. Ein Lord in Eng-
land erschoß sich, auf seinem Tisch fand man ein Billet folgenden
Inhalts: Alle Tage spielen, schmausen, reiten, in Kutschen fahren,
%.Maitressen caressiren, auf Bälle und in Comödien gehn, ist immer dieselbe %Abwechselung
in der Welt. Man muß in eine andre gehn, und neue %.Abwechselungen suchen.
Diese Abwechselung hätte man ihm auch nicht verdacht, wenn er
nur wiedergekommen wäre.

/Nur auf Arbeit auf beschwerliche Bemühung kann Ruhe folgen. Daher
ein Kaufmann nach dem Posttage da er vormittag viel zu thun hat
den Nachmittag am vergnügtesten zubringen kann. Denn da wir durch
Arbeit unsere Gefäße vom Nervensaft ausleeren, so werden selbige
bei unserer Ruhe wieder gefüllt, welches eben das Vergnügen herfürbringt.
Bei Ruhe und Musse ohne Arbeit verfällt man in den verzehrenden
Zustand der Grillen und Sehnsucht. Die thätigen Begierden, die den

/|P_220

/müßigen (leeren) entgegengesetzt werden, gehen darauf, das was
in meiner Macht ist, zu erlangen. Die müßigen <werden> gereizt:

/1.) Durch ein vorgemahltes Idealglück.

/2.) Durch Beschäftigung mit einem wahren Ideal. Dies geschieht von
denen, die immer von Tugend %.und Vollkommenheit reden %.und schreiben,
aber nie bemerkt haben wie groß der Grad der Tugend sey, dessen ein
Mensch fähig ist. Auch Gellert hat hierinn gefehlt, der auch nur von
Wohlgewogenheit, Menschenliebe Mitleiden redet, und so gleichsam
das Herz mit moralischer Würde aufbläht, aber er bemerkt nie,
ob seine Forderung auch dem menschlichen Vermögen angemessen ist.
Man setze einen Menschen, der von allem diesen unterrichtet in die
Welt, so wird zwar sein Charakter bewundert, allein er haesitirt
wenn er zur Ausübung kömmt. Gellert flößt mehr Bewunderung
mitleidiger Charaktere, als wahre Menschenliebe ein. Im
%.Hamburgischen Magazin finden wir eine schöne Anekdote der Art. Sie wird
von 2 Vertrauten erzählt, die sich von der niedrigsten bis zur höchsten
Stufe emporgeschwungen, und dennoch in allen ihren Lebensumständen
geklagt hätten, daß sie nicht mit genugsamen Lebensgüthern versehen
wären. Um also eine complette Bequemlichkeit zu bewirken, nahmen
sie als Räthe zu Betrügereien und Ränken ihre Zuflucht, die sie auch
wirklich zufrieden stellte. Allein man schlage nur verbote %.und gesetz-
widrige Wege ein, so wird die Verrätherei nicht fern seyn; Der
Ausgang zeigt es, sie wurden entdekt, und sie mußten den Rest ihrer
Iahre im Zuchthause zubringen, hier hatten sie genug zu leben.

/|P_221

/Oft werden die Menschen durch ihre müßigen Begierde hintergangen;
z. E. in Ansehung der Frömmigkeit, und halten sich oft, durch den
Wahn bethört für wirklich gute Menschen. Aber hierzu gehört sehr
viel, und der beste Probierstein hievon ist, daß man auf sein Leben
sehe, dies wird einem jeden seinen Seelenzustand schon sichtbar machen.
Denn gemeiniglich sind solche Leute nicht zu Hause, wenn es auf Ge-
horsam gegen Gott, Beobachtung seiner Gesetze, und darauf ankommt
daß sie ihren Nebenmenschen dienen sollen. Dieser Unterschied zwischen
müßigen und thätigen Begierden ist sehr wichtig, denn man hat schon
gemeinhin eine große Meinung von sich, wenn man auch nur bloße
Wünsche nach etwas Gutem nährt, %.und hält diese schon für den <guten> Willen;
da doch gute Wünsche nur ein Verlangen nach gutem Willen sind.
Auch bringt das Wort schon viele leere Wünsche hervor. Daher ist es
besser standhaft, zufrieden, ja selbst hart zu seyn, als ein gar zu
weichliches Herz haben. Ich verlange nicht, daß andere Leute mit
mir Mitleiden haben sollen, sondern ich werde mein Unglük %.und Elend
schon allein zu tragen suchen. Will mir jemand seine Affecten zeigen
und mir helfen, so nehme ich es freudig an, kann er also, so muß
er helfen ohne zu weinen, kann er aber nicht, so trifft die Meinung
der Stoiker ein: Sey nicht ein Spiel der Empfindungen anderer,
sondern suche deinem Freund zu helfen, geht es nicht an, so kehre dich um,
und sey hart. Menschen die müßige Begierden nähren, sind gemeinhin
verdrießlich, sie wünschen, und nichts ist ihren Wünschen gemäß. Da
nun aber in der Welt nichts unsern Wünschen entspricht, so ist's am

/ besten, daß

/|P_222

/besten, daß man seinen Willen nach dem Lauf der Dinge richten
%.und zu stimmen suche, denn volentem sata ducunt, nolentem trahunt.
Der Lauf der Dinge wird durch unsern Willen nicht gehemmt, er
reißt uns mit, wenn wir gleich uns ihm widersetzen. Ein hartnäckiges
Wollen zerreißt das Herz mit leeren Begierden, und dies sind eben
die heftigsten, weil wir unser Unvermögen fühlen. Denn nie sind
wir mehr aufgebracht, als über einen %Menschen dem wir nicht schaden können,
weil wir zu unvermögend dazu sind, und dennoch wollen. - Die De-
sideria der Alten bedeuten eine wunderbare Sehnsucht nach Dingen die
schon geschehn. Nos omnes cepit desiderium defuncti. - 

/Wir können unsere Begierden in sinnliche oder niedere und in
intellectuelle oder obere eintheilen. Die sinnliche entspringen
aus der Vorstellung des angenehmen und Schönen, sie sind unwillkürlich
und heißen Triebe, die intellectuelle entstehen aus der Vorstellung
des Guten und Bösen.

/Die sinnliche entspringen also aus der Art wie man afficirt wird,
es finden bei ihnen folgende Stufen statt: Hang, Instinkt, Nei-
gung und Leidenschaft.

/1.) Der Hang ist keine würkliche Begierde, sondern ein Grund, wa-
rum eine sinnliche Begierde beim Menschen entstehen kann - er ist
eigentlich nur eine Receptivitaet (Empfänglichkeit) einer Begierde,
er ist der Neigung fähig, wenn nur die Umstände darnach wären, es
fehlt nur an Gelegenheit. Z. E. Wilde Nationen, als die Grönländer,
haben einen Hang sich zu berauschen, obschon in ihrem Lande nichts ist

/ was berauschen

/|PR_222_Z_19

/Nur hypothetische
Möglichkeit dazu. ~

/|P_223

/was berauschen kann, es fehlt ihnen nur blos an Gelegenheit,
denn wenn sie nur starkes Getränke kosteten, so würde sich
der Hang bald zeigen, und in kurzem Neigung werden. Bei
Kindern ist oft Hang zum Bösen, aber nicht Neigung, und solche
Kinder kann man unschuldig nennen, in Ansehung des Facti,
aber nicht des Charakters. Diesen Hang rechnet man mit zum
Temperament. Man kann ihn aber bei frühen Iahren zurück-
halten, und wird dem Uebel so vorgebeugt, könnte die Neigung
dadurch abgehalten werden. Wie wenig Ursache hat ein Mensch
sich über den andern zu erheben, denn es kömmt vielleicht blos von
der Erziehung her, daß einer zum Galgen geführt wird, und der
andre die höchste Ehrenstufe erreicht. Denn der erste Hang des
Menschen ist jederzeit thierisch, er muß zum wahren Zwek gelenkt werden.

/2.) Der Instinkt; (Trieb, Stimulus.) ist eine wirkliche Begierde,
aber zu einem Gegenstande den wir noch nicht kennen, wo wir aber durch
Begierde bewogen werden ihn zu suchen z. E. der Naturtrieb zum %anderen Geschlecht.
Die Enten gehen nach dem Wasser, ohne daß sie es weiter kennen.
Instinkt ist also der Grund der Begierde, der der Kenntniß des Gegen-
standes vorangeht. So hungert einem Menschen, wenn er gleich nie
Essen gesehn hat. Der Trieb ist Grund des Ursprungs einer sinnlichen
Begierde, wobei man jedoch noch nichts begehrt. Die Gründe vom Instinkt
sind also Subjecte. Oft sind die Triebe dem Menschen nöthig, wegen
Mangel der Vernunft, welche vielleicht allein bis weilen zu schwach
seyn möchte den Menschen zu überreden. Hätten wir z. B. bei %der %.Geschlechterneigung

/ δ_Lage_DD.

/|P_224

/nicht Triebe, wie wenig würde die Welt bevölkert seyn; alle
Triebe zusammengenommen, machen das Fleisch, die Bewegungsgründe
der Vernunft aber den Geist aus, diese streiten oft wider einander
Die Triebe sind blind, und müssen von der Vernunft im Zaum
gehalten werden. Die Natur hat auch in die Aeltern Triebe für
das Wohl ihrer Kinder <zu sorgen> gelegt, (Man könnte wohl sagen Neigung,
aber es ist würklicher Instinkt, denn die Neigung hängt nicht von der
Erkenntniß ab) aber nicht umgekehrt. Die Kinder haben Triebe für ihre
Aeltern, es sind nur Triebe der Reflexion, der Dankbarkeit. Eben
so ist es auch bei den Thieren.

/3.) Neigung ist eingewurzelte habituelle Begierde, die den
Gegenstand *1 zur Nothwendigkeit (Bedürfniß) macht, und zwar im
kleinern oder größern Grade. Daß Menschen Instinkt haben
ist nicht ihre Schuld, aber wegen der Neigungen haben sie sich selbst
anzuklagen, da man doch nach Grundsätzen handeln sollte. Alle
Neigungen setzen uns in Sclaverey, sind aber doch deshalb
nicht ganz zu verwerfen, denn sie sind gleichsam ein Wink
der Natur, wodurch sie uns zu etwas einladet. - Einige Menschen
haben geschwinde zu etwas Neigung, aber sie verliert sich auch bald.
Denn ein Baum der lange Zeit währen soll, muß lange wachsen,
derjenige dem kein Ding einen Trieb verursacht heist %unempfindlich.
Man muß Neigungen als Feinde seiner Freiheit fliehen und
an keiner Sache aus Neigung kleben. Die Menschen trauen
sich in Ansehung der Grundsätze wenig zu, %.und wünschen daher

/|PR_224_Z_9

/NB. Schon oben ist die har@te@
Meinung die Helvetius warum
Großeltern ihre Enkel mehr als
ihre Kinder lieben, angeführt

/δ_Z_12

/*1 Da er zu unserer @%Zufriedenheit@
unentbehrlich wird.

/δ_Z_16

/Niemand am wenigsten ein
Philosoph muß sich an eine
Sache durch Neigung hängen
blos durch Bewegungsgründe. ~

/|P_225

/Neigungen. Z. E. was würde eine Frau sagen wenn sie wüßte
ihr Mann wohne blos bei ihr um den Stand der Ehe zu erfüllen, %.und
nicht aus Neigung. Doch sind solche Ehen gewöhnlich dauerhafter
als die enthusiastische. Man wünscht immer die Neigung weil
man die Thierheit am Menschen für stärker hält als das Intellectuelle.
Neigung ist Grund von daurenden Begierden. Antrieb ist noch keine
Neigung, %sondern man bekommt indem man ihm oft folget einen habi-
tum woraus Neigung entsteht. Neigung ist ein sinnliches Begehren,
indem wir abhängig vom Gegenstande werden Z. E. Liebe ist Neigung
(Bestimmung unsers Begehrungsvermögens) zum Wohlwollen gegen
eine Person. Sie kann aber intellectuell, bloß Erkenntniß und
Wohlgefallen am Gegenstande, «aber» <die> sensual «seyn» verlangt schon
Genuß; so kann man jene die theoretische, diese die practische
Liebe nennen. Zur ersten Gattung kann man die Liebe gegen Arme
rechnen, man bedarf nur der Erkenntniß vom Zustande der
Nothleidenden, um ihnen zu helfen, dies geschieht ohne Genuß.
Zur andern gehört Liebe der Aeltern gegen ihre Kinder; sie ist
Neigung, hängt ganz und gar nicht von Erkenntniß ab, lediglich
vom Instinkt ab. - Ein Bedürfniß ist Verlangen nach etwas,
dessen Abwesenheit uns unzufrieden macht. Neigung ist nie
auf die Bonitaet gerichtet; die Vernunft allein enthält die
Gründe, wodurch wir zu etwas Gutem bewogen werden. Zum
Guten müßen wir vernünftige Maximen haben, doch ist auch
anzuempfehlen, daß man es sich in einem sinnlichen vortheilhaften

/ Lichte

/|P_226

/Lichte vorstellt, %.und so auch die Neigung zu excitiren. Es kann aber
der Mensch nicht nur ohne, sondern auch wieder die Neigung
handeln, ja er reflectirt zuweilen darüber, und wünschte
andere zu haben. Also sind sie kein Fundament des %menschlichen
Begehrungsvermögens, obwohl sie es vom thierischen sind. Ein Kind
sollte man so gewöhnen, daß es weder zum Frühstück essen, noch zum
frühen Schlafengehn, noch zu sonst etwas Neigung hätte, %sondern
bloß natürlichen Trieb, damit es im Alter nicht durch Neigungen
regiert würde. Denn diese unterjochen den Menschen, %.und schränken
die Macht seiner vernünftigen Beweggründe ein, und in der
That macht nicht der Mangel der Sachen, sondern die Neigung zu
Dingen derer man nicht habhaft werden kann, den Menschen unzufrieden.
Die Neigung ganz von Erkenntniß entblößt - ist appetitus brutalis,
und es ist daher wunderlich, daß einige Moralisten Neigung zum
Guten annehmen. - Iede Neigung die so groß ist, daß sie uns
unfähig macht, ihr Verhältniß mit der Summe aller Neigungen
zu vergleichen, ist

/4.) Leidenschaft. Denn beim Wohlbefinden kommt es darauf an,
daß man einen Gegenstand mit der Summe aller Neigungen ver-
gleiche. Bei der Leidenschaft aber folgt man blos seiner Neigung.
z. E. man liebt ein Frauenzimmer nicht wegen ihrer Schönheiten %oder etwas
anders, sondern um sie zu besitzen. Die beste Liebe ist lieben, ohne
verliebt zu seyn. Sie erlaubt uns nemlich reife Ueberlegungen
über die Vorzüge oder Mängel der Person. Schon in dem Be- 

/ griff

/|P_227

/Begriff eines Verliebten liegt die Thorheit *1 desselben. Es giebt auch
eine Rachbegierde von der Art, daß sie dem Menschen Zeit läßt Ue-
berlegungen anzustellen. In so fern liegt aber die Thorheit eines Ver-
liebten schon in terminis, daß er eben dadurch seine Thorheit für nichts
achtet, und sie gern verliehrt, wenn er seine Schöne nicht heirathen
kann, und daß er alle ungereimte Befehle seiner Geliebten, blos
um ihr zu gefallen, ausübt. Und eben dadurch zeigt er, daß er ein
Thor und blind sey. Denn blind %oder in Leidenschaft seyn ist einerley - 

/ ≥ δ_42ste %.Stunde %.den 18 %.Ianuar %.von 9 - 10 ≤

/Die Leidenschaft wird oft mit dem Affect verwechselt, so
groß auch der Unterschied ist. Affect ist eine Gemüthsbewegung, Emp-
fänglichkeit eines Gefühls, oder die Möglichkeit ein Gefühl zu haben.
Diese Gemüthsbewegung macht, daß wir nicht in unserer Gewalt
sind, bringt uns ausser Fassung. Affect ist die Empfindung, welche
das Gemüth außer Stand sezt, das Gefühl mit der Summe alles
Gefühls zu vergleichen. Affect kann man nicht erklären, nur be-
schreiben. %.Anmerkung In den Nerven liegt unser körperliches Gefühl,
manche Nerven haben Knoten, besonders die, welche zu den Mus-
keln der Lebensbewegung hingehen. Die Knoten halten die Nerven-
bewegung auf. Daher scheint es daß der Affect durch die Knoten bricht,
und wenn dies sehr plötzlich geschieht, capable ist, die ganze Maschine
über den Haufen zu werfen.

/Wenn wir hier vom Affect *2 reden, so reden wir vom Gefühl, und
und nicht vom Begehrungsvermögen. %.Leidenschaft gehört aber zur Begierde.
Affect ist gleichsam eine Bewegung im Sturm, oder eine Ueberschwemmung
und Durchbruch eines Damms. Leidenschaft aber ist wie ein Strom der

/ auf

/|PR_227_Z_1

/*1 Er ist ganz blind, Pope
hat hierüber eine hübsche
Comödie geschrieben, sie
ist betitelt Ianuarius %.und
Maja, hier weis die Frau
dem Manne (welcher mit ei-
genen Augen gesehn hatte,
wie seine Frau einen andern
Liebhaber caressirt) das durch
so auszureden, daß er
schon zweifelte ob er mehr
seinen Sinnen, %oder den Worten
seiner Frau trauen sollte.

/δ_Z_21

/*2 Wir reden von ihm
an diesem Orte, weil er
hieher am besten paßt,
indem er mit Neigung
%.und Leidenschaft zu
vergleichen ist. ~

/|P_228

/auf abschüssigen Boden immerwährend fortfließt. Der in
Affect sowohl als der in Leidenschaft kann sich nicht regieren, doch
kann der lezte noch alles überlegen. Wenn das Böse *1 bei einem
zur Leidenschaft wird, so ist es eingewurzelt, und von Dauer.
Was aber der Affect nicht in der Geschwindigkeit thut, das thut er
gar nicht. Wenn ein Mensch beim Zorne beredt schimpfet, so ist er
nicht so sehr zornig als der welcher abgebrochen schimpft. Wenn
der Zornige sich setzt, denn ist gute Zeit, er kann denn nicht mehr
so zornig seyn; als wenn er steht, indem er gleichsam nicht in der
rechten Positur zum Schlagen ist. Wenn man also seinem Rasen
ein Ende machen will, darf man ihn nur höflich zum Sitzen nöthig@en@.
Mancher mag gerne nach dem Essen schelten und zürnen. In manchen
Fällen scheint der Zorn wegen der Motion heilsam zu seyn. Läßt
man nemlich den Zürnenden so recht ausreden, so freut er sich or-
dentlich über seine gewählte Ausdrücke, bekommt auch wohl gar
eine Wohlgewogenheit gegen den andern, wenn er ihm nicht widerspricht
sobald aber dies geschieht wird der Zorn schädlich.

/Die Leidenschaften sind grämisch, brütend grübelnd, die Affecten stürmisch.
Wo viel Affect ist, ist wenig Leidenschaft, %.und große Leidenschaften
verstatten keinen Affect. Die Indianer haben mehr %.Leidenschaft als Affect,
die Franzosen *2 umgekehrt; eben daher aber scheint in Indostan viel
Selbstbeherrschung zu seyn, nemlich aus Mangel an Affect. Der
Affect ist gleichsam ein Rausch den man aus schlafen kann, von
dem man aber Kopfwehe bekömmt; ira furor trevis est. Die Leiden-
schaft ist ein eingewurzelter Wahnsinn. Der Affect macht blind,

/|PR_228_Z_3

/*1 Z. E. Der Geiz - da
brütet der Geitzige
über der Erhaltung
seines Vermögens.

/δ_Z_13

/Der Zornige ist bald versöhnt
der Rachbegierige spät.

/δ_Z_21

/*2 Bei ihnen wenig Liebe
viel Galanterie. ~

/|P_229

/Leidenschaft sehend - aber nur in %Ansehung eines einzigen - Ein Affect läßt
sich nicht verheelen, Leidenschaften verheelen sich gerne. Affecten sind
so bewandt, daß sie eine Wiederholung desselben Affects hinter sich
lassen. (Sich ärgern heißt einen Unwillen *1 worüber empfinden, der auch
nachher bis ans Herz dringt, und ein unangenehmes Gefühl hinter
sich läßt.) Man kann zürnen, ohne sich zu ärgern betrübt seyn ohne
sich zu grämen. Lebhaftigkeit muß man vom Affect unterscheiden.
Die französischen Schauspieler excelliren in Aufführung von Tra-
goedien, die englischen hingegen zeichnen sich bei Comoedien aus,
dies kommt daher, weil der Schauspieler bei der Vorstellung nie
in Affect seyn muß, weil er die Aeußerung in Worten hindert. Und
beide Nationen können wegen ihres Temperaments agiren, (%.nemlich
die %.Franzosen %Tragödien, die %Engländer %Comödien) ohne das was sie sagen, innerlich zu fühlen.

/Man kann schelten ohne zornig zu seyn, caressiren, ohne verliebt zu
seyn, traurig, ohne betrübt, scherzen ohne lustig, <in summa> rühren ohne gerührt
zu seyn, und diese Talente muß ein Acteur haben wenn er es
weit bringen will. Das Gemüth in Bewegung fühlt sich seiner
Meinung nach stark, wenn die Bewegung aber vorbei ist, desto
schwächer. Gewöhnlich sind Affecten wacker, einige erhebend, vezweifelnd
und niederschlagend. Man kann einen eher darüber, daß er in
Affect gerathen ist tadeln, als darüber was er im Affect
thut. Hitzig nennt man den, der leicht in Affect kommt; man glaubt
solche Leute entschuldigen zu müssen, auch haben sie gewöhnlich mehr Aufrichtig-
keit, als die Gleichgültigen, die gerne verheelen mögen. - Apathie nannte man
die Affectlosigkeit der Stoiker. Hier muß uns die Vernunft discipliniren.

/|PR_229_Z_4

/*1 Dessen Nachgefühl
schmerzlicher als die Emp-
fänglichkeit selber ist.

/δ_Z_23

/Affect %.und Ernst sind
nicht zu verwechseln. ~

/|P_230

/ ≥ δ_43ste Stunde %.Sonnabend %den 2@1@. Ianuar %von 8 - 9 ≤

/ ≥ Eintheilung der Affecten

/Die Eintheilung der Affecten,

/1.) in Affecten der Freude

/2.) --------------- Betrübniß, ist aus der Vorstellung des
angenehmen und unangenehmen hergeleitet. Es giebt einen
Affect, der blos nur der Vernunft zu entspringen scheint, %nemlich
der Enthusiasmus - Begeisterung - es kann also das Wort
nicht <bei> körperlichen Dingen gebraucht werden. Z. E. Man kann nicht
sagen, er ist enthusiastisch im Geld erwerben. Enthusiasmus ist ei-
gentlich die Bewegung des Gemüths durch die Vorstellung des Guten, d. h.
aus der Vernunft. Wenn die Vaterlandsliebe so weit geht, daß
sie Affect wird, nennt man sie den patriotischen Enthusiasmus.
Die %.enthusiastischen Patrioten sind gewöhnlich solche, die dem Vaterlande
allein wohlwollen, aber Feinde aller derer die sich außerhalb dem-
selben befinden. %.Enthusiasmus ist blind weil er Affect ist, und da kann
mir mein bester Freund, in dem er glaubt mir einen großen Dienst
zu erweisen, den ärgsten Possen spielen. Und dies kann schon des-
wegen geschehn, weil ein %.enthusiastischer Freund ein Feind aller anderen
ist, er nutzt aber seinem Freunde dadurch wenig.

/Der Affect wird bewegt durch die Vorstellung des Verganen
Gegenwärtigen und Künftigen. Das Künftige ist's aber eigentlich
was interessirt, denn das Gegenwärtige ist vorübergehend, und
das Vergangene schon vorbei. Und das %.Vergangene %.und %.Gegenwärtige kann
uns nur durch den Prospect ins Künftige in Affect setzen. Affec-
tus ex praesenti vel futuro ex consequentia.

/|P_231

/Hoffnung und Furcht sind eigentlich die aufs Künftige
gerichteten Affecten. Ist alle Furcht und Hoffnung Affect?
Hoffnung kann Affect werden, wenn sie das Gemüth aus der
Fassung bringt. Z. E. der Prospect ein Amt zu bekommen.
Traurigkeit ohne Hoffnung ist Verzweiflung. Zufriedenheit
ohne Hoffnung und Furcht können wir Männlichkeit nennen.

/Bei den Uebeln des Lebens ist der Wechsel der Furcht und Hoff-
nung über denselben Gegenstand, der Standhaftigkeit des Gemüths
weit gefährlicher, als ein gewißes Uebel. Z E. Ein Delinquent
gewinnt Stärke wenn er sein Urtheil hört. Ein Kranker wird
durch die Zweideutigkeit des Arztes in einen noch üblern Zustand
versetzt. Die Menschen die mit Furcht und Hofnungen hinge-
halten werden, sind sehr Krankheiten ausgesetzt. Auch giebt es
%Menschen die sich mit Hoffnungen nähren können. Man kann betrübt
seyn ohne Traurigkeit; denn <nur> über einen unersetzlichen Verlust ist
man traurig, allein Betrübniß ist vorübergehend. Traurigkeit
ist gänzliche Ergebung in Betrübniß, ein Brüten darüber, welches
beharrlich ist. Dies ist gar nicht gut. Der Mensch muß sich
dergleichen Dinge, die schon einmal nicht zu ändern sind, bald
aus dem Gemüth schlagen. z. E. Traurigkeit über den Tod der
Aeltern, der Ae«E»ltern über den Tod der Kinder, beides kann nicht
geändert werden. Fröhlich seyn ohne sich kindisch zu freuen
bedeutet den Zustand eines schmerzlosen Gemüths. Nieder-
geschlagenheit ist eine solche Betrübniß, die sich nicht wieder
aufrichten kann. (in den Reisen von Moor *1 ist hierüber eine %.Geschichte von einem Matrosen.)

/|PR_231_Z_12

/Denn bald steigen sie,
bald sinken sie.

/δ_Z_25

/*1 Ein recht gutes
Buch. ~

/δ_Lage_EE.

/|P_232

/Die Verzweiflung können wir eintheilen:

/1.) in schwermüthige %Verzweiflung aus Gram und Niedergeschlagenheit.

/2.) in wilde Verzweiflung aus Entrüstung.

/Die erste kann auch feige Verzweiflung genannt werden. Manche
urtheilen, alle Selbstmörder sind zaghaft <Dies nicht immer sie sind nur @ungeduldig@>. Sie halten das Leben
nicht für werth, es länger zu genießen. Man kann sich üben in der
Fröhlichkeit, so daß man auch mitten unter den Uebeln des Lebens
gute Laune hat. Oft wird die Furcht eines Menschen durch
Scherz zerstreut. z. E. Hannibal %.und Hanno eine bekannte Anekdote.
Furcht ist eine Art von kränklichem Zustande - Bangigkeit,
Angst, Traurigkeit, Grauen - Entsetzen sind verschiedene Aus-
brüche der Furcht. Beim Entsetzen hat der Mensch schon allen Selbst-
besitz verlohren. Wenn man glaubt, daß Herzhaftigkeit und
Muth einerlei sey, so irrt man sich. Eigentlich ist

/Herzhaftigkeit die <Eigenschaft>Stärke des Gemüths, über ein Uebel nicht zu
erschrecken, und dependirt vom «Körperbau»<Temperament> - Aber
Muth ist die <Eigenschaft>Stärke des Gemüths sich vor keinem Uebel zu
fürchten und dependirt von der Vernunft und Grundsätzen.
Also kann ein solcher der Muth besitzt zwar anfangs erschrecken,
aber bald seine Kräfte sammeln %.und denn mit Entschlossenheit
dem Uebel Trotz bieten; dagegen der Herzhafte leicht ohne alle Ueber-
legung handeln kann. %.Herzhaftigkeit scheint auf die Reizbarkeit der
Nerven zu gehn - Muth aber mehr auf den Charakter. %.Verzagtheit
ist ein Mangel des Muths - sobald aber dieser Mangel ehr-
los wird, nennt man es Feigheit - Poltronnerie. Poltron kömmt
her von ponce und tronc d. h. der sich den Daum@en@ abgehauen,

/|PR_232_Z_9

/(doch kein einziger unter
den Feinden welcher Hanno
heißt, sagte ihm Hannibal) ~

/|P_233

/damit er nicht mit in den Krieg ziehen könne, dies ist das beste
Wort, womit man einen ehrlosen Feigen ausdrückt.

/Ein Officier muß nicht allein Muth %sondern auch Herzhaftigkeit
haben. Bei diesen beiden Eigenschaften scheint vieles auf %körperliche
Constitution zu beruhen. z. E. Menschen die eine breite Brust
haben besitzen viel Herzhaftigkeit, z. B. Friedrich_II hatte auch
einen solchen Körperbau - Der Grund liegt darin: das Herz
und die Lunge können sich besser bewegen, der Mensch wird
nicht so leicht aus der Fassung gebracht.

/Selbst Männer von geprüftem Muth haben bis weilen Hang
zur Furchtsamkeit. So erzählt man von Aldermann einem
tapfern Holländer General, daß er einmal in der Schlacht
ganz außer Fassung gebracht wurde, und das commando
einem andern übergeben mußte. Vorzüglich geneigt zur %.Furchtsamkeit
ist man, wenn man noch im Négligée sich befindet; sobald man
sich aber angezogen, besonders wenn man Stiefeln an hat,
fühlt man sich <muthiger %.und> stärker, den Gefahren entgegen zu gehn. - 

/%.Anmerkung Erschrecken bringt Ausleerungen hervor. Es ist dies
ein Trieb der Natur, sich zu erleichtern, und so zur Gegenwehr
zu bereiten; daher man es allerdings nicht für Verzagtheit
annehmen kann. So laufen auch die Seeleute die bei den
Kanonen im Treffen stehen müssen Gefahr sich zu %verunreinigen - %.daher
sie sich immer vorher %.ausleeren müssen. Den Vögeln und andern
Thieren geht es eben so <wenn sie in Angst gerathen.> Unter %anderem geschieht es auch bei Rei-
herjagd; und die Iäger müssen sich wohl hüten, daß sie nicht unter
dem verfolgten Reiher stehen. (NB. Sie möchten %.nemlich sonst %.ziemlich besalbt werden)

/|PR_233_Z_5

/Dagegen sollen %Menschen von
kleiner Brust gemeinhin
furchtsam seyn. ~

/|P_234

/ ≥ δ_44ste Stunde %.Sonnabend %den 2@1@ %.Ianuar %.von 9 - 10 ≤

/Geduld wird eine weibliche, und Muth eine männliche
Tugend genannt. Geduld ist Gewohnheit ein Uebel zu ertra-
gen, eine Ergebung darin. Muthige Leute sind gewöhnlich unge-
duldig. Verzweiflung ist auch nur die auf den höchsten Grad ge-
spannte Ungeduld. Die Herzhaftigkeit hat Laune, das macht
die Säure im Magen, und es dependirt also sehr vom %körperlichen
Zustande. Es war einst ein großer General, welcher sobald
er Säure im Magen hatte, Poltron wurde. Man sagt der
Mensch ist perplex, wenn er durch unvorhergesehene Dinge
überrascht, in eine gewisse Unschlüssigkeit oder Verlegenheit gebracht
wird.

/Einige Affecten sind wacker, andre weichliche %oder schmelzende;
sie entspringen aus Schwachheit. Der Zorn ist ein rüstiger, die
Schaam ein niederschlagender Affect. Der Neid ist im Grunde die
Niedergeschlagenheit des Muths durch anderer Vorzüge, ist
also kein rüstiger Affect. Ein wackerer Affect ist Mitleid,
practische Theilnehmung an anderer Leiden. Mitleid kann
aber auch nur patologischer Affect seyn, wenn es nemlich nicht
thätig %sondern blos schmelzend ist. Schaam ist ein besonderer
%.und einer der stärksten Affecten, denn man hat Beispiele, daß
Personen für Schaam gestorben sind. Zorn bringt Blässe,
Schaam aber Röthe hervor. Der Mensch wird durch Beschämung
innerlich sehr laedirt. Denn Schaam ist Besorgniß der Ver-
achtung; und der %Mensch scheut die Verachtung mehr als den Haß.
Dies kommt daher, weil, wenn man gehaßt wird, man nur rela-
tiv haßenswürdig ist, also wird auch nur der relative Wert abgesprochen.

/|P_235

/Wird man aber verachtet so wird uns der absolute *1 Werth
abgesprochen. Nicht selten wird ein Mensch hochgeachtet, wenn
man ihn gleich haßet. Beschämung macht untüchtig das Uebel
abzuhalten. Schaam ist eine besondre Eigenschaft, über die man
noch nicht genug Reflectionen angestellt hat. Warum hat
die Natur diesen Trieb in uns gelegt? Aller Wahrschein-
lichkeit nach ist Schaam deswegen in uns gelegt worden, da-
mit wir dadurch dasjenige, was wir nicht sagen wollen, durch
unser Erröthen verrathen, %oder kürzer gefaßt, damit wir
nicht lügen sollen. Es wäre also anzurathen daß man Kinder
welche lügen nur mit Verachtung bestrafte, sie würden als-
denn einen innern Abscheu davor bekommen, und sobald sie
eine Lüge sagen wollten, roth werden, sich also eben dadurch
selbst verrathen. Im Lügen liegt eine Nichtswürdigkeit.
Alle Lügner sind ganz unbrauchbar, besonders in Gesellschaft.
Die wenigsten lügen zum Schaden anderer; die meisten, blos
um sich die Zeit zu passiren. Aergerniß ist nicht mehr
Affect, %sondern schon eine Art von Rachbegierde. Eine Emp-
findung die auch nicht zum Affect gehört obgleich sie ebenfalls kör-
perlich ist, ist der Ekel. Man kann ihn physisch auch moralisch
betrachten: 1.) «@%körperlich@»%moralisch Wenn jemand eine Geschichte %oder seine wit-
zigen Einfälle oft wiederhohlt, so sagt man er treibt's bis zum Ekel.
2.) %körperlich betrachtet ist der Ekel *2 Instinct der Natur, etwas,
das für uns Nahrung werden sollte, durch einen %künstlichen Weg
fortzuschaffen; auch hierinn hat die Natur sehr weise gehandelt.

/|PR_235_Z_1

/*1 %.deutl@icher@ der
Innere.

/δ_Z_21

/*2 Wir können ihn leicht
bei gewißen Vergleichungen
bekommen, z. B. wollte
man den Caviar mit einem
galligten Schleim vergleichen,
so könnte man ihn nicht
mehr essen. ~

/|P_236

/ ≥ δ_45ste Stunde %.Mittwoch %den 25sten Ianuar %von 8 - 9 ≤

/Mit der Schaam sind folgende Stücke verwandt:

/1.) Verschämtheit, (bei %Frauenzimmern: innere Verzunftheit.*1)

/2.) Verlegenheit.

/3.) Blödigkeit. Mann kann zweyerley Arten von Muth in
Ansehung des Wetteifers annehmen. Derjenige, welcher so viel
Zutrauen zu sich hat, daß er nie befürchtet im Verhältniße
gegen andere, in einem geringern Lichte zu erscheinen hat den
rechten Grad der Freimüthigkeit, von ihm sagt man er ist
Sans Gène. Dies ist entgegengesezt der Dreistigkeit, die
man richtiger Dräustigkeit schreiben «schreiben» sollte, weil
es eigentlich von Dräuen herkommt. Mann kann einen Dräusten
Menschen nicht leiden, er ist unangenehm, wenn er auch nicht
spricht, denn schon seine Miene erregt die Besorgniß, daß er
uns Grobheiten sagen will. Solche Dräustigkeit kann nur ein Mann
*2 von großem Stolz haben; dagegen ist auch Blödigkeit nicht gut
bei welcher man den andern zu viel einräumt. Alle Menschen
sind gleichsam berufene Richter des Betragens anderer. Wir be-
sorgen denn (wenn wir genirt sind) keine andre Gefahr, als die
zu misfallen. Diese Verlegenheit äussert sich darinn, daß man
nicht weis wo man die Hände lassen soll, die Frauenzimmer
helfen sich durch ihre Fächer, Männer mit der Tabaksdose. Es zeigt
dies immer Rohigkeit an. Oft schämt man sich darüber daß man
sich schämt. Man kann zum Theil die Selbstzuversicht, welche einige
Dräustigkeit nennen nicht erlangen. Viele welche die Gabe der
Unverschämtheit haben, können es mit wenig Talenten weit in der Welt bringen.

/|PR_236_Z_2

/*1 Wenn sie sich in %Gesellschaft
gar nicht zu betragen wissen.

/δ_Z_14

/*2 Er glaubt die Urtheile
aller andern übersehen zu
können. ~

/|P_237

/Dagegen war David Hume, sonst ein so großer Kopf, von
einer solchen Blödigkeit, daß man ihn gar nicht zu %öffentlichen
Unterhandlungen gebrauchen konnte. Daher sagt er auch: Ia wer
die glückliche Gabe der Unverschämtheit *1 hat kann noch etwas in
der Welt ausrichten. $Katexochen$ ist unverschämtheit mit Stolz
verwandt. Wir können nur denn verlegen seyn, wenn wir
den Blicken anderer ausgesezt sind, und eben daher kann ein
Blinder nie in solche Verlegenheit kommen. In der Finsterniß
wird aus demselben Grunde der Blödeste dreist.

/Das Wort dummdreist wird nicht ganz durch Etourderie
ausgedrückt; warum? weil dergleichen Charaktere nur immer
in einer Nation sind, so wie es auch nur in Frankreich petits Maîtres
giebt. Ein Etourdi *2 wäre z. B. der welcher die gnädige Frau frägt:
Wie alt sind sie. Dies ist sehr grob, denn ein Frauenzimmer will
niemals alt seyn. Bescheidenheit kann man nicht künsteln, denn sonst
nimmt sie nicht ein; für den aber der sie besitzt, ist sie sehr vortheil-
haft. Der Blöde ehrt den andern, indem er sich sehr um seinen Beyfall
bewirbt, und wenn dies nicht übertrieben wird, empfiehlt es.
Bescheidenheit ist eine Art von Gelindigkeit, in Ansehung der
Ansprüche anderer. Nun kommen wir zu einer ganz besondern
Bewegung des Gemüths, die man <selbst> nicht füglich zu den Affecten rechnen
kann, <%sondern nur die Ursachen> nemlich Fröhlichkeit und Traurigkeit, die %Gemüthsbewegung selbst ist

/ ≥ Lachen und Weinen. ≤

/1.) Beim Lachen findet ein starkes Ausathmen mit Intervallen statt,
beim Weinen hingegen ein oft unterbrochenes Einathmen %.und Schluchsen.

/|PR_237_Z_4

/*1 Ein Mensch der sie
besizt hat in allen
Reden sehr was zu-
verlässiges %.und imposantes.

/δ_Z_12

/*2 Er will alles
wissen.

/δ_Z_23

/(NB Hievon ist oben schon ausführ-
licher geredet worden daher auch
jetz nur sehr im kurzen %gesondert reden @werden@) ~

/|P_238

/Der Mahler kann mit einem Zuge aus einem lachenden Gesicht
ein weinendes machen, denn die Gesichtszüge sind wenig ausge-
nommen, beim Lachen und Weinen einander ähnlich. Dies kann
man auch daraus sehn daß man bei recht heftigem Lachen in
der That weint. Eigentlich ist Lachen eine plötzlich abgespannte
Erwartung, dadurch, daß sie sich in nichts verwandelt, z. E. Iemand
sucht seinen Hut, und hat ihn unter dem Arm - nun lacht er über
sich selbst. Ein Prediger sagte einst auf der Canzel: man könne
der Vorsehung nicht genug danken, daß sie den Tod an das Ende
und nicht an den Anfang des Lebens gesezt hätte, weil man sich
desselben sonst gar nicht würde haben erfreuen können.
Hier liegt das Lächerliche in der Dummheit des Einfalls. Wenn
jemand eine Ungereimtheit begeht, so liegt in dem Lachen keine
Freude, denn wer wird so einfältig seyn, sich darüber zu freuen,
daß er nicht so stockdumm ist, als ein andrer recht stupider
Kopf. Die Engländer nennen das einen Bull machen, wenn einer
so spricht, daß er sich selber wiederspricht. Die Irrländer sind
ErzBullenmacher, einer sagte z. B. da jemand die Sonne lobte,
ich laße euch die Sonne die ihr habt bei hellem Tage entbehren können,
und lobe nur den Mondschein, der mir oft bei so stockdüstrer
Nacht, daß man nicht Hand vor Augen sehen konnte, nach Hause ge-
holfen hat. Da König Carl_II den Rector Busekby in London
besuchte und dieser eben Schule hielt, war er anfangs etwas
grob gegen den König, bat ihm aber, als die Schulknaben <fort waren> höflichst
um Verzeihung, und führte da«ß»s zu seiner Entschuldigung an,

/|PR_238_Z_5

/Z. B. Rath an den Entreprener
eines Balles, da der erste Ball
immer leer war: er möchte
doch den 2ten Ball zuerst
geben. %Oder das unhöfliche
Betragen des Vaters,
blos darum weil es
unerwartet kam ~

/|P_239

/daß er so schon mit seinen Iungen nicht fertig werden
könnte, wüßten sie aber erst daß es noch einen in der
Welt gäbe, der ein größeres Ansehn hätte, als er so würde
er gar nicht mit ihnen fertig werden können. Das
Lachen über einen andern, welcher nicht mitlacht, ist ein
boshaftes Lachen. Das geschieht beim Railliren. Der
Mensch lacht wenn einer fällt, und besonders wenn dies
so geschieht, daß er selbst, sein Hut, seine Perücke,
sein Rock alles apart liegt, und er es wieder aufsuchen
muß. Deswegen freut man sich über den Fall des andern,
wenn man sich unter ihm erniedrigt glaubt. Ein Mensch der
sich seines Werths bewußt ist, läßt gerne über sich lachen.
Z. E. als Terraßon mit der Schlafmütze auf dem Kopf,
übrigens aber sehr galant mit dem Degen an der Seite
über die Straße ging, und wie man leicht erachten kann
deswegen ausgelacht wurde, sagte er nachher in einer
Gesellschaft: Ich habe heute den Parisern ein Vergnügen
gemacht, was ihnen und mir nichts gekostet hat... Ein
Vater der seinem Ende nahe war, vermachte seinen Söhnen
das was er im Vermögen hatte. Er theilte es unter die beiden
ältern, welche ihm denn zur Antwort gaben: Gott erhalte
uns unsern Vater, auf daß er noch lange davon Gebrauch
machen könne. De«nn»m dritten und jüngsten wollte er weil er
nicht gut sparen konnte nichts vermachen, gab ihm aber doch einen
Schilling (dies ist in England Gesetz, daß Väter wenn sie ihre«n»

/ δ_Lage_FF.

/|P_240

/Kinder enterben, ihnen wenigstens einen Schilling hinterlaßen müssen)
mit dem Zusatz, daß er sich einen Strik davor kaufen
könne, der Schalk antwortete ihm: Gott erhalte uns unsern
Vater, auf daß er noch selber davon Gebrauch machen könne. - 

/... Abelard fuhr mit einem Geistlichen in einer Kutsche, auf
einmal sagt der Geistliche - sehn sie da fliegt ein Ochs:
%.und Abelard sah schnell zum Fenster hinaus, jener aber fing
aus vollem Halse an zu lachen, daß ein so großer Philosoph
dergleichen Dinge glauben könne. Abelard antwortete ihm aber:
ich glaubte eher daß ein Ochs fliegen als daß ein %Geistlicher lügen könne.
Lachen ist keine Freude die auf dem Begriff beruht, %sondern
die Wirkung, wenn das Gleichgewicht der gespannten Fasern auf-
gehoben wird, denn wenn jemand erzählt, so ist man
aufmerksam, hält den Athem an sich, und spannt dadurch
die Fasern gleichsam wie eine Saite, und alsdenn wenn
diese Spannung durch plötzlich los lassen des Athems auf
einmal aufgehoben wird, entsteht dadurch eine Erschütte-
rung, und das ist das Lachen. Erzählen, raisonniren, scher-
zen kommt bei der Tafel vor, und zwar macht der
Scherz den Beschluß, er ver<ur>sacht, daß die Menschen mit
Wohlbehagen aus der Gesellschaft gehen. Das Lachen ent-
springt aus dem Gefühl des %körperlichen Wohlbefindens. z. E. beim
Kützeln. Diese oscillatorische Bewegung bringt mehr
Umlauf im Geblüt zu Wege, und ist der Gesundheit vor-
theilhaft. Zu vieles Lachen ermüdet.

/|P_241

/ ≥ δ_46 Stunde %.Mittwoch %den 25ten %.Ianuar %von 9 - 10 ≤

/Schaftesbury sagt: das Lächerliche wäre ein Probierstein
der ächten Wahrheiten, und Ungereimtheiten, besonders in
der Religion, nemlich: das was die Angriffe durchs Lächerliche
aushalten kann, hat innere Würde, welches aber der Sache
mangelt, welche lächerlich werden kann. z. E. die Raillerien
über eine Wahrheit als das Daseyn Gottes pp werden nie-
manden zum Lachen bewegen, sondern jeder hört mit Ernst zu.

/2.) Weinen hat mit dem Lachen Aehnlichkeit, indem es auch Er-
schütterung, Erleichterung ist, denn der Mensch der im grösten
Grad des Schchmerzes ist, kann nicht weinen, wer aber noch weinen
kann, lindert dadurch seinen Schmerz - es liegt in dem Bewustseyn,
sich ohnmächtig zu fühlen; z. E. jemand strebt nach etwas, und er
muß auf einmal nachlassen, so bringt dieser Rückfall die
Bewegung des Weinens hervor. Das Frauenzimmer fühlt daher
wenn es zornig ist seine Ohnmacht <%.und weint daher> auf der Stelle. Es kommen
einem Trähnen in die Augen, wenn man eine Handlung von
außerordentlich Großmuth ausüben sieht, %oder auch nur auf dem
Theater vorstellen sieht; oder ließt, weil man wünscht in einen
eben solchen Fall zu kommen, es ist also Demuth eines dankba-
ren Gemüths, aus Bewustseyn des Unvermögens die Wohlthaten
zu erwiedern. Es giebt gewisse Empfindungen welche man
nicht erklären kann. So bringen Z. E. gewiße Vorstellungen
Schauer und Gräuseln hervor. Das leztere geht aufs Schrekhafte,
%.und ist vom erstern unterschieden. Reizbarkeit der Nerven ist schon Schwäche.

/|PR_241_Z_7

/Lachen scheint mehr eine
%männliche %.und Weinen mehr
eine Weibliche Eigenschaft
zu seyn. ~

/|P_242

/Der Affect wiederstreitet der Weisheit, Neigung aber
der Klugheit. Wir können hier folgende Gradation merken:

/1.) Iede Neigung wiederstreitet der Klugheit,

/2.) der Affect wiederstreitet nicht nur der Klugheit, sondern
auch der Weisheit; um dies zu beweisen bemerke man:

/I.) Die Moralitaet besteht darinn, daß man bei allen Vorschrif-
ten der Sinnlichkeit, seine Handlungen doch nach Beweggründen
der Vernunft dirigire. Wer aber aus Neigung handelt,
giebt nicht den Beweggründen der Vernunft, %sondern der Sinnlichkeit
Gehör. Und da wir zu allen %sinnlichen Handlungen durch Beweg-
gründe angespornt werden, so sind wir desto mehr gebunden,
je sinnlicher wir sind. Die Griechen verordneten deshalb, daß
ihre Areopagiten im Finstern richten mußen, weil einmal
eine verurtheilte schöne Wittwe durch Abnehmung ihres Schley-
ers Recht erhielt. Nur allein die Neigungen machen arm,
daher der Mensch, welcher sich ihnen überläßt der gröste Thor ist.

/II. Die Fähigkeit die besten Mittel zur Glückseeligkeit zu wählen,
ist die Klugheit. Die Glükseeligkeit besteht aber in Befriedigung
aller Neigungen. Um sie also wohl wählen zu können, muß man
frey seyn. Der Klugheit aber ist alles zuwider was uns
blind macht, und eben deswegen auch der Affect.

/III. Der blinde Affect ist diejenige Stärke des sinnlichen
Triebes, daß er den Verstand hindert, selbst auf der %Befriedigung
des einzigen Triebes, der ihn blind macht, zu denken.

/|P_243

/Und so kann der starke Trieb selbst sein eigenes Ziel nicht
erreichen. So weis der in heftigen Zorn gesezte nicht was für
%empfindliche Worte er hervorbringen soll. %.Ueberhaupt scheint %uns
der Affect in den Zustand der Stupiditat zu versetzen.
Der blinde Affect verstummt. So ists auch mit Verliebten,
der heftige kann keine Worte finden, dagegen ist der Gesprächiste
gewiß immer derjenige der am wenigsten empfindet. So auch
der Ehrgeitz; für bloße Titel giebt er wahre Vortheile
hin. Da nun aber die Geschiklichkeit in der Kunst besteht
Mittel zu allen möglichen Endzwecken ausfindig zu machen,
so wiederstreitet der blinde Affect dem Geschmak, %oder der Schiklichkeit.
Englische Schriftsteller sagen: der Affect ist eine so starke
Regung des Gefühls, daß man sich dabei der Summe aller Re-
gungen nicht bewust seyn kann, Passion aber ist eine so star-
ke Begierde, daß man sich der Summe aller Begierden nicht
bewust seyn kann... Dieser Unterschied scheint richtig zu seyn.
Alle Bandelose Lustigkeit macht uns unfähig, auf andre
Quellen des Vergnügens zu denken.. Ein dauerhaftes Vergnügen
des Menschen besteht nicht darinn, daß man es durch alle Or-
gane empfinde, daß Gemüth muß zu allen Vergnügungen offenstehn.
Daher zieht die Befriedigung einer Neigung %wodurch alle Organe in
Bewegung gesezt werden, Unruhe nach sich. Iede Neigung die sehr ver-
gnügt, erschöpft, da hingegen Mässigkeit die Sinne für Vergnügen
anderer Art offen hält. Das gefühlvolle Gemüth mit Ruhe ver-
knüpft, ist des grösten %Vergnügens fähig. Nichts ist %.beinahe so absurd als eine Tafelmusik.*1
Denn man hat bei der Tafel weit feinere Arten des Vergnügens

/|PR_243_Z_23

/*1 Sie füllt nur den
leeren Raum der Gedan-
kenlosigkeit aus. %.und kann
höchstens etwas zur Ver-
dauung beitragen. ~

/|P_244

/ ≥ Von den Leidenschaften. ≤

/Leidenschaft ist der Zustand des Gemüths, welcher uns un-
fähig macht über unsere Neigungen herrschen zu können,
d. h. er verursacht daß wir die Gegenstände nicht nach der
Summe aller Begierden wählen können. Die wahre Leiden-
schaft ist die, deren Neigungen bis zu dem Grad gehen, daß
sie ihre eigene Befriedigung unmöglich machen. Der Mensch op-
fert bei einer hefftigen Begierde immer etwas von seiner
Thätigkeit auf. Einige Leidenschaften sind von der Art, daß
sie ein anderer billigt, weil man mit ihm sympathisirt,
z. E. die von Beleidigung kommt, weil %Beleidigung eine allgemeine
Sache ist. Dies findet nicht so leicht statt, wenn jemand bestohlen
ist. Ist aber jemand beleidigt, so denkt man mit dem Chre-
mes im Terenz: homo sum, et nihil humani a me alie-
num esse puto. Brutus der den Caesar ermordet hatte, sah den
todten Körper desselben vor der Thüre des Sulla liegen, und
fragte, ist denn keiner der dieß rächen will. Als dies mit nein
beantwortet war, sprach er: so reicht mir den Degen pp er konn-
te die Beleidigung des Volkes nicht ertragen. Wir billigen
Leidenschaften:

/1.) Wenn sie uns vortheihaft sind.

/2.) Weil kein genugsamer Ernst da zu seyn scheint wo keine %.Leidenschaft ist.

/Affect ist Beweis vom Ernste, aber der Mangel desselben
zeigt noch nicht den Mangel des Ernstes. Vielmehr ist der überlegte
Ernst von längerer Dauer. Es ist nicht gut, wenn man sein Glück
zu hoch auf einmal treibt, so daß man es nicht mehr steigern kann.

/|P_245

/Denn hat uns einmal eine Sache recht stark gerührt, so misfällt
uns hernach die mittlere Rührung. So thut man einem keinen Gefallen
wenn man ihn mit den grösten Lobsprüchen überhäuft, denn, verdient
er sie hernach nicht ganz complett, so misfällt er schon, weil andre
sich in ihren gespannten Erwartung betrogen finden. All unser
Wohlgefallen, wenn es in Abnahme gerät, zeigt uns schon den heran-
nahenden Verdruß. Daher müssen wir es nie zur Abnahme kommen
lassen. Treiben wir es in der Empfindsamkeit zu weit; so ist wenn
es zum Abnehmen kommt, Ekel, Verdruß und Kummer da weil
wir zum Maasstabe die höchste Empfindung annehmen. Ein Mittel
zur Glükseeligkeit ist also, daß man immer seinen Zustand stei-
gern kann. Oft glaubt ein Mensch betrogen zu seyn, und betrübt
sich selbst. Wenn jemand in seiner frühen Iugend aus seinem
Vaterlande reiset, %.und in seinem Alter wiederkommet, glaubt
er gemeinhin, daß sich vieles seit der Zeit verändert habe, allein er
hat sich selbst verändert, wie kann er itzt das Vergnügen empfin-
den, was er damals empfand, als er Ball spielte. So auch ein
Verliebter, der anfangs seine Geliebte für den schönsten Gegenstand
der Welt hält, sie aber hernach, wenn die Flammen verlodert
sind, minder reitzend findet, glaubt betrogen zu seyn, da er sich
doch in diesem Falle selbst betrogen hat. Beim Heirathen ist
mehrentheils der Mann besorgter als die Frau, %.und das des wegen
weil sie Freiheit gewinnt; er aber etwas davon verliert. Ie
erhabener der Zwek ist, um dessen willen man eifert, desto
größer ist der Zorn, der hier eine Art von Beschönigung bekömmt.

/|P_246

/Die Natur, die immer den sichersten Weg wählt, zu ihrem
Zwecke zu gelangen, hat Leidenschaften in uns gelegt, weil
der sicherste Weg bei Menschen die Rührung der Sinnlichkeit ist.
Wir haben aber dazu die Vernunft, daß wir unsre Leidenschaften
in Zaum halten können. Der Weg hat uns die Natur nur provisore
gegeben, weil man so oft zu spät zum Gebrauch seiner Vernunft
kommt. Sie gleichen also einem Hofmeister der einem Kinde so
lange gehalten wird, bis es zur Ueberlegung kömmt, und durch
Vernunft geleitet wird. Gleich in der zarten Kindheit hatte
die Natur zur Absicht den Menschen zu ihren Zwecken *1 zu führen.
Dieses aber konnte durch die erst angehende Vernunft nicht «¿¿¿»so gut
geschehn als durch Keime zu Affecten. So ist z. E. der Zorn eine
Vertheidigungsneigung. Wird aber die Neigung reif, so muß
der Mensch den Affecten weiter kein Gehör geben, als nur
in so fern, daß er sich von ihnen an die Zwecke des Lebens
erinnern läßt. Es ist aber doch sonderbar, daß beim Affect
der Theil der Bedürfnisse würklich die Summe aller Bedürf-
niße überwiegt.

/Alle Neigungen können zu Affecten werden, aber die Neigung
selbst, wenn sie gleich sehr stark ist, behält doch immer eine
Klarheit, die im Affect vermißt wird. Es giebt thätige Affecten,
die mit der Unternehmung von Handlungen verbunden sind,
und den müßigen entgegengesetzt werden. Chinesen halten im
allgemeinen ihre Affecten sehr zurück z. B. wenn sie Europäer betro-
gen haben, etwa im Verkauf der Seide, daß sie nemlich den Untertheil
des Fasses mit einer andern leichten Materie angefüllt, und auf

/ diese

/|PR_246_Z_9

/*1 Z. E.: Die Erhaltung und
Fortpflantzung der Art,
konnte sie nicht der Vernunft allein
anvertrauen.

/δ_Z_24

/Dies ist ihr vorzügliches
Gewerbe. ~

/|P_247

/diese die Seide gestopft haben - und der Europäer entdekt
dies, so wird er natürlich hierüber zürnen, aber was thut da
der Chineser? Er sagt: Nun warum seid ihr so böse, euer
Mäkler sagte, daß ihr die Seide nicht besehen würdet. Daraus
sollte man glauben, die Chineser hätten gar keine Affecten.
Dies ist aber keinesweges der Fall, sie halten sie nur so zurük.

/Wir können alle Neigungen eintheilen:

/1.) in Formale, in so fern sie allgemeine Bedingungen aller
Neigungen sind, welche man die Neigungen in abstracto nennen könnte.

/2.) in die Materiale, in so ferne die Objecte der Neigungen
eingetheilt sind.

/Die allgemeine Bedingung aller Neigungen ist Freiheit.
Freiheit bedeutet den Zustand worin man seinen Neigungen
gemäß leben kann, wo uns in der Wahl %.und Befriedigung der-
selben nichts hindert. Dies ist die erste formale Neigung und
gewiß die größte. Ieder Mensch hat erstaunliche Neigung zur Freiheit
blos darum weil sie die einzige Bedingung ist, unter der wir unsere
Neigungen befriedigen können. Lächerlich ist es daher wenn ein
Gutsherr seine Erbunterthanen nach seiner Weise behandelt, und sie
nach seiner Idee von Glückseeligkeit zu leben zwingt, <%.und> dabei zum
Grunde angiebt, solche Leute wüßten nicht was ihnen diene. Diese
Zustand ist für den Erbunterthanen der schreklichste, denn man
ist nur glüklich wenn man seinen Neigungen gemäß leben kann.
Man darf daher nicht den Regenten als Landesvater rühmen,

/δ_Lage_GG.

/|P_248

/denn wir sind keine Kinder mehr, die einen Vater brauchen,
die bei der Nase herumgeführt werden müssen; ohne Freiheit
haben wir kein Eigenthum, das Unglück des Menschen ohne %.Freiheit ist unabsehbar.
Die formale Neigung zur Freiheit heißt negativ. Der Mensch
verlangt nichts zu erwerben, (nur seine Neigung will er befriedigen)
Die formale positive Neigung heißt das Vermögen, im Be-
sitz der Mittel zu seyn, und seine Neigung befriedigen zu können.
Es giebt zweierley Arten von Freiheiten:

/1.) Die wilde, thierische, gesetzlose Freiheit, dies ist die natürliche.

/2.) Die bürgerliche Freiheit. Diese ist immer einem gewissen Zwan-
ge unterworfen, dagegen sichert sie uns auch für Uebeln, denen
wir im Naturstande nicht entgehen können. Demnach giebt es
kein Beispiel, daß ein Wilder sein Leben dem unter Gesetzen
vorziehen sollte. Die bürgerliche Freiheit ist sehr künstlich,
ihr Reitz besteht darinn, daß der Mensch alles thun kann,
was er will, wenn es nur nicht den Gesetzen wiederstreitet.
Sie hat großen Nutzen, denn sie veredelt nicht allein die Bürger,
sondern auch nur die Meinung der Freiheit thut dies. Der Regent
der dem Volke diese Meinung benimmt, benimmt ihm auch zugleich
jeden Sporn zu guten und edlen Handlungen. z. E. Man hat viel
Beispiele von canadischen Wilden, die schon Officiere geworden
waren, daß sie lieber in ihre Hütten zurückkehrten, als noch
länger unter Subordination s«¿¿»tanden. Ueberhaupt achtet der
Wilde nichts was unter Herrschaft steht. So verachten die

/|PR_248_Z_15

/So ist's in England. ~

/|P_249

/nomadischen Araber diejenigen, welche in Städten wohnen. Die
Grönländer schätzen alle Matrosen, darum weil sie sich befehlen
lassen, so gering daß sie nicht einmal mit ihnen sprechen, welche
Ehre sie lediglich dem Capitain erweisen. Deswegen bitten es
sich auch die Missionarien aus daß der Schiffskapitain keine
Autorität über sie blicken lasse, weil man sie sonst als Nichts wür-
dige betrachten möchte. - Ie näher die Menschen der Freiheit
kommen, desto stolzer sind sie. Dies sieht man Z. B. daraus: ein
Tunguse sagt, wenn er jemanden Unglük wünschen will: daß
du dein Vieh erziehen magst, der Russe hingegen: daß du dein
Brod beim Weberstuhl wie ein Deutscher verdienen magst.

/Die positive formale Neigung betrift den Besitz des
Vermögens, seine Neigungen zu befriedigen, denn man lasse einen
Erbunterthanen laufen, %.und gebe ihm eine blos negative Freiheit,
wenn er kein Geld kein Ansehen keine Fürsprache hat, so wird ihn
zwar nichts an der Befriedigung seiner Neigungen nichts hindern,
allein er wird sie doch nicht befriedigen können. Dieß %.positive
Vermögen ist also die Kraft, wodurch man etwas welches
unserer Willkühr gemäß ist, zu Stande bringen kann, und schränkt
sich also auf folgende 3 Mittel ein:

/1.) Ehre - durch diese habe ich Einfluß auf andere Menschen.
in Rüksicht auf ihre Furcht.

/2.) Gewalt, durch diese Mittel habe ich Einfluß wegen der Ohnmacht andr@er@.

/3.) Geld, durch dieses vermittelst des Interesse und des Eigennutzes
der Menschen. Dies leztere ist das kräftigste Mittel. Denn
nichts kann so sehr die Neigungen der Menschen überstimmen, als Geld.

/|PR_249_Z_25

/Z. B. Die Anecdote, da
der Brama alle seine Un-
terthanen Erlaubniß gab
sich etwas von ihm auszubitten,
so fand es sich am Ende, daß
alle mit einander ohne Ausnah-
me - Geld baten. ~

/|P_250

/Ia wer Geld hat, kann sich gewißermaaßen Verstand anschaffen,
denn man sagt, ein guter Vorrath von Büchern ist Ersetzung des
Verstandes. Man hat bemerkt, daß die Stärke andere zu über-
wältigen, mit ein Gegenstand der %menschlichen Neigungen sey. Bei
allen rohen Nationen ist die Tapferkeit die gröste Tugend. Unter
den gesitteten sind die Disputationes der Gelehrten eingeführt, die
in der That ein wahres Hahngefechte sind. Dazu kann man auch
Dräustigkeit rechnen, denn sie macht den Menschen fähig, etwas
zu unternehmen, was ein anderer unterlassen muß. Erlernen
läßt sie sich nicht. Dräuste Menschen haben gemeinhin keinen
Muth, %.sondern wie Homer sagt das Gesicht eines Hundes, und
das Herz eines Hirsches. Leute die schon durch ihr Gesicht
Dräustigkeit anzeigen, sind unleidlich, wenn dieses aber keine verräth
%.und der %Mensch hat sie doch so kann es sehr vortheilhaft seyn. Geschik-
lichkeiten sind nur %.Fähigkeiten einem vorgelegten Zwek auszuführen, und sie
werden oft höher geschätzt als alle Endzwecke. So die Tapferkeit *1
gefällt uns auch unmittelbar. - Auch die Ehre vermehrt un-
ser Vergnügen, weil wir dadurch mit vielen Menschen bekannt
werden, und unser zeitliches Glük mehrentheils von der Gunst und
dem Ansehen, was wir unter den Menschen haben, abhängt. %.Sonderbar
ist's, daß der Geitzige so hitzig in Erwerbung der Mittel, und so gleichgültig
in Ansehung der Zwecke ist; denn er denkt nicht an die %Anwendung des zusammen-
gescharrten Geldes, blos das Vermögen verschafft ihm idealischen Genuß
Das Geld hat einen allgemeinen Gebrauch, allein man muß %dieselbe %.Allgemeinheit
so betrachten, daß man sich zwar für das Geld alles anschaffen, aber nicht alles
zusammen, %sondern nur eins von allen, %.und durch %dieselbe %.Allgemeinheit bekommt das lie-
gende Geld einen Vorzug für dem ausgegebenen.

/|PR_250_Z_15

/*1 Doch nur Mittel
die Menschen zu sichern. ~

/|P_251

/ ≥ δ_47ste Stunde %.Sonnabend den 28ten %.Ianuar %von 8 - 9 ≤

/Ehre bringt immer Wiederspruch hervor, denn so bald man
welche erwirbt, so geschieht dies auf Kosten der Achtung anderer.
z. E. jede Ehre ist ein Vorzug, dem wir andern vor uns geben,
und da dies wenige gern thun, so wiedersetzen sie sich. Wer
Anspruch auf Ehre macht, thut gleichsam Unrecht, indem er will
daß der andere von seiner Ehre abstehen soll. Und darum weil
wir keinen den Wahn lassen wollen, daß er Vorzüge vor uns
haben soll, ist man auch so theuer mit Titeln. Wenn ich mir
Gewalt erwerbe, so kann ich natürlicher Weise Widerstand
von andern erwarten. Das einzige wobei dies nicht statt findet, ist das
Geld. Denn wenn ich welches habe, so lieben andre dies, und zwar
darum, weil sie selber vielleicht davon Nutzen ziehn können.

/In allen Begierden kann man sich etwas continuirendes vor-
stellen, und diese continuirliche Begierde nennt man Sucht,
so giebt's Ehrsucht Herrschsucht Geld %oder Habsucht, welche
sich auf die 3 genannte Formale positive vermögen gründen,
und werden alle 3 unter dem nach englischer Art geformten Wor-
te Selbstsucht begriffen. Diese Sucht, welche vom Affect deshalb
unterschieden ist, weil sie continuirlich ist, macht, daß der
Mensch auf den geringsten Grad seines Vermögens erpicht ist.
Ein Geldgieriger ist nicht allemal habsüchtig, denn ein hab-
süchtiger läßt auch nicht den geringsten Vortheil aus den Händen,
durch den er sein Geld vermehren kann. Ein Ehrsüchtiger läßt sich auch
gern vom Narren loben. Wir wollen also nach der Reihe durchgehn:

/|PR_251_Z_17

/Daß %.überhaupt der %Mensch
selbstsüchtig sey wäre
zu kühn zu behaupten,
soviel aber ist gewiß
daß er Anlagen dazu hat. ~

/|P_252

/I. Ehrsucht. Ehrliebend muß jedermann seyn. Ehrsucht
aber oder Ehrbegierde beleidigt andere. Dies thut Ehrliebe
nicht. Sie ist negativ, ein bloßer Abscheu sich die Verachtung
anderer nicht zu zu ziehen; daher kann ein ehrliebender Mensch
verlangen nicht bekannt zu seyn, und wenn er gekannt wird, will
er nur nicht so gekannt seyn, daß er Objekt der Verachtung ist,
sondern so daß er sich nicht schämen darf, und Ehre davon hat.
Ohne Ehrliebe ist keine Tugend. Ehrbegierig seyn, heißt mit andern
um den Vorzug streiten, wodurch man natürlicher Weise andern
offendirt. Denn indem dieser will vorgezogen seyn, verliehrt
der andere und so entsteht Eifersucht. Ein Ehrbegieriger sucht die
Gesellschaft, um auch durch die geringsten Kleinigkeiten seine Ehre
vergrößern zu können. Die Ehrbegierde wird endlich zur Ehrsucht
wenn man die Ehre zum Hauptgegenstande seiner Neigungen macht,
und zu Ehrgeitz wenn man <auf> die geringsten Kleinigkeiten bei der Ehre
sieht. Ehrbegierde %.und Ehrgeitz sind Leidenschaften die erhöht werden
können. Es liegt in der Ehrbegierde das Ungereimte, daß
eben durch die große Bestrebung nach Ehre sie ein Gegenstand
der Verachtung wird. Iemand kann bereitwillig seyn, einem
andern Ehre zu erweisen, und dieß mach ihm selber Ehre,
aber dieß muß frey %.und ohne Anspruch darauf geschehen. Ehr-
begierde als Selbstsucht ist Hochmuth.*1 Hochmuth ist nicht ambitio.
Denn ambitieuse Leute können sehr höflich seyn, indem sie bei

/|PR_252_Z_7

/Ein Ehrliebender kann
aus eben diesem Triebe
verlangen unbekannt
zu seyn. Die Gesellschaft
fliehen - nemlich, um sich
vor Verachtung zu schützen.

/δ_Z_22

/*1 Superbia ~

/|P_253

/andern eine vortheilhafte Meinung von sich, also Ehre erwerben
wollen. Ie mehr ein vornehmer Mann auf seine Ehre Verzicht thut
%oder keinen Anspruch zu machen scheint, da nemlich wo er es könnte,
desto mehr erwirbt er sich willkürliche Ehre. Hochmuth ist die
Meinung von dem Vorzuge, wodurch man andere, im Verhältniß
gegen uns zu erniedrigen sucht. «Denn»Und dadurch daß er will der
andre soll sich gegen ihn gering schätzen beleidigt er. Ie mehr
einer arrogant ist und sich brüstet, je mehr weigern andre sich,
ihm Achtung zu erweisen, sobald er sich aber mit andern in
Gleichheit setzet, beweiset man ihm weit lieber Achtung. Ganz beson-
ders nennt man den Hochmüthigen einen Narren, weil ein Narr
derjenige ist, der in sich selbst einen größern Werth setzt, als
er verdient. Aber er arbeitet sich selbst entgegen, wie eben gesagt
worden. Man glaubt bemerkt zu haben, daß der Hochmüthigste
wenn er unter einen Mächtigern kommt zu gleich der Nieder-
trächtigste ist. Dies ist auch sehr natürlich, wie könnte er dieses
sonst einem andern zumuthen, wenn er selber nicht von der nemlichen
Denkungsart wäre. Stolz hingegen ist Anspruch auf diejenige
Achtung anderer, die er jedem andern auch erweisen will, eine
gewisse Halsstarrigkeit die darinn besteht, daß man seinen
Muth nicht schmälern lassen will. Der edle Stolz fordert nur
Gleichheit; hat aber auch einen Zug des Tadels bei sich, weil er
gleichsam eine Sorgfalt anzeigt, nicht das mindeste von der Achtung
die er von andern fordert, abzulassen. Es ist dies gewißermassen
eine Krankheit.

/|P_254

/II. Herrschsucht. Diese ist ungerecht, die verlangt nicht
allein Gewalt, sondern auch ein vorzügliches Vermögen über
andre. Es entsteht die Frage, findet Herrschsucht als un-
mittelbare Neigung statt? Ia, alle Menschen mögen gern
herrschen. Doch liegt das stets im Geheim zum Grunde, daß sie
ein großes Mittel ist, seine Zwecke und Absichten durch Beihülfe
anderer zu erreichen. Wenige Fürsten haben resignirt, und
diesen wenigen hat es hernach leid gethan, z. B. Kaiser Carl_V.
und der König_von_Sardinien. Viele mögen deswegen nicht
herrschen, weil sie Hinderniße und Wiederstand voraus sehn,
auch wohl oft des wegen, weil sie beherrscht *1 commoder leben

/III. Habsucht. Es giebt eine mittelbare, da man nemlich
deswegen viel zu haben verlangt, um viel geniessen zu können;
und eine unmittelbare die keinen andern Zwek vor sich sieht als
blos um zu haben, ohne etwas daran zum Genuß zu bestimmen.
Daher haben wir karge und gewinnsüchtige Geitzige. Der karge
will gar nichts verlieren. Ein Mensch der viel hat, kann vielen
nützen, und dadurch erlangt er ein großes Ansehn. Es ist
nach den Nationen verschieden wie <sie> sich nemlich ausdrücken z. B.

/Die Engländer sagen der Mann ist 100tausend Pfund Sterling werth

/--- Holländer -------------- commandirt eine Million

/Der Deutsche sagt blos ----- besitzt so und so viel Geld

/Diese 3 Begierden sind gewöhnlich nur Neigungen des Wahns,
welche ohne Rüksicht auf den Zwek blos auf die Mittel gehen. So ist's

/ mit der

/|PR_254_Z_10

/*1 Dies mag wohl bei
vielen geduldigen Ehe-
männern der Grund
ihrer Handlung@en@ seyn ~

/|P_255

/mit der Ehrbegierde. Die mehresten Monarchen setzen den
Werth unmittelbar in Herrschaft, also darinn, was nur
Mittel zum Zwek ist. Die Leidenschaften die im bloßen Wahn
bestehen, schlagen am tiefsten Wurzel, deshalb weil sie die
ungereimtesten sind, und desto schwerer sind sie auszurotten.
Es liegt eine recht wunderbare lächerliche complication
in den Handlungen des Geitzigen.

/ ≥ Von den verschiedenen Objecten unserer Neigungen %.und Leidenschaften

/Ruhe und Genuß sind die Hauptobjekte - (wovon die Extreme
Faulheit und Ueppigkeit, Wollust p) - Ieder Mensch hat Neigung
zur Ruhe daß nemlich nichts wieder seinen Willen sich bewegen soll,
er liebt Gemächlichkeit. Die gröste Ungemächlichkeit ist wohl der
Zwang unter die Befehlshaberschaft eines Menschen, besonders
denn, wenn er in Absicht der Capacitaet dazu noch unter uns steht.
Den Wilden ist die Freiheit Ersetzung ihres Ungemachs, demohngeachtet,
haben sie Hang zur Gemächlichkeit. Oft misfallen Werke der Kunst
darum, weil sie zu viel Schwierigkeit und Peinlichkeit verursachen.
Die große Neigung zur Ruhe nehmen wir hier als Abneigung zur Arbeit.
Arbeit ist eine Beschäftigung die für sich selbst unangenehm ist,
und nur durch den Zwek den wir dadurch erreichen, angenehm
wird. Spiel hingegen ist für sich selbst angenehm, ohne angenehmen Zwek.
Unter den occupationibus in otio *1 ist das eigentliche Spiel zu bemerken.
Der. Der Hang zum Kartenspiel ist Hang zur %.Beschäftigung in der Muße.
Von Natur ist der %Mensch faul, nur um einen Zwek zu erreichen kann er sich zur Arbeit bequemen.
Aus Neigung arbeitet man nicht, wohl spielt man aus Neigung. Die Chineser sind immer
thätig aber sie arbeiten nicht immer, %sondern spielen stark.*2 Der Spieler kennt keine andre %.Leidenschaft
als die seinige, welche so stark ist, daß sie auch die Liebe auslöscht. Sonst können <mehrere> %.Leidenschaften %.zusammen bestehn.

/|PR_255_Z_16

/Eben so eine Rede die
mit mühsam hergehohlten
Ausdrücken angefüllt ist.

/δ_Z_20

/So sind Iagen Angeln Be-
schäftigungen, die an sich
selbst angenehm sind

/*1 nicht per negotium.

/δ_Z_22

/*2 Dies geht soweit, daß
sie Haus Hof Weib %.und Kind
ja am Ende sich selbst ver-
spielen, %.und wenn sie ihre
Freiheit verloren, völlig
in die Sclaverey gehn.

/Iede %.Beschäftigung womit
Glük verbunden, macht, daß
die, welche sie treiben abergläu@bisch@
sind, so z. B. Iäger, Fischer Spieler
Bergleute. ~

/δ_Lage_HH.

/|P_256

/ ≥ δ_48ste Stunde %.Sonnabend den 28ten %.Ianuar %.von 9 - 10

/Wie tief die Neigung zur Gemächlichkeit in der menschlichen
Natur liegt, kann man schon daraus sehen, weil der Mensch
nur darum arbeitet, indem er sich im Prospect Ruhe und
Gemächlichkeit mahlt. Nur der Sporn der zukünftigen
Ruhe treibt ihn zur Arbeit. Der Prospect derselben liegt immer
im Hintergrunde. Kann man diesen Hang zur Gemächlichkeit
unter dem Namen der Faulheit als ein Laster angeben? Oft
ist er in der That wohlthätiger Wink der Natur, seine Kräfte
zu schonen, um sie nicht zu erschöpfen. Und denn ist es nicht ein
Fehler z. E. die Habsucht würde viele Menschen antreiben,
ihre Kräfte bis zur Ueberspannung anzustrengen, %.und sie zu zerstören.

/Der Hang zum Genuß ist zweierley:

/1.) Hang zum Leben.

/2.) Hang zum Geschlecht.

/Im erstern Fall genießt der Mensch sich selbst im lezten
einen andern Menschen. Voltaire sagt, beide Neigungen wird
keine Kunst ausrotten. Sie sind die Fundamentalneigungen.
Die Neigung zum Leben wächst mit den Iahren, die zum Geschlecht
nimmt mit den Iahren ab. Daher kommt es, daß Iünglinge
oft mit weit mehr Muth und Resignation sterben, als alte.
Was die Furcht vor dem Tode betrift, so ist sie unterschieden
von der Liebe zum Leben. Denn man kann den Tod fürchten, ohne
das Leben zu lieben. Die Ursach ist diese: Der Mensch fürchtet
den Tod aus physischem Abscheu, indem er nichts vor sich sieht.
Der Grund liegt in der Imagination, denn man stellt sich immer
vor, man würde sich bewußt seyn in der Erde - im Sarge zu liegen.

/|P_257

/Das Grab ist eigentlich schauerlich, die Furcht vor %dem Tode selbst ist thierisch.
- Beide Neigungen werden überhaupt getadelt als erniedri-
gend für die Würde der Menschheit, weil sie Aehnlichkeit mit
thierischen Neigungen haben. Eben des wegen hat man auch in allen
Religionen nur die für heilig gehalten die gar keinen Hang zum
Geschlecht zeigten. Phantasten verlangen daß beide Neigungen
nicht zur Menschheit gehören. Eine Art davon nennt man Puristen
weil sie sich in diesem Punkt so gerne vom Menschen losmachen wollten.
Was den Genuß des Lebens betrifft, so ist's gut daß die Na-
tur etwas Zaghaftigkeit in uns gelegt hat. Die Liebe zum
Geschlecht ist nicht immer so groß als man angiebt, es stekt
etwas Feinheit %.und Großmuth darinne. Die Liebe zum Leben affec-
tirt man nicht, wohl aber die Geringschätzung desselben. Man nennt
die Neigung zum Geschlecht Liebe, man muß sie eigentlich Geschlechts-
Liebe nennen, und sie hat nichts mit der moralischen Liebe zu thun.
Denn sie besteht im Genuß, und ist also nicht die Liebe, die in
Moral und Wohlwollen besteht. Die Natur hat mancherley In-
stinkte zu großen Zwecken in uns gelegt, der cultivirte
Mensch muß also diese An«¿¿»lagen als Triebfedern von
großen Handlungen zu guten Zwecken gebrauchen. Ie mehr
wir unsre Neigungen befriedigen desto mehr multipliciren
sie sich. (Man hat bemerkt, daß auch das große Laster was unter
den Menschen so gewöhnlich ist, die Falschheit, bei allem Schaden
den sie mit sich führt, doch auch einigen Nutzen stiftet, nemlich den,
daß sich Menschen welche böse Absichten haben, nur dessen willen
nicht so leicht vereinigen können.)

/|P_258

/Unser Autor theilt die Leidenschaften nach unserer Empfind-
samkeit in Schmerz und Vergnügen. Es giebt aber %eigentlich nur
angenehme %.und unangenehme Affecten, weil jenes Gefühle, dieses
aber Begierden sind. Beim Affect wird unser Zustand afficirt,
und wir sind passive, daher auch der Affect seinen Namen hat.
Es giebt also nicht angenehme und unangenehme Leidenschaften;
jeder angenehme Affect ist Freude jeder unangenehme Traurigkeit.
Ieder der ruhig ist hat keinen Affect, auch der fröliche nicht, denn
die Fröhlichkeit ist blos das Vermögen alle Vorfälle des Lebens
aus dem Gesichtspunkte zu betrachten, der uns auf irgend eine Art
in den unangenehmen Vorfällen Vergnügen verschafft. So wie
Epicur der Philosoph eines frölichen Gemüths, nicht aber der Wollust
war, denn die Alten haben nur aus Versehn das Wort Voluptas
durch Wollust übersetzt. Dies sieht man auch daraus, daß er
seine Gäste in seinem Garten, den er ihnen als den Ort des Ver-
gnügens anprieß, mit Palenta (einer Art schlechter Grütze) aufnahm.
Iede Annehmlichkeit muß, um Freude zu heißen, bis zum Grade des
Affects steigen. Nicht jeder Schmerz ist eine Traurigkeit, wenn man
ihn bis zum Gemüth dringen läßt, und alle Philosophie Zwekt dahin
ab, daß der Mensch kein Vergnügen, keinen Schmerz bis zu seiner
Seele eindringen lasse, ausser den Schmerz wegen Uebertretung sei-
ner Pflicht. Und da es der Mensch wirklich so weit bringen kann,
so sehen wir daraus, daß uns die Natur nicht so gemacht hat,
daß wir dem Affect der Traurigkeit unterworfen seyn sollen.

/|PR_258_Z_24

/Aber eben so wenig sollen
wir uns das Vergnügen bis
in die Seele dringen lassen. ~

/|P_259

/Der Qualität nach gehören alle Affecte zur Freude oder Traurigkeit,
dem Grade nach nach aber sind sie sehr unterschieden; ob es gleich zum
Affect gehört, daß die Neigung so hoch steige, daß sie das Gleichge-
wicht der Summe aller übrigen Neigungen aufhebe, d. h. alle
andern verdunkle und vertilge. Gemeinhin verachtet man alle
Menschen die im Affect sind, doch hält man einige dem Menschen
zu gut, z. E. den edeln Zorn da jemand die Rechte der Menschheit ver-
theidiget, wenn etwa ein unschuldiger Armer unterdrückt wird.
Ieder Affect ist eine Degradation der Menschheit, weil der
Mensch nicht mehr sein eigner Herr ist, und die obere Willkür
nicht mehr disponirt, sondern vielmehr die Thorheit praevalirt.
Eine ausgelassene Freude ist kindisch, ausser wenn sie aus der Bo-
nitaet und dem Glücke der ganzen Menschheit entspringt. Alle
Thiere sind der angenehmen Empfindung fähig, aber nicht der
Freude darüber, so wie der unangenehmen Empfindung aber nicht
der Traurigkeit darüber. Denn leztere entspringt aus der
Vergleichung des itzigen Zustandes mit dem vorigen, die ein
Thier, anzustellen nicht vermögend ist. Daß also die Menschen durch
ihre Thorheit etwas vergnügt und ergötzt werden, und daß sie Schmerz
empfinden, kann ihnen nicht verdacht werden, daß sie aber über
etwas traurig oder freudig werden, steht ihnen nicht an. Der Affect
gehört zum Gefühl; die Leidenschaft zur Begierde. Die %.Empfindsamkeit
muß man aber sehr vom Gefühl unterscheiden, auch von der Reiz-
barkeit, die man bei den Affecten verspürt, und eben in dem baldi-
gen Ursprunge einer Begierde besteht. Die Empfindsamkeit ist

/|P_260

/eine Feinheit in der Untersuchung, vermöge welcher jemand leicht
bemerken kann, was gefällt, oder nicht gefällt, sie dient also
zum urtheilen, und stehet den Menschen gut an. Das Gefühl
aber entsteht, wenn diese Empfindsamkeit in eine Begierde
versetzt wird, und dann schikt sie sich für keinen Mann, es
kann jemand ein zart Gefühl oder Delicatesse z. E. bei der
Ehre haben, d. h. er kann durch den gemeinsten Umstand beleidigt
werden, dies Gefühl aber ist unerlaubt hingegen ist eine zarte
Empfindung erlaubt. Das zarte Gefühl ist eine Veränderung
der Empfindsamkeit in eine Begierde. Der Mann muß aber nicht
verzärtelt oder weibisch seyn. Das Frauenzimmer hält unge-
mein viel auf Vorzüge, und ist in Ansehung des Ranges und
der Ehre sehr delikat. Die Frau verlangt jederzeit, daß
der Mann die Ungemächlichkeiten über sich nehmen soll, die
Ursache ist, weil sie ein starkes Gefühl hat, oder verzärtelt ist.
Sehr reizbar seyn, ist eine sehr große Schwäche, aber die %.Empfindsamkeit
in Untersuchung ist gut. Wer sie besitzt, wird in Gesellschaft
bei einem Scherze der persönlich gemacht wird, doch immer so
sprechen, daß er keinen, besonders kein Frauenzimmer beleidige.
Denn man muß wissen, daß ein Frauenzimmer am leichtesten
sich in Ansehung der ihr gebührlichen Achtung beleidiget findet.
Die Ursache ist dies, weil alle Menschen in Ansehung des Punkts
der ihnen streitig gemacht werden könnte, am alleraufmerk-
samsten sind. Ist ein Ausdruk zweideutig, so bleibt man desto
leichter bei ihm stehen, weil man glaubt, daß man beleidiget ist
so gehts dem Frauenzimmer, denn der Grund der Achtung derselben, ist

/|P_261

/zweideutig genug, weil sie doch eben so viel Achtung als eine Manns
person verdienen sollten, und in diesem Punkte sind sie delikat.
Allgemein kann man also anmerken, daß je zweideutiger ein
Vorzug ist, je mehr hält man darauf. Weil nun aber Frauen-
zimmer keine eigentliche Vorzüge, weder durch Gelehrsamkeit
noch Staatsmaximen haben, sind sie um so eifersüchtiger auf ihre
Ehre. Die zärtliche Liebe besteht nicht in der Größe des Affects,
sondern in der Feinheit und Beurtheilung alles dessen, was einem an-
dern im mindesten unangenehm seyn könnte. Also ist die Zärtlich-
keit sehr von der Verzärtelung unterschieden, denn man kann zärtlich
lieben, und eben deshalb die gröste Ungemächlichkeit übernehmen.
Es können bei jemanden starke Affecten herrschen, aber sie sind darum
noch nicht heftig, denn die Heftigkeit besteht nicht im Grade des Affects,
sondern in dessen Ueberraschung. Menschen, die feig sind, haben ge-
meinhin große Leidenschaften, aber deshalb sind sie nicht auffahrend
heftig und ungestüm, sie lassen sie auch nicht ausbrechen, weil sie
ihr Unvermögen kennen. Beim Zorn sowohl als beim Haß, liegt
ein Unwille gegen einen andern zum Grunde, sie unterscheiden
sich aber dadurch, daß der Haß daurend, der Zorn aber nicht
daurend und dennoch heftig ist. Wahre %.Leidenschaften entspringen
nur aus dem Verhältniße gegen Sachen, aus genommen, wenn
man das thierische in der Liebe beim Menschen betrachtet, denn hier
hat der Mensch appetit zur Sache zum Genuß. Die Liebe enthält
auch keinen Affect des Wohlwollens, %sondern ein %Mensch macht sich nichts daraus, den
andern, den er hier nur als Sache zum Gebrauch betrachtet, <eben dadurch> unglüklich zu machen.

/|PR_261_Z_24

/In regula scheint es doch
als wenn es gegen Sachen von
keiner Wichtigkeit wäre, %sondern
dies nur in sofern einen Werth
habe, als es auf den Mensch
eine %.Beziehung hat. ~

/|P_262

/Nun können wir in Ansehung des Menschen noch folgendes merken:

/1.) Der Zustand anderer Menschen ist ein Grund der Sympathie,
und diese ein großer Grund der Regemachung unserer Affecten, so
heitert z. E. der lustige Gesellschafter, der mit Scherz ins Zimmer
tritt, die ganze Gesellschaft auf.

/2.) Alle Neigungen gehen entweder auf Menschen, oder auf
Sachen, leztere aber sind blos Mittel unser Verhältniß gegen die
ersten zu erhöhen, denn die Sache scheint an und für sich selbst kei-
ne Wichtigkeit für uns zu haben, sondern sie nur den Menschen, und
dem Zustande derselben widmen. Die Urtheile der Menschen sind
blos die Ursachen unserer Neigungen. So ist Ehrliebe die Neigung bei
andern in gutem Ruf zu stehn, eigentlich keine Meinung, %sondern nur
eine Art von Billigung. Sie ist die vorzüglichste Neigung, und
liegt bei allen Affecten, wenigstens indirecte zum Grunde, aus-
genommen bei dem thierischen Triebe nicht, wo blos eine Neigung auf
den Genuß der Person, als Sache betrachtet, geht. Mit der Ehrliebe
hängen alle Neigungen zusammen. Man ist nicht mit seinem angenehmen
Zustande zufrieden, sondern wir wollen noch in der Meinung anderer
in Ansehung unserer Person eine vortheilhafte Stelle. Die Ehrliebe läßt
sich nicht nur mit der Tugend vergleichen, %sondern auch vereinigen, daher
nimmt man die Redensarten: Es ist ein %.Mensch von Ehre %oder ein %.tugendhafter %.Mensch in %einerlei Bedeutung

/3.) Die %Menschen haben einen gewissen Hang zur Gemeinheit, da wir die Dinge bloß nach dem Maaße
schätzen, als andre es thun, denn einer will daß das was ihm gefällt, auch %andern gefallen
soll. Die Vorsicht hat hiedurch unsre Neigungen vom Interesse des Ganzen abhängig
machen wollen. Keiner verbirgt die %.Wissenschaften denn er sieht den Werth derselben im %.allgemeinen Beifall
%.und die %.Wissenschaften vergnügen uns also blos wegen dieses Hanges.

/|P_263

/4.) Es giebt ferner eine gewaltige Rechtsliebe, sowohl in Ansehung
der Sachen, als auch der Personen, und im leztern Fall ist sie am hef-
tigsten, d. h. wir haben einen Affect an dem Moralischen, oder an
den Urtheilen über Recht und Unrecht. Wir gerathen oft in Affect, nicht
weil wir durch das Factum eines andern Schaden gelitten, %sondern weil uns
dadurch Unrecht geschehn. Gewiße Affecte bekommen ihren Namen
nicht vom Object, sondern von der Art wie sie entspringen, so sind
Zorn, Haß und Erbitterung nicht dem Objecte nach, sondern nur dem
Grade nach unterschieden. Daher man einen Menschen, der leicht
zürnt, aber auch leicht wieder besänftigt wird, eher duldet, als
einen der langsam zum Zorn bewegt wird, dessen Haß aber auch
hernach desto langwieriger ist. Wir lieben und billigen aber
keinen Zorn um deswillen, weil er ohne Ueberlegung geschieht, ob-
gleich er bald vergeht. Und es ist ein jähzorniger Mensch, der durch
die geringste Kleinigkeit in Harnisch gebracht wird, darum
unleidlich, weil das ein habitueller Zustand ist, denn obgleich
ein solcher Mensch wegen kurz vorher angethaner Beleidigung, abbittet,
so ist man doch keinen Augenblik sicher, daß er nicht wieder Grobheiten
sagt. Diese Initabilitaet des Zorn nennt man auch Empfindlich-
keit, und diese ist höchst verwerflich. Die Ursache davon aber liegt
mehrentheils in der Erziehung, %.und %Menschen sind heftig %.und auffahrend, weil sie in der
Iugend keinen Widerstand gefunden haben. Fast alle Geographen führen von
den Creolen *1 an, daß sie ungestüm %.und Zornig seyn sollen. Die Ursache davon ist die
angeführte. Da sie mit Negern umgehen welche auf ihr blosses Geschrei ohne %Untersuchung
geprügelt werden, wird sie desto begreiflicher. Der %Mensch ist ein Thier, was disci-
plinirt werden muß.

/|PR_263_Z_21

/*1 Leute die in Ame-
rica von %.europäischen Ael-
tern gebohren sind - 

/Ein andrer Autor lobt
sie wegen ihres Verstandes
%.und der Ungestüm @Augen@
auch Herzens. ~

/δ_Lage_FF.

/|P_264

/ ≥ δ_49ste Stunde %.Mittwoch %den 1sten %.Februar %von 8 - 9

/Die Romane erregen Affecte, unterhalten auch Leidenschaften
Es ist gefährlich eine Leidenschaft zu nähren, denn sie führt immer
weiter, und wächst. Der Affect ist nur ein vorübergehender Sturm.
Was das Schauspiel betrift, so wird hier der Affect durch Vorstellungen
vermittelst des Lebens erhalten. Comödie erregt nicht Leidenschaft
sondern nur Affect, auch Lachen ist Affect. Daß die Comödien uns
veredeln, kann man nicht sagen, wohl aber, daß sie unsre Urtheils-
kraft cultiviren. Alle Romanen werden kalt, wenn sie in die
Ehe kommen, und man kann sagen, das Ende der Liebespein ist das Ende
der Liebe. Bücher die die Grenzen überschreiten kann man eintheilen in:
Kopfbrechende, Herzbrechende und Halsbrechende. Der größte Theil
der Romane gehört unter die Classe der Herzbrechenden. Das Benehmen
in der theatralischen Vorstellung ist unterschieden von dem des Con-
versationston's; und daher ist es albern wenn man vorgiebt, daß
durch die Aufführung der Komedien Z. E. der Kinder bei den Geburts-
tägen ihrer Aeltern, die Sitten cultivirt werden. Denn es ist etwas
anders agiren, und mit Menschen umgehen. Diejenigen Leute, die oft
agiren, nehmen gemeinhin einen theatralischen, affectirten Ton an,
der sich im gemeinen Leben nicht schikt. Daß Trauerspiele jungen
Leuten besser gefallen als Komedien, kommt daher, weil die Affecte
stark werden, steigen, aber auch bald verschwinden, dies ist nicht der
Fall beim Lustspiele, sie gefallen der Iugend nicht so sehr, als den
Alten, weil diese dabei sich zu erholen suchen, hingegen mögen sie wieder

/|PR_264_Z_17

/Comödien haben kein wei-
teres Inreresse, ihre Un-
terhaltung währt nur so lange
als die Aufführung des Stüks. ~

/|P_265

/nicht gerne Trauerspiele sehn, weil bei ihnen die Eindrücke lange haften,
welches bei dem jugendlichen Alter nicht statt findet.

/Romane sind ganz zu tadeln, weil sie die Verschwendung der Zeit
abgerechnet, noch ausserordentlich das Gedächtniß schwächen. Und dies
deswegen, weil wir die Romane immer nur in futuramoblivionem
lesen, kommen wir nun an wichtigere Dinge, und lesen sie auch mit
ganzen Ernst, so können wir sie doch nicht behalten. Noch ein großer
Schade ist der, daß wir uns durch das Romanelesen ganz in eine
Feenwelt versetzen, und Ereigniße die nie geschehen können für
leicht und möglich halten, dazu kommt, daß indem wir einen Roman
lesen, wir selbst noch immer einen neuen dazu machen, indem nach
unsrer Meinung mehr Begebenheiten ganz anders hätten sollen er-
zählt werden. Wenn man zu einem von beiden rathen soll, so sind
die Komedien rathsamer, weil sie mit Laune %.und Ideen aus dem wirk-
lichen Leben angefüllt sind.

/Die Bewegungen der Affecten, wenn sie heilsam sind, können statt
finden in der Conversation, und diese Art von Gemüthsbewegung
geschieht zwiefach:

/1.) durch Gespräche,

/2.) durch Spiel.

/Zur Gesellschaft aber nicht zur Conversation gehörig ist

/1.) Musik,

/2.) Tanz - so zu sagen stumme Gesellschaften. Das Spiel ist
1.) eine heilsame Unterhaltung, weil es den Affect bewegt. 2) eine ge-
sellige Unterhaltung, es verhindert *1 viele unangenehme Empfindungen,

/|PR_265_Z_24

/*1 nicht nur die Lange-
weile, %sondern auch pp ~

/|P_266

/und Unterhaltungen - besonders scandalöse werden %dadurch vermieden.
3.) Eine Unterhaltung die sehr zur Cultur beitragen kann.

/Das Gespräch wird am besten bei der Tafel continuirt. Die
Engländer haben 2 Stück von der Art, denn sie rühmen 1) ihren gesel-
ligen Camin, 2.) den geselligen Thee: In diesem schwelgen sie auch
bis zum Uebermaaß. Dies sieht man schon daraus: Es kommen jährlich
17,000,000 %Pfund Thee nach Europa, und davon nehmen die Engländer
allein 10,000,000 %Pfund. Sie trinken ihn ausserordentlich stark, und
schwächen dadurch ungemein ihre Nerven, obgleich sie den Gebrauch des Thees
dadurch zu verbessern suchen, daß sie viel dabei essen. Iemand sag-
te der Thee wäre sehr schädlich, 1.) weil die Gedärme der Schweine, die
warme Getränke bekämen, nicht zum Wurstmachen taugten, indem
sie sogleich entzwey rissen, und 2.) weil die Menschen die in den Thee-
magazinen arbeiten, gewöhnlich ein Zittern in den Gliedern haben.

/Durch beide Geschlechter wird die Conversation am besten
gehalten, oder sie ist nicht angenehm. Der Ton, der zur Zeitkürzung
und Aufweckung dient, ist der, wenn die Conversation kein Geschäft,
sondern ein Naturspiel, oder %.der %.gleichen ist. Auch des wegen müssen bei solchen
Unterhaltungen keine wichtige Geschäfte abgehandelt werden, weil
die Frauenzimmer keinen Theil daran nehmen. Und ihre Gegenwart
ist des wegen auch bei der Tafel nothwendig, weil dadurch die
Rechthaberei der Männer im Zaum gehalten wird. Das sieht man
bei den Tafeln der Engländer, wo sich die Damen gegen das Ende der
Mahlzeit entfernen, alles abgenommen wird, und die Männer nur

/|P_267

/allein die Bouteille noch vornehmen, denn sobald dies geschehn,
herrscht in der Gesellschaft gleich eine gewisse Rohigkeit.
Bei Tische muß es scheinen, als wenn das Essen nur Nebensache
wäre. Lord Chesterfield sagt: Eine Tischgesellschaft muß nicht
unter der Zahl der Gratien, und nicht über der Zahl der Musen
seyn. Denn sobald dies leztere statt findet, ist es schon nicht
möglich, daß alle die an der Tafel sitzen, sich communiciren können.
Und dies ist ja der Hauptzwek einer Tischgesellschaft, denn es ist in
der That beleidigend, wenn ein paar in der Gesellschaft sich ins Ohr
zischeln, denn es zeigt Geringschätzung für die andern an; Zwei
Personen sind entweder alle beide still, oder sie haben keine rechte
Unterhaltung, oder es müßte denn seyn, daß einer mit dem andern
Geschäfte abzumachen hätte. Ein Gesellschaft, die grösser ist als
neun, heißt ein Gela«g»ch, wo man zum Theil fremd ist, und jeder
redet wie %.und wenn er Lust hat, man hört in einer solchen Gesell-
schaft nicht darauf, was jemand spricht, und man antwortet oft
das Gegentheil, daher kommt der Ausdruk, ins Gelach hinein reden.
Solche Gelache, wenn sie bei Solemnitäten gegeben werden,
heißen Fêten, Schmause mit Recht nennt man sie Abfütterungen, weil
es hier blos ums Essen zu thun ist, denn Unterhaltung ist höchstens
nur unter 2 Personen möglich.

/ ≥ δ_50ste %.Stunde %.Mittwoch %den 1 %.Februar %von 9 - 10 ≤

/Das Vergnügen bei der Mahlzeit ist das solideste, denn:

/1.) Es kann mehr als einmal des Tages

/2.) Es kann auf lange Zeit

/3.) Es kann zugleich mit Cultur genoßen werden. Es giebt auch

/|P_268

/stumme Mahlzeiten, nemlich die, wo Tafelmusik ist, und auch
die öffentlichen Mahlzeiten die große Herren, wie Z. B. der König
von Spanien, im Garten geben, da denn jedermann zusehen kann.
Der genannte König sizt als denn ganz allein an einer Tafel, eben
so auch seine Gemahlinn, indeß befinden sich die Adjutanten wel-
che das sogenannte Corps diplomatique ausmachen im Zimmer.

/Die Unterhaltungen bei der Tafel sind:

/1.) Das Erzählen

/2.) - Raisonniren

/3.) - Scherzen.

/Was das Erzählen anbetrift, so kommt man zuerst auf die
Witterung, dann auf Stadtneuigkeiten, Landneuigkeiten, zulezt auf
die so ganz Europa betreffen pp. Dann gehts ans Raisonniren.
Unter allen Raisonnements scheint keines interessanter zu seyn,
als das über die Handlungen und Leidenschaften der Menschen.
Das Raisonniren kommt denn wenn der Appetit gestillt ist, und
zulezt der Scherz. Ueber eine Mahlzeit wo immer gescherzt wird
kann nichts unerträglichers gefunden werden. Daß eine Gesellschaft
animirt wird, beruht darauf, weil ein jeder mitreden kann,
indem er gleiches Interesse hat. Mancher preparirt sich auch darauf,
was er in Gesellschaft sprechen will. Iemand las z. B. allemal
ehe er in Gesellschaft ging, eine Seite aus Wolfs Naturrecht,
und wußte es denn hernach immer auf die Materie hinzuleiten wo
er mitsprechen konnte. Es ist recht gut wenn man um der Gesellschaft
Stof zur Unterhaltung zu gewähren, etwa vorher die neueste Zeitung vorlieset.

/|P_269

/Solche interessante Mahlzeiten, gefallen nicht allein wenn man
sie genießt, sondern auch nur die blosse Erinnerung daran gewährt
schon Vergnügen. Es ist nicht gut wenn eine Gesellschaft stockstill wird,
es wagt nemlich als denn keiner das Gespräch wieder anzufangen. Denn
er glaubt, alle werden nun auf einmal auf ihn sehen. Ist aber nur
jemand da der die Gesellschaft wieder animirt, so muß man eine
solche auf die Bahn gebrachte Materie zu continuiren suchen, und
nicht unterbrechen mit dem - erlauben sie doch, vergessen sie doch nicht ihr
Wort, %.und %.der %.gleichen. Es zeigt von großer Geschiklichkeit wenn jemand wie
angeführt, das Herz hat die Gesellschaft aus der Stille zu bringen,
denn, ist das Räderwerk nur erst aufgezogen, denn geht es von selbst fort.
Man kann wohl Materien zum goutiren geben, aber wenn sie
nicht gefallen, auch nicht weiter daran denken, sonst bestände das Ge-
spräch aus lauter Fragmenten, die den Kopf verwirren. Die Recht-
haberei ist im Discours unerträglich, um so profitabler für die
Gesellschaft ist die Willfährigkeit, womit einer dem andern sei-
ne Behauptungen zu giebt. Sobald man merkt daß jemand immer
auf seinem Kopf beharret, muß man stokstill seyn. Manchmal
hat ein Mensch recht in der Sache, aber nicht im Tone, weil er
zu apodictisch spricht, und dies ist tadelnswerth. Die Franzosen haben
bei einem Wiederspruch die Gewohnheit den andern um Verzeihung zu
bitten, damit sie ihm kein Dementi *1 geben. Der Conversationston ist
in Frankreich der vollkommenste, hier wurde zuerst das Frauenzimmer in %.Gesellschaft gebracht
- Wir haben jetzt die Elementarlehre geendigt, worin alle <innern> Bestand-
theile des %Menschen constitutive betrachtet wurden, nun wollen wir zum
2ten Theil der Anthropologie gehen, dieser ist die Methodenlehre, %oder %eigentlich generaliter:

/|PR_269_Z_20

/*1 ein solches ist z. E. die
Aufforderung der alten
Ritter:

/so oft du dies gesagt,
noch sagst, %.und sagen wirst,
hast du gelogen, lügst
%.und wirst in %deinem Hals lügen. ~

/|P_270

/ ≥ δ_51ste %.Stunde %.Sonnabend %den 4ten %Februar %.von 8 - 9

/

/ ≥ Die Charakteristick. ≤

/

/Sie handelt davon, wie wir den Menschen beurtheilen sollen,
in Beziehung aller Eigenschaften. Dies ist die Anwendung der
Elementarlehre. Charakter zeigt immer dasjenige an, woran
man ein Ding erkennen kann. Der Charakter des Menschen ist zwiefach.

/1.) in allgemeinen Sinn als freyhandelndes Naturwesen,

/2.) im strictesten Verstande, da es die Denkungsart des Men-
schen, nach festbestehenden Grundsätzen anzeigt.

/Wir werden nun folgende Theile des Charakters nach der Reihe durchgehn:

/I.) Der Charakter der Person,

/II.) ------------ des Geschlechts,

/III ------------- des Volks,

/IV -------------- der Race,

/V --------------- der Gattung.

/Wir werden jezt auch von alle dem Gebrauch machen, was
bis her theilweise erwogen worden ist

/|P_271

/ ≥ I. Charakter der Person. ≤

/Der Charakter des Menschen enthält folgende 3 Stücke:

/1.) das Naturell, - Talent, Naturanlage, geht auf das %.Erkenntnißvermögen

/2.) Temperament, - Sinnesart, geht auf Gefühl der Lust und
Unlust.

/3.) Der Charakter, - Denkungsart, geht auf das Begehrungsvermögen.

/ ≥ 1.) Vom Naturell
das im Talent gesetzt ist. ≤

/Im Talent sind 2 Stücke nemlich 1.) Das Naturell oder die Fähig-
keit und das Vermögen des Menschen zum lernen, eine gewisse
Empfänglichkeit, Receptivität. 2.) Geist oder das Vermögen was
schlechterdings nicht gelernt werden kann, was die Weise angiebt,
wie wir etwas aus eignen innern Quellen lernen können. 1.) Man
kann sagen, der Mensch hat ein sanftes %oder ungestümes Naturell,
denn es besteht in den Gemüthskräften. Ein rohes Naturell nennt
man das was immer in Wiedersprüche ausbricht. - In Ansehung
des Vermögens sagt man der Mensch hat ein Naturell zur
Dichtkunst, Geschichte pp. Ein Lehrer erforscht das Naturell seiner
Zöglinge, die Aeltern das Naturell ihrer Kinder, Herren das
ihrer Diener pp; es ist aber auch kein Bedienter, der nicht das Tem-
perament %.und die schwache Seite seines Herrn sollte aus zu spähen
suchen, findet er z. B. daß er furchtsam ist, so mahlt er ihm bei

/ jeder

/δ_Lage_KK.

/|P_272

/jeder ihm unangenehmen Unternehmung die dabei zu über-
stehenden Gefahren u. s. w. Auch Kinder sind schlau genug zu
beobachten wie sie Einfluß haben können. Wenn wir nehmen
das Naturell eigenthümlich, so haben die Russen am meisten,
denn sie ahmen gern und mit vieler Genauigkeit nach, sie
machen alles selber, und daher kann keine Kunst grosse Fort-
schritte bei ihnen machen, daher brauchen sie auch so wenig Städte,*1
weil sie die Handwerker ganz entbehren können. Es fehlt ihnen
aber an den ersten Grundbegriffen und principien, daher sie nie
Lehrer werden können. Denn man lehrt nie gut, wenn man
so lehrt als man selber ist unterrichtet worden. Sie besitzen
kein Genie, ziehn auch daher immer auswärtige Gelehrte ins
Land, denn ein Gelehrter muß nie ohne Genie seyn. Fähigkeiten
in Ansehung des Kopfs heißen Talente, das Vermögen desselben
in Ansehung des Verstandes und Gedächtnisses hießt Genie.
2.) Beim Talent wird hauptsächlich auf Geist gesehn - Geist be-
deutet das Princip des Lebens, und daher nennen wir alles
was belebt, Geist. Der Geist ist zwiefach:

/1.) ein gewißer %eigenthümlicher ---.

/2.) ein eigentlicher Geist. Dies Wort wird hier in dem Ver-
stande genommen, worinn es Z. E. von einer Unterredung oder
einem Buche genommen wird, wovon man sagt: Es ist ohne Geist.
In diesem Sinne versteht man darunter eine Ingredienz wo-
durch das Gemüth gleichsam einen Stoß bekömmt und bewegt
wird oder alles, was unsere Gemüthskräfte durch große Aus- 

/ sichten,

/|PR_272_Z_7

/*1 Es sind auch in dem
%.russischen %.Reich %verhältnißmäßig
%.ausserordentlich wenig Städte <%ganz andre z. B. in @Preussen@>

/δ_Z_11

/(nur mechanisch) ~

/|P_273

/sichten, Abstechung, Neuigkeit pp erregen kann, daher muß
jedes Bon mot etwas überraschendes und und unerwartetes,
oder - Geist enthalten. Das Genie ist ein Geist woraus der
Ursprung der Gedanken herzuleiten ist, %.und erfordert also
einen eigenthümlichen Geist, der dem Geist der Nachahmung ent-
gegen gesezt ist. Solche Genie's sind selten, %.und obgleich man in
einigen Wissenschaften z. E. in der %.Mathematik ohne Genie fortkommt,
weil man hier nur nachahmen darf, so sind die erstern doch vor-
zu ziehen. Das Genie findet man vorzüglich bei den Englän-
dern, Franzosen und Italiänern, doch bei den ersten findet
man nur das wahre eigenthümliche Genie, weil (welches auch bei
den Italiänern der Fall ist) hier Freiheit und Regierungsform
es begünstiget. Denn hier darf es keiner für nothwendig halten,
sich dem Hofe, den Vornehmen, oder irgend einem andern zu accom-
modiren. Denn wo schon der Hof zu furchtbar ist, und sich alles
nach einerley Muster bildet, da muß zulezt alles einerley
Farbe enthalten. Bei den Deutschen findet man gröstentheils den
Geist der Nachahmung, sowohl in großen als kleinen Sachen. Da-
rum haben nicht sowohl einige Schriftsteller als auch d«ie»er Schul«an-»zwang
«stalten» Schuld, der nirgend so groß als in Deutschland ist, %.und
die Entwickelung der Genie's sehr hindert. In England werden
die Kinder nicht sonderlich zum Lernen angetrieben, allein man
weiset sie bei jeder Gelegenheit an, etwas zu profitiren. Die Laune
gehört zum %.Eigenthümlichen des Naturells, und das Genie zum %.Eigenthümlichen des Talents.

/|P_274

/Der Unterschied zwischen dem Naturell und Genie, ist, daß
wir leidend sind in Ansehung des Naturells, und thätig in
Ansehung des Genie's. Wir wollen jetzt vom Geist abbrechen,
da schon beim Genie davon gehandelt worden ist, und die
Eintheilung des Menschen vornehmen in:

/Kopf und Herz. So ganz richtig ist sie nicht, denn wir
unterscheiden auch noch Gemüth und Herz. Wenn es heißt: es
ist ein guter Mensch, da ist ordinair nicht viel dahinter; das
gute Gemüth gehört zum Gefühl der Lust und Unlust, da-
hingegen ein gutes Herz zum Begehrungsvermögen. Der
Mensch der ein gut Gemüth hat, hegt keinen Groll, hat keine
Nachempfindungen, %.und vergißt das ihm angethane Unrecht,
überhaupt sagt man von dem, der sich alles gefallen läßt,
und niemanden Wiederstand leistet, er habe ein gutes Gemüth
Gutherzig ist aber ganz etwas anders, es heißt so viel als, er hat
Wohlwollen. Das ist noch nicht Gutherzigkeit, wenn man %niemanden
was abschlagen kann,*1 und zwar des wegen, weil man nur durch
sprechen von einem solchen etwas erlangen kann, denn schriftlich
schlagen sie es gewiß immer ab, dies liegt an einer gewissen Weich-
müthigkeit; es liegt darinn im Wohlwollen, daß er nur nicht andere
über sich misvergnügt sehen kann. Ieder muß seinen eigenen Sinn, d. h.
feste Grundsätze haben, und sich nicht nach den Wünschen eines jeden
andern stimmen lassen,*2 dies ist lobenswerth %.und nothwendig, sehr %.tadelnswert
sind aber die Eigensinnigen die den Grundsatz haben, andern nie zu folgen,
%.gemeinhin ist hiebei viel Affectation, - man hällt die Engländer
im Ganzen für solche Leute.

/|PR_274_Z_16

/*1 Ein wahrhaft gutes
Herz hat bei der Aus-
theilung seiner Wohl-
thaten gewisse festbe-
stehende Principien.

/δ_Z_22

/*2 Denn ein solcher wür-
de sich ja lediglich wegen
dieser Eigenschaft zu jeder
Missethat eben so als auch
zu bessern %.Handlungen verleiten
lassen. ~

/|P_275

/ ≥ δ_52ste Stunde @%.Sonnabend@ %den @4ten@ %Februar %von 9 - 10 ≤

/ ≥ 2.) Vom Temperament. ≤

/Der Arzt betrachtet das Temperament körperlich, %.und zwar:

/1.) Der Constitution *1 nach. Ein Gelehrter muß eine starke Con-
stitution haben, denn das viele und tiefe Denken ist sehr angreifend,
daher ein sehr %schwächlicher Körper es selbst in %.Wissenschaften nicht weit bringen kann.

/2.) Der Complexion nach, so nennt er die Mischung der Säfte.
Daher sagt man, der Mensch ist von feuchter oder trokner Complexion.
Dieser Unterschied kömmt blos von der Lage und dem Sprung der
Fasern her - doch diese Materie gehört ganz zur Medicin %.und
wir wollen hier vom Temperament nur psychologisch handeln.

/Die Gemüthsbeschaffenheit, insofern sie sich auf Complexion
bezieht, heißt das Temperament. Unter dem Gemüthe versteht
man nicht das Vermögen der Seele sondern nur die Kraft sich
desselben zu bedienen, mithin die Beschaffenheit der aus seiner
Complexion fließenden Neigungen und Affecten. Die Gemüths-
beschaffenheit bei herrschenden Neigungen wollen wir auf zwiefache
Weise unterscheiden - zuerst die Temperamente auf 2 Gattungen
reduciren, und hernach jeder Gattung 2 %.Temperamente zuordnen.
Menschen haben zuweilen gleiche Empfindungen, und sind
doch in Ansehung ihrer Begierden ganz unterschieden; das %.Temperament
der Seele besteht also in Gefühlen und Triebfedern, %.und wird eingetheilt:

/I. in das, der Empfindung nach. Dies geht auf das Wohl und
Uebelbefinden, auf Fröhlichkeit und Betrübniß, und ist zwiefach:

/1.) Das Sangvinische, als Hang zur Fröhlichkeit.

/2.) Das Melancolische, als Hang zur Betrübniß.

/|PR_275_Z_3

/*1 Sie geht auf
das Bauwerk. ~

/|P_276

/II. in das der Thätigkeit nach. Der Mensch hat Triebfedern
zur Thätigkeit, und dies zuweilen noch ehe er etwas begehrt. Man sieht
dies schon an Kindern, welche wenn man ihnen gar keine Arbeit gegeben,
etwas Böses thun, z. B. Schabernack %.und %.der %.gleichen. Auch diese ist zwiefach:

/1.) Das Colerische, als eine Triebfeder zur raschen Thätigkeit.

/2.) Das «Melancolische» Phlegmatische, als eine Triebfeder zur
sauren aber behenden Thätigkeit.

/Man sieht leicht daß sehr viel auf den Zustand und die Beschaffenheit
des Menschen ankomme, %.und daß er viel von der Seite thun kann,
von der er die Dinge der Welt betrachtet. Der Mensch kann nicht
verhindern, daß ihn etwas vergnüge oder schmerze, aber Trau-
rigkeit und Freude stehn in seiner Gewalt und Disposition. Die
Benennungen deren wir uns jezt bedienen, sind von den Aerzten
hergenommen, die damit die körperlichen Temperamente bezeichnen, sie sind

/1.) Sangvinisch das heißt leichtblütig,

/2.) Melancolisch, d. h. schwerblütig - auch bedeutet es schwarzgallig.

/3.) Colerisch das heißt warmblütig, und

/4.) Phlegmatisch, welches kaltblütig anzeiget.

/I. Temperamente der Empfindung nach:

/Sanguinisch ist der, bei dem ein Hang zur Fröhlichkeit, noch ehe
er Grund dazu hat, statt findet. Dies sezt Gesundheit voraus - 
es giebt Leute von der Art, welche bis auf den lezten Atemzug spas-
haft sind. Ein auffallendes Beispiel hievon gibt ein Mensch der, als
er in den lezten Zügen lag, gefragt wurde, wie es denn mit ihm stände,
zur Antwort gab: ach nicht zum Besten, denn so eben hat man mir die
Stiefeln geschmiert, damit wollte er anzeigen, daß er schon die lezte

/|P_277

/Oelung bekommen habe. - Der Sangvinische wird leicht und stark affi-
cirt, aber die Empfindungen dringen nicht tief ein, und dauren
auch eben des wegen nicht lange. Ein solcher Mensch ist leichtsinnig, legt
keiner Sache eine große Wichtigkeit bei, macht sich auch daher so leicht
keine Sorgen, die geringste Art des Vergnügens nimmt ihn gleich ganz
ein. So leicht wie er verspricht, so schwer hält er sein Wort, und
dies kommt daher, weil ihm Schwierigkeiten, die er gar nicht vorherge-
sehen, in den Weg kommen, es geschieht keinesweges aus Falschheit.
Die französischen Autoren haben eine gewisse Frivolität, die
darinn besteht, wichtige Sachen klein, und kleine Sachen wichtig zu
machen, sie könnens nicht leiden wenn man eine Sache sehr wichtig
macht, bringen denn ihre Meinung zu behaupten, unbeträchtliche
Dinge hervor, denen sie für den Augenblik Wichtigkeit geben.
Sie besitzen den Esprit de Bagatelle vorzüglich, obgleich er wohl
allen Menschen eigen ist. Der Sangvinische ist scherzhaft, aufge-
räumt, gesellschaftlich, grämt sich nicht leicht, ist wenn er beleidigt
worden, bald wieder versöhnt, er beteuert leicht, thut aber auch
gleich wieder das nemliche, er redet in dergleichen Fällen folgendermassen:
nun ist's zum lezten mal, nun ist's auch zum ganz lezten, denn zum allerlezten pp.
Es findet zwar bei ihm Seichtigkeit aber auch <unterhaltende> Leichtigkeit des Denkens statt.
Die Franzosen sind unter allen Nationen am meisten sangvinisch.

/Sie haben die Quelle aller Freuden in sich selbst, sind beständig lustig
und heiter. Die Lionischen Weiber die täglich vom Morgen bis
zum Abend am Weberstuhle sitzen und arbeiten müssen, freuen

/ sich

/|P_278

/sich auf den Sonntag, da sie in Seide gekleidet paradiren können pp.
Ueberhaupt machen es die meisten Fabrikanten so, sie arbeiten die
ganze Woche und essen schlecht, um nur etwas aufsammeln zu
können, davon sie Sonntags sich putzen, und lustig machen können.
Die nordischen Nationen sind in Ansehung des Vergnügens
ganz passiv, sie können anders nicht vergnügt seyn, als bis sie
sich berauschen. Unsere Vorfahren machten es ebenso - die Fröh-
lichkeit aber, die im blossen Genuß besteht, erschöpft wirklich
unsere Kräfte und ist nicht dauerhaft, sowohl wenn er in der
Anwendung eigener Kräfte, als auch in der Ueberladung besteht.
Bei der Thätigkeit empfindet man sein Leben am meisten. Der
Geschmak des Wirths zeigt sich darinn, daß er seine Gäste so
placire, daß einer den andern vergnüge %.und unterhalten kann.
Der eine hat Hofkenntniß, der andre Bücherkenntniß, der dritte
versteht die Landwirthschaft. Nun kömmt es darauf an,
daß diese Köpfe gut geordnet sind, denn hier hat jeder Ge-
legenheit, seine Talente zu zeigen, und dem Besitzer ein
Vergnügen zu machen. Es giebt Personen, die besonders dazu
aufgelegt scheinen, einen Discours rege zu machen, und den allge-
meinen Antheil zu merken, der einem Gegenstande zufallen könnte,
Man muß erforschen können, was für eine Materie wohl fähig
wäre das Gespräch in Bewegung zu setzen. Der «A»Effect einer solchen
Gesellschaft ist, wie Sertorius *1 sagt, eine gute Transpiration, welche
verursacht daß man sich darauf wie neu gebohren fühlt.*2

/|PR_278_Z_22/23

/*1 er bestimmt in %.Ansehung
des %menschlichen Körpers
alles nach Maas %.und
Gewicht.

/*2 Aerzte sollten hierauf
genau Rüksicht nehmen. ~

/|P_279

/Ein Sangvineus findet immer Verlangen nach etwas neuem,
hingegen beschwert ihn die Einheit, wenn einerlei Organe auf
eine und eben dieselbe Art beschwert werden. Er ist modisch
und kann nach Belieben Dinge verwandeln, und ihnen eine andere
Wendung geben. Die Einförmigkeit der Kleidung zeigt zwar etwas
erhabenes an, aber sie muntert nicht auf. Der %.Sangvineus geht in sei-
ner Unzufriedenheit über das Einerlei so weit, daß er oft das Gute
mit dem schlechten verwechselt. Wenn man zum Objekt des Sangvinischen
die Wollust rechnet, so muß man dieß von der epicuräischen verstehn.

/Melancolisch ist der bei dem eine Empfindung zwar schwer und
langsam, aber auch desto tiefer eindringt. Und darauf beruht es eben,
daß ein solcher Mensch vorzüglichen Hang zur Traurigkeit hat, er hat
wenig Wechsel. Er verspricht nicht leicht, aber hält das, was er
verspricht, denn ehe er es thut bedenkt er immer schon alle Schwierig-
keiten, die sich bei Ausübung der Sache finden möchten, und dies geht
so weit, daß man solche Leute gewöhnlich Difficultätenkrämer
nennt. Er ist sehr hartnäckig und eigensinnig in seinen Vorsätzen,
dabei kein seichter, sondern tiefer Denker. Das melancholische
Temperament enthält Quellen der Dauerhaftigkeit, Schwierigkeit
und Verbindlichkeit zu übernehmen, und das übernommene beständig
zu verfolgen. Der Melancolische ist ordinair voll Verdacht,
mistrauisch, thut sich nicht leicht genüge, bei ihm ist Haß, Feind-
schaft und andre Unwillen gegen andre schwer zu vertilgen.
Dagegen ist auch die Freundschaft, die mit einem melancolischen
Temperament verbunden ist weit dauerhafter, als beim Sangvinischen.*1

/|PR_279_Z_24

/*1 bei ihm erlöscht
die Freundschaft
leicht. ~

/δ_Lage_LL.

/|P_280

/Ueberhaupt ist der melancolische enthusiastisch in Religion,
in Freundschaft und in Vaterlandsliebe - fanatisch - wenn
er mehr Einbildungskraft als Verstand hat. In sofern die
Einbildungskraft eines Enthusiasten zügellos ist, wird er Phan-
tast, in so ferne sie aber regellos ist, wird er ein Schwärmer
genannt. Wer seinem eignen Zwek zuwider handelt, ist ein
Narr, wer gar keinen, oder einen sehr dummen Zwek hat, ist
ein Thor. Wir sehen noch nicht ein, daß achtungswürdige Charak-
tere jederzeit ein Ingredienz von Melancholie haben
müssen, denn eine jede Achtung die sich der Mensch erwirbt,
beruht auf einem starken Zusatz von Melancholie. So sieht
ein Patriot diese Welt nicht als einen Schauplatz des Spiels,
sondern vielmehr als einen zu wichtigen Unternehmungen bestimm-
ten Ort an. Man fordert daß selbst in der Geschlechtsliebe
eine melancholische Zärtlichkeit seyn müße, indem sie von einer
weit größern Delicatesse zu seyn scheint. Der melancolische
brütet über Chimaeren, d. h. nicht würkliche Dinge. Er ist irre-
ligiös oder beharrlich in guten Grundsätzen. Wenn wir hier den
Unterschied zwischen einem melancolischen und sangvinischen
Menschen aus der Complexion herleiten wollen, so würden wir
uns zutief in die Medicin wagen, (wo es uns an Kenntniß fehlen dürfte.)
So viel ist gewiß, daß das Gefühl des gesammten Lebens eine Dispo-
sition zu allem Vergnügen sey, daß dies Gefühl aber auf
der Spannung der Adern und Fasern beruht, die jede Bewegung
anzunehmen fähig sind, und auf ein verdünntes Blut ankomme, das recht transpirirt.

/|P_281

/Auch läßt sich leicht einsehen daß eine Spannung der Adern und
Fasern, und verdünntes Blut dem Menschen ein weit größeres
Leben empfinden läßt, dahingegen dickes Blut, und eine schlechte
Spannung des Nervensystems ein großes Hinderniß ist, das Leben
zu fühlen. Die Verschiedenheit des Temperaments beruht eigentlich
darauf, daß bei dem einen die Eindrücke länger haften als bei dem
andern, und aus der Verschiedenheit des Bluts und der Spannung
der Nerven entsteht die Lust oder Unlust. Der %.Melancholische hat die Quelle
der Annehmlichkeit und des Misvergnügens oder der Traurigkeit in
sich. In der Art der Empfindung ist zwischen einem %.Melancholicus und %.Sangvineus
kein Unterschied, aber wohl in Ansehung der Aufnahme der Empfindungen.
Die Traurigkeit entspringt aus der Reflexion über schmerzhafte Ein-
drücke, denn ein %.Melancholicus sieht immer zum voraus auf die schlechten Folgen.
Ein %.Sangvineus aber sieht auf dieselben gar nicht. Der %.Melancholicus
sieht alles für wichtiger an, als es ist, dahingegen der Sangvineus
des Epicur's Wollust oder ein frölich Herz zum Objekt hat, Der
Melancholische soll nach einigen Autoren den Geitz und die Ungesellig-
keit zum Objekt haben, allein es giebt geitzige Leute die gar nicht melan-
cholisch, und Melancholische die gar nicht geitzig sind, sie sind zum Theil
großmüthig. Hingegen sind viel von den Sangvineis geitzig, welches
man besonders an den Franzosen sieht, denn diese sind zwar gegen Frem-
de höflich, aber nicht gastfrey, welches doch die vom sangvinischen %.Temperament
entfernten Deutschen in hohem Grade sind. (Dies sagt auch Vasuel in
seiner %.Beschreibung von Corsica.) Der Natur nach ist der Melancholicus
standhaft, zur Rache aber nicht zum Zorne geneigt. Er verfällt gemeinhin

/ auf

/|P_282

/auf ernsthafte Sachen. Die Engländer sind mehr melancholisch
als sangvinisch, und ihr Witz hat etwas tiefes. Ihre Arbeiten
haben Dauerhaftigkeit, und ihre Schriften sind nicht wie die %.französischen
Papillon's, die herumfliegen aber bald verschwinden und in Abnahme geraten.
Gemeinhin hat ein Melancholicus misanthropische Vorstellungen,
er sieht die Menschen immer als Fünde an, und ist daher sehr mis-
trauisch. Das Schiksal der Menschen stellt er sich als traurig
vor, und wird dadurch öfters erhaben, weil er allein, Dinge die
wichtig sind zu übernehmen im Stande ist, und daher trägt er
vieles zum Besten des menschlichen Geschlechts bei. Indeß ist der-
jenige doch glüklicher der allen Dingen ihre scheinbare <NB> Wichtigkeit
zu benehmen weis. Unsre Bedürfniße müssen sich nie in Sorgen
verwandeln. Das Physicalische vom Temperamente ist schwer
zu determiniren, und diejenigen irren, die es von der Beschaffenheit
des Bluts herleiten. Denn obgleich Melancholie soviel heißt als
schwarze Galle, so findet man doch, daß ein Sangvineus ein mit
Galle vermischtes Blut hat. Und obwohl ein lustiges Tempe-
rament dünnes Blut voraus sezt, so findet man doch auch
melancholische und Schwermüthige die ein dünnes Blut haben.
Das Physicalische des Temperaments ist uns überhaupt
sehr unbekannt, indeß aber muß der Unterschied eher von
den festen als flüssigen Theilen herrühren, weil
diese vermittelst jener bewegt werden. Diejenigen, die
das Temperament nach den Neigungen eintheilen, irren gleichfalls,
denn die %Menschen können gleiche Neigungen %.und doch verschiedene %.Temperamente haben,
%.und sie differiren blos in der Art wie sie ihren Neigungen nachhängen.

/|PR_282_Z_

/(%.Anmerkung für den
Menschen ist nichts
wichtiges in der Welt) ~

/|P_283

/Wir kommen jezt.

/II. zu den Temperamenten der Thätigkeit nach.

/Der Cholerische ist affectvoll, d. h. er hat Triebfedern zur
Thätigkeit die rasch, aber nicht anhaltend sind. Der Phlegmatische
ist nicht affectvoll, d. h. er hat Triebfedern der Thätigkeit die nicht
rasch aber anhaltend sind. Der Cholerische ist wirksam, der
Phlegmatische emsig, denn Emsigkeit ist sehr unterschieden von
der rüstigen Thätigkeit. Vielthuerei, (Oliphragnosie) <Poliphrognasis> so fing
Lessing sehr viele Arbeiten an, wahrscheinlich aber würde er alle
diese Fragmente in Ewigkeit nicht vollendet haben, denn er wur-
de alles in kurzer Zeit überdrüssig, und fing denn wieder was Neues an pp.
Man trifft gewöhnlich bei den Colericis völlige Gesundheit aller
Sinne, und Receptivitaet zu allen Empfindungen, wodurch
man sein Leben eigentlich fühlt. Bei einem solchen Menschen sind
alle Fasern der Geschäftigkeit gespannt, daher geht er immer
gewissen Zwecken nach, und überwindet gern Schwierigkeit, denn
des Vergnügens wegen läuft er nicht der Arbeit nach, sondern um
etwas zu thun zu haben. Eine Folge aus diesem Temperamente
ist die Thätigkeit, daher man es auch das %.Temperament der Thätigkeit, so
wie das Phlegmatische das Temperament der Unthätigkeit nennen
kann. Der Cholerische wird leicht aber stark, der Phlegmatische
schwer aber nicht stark bewegt. Der %.Cholerische hat Hang zum Zorn
wie der Phlegmatische zur Ruhe, und zum Geitz, da er langsam
brütet zum Zwek. Iedes Temperament hat ein Hauptobjekt so hat

/|P_284

/Der Sangvinieus zum Objekt Geschlechtsliebe %.überhaupt Genuß, Wollust,

/Der Melancolicus --------- Geldsammeln, reich werden, Geitz.

/Der Phlegmaticus --------- die Ruhe, Gemächlichkeit.

/Der Colericus ------------ die Ehre, denn der Antrieb, welcher
der Empfindung am wenigsten nahe kommt, erfordert die größte
Thätigkeit. Nun aber ist die Ehre ein solcher Antrieb, welcher der
Empfindung am wenigsten nahe kommt, und also muß der Mensch,
der durch Ehre bewegt wird, die größte Thätigkeit haben. Ueberdies
paßt das cholerische %.Temperament der Thätigkeit immer mehr auf die Ehre
als auf andere Triebe, weil man in Ansehung anderer Zwecke
es nicht so sehr in unserer Gewalt hat, ihn zu erreichen, als bei
der Ehre. Die Ehre ist daher der Reiz durch welche colerische %Menschen
angetrieben werden; denn der Ehrgeitzige kann so zu sagen, seinen
Endzweck allenthalben auf stecken. Der Cholerische ist auffahrend,
übereilend, geschäftig,*1 %.und mischt sich in alle Händel die ihn nichts angehen.
Er ist unternehmend zu großen Dingen. Er handelt gern en gros, ungern
en dëtail. Er ist herrschsüchtig und daher Rival von allen. Die meh-
resten male ist er ordentlich, dies gehört aber mit zu seinem befehlsha-
berischen Wesen, weil alle Ordnung immer mit einem gewißen
Anstande verbunden ist. Er liebt keine Abgemessenheit, sondern Zierlichkeit.
Er schikt sich gut zum commandiren, welches er auch sehr gerne mag.
Er scheint ordinair klüger zu seyn, als er es gewöhnlich ist. Er sucht
mehr Pracht wie Genuß, und kann aus Parade wohlthätig seyn.
Gemeiniglich ist er zur Heucheley und Verstellung geneigt, und dabei
steif und geschroben, dies kann man schon an seinem steifen Gange

/|PR_284_Z_3

/Phlegma hat öfters eine
im Körper liegende Ursache,
so auch bei wilden Thieren,
die gar ihre Kräfte nicht
anstrengen, als das Faulthier.

/δ_Z_14

/*1 mit abwechselnden
Arbeiten. ~

/|P_285

/und Tone beobachten. Ist er ein Geistlicher so ist er allemal or-
thodox, (weil Orthodoxie selten was anders als Religionsmeinung
der herrschenden *1 Kirche ist.) Er glaubt sich allerwärts beobachtet,
er denkt sogar wenn er auf der Strasse geht, daß die Leute aus
den Fenstern auf ihn sehen. Er ist nicht filzig aber desto habsüchtiger,
und seine Habsucht ist ungerecht. Ist er also libéral, höflich, so
ist lediglich um es andere sehn zu laßen, eine bloße Ceremonie.
Er hat keinen Conversationston, denn wenn er conversiren soll
so commandirt er; weil er immer herrschen will, so sucht er
einen Zirkel um sich, der unter seines Gleichen ist, damit er hier
commandiren; und seine Geistessuperiorität zeigen kann. Zwei
Cholerici in einer Gesellschaft passen nicht zusammen, sie können
sich nemlich ihrer Herrschsucht wegen nicht vertragen. Er ist in allem
was er thut, in Werken des Geistes u. s. w. methodisch, und dadurch
glänzt er. Er erobert sich eine Scheinachtung, und dies ist das Nachgeben.
Er ist ehrsüchtig, aber nicht ehrliebend. Ehrliebe ist nur negative
(sie hütet sich nur vor der Verachtung anderer) und für alle Menschen Pflicht.

/ ≥ δ_Mittwoch den 8ten Februar 53ste Stunde %.von 8 - 9

/Der Phlegmatische ist kaltblütig, und hat einen Mangel der
Triebfedern zu Thätigkeit. Einen Menschen dem man Phlegma
beilegen kann, muß man noch nicht phlegmatisch nennen,
denn das ist soviel, als er hat einen Hang zur Faulheit, denn die
Temperamente werden nach dem betrachtet, was im Object, nicht
als Objeckt liegt. Man kann sagen, das Phlegma besteht in der

/|PR_285_Z_2

/*1 und er immer
herrschen will. ~

/|P_286

/Affectlosigkeit, wenn das Gemüth nicht leicht bewegt wird,
aber in der Bewegung lange anhält, es kann eine gute Mischung
der Sinnesart seyn. Das phlegmatische %.Temperament als Schwäche
betrachtet, besteht in einer Art von Leblosigkeit; das gewöhnliche
Laster desselben ist Geitz, eine ruhige Emsigkeit in Vermehrung
seines Vermögens. Der Phlegmatische läßt es gerne beim
Alten,*1 (so wie der %.Sangvineus immer fürs neue ist) weil das neue auch
neue Anwendung der Kräfte erfordert. Er wird unnütz weil
er immer nach Ruhe strebt, und zum Schlafe geneigt ist. Wer
Ehrtrieb hat ist immer mehr zur Colera geneigt, und der Ehrbegriff
erfordert eine rasche Thätigkeit, der %.phlegmatische hat keine Triebfedern
dazu, also auch Mangel des Ehrtriebs, woraus oft Niederträchtigkeit
entsteht. Ihm ist Gleichgültigkeit in Ansehung seiner und anderer Schik-
sale eigen. Reizbarkeit «M»mangelt ihm fast gänzlich, und eben darum
hat er auch weit weniger Ehrsucht als der Colerische.

/Phlegma als Stärke betrachtet, wird am besten ausgedrükt
durch Kaltblütigkeit. Diese ist dem Menschen sehr vortheilhaft, denn
er bleibt denn noch in der Ueberlegung, und kann Anschläge fassen,
wenn ein andrer in der übereilten Hitze die Sache schon lange gethan.
Zu einer richtigen Urtheilskraft wird Phlegma erfordert. Alle
Bewegung eines Kaltblütigen ist wie ein Körper der sich mit mehr
Masse aber auch desto größerm Erfolge bewegt (z. B. eiserne <coler> und blei-
erne <phle> Kugeln zusammengehalten - die leztern sind die wirksamsten.)
Ein commandirender General muß Phlegma haben, damit er sich nicht
übereile. Wer sich so fassen kann, daß er überlegt, ob er mit Recht zürne, besizt sich ganz.

/|PR_286_Z_1

/Der Coleriker wird leicht,
der Phlegma hat, schwer,
der Phlegmatische aber gar
nicht in Affect gesezt.

/δ_Z_6

/*1 Er ist zufrieden mit
dem niedrigsten Genuß,
wenn er sich nur nicht be-
mühen darf.

/δ_Z_24

/Dagegen fordert man
von einem gemeinen Sol-
daten Colera, damit er
ohne zu fragen gleich zuschlage
wenn's ihm befohlen wird. ~

/|P_287

/Ein Zorniger ärgert sich, wenn der, über den er zürnt, gar nicht
in Affect gesetzt wird, und je weniger dieser Kaltblütige er-
schüttert wird, je unerträglicher wird er dem Zornigen, weil
dieser in dem Fall sich tief unter ihm fühlt. Leute die Phlegma
haben, lassen sich keine Zeit verdriessen, wenn es auch lange dauern
sollte, bis ihr Plan vollführt wird, und denn haben sie auch
nicht leicht etwas zu bereuen, weil sie sich nicht übereilt haben.
Ein gutes Phlegma, d. h. eine solche Kaltblütigkeit, ist ein glükliches
Temperament, und vertritt oft die Stelle der Weisheit. Dabei ist
immer wenig Eitelkeit. Der Phlegma <hat> kommt gut fort, denn er
widerspricht nicht immer, (und des wegen wird der hitzige gegen
ihn lächerlich) sondern läßt manches gut seyn; er ist so zu sagen drei-
hörig, d. h. hat den Schalk hinter den Ohren. Er wird selten in seinem
wahren Werth erkannt, denn er mag nicht schimmern, und strebt
nach keiner Rivalität, sondern begnügt sich mit seiner Stelle.
Er befindet sich in der besten Situation, wenn er liebt, so ist er
nicht verliebt, und also auch kein Thor. Dieses alles ist angeführt,
damit man vom phlegmatischen Temperamente das Phlegma
unterscheide, %.und mit den leztern nicht den Begriff der %.Geringschätzung verbinde,
%sondern es als eine gute Beimischung zu allen %.Temperamenten ansehe.

/Einem Manne steht Phlegma jederzeit wohl an, obgleich nicht ein
phlegmatisches Temperament, weil es als denn nicht mehr in
seiner Gewalt steht, wie lange er es über den Entschluß einer Sache
will anstehen lassen. Hingegen ist es kein Lobspruch für's Frauenzimmer, wenn
es phlegma hat, denn man will, daß sie alle colerisch seyn sollen.

/δ_Lage_MM.

/|P_288

/ ≥ Einige General-Vergleichungen zwischen den Temperamenten. ≤

/Eine habituelle Disposition der Gefühle und Triebfedern muß
muß unterschieden werden vom Temperament, denn sie «¿¿»<hängt> zu
sehr von der Erziehung und Lebens art ab, Z. E. Bei Seeleuten
findet sich gemeinhin durch die langen Seereisen Phlegma ein, ihr
Temperament mag auch so beschaffen seyn wie es will, die
Ursache ist, weil sie nie weiter als eine Schiffslänge gehen können,
sich auch an große Einförmigkeit gewöhnen, %.und die Ordres die sie
geben, zuvor wohl überlegen müssen. Gemeinhin haben die Seefahrer
Laune (Peregrine Pikle ein launiger Roman) Das Seefahren
ist für den Colericum eine rechte Schule. Die Bramanen in
Hindostan erzählen in ihrer Thogenie (Theologie) Brama, so nennen
sie nemlich Gott, - habe die 4 %.Temperamente folgendergestalt unter die %Menschen ausgetheilt:
ihnen habe er das melancholische, den Kriegern das cholerische,
den Banianen oder Kaufleuten das Phlegmatische, und den
Schuddras oder Handwerkern das sangvinische Temperament gegeben.
Wenn man die Functions dieser Leute bemerkt, so wird man finden,
daß die Temperamente vortreflich ausgetheilt sind, z. B. für den
Geistlichen schikt sich das %.cholerische %.Temperament gar nicht. Ueberhaupt
können wir sagen, je mehr die Menschen Anlaß haben, große Lei-
denschaften zu entwickeln, desto mehrere Besorgniße entspringen,
weil sie alles richtig einsehen. Hingegen sind diejenigen am lustigsten,
welche es leicht haben, ihre Nahrung zu finden. Beim Soldaten trifft
dies gleichfalls ein, weil er zornig seyn muß, dieses entspringt
aber aus dem Bewustseyn des Vermögens. Beim Kaufmann ist's am
besten ausgetheilt - er muß nicht auffahren wenn er betrogen wird, %sondern
bedenken, daß <er> es ins Künftige bei Gelegenheit wohl 3fach wieder bekommen kann.

/|P_289

/Zusammensetzung. Es ist fast allgemein daß man den Men-
schen nicht ein einziges, sondern ein zusammengeseztes Temperament
beimißt. Nach unserer Eintheilung derselben in %.Temperamente der Empfindsamkeit
und Begierde ist nur eine 4fache Zusammensetzung möglich,*1 %nemlich:

/1.) Das %.Melancholisch %.Cholerische Temperament bringt allerley Hirngespinste,
große und blendende Handlungen hervor. Es ist der englischen
Nation eigen, und hat zu vielen Revolutionen %.und %.Schwärmereien Anlaß gegeben.

/2.) Das %.Sanguinisch %.Phlegmatische ist keiner Sache so sehr als dem Wohlleben ergeben.
Ein solcher Mensch ist wie eine Milchsuppe die sich mit allen verträgt;
er thut nichts böses aber auch nichts Gutes, denn beides incommodirt ihn;
er ist im Stande, den ganzen Tag am Fenster zu stehn, %.und Leute vorbei
gehn zu sehn; zwar hängt er %dem Vergnügen nach, doch muß es nicht lebhaft seyn.

/3.) Das %.Sanguinisch %.Cholerische ist ein sehr nützliches Glied im gemeinen Wesen,
benimmt dabei allen Dingen die Wichtigkeit, sucht in allem Vergnügen.

/4.) Das %Phlegmatisch %.Melancholische, %.und endlich wenn man auch das Sangvinische mit
dem %.Melancholischen vermischt, so scheint es zwar Widerspruch zu seyn
allein es will nur so viel seyn, daß sie gemäßigt seyn und
alle Temperamente sehr an einander grenzen können.

/Ueberhaupt genommen hat die Zusammensetzung doch nicht so rechten
Grund, z. E. bei dem %.Sangvinisch %.Cholerischen, <denn dem> der große Triebfedern zur
Thätigkeit hat, kann man nicht sangvinisch nennen, also auch nicht
füglich zusammenstellen. Das Combiniren taugt daher nicht viel. Auch
wollen die meisten Menschen gern <für> %.Sangvinisch Cholerisch gehalten seyn, %.und
zwar aus Eigenliebe. Eigentlich sollte man nie mehr als eins, %.und zwar das Her-
vorstechendste nennen. Am besten schickt sich die Zusammenfügung des %.Melancholisch %.Phlegmatischen *2 Temperaments.

/|PR_289_Z_3

/*1 Denn ein %.Sangvinisch %.Melancholisch
%.und %.Cholerisch %.Phlegmatisches Temperament
sind am Ende doch Undinge.

/δ_Z_25

/*2 Und dies wäre wohl
auch gewiß das Un-
glüklichste. ~

/|P_290

/In der Religion ist der Sangvinische ein Spötter. Der Me-
lancholische ein Schwärmer, der Cholerische orthodox, aber
mehrentheils ein Heuchler; der Phlegmatische indifferent, der
alles für gut hält, und mehrentheils abergläubisch. - Der
Sangvinieus ist der Freigeisterei ergeben, die Religion scheint
ihm eine Mode zu seyn, %.und weil er sich nicht an Regeln binden
mag, kommt er zur moralischen Freigeisterei. - diese finden
wir bei den Franzosen - immer Leichtsinn selbst in der Freund-
schaft, doch auch ohne Falschheit. Ihre Sache ist, sich an nichts
hängen, %.und doch glauben sie, daß ihre Frauenzimmer sehr zur Freund-
schaft aufgelegt sind. Die Engländer haben bemerkt, daß bei
den Franzosen in Ansehung der Conduite nicht der mindeste Unter-
schied zwischen den Vornehmsten und Geringsten sey. Bei ihnen
hingegen ist Kenntniß der Wissenschaften bis auf den gemeinen
Mann ausgebreitet, %.und die Zeitungen so eingerichtet, daß er sie mit
Nutzen lesen kann. - Der Melancholische tractirt alles ernsthaft,
die gröste Ernsthaftigkeit nähert sich aber der Schwermuth. Bei dieser
fällt er in eine heilige und vermessene Kühnheit, wenn er sich nun solcher-
gestalt Gott mit den aller devotesten %.und zuversichtlichsten Wörtern
nähert, artet er fast in Blasphemie aus, wo er sich oft sehr unge-
ziemender Worte bedient. Der Cholerische ist orthodox; (obgleich
man keine Nation nennen kann welche orthodox wäre.) er muß
immer beschäftigt seyn, %.und steigt daher gerne zu Aemtern, wo er viel
zu reden und zu ordnen hat. Er weis sich ein Ansehen zu geben, als ob

/ er

/|P_291

/er andächtig und verständig wäre, obgleich er weder eines noch das andre
zu seyn pflegt. Da er nun gerne beschäftigt ist, so mag er auch ger-
ne die Regeln der Religion stricte befolgen, und andre zur
genauen Observanz derselben anhalten. Daher er auch Ketzer macht
wo keine sind. Der Aberglaube besteht in einer gewissen In-
dulgenz, und entsteht aus der Unthätigkeit, die man bei dem
Phlegmatischen findet, denn weil er selbst nicht gerne denken mag,
so hört er auch gerne Wunderdinge erzählen, denen er bald Glauben
beilegt; die Vernunft incommodirt ihn; er muß ihr gleichsam
Ferien geben, um seinen Neigungen nachhängen zu können.

/Die Temperamente äussern sich auch in Ansehung der Schreibart,
also, als Autor ist:

/Der Sangvinische ist witzig, populaer

/Der Cholerische geht auf Stelzen %.und ist methodisch ordentlich z. B. Haller.

/Der Melancholische dringt immer in die Tiefen und Dunkelheiten der
Dinge ein,*1 er hohlt seine Ausdrücke aus dem Innersten der %.Wissenschaften %.und ist ganz originell.

/Der Phlegmatische ist peinlich und mühsam; man hat den Deutschen vorge-
worfen, daß sie ihre meisten Werke in großen Folianten schrieben,
und daraus auf ihr Phlegmatisches Temperament geschlossen. - 
Der Sangvineus wählt das Gefallende in der Erscheinung, über-
haupt das Schöne, daher die Sangvinischen Nationen Meister im Geschmak sind.
Die bei den Deutschen herrschende Ordnung kömmt von der Colera her.
Das Wort Phlegma bedeutet sonst das Wasser, was man zu einem
Getränke hin zugießt, hier bedeutet es aber <als %.phlegmatisches %.Temperament> nur den Mangel an Leb-
haftigkeit. Die %nördlichen Nationen sind mit viel Phlegma afficirt, daher sie auch <im Anstande eine> gewiße Sittsamkeit haben.

/|PR_291_Z_15

/*1 %.Anmerkung Es ist artig daß
kein Leser sich Dinge gar zu
deutlich machen lassen will, er
hat es gern, wenn noch etwas
bleibt, was er errathen kann,
%.und freut sich wenn's getroffen ist. ~

/|P_292

/Deshalb wird auch ein deutscher Acteur nie die Vollkommenheit
des Franzosen erreichen, welcher schon so zu sagen als Acteur gebohren
wird ¿¿¿¿ Ein Mensch, der eine Person, die diesem oder jenen Affect
ergeben ist, recht vorstellen will, muß selbst nicht afficirt seyn. So
muß auch ein Herr, der seinen Bedienten recht ausschelten will,
und also die Rolle eines Zornigen macht, wenig afficirt seyn,
denn ist er es, so wird er blos reden wollen, und keine Worte finden,
und der Bediente sieht also, daß sein Herr zornig ist, hört es aber
nicht. Eben so muß der, welcher die Rolle eines Verliebten gut
spielen will, selbst nicht verliebt seyn. - 

/Im Amte ist:

/Der Sangvinische zerstreut, übereilt, unordentlich, abwechselnd; ein
jeder hat noch überdies gewöhnlich ein Steckenpferd - %.Anmerkung Eine
Stelle aus dem Tristram Shandi: Laß doch jeden auf seinem Steckenpferd
die Straßen auf %.und nieder reiten, wenn er dich nur nicht nöthigt hinten aufzusitzen pp.

/Der Melancholische ordentlich, und scrupulöse.

/Der Cholerische *1 herrschsüchtig, und behält in seiner Ordnung %den Geist %der Formalitäten.

/Der Phlegmatische mechanisch, und wenn er etwas %ausserordentliches
zu besorgen hat, ein Ia Herr der alles gehen läßt, so wie es geht.

/Im Umgange ist:

/Der Sangvinische scherzhaft, unterhält mit lustigen Vorfällen.

/--- Melancholische vernünftelnd, grübelnd, liebt grause %.und schauervolle Begebenheiten.

/--- Cholerische vernünftig, geht auf Erzählung von Geschäften, ist also eben nicht der amüsanteste.

/--- Phlegmatische erzählt nichts komisches, lacht aber selber zu allem.

/Was die Ehre anbetrifft, so verdient sie nach Verschiedenheit der Länder %.und %.Temperamente
auch verschiedene Bemerkungen. So hielt man es sonst in Frankreich für die gröste Ehre bei
Hofe gewesen zu seyn, %.und in England machte man sich nichts draus. Nun wollen wir handeln von %den
%Unterscheidungen der %Menschen aus ihrem Aeussern ins Innere, oder:

/|PR_292_Z_15/6

/*1 Selbst mag nicht eben viel
thun doch sehr gerne herrschen.
Anhänglichkeit an Forma-
litaeten ist Pedanterie,
sie findet vorzüglich bei ihm
statt, z. B. auf seinem Bücher-
schaff stehn viele herrliche Bücher
mit schönen Titulaturen, doch
selber liest er nicht's davon...

/δ_Z_25

/Nicht jede starke Neigung muß
man %.Temperament nennen. %.Ernsthaftigkeit
sehr an Melancholie, ist es aber
nicht immer. - Iedes %.Temperament
kann eine Ehre besitzen -  ~

/|P_293

/ ≥ δ_¿ %den 8ten %.Februar @54ste@ %Stunde %von 9 - 10 ≤

/ ≥ Von der Physiognomik. ≤

/Die Menschen haben eine große Begierde, diejenigen von denen sie
eine Beschreibung gehört haben, persönlich kennen zu lernen. %.Ueberhaupt
wollen sie den Menschen das ausserordentliche gleichsam aus den
Augen lesen, und ehe sie ihn kennen lernen, zum voraus wissen,
was er thun wird. Woher kömmt aber diese starke Neigung mit
seinen Augen die Gesinnungen andrer auszuspähn? Die Natur
hat viel in das Aeußere des Menschen gelegt, woraus man nach
natürlichen Gesetzen auf das Innere schließen kann. Daher
lehrt die Erfahrung daß man einem Fremden starr unter die
Augen sieht, %.und ihn von oben bis unten betrachtet, um ihn kennen zu
lernen, daß man gerne einen Delinquenten ins Gesicht sieht, gleich
als könnte man so bemerken, was in ihm vorgeht. Wir trauen
seinen Gesichtszügen immer mehr, als seinen Worten. Der
Ausspruch Loquere, ut te videam zielt nur darauf, daß wir aus
den Reden eines Menschen seine Talente erkennen können, dies geht
aber nicht auf den Gemüthscharakter. Es hat aber mit der %.Physiognomik
oder den Mitteln; aus dem Anblik die Gesinnungen des andern kennen
zu lernen, eine solche Bewandniß, daß man es hierinn nie zur sichern
Regel bringen kann. Dies scheint die Vorsehung absichtlich verhindert zu
haben, denn ließen sich allgemeine Regeln angeben, so würden sich
die Menschen oft haßen, noch ehe sie sich beleidigt hätten, - und das
Zutrauen würde fast gänzlich wegfallen. So würde die Einigkeit bald
aufgehoben, und die %menschliche Gesellschaft getrennt werden. Doch hat die
Vorsicht etwas in die Züge der Menschen gelegt, damit man sich vor

/ ihnen

/|P_294

/ihnen in Acht nehmen könnte, allein das Urtheil darüber ist ungewiß
denn wie man bei einer Uhr nicht nach dem Gehäuse das Innere
erkennen kann, so geht es auch mit der Physiognomik, wir wollen
aber doch hievon so viel sagen, als es sich thun läßt.

/Die Physiognomik ist die Geschiklichkeit (allenfalls auch Kunst)
aus dem äußern Anblik des Menschen, auf das Innere zu schließen %.nemlich

/1.) Aus der Gestalt, wenn der Mensch nichts thut,

/2.) Aus %dem %.mechanischen Gebrauch seiner Organe, wenn er in Action ist, z. B. dem Ton %seiner Sprache.

/3 ---- seinen Gebehrden, z. B. Gang u. s. w.

/Unter der Physiognomie versteht man den Bau des ganzen Körpers,
seine Manier, Geschmak in Kleidung, überhaupt dasjenige, was
wir mit den äußern Sinnen an den Menschen bemerken können.
Zuerst wollen wir von der Physiognomie in so fern reden, als man
den gegenwärtigen Zustand des Menschen beobachtet. Ein Mensch kann
sich sehr vergnügt %.und frey anstellen, dennoch erkennt man in seinen
Augen Traurigkeit und Verlegenheit. Es giebt Gesichter, welche nichts
anzeigen, woraus man den Zustand der Seele errathen könnte, wie
z. E. Phlegmatici in Ansehung der Rührungen. Von andern
kann man nicht urtheilen, ob sie vergnügt, oder traurig sind, wo
dies hauptsächlich von den Cholericis statt findet, die der Verstellung
am fähigsten sind. Sie gehn ordinair steif, oder steigen vielmehr, ihre
Sprache klingt etwas hoch über die Brust, dagegen der Sangvineus
an seinen mannigfaltigen unruhigen Stellungen zu erkennen ist.

/|P_295

/Der Cholericus kann den Ton eines Lobredners annehmen, und
jemanden sehr große Achtung bezeugen, allein es ist alles verstellt.
Er hat guten Anstand, aber er ist gekünstelt. Seine Muskeln sind
immer in seiner Gewalt, daher er auch bei Unwillen selten
die Miene verzerrt. Die Fasern haben große Spannung bei
ihm daher er leicht in Zorn geräth. Oft aber kommt man auch
denn nicht zurecht, wenn man Mienen annimmt, welche die
Gesinnungen verbergen sollen. Wenn man Z. E. blos jemanden zu
gefallen, lachen will, so ist dies nur ein Grinsen, wo die Mienen
zwar verzogen werden, die Augen aber ganz starr bleiben,
und dies sieht heßlich aus. Niemand kann wohl so leicht sich
so freundschaftlich stellen, daß ein forschendes Auge es nicht
merken sollte. Nach Lavater trägt auch der Gang des Menschen
viel dazu bei, ihn zu erkennen von dem oben schon etwas gesagt.
Mancher Mensch muß immer gesticuliren wenn er spricht,
oder den Mund aufhalten, wenn er in Ruhe ist, beides sind
große Fehler, die man ja vermeiden kann. Nach Lavater soll
man sogar den Menschen aus den Schriftzügen seiner Hand
(ob sie nemlich fest oder ungleich pp sind) erkennen können; doch
ist dieses sehr zweifelhaft. Am öftersten beurtheilt man den
Gesunden und Kranken, Vergnügten %.und Misvergnügten aus der Farbe
des Gesichts, und der Helligkeit der Augen, dies gehört %vorzüglich
für die Aerzte. Wenn das Weisse des Auges trocken ist,*1 %.und die
Farben des Regenbogens wohl determinirt %.und scharf abgeschnitten sind,

/|PR_295_Z_22

/*1 welches überhaupt
bei großer Hitze zu
geschehen pflegt. ~

/δ_Lage_NN.

/|P_296

/so pflegt der Mensch wohl disponirt zu seyn. Fließen die
Farben aber am Ende unmerklich zusammen, oder es vermischt
sich dieser Rand mit dem Weissen, so ist es ein Zeichen von
Krankheit und Traurigkeit. Sind die Augenlieder stark ge-
öffnet, so ist man gesund, wenn nicht, so ist man krank. Sind
die Farben heller wie sonst z. E. blauer schwärzer, so ist
man gesund, sind sie dunkler traurig und krank. Wenn man
aber auch den gegenwärtigen Zustand aus dem Aeußern beurthei-
len kann, so differirt er doch von dem habitus in der Gemüthsart,
denn ein Mensch der itzt vergnügt ist, kann demohngeachtet
sonst immer schwermüthig seyn. Aus dem Anblik der Complexion
des Menschen kann man auch beobachten. Dies thun besonders
Männer, wenn sie heirathen wollen,*1 %.und Herren die Bediente annehmen.
Man sollte es auch ebenfalls bei Anwerbung der Soldaten thun.
Oft aber haben auch hagere Leute eine sehr starke Complexion,
denn es kömmt blos auf die Stärke der Elasticitaet der Muskeln
an, %besonders wenn die Muskeln im Gesichte stark sind. Man kann
auch aus den Aeußern das Naturell eines Menschen erkennen.
Die Fähigkeiten aber lassen sich nicht so leicht daraus be-
urtheilen. Die Talente will man wenigstens ausspähen können,
denn man sagt z. B. der Mensch sieht nicht verständig aus, %oder:
Diesem sieht man den Witz an, er sieht fein aus pp allein man kann
sich hier erstaunend irren, %besonders wer Muth %oder Blödigkeit
aus dem Edeln %oder der Sanftmuth der Mienen schließen will. Die
blöde scheinenden Leute, sind grade diejenigen, welche, wenn die

/|PR_296_Z_12

/*1 Ist die %künftige Frau z. B. %.phlegmatisch
so wird sie sich gern aufwarten
lassen. ~

/|P_297

/Gefahr da ist, einen Muth zeigen, der sich nicht so bald entkräften
läßt. Der Muth kommt nicht allein vom Bewustseyn %körperlicher Stärke
her, sondern auch aus dem, daß wir im Besitze einer kalten Vernunft
und des festen Entschlußes, auf alles resigniren zu können, sind,
(wenn das Vorhaben nemlich nicht anders in Ausübung gebracht werden kann.)
Nicht allemahl wird Stärke des Körpers zum Muth erfordert,
denn was braucht man einen starken Körper, wenn man auf sein
Leben resigniren kann. Solch einem Menschen sieht man den Muth
nicht an, dagegen äussert sich ungestüme Tapferkeit in der Stimme,
wird auch bald in Frechheit verwandelt, dagegen die von der ersten
Art dauerhaft ist. Stolz kann man wohl einem Menschen ansehn,
aber nicht edlen Stolz, denn dieser ist bescheiden und äussert sich
gar nicht. Wir bemerken, daß wenn z. B. Bauern von Kaisern
oder Königen reden hören, sie sich dieselben als Leute vor-
stellen, die kaum durch die Thüre können, und vor deren Anblik
man in die Knie sinken müßte. Sollten sie sie aber zu sehn be-
kommen, %.und wohl gar gebrechliche Körper finden, so würden sie
sich nicht überreden können, daß es Monarchen wären. So geht
es uns mit Autoren, deren vortrefliche Schriften und Gedanken
wir bewundert; wenn wir nemlich ihren Kupferstich zu sehn
bekommen, ist es uns unbegreiflich, wie eine so kleine, %gebrechliche
hypochondrische Figur solche Gedanken gehabt haben kann. %.Ueberhaupt
schadet die Anwesenheit viel, weil man sich in der Einbildung
ein sehr vortheilhaftes Bild formirt, dies beweiset, daß man

/ nicht

/|P_298

/nicht aus den Gesichtszügen auf die Talente des %Menschen schlüssen
kann. Die Natur hat gewollt, daß sich alle Menschen für sol-
che ansehn sollen, die eine gesunde Vernunft besitzen,
was aber weit über's Mittelmaaß geht, pflegt sie
zu masquiren. So kann man einem erzdummen %Menschen seine
Dummheit, %.und einem außerordentlichen Gelehrten seinen Verstand
leicht ansehn. Alle unsre Affecten bringen Mienen hervor,
%.und umgekehrt, wenn man die Miene dessen, der im Affect
ist, wohl nachmacht, so geräth man in demselben Affect. %.Ueberhaupt
hat %.Physiognomie keine Regeln. Die Pantominen sprache, über-
trifft noch die der Wörter, sie ist die allgemeinste, denn im
Gesichte liegt die Prägung des ganzen Körpers, auf den doch
die Seele einen Einfluß hat, es wird also die %Gesichtsbildung
der %.Beschaffenheit des Gemüths mehrentheils conform seyn. Wer
zu einem Affect eine Neigung hat der wird auch seine Miene
dazu bilden. Wenn wir einen belauschen wollen, der völlig
ruhig ist, der an nichts denkt, was etwa sein Gemüth in
Bewegung setzen kann, so liegen die Muskeln bereits in der
Lage, die seinen Hauptneigungen gemäß ist. Niemand ist
ohne Mienen, und wenn man diese auslegen kann, weis
man die Denkungsart des Menschen. So hat einer eine spöttische
höhnische, der andre eine neidische bittere pp Miene, und die behalten
sie auch denn, wenn sie in Ruhe sind. Die Mienen liegen im %menschlichen
Gesicht schon lange preparirt, so wie der Hang. Man könnte
sich davon immer mehr belehren, wenn man sich mit verschiednen, die man

/|P_299

/ausholen wollte, in ein Gespräch einließe, man würde sie aber be-
leidigen, auch vielleicht übereilt schließen, daher ist es nicht rathsam
Die Unbiegsamkeit *1 mancher Gesichter ist wieder eine besondre
Miene, welche anzeigt, daß der Mensch gar keinen Charakter habe.
Andre hingegen haben viele Mienen, %.und können viel annehmen,
welches man für ein Zeichen des Witzes hält. Dieses Spiel macht
beliebt, wenn es in den Schranken bleibt, und nicht in Carricaturen
oder Grimassen ausartet die seine eigne Person lächerlich machen.
Hiezu können auch diejenigen gerechnet werden, die einen poe-
tischen Instinkt oder Kützel in sich empfinden, obgleich sie keine
Talente dazu haben, die Apollo gleichsam reitet. Solche Leute
können alle Charaktere nachahmen, obgleich sie keinen eigenthümlichen
haben.*2 Da nun ein Mensch hefftige und viele «nein»Neigungen haben kann,
so werden sie sich auch in seinen Mienen ausdrücken; wenn man
also aus dem Portrait diejenigen so besonders herfürstechen,
also die Hauptneigungen bemerken will, so muß man den
Charakter des Menschen so spalten lernen, wie Newton die
Farben des Lichts durchs Prisma. Bei einem jeden Menschen
aber, der von Natur zu einem Charakter gestimmt ist findet man
auch im Zuschnitte des Gesichts sein Portrait. Die Mischung der
Mienen kann unschuldig aussehn - allein bei dem einen sticht dies,
bei dem andern jenes hervor. Im Gesicht ist das Gepräge des %Menschen,
und die Miene äussert also den Charakter. Das Herz unterscheidet
sich vom %.Temperament, und die Gestalt von den Mienen. Wenn man auch
gleiche Gestalten annimmt, so kann doch ein Gesicht %ländlich das andre städtisch aussehn.

/|PR_299_Z_2

/*1 Sie besteht darin daß ein
Gesicht unfähig ist besondre
Mienen anzunehmen.

/δ_Z_12

/*2 Poet Pietsch soll als er
den Prinz Eugen vorstellen wollte
wüthend in grossen Reitstiefeln
umher gegangen %.und so auf
passende Gedanken gekommen
seyn. ~

/|P_300

/Dies ist sehr natürlich, die Landluft bringt lange nicht so wie
die Stadtluft die Delikatesse %.und das Feuer in den Gesichtsmuskeln
hervor. Die Ursache ist, weil man auf dem Lande beständig in die Weite
sieht; da man hingegen in der Stadt gewohnt ist, nur in einen
engen Bezirk zu sehen, wodurch die Augen eine ganz andre Bewegung
bekommen. Die Stadtleute pflegen etwas sanfteres in ihren Zügen
zu haben als die Landleute. Diese haben nemlich nicht wie die
Städtischen mit Vornehmern, %sondern mit ihres Gleichen, %.und mit Geringern
z.B. Knechten, Pferdejungen zu thun, wobei sie sich eine gebieteri-
sche Miene angewöhnen. Selbst die Stände geben eine unterschiedene
Miene; so bemerkt man bei den Fleischern etwas trotziges und
kühnes, diese haben nemlich beim Ein %oder Verkauf mit den schlechtesten
Leuten zu thun denen sie vorpochen %.und lärmen müßen; überdieß
hat auch ihr Handwerk etwas mannhaftes. Dagegen hat ein
Schneider was geschmeidiges im Gesicht. Wenn der %Geistliche heilig
Hitze affectirt sieht man ihn das selbstzufriedene an der
Miene an; vor Alters praetendirte man von ihnen eine vor-
zügliche Traurigkeit, da doch die, welche wahre Religion besitzen,
die größte Ursache haben, vergnügt zu seyn, weil jeder wünscht
mit ihnen etwas zu thun zu haben. Oft verursacht auch das blosse
Herkommen eine gewisse Miene, %vorzüglich beim %weiblichen Geschlecht.
Die meisten von ihnen haben was trotziges in ihren Augen, weil sie
jeden starr ansehen, ohne eben was übles von ihm zu vermuthen.
Wir aber wenden gemeinhin die Augen von einem der uns starr
ansieht weg, weil wir befürchten Händel mit ihm zu be-
kommen. Mancher große Mann hat schon eine Miene, die jeden zurückhält.

/|P_301

/Auch vornehme Leute haben oft sehr gemeine Gesichter, denn
zuweilen schlagen ihre Manieren in das Platte ein, %.und dieß
liegt schon im Naturell solcher Menschen. Sind die Züge nicht recht
stark exprimirt, so kann Erziehung sie zum Theil ändern. - 
Mancher sieht vornehm aus %.und ist es nicht. Bei dem einen: schlagen
die Manieren ins Platte, beim andern ins freye. Der Charakter
des %Menschen läßt sich schwer aus den Gesichts zügen ziehen, weil
man hier nicht nur die Temperamente, %sondern auch das Herz
untersuchen muß, welches ganz vom %.Temperament unterschieden ist.
Am liebsten addressirt man sich in Gesellschaft an den dessen
Miene gefällig %.und gutherzig,*1 %.und der Talente verräth. Man ver-
langt ferner von seinem Gesellschafter Offenherzigkeit und
Freimüthigkeit, %wodurch sich die %Menschen am meisten nähern. Noch wünscht
man von ihm 2 Tugenden - Verschwiegenheit, und Wort halten.
Es ist ausgemacht, daß ein Mensch der sonst nicht schielt, es
aber bei Erzählung einer Sache thut, lügt. Das Roth %.und Blaß
werden ist zweideutig, und geschieht bisweilen aus ganz ent-
gegengesetzten Ursachen. Der eine wird roth weil er sich
schuldig fühlt, der andre weil er sich beleidigt findet. Solche
Leute sind gemeinhin sehr empfindlich. Mancher General der
für der Batterie nicht erschrikt, wird roth, wenn er %öffentlich reden
soll, weil die einen Ehrenpunkt betrifft. Hat man sich an eine
solche Fermeté gewöhnt, daß man vor keiner Sache scheu %oder blaß
wird, so muß man sie gut anwenden; und nicht in eine Dummdreu-
stigkeit ausarten laßen, welche allemal unausstehlich ist.

/|PR_301_Z_11

/*1 Sie äussert sich im
Charakter %des %Menschen am %meisten. ~

/|P_302

/Oft sieht man Blödigkeit an einem Redner recht gerne,
wenn er nur nicht stecken bleibt, denn sie zeigt immer von
Respect für die Zuhörer. (So stellte sich Cicero oft blöde,
da er es doch gewiß nicht war) Auch deshalb empfiehlt
sich Blödigkeit weil sie unser Mitleiden rege macht.
Ueberhaupt nimmt eine blöde angefangene und dreust ge-
endigte Rede, sehr ein. Wer mit Vorsatz blöde thut
handelt großmüthig. Der Mensch kann gebildet werden:

/1.) Nach seinem %.Temperament dies geschieht durch Disciplin.*1 Wer
ohne sie aufwächst ist einem %wilden Thier nicht unähnlich. Hierinn
hat Rousseau wohl gefehlt, daß er glaubt, die Disciplin fließe
aus der Natur des %Menschen, welcher von selbst gut und böse würde.

/2.) Nach seiner Complexion, daß er in Ansehung seines Kör-
pers alles ertragen lernt, und dies geschieht %durch %die Erziehung.

/3.) Nach seinem Naturell, dies geschieht durch die Information.
Allein eine solche - wo das Kind nicht nur in %.Wissenschaften unterrichtet,
sondern auch sein Naturell aus findig gemacht, %.und wenn man
darin einen Keim des Genies findet, solches excolirt wird - 
haben wir selten.

/4.) Nach dem Charakter, und dies geschieht nur durch Beispiele,
denn %dadurch daß man ihm aus der Moral sagt, was rechtschaffen
gut und tugendhaft heiße, lernt ein Mensch wohl, von allem ge-
lehrt reden, allein nur Beispiele können ins Herz dringen.

/Die Aeltern bilden nicht einmal die Complexion des Kindes, dem
der Willen gelaßen wird, damit sie nicht etwa von Aergerniß
krank würden; Die %.Information %.und Bildung %des Herzens *2 möchte noch das

/einzige

/|PR_302_Z_9

/*1 Der %Mensch als Thier
bedarf ihrer.

/δ_Z_26

/*2 Obgleich man sich auch da-
raus im Allgemeinen nicht
genugsam bekümmert. ~

/|P_303

/einzige seyn, wofür sie sorgen. Man bringt dem Lehrlinge
alle Wissenschaften bei, und geht sie alle durch ohne zu unter-
suchen, wozu er ins besondre Neigung und Fähigkeit hat. Man
wählt auch nicht eine solche Methode, wobei sich das Genie entwickeln
kann. Die Beispiele, die man den Kindern zur Bildung ihres Cha-
rakters giebt, sind öfters schlecht genug. Manche sind sehr geschikt
sich selbst und andre zu beobachten, andre können auch das lezte nicht.
Wenn nun erstere die Verbindungen der Mienen die sich in diesem %oder
jenen Fall bei ihnen äußern, bemerken, und solche bei sich auch andre
wahrnehmen, so kann sich oft mit vieler Zuversicht die Gemüthsart des
einen und andern verrathen, %.und man auf so in der Physiognomik weit
kommen. Ie mehr sich ein Mensch verfeinert, desto redender wird
seine Miene. Ie kleiner der Umgang mit artigen Menschen ist, desto
weniger Aus drückehat die Miene. Und an einem der seine Zeit
in der Einsamkeit mit einem Handwerk in gedankenlosem Zustand
zugebracht hat, kann man fast nichts bemerken. Diese %.physiognomischen
Kenntniße kann keiner dem andern mittheilen, weil er ihm das
Feine in der Erziehung nicht geben kann. Der Charakter, %oder das
Herz und die Gesinnungen des Menschen kann man blos aus dem
Gesicht errathen. - aus dem Bau des %Körpers nur %durch Complexion %.und einen %.Theil
des aus dem Bau fließenden Temperaments - Indeß will man doch
bemerkt haben, daß große Leute sanfter sind als kleine, welches auch
Von allen Thieren gelten soll. Der Grund ist der, weil bei jedem
Thier die Bewegungskraft der Muskeln und die Spannung der Fasern
nach Proportion ihrer %Zunehmung Größe abnimmt, wie Galilaeus dies %.mathematisch %bewiesen hat.

/δ_Lage_OO.

/|P_304

/Man kann auch ferner den Menschen beurtheilen nach seinem gan-
zen äußerlichen Betragen, und aus der Art der Kleidung, aus
der Wahl der Gesellschaften, aus seinen Lieblingszerstreuungen
Der wer weiße Wäsche trägt %.und sie wenig sehen läßt, will vor
einen ordentlichen Menschen gehalten werden. Man kann also die
Richtigkeit des Geschmaks eines Menschen schon an der Kleidung
erkennen, nur muß man mehrere seiner Kleider sehn, die er selbst
gewählt hat. Bei dem der das Harte in der Farbe liebt, kann
man kein Mittelmaaß in der Abstechung seiner Denkungsart,
%.und hingegen viele Widersprechende Eigenschaften in seinem %Charakter vermuthen.

/Es ist die Frage ob das Regelmäßige in der äußern Bildung
des Menschen, auf gleiche Beschaffenheit in seinem Innern deutet?
Die mehrsten mahle zeigt sie sehr große Mittelmäßigkeit des %Menschen an.
Das mittlere ist das gewöhnliche alltägliche, also ist auch der %Mensch alltäglich.
Besondre Genies haben immer eine gewisse körperliche Unregelmässigkeit,
Z.E. Pope. (Hay der puklich war hat ein Buch von der Heßlichkeit
geschrieben, wo er die Vortheile derselben anführte, welches ihn vor einer
guten Seite zeigt) Die größten Genies haben eine bizarre Bildung
und der Grund liegt darinn weil Genie zu seyn schon selbst Bizar-
renie ist, - eine solche %.Proportion der Talente, wo eins vorzüglich vor
dem andern hervorsticht, ihre Größe geht immer auf Kosten eines andern,
%.und die %.Disproportion ihrer %körperlichen Organen ist so groß als die ihres Gemüths.

/Ist Heßlichkeit und Misgestalt einerley? Nein, ein %Mensch kann
misgestalt %.und doch nicht heßlich seyn, er kann groteskisch %oder @wanschapig@
seyn, wie der Hollander sagt, das heißt im Wahn geschaffen.

/|P_305

/Ein Charakter in der Uebertreibung ist Carricatur, Heßlichkeit
macht es nicht aus, wenn nicht Züge der Bösartigkeit da sind.*1
Heßlichkeit ist immer relativ, dies beweiset das eben angeführte
Beispiel Heydekers eines Musici in London. Es ist ein Unterschied
zwischen Gesichtszüge und Gesichtsbildung. Diese ist bleibend,
jene aber sind im Gesichte das, was sich verändert, aber auch noch
von den Mienen unterschieden. Die Gesichtsbildung sieht man
am besten im Profil. Wenige Menschen wissen wie sie en Profil
aussehen, und dies kommt daher, weil sie nie Gelegenheit haben,
ihr Bild von der Seite zu sehen. Das männliche Geschlecht un-
terscheidet sich im Gesichte vorzüglich dadurch von dem weiblichen,
das es flache, dieses aber kuglichte Bildung der Stirne hat,
Es giebt Nationen deren Stirne mit Haaren bewachsen sind,
überhaupt sollen kleine Stirne, d.h. wenn die Haaren tief hinein
gehen, Eingeschränkheit der Gemüthsfähigkeiten anzeigen.
Von den Menschen die einen Hiebel auf der Nase (Nasum Rinocerotis)
haben, behauptete man, sie wären Spötter. Weite Ohren bedeuten
nach Lavater einen schwachen Menschen. Wenn aber das Knorpliche
nahe zusammengezogen ist, soll es Festigkeit anzeigen. Auch die Au-
genbraunen sollen Einfluß haben; sie heißen eigentlich Augen-
bränen, und sind dazu, daß der Schweis nicht in die Augen läuft.
Es giebt einige Menschen bei denen die Zähne des untern Kinnbackes
über die des obern hervorragen (eben nicht die angenehmste %Gesichtsbildung)
sie sind zwar auch bei uns anzutreffen, doch in Europa nur selten,
dagegen soll dieses in China %und der dortigen Gegend ganz allgemein seyn.

/|PR_305_Z_2

/*1 oder was Ekelhaftes
im Gesichte ist.

/δ_Z_14

/Man hielt vor kurzem
kleine Stirnen für schön
daher man die Haare
überkämmte wie @Bodi@.~

/|P_306

/Baptista Porta hat die Menschen mit Thiergestalten ver-
glichen, wenn dies aber angeht so muß der Mensch Carricatur seyn.
So sagte er, wenn ein Menschen eine Nase wie der Schnabel des Adlers
oder Habichts hätte, zeigte dies von seiner Seite Stolz. - Es kann
Nationalbilder geben, doch bleibt es immer schwer, sie darzustellen,
so z.B. die Alten Griechen %.und Römer, sollen alle so etwas %.charakteristisches
gehabt haben; erstere nemlich daß bei ihnen Stirn %.und Nase ohne
Einbug in grader Linie fortging, leztere daß sie lauter krumme Nasen gehabt. - 

/Anmerkung Durch die Silhouetten verlor die Kupferstecherkunst sehr
viel. Es ist zwar etwas daran zu erkennen, doch fehlet das beste.

/Gesichtszüge können wir ansehen als ins Spiel gesetzte Mienen,
Miene ist eine Form des Gesichts, in so ferne sie durch Affect in Bewe-
gung gesetzt wird. Gesichtszüge könnte man nennen fixirte
Mienen - wir können wenn wir des andern Gesichtszüge nachahmen,
auf seine Empfindungen schliessen. Miene bedeutet in der ganzen
Welt einerley, %.und auf die Art hat der Mensch durch die ganze
Welt einerley Sprache. - Zur Mittheilung gehört:

/1.) Die Articulation der Laute, %oder die Kunst zu sprechen.

/2.) Die Gesticulation, worunter auch Mienen verstanden werden,
%.vorzüglich Gebehrden; die Kunst in Rüksicht der Mienen allein heißt Mimik.

/3.) Modulation, die Kunst mit der gehörigen Manier, dem
passenden Ausdruk und Tone *1 zu sprechen.

/Durch bloße Modulation hat man noch nie versucht sich verständlich zu
machen. Man es aber auf folgende Art thun: Es müßte eine Comedie in ganz
fremder Sprache bei heruntergelassenem Vorhange aufgeführt werden,
%.und es läßt sich vermuthen, daß obwohl man die Sprache nicht versteht, %.und nicht
gestikuliren sieht, man dennoch aus der Modulation der Stimme viel errathen wird.

/|PR_306_Z_7

/Noch hat die %italienische Nation
etwas %eigentlich %charakteristisches

/δ_Z_22

/*1 Accent von accinere
singen. ~

/|P_307

/ ≥ δ_55ste Stunde %.Sonnabend den 11ten %.Februar %.von 8 - 9. ≤

/Die Züge des Gesichts sind zu merken, die etwas charakteristisches
haben. Es frägt sich ob die Gesichtszüge von den Mienen gehen, %oder um-
gekehrt. Züge werden die Theile des Gesichts genannt, die mit den Gemüths-
bewegungen in Harmonie stehen - Ieder Affect ist mit einer Miene
begleitet; hat also ein Mensch oft gewisse Affecte, so macht er
oft die damit verbundenen Mienen, woraus zulezt stehende Gesichts-
züge werden. Daher soll man Mädchen mit Gelindigkeit erziehen,
damit sie eine angenehme Gesichtsbildung bekommen. - Als ein Vater
seinen Sohn auf die Academie reisen lies, sagte er ihm beim Abschiede:
Iunge bring mir das Gesicht wieder; eine herrliche %moralische Lehre - 
Wahrscheinlicher Weise würde ein solcher Mensch, der selbst sein
Gesicht verdorben hat, es mit der Zeit wieder verbessern können,
wenn er nemlich wieder ganz moralisch lebte. Allgemein kann
man aber doch aus dem Gesichte nicht schließen, denn manche %Menschen
haben schon in ihrer Kindheit gewiße unvortheilhafte Züge. Menschen
die speciel mit einander umgehen, nehmen gewisse Züge von einander
an, z.B. Eheleute. die sich sehr lieben, %.und gemeinhin heirathet der Mann
ein Frauenzimmer, das er %.zum %.Theil mit sich ähnlich findet. Die Mienen
der Landleute haben einen besondern Charakter. Ausdruk. Denn je
mehr %oder weniger sich ein Mensch an andern geschliffen, desto ver-
schiedener wird seine Gesichtsbildung Stellung Betragen. Die
devote Gemüthsverfassung drükt sich da wo man ein Geschäfft
daraus macht, auf den Gesichtern ab. Nicolai nennt sie gebenedeyete Gesichter.

/|PR_307_Z_23

/Die %Abbildung des Heiligen
hat was absurdes die
schmachtenden Augen, @etc@ ~

/|P_308

/Starke Beschäftigungen der Gedanken bringen Mienen hervor
So wird Königen die Majestät habituel, blos weil sie die hohe Würde
bekleiden. - Das Schielen kömmt daher, weil das eine Auge welches
schwach ist, sich versteckt, damit das andre desto besser sehen kann,

/1) In wie weit kann man sich auf Physiognomik verlassen?

/2 Läßt sie sich als %.Wissenschaft behandeln? d.h. kann sie gelehrt %.und gelernt werden,

/3.) Oder ist sie nur blos aesthetisches Urtheil?

/Ein physiognomisches Urtheil ist uns natürlich. Lavater führt
sogar an, daß auch Pferde und Hunde Pnysiognomie haben.
Ein glükliches Gesicht ist das beste Empfehlungsschreiben. Man
glaubt aus der Physiognomie Verstand, Witz, das Nachdenken,
Tiefdenken, Gründlichkeit und auch Dummheit zu bemerken. %Eig@entlich@
ist das %.Temperament zu sehn. %.Physiognomik kann nie Wissenschaft, aber Kunst werden.
Regeln kann man nicht dazu geben. Andre aus spähen ist beleidigend,
%.und verfehlt den Zwek, weil sobald sie es merken sich ihre Miene verändert.
Man kann gut aussehen,

/1.) In physischer,

/2.) In moralischer Bedeutung, z.B. die Marquise de Brinvillier
(eine berüchtigte Giftmischerinn, die Vater, Mutter, Brüder pp %vergiftet hatte)
sah physisch ausserordentlich schön aus, aber gar nicht moralisch.
Dies ersieht man daraus, daß ein Benediktiner,*1 der nie etwas von
ihr gehört, in einer Bildergallerie unablässig auf dasselbe Bild (es
war das Gemälde der genannten Marquise) sah; als ihn nun seine Begleiter
um den Grund seines Erstaunens befragten, gab er zur Antwort:
Wenn je eine solche Person gelebt hätte, so müsse sie der Teufel %gewesen seyn.

/|PR_308_Z_21

/*1 Dieser Orden hat das
Vorrecht, daß jeder Mönch sich
Don nennen läßt. ~

/|P_309

/Bösewichter von Profession sind gewöhnlich knochichte Leute,
und haben im Gesichte einen Ausdruk von Stärke. Also sind
solche, die sich ihrer Ueberlegenheit bewußt sind, und eben nicht die
besten Grundsätze haben, stets in grosser Versuchung. Daß %.Bösewichter
im Tode gutmüthig aussehen, kömmt daher, weil ihre Muskeln
nachlassen, und sie ein andres Gesicht bekommen.

/ ≥ δ_56ste %.Stunde %.von 9 - 10. ≤

/ ≥ 3.) Vom Charakter! ≤

/Der Charakter ist das Kennzeichen des Menschen als frey-
handelndes Wesen. Es scheint widersprechend; ist es aber nicht. Ein
Freihandelndes Wesen muß so handeln, daß es immer Maximen
zum Grunde hat, sind aber diese Maximen beharrlich, so nennt
man sie Charakter. Wir sind uns unserer Maximen nicht immer
bewust, handeln aber darnach. Charakter ist das innere Princip aller
Anlagen wornach er handelt, und hat auf %.Temperament Einfluß.

/Der Charakter ist nicht angebohren, sondern wird erworben.
Die Willensbestimmung des freyen Wesens geht nach
einem Gang den wir nicht erklären können. Ein Mensch kann
ein unglükliches Temperament, aber einen guten Charakter
haben, um den Charakter des Menschen bestimmen zu können,
muß man die, in seine Natur gelegten Zwecke kennen, es kommt
dabei auf die Art an, wie man seine Triebe, Talent, %.Fähigkeiten pp. modificirt.
Der Charakter ist eine gewisse subjective Regel des obern
Begehrungsvermögens, die objectiven Regeln desselben enthält die Moral,

/|P_310

/und mithin macht das eigenthümliche des Obern Begehrungsver-
mögens den menschlichen Charakter aus. Ieder Wille aber,
oder das oberste Vermögen, ist besonders geartet, und hat
seine subjectiven Gesetze, welche aber den Charakter constitui-
ren. Da oft viele Zwecke in der Natur des Menschen liegen,
so ist sein Charakter oft ungemein verwikelt. In den Iugend-
jahren ist er noch nicht kennbar, %.und zwar deswegen, weil sich
vielleicht noch kein ausserordentlicher Fall ereignet hat, wo
er sich hätte können sehn lassen.

/Man kann nicht sagen, der Mensch hat einen glüklichen Cha-
rakter, denn er hängt gar nicht von der Geburt oder vom
Zufall ab, sondern lediglich von uns selbst. Der gute
Charakter geht über alles. - Das Talent bestimmt den Markt-
preis. Ein solcher %Mensch wird als denn wie ein Werkzeug angesehn,
das zu allem *1 gebraucht werden kann. Wo nichts als Talent ist,
findet nur Brauchbarkeit statt. %Geschiklichkeiten werden als Früchte des Talents angesehn.

/Temperament macht den Affectionspreis aus. Wenn er
auch nicht nützt, so geht man doch gerne mit ihm um. Es kommt hier auf
Liebhaberei an, bald wählt man einen von dem, bald vom %andern %Temperament.

/Character fixirt den Begriff den man sich von einer Person
macht. Darinn besteht der ganze Werth, und ein guter %.Charakter muß
jedermann gefallen. Ueberall muß der Mensch irgend einen
Charakter haben, und nicht nach Launen oder Anwandlungen, son-
dern nach Grundsätzen handeln. Dem Engländer kommt ein
Mensch der gar keinen Charakter hat, unerträglich vor. Aus dem Grun@d@
lies Choiseul einen Kopf der Voltairen vorstellte oben auf %einen Wetterhahn setzen.*2

/|PR_310_Z_13

/Er hat ein %glükliches %.Temperament
ist viel gesagt,
er hat einen guten Charakter
ist alles gesagt.

/*1 auch zum Bösen.

/δ_Z_24

/Er sagt wohl gar Aut
Brutus aut Catilina

/

/*2 Damit er sich auch
hier stets nach dem
Winde richten könnte. ~

/|P_311

/Der Mensch muß:

/1.) Ueberhaupt einen Willen, (und nicht Laune) haben.

/2.) einen eigenen *1 Willen, (aber nicht Eigensinn).

/3.) einen eigenen und beständigen Willen.

/Diese 3 Stücke machen den bestimmten Charakter des Menschen
aus. Mit Unrecht nennt man diejenigen die nur einen bestimmten
%.Charakter haben, eigensinnig. Vom würklichen Eigensinn hat man viele de-
sperate Beispiele, vorzüglich unter den Engländern, z.E. Ledgard.
Der Lügner hat gar keinen Charakter - Wahrhaftigkeit ist die erste
Grundlage zum %.Charakter dazu gehört ferner Beharrlichkeit - und
nichts aufschieben - Freiheit und Festigkeit des Vorsatzes determi-
nirt alles beim Menschen. Das Aufschieben der Besserung %.und Geschäfte
ist eine innere Lüge, indem der Mensch sich vornimmt, es doch nicht zu
thun. Daher ist es eine gute Regel beim Briefschreiben, daß man nicht
eher den Brief aufbricht, als bis man sich, mit der Feder in der Hand hin-
gesetzt hat, damit man ihn sogleich beantworte. Es ist sehr gut wenn man
sich selbst als einen solchen kennt, der unverbrüchlich Wort hält, man kann
denn versichert seyn daß man den einmal fest gefaßten Vorsatz auch in Ausü-
bung bringen wird. Gutartig ist %der %Mensch wegen %seines %.Temperaments gut %wegen %seines Characters.
Gutartigkeit des Temperaments gleicht einem Gemälde mit Wasserfarben; %.Gutartigkeit
%des Characters einem mit Oelfarben. Ein steifer Sinn ist ein Analogon
%des Characters. Man fand ihn bei Carln_XII. von ihm muß man ja nicht glauben,
daß er ein Sonderling war, %oder affectirte. So ist auch bei Sylla die Größe %.und %.Standhaftigkeit
%seiner Maximen zu bewundern, als er resignirte %obgleich %der %Mensch selbst nicht hochzuachten ist

/|PR_311_Z_2

/*1 D.h. auf Grund-
sätzen gebauten, den
hat der Lügner nicht

/δ_Z_13

/Es %heißt denn auch:
nun zum lezten, %.allerlezten
allerallerlezten pp.
was einmal aufgescho-
ben wird geschieht selten.

/

/

/Des Gemüths %.und Herzens wegen
lieben wir den Menschen
seiner Talente wegen schätzen
aber seines Charakters %wegen
verehren wir ihn.

/

/

/Der welcher nachäfft
zeigt %gänzlich Mangel
%des Charakters.

/so auch Cato von
Utica. ~

/δ_Lage_PP.

/|P_312

/ ≥ δ_57 ste Stunde %.Mittwoch %den 15ten %.Februar, %von 8 - 9. ≤

/Erst durch Maxinen bekömmt das Gemüth Festigkeit. Der Schade
welcher entspringt wenn wir unsern Vorsatz nicht aus üben, ist
groß, und der Festigkeit unsers Charakters schädlich. Man muß
lieber sich selbst nichts vornehmen, wenn man voraus sieht, daß
man es nicht halten kann.

/ ≥ Vom guten Charakter. ≤

/ Alle Bedingungen des guten Charakters sind negativ; und in der
That ist ein guter Charakter das Minimum der Menschheit.

/Das erste Merkmal desselben ist jederzeit die Wahrheit. Alles
was er sagt muß wahr seyn. Lügenhaftigkeit sezt den
Menschen sehr herunter. Kann man dabei versteckt seyn, dissimuliren?
Das gehört zum Rhum eines jeden, wenn er sich nicht un-
vorsichtig offenbaret, wenn er Dinge verheelt, die er aus
besondern Verbindungen nicht eben sagen darf, indem er
andern dadurch sehr schädlich werden könnte. Verstellung bleibt
aber darum in %jedem %andern Fall schädlich.

/Das 2te Merkmal im Versprechen Wort halten, dieses
ist die Treue, welche im gemeinen Wesen für sehr wichtig
anerkannt wird. Menschen von Charakter versprechen nicht
leicht, weil sie immer halten, und daher zuvor alle Be-
schwerden genau prüfen. Bei den Orientalen ist keine
Tugend seltener als die Wahrhaftigkeit. Man muß nicht allein <in Versprechen %sondern auch> in der
Aeusserung von <aufrichtigen> Meinungen Worte halten, und nie das, was man einmal
öffentlich bekannt hat, wiederrufen. (@NH.K.@)

/|PR_312_Z_11

/Deswegen darf man
nicht alle %.Wahrheit reden
dies wäre nicht immer
rathsam, nur das
was man redet
muß wahr seyn. ~

/|P_313

/Das 3te Merkmal ist, nicht zu affectiren. Sobald einer affectirt so
weis man schon, er macht nicht seine Rolle, sondern agirt im buch-
stäblichen Sinne die Rolle eines andern. Affectation ist immer eine
Art von Falschheit. Ein Mensch der etwas plumpes ungeschiktes
hat, verliert lange nicht soviel, als der, welcher affectirt. Einer
thuts z.B. im Lieblich seyn, in süßen Manieren, er will lauter Guther-
zigkeit seyn, und denn besizt er sie gewiß am wenigsten. Auch Autoren
affectiren in der Schreibart; man dies vorzüglich an den in der
%französischen Nationalversammlung gehaltenen Reden bemerken.

/Das 4te %Merkmal ist, nicht nachzuäffen, wie z.B. manche Candidaten.

/--- 5- -------- -- , edle Simplicitaet. Ein Zug vom guten Charakter
ist immer Einfalt, die dem Geziere entgegengesetzt ist. Ueberdies
hängen die Verzierungen von dem so veränderlichen Geschmak ab.
Simplicitaet ist nichts weiter als die Abgemeßenheit zum Zwecke,
wenn der Mensch nicht mehr sagt als nöthig ist. Die Quäker gehn
ganz ausserordentlich auf Simplicitaet, doch ist bei ihnen der sonder-
bare Widerspruch einer affectirten %Simplicitaet: sie sagen du auf
jeden, und nehmen vor niemanden den Hut ab, wollen nie Krieg
führen, auch nichts @dazu@ geben. Sie beweisen viel Festigkeit im Charakter

/Das 6te Merkmal ist: Nicht aus plaudern. Iedermann hat einen
nöthig dem er sich ganz eröffnen kann; - wer immer ausplaudert
ist ein Mensch von keinem Charakter; er kömmt immer in den Fall
zu lügen. In einer Gesellschaft muß Freiheit der Mittheilung der
Gedanken seyn, wenn dieses nicht Statt findet (welches der Fall bei den
%.holländischen Gesellschaften seyn soll) so ist sie unangenehm. Durch das %Ausplaudern
ist der Bund jeder Gesellschaft zerrißen. Der Discrete muß %unterscheiden können,
was er %andern erzählen, %.und was er in sich selbst verschließen muß.

/|PR_313_Z_23

/Hume sagt: der ist
ein böser gesellschafter
der nicht vergißt, denn
eine Thorheit muß ver-
gessen werden, um der
andern Platz zu machen ~

/|P_314

/Das 7te Merkmal ist Freundschaft sie muß wenn sie gleich schon sollte
erloschen seyn, dennoch respectirt werden, und man muß keinen Hass
blicken lassen. Im Zerreißen der Freundschaft stekt immer etwas nie-
derträchtiges, weil ihr Begriff so sehr viel Edles mit sich führt. Der,
mit dem ich Freundschaft mache, muß nie mein Feind %werden können.

/Das 8te %Merkmal ist Ehrliebe; sie gehört ganz nothwendig zum guten
Charakter. Sie strebt nicht wie die Ehrbegierde darnach, von allen
gekannt zu seyn; %sondern hütet sich nur, wenn er von andern gekannt
wird, durch seine %.Handlungen ihre Verachtung zu verdienen. Die Ehrliebe
ist die unzertrennliche Begleiterinn der Tugend. Sie ist die höchste %weibliche
Tugend: bei Männern kann die Idee ihres Wohlverhaltens blos auf ihre Pflichten gründen.

/Das 9te %Merkmal ist, es muß kein Kriechen *1 vor Mächtigern dabei statt finden.

/-- 10- ------------, niemand muß ein Abzeichen haben, d.h. man muß
keinen Werth in Titeln, Orden pp setzen, %oder durch absurde Mienen und Ge-
behrden sich von andern unterscheiden. Man muß mit seines Gleichen umgehn
wer mit Narren umgeht, wird %selbst %.dafür erkannt. Noscitur ex socio qui %.non %.cognoscitur ex se.

/ ≥ δ_58ste Stunde %.von 9 - 10. ≤

/Das 11te %Merkmal. Man muß sich nicht an die Reden anderer kehren, wenn
wir unsrer festen Grundsätze gewiß sind; es ist auch dem Charakter
gar nicht gemäß in Grundsätzen zu schwanken. Ein Mensch der immer
frägt, was andre doch wohl sagen würden, %oder ob sie das auch gethan
was wir thun, hat keinen bestimmten Charakter. In so fern muß
man sich nach dem Urtheile andrer kehren, daß man ihnen kein Scandal
giebt, und nicht nach ihren Einfällen.

/12.) Man muß in Empfindungen nicht süß und schmalzend seyn, durch
diese Eigenschaft verrathen sich eigenliebige Menschen. - Die Religion
ist a) des Aberglaubens

/ b) Der Schwärmerei, alles zu thun aus Liebe zu Gott. - Die

/|PR_314_Z_12

/*1 es verträgt sich nicht
mit %dem guten Charakter.

/δ_Z_25

/des Cultus

/Der %Mensch kann sich keine %Vorstellung
von der Stärke einer %Triebfeder
machen, als wenn sie große
Hinderniße hat %überwinden können. ~

/|P_315

/eigentliche moralische Religion ist auf die Idee der Pflicht, und nicht
ursprünglich auf die der Liebe gebaut, denn Gott lieben heißt nichts
anders als *1 dem %göttlichen Willen gemäß seine Pflicht thun, also besteht die
%Religion nicht allein in der Liebe Gottes, %sondern vielmehr in %der Furcht Gottes, aber auch
nicht in der Furcht vor Gott. %.Anmerkung es wird erzählt, daß man einst
eine Frau mit einer Schaufel voll Kohlen %.und einem Eimer Wasser angetroffen,
%.und als man sie um die Ursache ihres Aufzugs befragt, soll sie geantwortet
haben: Ich gehe das Paradies zu verbrennen, und die Hölle auszulöschen,
damit man Gott nicht mehr aus Lohnsucht oder aus Furcht vor der Strafe diene.

/13.) Aus der Religion des Menschen kann man mit Gewisheit erkennen,
ob er Charakter habe oder nicht. Verschiedene Geschäfte des Men-
schen haben Einfluß auf ihn selbst, und verhindern oft den Charakter,
z.E. Poeten, Comedianten müßen sich in einen andern Charakter finden
können. Sie haben selten einen bestimmten Charakter, mit den meisten
Musicis geht es eben so. Von speculativen Gelehrten pflegt man an-
zunehmen, daß sie einen guten Charakter, wenigstens keinen bösen haben
Hume sagt, er ist immer ehrlich, er sollte sagen redlich, denn das er-
stere könnte er auch aus Dummheit seyn.

/15.) Offenheit der Denkungsart gehört auch zum guten Charakter; dieser
wird erworben, der böse aber wie eine Krankheit zugezogen. Ein
jeder Mensch muß sich in der Folge durch eignes Nachdenken noch einmal
erziehen, dies geschieht durch öftere Selbstprüfung unserer Handlungen.
Bei Erziehung des männlichen und %weiblichen Geschlechts ist die Methode
verschieden, bei dem ersten muß man stets auf Ehre bei dem lezten auf
Grundsätze sehn. Nie müßen Eltern es leiden, daß sich ihre Kinder zu De-
tateur's von den Handlungen anderer gebrauchen lassen, denn %das zeigt von %.Bösartigkeit.

/|PR_315_Z_2

/*1 willfährig seine
Gebothe halten.

/δ_Z_21

/%Gewöhnlich sind die %Menschen
bei %den besten Stellen
ihrer Erzieher doch
verkehrt erzogen. ~

/|P_316

/des Charakters. Wenn erwirbt man den Charakter?
Selten vor dem 40sten Jahre, weil der Mensch alsdenn schon vie-
lerley Situationen des Lebens durchgegangen ist, und itzt einen
Ueberschlag davon machen kann; erst jetzt wird er sich von sehr
vielen Dingen einen richtigen Begriff bilden können. Es giebt
Menschen die eine Zwiefache Gestalt in ihrem Charakter haben,
nemlich einen publiquen und einen privat-Charakter. So
war Mirabeau ein Mann, der im ersten viel Gewissenhaftig-
keit bewies, im leztern aber nichts weniger als das that.

/

/ ≥ II. Charakter des Geschlechts. ≤

/ ≥ δ_%.Sonnabend %.den 18ten %.Februar 59ste Stunde %von 8 - 9 ≤

/Man glaubt es käme nur auf Erziehung an, so könnte man, bei der
großen Gleichheit, die die Natur in unser beide Geschlechter gelegt,
es auch dahin bringen, daß ihre Denkungsart von gleicher %.Beschaffenheit
würde. Das %weibliche Geschlecht nennt man allgemein Frauenzimmer,
das Wort Weib scheint ganz abgekommen zu seyn. Wie unter-
scheidet sich Frau vom Weibe? So wie der Herr von dem der
nicht Herr ist. Frau ist Herrinn. In Absicht der Titelsucht findet
sich viel absurdes in Europa. So ist man auch im Gebrauche der hier
vorkommenden Wörter sehr peinlich. - Die Griechen hatten ein
$@gigekonitis@$ (Zimmer für Frauen) im Innern des Hauses, wohinn
kein Fremder kommen durfte. Auch die Männer aßen bei Tische allein.
Vermuthlich ist diese Gewohnheit zuerst durch die Franzosen
abgeschaft worden, in England existirt noch etwas davon.*1

/|PR_316_Z_6

/%Ieder %.Mensch ist Patriot
aus Eitelkeit; es aus
%.Grundsätzen zu seyn,
ist Pflicht. - 
(Cosmopolitismus!!)

/δ_Z_24

/*1 Die %.Frauenzimmer müßen
sich %nemlich sobald sie
satt sind von der Tafel
entfernen, und in ein
apartes Zimmer begeben. ~

/|P_317

/Die ersten Deutschen ließen %.Complimente an das Frauen-Zimmer machen,
nun ist es doch gewiß absurd, die Benennung die man einer ganzen
Stube voll Frauen gab einer einzigen beizulegen. Es käme nur
auf die Hardiesse einiger beliebter Autoren, dem Worte Weib
die Achtung welche es gewiß verdient, wieder zu verschaffen.

/Da das weibliche Geschlecht von der Natur mit weniger Kraft
als das männliche aus gerüstet ist, so hat sie diesen Mangel durch
mehr Kunst ersezt. %.Ueberhaupt kann man bei der schwächsten Orga-
nisation immer die meiste Kunst voraus setzen. Der Mann
hat mehr Kraft, und ist daher gerader (versteht sich von Natur)
hat weit weniger Kunst im Intriguiren. Das Wort Mensch
bezeichnet das Genus, Mann und Weib aber die Species. Im
%Englischen und %Französischen ist es nicht so, da bezeichnet ein Wort die %.Begriffe
von Mann, und Mensch. Der Mann ist für die Natur, das Weib
für den Mann gemacht, d.h. der Mann ist zu herrschen, das Weib
zu regieren gemacht, d.h. den Mann zu ihren Zweken zu gebrauchen,
daraus sieht man schon, daß in %dem %natürlichen Charakter eines Weibes viel @%Kuns¿@ liegt.

/<%.Grundsätze> Alles was in der Natur liegt, ist gut indem es seinen gehörigen
Zwek hat; auch haben wir keinen andern Maas stab fürs Gute %.und
Böse, als die Natur selber. Wie entdeken wir nun die Naturanlagen.
Alles zusammengenommen, was das Weib vom Manne unterscheidet,
nennt man Weiblichkeit, denn wenn man sie wegnimmt, so ist %Männlichkeit
da. Diese aber ist nicht eine besondre, sondern - die menschliche Anlage.
Wir müßen daher das Subjekt so betrachten, wenn es von der Kunst entfernt ist.

/|PR_317_Z_3

/So giebt noch mehr Wörter
Iungherr Iunker %.Jungfrau @Iungfer@
immer das Diminutivum
Die Franzosen sind bei
ihrem Demoiselle geblieben,

/δ_Rand_links_Z_6

/Der %Charakter
des %weiblichen
%.Geschlechts

/δ_Z_10

/Daraus folgt schon
daß man das %.weibliche %.Geschlecht studiren
müße. ~

/|P_318

/D.h. nicht daß wir darum unter die wilden Nationen gehn sollen, denn
wir suchen nicht Roheit %sondern Kunst, und diese finden wir ja nur
im Zustande des Luxus und der Cultur, wo das %weibliche Geschlecht
erst Gelegenheit findet seine Anlagen zu entwickeln. Also
werden wir die Natur des Weibes am besten im Zustande des
Luxus «er»kennen lernen. Dampier, einer der geschiktesten Reisenden,
welcher 3mal eine Tour über den ganzen Globum gemacht, mer-
ket auch an, daß bei allen rohen unkultivirten Völkern, der Mann
sich blos mit den Waffen beschäftige, den Zug anführe, das Weib
aber, welches das Geräth hinterhertrüge, nur als Hausthier
betrachtet würde; ganz im Gegentheil aber fingen sie im Stande
der Cultur an, ein Obergewicht über die Männer zu bekommen.
Die Eigenthümlichkeiten dieses Geschlechts nennen wir Schwächen,
welches sie doch nur im Verhältnis gegen die Männlichkeit sind.
Allein durch diese Schwächen des Weibes kann die Natur ihre
Zwecke in demselben erreichen. Diese beruhen nemlich auf Erhaltung
der Species, des wegen sie ihr liebstes Kleinod, das Kind, dem Schooße
des Weibes anvertraute. Um dasselbe nun sorgfältig zu erhalten,
pflanzte sie Furcht in das Weib, und je mehr Schwäche dieses zeigt,
desto mehr kann es auf den Mann wirken, welcher denn aus Großmuth
Schonung mit ihr hat. Ie mehr sie sich stark beweisen desto weniger
Einfluß haben sie auf den Mann, welchen sie nicht selten da-
durch beherrschen, daß sie eine gewiße Weichlichkeit und Furcht-
samkeit affectiren. In der %männlichen Seele liegt gleichsam ein Beruf
der Natur, das Weib zu schützen. So scheint Großmuth mit %der Stärke %verbunden zu seyn.

/|P_319

/Sie wird durch die (affectirte) Schwäche der Weiber aufgefordert,
Z.B. wenn Mann und Frau an ein Wasser kommen, so weis leztere
gewiß daß ersterer sie herüber bringen muß, dies geht so weit,
daß bei dem Frauenzimmer, dem Manne eine Beschwerde ver-
ursachen nur soviel heißt, ihm Gelegenheit geben, seinem, ihm von
der Natur aufgelegten Amte genug zu thun. Sie scheinen den
Männern durch Aufträge ihre Gewogenheit zu bezeigen. Die
äußern Dinge sind dem Manne wegen seiner Stärke unterworfen,
dahingegen die Frau gewohnt ist, ihn zu dirigiren,*1 aber nicht, ihn
zu beherrschen. Denn die Sachen gehören alle zum Departement des
Mannes, die Frau kann ihm hierbei nur rathen, und gewöhnlich
wird er auch ihrem guten Rathe gemäß handeln. Die Frau be-
sitzt also einen großen (oft den grösten) Theil der Macht, %.und mit
viel Bequemlichkeit. Bewunderns würdig ist die Einrichtung der
Natur, daß sie den Mann physicalisch stärker als das Weib ge-
bildet, ihn aber practisch schwächer gemacht, in Ansehung der Neigungen
Denn es ist gemäß, daß die Neigungen der Männer gegen die
Weiber die gegenseitige weit übertreffen; und dies ist's eben
was die Männer schwach macht.

/Die Natur wollte die vollkommenste Einheit beider Geschlechter
bewirken, zwischen ihnen die innigste Verbindung errichten, welche
nicht auf Willkühr, sondern auf Bedürfnißen beruhte, die durchaus
immer nur von dem andern erfüllt werden könnten. So macht das
wechselseitige Bedürfniß eine weit dauerhaftere Verbindung, als
sie bei der vollkommensten Eintracht statt haben könnte. Aber diese
Verbindung muß nicht allein ganz innig, %sondern auch moralisch %.und %.dauerhaft seyn,

/|PR_319_Z_9

/*1 daß kann sie nur
durch die Neigungen des
Mannes.

/δ_Z_17

/Der Mann bezeigt darinn
Schwäche, daß er %seiner Frau alle
Geheimniße entdekt, %.und %gewöhnlich
zu viel Leichtgläubigkeit
gegen das, was ihm das Weib saget,
zeigt. ~

/δ_Lage_QQ

/|P_320

/damit nemlich dadurch ihre Art nicht allein erzeugt, sondern auch
erhalten würde. - Dem Weibe ziert die Männlichkeit eben
so wenig, als die Weiblichkeit den Männern. Schrek und Furcht-
samkeit steht dem %weiblichen Geschlechte oft gut an, denn Männern nie.
Das Weib zeigt besondre Furcht vor körperlichen Verletzungen,
(diese scheint ihr die Natur deswegen eingepflanzt zu haben, damit
die Frucht nicht Schaden leide) dies zeigt sich vorzüglich in ihren Prü-
geleien, denn sie ziehn «¿st¿¿»dabei alle sehr die Köpfe zurük.

/ ≥ δ_60ste Stunde %Sonnabend %den 19. %Februar %von 9 - 10. ≤

/ ≥ Gegeneinandersetzung des Mannes und des Weibes. ≤

/Der Mann ist gegen das Weib schwach, weil er leicht zu erforschen ist,
und das Weib dagegen die Kunst sehr wohl versteht, eigne Geheimniße
bei sich zu behalten, aber auch nur eigne, fremde nicht so leicht. Der
Mann ist weit leichter zu bereden als die Frau, welche wenn sie sich
einmal einen Plan in den Kopf gesezt hat, auch gar nicht davon abzu-
bringen ist, und denn muß der Mann, welcher meistentheils den Haus-
frieden erhalten will, (dies ist bei den Weibern nicht so der Fall, denn
sie lieben wohl gar bisweilen den Hauskrieg als eine Art von Motion)
nachgeben. Der Mann der im öffentlichen Stande ungesellig, hart ist,
pflegt gemeinhin ein verträglicher Ehemann zu seyn. Noch ein
Mittel zur Schwächung des Mannes sind die Trähnen, welche dem
Frauenzimmer stets zu Gebothe stehn, %.und mächtig auf ihn wirken, sie
entwaffnen nemlich %dadurch den Mann %.und excitiren seine Großmuth.
Ferner haben sie von der Natur zu ihrer Vertheidigung eine %besondere
%Beredsamkeit (%besser Redseeligkeit.) erhalten, eine weise Anlage, denn
sie erheitern dadurch nicht allein %den Mann, sondern auch die Kinder würden
vielleicht gar nicht reden lernen, wenn sie nicht von Weibern

/|PR_320_Z_9

/Misogin heißt Weiberfeind.
Bei der Gegeneinanderhaltung sehn
wir daß kein Geschlecht Ursach hat,
sich vor dem andern %besonders zu rühmen. ~

/|P_321

/erzogen würden, welche nicht müde werden ihnen vom Morgen
bis zum Abend vorzuplaudern, wenn sie auch nichts verstehn, so
ahmen sie doch nach. (%.Anmerkung Ein Autor sagte bei dieser Gelegenheit, daß
auch Christus nach seiner %.Auferstehung zuerst %den Weibern erschienen wäre,
damit die Nachricht desto schneller unter die Leute käme.) Sie haben
eine besondre Fertigkeit sich von Dingen eine leichte superficielle Kenntniß
zu verschaffen, und darüber zu reden, wenn sie es auch nur halb wißen.
%.Ueberhaupt verschafft ihnen ihre %.Beredsamkeit %wirkliche Vortheile. Wenn z.B. ein
Handwerker eine %streitige Sache mit seinem Nachbar %oder einem Vornehmen
abzuthun hat, so schikt er weit lieber seine Frau, welche mit dem
Disputiren besser fortkommt wie er, und im Stande ist über %Kleinigkeiten
Stunden lang zu plaudern. In Ansehung der Neigungen ist das %weibliche
Geschlecht nicht so schwach als das männliche, denn die %weibliche Neigung
ist allgemeiner, und gegen einzelne Männer indifferenter, bei den
leztern aber ist's umgekehrt, ihre Neigung hängt sich an einen einzigen
Gegenstand, wenn sie darauf verfallen. Die Natur mußte auch
hierinn das Weib stärker machen, sie wären sonst, da sie physisch
schwächer ist, völlige Sklavinn des Mannes geworden. Das Frau-
enzimmer ist in der Wahl und Beurtheilung der Männer nicht
so fein, als diese in der Wahl der Weiber (d.h. im Ganzen) Es hat
hierinn einen etwas derben Geschmak, %.und kann leicht den einen
Mann vergessen, den andern lieben, dahingegen Männer, %besonders
in der Jugend, ehe sie zu reifer Ueberlegung kommen oft ihr gan-
zes Vermögen aufopfern, um blos einer Person, die ihnen
gefällt habhaft zu werden. Die Ursache des minder zarten Ge-
schmaks der Frauenzimmer <in Wahl der Männer> ist vielleicht diese, daß weil jene gegen sie

/|P_322

/betrachtet, größtentheils heßlich, sie alsdenn so leicht keinen
lieben könnten. Hingegen mußte die Natur den Männern hierinn
einen verfeinerten Geschmak geben, damit sie nicht umsonst die
feinen Gesichtszüge am Frauenzimmer verschwendet hätte; dieses
ist daher auch nicht bestimmt, Männer zu erwehlen, sondern
sich wählen zu lassen; deshalb muß auch ihre Neigung allgemein,
und nicht auf einen Mann geheftet seyn; wäre dies leztere so
würden sie sich schwach machen, denn jeder der einer Neigung nach-
hängt zeigt Schwäche. Mit vieler Weisheit hat daher die Natur
ihnen die Stärke mitgetheilt, gleichgültige Mienen anzunehmen,
ob sie gleich oft, für Begierde brennen, einen Mann zu heyrathen.
Man kann es den Frauenzimmern nicht übel nehmen wenn sie et-
was coquet sind (nur nicht über die Grentzen) denn sie sollen
continuirlich gefallen, weil es geschehen kann, daß der Mann stirbt,
und sie keine Quelle des Unterhalts mehr haben, und also eines Be-
schützers bedürfen. - Aus diesem allem leuchtet die weise Sorge
der Natur für Erhaltung der Art her«f»vor, Diese %.philosophische
%.Betrachtung über den Geschlechtercharakter ist sowohl in Ansehung unserer
künftigen Führung als auch Erziehung der Kinder nützlich. Hume führt
an, daß jedes Frauenzimmer, ja selbst die älteste Iungfer
alle Satyren %.und %höflichen Spott über ihr Geschlecht verzeihen,
nur nicht über den Ehestand, dem sobald auf diesen losgezogen
wird, bringt man sie ausser Fassung, dies ist ist sehr natürlich
denn durch Aufhebung des Ehestandes möchte ihre ganze Würde
herabgesetzt werden, welche doch nur darinn besteht, daß Männer

/|P_323

/gezwungen sind sich mit ihnen ehelich zu verbinden. Außer diesem,
wenn die Ehen sollten seltener werden, so würde das Frauen-
zimmer in wohlfeilerem Preise, also das elendste Geschöpf
seyn, und ihr Werth würde gänzlich fallen, wenn sie blos dem
Appetite der Männer würden zu Gebothe stehn müßen. Die
Frau wird durch die Ehe freyer, denn jetzt ist ihr vieles erlaubt,
was ihr vorher unanständig war, auch ihr Vermögen wird nur durch
den Mann nachdrüklich. Die Herrschaft im Hause muß der Mann
die %Regierung %oder Verwaltung %die Frau führen, d.h. ersterer sieht aufs
Ganze, schafft das nöthige herbei, leztere ordnet den Gebrauch ver-
wendet es zum Genuß pp - Ein junger Mann ist allezeit Herr über
die ältere Frau, und umgekehrt. - Wir wißen daß jederzeit der,
welcher nicht zahlen kann sehr höflich ist; daher man auch bei einem
Kaufmann leicht 2 Leute davon der eine bezahlen kann, der andre
auf Credit nimmt, unterscheidet, denn jederzeit ist der leztere
submisser. Eben so geht's mit den Ehen, %.und es ist kein Wunder, wenn
als denn die Frau die Herrschaft führt, wenn der Mann nicht
zahlen kann. Hieraus sieht man, daß die vorhergehende Iugend
des Mannes das Mittel der Herrschaft im Hause sey; derjenige
also, der ins künftige nicht ein Sclave seiner Frau seyn, und keine Ge-
bieterinn sondern eine Gesellschafterinn an ihr haben will, muß im seiner
Iugend alle Ausschweifungen vermeiden. Führt aber die Frau wider die
Natur die Herrschaft im Hause so geht alles verkehrt zu. Denn selbst
der gröste weibliche Verstand ist von ganz anderer Beschaffenheit als
der %männliche. Eine Frau ist immer geschikter, Mittel zu einer Absicht zu
finden, der Mann aber besitzt mehr gesunde Vernunft zu Errichtung

/ eines

/|P_324

/eines Zweks. Die Weiber sind erfinderisch, aber nicht so
gut in der Execution. Es ist aber in der That die gröste Unehre
für einen Mann, wenn er von den Einfällen seiner Frau abhängen
soll. Das Frauenzimmer weis wohl daß es in die Rechte des Mannes
greift, wenn es sich die Herrschaf anmaßt, denn wenn es den
Mann ins Verderben gestürzt hat, heißt es, du bist Mann %.und hättest
das wissen sollen, pp. Der Hauptendzwek des Frauenzimmers
ist der Glanz, womit sie andre zu verdunkeln suchen, z.E. bei Fêten,
ihre Bemühung geht dahin daß sie gut in die Augen fallen, %.und diesen
Instinct hat ihnen die Natur deshalb gegeben, weil sie gewählt
werden sollen. Sie sind beständig delikater auf die Titel
und den Vorzug als die Mannspersonen, denen der Werth der Titel
das Wohlgefallen ihrer Frauen ist. Ie zweideutiger der Unter-
schied zwischen 2 Ständen ist, desto erpichter ist jeder auf Vorzüge.
Die Grafen werden immer vertrauter mit einem bürgerlichen
als mit einem Edelmann umgehen, weil sie glauben, daß dieser
sich eher könnte eine Vergleichung mit ihm einfallen lassen, als
jener. Der Unterschied des Standes beim Frauenzimmer ist sehr
klein, weil ihr Stand in Ansehung der Erbfolge von keiner Wirkung
ist. Die Mannspersonen betrachten sie nach ihren unmittelbaren
Werth, und daher verdienet auch ein schönes artiges %.Frauenzimmer
wenn gleich von niederm Stande, eher eine Prinzessin zu werden,
als ein vornehmes ohne Verdienste. Ein vernünftiger Mann wird
auch bei seiner Vermählung gar nicht auf den Rang des %.Frauenzimmers
sehn, welchen er ihr überdies selbst geben kann; auch schikt sich das %.Frauenzimmer

/|P_325

/besser in alle Stände als der Mann. Da also das Frauenzimmer
dem Range nach so wenig unterschieden ist, ist seine Ialousie
um so viel stärker. Wir bemerken daß das Frauenzimmer karger
als die Männer ist, überhaupt ist diese Sparsamkeit wenn sie nicht
ausschweift, sehr nützlich, da der gröste Theil selber nichts verdienen kann.
Das Geld wofür sie sich Bänder kaufen ist ihnen gleichsam ans Herz
gewachsen, %.und nur für Putz geben sie es aus. Dem Manne hingegen
steht die Freigebigkeit gut an, obgleich man den welcher karg ist, einen
guten Wirth nennt welchen Namen doch eigentlich nur der ver-
dient, welcher andere gut aufnimmt. Alles Frauenzimmer
inclinirt zum Geitze, und wenn es ja etwas giebt, so ist es ent-
weder etwas, das es gar nicht braucht, oder das ihnen gar nichts
kostet. Auch hier muß man die vortreffliche Einrichtung der Natur
bewundern, welche gewollt hat, daß derjenige Theil des %.menschlichen Geschlechts,
der nichts erwirbt, auch nicht freigebig seyn soll. Es ist so gut, daß
der Mann freigebig und die Frau karg ist, daß oft blos dadurch ein
Haus in Aufnahme kömmt. Es giebt eine doppelte Art zu wirthschafen,
nemlich, viel auszugeben wenn man viel, %.und wenig, wenn man wenig
erwirbt, oder 2 daß man faul ist und spart. Das lezte ist
eine plumpe Art Vermögen zu erwerben. Das Frauenzimmer
ist zum Verwahren mehr geneigt, daher sie auch weit mehr Kästchen,
Schachteln und Schlüssel haben, weil ihnen die Ordnung im Hause anvertraut
wird - Hierinn giebt es einen modischen und persönlichen Geschmak
(in Absicht auf Reinlichkeit %.und Ordnung) leztere haben meist die Männer,
er geht nur blos auf %Reinlichkeit ihres Körpers, um das Haus kümmert sie %sich wenig.

/|PR_325_Z_3

/daher es auch noch lieber
als sie Geschenke nimmt, weil
es %dadurch zu %nichts obligirt wird. ~

/|P_326

/Desto mehr sieht das Frauenzimmer darauf daß alles was
in dem Hause in die Augen fällt, reinlich ist, und zeigt %dadurch
modischen Geschmak. Ueberhaupt geht beim %.Frauenzimmer alles auf
%den äussern Schein: Der Mann aber sieht mehr auf Soliditaet,
beide besitzen Ehrliebe und Ehrbegierde, aber alle Eigenschaften
die sie gemein haben, sind doch ganz unterschieden, denn der Mann
sieht darauf, was man von ihm denkt, die Frau aber darauf
was man von ihr sagt, und dies macht eine große Verschiedenheit
des Ehrenpunkts zwischen Mann und Frau aus. Wie kommt es, daß
das Frauenzimmer die Schmeicheleyen des Mannes nach den
Worten aufnehmen kann, und was ist die Ursache dieses %unauf-
hörlichen Tributs? - Der Mann giebt sich selbst den Werth, der Werth
des %.Frauenzimmers aber hängt von der Neigung der Mannspersonen, und
von dem, was diese ihnen sagen ab. Hätte aber das %.männliche Ge-
schlecht keine Neigung gegen das Frauenzimmer, so wäre es sehr zu beklagen.
Das Frauenzimmer weis auch gut, daß die Schmeicheleyen ein
Tribut sind, sie sind sogar stolz darauf, %.und die Männer
billigen dieses. Das Frauenzimmer glaubt - selbst übertriebene
Schmeicheleyen würklich, sind versichert daß sie gegen den %oder jenen
eine Zauberkraft besitzen; wozu sie auch den Grund haben, daß die
Neigungen der Männer wirklich unter keine Regel gebracht wer-
den können. Man bemerkt ferner daß das %.Frauenzimmer %die %.Verdienste nicht nach %dem
innern Werth schätze, %sondern nach %ihrem %Verhältnis auf sie %selbst. Sie selber verlangen eben nicht
die %Verdienste %sondern %einen %.Menschen %.der sie besitzt.*1 Diese verschiedne Schätzung der Verdienste
aber macht eine große %.Verschiedenheit in %.Ansehung %der Moralitaet %der Handlungen.
Aber %dieser %Zwiespalt %der Natur %.zwischen %den %.Geschlechtern ist wichtig, %.und die Kenntniß davon hat
im Umgange %.und in der Erziehung beträchtlichen Einfluß. (%Einf@ügung@ %.von H G. A)

/|PR_326_Z_18

/%Frauenzimmer %werden %durch %.Schmeicheleyen und
Geschenke leicht verführt - denken
es %sey Schande einen %solchen %Menschen fahren zu
lassen, in dessen Augen sie eine
Göttin ist - %.und so ist es gefangen.

/

/

/*1 anders denkt der Mann, denn
wenn er z.B. mit seiner Frau
die Schilderung eines %großmüthigen
Mannes lieset, so wird er
denken, ach wärest du doch auch
so, die Frau aber wünscht nur
%.einen %solchen %.Mann zu haben, ist %zufrieden
%.wenn sie von eines %andern %Verdienst pro-
fitiren kann. ~

/|P_327

/Ein Engländer sagt, eine gute Hausfrau muß seyn wie
3 Dinge, aber auch nicht seyn wie dieselben 3 Dinge:

/1.) Seyn wie eine Schneke, d.h. häuslich; nicht %seyn wie eine %.Schneke d.h. nicht alles auf sich tragen.*1

/2.) - - - - - - - Stadt«f»uhr. - - %ordentlich - - - - - - - - - - Stadtuhr - daß nicht %.gleich %die %ganze %Stadt alles erfährt.

/3.) - - - - - - - Echo - nicht zuerst, @%ihres@ %.Mannes Wort %reden - - - Echo - - nicht immer das lezte Wort behalten.

/Der beleidigte Mann ist leicht zu versöhnen, nicht so die
beleidigte Frau, diese ist in den meisten Fällen gar nicht zu ver-
söhnen, dies kommt von der Schwäche her. Das Weib will herrschen,
und sonderbar, der Mann läßt dieses nicht allein zu, sondern
will auch beherrscht seyn. Er wünscht es sehr daß ihm seine
Geliebte etwas befiehlt. «s»Dies findet auch noch einigermaßen im
«Ritter»Ehestande Statt. Daher die Galanterie zur Zeit der Ritter
schaft, welche gleichsam im Dienste der Damen stand. Das weib-
liche Geschlecht kommt weit früher als das männliche zum Selbstbesitz,
so daß es in Gesellschaftern bessern Anstand, und weniger %.Verlegenheit
zeiget, überhaupt gelangt es eher zur Reife, wenn z.B. der Bruder
noch kein Geld halten kann, so kann man es der «ältern» <jüngern> Schwester
schon anvertrauen. Das Frauenzimmer rechnet auf jemandes
Achtung durch die Vorzüge ihres Geschlechts. Der junge %Mann dagegen
besorgt immer ihm werde die Achtung nicht zukommen, er habe sie nicht
erworben. Haller führt an, daß das %weibliche Geschlecht nicht den
großen Hang zum männlichen habe, als dieses zum weiblichen. - 
Verliebt thun ohne es zu seyn, %oder große Ergebenheit beweisen, ist
Galanterie. @Einem Mann@ von Verdienst sollte man glauben, müsse das

/|PR_327_Z_3

/*1 d.h. nicht zu viel
Geld auf Putz
verwenden.

/

/

/Man sagt der %.theologische
und Weiberhaß sind
unversöhnlich. ~

/δ_Lage_RR.

/|P_328

/Frauenzimmer achten, aber sie sieht ihn wie ein Spielwerk an, weil
sie weis sie kann ihn sie kann ihn zusammt seiner %.Gesch@ichte\äfte@ fangen, weil er
Gunst %.und Liebe verlangt. Der junge Mann ist geneigt sich phan-
tastische Vollkommenheiten von Frauenzimmer vorzustellen, und
diese werden durch Romane erwekt. Das %weibliche Geschlecht
steht gegen einander in sehr großer Rivalitaet. Wenn Rousseau
sagt, die Cultur des %.männlichen Geschlechts beruhe sehr auf der
des weiblichen, so redet er wahr.

/ ≥ δ_%.Mittwoch %den 22ten %.Februar. 61sten Stunde. ≤

/Es ist eine Frage welches von beiden Geschlechtern schöner ist, zwar
behaupten wir dies von dem weiblichen, aber unsre Begriffe sind
mit Wollust verbunden - wir wollen den Alten folgen, deren
Beurtheilung vom Schönen immer Regel des Geschmak«t»s und mit keiner
Begierde verbunden war; und eben diese Alten, die Griechen
und Römer, wenn sie eine schöne Figur darstellen wollten,
wählten stets die männliche Gestalt, indem sie dieser den ganzen
Ausdruk von Kraft des Körpers und Geistes beilegen konnten,
darinn haben die Alten weit besser gethan, indeß die Neuern, um
eine Schönheit aus zudrücken, sich immer des Geschlechtsreitzes bedienten,
z.B. der Venus welche die Alten sittsam vorstellten, immer etwas
anziehendes beilegen. Man kann aber die Weiber das schöne Geschlecht
nennen, wegen der mit ihrer Schönheit verbundenen Nützlichkeit,
weil sie nemlich in der That das Mittel sind wodurch alles in
der Welt verschönert wird. Der männlδ_Läsion Verstand hat nur

/|PR_328_Z_17

/Winkelmann von den
Künsten der Alten ~

/|P_329

/einen Maasstab, er nimmt alles aus sich selbst. Der %weibliche
richtet sich nach dem Ton - Beispiele pp Vom Manne wird viel
Selbstdenken in der Religion erfordert; die Frau aber, die dieses
thut, geht aus ihrem Kreise heraus, sie wagt auf ihre Gefahr, und
dies ist wider ihre Geschlechtseigenschaft, Behutsamkeit. Ihre Regeln
In Ansehung des Verstandes ist: Was alle Welt sagt ist recht. - - 

/- - - - - Sitten - : Was alle Welt thut ist Recht. Die specifische
Qualität und Haupttugend des weiblichen %.Geschlechts ist Sittsamkeit. Das
Ehrgefühl muß bei ihnen von Iugend auf sehr erhöht werden. Eine
Frau kann sich nicht so wie der Mann, über die Sagen andrer wegsetzen.
Sie muß den Schein der Tugend und Anständigkeit, der %wirklichen gleich achten.
Dagegen geht der Mann blos auf wirkliche Ehre Tugend pp und kümmert
sich nicht um das was andre davon sagen. Der Mann hat Verstand
für den Zwek, das Weib für die Mittel. Ueberhaupt beweisen
%Frauenzimmer in Intriguen ungleich mehr Geschiklichkeit als Männer,
verstehen sehr wohl die Kunst andre Menschen mit in ihre Absichten
einzuflechten, und wären überhaupt ganz treflich in Gesandschaften
zu gebrauchen, wie man dieses auch aus dem Beispiel der %.Madame
D'Eon ersehen hat, die unter männlichem Nahmen mit so großem
Glück negociationen getrieben hat. %Frauenzimmer können weit leichter
als Männer reden, welches sie auch weit lieber thun ihr natürliches
Talent ist oft würkliche Beredheit; daher zeigen sie auch so viel
Talent im Briefschreiben, welches auch diejenigen die wenig, selbst
nicht in der Ortographie unterrichtet sind, zeigen. Was die %Empfindung
anbetrifft, so könnte wohl die Zartheit von der Zärtlichkeit %unterschieden werden,

/|P_330

/so wie die Empfindsamkeit von der Empfindlichkeit. Von Frauen-
zimmern sagt man, sie sind empfindlich zärtlich, d.h. sie werden
in dem was Leid und Freude betrifft, leicht afficirt, Dies muß
man aber von einem Manne nicht sagen können, «s»doch muß er
empfindsam und zart seyn, damit er Feinheit genug besitzt, sei-
ner Frau Unannehmlichkeiten zu ersparen; dies ist eine Delikatesse
worin Großmuth liegt. Iede Sehnsucht mit dem Bewustseyn
der Ohnmacht bringt Seufzen und Thränen hervor.

/Der Mann hat Geschmaksneigung, nicht so das Frauenzimmer,
welches auch überdies selbst Gegenstand des Geschmaks ist. Sie
hat zwar ein Geschmaksurtheil, aber aus blosser Parade, nicht
aus Neigung. Diese geht eigentlich nur auf Eitelkeit - das
Verlangen, andern zu gefallen; der Mann paradirt durch
seine Frau. Im Häuslichen ist des Mannes Wirthschaft
erwerben, des Weibes - ersparen. (Dies Ersparniß geht in
vielen Fällen soweit, daß sie nicht einen Bissen Essen, %oder alte %.Kleidungsstüke umkommen lassen.

/- Ie weniger Vermögen einer hat desto mehr ärgert er sich
über den Mächtigern, besonders wenn er ihn überwältiget.
Hieraus erklart es sich auch, daß kleine Leute so karsch sind.
Der Mann ist eifersüchtig wenn er liebt, die Frau selbst
denn wenn sie nicht liebt, %.und was das sonderbarste ist, auch auf
andre Frauen - sobald eine andre Person bewundert wird,
ist dies für sie schon eine Art von Laesion. Auch während der Ehe
sucht die Frau zu gefallen, (damit wenn ihr Mann je sterben «w»sollte,
sie nicht sitzen bleibt) die meiste Zeit geschieht dies aber gar nicht in der

/|P_331

/Absicht, der Person besondre Neigung für sie einzuflößen (Diese
unaufhörliche Ausübung ihres Vermögens zu reitzen, wird nicht übel
durch - erobern ausgedrükt. Ist diese Eroberungsbegierde sichtbar,
so nennt man sie Coquetterie (Buhlerei ist dafür ein ungeschiktes Wort.)
Die Frau sucht das häusliche Interesse,*1 der Mann wohl auch,
aber im äussern Verhältniß gegen andre als Bürger des Staats.

/ ≥ δ_62 Stunde %.von 9 - 10. ≤

/Einige Anmerkungen: Das %.Frauenzimmer bildet sich zum Theil selbst,
was Erziehung anbetrifft, früher geht die %Entwikelung ihres %.Verstandes vor sich.
Ueberhaupt reift das %weibliche Geschlecht weit früher als das
männliche. %.Wissenschaften schiken sich eigentlich nicht für Frauenzimmer,
sie haben die Bücher so wie die Uhren (die selten aufgezogen sind)
nur um daß sie sie haben. Sie sind durchgängig unter sich rival,
daher auch weibliche Personen über andre ihres Geschlechts weit
strenger richten, als wenn es Männer thäten. Natürlich kommen
sie sich sehr oft ins Gehege,*2 weil jede den Einfluß ihrer Reitze
auf das gänze %männliche Geschlecht extendirt. - Die Vielweiberei
im Orient zeigt den Mangel alles Geschmaks. Man nöthigt hier
die Weiber sich in Harem's einzusperren. ($ginykonitis$.)
Die Weiber vertragen schlechterdings nicht den Spott über ihr
Alter, weil sie als denn nicht mehr zum Zweke taugen. Die
Ausschweifungen des %weiblichen Geschlechts in ehelosen Zustande
ziehn nach sich, daß auch nicht die geringste Nachfrage nach ihnen
mehr geschieht, beim %männlichen findet dies nicht statt. Die Person
welche die andre zur Ialousie erregen kann, pflegt zu herrschen,

/|PR_331_Z_2

/Leute ohne Absicht
gewinnen.

/

/

/*1 was bei der Frau
noch hinzukommt, als
Gesellschafterinn.

/(NB Nach Kant verdienen
Xantippe %.und Hiobs Weib
nicht den Tadel, den man %ihnen
%gewöhnlich beilegt«,». Sie sollen
nur %.häusliches Interesse ge-
sucht haben.)

/

/

/

/*2 bei Männern ist dies
nur höchstselten der
Fall. ~

/|P_332

/Auf die Klage der Frauenzimmer, daß die Männer sie zur Zeit
der Erwerberung so sehr mit Schmeicheleyen überhäufen, und dagegen
nach der Hochzeit sich weit kälter betragen, ist wohl die natürlichste
Antwort: es kann nicht anders seyn, denn im Prospect ist alles
angenehmer und reitzender, als hernach der Genuß selbst.

/Wer soll Herr in den Ehen seyn? - Wir haben davon schon
oben gesprochen - auf galante Weise aber kann auch die Frau herrschen,
(weil nemlich die Neigung herrscht) und der Mann regieren (weil
der Verstand immer regieren muß.) Wer Gesetze giebt, herrsche
wer sie aber verwendet, den Fall dafür bestimmt, und eigentlich
zeigt, wie man handeln soll, dazu gehört mehr Klugheit, und
dies kann nur der Mann. Bei sehr verkehrten Herrschern, aber
sehr klugen Regierern (die das Gesetz zu modificiren verstehen)
kann der Staat doch bestehn. Eben so geht es auch im kleinen mit der
Wirthschaft. Der Mann muß mit Höflichkeit die Wünsche *1 seiner
Frau lenken. Ein blöder Mann gefällt Frauenzimmern nicht, und
zwar weil er der bewerbende Theil ist, lieben sie an ihm etwas Erdreustung.
Eifersucht ist entweder mistrauisch, oder blosse Intoleranz. Ein %.Mann
der intolerant in der Ehe ist, kann doch ohne Mistrauen sein, er handelt unbillig.
Der Vater verzieht die Töchter die Mutter die Söhne %besonders die lebhaften,
welche Eigenschaft das Frauenzimmer überhaupt gern an Mannspersonen
sieht. Der Vater sieht (falls die Mutter stirbt) in der Tochter die künftige %Hauswirthin.
Die Mutter nach des Vaters Tode in ihrem %erwachsenen Sohn einen Beschützer.
Der Ehrenpunkt des %weiblichen %.Geschlechts besteht nicht allein in der Moralitaet,
%sondern auch in der Nachrede. Ein %Frauenzimmer glaubt, wenn es ein Laster begeht, das %.ganze
Geschlecht %dadurch zu beleidigen.*2 Sie müßen sich daher ohne Ehe nicht weggeben als
die einzige Bedingung unter der sie einen Werth haben.

/|PR_332_Z_15

/*1 es taugt nicht wenn die
Frau so eingeschränkt ist
daß sie nicht einmal Wünsche
äusern darf.

/

/

/Ein toleranter %Ehemann sezt
seiner Frau nicht zu enge
Schranken %gegen andre. %Intoleranz
ist die Ursach von %der %Stiftung %der Ehen

/

/

/

/

/

/*2 Daher die Kindermorde. ~

/|P_333

/ ≥ δ_69ste %.Stunde ¿ den 25sten ¿ %von 8 - 9. ≤

/ ≥ III. Charakter des Volks

/oder der

/Nationen. ≤

/Hume und viele andre haben völlig läugnen wollen daß es Natio-
nalcharakter gäbe, aus der Ursache, weil uns oft etwas gleich zu
seyn scheint, wobei wir doch wenn unsere Erkenntniße davon er-
weitert sind, viele Unterschiede Bemerken. Es bleibt also die Frage:
Hat jedes Volk einen Charakter, etwas allgemeines, angebohrnes.
Das nicht von zufälligen Eindrüken, oder gar von der Regie-
rungsform abhängt? - Vorher wollen wir nur bemerken, daß
unter %.National_Charakter nicht verstanden werde, daß jeder von dem
Volke denselben haben müsse, %sondern nur etwas %vorzüglich abstechendes
da nun unser %.Temperament (worauf doch so sehr die Gesinnungen
des Gemüths %oder %eigentlich unser Charakter, beruhen) zum Theil aus der
Complexion herkommt, und diese nach %.Verschiedenheit %der %.Blutmischung
der Bildung des Körpers, und der Reizbarkeit der Nerven
unter verschiedenen Climaten auch sehr verschieden ist, so ists
wohl nicht zu läugnen, daß es einen %Nationalcharakter gebe, denn
die Keime des %Charakters kommen immer auf die Complexion an. Der
%.Engländer Lund behauptet in %seinem Buche von %den %Krankheiten der Europäer pp
behauptet, daß auch eine corrumpirende Luft besondre Wirkungen
habe, welches an dem Unterschied zwischen den Negern die auf Bergen,
%.und %denen, die in niedern Gegenden erzogen worden, sehr merklich zu sehen ist.

/|P_334

/- Manche sagen, das Volk ist das, was die Regierung aus ihm
macht. Dagegen aber kann man einwenden daß die Beschreibung
welche Caesar von den alten Galliern und Tacitus von den
alten Germaniern giebt noch heutiges Tages in vielen Stüken
auf die nunmehrigen Franzosen und Teutschen paßt. Wir müßen
insbesondre bei der Verschiedenheit oder Aehnlichkeit des Characters
mehrerer Völker, Rüksicht auf ihre Abstammung nehmen, so
sind die Schweden und Russen, obgleich unter einem Clima wohnend
von so verschiedenen %.Charakter, weil sie nemlich von %.verschiedenen Völkern abstammen.
Die Deutschen haben sich unter Franzosen, Italiänern, %Engländern
allenfalls auch Spaniern in Menge ausgebreitet - unter
alle diese Länder hat der Deutsche sich gemischt, sie erobert
und dennoch den Schlag ihrer Bewohner fast gar nicht verändert;
sie selbst hingegen scheinen immer von ihnen profitirt
zu haben; dies sieht man zum Theil schon daraus, daß die Sprache
der überwundenen Völker, welche doch gewiß zu ihrer Culδ_Lücke
geschikter war als ihre eigene, stets die herrschende blieb.

/Wir können sagen daß wenn alle Personen einer Nation
eine besondere unδ_Läsionnterschiedenen Charakter haben, die ganze
Nation eigentlich keinen habe, wie dies auch würklich mit den
Engländern der Fall ist. Bei den Franzosen ist das Gegentheil,
jeder einzelne hat keinen bestimmten %.Charakter alle sind variabel
und daher hat die Nation einen Charakter; da sich überdies von
diesem beinahe am meisten sagen läßt, wollen wir auch anfangen mit:

/|P_335

/ ≥ I. Frankreich. ≤

/Die Franzosen haben einen ausserordentlichen Hang zur Geselligkeit,
ein jeder sucht immer die Form des andern anzunehmen, und ihn nach-
zuahmen, und schon daraus ersieht man, daß keiner einen Charakter
hat, welcher ganz und gar von dem eines andern unterschieden wäre.
Man kann Frankreich nennen das Land des Geschmaks, aber nicht so
in Ansehung der Sachen, als in Ansehung der Conversation, worinn
hier gar kein Ceraemoniel statt findet. Diesen Converstationston zu
lernen muß man nothwendig in Frankreich gewesen sey, denn
alle andre Länder sind darinn nur Schüler. Für Frivolitaet
haben wir kein rechtes deutsches Wort, es ist die Eigenschaft kleine Dinge
groß und große Dinge klein zu machen - auch nur den Franzosen %eigenthümlich.
Sie können die Gesellschaft mit einer solchen art von Leichtsinn ausser-
ordentlich animiren. Die eigentliche Galanterie - Conduite, die
Art sich wichtig zu machen ist auch ganz Produkt der Franzosen,
eben so wie der Ausdruk Petit Maitre der das eben gesagte vor-
züglich bezeichnet. Sehr uneigentlich ist dafür das Wort Stutzer, der
sich steif aus geputzet hat, denn zur Zeit %Ludwig_14., verstand man unter
Petit Maitre diejenigen die sich den Anschein gaben als wären sie
von großem Einfluß, wüßten wichtige Geheimniße pp. Das Point
d'honneur ist bei den Franzosen sehr groß, es geht bis auf den gemein-
sten Soldaten, daher sind auch hier Duelle so häufig. Es ist nicht Ehr-
liebe, sondern wenn man große Wichtigkeit auf seinen Ehrenruf
setzt. Es ist eigentlich ein Punctum Iuris, oder Casus Conscientiae.

/|PR_335_Z_6

/Dieser Conversations-
geschmak erfordert
eine Anständigkeit, welche
die Franzosen gar sehr
beobachten. ~

/δ_Lage_SS.

/|P_336

/Man kann Frankreich das Land der Moden nennen. Mode
ist Manier sich zu zieren - ein Gegenstand der Nachahmung ums
Geschmaks willen ohne Gebrauch zu werden; (denn sobald dies geschieht,
ist's nicht mehr Mode)*1 ferner muß er veränderlich seyn. Ehedem sezte
der Franzose darinn die gröste Ehre, von seinem Könige gekannt zu
seyn, weil dieser alles, und sie nichts vermochten. Dieses hat sich
aber seitdem gar sehr geändert, und jetzt ist es fast das gänzliche
Gegentheil, und dies läßt denn wohl auch in verschiedener Rüksicht
eine Veränderung im Charakter des Franzosen vermuthen. Gewiß
wird es immer den Franzosen characterisiren, daß er einen äußern
Schein um sich macht. Persönlich ist der %.Franzose %durch seine Manieren beliebt,
übrigens ist er aber von dem Vorzuge seiner Nation so sehr
eingenommen, daß er alle andre dagegen verachtet. In der That
ist er der größte Egoist - obgleich seine Sprache dem äußern
Scheine nach die theilnehmendste ist. Die Eturderie @sich@ mit Fleiß
andern vorzuziehen das air dègagé ist nur ihnen eigen, sind sind
zwar mäßig aber nicht reinlich. Das Spielen mit Floskeln, Einfällen,
Embellissements, auch in den wichtigsten Fällen verliert er nie. Ihre
Munterkeit hält sie vor dem Genuß schadlos. Bon mots *2 sind bei
ihnen von der grösten Wichtigkeit. Ihre Weiber sind nicht so schön
als sie angenehm sind. Sie sollen mehr Soliditaet der Denkungsart
haben, als ihre Männer. Rousseau sagt sie wären vernünftig wenn auch nicht häuslich.
Ihre Criminalgerechtigkeit ist Härte die Bastille, Schiksal des %.unglüklichen Calas. ¿
Der %.Franzose hat eine Menge %.von Tugenden, aber aus andern Principien. Was andre aus
%.Grundsätzen sind ist er oft nur aus Eitelkeit nemlich: höflich, gesellig, ehrliebend, patriotisch pp.

/|PR_336_Z_4

/*1 denn wäre es Gegenstand
des Interesse, nicht des
Geschmaks.

/δ_Z_19

/*2 Im Deutschen etwa Witzsprüche.

/

/≥ δ_64ste Stunde, %von 9 - 10. ≤

/

/2. Dieser Wiederspruch ist
mit ihrem Leichtsinne %.und Leb-
haftigkeit gut zusammen zu
reimen. ~

/|P_337

/ ≥ II. Spanien. ≤

/Die Spanier unterscheiden sich ganz ungemein von den Franzosen.
In Castilien muß man den ächten Schlag der Spanier suchen,
nicht in und um die Seehäfen. Die Grandezza ist Air der Größe,
ein Rang der was sehr wichtiges vorstellte. Ihre große Ernsthaftigkeit
scheint einigermaßen noch aus dem maurischen %oder saracenischen
Blute herzustammen. Schon ihre Sprache hat Grandiloquenz - etwas
hochtönendes was ihnen gut ansteht. Der geringste Bauer spricht ohne
Verlegenheit mit den Vornehmsten, ja selbst mit dem Könige. Sie bleiben
gern beim Alter, sind überhaupt das Gegentheil von den Franzosen
auch in dem Punkt da sie aus den wichtigsten Dingen Bagatellen machen.
In Spanien giebt es wenig <(%oder doch nicht zu viel)> Reiche, nur diese sind es auch in %ausserordentlichem
Grade z.B. der Ducvon Medina_Sidonia. Sie reisen fast nie ausserhalb
Landes, lernen auch keine fremde Sprachen.*1 (%.Anmerkung Andre Nationen,
z.B. Indostaner, Perser, können nicht begreifen, warum Europäer so weite
Reisen thun, um z.B. eine Statüe zu sehn %oder %.der %.gleichen und glauben immer daß eine andre
Ursache zum Grunde läge, etwa Schätze graben, - man zeigt ihnen die leeren Hände
dann erwiedern sie, daß man es wohl verstehen würde sie unter der Erde fortzuschaffen)
In %Wissenschaften sind %die Spanier sehr zurück, alle ihre Litteratur schränkt sich auf %.Religion ein.
Ob bei ihnen der Stolz die Faulheit, %oder diese Stolz verursacht, ist unaus gemacht.
Doch könnte man wohl sagen, daß ihre Armuth auf Faulheit, %.und diese auf
Stolz beruhe. Aus Ueberlegung haben die Spanier Hang zur Grausamkeit.
Sie haben aber auch %rühmliche %.Eigenschaften als die Ehrlichkeit; die %ehrlichsten %.Kaufleute sind %die spanischen.
Wenn die Musik ihres Fandangotanzes *2 gehört wird so ist nichts vermögend sie zu
halten, alles läuft hin. Alle ihre Freuden sind immer mit Pomp verbunden,
also hat die Nation keinen eigentlichen Hang zur Lustigkeit.

/|PR_337_Z_12

/*1 Lezteres thun die %Engländer
auch nicht, aber sie reisen
desto häufiger, %gewöhnlich
sind 10000 %Engländer ausserhalb
Landes auf Reisen. 1777
waren allein zu Paris
3000.

/

/

/

/

/Man erstaunet wenn man
hört, Spanien werde zu
den ärmsten Ländern
wie Polen gerechnet,
allein sie müssen vor %.Fa-
brikware ihre Schätze geben.

/*2 er ist uralt, %und schreibt
sich noch von den Mauren her. ~

/|P_338

/ ≥ III. Italien. ≤

/Die Italiäner haben eine vorzügliche Lebhaftigkeit aber mehr durch
Klugheit geleitet als die der Franzosen. Sie zeigen viel Affect und
starken Ausdruk in den Mienen. Zu Rom und Neapel geht fast kein
Tag ohne eine Mordthat vorbei, dies ist sehr natürlich wegen ihrer
ausserordentlichen Heftigkeit, da über einen unbedeutenden Streit
sogleich ein Duell entsteht, und weil niemand den Sbirren ins Amt
greifen (d.h. die Mörder anhalten) will, weil man sie für halb unehrlich
hält; dazu findet jeder Mörder im nächsten Kloster sein zuflucht.
Wie Rousseau sagt, schlafen die Italiäner in Ratzennestern.
Ihre Conversationen sind an gewissen Tagen in der Woche; sie leben fast
von Chocolat wenn sie viel Visiten machen, denn allenthalben wird
sie presentirt. Ihre meisten %.und liebsten Beschäftigungen zwecken
auf öffentliches Aufsehen ab z.B. ihre Schauspiele, Maskeraden,
Carnaval, Proceßionen, Pferderennen, prächtige Häuser pp. - 
Cicisbeo eigentliche ein Flüsterer, eine Gewohnheit einzig in ihrer Art.
Sie haben einen vortreflichen Kunstgeschmak, «%.sich» sind sehr überlegend
und erfinderisch. Die Banken, Buchhandlungen, Lotterien, Wechsel pp
sind Erfindungen der Italiäner. Die %italiänische Buchhaltung ist eine
besondre sehr wohl ausgedachte Ordnung. Sie haben systematische
Verschlagenheit, oder tiefgelegte Schlauigkeit (%.vide hierüber Pufen-
dorfs Geschichte pp) Durch Banditen oder gedungene Meichelmörder
andre aus dem Wege räumen zu lassen, und Giftmischereyen sind in Ita-
lien recht zu Hause. In %.Wissenschaften beweisen sie %.Bedachtsamkeit %.und Gründlichkeit. In %.Frankreich
hat der gemeine %.Mann mehr Conduite, in %.Italien mehr Kunstkenntniß als in irgendeinem
%.andern Lande. Beide sind immer zufrieden.

/|PR_338_Z_15

/Nirgend ist so viel Ar-
chitectur verwandt als
in Italien.

/δ_Z_24

/Häuflers %.Reisebeschreibung
%durch Italien u.a.m. ~

/|P_339

/ ≥ δ_%.Mittwoch %den 29ten %Februar %.von 8 - 9 die 65ste Stunde. ≤

/ ≥ IV. England. ≤ (%.Großbritanien kann man nicht %füglich hier nennen %wegen %des %.Unterschieds %zwischen %.England %.und %.Schottland)

/Die Engländer selbst sagen, daß weil jeder einzelne einen eigenen
Charakter hat (affectirt) die ganze Nation keinen habe. Dazu trägt
die Freiheit viel bei, die ihnen persönliche Würde giebt. Er hat Antheil
an der Regierung, oder glaubt ihn wenigstens zu haben; darf sich
nicht den Neigungen anderer accomodiren; kehrt sich nicht daran,
wenn andre im Geschmak mit ihm verschieden sind. Auch hat der
Engländer ein von andern Gegenden verschiedenes Clima Boden und
Nahrung. Leztere ist besonders kraftvoll. Die Engländer sind vielleicht
diejenige Nation, die am meisten Fleisch ist. Nach der Franzosen
eignem Geständniße soll das Grün in England das schönste seyn.
Dies kömmt von der Nässe. Die Seeluft ist sehr gesund und stärkend;
besonders deswegen weil sie den Grad der Hitze und Kälte gehörig moderirt.
Das Wohlverhalten manches Menschen beruht blos auf seiner Schwäche,
wobei er oft den bösesten Willen habe: die Tugend ist die rühm-
lichste, die mit Stärke verbunden ist, daher entstand auch das Wort Virtus.
In Frankreich hat alles Conduite. (Diese empfiehlt Lord Chesterfield
seinem Sohne, wenn er ihm schreibt: die Gratien die Gratien.) In Italien
ist jedermann gescheut, d.h. er hat das sçavoir faire, weis in allen
Stücken seinen Vortheil in Acht zu nehmen, sich andrer Menschen zu
seinen Absichten zu bedienen. In England ist die ganze Nation mehr
cultivirt - bis auf den gemeinsten Mann in Ansehung der Kenntniße
belehrt. Dazu tragen nun wohl vorzüglich die Zeitungen *1 viel bei.

/|PR_339_Z_1

/%.Anmerkung Diese Schilde-
rungen sind nur als eine Art
von Vorspiel gegeben, über
die Methode den Charakter
kennen zu lernen, kei-
nes weges als entschiedene
Wahrheiten.

/δ_Z_17

/(suaviter in moda
fortitier in re.)

/δ_Z_24

/*1 Einer Erfindung
wovon die Alten
nichts wusten.

/δ_Z_links_22

/@NB.@ (@Ia m. H.@
Summa pp) ~

/|P_340

/die ganz allgemein gelesen werden, wegen ihres mannichfaltigen
Innhalts (es sind nemlich nicht allein die allgemein interessanten %Neuigkeiten
sondern auch litterairische und specielle Nachrichten und %Beschreibungen %des Landes).
Wenn nun das Gesinde diese Zeitungen gelesen hat, und hört bei
Tische darüber raisonniren, so werden natürlicher Weise seine
Kenntniße dadurch vermehrt. In keinem Lande *1 erstrekt sich das Wohl-
leben so sehr bis auf den gemeinsten Mann, und das vorzüglich des-
wegen, weil sie ihre Kunstprodukte weit wohlfeiler, als andre Nationen
liefern können, indem sie so erfinderisch sind, daß sie fast alles fa-
brikenmäßig Tractiren. Die Engländer haben einen Public-Spirit,
d.h. es vereinigen sich oft viele zu einer Entreprise, zum gemeinen Besten
eine gute Anstalt zu stiften, oder zu befördern. Solche Associationen sind
häufig. Sie wagen etwas auf den gehoften Vortheil - machen sich nicht
viel daraus wenn sie ihn nicht erhalten dies ist so ein %vorzüglicher Cha-
rakterzug der Engländer. (%vide Archenholz brittische Annalen, da findet
man verschiedene Entreprisen der Engländer erzählt z.B: Reisen ins
Innere von Africa, woraus sich in kurzen wichtige Erweiterungen
für die %.Erdbeschreibungen dieses Welttheils erwarten lassen, ein andermal
wurde in einer Gesellschaft erzählt daß an der Westküste von Süd-
amerika viel Wallfische wären; gleich traten Leute zusammen %.und rüsteten Schiffe aus.
Sehr oft ist die Originalität des %.Engländers *2 affectirt. Ihr Geschmak in der Kunst
ihrer Arbeiten ist vollkommen, allein die Façon gefällt nicht - sie zeigen in allem
Gründlichkeit. Die Frauenzimmer in England sind gepriesen wegen ihrer
Schönheit, doch haben sie nur den 2ten Rang weil ihnen das air dégagé der Franzosen
mangelt, %.und sie genirt %.und zurükhaltender sind. Man beweiset den Damen in England
mehr Achtung als in Frankreich, %ansich sie nur in der Complaisance besteht.

/|PR_340_Z_6

/*1 etwa Schweiz %.und Holland
ausgenommen, wo sich gleich-
falls die gute Nahrung bis
auf den gemeinsten Mann
erstrekt.

/δ_Z_21

/*2 Er ist so ungesellig daß
er in einem Wirthshause nie
mit einem andern zusammen
ist, sondern jeder hat sein
apartes Tischchen. Wenn
er reiset, so thut er es nur um
andre Nationen zu verachten
%.und Geld auszugeben, sie vertheuern
die Gasthäuser ungemein, %anno 1777
waren 3000 %.Engländer in Paris, blos
zum Vergnügen. ~

/|P_341

/ ≥ δ_%Von 9 - 10 66ste Stunde.≤

/ ≥ V. Deutschland. ≤

/Den Deutschen meßen fremde Nationen viel Phlegma bei, und de-
riviren daher ihre unerschütterliche Geduld, so mühsam volumineuse Wer-
ke zu schreiben (als z.B. Krynitz ökonomisches Handbuch nach dem Alphabeth. 50 %.Bände)
Sie sagen auch, daß es ihnen an Originalität mangelt, daß sie meist nach-
ahmen. Zwar sind sie Erfinder einer Menge von Künste, aber doch nur
da wo ein anhaltender Fleiß zu suchen ist. So haben sie in der Chymie viel
gethan, und das Fundament davon ist bei ihnen zu suchen. Doch zeigt
dies noch nicht von Genie, welches das Talent zu einer Kunst ist, die
nicht gelernt werden kann. Iedoch wäre es unrecht wenn man die Deut-
schen beschuldigen wollte, ihnen mangelte Genie. Sie haben es würklich
in sich, wenn man es nur excitiren könnte. Daß das nicht geschieht,
dazu trägt wohl die verkehrte Schulbeschaffenheit viel bei. Es ist
zwar gut daß sie den Geist der Ordnung und Methode haben, wenn
sie es nur nicht übertrieben, bis zur sclavischen Abhängigkeit von ein
mal angenommenen Regeln und Vorschriften. Ordnung ist wesentlich
nur ein Mittel zum Zwek, sie machen sie aber zum Zwek selbst. Für
Tabulatur sind sie auch sehr eingenommen - daher rührt nun auch %.zum %.Theil
ihre außerordentliche Titelsucht, wodurch sie sich von andern Ländern
auszeichnen. Ein Mensch ohne Stand oder Titel wird nicht <viel> geachtet. Diese
Titelsucht macht die Höflichkeit bei den Deutschen ausserordentlich schwer.
Ihre Briefe können nie anders als steif und peinlich werden indem die Worte
dieselben, dero - Hochgebohren, %Hochwohlgebohren, %.Hochedelgebohren beständig vorkommen.

/|PR_341_Z_21

/Titel ist Unterscheidungs-
mittel.

/Wo der Franzose mit
Monsieur, Monstigneur
wegkommt. ~

/|P_342

/Der Deutsche hat nicht die Freiheit des Genie's vom Zwange der Regeln,
und ist auch des wegen bescheiden. Ihm fehlt das Air dégagé des Franzosen,
daher er sich auch nicht so gut zum Theater schikt. Die deutsche Nation
lernt alle Sprachen, und unterscheidet sich dadurch von allen übrigen.
Dieses Lernen aller Sprachen zeigt von vieler Wißbegierde. Der
Deutsche kann sich in alle Verhältniße schicken, daher kommt's daß
in allen Ländern Deutsche angetroffen werden, ausgenommen
in Portugall wo selten ein Fremder @sich@ hält. Andre Nationen
thäten daher wohl wenn sie die deutsche Sprache lernten, indem
sie damit in den meisten Ländern fortkommen würden.*1 Sie sind die
treflichsten Colonisten, und besten Cultivateurs. Die Deutschen lassen
sich nicht allein gut, sondern auch gern regieren, mit aus dem Hange
zum Systematischen. Sie halten sich nicht für die erste Nation, ver-
achten daher auch keine andre; haben überhaupt keinen Nationalstolz.
Dieser ist auch in der That absurd, denn wenn man glaubt,
Vorzüge zu haben, so bewirbt man sich um keine.

/Die Sprache der Deutschen macht, daß von dem Fortschritte des Geistes
in andern Sprachen gar nicht profitiren können, indem sie gar keine
Beimischung aus denselben leidet;*2 dafür hat sie aber auch einen ausser-
ordentlichen Reichthum an eignen Worten, und nähert sich darinn der griechischen.
Der Deutsche ist %gesellschaftlich %.und %zugleich gastfrey.*3 Aus Neugier sucht er Fremde auf. - 
Das Geistvolle scheint dem südlichen Theile mehr als dem %nördlichen eigen zu seyn.

/|PR_342_Z_10

/*1 Dies ist sehr natürlich
da mehrere Länder wie
Schweden %.und Hohland ganz
vom germanischen Stamm sind.

/δ_Z_19

/*2 Der Franzose hingegen
kann jedes fremde Wort
metamorphosiren. Es
ist schwer neue Worte in der
deutschen Sprache aufzubringen
z.B. groß und heer klingt
immer noch fremde.

/*3 nicht wie der Franzose der
zwar ersteres aber %nicht lezters ist ~

/|P_343

/ ≥ δ_Sonnabend %den 3ten Merz %.von 8 -9 67ste Stunde. ≤

/Völker die noch nicht genugsam aus der Barbarey herausge-
kommen, und die noch einen Hang haben, zurükzufallen, es dürf-
en nur gewiße Umstände dazu kommen, sind:

/1.) Pohlen,

/2.) Russen,

/3.) Türken. - Die beiden ersten sind slavische Völker. Diese
machten einen besondern Stamm aus, der sich weit bis nach
Westen erstrekte, auch Leipzig war noch eine slavische Stadt.
Die Wenden sind zu diesem Stamm zu rechnen. Man findet bei
ihnen nichts anders als Herren %.und Knechte. Der Name Slav bedeu-
tet Sklave, Leibeigener verstand man unter Slavonien %oder
Sclavonien. Die Türken haben nicht Herren und Leibeigene, sondern
im Grunde sind sie allen Sklaven eines Despoten.

/ ≥ VI. Pohlen. ≤

/Dies ist ein besonderes Land; es hatte gleichsam nur einen
wirklichen Stand, nemlich den Adel, nur dieser machte den Staat
aus. Es gab wohl freye Gewerb treibende Bürger, aber nie haben
sie den Rang eines Staatsbürgers behauptet. Sie verlangen
Freiheit, Gesetz, aber keine Gewalt über sich. Sie wollen den
Stand der Natur %.und Freiheit, nemlich so, daß jeder ungestraft
den andern todtschlagen kann, und dennoch verlangen sie
ein Gesetz dagegen. Die Pohlen werden als leichtsinnige ver-
änderliche Menschen beschrieben, von keiner festen Entschliessung.

/|PR_343_Z_13

/Es ist doch große
Verschiedenheit im
Charakter der slavi-
schen Völker. ~

/δ_Lage_TT

/|P_344

/Sie machen Schulden ohne an die Bezahlung zu denken, dies
geschieht aber nicht aus Grundsätzen, sondern weil
sie schlechte Haushalter sind. Man findet bei «a»ihnen
Mangel an Ordnung, große Güter, aber viel Schulden.
Sie sind reich, aber es fehlt ihnen allenthalben, bald an Gläser
Schuhe pp. Unter ihrem Geschrei von Freiheit verstehen sie nur
einzelne, aber nicht Staatsfreiheit. Weil es bei ihnen keinen Mittel-
stand giebt, so haben sie auch wenig Cultur, sowohl in %Ansehung
der Künste als auch der Wissenschaften. Denn gewöhnlich geht
Cultur vom Mittelstande aus. Man findet so leicht unter
den Pohlen keinen Mann der sich in irgend einer Wissenschaft
besonders hervorgethan hätte; man zählt zwar einige dahin,
aber mit Unrecht; Ein gewißer Herzensantheil am Vortheil
des Ganzen, wie bei den Engländern (Public Spirit) fehlt
ihnen gänzlich. Denn jeder dünkt sich als eine Art von Souverain.
Aus dem was jezt unter den Pohlen vorgegangen ist, ließe
sich gar nicht mit Zuversicht auf die Zukunft schließen. - 
Die polnischen Damen sind diejenigen, die unter allen andern
Nationen den ausgebreitesten Verstand, die gröste Staatsklugheit,
Umgang, und die mehrste Welt haben. Wirklich haben sie oft Antheil
an den Staatsgeschäften; die Pohlen sind voller Höflichkeit gegen sie.
Dieses Volk ist eben nicht zur anhaltenden schweren Arbeit ge-
macht, überhaupt zu keiner Anstrengung der Kräfte.

/|P_345

/ ≥ VII. Rußland. ≤

/Die Rußen haben Adel, aber dieser hat lange nicht die Frei-
heit des polnischen, denn sie stehen unter despotischer Regierung,
und haben keine andre Freiheit, als die, welche ihr Souverain
ihnen gestatten will. Die Rußen sind Unterthanen des
Staats im eigentlichen Sinne des Wortes, und sind doch auch
Herren, die wieder Unterthanen haben. Die vornehmen
Pohlen sind Aristokraten, keines weges die vornehmen Russen.
Beide Nationen unterscheiden sich schon im Gesichte. Der Russe hat
den Ausdruk des Eigensinns, ist ein Starrkopf, fest im Vorsatz,
brauchbar in schwierigen Unternehmungen, die Beharrlichkeit und
Anstrengung erfordern. Er liebt die Veränderung nicht, und
ist voll steifer Anhänglichkeit an seine Nation, dies ist ein
Zeichen der Eingeschränktheit seines Geistes. Daher kommt es auch,
daß die Rußen so selten desertiren. Er giebt den besten Stok-
meister ab, weil er sehr mistrauisch, und verdachtvoll ist. Sie
sind ausserordentlich treue Diener, praecis in allem was ihr Herr
ihnen befiehlt; außerdem verbergen sie den heimlichen Haß, den sie
<bisweilen> gegen ihn gefaßt haben, und sind wenn er gestürzt wird, die ersten
die sich darüber freuen. Der Ruße nimmt die Cultur die auf
Conduite geht, nicht so leicht wie der Pohle an, ist aber desto
besser zu discipliniren, weil er nicht so leitsinnig ist.

/|P_346

/Daher ist er der beste Soldat, als Instrument des Krieges,
wenn nur die Befehlshaber klug sind, denn er gehorcht absolut.
Er hat viel Geschik alles selbst zu machen. (%.Anmerkung Die Völ-
ker, wovon einzelne so künstlich sind, sich alles machen zu können,
sind die rohesten, dies beweisen die Russen) Der Bauer macht
sich im Nothfall selber Schuhe, Wagen, und bastelt immer,
wie wir es nennen; er pfuschert es doch so als es zu seinem
Zwek hinreichend ist; er baut so gar sein eignes Haus pp - 
aber eben, weil hier sich jeder alles selbst macht, sind Künste
und Gewerbe im schlechten Zustande. Der Städte und Künstler
sind wenig. Wenn erstere bestehen sollen, so müßen die Land-
leute nur den Boden bearbeiten, und ihre Bedürfniße aus
der Stadt holen. So entsteht nicht nur eine Menge Städte, weil
die Bedürfniße groß sind; sondern diese verzehren auch
wieder die Produkte des Landmanns, die er verkauft, und
für das erhaltene Geld auch aus der Stadt, das was er nöthig
hat kauft. So bleibt das Geld im Lande, welche Art auch nur in
cultivirten Ländern statt findet. Der Russe kann alles
lernen; doch haben sie bis her noch nicht Tücher gemacht, obgleich sie
sonst die prächtigsten Zeuge Drap d'ór %.und d'argent verfertigen.
Auch ihre zu Tula verfertigten Stahlarbeiten geben den englischen
wenig nach. Sie sind Nachahmer, %.und können daher wohl alles lernen,

/|PR_346_Z_17

/Des wegen ist auch Schlesien
um seine vielen Städte berühmt ~

/|P_347

/aber nichts wieder lehren - alles nachahmen, - nichts selbst machen.
So können sie gut mahlen, aber nichts selbst erfinden. Ihre Lehrer
nehmen sie gerne von aus wärts. Obgleich Rußland «9»<8>0 Iahre im
Stande der Civisilirung ist, so hat sich auf ihren Uni-
versitäten noch kein einziger großer Kopf hervorgethan.
Es muß etwas im Naturschlage liegen was man nicht so
kennt, aber es trifft bei allen sclavischen Nationen ein. - 

/ ≥ δ_%von 9 - 10 68ste %.Stunde ≤

/Ob man von den Slaven überhaupt wiederum eine große
Revolution zu besorgen hat? Man könnte sagen: ja, denn
es scheint als werden sie nie Cultur erlangen, und doch
sind sie kriegerisch. Ob sie aber von Dauer seyn werde?
Alle solche Revolutionen sind von keiner Dauer, wenn
sie nicht zusammen schmelzen, sondern in Opposition bleiben.
Dies kann man schon an den Russen sehn - es liegt an ihrer
Sprache und Abneigung zu Cultur und Wissenschaften;
und schmelzen sie ja zusammen, so blieben sie nicht mehr
Russen. Auch würde die Macht wahrscheinlich sich selbst wieder
vernichten, wofern nicht die Barbarey alles niederdrükt. Es
scheint Wille der Vorsehung daß viele Menschen verschiedene
Religionen haben sollen. Um dadurch das Zusammenschmelzen
in eine Masse (Monarchie) zu verhindern. Iede Nation besonders
erhält besser in sich die Freiheit und Cultur. Wir haben ein Beispiel
an den Römern, wie sie anfingen die Welt zu beherrschen, fielen sie in Barbarey.

/|PR_347_Z_19

/Die Engländer können nicht
einmal mit den Schotten
zusammenschmelzen,
meistentheils %wegen %Verschiedenheit
der Religionen, aber
sonst sind ihre Sitten %äusserst
verschieden. ~

/|P_348

/ ≥ VIII. Die Türkey. ≤

/Die Türken und Tartaren (welche meist ein Volk ausmachen)*1
sind noch fast ganz in der Barbarei. Auch können sie gar nicht
mit andern Nationen zusammenschmelzen, vorzüglich die
Muhamedaner, die entsezlich stolz sind. Ihre Religion ist
die insociabel»t«ste; würden sie die halbe Welt erobern, so blie-
ben sie dennoch gewiß ganz abgesondert. In ihren Moscheen
sind blos Ceremonien, nicht das demüthige der %christlichen Religion.
Sie glauben die einzigen zu seyn die den wahren Gott anbeten.
Meistentheils verliehren sie ihre Eroberungen eben so schnell
als sie sie machten. Sie sind ehrlich, tapfer, nüchtern, voll star-
ker Triebfedern, ernsthaft zuverläßig, muthig, und %.überhaupt
ein wohlgebildetes Volk mit treflichen Eigenschaften begabt;
aber ihr unermeßlicher Stolz gereicht ihnen sehr zum Tadel,
ferner ihre Rohigkeit, und daß nur Gewinn %.und Vermögen
sie aufmuntert. Man muß ihre natürlichen Anlagen rühmen,
doch dieses macht sie niederträchtig. Auch verlangen sie
immer Geschenke. Ieder Gouverneur verlangt solche von
den Reisenden. Das Merkmal roher barbarischer Völker ist,
wenn sie keine Achtung für Gesetz haben. Sie suchen ihr Heil
in der Gesetzlosigkeit, und wähnen sich frey, wenn ohne ihre Be-
willigung sie von Steuern frey sind, und ertragen übrigens
die gleichsam mit Sturm ausgeübten himmelschreiendsten Ungerechtigkeiten,

/|PR_348_Z_2

/*1 Man rechne aber hieher
nicht die Nogajer und Bed-
ziker, denn obgleich sie die
nemliche Religion haben, so sind
sie dennoch nicht von derselben
Race. ~

/|P_349

/wenn z.B. ein unschuldiger Bascha strangulirt oder geköpft
wird, welches leider im osmannischen Reiche nichts neues wäre.
Dabei trösten sie sich damit, daß sie vor der Hand doch immer
noch frey sind, wenn auch einem andern der Kopf genommen
wird. Selbst die gemeinsten Weiber haben in ihren Mienen ei-
nen Blik von Selbstzuversicht, und Gefühl von Freiheit. Ge-
burtsvorzüge sind ihnen unbekannt. Unterordnung leiden
sie nicht, und haben sie auch nicht. Die Eigenschaft, durch's
Gesetz disciplinirt zu werden, kann nur bei culti-
virten Nationen statt finden. - 

/Man kann überhaupt jedes Land mit einem besondern Namen
belegen. man könnte Frankreich nennen: das Modenland, Spanien
das Ahnenland, Italien das Prachtland, England das Land
der Launen, Deutschland das Titelland, Rußland das
Land der Tücken.

/<NB> (Obgleich die Völker ganz verschiedene Nahrungsmittel haben,
so muß man gestehn, daß wenn man die russische Armee ge-
sehn, sie einen Vorzug hat der ihr allein eigen ist.) Der Natio-
nalcharakter ist als keine bloße Chimaere, denn so wie ein
calmukisches oder nogaisches Gesicht gleich in die Augen
fällt, so leicht bemerkt man auch, von welcher Nation je-
mand ist, wenn man den %.Nationalcharakter kennt. Ein französisches Gesicht kann man
sogar in Hogards Kupferstichen kennen, wenn er es auch selbst verschwiege.

/|P_350

/Von den Preußen kann man wegen ihrer großen Vermischung
mit andern Völkern, die sich seit kurzer Zeit hier aufhalten, nichts
bestimmtes festsetzen. Indeß will man ihnen doch durchgehends
Falschheit beimeßen, wie auch Zurükhaltung, und dies kann auch
wohl seyn, weil sich die Zurükhaltung gewöhnlich da einfindet,
wo die Familien nicht genug ausgebreitet, ganz verschieden
und einander fremd sind. Dazu kommt noch, daß die Regierung
an einem auswärtigen Ort geführt wird, woraus eine Zurük-
haltung %.und Neid gegen die, so ihnen vorgezogen werden, entsteht. - 
Von den Czeremissen, welches Heiden sind, die an den Grentzen des
Gebirges, welches Rußland von dem asowschen Gouvernement
absondert, wohnen, hat man versichert, daß sie alle Fremde
unterscheiden können, sie mögen gekleidet seyn, wie sie wollen.

/

/ ≥ IIII. Vom Charakter der Race. ≤

/Wo wir den ganzen Menschenstamm nach Aesten betrachten.

/Race ist ein nothwendiger, angeborner, erblicher Unter-
schied von andern. Es sind 4 Racen:

/1.) Die Amerikaner. Ihr Charakter ist eine große Un-
empfindlichkeit, und die daher entspringende Gleichgültgkeit,
so daß selbst die Creolen die hier von europäischen Eltern
gebohren werden, an dieser Gemüthsbeschaffenheit Theil haben,

/|P_351

/Ihre Farbe ist kupferröthlich wie Eisenrost mit Oehl vermischt.
Sie können entsezliche Operationen aushalten, eben so sind sie
auch unempfindlich in Affecten. Diese Leute afficirt nichts,
und sie werden weder durch Versprechungen noch durch Dro-
hungen gerührt, ja selbst in Ansehung der Geschlechterneigung
sind sie kaltsinnig. Zur Rache haben sie große Neigung. Die
Freiheit bei ihnen ist nicht wie die in Europa, sondern thierisch.
Dieser Freiheit aber opfern sie auch alle Süßigkeiten des
Lebens auf. Sie haben keine Sorgen; des Morgens verkauft er
seine Hängematte, und wundert sich wohl gar des Abends daß
er nichts hat, worauf er liegen kann. Sie sind eben nicht ge-
sprächich die Weiber nehmen oft Wasser ins Maul, daß sie
nicht reden dürfen, Dieß kann man auch schon daraus
erkennen, daß die americanischen Hunde die Menschen nicht
lieben, sondern vielmehr vor ihnen fliehen, weil sie nie gewohnt
sind, von ihnen geschmeichelt zu werden.

/2.) Die Neger (africaner) haben einen ganz entgegenge-
sezten Charakter; obgleich Africa mit America in einem
Clima liegt. Sie sind voller Lebhaftigkeit, Leidenschaft,
Affect, er ist eitel, geschwätzig, scherzhaft, nimmt Cultur an,
aber entweder die eines Knechts oder eines Antreibers. Man
hat nie bemerkt, daß wenn einer von ihnen frey geworden ist,
er ein Handwerk ergriffen hätte. Lieber mag er ein Gast<Coffee->haus haben.

/δ_Lage_UU.

/|P_352

/Er scheint dazu gemacht zu seyn, andern zu dienen, aber
nie civilisirt zu werden. Sie sind bei ihrem lebhaften
Naturell läppisch, denn obschon ihre Fasern reizbar sind
so fehlt ihnen doch eine gewiße Festigkeit in denselben, da-
her es ihnen an Standhaftigkeit mangelt, und sie zu allem
ungeschikt sind, wozu Verstand erfordert wird. Sie sind wie
die Affen sehr geneigt zum Tanzen, und benutzen dazu
jeden Augenblik da sie nicht arbeiten dürfen. Wenn sie
dieses auch den ganzen Tag über gethan haben, so plaudern
sie dennoch Nächte durch, und schlafen wenig.

/3.) Die Indianer (%nemlich in Asien) haben eine Art von Selbst-
beherrschung - gerathen fast nie in Hitze. Doch haben sie
starke Leidenschaften, und tragen es nach. Sie nehmen alle
bürgerliche Cultur an, sind aber keiner Aufklärung fähig;
sie haben ein Maaß über das sie nicht kommen. Ihre Religion
bleibt unverändert. Sie haben wohl Künste, aber keine eigent-
liche Wissenschaften. Als Bürger sind sie geduldig und gehorsam
Sie haben keine eigentliche Begriffe von Ehre und Tugend, denn
dies setzt Geist und Genie voraus, sie legen sich auf List
und Ränke. Sie können am meisten in tiefen Gedanken seyn, sie
thun entweder gar nichts oder legen sich auf Glüksspiele;*1 dahin ge-
hören auch die Würfel. Bei zunehmenden Iahren können sie Stunden- 

/ lang

/|PR_352_Z_22

/*1 Sie sind an sich schon
melancholisch. ~

/|P_353

/lang an der Angel sizen, wenn auch kein Fisch da ist, der anbeißt.
Die Ostindianer sind zurükhaltend und behutsam, sie sehen alle
wie Philosophen aus. Wenn sie von einem Europäer angeführt
werden, so besänftigen sie ihn, %.und entfernen sich gern, um nicht Streit zu haben.
Die Ursache ist die Feinheit ihrer Fasern, da sie sehr leicht aus aller
Fassung gebracht werden.

/4.) Die Europäer oder Weißen sind gemeinschaftlich zum Ungestüm
aufgelegt, bei ihnen findet man alle Triebfedern, Affecte, Lei-
denschaften, aber auch alle Anlagen und Talente zu Künste
und Wissenschaften, Sie haben die Eigenschaft durch Gesetze
civilisirt zu werden, und doch frey zu seyn. Sie nehmen nicht
allein Disciplin an, sondern auch Cultur des Geistes. Ohne
Geist bleibt der Mensch bornirt, ohne Naturell roh d.h.
er lernt nichts, und ohne Instinct ist keine Cultur. - 

/Was soll man sagen, werden die Racen zusammenschmelzen
oder nicht? Sie werden nicht zusammenschmelzen, und es ist auch
nicht zu wünschen. Die Weißen würden degradirt werden,
denn jene Racen nehmen nicht die Sitten %.und Gebräuche %der Europäer an.

/5.) Die Mongolische oder kalmukische Race. Sie haben
platte Gesichter, kleine Nasen %.und Augen, und bartloses Kinn.
Der Schnitt ihrer Augen ist schief einwärts nach der Nase zu.
Sie haben viel Tapferkeit und Fähigkeiten alles zu lernen. Sie machten
nie große Eroberungen, ohne sie wieder zu verliehren, es kommt
mit von ihrem Hange Zum Hirtenleben. Rußland hatten sie 200 Iahre. Sie waren %berü@hmt@ %.unter %dem %Nahmen %der Hunnen.

/|PR_353_Z_23

/Die weiße Race
ist die vorzüglichste
und hat sich allenthalben
ausgebreitet. ~

/|P_354

/ ≥ V. Vom Character der Menschengattung«en»

/Um ein Wesen zu charackterisiren müßen wir es mit andern
vergleichen. Womit können wir die Menschen vergleichen?

/1.) Mit der Thiergattung.

/2.) Mit der Gattung vernünftiger Wesen überhaupt -. (%Der %.Mensch ist %vernünftig Thier)

/ ≥ I. Charakterisirung des Menschen im Vergleich mit der Thiergattung. ≤

/Es frägt sich, ob er vier oder zweifüßig ist, d.h. ob er bestimmt
war, auf 4 oder auf 2 zu gehen. Es scheint als wäre es keine
vernünftige Frage - Moscati (ein Gelehrter in Pavia) hat
geschrieben, ob die Natur den Menschen bestimmt habe auf 2 oder 4 Füßen
zu gehen, er ist für das leztere, und zeigt die Beschwerlichkeiten
von dem Gehen auf 2 Füßen. Er sagt:

/1.) es ist schädlich um der Eingeweide willen, sie drücken nach unten zu.

/2.) bei einer schwangern Frau ruht die Frucht zu sehr auf dem Mutter-
munde, und kann leicht Abortus hervorbringen.

/3.) das Blut müße beim Circuliren immer steigen pp. Aber dies
gereicht ihm zum Verderben - Maria_Theresia sezte ihn ab,
und nun weiß man nicht wo er geblieben ist. Indeß hat
seine Meinung bei näherer Untersuchung nicht völlig Grund,
wenn auch schon der Mensch an den Waldmensch grenzt,
daß es würklich Affen giebt, die häufig auf 2 Füssen gehen.
Kamper ein Arzt im Franeker hat am besten davon geschrieben.

/|P_355

/Er sagt von einem der der die größte Höhe gehabt (4_1/2 Fuß)
er habe mit seinen Füßen greifen können, aber keine Kniescheiben
gehabt. Er hatte auch eine ganz andere Bauart im Schlunde
nach welcher er nie sprechen lernen kann. Es ist also unrecht
zu glauben, daß der Mensch eine Affengattung wäre. Der Gibbon
oder langhändige Affe ist dem Menschen am ähnlichsten, und der
Orang-Outang. Die %holländische Societäet in Batavia behauptet,
daß noch nie ein Orang-Outang in europäische Hände gekommen.
Er ist auch darinn dem Menschen ähnlich, daß er nicht wie ein
anderes Thier sich mit seinen eigenen Gliedmaaßen (Füssen, Hände Zähne)
wehret %.und vertheidigt, sondern er bedient sich dazu starker Stöcke.
- Ist der Mensch frucht- oder fleischfressendes Thier? ist er
das leztere so wäre er ein Raubthier. Dies ist er aber
nicht nach dem Bau seiner Zähne, seines Magens wegen eben-
falls nicht. Hat die Mutter oder Amme Fleisch gegessen,
so bekommt die Milch dem Kinde am besten. Bekommt die
Amme nicht gut zu essen so gerinnt ihre Milch wie Kuhmilch.
Der Magensaft ist ein wenig salzig aber nicht sauer, und nur
wenn er die Säure versüßt, kann er zum Nahrungssaft dienen.
Der Mensch muß also wohl für beides gemacht seyn, hauptsächlich
für Fleisch. Die wenigsten Früchte sind auch von der Beschaffenheit,
daß sie sich bis zum Winter halten, und die Kunst sie aufzubewahren

/|P_356

/findet nur bei cultivirten Völkern statt. Die Thiere sind
aber auch eher gewesen wie die Menschen, und die rohen
Nationen essen meist nur das Fleisch von wilden Thieren.
Ist der Mensch ein gesellschaftliches oder einsames Thier? Er
ist wohl ein geselliges, denn er hat viel Bedürfniße, die
er wohl unmöglich allein «erfüllen» befriedigen kann. Die Vorsicht
hat ihn so eingerichtet, daß er ohne andere nicht seyn kann. Die
Familien werden sich zusammengehalten haben, weil der Mensch
Beistand brauchte, sie haben sich durch die Erziehung einander unent-
behrlich gemacht. Auf der Westküste von Amerika findet man
unter Felsen so wie in Kamtschatka Colonien von Menschen.
Sie waren einander unentbehrlich in den unentbehrlichsten Be-
dürfnißen. In Summa, die Menschen bedurften einander, trennten
sich allein bei der Vergrößerung. Von der andern Seite ist der
Mensch auch wieder das ungeselligste Thier, denn sobald die
Familie größer wurde, sich erhalten konnte, und der andern nicht mehr
bedurfte sonderte sie sich ab. Dies war das Mittel der Vorsehung
die Völker über die ganze Erde zu verbreiten, dieses Absondern
findet noch bei den Indianern statt. Unter den Esquimo's sucht
oft ein Stamm den andern auf 200 Meilen auf, um ihn todt
zu schlagen. Ein Mensch erschrikt in einer Wildniß mehr vor
einem andern, als vor einem reissenden Thiere, dem er im Fall
eines Angriffs schon zu begegnen wüste, was aber der Mensch im

/|P_357

/Schilde führt, kann er gar nicht wissen. Man sieht dies auch bei
cultivirten Staaten, jeder rüstet sich im Fall daß es nöthig
wäre, zur Vertheidigung, und thäte er es nicht so würde man ihn
gewiß angreifen. Obgleich Friede ist, steht alles in Kriegsrüstung.
In der Natur liegt also Mistrauen und Ungeselligkeit.

/Der Mensch hat keinen ihm von Natur gegebenen Instinkt zum
Gebrauch desjenigen was er äusserlich bedarf. Er kann nicht riechen
ob etwas schädlich %oder unschädlich in der Nahrung ist. Er muß erst
alles lernen. Nicht einmal den Instinkt zu schwimmen, oder sich
vor dem Wasser in Acht zu nehmen. Das Kind läuft gewiß hinein.

/ ≥ II. Charakterisirung des Menschen als ein vernünftiges Wesen (Thier:)

/Die Natur hat ihm keine Kunsttriebe gegeben, sondern er muß
erzogen, d.h. gebildet %.und belehret, und nicht blos aufgefuttert werden.
Den ersten Mensch sich zu denken, wie er hat sprechen, sich in alles
finden, sich erhalten können, geht über unsere Vernunft. Der Mensch
bedarf also Erziehung, d.h. 1.) Unterweisung. 2.) Disciplin, weil
ob er gleich von Natur widerstrebend ist, gesellig seyn muß, wenig-
stens in seiner Familie, so muß er dazu gezwungen werden;
Disciplin ist Einschränkung des eigenen Willens eines Geschöpfs
unter gewiße Regeln, die mit dem Zwecke übereinstimmen. Ein
Mensch ist gut disciplinirt worden, d.h. er hat oft die Ruthe

/ bekommen,

/|P_358

/bekommen, bis er das geworden, was er nun nach den Regeln der
Disciplin ist. Aller Gesang der Singvögel ist kein Instinct, die
Iungen müßen von den Alten lernen. Die Vögel haben verschiedene
Organlaute, sie haben solche Töne unter sich zusammengesezt, die
für ihre Organe am passendsten sind. Ein Vogel der einen Gesang
von der andern Gattung abgelernt hat, lernt den von seiner
Gattung nicht wieder, dies zeigt daß es nicht angebohren ist.
Da der Mensch gewußt hat, den Hund zu erziehen, so wurde
er Herr darüber, eben so war es mit allen andern Thieren.
Der Mensch ist von Natur gemacht, sich alles selber zu erf«u»inden

/ ≥ δ_ste Stunde. von - δ_Lücke den ten Merz. ≤

/Er soll sich alles seiner Geschiklichkeit zu verdanken haben. Die
Natur hat ihm dazu nichts weiter als eine geschikte Hand gegeben
Sie ist sonderbar gemacht; in ihr liegt der künstlichste Bau. Das zeigt
an, er muß sie mannigfaltig gebrauchen, und dies sezt Vernunft
voraus. Das Individuum gelangt nicht vollständig zur Erfüllung
seiner Bestimmung, sondern die Species; d.h. das Kind thut immer
wieder etwas zur Vermehrung der Kenntniße des Vaters.
Der Mensch lernt anfänglich, dann lehrt er es seinen Kindern, diese
denken mehr hinzu, und lehren es wieder. Der Vorrath von Kenntnißen
wächst und so geht es auch mit den Arbeiten, Die Menschen sind
zum Fortschreiten durch Generationen bestimmt. Die Gattung erreicht
nur die menschliche Bestimmung. Was ist die Bestimmung des Menschen?

/|P_359

/Das Existiren macht noch keinen Zwek aus; ist es zum Genuß
oder zur Cultur? Der Mensch hat nicht die Bestimmung zu
geniessen, sondern zur Cultur, d.h. die gröstmöglichste Entwike-
lung der Naturanlagen zu erreichen. Man kann wohl nicht
mit Rousseau annehmen, daß der Mensch hier nicht glüklich
seyn soll, sondern im rohen Zustande bleiben wird. Der
lezte Naturzwek ist Cultur. Dies muß die größte moralische
Vollkommenheit bewirken, und Moralitaet der Sitten scheint
der Endzwek zu seyn, das Ende aller Bestimmung. - 

/Welches ist der Zustand des Menschen in dem er diese Bestimmung
der höchsten Cultur erreichen kann? Dies ist der %bürgerliche Zustand,
er ist nicht für das Leben im Naturstande, %sondern für das im
Civilstande bestimmt, was auch moralische Sittlichkeit zur Absicht
hat. Rousseau sagt der Mensch wäre zum Naturstand geschaffen,
weil in diesem weniger Keime zu mannigfaltigen Uebeln
als in jenem wären, in dem es wohl Rohigkeit, aber nicht solche
Laster als im Civilstande gäbe pp - - Dieses ist aber gewiß
falsch, denn sonst hätte der Mensch nicht nöthig die Anlagen der
Natur zu haben, die ihm doch eigen sind. Die Vorsehung hat um
das Leben mühsam machen wollen, so, daß wenn man schon
einen Zwek erreicht hat, man einem andern nachstrebt. Rousseau
sagt sogar die Natur habe uns für Wälder gemacht. Der Zustand
der Entwickelung wenn der rohe Mensch zur Sittlichkeit übergeht,

/δ_Lage_VV.

/|P_360

/ist der «S»schwerste und gefährlichste. Eine Generation erlangt
immer mehr Cultur als die andere. Der Mensch z.E. sollte,
wenn wir ihn betrachten nach der sittlichen Bestimmung, sich
niemals den Genuß, auch nicht die Neigung zum Geschlecht er-
lauben, als unter der sittlichen Bestimmung der Ehre. Nach
dem Naturstande hat er schon im 16ten Iahre das Vermögen
und den Antrieb zu zeugen, aber dies ist nicht genug, er muß
auch Weib und Kinder ernähren können. Im Naturzustande
ging es wohl an, dieß zeugen die warmen Länder. Weil mehr %Ausübung
der Kunst in gesitteten Zustande ist, so ist auch viel mehr nöthig zur
Erhaltung des Hauswesens, und da ist er im 16ten Iahre
vielleicht im 20ten noch Lehrling, noch ein Kind, wenn er
schon als Natur Mensch ein Mann ist, d.h. einem Weibe beiwohnen
kann. Iüngling kann man denjenigen nennen, der wohl zeugen,
aber nicht ernähren kann. Die Zwischenzeit als Naturmensch
Mann, und - im %bürgerlichen Verstande Mann zeichnet sich %dadurch
aus, daß der Mensch sich Gewalt anthun, d.h. seiner
Naturbestimmung Abbruch thun muß. Es scheint der Bestim-
mung der Menschheit zuwider gehandelt zu seyn. Etwas
unbegreifliches bleibt immer übrig. - Die Iahre die der %Mensch lebt
scheinen für die %.Wissenschaft zu kurz zu seyn. Dies dient zum Einwurf
gegen die Cultur des %Menschen, die doch bei größerer Lebenslänge leichter gewesen.

/~δ_Z_21

/Dieses gehört zur %Bestimmung
der Menschengattung
aber nicht des Indivi-
duums. ~

/|P_361

/ ≥ δ_Stunde %.von 8 - 9 %den 10ten Merz 179«1»2 ≤

/Bengelhaft hieß vor 200 Iahren ein 16 jähriger Mensch,
(soweit im guten Sinn,) der wohl ein Weib nehmen, aber es
nicht ernähren k«ann»<onn>te. Der Mensch hat Talente und Anlagen
in sich, die weiter gehen, als zum Naturerforderniße nöthig ist.
Die ganze Lebensart eines Gelehrten, oder Künstlers ist dem
Körper nicht gut, denn Wissenschaft unaufhörlich mit Fleiß be-
treiben, erschöpft die Körper. Es ist der Natur des Menschen nichts
angelegner, als frey zu seyn, auch bei Thieren zeigt sich dies. Frei-
heit bringt auch Cultur mit. Sie verliert bei jeder Vereinigung
der Menschen. Die Natur mit der Kunst harmonisch zu machen,
ist die schwerste Aufgabe. Rousseau hat immer am tiefsten
nachgedacht. Er hebt den Naturzustand heraus, und preiset ihn
ausnehmend 1.) in Ansehung des Lebensgenußes 2.) in Ansehung der
Freiheit von den Uebeln des Lebens in der Cultur und 3.) in %.Ansehung
der Freiheit von den Lastern in der Cultur. Er will, der Mensch soll
zurük in den rohen Zustand; er soll die Wissenschaften fliehen,
in dem er den Schaden derselben zeigt, daß Menschen auf Kenntniße
ihr Leben verwenden %.und s. w. (etwas ist wohl wahr, denn einigen Schaden
haben die Wissenschaften gethan, aber - wie überwiegend bleibt der Nutze).
Wenn Rousseau so spricht, so haben viele ihn nach den Worten
verstanden, denn er will nicht, daß wir zurückkehren, sondern
nur auf die Natur zurüksehen sollen, damit es nicht blos Kunst wird.

/|PR_316_Z_19

/%vide Terrasson. ~

/|P_362

/Es sind hier 3 Schaden genannt die von den Wissenschaften herrühren;
worüber denn Rousseau besondre Werke geschrieben:

/1.) Emil oder die Erziehung, hier sagt er:

/a.) nichts verliert von der Natur, und

/b.) nichts von der Glükseeligkeit, die die Natur gewährt, in seinem

/2.) Buch von der Ursache der Ungleichheit unter den Menschen spricht er

/a.) von dem Mein und Dein des Bodens, und endlich wie die Gewalt entspringt.

/b.) vom Unterschiede zwischen Herr und Knecht, der so ganz
der Natur zuwieder ist.

/3.) Der Socialcontract. Der Stand der Natur kann heißen
Stand der Unschuld, weil keine Gewaltthätigkeiten statt finden.
Der Mensch ist nicht zum Genuß allein gemacht, %sondern zur Kraft-
äußerung. Das Böse was in seiner Natur liegt ist auch Trieb-
feder zum Guten, weil es nicht bestehen kann, um dem Guten
Platz zu machen. Der Mensch hat zum Stachel der Thätigkeit:

/1.) Neigungen. 2.) eigene Uebel. 3) anderer Uebel. Der Mensch
ist für die Gesellschaft gemacht, wie die Biene für den Bienenstok,
er hat keine Ruhe bis er sich mit dem andern auf irgend eine Art
associirt. Die menschliche Gesellschaft besteht aus der Unver-
tragsamkeit unter einander.

/Der bürgerliche Zustand besteht:

/1.) Aus Freiheit.

/2.) - - Gesetz.

/3.) - - Gewalt.

/Soll Freiheit gesichert seyn so wir Gesetz erfordert. Dieses aber

/|P_363

/ist eine bloße Idee, die der Mensch befolgen kann, wenn er will,
also muß auch Gewalt damit verbunden seyn, daß er es befolgt.

/Es giebt viererley Verfaßungen:

/1.) Freiheit ohne Gesetz und ohne rechtmäßige Gewalt, ist der
Zustand der Wildheit, oder eine völlige Anarchie. - 

/2.) Freiheit und Gesetz aber ohne Gewalt, z.E. die polnische Freiheit.

/3.) Gewalt ohne Gesetz %.und Freiheit ist Tyrannei, Despotismus.

/4.) Gesetz mit Gewalt, aber ohne Freiheit. (monarchisch.)

/Die Vollkommenheit der bürgerlichen Verfassung beruht da-
rauf, wie Freiheit, Gesetz, Gewalt, vereinigt werden
können. Dies ist die größte Aufgabe, die uns die Natur schon
gegeben hat. Wie dies Problem aufzulösen ist hat die ganze Mensch
heit bis jezt daran gearbeitet, nicht allein Gelehrte, sondern auch
die Völker selbst. Die ganze Völkergeschichte ist anzusehen als
eine Bestrebung eine vollkommene bürgerliche Verfaßung
hervorzubringen, aber dies ist nicht planmäßig von ihnen ge-
schehen, gewiß auch aus weiser Absicht der Vorsehung. Die Menschen
rücken fort in der Cultur, aber das wesentliche ist die Bestrebung

/ ≥ δ_¿ste Stunde %von 9 - 10 %den 10ten Merz 1792 - Finis

/nach vollkommener Verfassung. Der Zustand ehe sie unter
Gesetze treten, ist der Nomadenzustand, oder der, der banden-
losen Freiheit. Die Errichtung der bürgerlichen guten Verfassung
wäre die Realisirung des Iuris naturae. Das

/|P_364

/Ius gentium zu realisiren, müßen die Völker unter sich
einen Bund machen. Es ist zu hoffen die Realisirung des Iuris
Gentium, d.h. es wird zu einem allgemeinen Völkerbunde,
zu einem ewigen Frieden kommen, wenn auch dieses noch in der
Ferne ist. Man kann die Geschichte ansehen, als die Entwickelung
aller natürlichen Anlagen der Menschengeschlechter, und die Fort-
rückung zu ihrer Bestimmung. Rücken wir in der Cultur
vor oder rückwärts? Wir gehen zum Theil bis weilen zurük,
aber kommen doch im Ganzen um einen Schritt weiter; so wie der
Nilstrom, der solche Windungen und Krümmungen hat, daß er
zuweilen zurükzugehen scheint, aber endlich doch bis zu seinem
Ziele in die See kömmt. (Die Zeit des Aberglaubens für die
Religion hat viel für die Kunst gethan. Man fände gewiß nicht
die vortreflichen Gemälde in Italien, auch nicht die Bildhauer-
kunst, die damals aufs höchste stieg, wenn nicht das Interesse
der Religion die Menschen zu dieser Kunst begeisterte, indem
sie alles durch Gemälde und Statüen vorzustellen suchten.
Und wäre das Christenthum von jeher gleich rein %.und unverfälscht
gewesen, so wären auch diese Werke der Kunst nie gemacht worden.)
Keine Regierung muß suchen den Unterthan glüklich zu machen, er
muß es selbst thun, sie muß nur negative dabei verfahren, d.h.
verhüten daß keiner dem andern etwas böses thue. Rousseau

/|P_365

/sagt: 1.) die Erziehung muß negativ seyn, auch dieses handelt er
in seinem schon genannten Buche - Emil - ab. 2.) Gesetzgebung
muß negativ und positiv seyn. 3.) Die Religionsunterweisung
muß auch negativ seyn. Wir können auf 2erley Art unmündig seyn:

/1.) in einer bürgerlichen Unmündigkeit, d.h. man weiß nicht die Gesetze
und wird darnach gerichtet, dies sezt den Werth des Menschen
herab. Die Menschen sind so unmündig geworden, daß wenn
sie auch frey würden, sie nicht bestehen könnten. Menschen können

/2.) in einer frommen Unmündigkeit seyn. Der größte Theil
muß der Schrift gehorchen, die er nicht einmal kennt, d.h. nicht
so kennt daß er sie hinlänglich versteht.

/Die Bedingungen einer allgemeinen Verbesserung oder
eines vollkommenen bürgerlichen Zustandes sind:

/1.) Bürgerliche Freiheit.

/2.) Freiheit der Erziehung, und

/3.) Religions-Freiheit.

/δ_Schnörkel

/ ≥ Ende
der Anthropologie ≤