|B0|P0|z0 ################
|z1 DOHNA-Sondergut
|z2 Version
|z3 24. Februar 1994
|B_doh-sond

|P_77
|z1 [gleich einen Ball zurückgeschlagen, +.und dadurch wird die
|z2 Erschütterung im Körper zu wege gebracht, welche man das Lachen nennet

|P_81
|z1 [Der Verstand als das Obererkenntnißvermögen betrachtet
|z2 begreift unter sich:
|z3 1.) Verstand ist das Vermögen der Regeln {{(zu urtheilen)}}.
|z4 2.) Urtheilskraft, Vermögen zu sehn, ob etwas unter der Regel steht.
|z5 3.) Vernunft aus den {{(das +.Vermögen zu schließen)}} Regeln, nach den
|z6 Regeln das besondre aus dem allgemeinen abzuleiten.
|z7 Ohne Urtheilskraft kann niemand zu einem Grade von Vollkommenheit
|z8 gelangen. Iuristen Aerzte, wenn sie gleich die beste Theorie haben,
|z9 sind wenn ihnen Urtheilskraft mangelt unbrauchbar. Urtheilskraft kann
|z10 nicht instruirt werden, geht nur durch Uebung an zu witzigen. Unter
|z11 gesundem Verstande versteht man oft Urtheilskraft, er ist eigentlich,
|z12 richtige Anwendung der gegebenen Regeln. Erfahrungsregeln lassen sich
|z13 mit ihren Folgen nicht a priori bestimmen. Die Urtheilskraft ist
|z14 langsam, der Witz aber behende. Manche Leute sagen immer kluge Dinge
|z15 darum sind sie aber selber in ihren Handlungen nie
|z16 klug.
|z17 [δ_Rand_ab Zeile 4
|z18 [Z. E. die +.Historie vom +.Sauerkraut Mittel fürs
|z19 Färben beim Schmidt nicht beim Schneider.
|z20 [(der Iugend am häufigsten)

|P_82
|z1 [statt des Wortes Verstand sollte man eigentlich
|z2 Urtheilskraft sagen, denn Verstand kann wohl früh kommen, die
|z3 Urtheilskraft aber immer nur spät. Speculativer Verstand ist
|z4 derjenige, der selbst in sich die Regeln der Anwendung enthält. Wenn
|z5 alte Leute sagen sie wollten, wenn sie noch einmal gebohren würden ihr
|z6 Leben nach einem ganz andern Plane einrichten, so irren sie, denn wenn
|z7 dieselben Umstände blieben, so würden sie sicher auch eben so handeln,
|z8 als sie vordem gehandelt hatten. Frauenzimmer müssen sich nach dem
|z9 rühmlichsten Beispielen anderer, die am häufigsten nachgeahmt werden,
|z10 richten. Männer sich selbst eine neue Bahn brechen, der männliche
|z11 Verstand ist derjenige, der keine Regeln abborget. Daher sind auch
|z12 +weibliche Regierungen meist glüklich gewesen weil da sie gelinde
|z13 waren, das Land sich so zu sagen selbst regierte.

|P_83
|z1 [Gemeiner Verstand ist derjenige der jedem zum Muster dienen
|z2 kann, das was man im +.französischen sens comm«y»un nennet, aber ganz
|z3 etwas andres ist sens vulgaire, das heist so viel als der Verstand den
|z4 alle Menschen haben.
|z5 Behender Verstand ist nicht immer richtig. Die +.Richtigkeit des
|z6 Verstandes wird bestätigt in der Ausübung durch Erfahrung. List ist
|z7 Ueberlegenheit des Verstandes über einen andern. Doch hat nicht immer
|z8 der Betrüger mehr Verstand als der Betrogene. Sonst gewöhnlich läßt
|z9 sich ein Mann von ausgebreitetem Verstande nicht betrügen. Viele hat
|z10 man gerne in Gesellschaften, nicht eben, um sich durch Unterhaltung
|z11 mit ihnen zu vergnügen, sondern um ein zufriednes Gesicht zu sehn
|z12 ≥ Mittwoch 25ste Stunde von 8 - 9 den 23sten +.November ≤
|z13 Man sagt von jemanden, er habe Verstand, wenn er nicht nur das
|z14 Vermögen hat, sondern auch sich desselben bedient. Viele zeigen in
|z15 ihren Raisonnements daß sie viel Verstand haben, sie gebrauchen ihn
|z16 aber nicht. Der Urtheilskraft
|z17 [δ_Rand S.83, ab Zeile 1
|z18 [+.überhaupt ist
|z19 ein technischer Kopf, der sich in einzelnen Dingen vortrefflich zeigen
|z20 aber aufs Ganze keinen Blick werfen kann.
|z21 [δ_Rand_ab Zeile 6
|z22 [Nochmals empfohlen nicht über die Augen zu klagen, sondern sie zu
|z23 gebrauchen.

|P_84
|z1 [wird der Witz entgegengesetzet. Witz ist das Vermögen die
|z2 Aehnlichkeiten wahrzunehmen. Urtheilskraft ist das Vermögen die
|z3 Unterschiede wahrzunehmen, Es ist ein Unterschied zwischen der
|z4 vergleichenden und verknüpfenden Urtheilskraft. Denn vergleichende
|z5 Urtheilskraft besitzen selbst die Thiere, aber nicht verknüpfende.
|z6 Die Vernunft ist das Vermögen der Ableitung der Regeln und Principien.
|z7 Verstand das +.Vermögen der Regeln (wie schon oben erwähnt worden). Es
|z8 ist sehr nothwendig aus dem Allgemeinen das besondere abzuleiten. Ein
|z9 Princip dem unsre Vernunft nicht Beifall geben will, müssen wir nicht
|z10 unter unsre Maximen (Naturgesetze) aufnehmen. Erzählt man uns zum
|z11 Beispiel ein Wunder, so weigert sich unsre Vernunft es zu glauben. Der
|z12 Aberglaube nimmt die Regeln ohne auf die Principien zu sehn. Wenn man
|z13 frägt, was ist schädlicher Aberglaube oder Schwärmerei? so kann man
|z14 antworten die Schwärmerey. Für die Wissenschaften ist der Aberglaube
|z15 gewiß nützlicher gewesen, denn er hat viele derselben angefeuert, man
|z16 hat die Gelehrsamkeit mit mehrerem Eifer durcharbeitet.
|z17 [δ_Rand_ab
|z18 Zeile 15
|z19 [Ein wahres Wunder kann man eher mit der Vernunft annehmen
|z20 als Geister.

|P_85
|z1 [Sympathie und Antipathie wirken sehr auf abergläubische
|z2 Leute. Sie machen sich +.und +.andere auf folgende Weise ein Pulver:
|z3 sie legen grünen Vitriol in eine weisse Flasche, und stellen dieses an
|z4 die Sonne, wenn dies nun troknet so zerfällt es in ein weisses Pulver,
|z5 welches sie das sympathetische nennen. Wenn man im Duell jemanden
|z6 verwundet hat und bestreicht damit die Degenspitze ¿¿ so heilen die
|z7 Wunden bald. Hat den Vernunftmaximen einmal durch Aberglauben entsagt,
|z8 so kennt der letztere keine Grenzen. Schwärmerey ist der Gelehrsamkeit
|z9 und Ausbreitung der Kenntnisse im höchsten Grade zuwider. Aberglaube
|z10 läßt sich in ein System bringen, Schwärmerey gar nicht.
|z11 Leichtgläubigkeit *1 ist ein Fehler der Urtheilskraft. +Urtheilskraft
|z12 ist ihrer Natur nach behutsam. Verstand kann corrumpirt werden,
|z13 Urtheilskraft aber nicht, ihre Fehler können nur seyn, daß sie ent-
|z14 weder schwach oder noch nicht reif ist.
|z15 Selbst kalte Wetterschläge können schmelzen, so schmolz einst ein
|z16 Leuchter der auf einem Altar in der Kirche stand, und der Altar blieb
|z17 unverletzet.
|z18 δ_Rand S.85, ab Zeile 14
|z19 *1 Ist immer mit +.Aberglauben verbunden.δ_

|P_86
|z1 ≥ 26ste Stunde von 9 - 10 ≤
|z2 Es merkwürdig daß niemals die Wunder statuirt als Begebenheiten die
|z3 sich noch zutragen könnten sondern immer nur {{als}} solche, die ehedem
|z4 hätten geschehn können. Maximen sind subjective Vernunftprincipien,
|z5 die sich gar nicht mit Objekten beschäftigen. Es giebt 3 besondere
|z6 Vernunftmaximen:
|z7 1.) Selbstdenken; es ist das Princip der Aufklärung, es ist das
|z8 Bewustseyn, und das erweiterte Vermögen selbst zu denken.
|z9 2.) An der Stelle jedes andern denken können, das Vermögen sich ganz
|z10 in die Denkungsart eines andern versetzen zu können. Man kann es auch
|z11 die erweiterte Denkart nennen. Wer dies nicht kann, ist ein ein-
|z12 geschränkter bornirter Kopf.*1 Es ein Princip der Indianer, jede
|z13 Nation habe eine Religion für sich, sie zwingen auch daher niemanden
|z14 die ihrige anzunehmen. Wenn +christliche Missionäre ihnen von Christo
|z15 seinen Lehren, Leben pp erzählen, so hören sie aufmerksam zu, und
|z16 wenden nichts ein, wenn sie aber nachher anfangen von ihrer Religion
|z17 zu erzählen, und die Missionärs darüber unwillig werden, +.und ihnen
|z18 vorwerfen wie sie solche Unwahrheiten glauben könten, so nehmen die
|z19 Indianer ihnen dieses übel, indem sie sagen daß sie ihnen alles
|z20 geglaubt, ohne daß sie die Geschichten hätten beweisen können, warum
|z21 sie ihnen nicht eben so glaubten
|z22 δ_Rand S.86, ab Zeile 1
|z23 Nie zur gegenwärtigen sondern immer nur in alten Zeiten.
|z24 δ_Rand_ab Zeile 13
|z25 *1 Ein +Mensch nennt man eingeschränkt, der nur immer in einem
|z26 Schranken bleiben kann, übrigens aber doch auch verständig seyn mag.δ_

|P_87
|z1 3.) Iederzeit mit sich selbst einstimig zu denken, +.und zu urtheilen,
|z2 dies ist die consequente Denkungsart.
|z3 ≥ Reflexion. ≤
|z4 Reflexion ist die Vergleichung des Gemeinschaftlichen oder
|z5 Verschiedenen. Distraction ist unwillkürlich, wenn man sagt der Mensch
|z6 ist distrahirt, so heist das, er ist unfähig gemacht, durch etwas
|z7 weiter zu denken. Wenn man durch immerwährende Attention das Gemüth
|z8 erschöpft und abgestumpft hat, so erholt und dissipiret man sich,
|z9 indem man seine Attention auf viele Gegenstände zu vertheilen sucht,
|z10 damit sie auf keinem einzigen besonders stark haften bleibt. Die
|z11 Gedankenlosigkeit kann willkürlich seyn. Wenn man die Aufmerksamkeit
|z12 gar zu lange auf nichtige Gegenstände hemmt, so nennt man dies eine
|z13 unwillkürliche Zerstreuung. Mannigfaltige Geschäfte verschaffen uns
|z14 eine gute Zerstreuung; Gedankenlosigkeit erholet im Grunde nicht, nur
|z15 die Abwechselung. Dies ist in der That die beste Art sich zu erholen.
|z16 Wieland bedient sich derselben, indem er zu gleicher Zeit prosaische,
|z17 poetische +.und historische Arbeiten macht.
|z18 δ_Rand S.87, ab Zeile 16
|z19 Und denn wird sie sehr schädlich
|z20 δ_Rand_ab Zeile 21
|z21 Abstrakte Begriffe, die sich nicht in Concreto hinstellen lassen
|z22 distrahiren sehr.δ_
|z23 δ_Lage_M.

|P_88
|z1 ≥ Sonnabend 27ste Stunde von 8 - 9 den 26ste +.November ≤
|z2 ≥ Von der Unmündigkeit. ≤
|z3 Die Unmündigkeit ist das Unvermögen ohne Leitung eines andern, etwas
|z4 selbst bestimmen zu können, kommt dies vor den Iahren, so nennt man es
|z5 Minorenität, wenn es nicht mehr von den Iahren kommt, so nennt man es
|z6 natürliche Minorenität. Die leztere besaß Philipp der 4te König von
|z7 Spanien. Er ließ z. E. noch vor seinem Ende, durch seinen Beichtvater,
|z8 der ihn überhaupt immer beherrscht hatte, einen Aufsatz von demjenigen
|z9 machen, was ihm noch zu thun übrig wäre. Da dieser Aufsatz fertig war
|z10 fand ihn der König durchgehends gut, nun mochte er aber selbst nicht
|z11 einmal die Befehle zur Vollstreckung der darin gethanen Vorschläge
|z12 selbst ertheilen, sondern auch dies mußte der Beichtvater thun Die
|z13 Unmündigkeit kann:
|z14 1.) Geschäfte,
|z15 2.) Das Denken betreffen.
|z16 Unmündigkeit im Denken nennet man, wenn Menschen sich selbst in der
|z17 Religion nicht das
|z18 δ_Rand S.88, ab Zeile 22
|z19 Diese Leute denken immer, ich bin ein Laye, der Philosoph nennt sie
|z20 Idioten.δ_

|P_89
|z1 geringste Selbstdenken zutrauen. So war es ehemals der Gebrauch, daß
|z2 sich viele Leute Menschen hielten, die für sie ein gut Gedächtniß oder
|z3 wohl gar ein gutes Herz, haben sollten, von der leztern Beschaffenheit
|z4 sind doch eigentlich die Almos@¿¿¿¿@. Man erzählt daß jemand einst, da
|z5 man ihm die Nachricht brachte, sein «¿¿»Haus brenne, {{den Leuten}} zur
|z6 Antwort gegeben habe: Ich habe es euch ja schon tausendmal gesagt,
|z7 solche Dinge gehören für meine Frau. Wenn Mann und Frau in solchem
|z8 Verhältniß mit einander stehn, so führt die leztere Vormundschaft über
|z9 den ersten. Uebrigens sind Frauenzimer in bürgerlichen Geschäften
|z10 stets unmündig. Man betrachtet das ganze Publikum für unmündig, wenn
|z11 man den falschen Grundsatz in Ausübung bringt: "Das Publikum braucht
|z12 die Gesetze nach denen es gerichtet wird nicht zu wissen, wenn jemand
|z13 gefehlt hat so wird man es ihm schon sagen." Die Frauenzimmer sind
|z14 eher reif zu «H»haushälterischen Geschäften als die Männer, man kann
|z15 ihnen früher Geld anvertrauen, was Iünglinge vielleicht verschwenden
|z16 würden.
|z17 Schnörkel
|z18 δ_NB Eigentlich ist hier der Theil vom +.Erkenntnisvermögen zu Ende,
|z19 jedoch ist das folgende noch ein davon unzertrennlicher Anhang.δ_
|z20 δ_Rand S.89, ab Zeile 19
|z21 Die Natur hat weise den Trieb zur Sparsamkeit in das +weibliche
|z22 Geschlecht gelegt, damit es desto besser einer Haushaltung vorstehen
|z23 könne. Von einem +Menschen der schon in der Iugend geizig
|z24 δ_Rand_ab Zeile 21
|z25 @¿Verrate\Verwandte¿@δ_

|P_98
|z1 [ ≥ Krankheiten der Vernunft. ≤
|z2 Ein gestörtes Gemüth ist das Genus, Delirium *1 ist Species. Delirium
|z3 ist nicht allein Schwächung, sondern auch gänzliche Umstimmung der
|z4 Gemüthskräfte, die nicht in derselben Proportion wirken, als in dem
|z5 gesunden Zustande des Menschen.
|z6 I. Schwachsinn, Blödsinn, Imbecillitas. Dies wird aber nicht zum
|z7 gestörten Gemüth gerechnet, +.und kann so weit gehen, daß der Mensch
|z8 dem Thiere gleich wird. In den Schweizergebürgen wohnet eine
|z9 Menschenart, die Cretins *2 genannt, sie haben eine gänzliche
|z10 Unfähigkeit im Gebrauche des Verstandes. Ihre Wohnplätze sind im
|z11 Walliserland, +.und dem angrenzenden Savoyen, wo keine rechte
|z12 Circulation der Luft
|z13 δ_Rand S.98, ab Zeile 3
|z14 Siehe Kants Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der
|z15 Metaphysik.
|z16 δ_Rand_ab Zeile 11
|z17 *1 Wahnwitz, Wahnsinn Aberwitz sind nur Veränderungen in der Regel.
|z18 δ_Rand_ab Zeile 18
|z19 *2 Sie sind eigentlich Mißgeburten.δ_

|P_99
|z1 statt findet. Sie mögen gerne in der stärksten Sonnenhitze liegen,
|z2 +.und betragen sich bei allem ganz passiv. Die dort wohnenden Leute
|z3 halten es für ein Glück, dergleichen Kinder zu bekommen, +.und pflegen
|z4 sie mit der grösten Mühe +.und Sorgfalt. Alt werden sie nie. Eine
|z5 andre solche Menschenart auf den Pyrenäen, heissen Cagots. Dies Volk
|z6 soll gleichfalls sehr im Gebrauche des Verstandes herabgesetzt seyn.
|z7 Es ist der Rest der arianischen Gothen die ehedem in diesen Gegenden
|z8 ihre Wohnplätze hatten. Die Dummheit ist unter ihnen erblich, +.und
|z9 ihre Race artet nie aus.
|z10 II. Zu dem Delirio rechnet man auch das Irre Reden bei Krankheiten.
|z11 Bei der Anatomie gestörter Menschen, hat man den einzigen Unterschied
|z12 gefunden, daß ihr Gehirn compacter als das Gehirn andrer Menschen ist,
|z13 bisher hat man andre Unterscheidungszeichen noch nicht auffinden
|z14 können. Dies leztere (das irre Reden) entsteht nur durch eine unharmo-
|z15 nische Stimmung der Gemüthskräfte in Krankheiten. Eigentlich läßt es
|z16 sich «s» nicht recht erklären, was ein gestörter Mensch sey.
|z17 Fontenelle sagt: wir sind alle Narren, nur mit dem Unterschiede, daß
|z18 man die von der allgemeinen Art für klug hält, aber diejenigen von der
|z19 besondern von uns Narren genannt werden. Und wir sind auch in der That
|z20 vollgepfropft von +.Thorheiten würden wir uns recht untersuchen, so
|z21 würden wir es auch finden.
|z22 δ_Rand S.99, ab Zeile 5
|z23 vide hier Carbonnier einen neuen Autorδ_

|P_100
|z1 ≥ Andre Stunde von 9 - 10 ≤
|z2 III. Amentia, Sinnlosigkeit, auch Blödsinnigkeit, Dementia, eine
|z3 Verrückung, Verkehrung, +.und gänzliche Verstimmung aller
|z4 Geisteskräfte, läßt sich theilen in:
|z5 1.) Wahnsinn, da liegt der Fehler in der Einbildungskraft.
|z6 2.) Wahnwitz, - - - - - - - - - - in der Urtheilskraft.
|z7 3.) Aberwitz - - - - - - - - - - in der Vernunft.
|z8 4.) Blödsinn - - - - - - - - - - im Verstande.
|z9 Hypochondrie ist die körperliche Ursache der Gemüthskrankheit
|z10 Grillenkrankheit genannt, «sie ist» welche obschon noch nicht völlig
|z11 Delirium, doch das Analogon davon ist. Ein solcher Mensch weis es, daß
|z12 seine Gedanken unregelmäßig sind, +.und sucht sich seiner Phantasie zu
|z13 entschlagen, obschon er es nicht vermag.
|z14 1.) Wahnsinn ist eine Einbildung. Lavater glaubt in den Physiognomien
|z15 der Menschen alles das zu sehen, was er von ihnen gehört hatte. Ein
|z16 Fleischer in Göttingen, mit Namen Rickerot, der viele Weiber getödtet,
|z17 hatte in seinem Gesicht wenn er sprach, immer etwas lächelndes. Man
|z18 lies in mahlen, +.und schikte Lavatern das Gemählde, ohne jedoch von
|z19 den Thaten des Mannes die mindeste Erwähnung zu thun. Lavater konnte
|z20 aber aus seiner Physiognomie nichts weiter schließen, als daß er etwas
|z21 spöttisches an sich habe. Die Marquisin von Brinvillier was eine
|z22 ausserordentliche Giftmischerinn. Sie vergiftete

|P_101
|z1 ihren Vater, Bruder, Schwäger +.und andre. Sie sahe sehr gut aus,
|z2 demohngeachtet fand Lavater, der von ihren Handlungen nichts wuste,
|z3 sie habe in ihren Augen einen teuflischen Zug. Dennoch sind die
|z4 Physiognomisten (auch selbst hierinn der gute Lavater) Phantasten,
|z5 +.und Phantasie *1 kommt dem Wahnsinn nahe. Ein Mensch der oft mit
|z6 sich selber redet, ist eine Species davon. Es ist merkwürdig, daß man
|z7 nie ein gestörtes Kind findet. Sondern erst zu der Zeit wenn sich die
|z8 Vernunft entwickelt, nemlich mit 15 - 16 - 17 Iahren, entwickelt sich
|z9 auch die Dollheit, oder wie man es auch nennt der Wurm, Sparn. Der
|z10 Sparn ist ein Wapen des Felsischen Hauses - Man sagt auch von einem
|z11 solchen, er hat die Linie passirt, er hat einen Raptus. Verrückungen
|z12 sind ins gesammt nicht zu gezogen, sondern mehrentheils erblich.*2
|z13 Ueberstudiert ist nichts. Wer nicht schon einen Ansatz zum Wurm hat,
|z14 wird durch zu vieles Studieren nicht dahin kommen, daß er die
|z15 Offenbahrung Iohannis entziffern will. Eben das gilt von Hochmuth,
|z16 Verliebthe pp Der Hochmüthige ist schon +.gewissermaßen doll er wird
|z17 es nicht erst durch seinen Hochmuth. Ein Mensch kann raptus haben,
|z18 ohne ganz gestört zu seyn. Es sind Abweichungen vom gesunden
|z19 Verstande, die durch den Affect zuwege gebracht sind. Manche sind nur
|z20 in Ansehung eines Punkts wahnsinnig.
|z21 δ_Rand S.101, ab Zeile 5
|z22 *1 Ist +sinnliche Empfindung.
|z23 δ_Rand_ab Zeile 8
|z24 +.Delirium nie vor der +.Männlichkeit weil sie große +.Veränderungen
|z25 giebt.
|z26 δ_Rand_ab Zeile 12
|z27 *2 Wenn ein Kind in einer +.Familie seinem Verwandten gleicht welcher
|z28 gestört ist, so wird es +.gemeinhin auch gestört. Das dauert bei den
|z29 folgenden +.Generationen lange fort.δ_

|P_102
|z1 +.und das nennt man Delirium circa objectum. Kommt man mit ihnen auf
|z2 einen gewissen Punkt, so ist alles vorbei. Etwas anders ist Delirium
|z3 vanum. Manche Menschen haben eine noch andere Art von Wahnsinn, sie
|z4 glauben nemlich, daß alle Menschen sich beredet haben, sie anzufeinden
|z5 +.und zu beleidigen. Ein Beispiel von der Art ist Werner, der in
|z6 vielen Ländern herumreis«e»te, sich aber an jedem Orte nur so lange
|z7 aufhielt, als er vermuthen konnte daß sein Name noch nicht
|z8 bekanntgeworden wäre, denn sobald dies nur geschehn, glaubte er alle
|z9 +Menschen paßten schon auf, ihn zu beleidigen +.und zu kränken.
|z10 2. Wahnwitz im Raisonniren (ist unterschieden von dem andern) Ein
|z11 solcher +Mensch bildet sich ein, daß er über alles weit besser
|z12 raisonniren könne als andere. Man kann es den logischen Egoismus
|z13 nennen, weil er glaubt er brauche nie das Urtheil irgend eines andern,
|z14 indem das seinige stets das beste ist.
|z15 3.) Aberwitz ist der Wahn vom Witz oder Verstande, in Ansehung des
|z16 Ueberschwenglichen, ein überflüssiges Vermögen haben wollen, indem man
|z17 sich zu gleich dasselbe mit Deutlichkeit vormahlet, so wie
|z18 Schwedenborg Umgang mit Engeln, überhaupt viele Geheimniße einsehn zu
|z19 können, vorgab. Wahnsinn ist eher zu heilen als Wahnwitz +.und
|z20 Aberwitz. Hypochondrie nähert sich gar nicht dem +.Wahnwitz +.und
|z21 +.Aberwitz wohl aber dem Wahnsinn.
|z22 δ_Rand, S. 102, Z. 9.
|z23 Figurδ_

|P_103
|z1 ≥ 29ste Stunde Mittwoch den 30sten +.November ≤
|z2 Die Gradationen der Gemüthskrankheiten sind so unendlich, daß man sie
|z3 kaum unterscheiden kann. Bei der Störung des Gemüths finden oft große
|z4 Talente statt. Es giebt Menschen, die viel sonderbares Zeug aber doch
|z5 mit einer gewissen Methode reden, also oft Talente +.und Originalität
|z6 in der Dollheit. Der Engländer Harrington ist hievon ein Beyspiel. Es
|z7 ist sonderbar, daß manche +Menschen bisweilen glauben Funken aus ihrem
|z8 Körper springen zu sehn, +.und +.überhaupt versichert sind daß viel
|z9 Electricitaet in ihrem Körper ist.
|z10 Was mag es wohl seyn, was den Unterschied zwischen einem tiefsinnigen,
|z11 gestörten Gemüth (wenn man einen Autor tiefsinnig nennt, so ist dies
|z12 eben kein großes Lob, denn es würde anzeigen er gehört in's Hospital,
|z13 tiefdenkend muß man sagen,) +.und einem bloß schwachen Kopf macht? Der
|z14 gestörte +Mensch hält seine Urtheile nie an *1 die Urtheile anderer,
|z15 welches der schwache doch thut.
|z16 Es ist eine sehr alberne Idee, wenn man glaubt, viel Feinde zu haben,
|z17 sie zeigt entweder einen schwachen Kopf oder einen gewissen Hochmuth
|z18 an. In England geschieht es häufiger als anderswo, daß gestörte wieder
|z19 zur Vernunft gebracht werden es sind großentheils Nervenkrankheiten,
|z20 δ_Rand S.103, ab Zeile 2
|z21 Blödsinn Gemüthsschwäche Störung pp.
|z22 δ_Rand_ab Zeile 16
|z23 *1 Wer dies nie thun will ist gewöhnlich gestört.δ_
|z24 δ_Lage_O

|P_104
|z1 die nur vorübergehend sind. Die Vapeurs sind eine schlimme Krankheit,
|z2 welche aus Ueberdruß an allem aus Langerweile entsteht. Seit der
|z3 Revolution haben sie in Frankreich aufgehört; dagegen sind, da sich
|z4 die Frauenzimmer oft das Gemüth überspannt, mehr verrükt geworden; -
|z5 demnach im Ganzen weniger gestorben. Bei der Annäherung von Verrückung
|z6 kommt zuerst Einfalt, d. h. Mangel an Verstand. Mangel an
|z7 Urtheilskraft ist Dummheit. Es findet zuweilen bei großen Gelehrten
|z8 statt, die sich ganz einem Fach widmen, daß sie in manchen andern
|z9 Fällen unwißend sind.
|z10 Ein Narr *1 ist der, der einen größern Werth in sich selbst setzet als
|z11 ihm zukommt; einer der grössern Werth in Dinge setzet als ihnen
|z12 zukommt, ist ein Thor. Man lacht ihn aus. Weisheit ist der Thorheit,
|z13 Klugheit der Narrheit entgegengesetzt. Den größten Theil der Menschen
|z14 könnte man eher Narren als Bösewichter nennen. Deswegen sagt ein
|z15 Autor: Ein Narr stößt dem andern an den Kopf, und stößt mit seinem
|z16 leeren Kopf seinen Bruder an. (+.Anmerkung +.Asiatische Völker haben
|z17 sonderbare Meinungen über die Erde; die Perser sagen, die sey der
|z18 Abtritt, wohin der Engel die Menschen einmal aus dem Paradiese
|z19 gebracht, wo sie aber unglüklicher Weise durch ein Versehn geblieben
|z20 δ_Rand S.104, ab Zeile 11
|z21 *1 Er ist beleidigend hochmüthig.δ_

|P_105
|z1 wären. Die Indier sagen sie sey das Zuchthaus, wohin sie der böse
|z2 Engel Moasor gebracht, +.und sie dadurch zu reinigen; sie wären ehedem
|z3 blos Geister gewesen, jetzt wäre aber der Körper ihr Fegefeuer,
|z4 ergastulum.)
|z5 Wir lieben nie den ganz fehlerfreyen Menschen im Roman, (wie
|z6 Grandison), +.und das deswegen, damit wir in Betracht gegen unsre
|z7 Fehler etwas zur Gegenrechnung behalten. Man würde sich zu tief unter
|z8 ihm fühlen.

|P_106
|z1 [Ein Mann von Kopf ist derjenige der sich in alles zu
|z2 finden weiß. Mann von Geist seyn ist noch mehr, denn dieser weis Dinge
|z3 zu erfinden. Wer nicht Kopf hat, den nennt man einen Pinsel. Dieser
|z4 Ausdruk Pinsel ist von den Klekmahlern hergenommen, die nichts weiter
|z5 können, als den Pinsel mechanisch führen. Es kommt bei den Menschen
|z6 viel auf die Proportion an, womit sie Witz +.und +Urtheilskraft
|z7 verbinden. Es ist besser, auf einer niedrigen Stufe Lob als auf einer
|z8 hohen Unehre zu erlangen. Man nennt Leute witzig, +.scharfsinnig
|z9 +.verständig pp nachdem eine oder die andre Fähigkeit mehr
|z10 hervorleuchtet. Manche wissen sich mehr als andre in Dinge zu
|z11 bequemen, sie können z. E. durch ein Mikroskopium mehr sehen +.und
|z12 entdecken als andre. Dagegen besitzen wieder andere das Talent besser
|z13 Methoden zu erfinden. Durch diese leztere Eigenschaft zeichnen sich
|z14 vorzüglich die Schweitzer aus. Viele Bauern unter ihnen kann man mit
|z15 Recht El‚ves de la nature nennen. Ohne je Unterricht empfangen zu
|z16 haben, machen sie die geschiktesten Kunstwerke, z. E. Brücken

|P_107
|z1 über reissende Ströme, welche sie ganz selbst aus gedacht hatten. Ein
|z2 von Sulzer dem verstorbenen +König Friedrich II. empfohlner Schweitzer
|z3 erfand ein Klavier, wobei durch eine Walze alles was darauf fantasirt
|z4 wird, ziemlich leserlich auf Papier geschrieben wurde.
|z5 Po‰ta heißt ein Macher, er schaffet alles um sich her. So stellt ein
|z6 Leichendichte den Menschen vor, wie er hätte seyn sollen, aber nicht
|z7 wie er war. +.Philosophie ist der +.Vernunftgebrauch aus Begriffen;
|z8 oft kann ein guter Mathematiker nie ein guter Philosoph werden. Esprit
|z9 universel, Ingenium ist die angeborne Anlage des Menschen im Gebrauche
|z10 der obern Erkenntnisse. (Schon oben wurde vom Studium der Köpfe +.und
|z11 Fähigkeiten gehandelt
|z12 [δ_Rand S.107, ab Zeile 2
|z13 Mit Namen Hochwald.
|z14 [δ_Rand_ab Zeile 14
|z15 *1 Der mehr +.Beobachtungen +.und +.Erfahrungen macht, man nannte
|z16 ehedem alle Aerzte Empiriker, der Stifter der +.Skeptischen Secte war
|z17 ein Arzt!δ_

|P_113
|z1 [+.Musicalischer Kopf ist ein Unding, man kann ihn nicht
|z2 haben, wohl aber musikalisches Genie.
|z3 [Dies ist eine Materie vorüber
|z4 schon sehr viel geschrieben. Genie ist eigentlich Talent vom höhern
|z5 Range - die musterhafte Eigenthümlichkeit des Talents. Dieses Talent
|z6 hat eine Eigenthümlichkeit, was durch Nachahmung nicht bewirkt werden
|z7 kann, +.und diese Eigenthümlichkeit nennt man Originalitaet.
|z8 [der Deutsche hat für Genie kein Wort.
|z9 δ_Rand S.113, ab Zeile 12
|z10 Genie besteht darinn, daß etwas ausgeführt wird was ein Muster für
|z11 andere werden kann.
|z12 δ_Rand_ab Zeile 21
|z13 *1 Nur der Geist der Nachahmer z. B. die Russen im Mahlen, sie können
|z14 gut copiren, aber nicht selbst machen, sie haben keine
|z15 +Eigenthümlichkeit im Mahlen.δ_

|P_114
|z1 auch ist das Wort Genie nicht +ursprünglich französisch, sondern es
|z2 kommt aus dem lateinischen Wort Genius. Genius war bei den alten
|z3 Römern der eigenthümliche Geist des Menschen, der bei der Geburt
|z4 anfängt, +.und mit dem Tode aufhört. Dieser Geist war dem Menschen
|z5 beigesellt, um ihn an, +.und abzurathen. Das ist eine Art Metapher
|z6 +.und Allegorie. Doch hat das Wort bei den Lateinern nicht die Be-
|z7 deutung die es bei uns hat. Es bedeutett nemlich nicht Genie sondern
|z8 ein reines Ingenium.
|z9 Im Genie ist Originalitaet der Einbildungskraft das vorzüglichste
|z10 +.und hauptsächlich nothwendige, in so fern sie ein Muster wird. Der
|z11 Verstand +.und die Urtheilskraft muß sie doch im Zügel halten, weil
|z12 sie sonst zügellos +.und regellos wird. Man hat auch gewiße Künste des
|z13 Genies. +.Wissenschaften können durch anhaltenden Fleiß erlernt
|z14 werden, vorausgesezt daß man das Mittelmaaß der Talente die dazu
|z15 erfordert werden, habe: Z. E. «Die»In +.Mathematik, Geschichte, pp
|z16 kann man durch anhaltenden Fleiß ziemliche Fortschritte machen, ohne
|z17 sonderliche Talente. Allein mit allem Fleiß kann man es doch nicht
|z18 weit in der Person bringen, wenn man nicht schon +natürliche Anlagen
|z19 dazu hat. Das Genie *1 geht +eigentlich auf Künste, +.und diese nennt
|z20 man schöne Künste. Schöne +.Wissenschaften giebt es gar nicht, denn
|z21 sie gehören zum Verstande. (Dichtkunst, Redekunst pp sind schöne
|z22 Künste.)
|z23 δ_Rand S.114, ab Zeile 21
|z24 *1 Es ist angebohren, durch alle +mögliche Mühe kann man +nicht dazu
|z25 gelangen.
|z26 (Weiß man etwas von einem Handwerk, so kann man es auch machen bei der
|z27 Kunst ist's nicht so z B beim Mahlen.δ_

|P_115
|z1 Virgil hat zwar den Homer nachgeahmt in der Manier, hat aber doch
|z2 Originalitaet. Diese +.Originalitaet des Virgil wurde aber durch den
|z3 Homer aufgewekt, +.und ohne Homer wäre nicht Virgil gewesen. Voltaire
|z4 sagt sogar, wenn Homer den Virgil geschrieben hat, so wäre lezterer
|z5 sein bestes Buch.
|z6 - Ein Mahler kann nachahmen in der Manier, wenn er auch nicht
|z7 dieselben Stücke zeichnet. Die Gruppirung (Stellungen) Licht +.und
|z8 Schatten kann er nachahmen, denselben Styl kann er Zwar haben aber
|z9 nicht denselben Innhalt. Zum nachahmen braucht der Mensch Verstand,
|z10 zum Nachäffen aber Affenverstand; diese sklavische Art der Nachahmung
|z11 benimmt alle Eigenthümlichkeit, +.und man findet sie bisweilen in
|z12 Schulen, z. E. die Nachäffung der Cicero«¿»nianischen Reden. Wenn auch
|z13 viele bei Einem schreiben lernen, so hat doch jeder eine andere
|z14 Manier, das beruht auf der organisation der Finger. Ein Talent ist
|z15 jede Eigenschaft unserer Erkenntnißkraft. Man sezt das Genie in der
|z16 Freyheit vom Zwange der Regeln z. E. In der Poesie.
|z17 Man nennt das exemplarisch musterhaft, was andere zur Regel dienen
|z18 kann, was nachgeahmt zu werden verdient. Das Talent, insofern es vom
|z19 Gebrauch vom bloßen Nachahmungsvermögen sich unterscheidet, ist
|z20 negativ;
|z21 δ_Rand S.115, ab Zeile 14
|z22 So hat auch jeder im Vortrage seine besondre Manier.δ_

|P_116
|z1 insofern es aber selbst nachgeahmt zu werden verdient nennt man es
|z2 positives Genie, dies wird stets besonders gerühmt.
|z3 Der Nachäffer ist selbst nichts als der Schatten eines Andern, hatt
|z4 keinen Werth, hätte er nur wenigstens noch sein Talent aufgedrükt.
|z5 ≥ 31 +.Stunde +.Sonnabends +von 8 - 9 ≤
|z6 Genie wird (wie oben gesagt) gesetzt in der Freiheit vom Zwange der
|z7 Regeln. Es giebt auch Originalitaet in der Narrheit, auch Methode im
|z8 Unsinn. Original ist das was nicht nachzuahmen ist, exemplarisch aber
|z9 das, was nachahmungswürdig ist. Daher ist die exemplarische
|z10 Originalitaet die beste
|z11 Regeln sind Gängelwagen wovon wir geführt sind, sind sie schon
|z12 vorhanden, so ist man Nachahmer. Sofern die Mahlerei Kunst des Genies
|z13 ist, besteht sie in der Nichthaltung an Regeln. Lernen ist nichts
|z14 anders als Nachahmen. Die Hervorbringung des Genies ist das, was man
|z15 nicht lernen kann - z. E. man kann wohl reimen aber nicht dichten
|z16 lernen. Der Dichter wird gebohren, (Chesterfield).
|z17 In Italien gab es ehedem Erbprofessoren; es wunderte sich jemand
|z18 hierüber, aber er erhielt zur Antwort: ey hat man doch Erbkönige! -
|z19 ist es etwa leichter, einen Staat zu regieren, als eine +.Wissenschaft
|z20 methodisch zu lehren?

|P_117
|z1 Wenn man schon einmal Narr ist, so ist es besser, Narr in, als ausser
|z2 der Mode zu seyn. Von gewißen Regeln, die conventionell sind, können
|z3 wir uns nicht so recht frey machen, weil die Vernunft sie uns lehrt.
|z4 Nur in Dingen, wo niemand vor uns die Bahn gebrochen, ist es erlaubt,
|z5 etwas zu wagen, +.und seine Hypothesen vorzutragen. Die Poeten haben
|z6 eine gewisse Licentia poetica, aber nicht wie @¿Pap¿¿@, der wenn in
|z7 einer Zeile eine Sylbe zu wenig war, auf der andern eine dazu nahm.
|z8 Der Dichter kann einmal ein Wort machen, welches nicht gebräuchlich
|z9 ist, oder ein Wort in einer andern Bedeutung gebrauchen - Es giebt
|z10 Genieaffen, welche nachher auch keine einzige Regel mehr beobachten.
|z11 Die Producte des Genie's sind immer Arten von Eingebungen. Sachen des
|z12 Genies können nicht nachgeahmt werden. Durch das Genie giebt die Natur
|z13 der Kunst die Regeln. - Geniemäßig d. h. obenhin Dinge behandeln dient
|z14 zum Spott.
|z15 Geist ist das Vermögen, die Einbildungskraft durch Ideen zu beleben.
|z16 Ein Genie hat immer Geist. Schwung ist eine Bewegung, die immer
|z17 fortdauert, wenn sie einmal eingedrükt ist, - eine Art von
|z18 unwillkürlicher Bewegung, wie z. E. wenn etwas von einem Berge
|z19 herunterfällt, oder +.der +.gleichen.
|z20 δ_Rand S.117, ab Zeile 18
|z21 Oder: der +.Einbildungskraft einen Schwung zu geben.δ_

|P_118
|z1 Dem freyen Schwung des Geistes ist der Mechanismus entgegengesetzt.
|z2 Ein +.mechanischer *1 Kopf kann alle Talente haben, muß aber immer
|z3 durch eine Regel gelenkt werden. Genie's sind zwar in der Welt zu
|z4 großen Revolution¿ nöthig, haben viel Vorzüge, machen auch wohl Epoche
|z5 in der Welt, aber doch haben am Ende die +.mechanischen Köpfe das
|z6 größere Verdienst, sie erhalten Ordnung +.und das gemeine Wesen, sie
|z7 machen sich vom Zwange der Regeln nicht los, thun daher auch das
|z8 meiste Gute in der Welt, indeß große Genie's oft durch die Verwirrung
|z9 die sie gestiftet viel Schaden angerichtet haben.
|z10 Man kann das Genie mit einem kollernden, +.und den +.mechanischen Kopf
|z11 mit einem Schul-Pferde vergleichen; das erstere wird gern geritten,
|z12 weil es durch seine Wildheit viel Aufsehn macht, +.und demohngeachtet
|z13 bleibt das leztere immer am meisten lobenswerth.
|z14 Das Genie kann man von dem Virtuosen unterscheiden, im Grunde
|z15 betrachtet giebt lezterer keine Regel an die Hand. Der Musiker, der
|z16 ein guter compositeur ist, ist ein Genie, denn Erfindung gehört zum
|z17 Genie. Die Execution des Stücks erfordert ein eigentliches Talent in
|z18 +.Ansehung der Ausführung wozu Mechanismus in den Organen sehr
|z19 beförderlich ist. Man kann zum Genie rechnen:
|z20 δ_Rand S.118, ab Zeile 2
|z21 *1 Er hat Verstand aber nicht Geist.δ_

|P_119
|z1 1.) Einbildungskraft, sie muß aber nicht regellos, und noch weniger
|z2 zügellos seyn. Sie ist sowohl in +.Ansehung der Fruchbarkeit, als
|z3 Mannigfaltigkeit die Basis des Genie's.
|z4 2.) Urtheilskraft, ist die Kraft, welche die +.Einbildungskraft ein-
|z5 schränkt, +.und unter Regeln bringt, Behutsamkeit im Gebrauch seines
|z6 Verstandes, negative Klugheit, sie ist ernsthaft +.und glänzt am
|z7 wenigsten.
|z8 3.) Geist, aus den beiden vorigen zusammengesezt, ist das Vermögen die
|z9 +.Einbildungskraft durch Ideen zu beleben, dies entsteht denn, wenn
|z10 sie in Schwung gesetzt wird - beruht auf dem großen Gehalt der Ideen.
|z11 +.Anmerkung Als der Vater des berühmten Rapha‰l Mengs, diesen seinen
|z12 Sohn taufen lies, wunderte man sich warum er ihn Raphael genannt, da
|z13 er doch noch nicht voraus sehen könnte ob er einstens, soviel Genie
|z14 zur Mahlerey zeigen würde als Raphael, hierauf versetzte er; Ich will
|z15 ihm das Genie schon beibringen. Er hielt auch in der That Wort, indem
|z16 er seinen Sohn durch Schläge dahin brachte, daß er die Contours immer
|z17 richtig zeichnet. Mengs gestand auch selbst daß ihm dieses viel
|z18 geholfen indem er in der Folge stets gewiß war, daß seine Contours
|z19 fehlerfrey wäre, +.und des wegen nur blos auf Schatten Licht, Ausdruk
|z20 pp sein {{Augenmerk}} richten durfte.
|z21 4.) Geschmack zeigt die Reife der Producte des Genies an, dies ist das
|z22 schwerste. Man kann ihn aestetische +.Urtheilskraft nennen. Die
|z23 +.Einbildungskraft muß stets vom Verstande geleitet werden.
|z24 δ_Rand S.119, ab Zeile 14
|z25 Es hatte einmal jemand ein +vortrefliches Gemälde verfertigt, welches
|z26 aber todt schien, Mengs rieth dem Verfertiger, er solle im
|z27 Vordergrunde noch eine Mewe mahlen, +.und durch diesen Vogel wurde
|z28 schnell das ganze Gemälde gehoben, +.und sah lebhaft aus. Wer solche
|z29 Dinge erfindet, zeiget daß er einen großen Kopf habe.δ_
|z30 δ_Lage_Q.

|P_120
|z1 ≥ 32ste +.Stunde +.von 9 - 10 ≤
|z2 Das Genie bei verschiedenen Nationen,*1 nimmt folgende Wendungen an:
|z3 Bei den Italiänern schießt das Genie in die Krone, d. h. sie lassen
|z4 sich bei ihrem Genie durch die Sinnlichkeit hinreissen, dies ist
|z5 Einbildungskraft.
|z6 Bei den Deutschen in der Wurzel d. h. sie besitzen viel Urtheilskraft
|z7 in ihrem Genie.
|z8 Bei den Engländern in die Frucht d. h. in dem Genie, was sie zeigen,
|z9 ist viel Geist, +.und in ihren Schriften findet man am meisten
|z10 Gedankenfülle +.und Reichhaltigkeit am Verstande.
|z11 Bei den Franzosen in die Blüthe, d. h. sie haben viel Geschmak in
|z12 ihrem Genie.
|z13 Die Schulanstalten +.und selbst die Regierung, sind Schuld daran, daß
|z14 es so wenig Genie's giebt. Der Mechanism sollte da er doch nöthig ist,
|z15 behutsam gebraucht werden, damit nicht alle Genie's untergehen. Der
|z16 +.Mechanismus erstrekt sich auch wohl nachher so sehr auf die
|z17 Denkungsart, daß man nicht anders als nach einem Model denkt. Die
|z18 deutsche Nation ist dazu sehr gestimmt. Zu einem Beweise dient ihre
|z19 Titelsucht. Dies +.mechanische hängt sehr von der Regierung ab, indem
|z20 die Richter nach dem Buchstaben des Gesetzes richten müssen, +.und es
|z21 doch nicht möglich ist, daß auf alle Fälle ein Gesetz gemacht werden
|z22 kann.
|z23 δ_Rand S.120, ab Zeile 2
|z24 *1 Bei manchen findet sich mehr als bei andern, in Italien ist viel
|z25 Stof dazu.δ_

|P_121
|z1 Es giebt in Deutschland viel affectirte, +.und angemaaßte Genie's,
|z2 welche zwar die rohe Stärke der Einbildungskraft haben, bei denen sie
|z3 aber nicht durch «Zustand» {{Geschmak}} cultivirt ist.
|z4 Gewöhnlich nennt man einen außerordentlichen Kopf Genie, welches nicht
|z5 +eigentlich ist, weil die alle Kräfte proportionirende Originalitaet
|z6 fehlt. Newton war ein großer Kopf, kein Genie. Genie geht auf
|z7 +.Einbildungskraft angemessen ihrer eigenen Freyheit des Geistes. Es
|z8 ist ein glüklich Talent, nach dem Qualität durch Fleiß cultivirt.
|z9 Milton, Schakespaer sind Genie's.
|z10 Wenn jemand wozu Naturhang hat, besizt er auch dazu Naturtalent? Es
|z11 ist schwierig auszumachen; +.und leider ist es oft nicht wahr. Z. E.
|z12 Kinder die Aerzte in Kutschen {{So auch mit Mahlerey +.und Predigen.}}
|z13 sehen wollen werden was jene sind pp - Es giebt Günstlinge der Natur,
|z14 wie z. B. die El‚ves de la Natures in der Schweiz.
|z15 Ein frühzeitiger Kopf, (ingenium precox, frühreifes Talent) kann
|z16 eigentlich nicht zum Genie gerechnet werden, weil er nicht soviel
|z17 leistet als er verspricht. Ein Kind z. B. das sehr klug ist, bringt es
|z18 hernach doch nicht weiter als andre, der einzige Unterschied ist daß
|z19 es früher fertig wird. Am unerträglichsten ist die frühe
|z20 Urtheilskraft. Heiniken aus Lübek ein Kind von 10 Iahren, war
|z21 +ausserordentlich klug, +.und starb frühzeitig - er wäre doch nur ein
|z22 +.mittelmäßiger Kopf geworden. Dagegen findet man große Köpfe, die in
|z23 ihrer Iugend wenig versprochen haben, als Fontenell.
|z24 δ_Rand S.121, ab Zeile 4
|z25 Nach dieser Proportion die durch +.Einbildungskraft harmonisch belebt
|z26 wird unterscheidet sich das Genie vom Kopf.
|z27 δ_Rand_ab Zeile 11
|z28 Daher ist's gut sich frühzeitig zu allerley Zwecken geschikt zu
|z29 machen.
|z30 δ_Rand_ab Zeile 19
|z31 Die Spanier in Amerika werden früh brauchbar haben aber nach dem
|z32 30sten Iahr ihr non plus ultra erreicht.
|z33 δ_Rand_ab Zeile 23
|z34 ein Tausendkünstler in den Wissenschaften.δ_

|P_122
|z1 Die Mikrologen sind von den Genie's unterschieden, sie können viel
|z2 Scharsinnigkeit beweisen, taugen aber nicht zu großen viel umfassenden
|z3 Sachen. Dem Mikrolog ist der extendirte Kopf entgegengesetzt. Es giebt
|z4 cyclopische Gelehrsamkeit, «¿¿»wo viel historisches Wesen ist, doch
|z5 die +.Urtheilskraft fehlt, in wie fern die Kenntniße richtig sind und
|z6 angewandt werden können. Das ist Polyhistorie, dieser Name kommt eben
|z7 daher weil das meiste darin, in historischen Kenntnißen besteht.
|z8 Salmasius (Saumaise) +.und Iulius Caesar Scaliger waren Polyhistoren.
|z9 Bei Plato war mehr Genie, bei Aristoteles mehr Verstand. Montucla sagt
|z10 in seiner Geschichte der +.Mathematik es habe im Alterthum nur einen
|z11 Archimedes, +.und in der neuern Zeit nur einen Newton *1 gegeben. Auch
|z12 Leibnitz war kein Originalgenie. - Selbst nicht Leonardo da Vinci,
|z13 welcher doch so zu sagen, alles war, er besaß nemlich alle
|z14 Wissenschaften, +.und Kenntniße, war der gröste Mahler +.und Bildhauer
|z15 seiner Zeit pp stellte dabei selbst eine sehr schöne Figur vor, und
|z16 was noch weit mehr als dieses alles ist, er war ein complett
|z17 rechtschaffener Mann. Er starb in den Armen Königs Franz V.
|z18 Naturalisten einer Wissenschaft nennt man diejenigen welche ohne
|z19 Anweisung +.Wissenschaft erlernt haben. Doch mangelt da das Fundament.
|z20 Die Leichtigkeit einer Ausübung «geschieht» {{entsteht}}
|z21 δ_Rand S.122, ab Zeile 2
|z22 Esprit bedeutet +.Verstand +.und Witz da haben die +.Franzosen keinen
|z23 Unterschied.
|z24 δ_Rand_ab Zeile 12
|z25 Der doch noch +.kein +.Original +.Genieδ_

|P_123
|z1 durch öftere Wiederholung, wodurch eine Fertigkeit entsteht, aber auch
|z2 eine Nothwendigkeit, die nennt man Angewohnheit. Z. E. man kann sich
|z3 das Flükwort oder die Miene eines andern angewöhnen, wenn man es ihm
|z4 oft nachmacht. Wenn ein Flükwort gleich ein gutes Wort ist, so taugt
|z5 es doch nicht, denn das Gute muß nach Grundsätzen +.und nicht durch
|z6 Angewohnheit ausgeübt werden. Bey der Angewohnheit findet Hülfe statt.
|z7 Die Angewohnheit wird nothwendig, +.und bei ihrer Erhaltung schädlich.
|z8 Man muß alles in der Welt thun +.und erdulden können, d. h. man muß an
|z9 alle Handlungen und Leiden sich gewöhnen, und es ist nicht gut wenn
|z10 man es nur mit gewißen Handlungen +.und Empfindungen so macht. Denn
|z11 eine Gewohnheit ist jederzeit ein Mechanismus, und der muß vermieden
|z12 werden. Der Mechanismus in Ausübung der Fähigkeiten ist dem Genie
|z13 nicht zuwider. Aber der Mechanismus muß in der Unterweisung aufhören
|z14 wenn auch die Genie's nicht wollen. Er ist nothwendig, in Ansehung des
|z15 Gedächtnisses +.und der Materialien, die gefaßt werden sollen.
|z16 +.Anmerkung Hier ist der erste Theil vom +.Erkenntnisvermögen zu Ende,
|z17 +und es fängt an der 2te -

|P_124
|z1 [Gefühl generaliter genommen ist das Subjective unsrer
|z2 Vorstellung, was keine Erkenntniß seyn kann. +.Empfindung ist das
|z3 Genus +.und Gefühl die Species. Empfindungen können auch
|z4 Erkenntnißstücke werden. Alle unsere Vorstellungen von Farben, oder
|z5 vom sauren +.und süssen Geschmak sind Empfindungen. So auch Licht,
|z6 kann ein Erkenntnißstück werden; man braucht diese Empfindungen, um
|z7 sich die +.Beschaffenheit eines Gegenstandes vorzustellen. Lücke Lust
|z8 +.und Unlust sind subjective Empfindungen, denn ich kann es von keinem
|z9 Gegenstande ausser mir sagen, sie liegen also blos in mir. Das
|z10 Angenehme liegt freilich im Gegenstande, als z. B. in der rothen
|z11 Farbe, sagt man aber, überhaupt es ist angenehm,*1 so ist es blos
|z12 +.subjektive +.Empfindung in mir. Lust ist die Beziehung meiner
|z13 +.Empfindung auf ein Subject. Gefühl der Lust ist dasjenige Gefühl,
|z14 welches Grund und Ursache {{im +.Gemüt}} hat sich selbst zu continuiren
|z15 fortzusetzen, dagegen ist das Gefühl der Unlust ein{{e}} solche«s»
|z16 Empfindung, welcher los zu werden, das Gemüth sich bestrebt.
|z17 δ_Rand S.124, ab Zeile 17
|z18 *1 In sofern können Gefühle nicht Erkenntnißstücke werden.δ_

|P_125
|z1 Die Gegenstände aus denen das Gefühl der Lust +.und Unlust
|z2 entspringen, werden nach der Verschiedenheit desselben genannt;
|z3 1.) angenehm, (+.oder schmerzlich)
|z4 2.) schön, (oder +häßlich)
|z5 3.) gut, (+oder böse.)
|z6 Das Angenehme ist der Grund der Lust +.und Unlust durch den Sinn
|z7 (+oder Empfindung) - +oder ist das das, was uns in der Empfindung
|z8 gefällt +.und vergnügt.
|z9 Das Schöne *1 ist der Grund der +.Lust +.und +.Unlust durch die
|z10 Reflection, (Geschmak) - Oder was uns in der Erscheinung ohne Geschmak
|z11 Das Gute ist der Grund der Lust und Unlust, nur allein durch Begrif
|z12 der Vernunft möglich, - oder es ist das was uns im Verstande gefällt.
|z13 Das Angenehme vergnügt,
|z14 Das Schöne gefällt
|z15 Das Gute wird gebilligt, in Beziehung auf den Zweck.
|z16 [δ_Rand S.125, ab
|z17 Zeile 10
|z18 *1 Es gefällt nur in der puren reflektirten Anschauung.δ_

|P_126
|z1 [Vieles gefällt, aber vergnügt nicht, z. E. wäre uns die
|z2 Tugend so angenehm als sie gefällt, (gebilligt wird) so würde jeder-
|z3 mann tugendhaft sein, denn sie ist das höchste Gut, +.und alles außer
|z4 ihr gehört blos zur Annehmlichkeit, aber leider vergnüget sie an sich
|z5 selbst nicht. Angenehm ist dasjenige wovon uns das Daseyn gefällt. So
|z6 erkennen wir von vielen Dingen daß sie schön sind, wie z. B. Von einem
|z7 prächtigen Pallast mit Kolonnaden, aber angenehm finden wir ihn
|z8 {{nicht}}, denn an seinem Daseyn können wir eigentlich keinen Gefallen
|z9 finden. - Also nur das, dessen Daseyn uns gefällt, vergnügt die
|z10 Empfindungen.
|z11 Das wahre Gute muß stets durch den Verstand erkannt werden, +.und dies
|z12 sind die verschiednen Arten der Lust +.und Unlust. Das Gefühl
|z13 derselben aber ist vom Geschmak unterschieden. Geschmak *1 ist nur
|z14 eine gewiße Urtheilskraft im Reflectiren.
|z15 [δ_Rand S.126, ab Zeile 15
|z16 *1 Er gehört dazu, um das Schöne wahrzunehmen, er schon Talent, ein
|z17 dumme +Mensch hat ihn nicht auch kein Thier kann Unterschied zwischen
|z18 dem schönen +.und heßlichen machen.δ_

|P_129
|z1 [Vergnügen ist das Gefühl von der Beförderung *1 des
|z2 Lebens. Schmerz, das Gefühl von der Hinderung des Lebens. (Freilich
|z3 befördert im Grunde der Schmerz das Gefühl des Lebens denn der,
|z4 welcher auf der Tortur ist empfindet es am meisten daß er lebet, aber
|z5 zu seinem grösten Unglük.) Der Schmerz macht uns gewissermaaßen
|z6 untaugbar, etwas anders zu empfinden, +.und eben dieses enthält gewiße
|z7 Hinderniße des Lebens; fühlen wir diese Hinderniße, so ist es Schmerz.
|z8 Der +Mensch empfindet übrigens sein Leben, sowohl im Schmerz als im
|z9 Vergnügen - jeder Ademzug befördert
|z10 unser
|z11 δ_Rand S.129, ab Zeile 13
|z12 *1 Keinesweges die +.Beförderung des Gefühls des Lebens.δ_

|P_130
|z1 unser Leben, nur vergnügt uns dies nicht mehr, weil wir es nicht mehr
|z2 empfinden. Das Gefühl des Lebens an sich ist also kein Vergnügen,
|z3 sondern das Gefühl von der Beförderung des Lebens; vor einer
|z4 Beförderung aber muß ein Hinderniß gewesen seyn. Also ist Vergnügen
|z5 die Aufhebung des Schmertzes.
|z6 Greweri hat ein sehr gutes Buch über die +.Beschaffenheit des
|z7 Vergnügens geschrieben. Er sagt wir können nie unsern Zustand mit
|z8 Vergnügen anfangen. Schon sobald das Kind auf die Welt kommt, sagt er
|z9 ferner, legt es seinen Schmerz durch ein jämmerliches Geschrey an den
|z10 Tag, wie es auch einem Wesen zukommt dem so unzählige Uebel
|z11 bevorstehn. Vielleicht scheint dies etwas exagerirt aber es ist doch
|z12 wahr.
|z13 Wir haben noch zu bemerken:
|z14 1.) Schmerz ist immer vor dem Vergnügen.
|z15 2.) Zween Vergnügen können nicht unmittelbar auf einander folgen. Es
|z16 schleicht sich immer ein Schmerz dazwischen. Das +.Vergnügen im Leben
|z17 kann nie größer als der Schmerz werden. Denn ist der Schmerz groß
|z18 gewesen, so ist auch das Vergnügen, das durch die +.Aufhebung des
|z19 Schmerzes entsteht groß, +.und so auch im +.Gegentheil.
|z20 3.) Die allmälige Verschwindung des Schmerzens macht kein Vergnügen,
|z21 sondern nur die +plötzliche Z. B. {{wenn}} ein +Mensch der auf einmal
|z22 reich wird, ist die Freude größer, als wenn es nach +.und nach
|z23 geschieht. Eben so ists mit dem wiedergesund werden einer {{von ihrem
|z24 Mann geliebte}} Frau.
|z25 δ_Rand S.130, ab Zeile 22
|z26 So erlischt mancher Schmerz der +.langsam abstirbt ohne Vergnügen
|z27 +.Vergleich mit einer Fontaine @¿nimmt¿@ man den Finger +plötzlich von
|z28 der Oefnung so springt das Wasser doppelt so stark.δ_

|P_131
|z1 ≥ 34ste +.Stunde +von 9 - 10 ≤
|z2 Das physische Vergnügen kann nicht ohne Schmerz genossen werden, denn
|z3 nur der Schmerz macht den Genuß möglich. Z. E wenn man anfängt Toback
|z4 zu rauchen, so ist es einem anfangs ganz unausstehlich, aber auch noch
|z5 denn wenn man sich es angewöhnt hat, bedient man sich starker
|z6 Getränke, die den Geschmak geschwinde wegnehmen, denn jeder Zug macht
|z7 Schmerz, +.und indem man ihn wegbläßt, macht es Vergnügen. Es ist eine
|z8 Hemmung des Lebens der Wärzchen auf der Zunge, +.und am Gaumen, der
|z9 Speichel belebt sie aber wieder, der durch das Getränk auf die Art
|z10 plötzlich den Schmerz aufhebt. +.Ueberhaupt gewähren gemeinhin die
|z11 Dinge, welche anfangs viel Misvergnügen machen, in der Folge das
|z12 gröste Vergnügen - In der Musik muß bisweilen eine Dissonanz seyn
|z13 damit uns die folgenden angenehmen Töne desto besser gefallen.
|z14 Ruhe ist nur denn angenehm, wenn Aufregung vorhergegangen ist. Nur
|z15 der, der den Vormittag über gearbeitet hat, genießt eigentlich den
|z16 Nachmittag.
|z17 Romane, Schauspiele lassen ihren Helden immer erst große Trübsale
|z18 erdulden, +.und denn wird alles durch die Ehe gekrönt. Vielding hat
|z19 einen beliebten Roman den Tom Iones geschrieben. Er wechselt ebenfalls
|z20 mit Ungemächlichkeiten Hoffnungen pp ab, endigt sich auch mit
|z21 einer

|P_132
|z1 einer Heirath, +.und besteht aus 4 Theilen. Nun hat jemand versucht,
|z2 noch einen 5ten Theil dazu zu verfertigen (recht wie das 5te Rad am
|z3 Wagen) wo sie schon verheyrathet sind, dieser fiel aber sehr schlecht
|z4 aus. - So bald die Liebespein aufhört, hört auch die Liebe auf; wir
|z5 sehn also, daß Vergnügen ohne Einmischung des Schmerzes nicht genoßen
|z6 werden kann.
|z7 Die Natur, die uns zur Thätigkeit bestimmte, gab uns «¿»als Stachel
|z8 derselben Vergnügen +.und Schmerz. Die Unzufriedenheit mit dem
|z9 gegenwärtigen Zustande, ist jedem +Menschen eigen, wir streben alle
|z10 nach einem neuen Zustande, +.und sind wir darinn, so wollen wir noch
|z11 einen neuen haben, +.und sind doch nicht zufrieden. Der Mensch ist
|z12 +.überhaupt nie im Genuß desselben Zustandes, sondern stets in
|z13 Gedanken bei dem Uebergange in einen neuen begriffen. Weil bei der
|z14 Lectüre ein immerwährender Wechsel +.und Uebergang zu neuen
|z15 Gegenständen ist, lieben wir selbige vorzüglich. Auch die
|z16 Annehmlichkeit des Spiels *1 beruht blos auf dem fortdauernden Wechsel
|z17 der Zustände, weil bald Schmerz +.und bald Vergnügen dabei unsre
|z18 +Empfindung wird.
|z19 Im Schmerz wird uns das Leben lang
|z20 Im Vergnügen - kurz. Unsre +.Vergnügen gehn immer rückweise, währt
|z21 +.einerlei +Empfindung fort, haben wir Langeweile. Diejenigen die am
|z22 meisten über Langeweil klagen, beschweren sich am häufigsten über die
|z23 Kürze des ganzen Lebens.
|z24 δ_Rand S.132, ab Zeile 18
|z25 *1 Es ist (wenn +.interessierte Neigung wegfällt) gar nicht zu ver-
|z26 werfen. es giebt unserm Gemüth eine gesunde Motion, die stark mit der
|z27 Motion der Eingeweide correspondirt.
|z28 Müssiggängern wird jeder Tag lang, doch auch andern können bisweilen
|z29 Stunden in manchen Tagen lang werden. Das verfloßne Leben scheint
|z30 allen kurz, man glaubt denn beinahe gar nicht gelebt zu haben.δ_

|P_140
|z1 [- Die Menschen sagen, sie sind glüklich, wenn sie gegen
|z2 die, ihnen zustoßende Uebel Mittel finden; oft nennen sie auch das, -
|z3 Glük, woran sie einmal gewöhnt sind. Daß dies wahr sey, sieht man aus
|z4 dem Beispiel der Grönländer. Man brachte einstens welche nach
|z5 Dännemark, um zu sehn ob der Contrast dessen was sie da finden würden,
|z6 mit dem was sie gewohnt waren, in ihrem Vaterlande zu sehn, eine
|z7 angenehme Empfindung ihnen einflößen würde. Sie fanden in Dänemark in
|z8 Betracht gegen Grönland eine herrliche Natur, sie sahen Bäume
|z9 Gesträuche, Wälder, Blumigte Wiesen, angenehme Dörfer, viele Menschen
|z10 pp. aber alles dies wurde ihnen bald unerträglich; denn eben die Menge
|z11 +Menschen die sie täglich umgab wurde ihnen lästig, ohne andrer Dinge
|z12 Erwähnung zu thun, deren sie nicht gewohnt waren, +.und da sie diesen
|z13 Uebeln nicht abhelfen konnten, sehnten sie sich nach Grönland zurück.
|z14 Man hält es allgemein für Wohlthat, wenn die Zeit uns verkürzt wird,
|z15 die Arbeit ist von der Art, daß uns während derselben die Zeit nicht
|z16 lang wird, eher noch fast zu kurz. Also ist die Arbeit Wohlthat. Wir
|z17 finden darin unser Glük, (denn die Natur hat uns zur Thätigkeit
|z18 bestimmt), um so mehr, weil sie stets dem Arbeitenden einen Prospect
|z19 hinterläßt +nemlich Ruhe.
|z20 δ_Rand S.140, ab Zeile 16
|z21 +.videδ_

|P_141
|z1 Der Bräutigamsstand ist +glüklicher als der Ehestand, denn er läßt
|z2 immer noch einen Prospect vor sich. Geld erwerben ist angenehmer als
|z3 es besitzen, aus demselben Grunde - denn der Kaufmann hat +unendlich
|z4 mehr Ver«»gnügen, wenn ihm seine Bemühungen gelingen, als wenn er in
|z5 Ruhe gesezt ist, +.und von Interessen lebt. - Es ist gewiß mehr der
|z6 Würde des Menschen gemäß zu handeln, als zu genießen. - Glükseeligkeit
|z7 ist also eine Idee, von etwas, dem wir nachjagen, was wir aber noch
|z8 nicht erreicht haben, denn wäre dies schon geschehn, so könnte man es
|z9 nicht mehr Glückseeligkeit nennen. Unser vergangenes Leben genießen
|z10 wir nicht, es scheint verschwunden zu seyn.
|z11 Wir können uns einen Fond der Zufriedenheit denken, den ein jeder
|z12 Mensch haben muß. Ein Mensch wird verächtlich, wenn er weibisch
|z13 traurig beim Unglück ist, +.und sich zu sehr bei seinem Glücke freut,
|z14 der leztere beträgt sich wie ein Kind, indem er nicht vorher sieht,
|z15 daß wenn er dieses Glück lange besessen hat, er es wieder verlieren
|z16 kann, +.und neuen Wünschen nachhängen wird. Wer die Erbschaft im
|z17 Prospect hat, ist gewißermaaßen glüklicher, als der, welcher sie
|z18 besitzt. Die Idee von den meisten Dingen (denn viele könnte man doch
|z19 aus nehmen) ist angenehmer als der Genuß, der Vorschmak +.angenehmer
|z20 als der Nachschmak. In den Sterbelisten in London findet sich daß
|z21 immer mehr Menschen
|z22 aus zu +.großer Freude,

|P_142
|z1 aus zu großer Freude, als vor Betrübniß gestorben sind, nicht als ob
|z2 es mehr Freude in der Welt gäbe, sondern der Grund liegt darinn: Wir
|z3 geben uns Mühe der Betrübniß zu widerstehn, bei der Freude aber han-
|z4 deln wir ganz anders, wir überlassen uns ihr ganz, oft zu sehr. Der
|z5 Mensch vertieft sich in den vorstellenden Genuß der Glückseeligkeit,
|z6 er hat keine Macht sich zu finden, und die Natur wird zerrüttet.
|z7 Zufriedenheit muß gesucht werden, in dem Vermögen entbehren zu können.
|z8 Wenn der Mensch fühlt daß er Bedürfniße hat, die in der Natur nicht
|z9 gegründet sind, so ist er schon unglüklich. Der Luxus +.und das
|z10 Wohlleben ist dieser Zustand. z. B. +.Anmerkung zum Luxus gehören die
|z11 schönen Tücher die mit einer aus Fernambukholtz verfertigten Färbe
|z12 zubereitet werden. Ganze Schiffsladungen Fernambukholz werden zu dem
|z13 Ende aus Brasilien gehohlt, die Eingebohrnen lachen hierüber, einer
|z14 frug einmal den Besitzer des Schiffs, warum {{er}} es thäte, +.und da er
|z15 zur Antwort erhielt: ich thue es damit meine Nachkommen keinen Mangel
|z16 an Tüchern haben so erwiederte der Brasilianer: Hieraus sehe ich daß
|z17 ihr Mären *1 alle Narren seyd.
|z18 Die Genügsamkeit kann als denn leichter statt finden, wenn jemand es
|z19 noch nicht versucht hat, viel zu genießen.
|z20 δ_Rand S.142, ab Zeile 19
|z21 *1 Mären zeigt bei ihnen soviel als Europäer an, «+und» man weis aber
|z22 gar nicht, woher dies Wort seinen Ursprung habe.δ_

|P_143
|z1 In Ansehung des Wechsels des Guten {{Angenehmen}} +.und Bösen
|z2 {{Unangenehmen}} sind zwey Ausdrücke: (+nemlich wie man sich dabei
|z3 verhält)
|z4 1.) Gleichmüthig - ist der nie durch seine Empfindungen außer Fassung
|z5 gebracht wird.
|z6 2.) Gleichgültig - ist der der nicht leicht durch irgend etwas
|z7 afficirt wird. Dieß sezt eine gewiße Unempfindlichkeit voraus, welche
|z8 keinesweges zu loben ist. Dagegen ist Gleichmuth sehr zu empfehlen.
|z9 Ein Mensch der ihn besizt muß Grundsätze haben; er erfreut +.und
|z10 betrübt sich nicht, oder thut doch wenigstens beides ohne Affect.
|z11 (Affect ist die Bewegung des Gemüths, wodurch jemand aus einer Fassung
|z12 gebracht wird
|z13 Freude +.und Traurigkeit entspringen aus der Reflexion über unsern
|z14 Zustand. Nur nach der Vergleichung seiner selbst mit andern fühlt man
|z15 sich glüklich, oder unglüklich. Z. E. Wüsten wir daß niemand etwas
|z16 besseres hätte, als Gerstenbrey, so würde sie uns auch ganz treflich
|z17 schmecken. - Gleichmüthigkeit ist dem läunischen Zustande entgegenge-
|z18 sezt. Läunisch ist ein Mensch der wider seinen Willen im Gemüths-
|z19 zustande sich verändert, so daß man nie weis wessen man sich zu
|z20 versehn hat. Läunisch von lunatisch mit dem Monde wechselnd
|z21 wetterwendisch. Das +.Läunische äussert sich da wenn der +Mensch
|z22 aufgebracht wird, da andre sich dessen am wenigsten vermuthen; Solche
|z23 sehn am schärfsten auf jede nichts bedeutende doch so geringe
|z24 +.Abweichung der Regel. Der Bauer nennt so einen, einen lynischen Hund
|z25 *1
|z26 δ_Rand S.143, ab Zeile 20
|z27 - ist sehr unterschieden von launigt, welches die Eigenschaft eines
|z28 Talents ist welches original im Denken +.und handeln ist.
|z29 *1 Wenn man den @¿anredet¿@ freundlich anredet @¿antwortet¿@ er mit
|z30 bitterkeit +und gleicht darin beißenden Hunden.δ_
|z31 δ_Lage_T

|P_144
|z1 ≥ 36. +.Stunde +Sonnabends von 9 - 10 der 7te +.Ianuar ≤
|z2 Eine beharrlich gute Laune *1 ist eine vortrefliche Gemüthsstimmung,
|z3 die auch für andre vortheilhaft ist. - Wenn man die Uebel des Lebens
|z4 aus einem lächerlichen Gesichtspunkte betrachtet, so geschieht dies
|z5 aus einer besondern GemüthsDisposition, nach welcher man alles aus
|z6 einem ganz andern Gesichtspunkte betrachtet, als die übrige Welt, so
|z7 war auch Demokrit einzig in seiner Art, eben so auch Heraclit, der den
|z8 +Menschen als ein Geschöpf betrachtete, das immer mit Elend und Kummer
|z9 umgeben wäre. Die Laune des erstern ist der Laune des Leztern
|z10 vorzuziehn. Launigte Männer +.und eine solche Schreibart lieben wir;
|z11 denn die gewöhnliche Beurtheilung hat nichts Aufweckendes.
|z12 Empfindsamkeit ist der Gegensatz von Empfindseeligkeit. Empfindsamkeit
|z13 ist eigentlich das Vermögen, sich denen Empfindungen, die «g»aus einer
|z14 Idee entspringen, zu überlassen. Empfindseeligkeit ist eine
|z15 Affectibilitaet, Affectation der Empfindsamkeit. - Delikatesse *2 ist
|z16 würklich nichts anders als Empfindsamkeit (man glaubt dies Wort nicht
|z17 ins Deutsche übersetzen zu können,) Delikatesse hat man 1.) in
|z18 +.Ansehung der Frauenzimmer, d. h. wenn man gleich bis weilen
|z19 Gelegenheit hätte, ihnen Reprochen zu geben, es aber doch nicht thut.
|z20 2.) zeigt man sie in einer Art von Feinheit andere zu beurtheilen, ob
|z21 es ihnen unangenehm ist +oder nicht.
|z22 δ_Rand S.144, ab Zeile 1
|z23 *1 Sie findet am +häufigsten bei der Frömmigkeit die in Reinheit des
|z24 Herzens besteht, statt.
|z25 δ_Rand_ab Zeile 14
|z26 Empfindsamkeit ist das Vermögen +Empfindseeligkeit der habitualismus.
|z27 δ_Rand_ab Zeile 16
|z28 *2 besteht in dem Wohlwollen andrer Unannehmlichkeiten zu übernehmen.δ_

|P_145
|z1 Ueberhaupt besteht sie im Wohlwollen, andere gewißer
|z2 Unannehmlichkeiten zu überheben. - Empfindseeligkeit ist die
|z3 Nachäffung eines theilnehmenden Gemüths. Diese Denkungsart ist bei den
|z4 Männern am ekelhaftesten. Den Frauenzimmern die damit Parade machen,
|z5 über alles gleich gerührt zu seyn, kann man es eher verzeihen. Aber
|z6 eine solche Mannsperson die immer weint +.und kläglich thut, ist
|z7 unausstehlich; er denkt, wenn er nur mitheult, so ist's genug es ist
|z8 aber nichts mehr als: es weinen zwey: er aber weis sich nicht anders
|z9 zu helfen, als daß er mit in den Klageton einstimmt. - Derjenige der
|z10 eine mürrische Laune hat, ist auch wieder ausgelassen frölich. Das
|z11 beste ist dieses: man kann nicht immer frölich seyn, man muß sich aber
|z12 bemühen, gleichgültig zu seyn, um zum Vergnügen anderer beitragen zu
|z13 können, +.und nicht hinderlich zu seyn. Gute Laune in Ansehung seines
|z14 eigenen Unglüks, ist eine gewiße Delicatesse, andere nicht zu
|z15 belästigen.

|P_149
|z1 [Melancolische Personen sehen es ungern, wenn andre
|z2 Menschen um sie heitern Sinnes sind, sie gönnen niemanden
|z3 Fröhlichkeit, ja sogar sie lieben nicht einmal heiter Wetter, sondern
|z4 haben es am liebsten, wenn der Himmel in heftigen Regengüssen auch so
|z5 weint {{wie}} sie.
|z6 Sich zu Gemüthe ziehen heißt sich ganz dem Schmerz über irgend eine
|z7 Sache überlassen. Etwa«s»ß

|P_150
|z1 Sich zu Herzen nehmen heißt, sich in so fern dem Schmerz überlassen,
|z2 als er eine Triebfeder ist, Uebel abzuhalten.
|z3 Das zu Gemüthe ziehn ist eine vergebliche Quaal. Den Tod eines andern
|z4 kann man nicht zu Herzen, sondern zu Gemüthe ziehn. Man muß eigentlich
|z5 sich nichts zu Gemüthe ziehn, aber alles zu Herzen nehmen. Dahin
|z6 gehört die Reue und Busse welche in sofern gut ist, wenn man das
|z7 gethane Uebel zu Herzen nimmt, aber die müßige, fruchtlose Reue,
|z8 wodurch das Geschehene nicht ungeschehn gemacht werden kann, ist das
|z9 zu Gemüthe ziehen, welches nichts nützet, denn blosse Reue hilft
|z10 nichts, man muß sich plötzlich resolviren ein besserer Mensch zu
|z11 werden. Von allen Vergnügen können wir steigen, und alles Vergnügen
|z12 muß steigen, denn wenn es nicht steiget so sinkt es. Daher ist es
|z13 besonders für junge Personen gut, daß sie sich viele Vergnügen
|z14 versagen die für Männer gehören, sie müßen sich den Genuß ersparen für
|z15 die Zukunft. Gesetzt auch man stirbt, so wird man nicht darüber
|z16 betrübt werden, daß man Vergnügen nicht genoßen hat. Denn was sind
|z17 genoßene Vergnügen in der Folge? - nichts noch zuweilen abgeschlagene
|z18 angenehmer. Nur das Gute was man gethan hat, nur das erfreut uns am
|z19 Ende des Lebens.
|z20 δ_Rand S.150, ab Zeile 19
|z21 Besonders denn, wenn sie nur Genuß sind, +.und keine Cultur bei sich
|z22 führen.δ_

|P_151
|z1 Nicht nach der Summe des Vergnügens und des Schmerzes schätzen wir das
|z2 Glük, sondern nach dem Maasstabe, ob es vorher oder nachher gekommen.
|z3 Denn wenn selbst das ganze Leben irgend eines Menschen unglüklich ver-
|z4 flossen wäre, und er nur den lezten Tag seines Lebens recht angenehm
|z5 +.und zufrieden vollbracht hat, so hält man ihn für glüklich. Eben so
|z6 ists auch mit einer Tischgesellschaft die während der ganzen Mahlzeit
|z7 nicht +sonderlich vergnügt gewesen ist, kommt nur am Ende ein recht
|z8 lustiger Einfall, so werden sie alle dadurch zu einer freudigen
|z9 Stimmung gebracht. Also hat man Ursache stets auf den Nachschmak
|z10 unserer Vergnügen zu sehen, ist dieser gut, so sind sie vollkommen. Ob
|z11 unsere Grundsätze fest sind, das kann man nur erst nach langen
|z12 Zeitverlauf gehörig prüfen, erst dann kann man mit Zuverläßigkeit
|z13 sagen, ob sie Stich halten - oder ob wir {{uns}} nur blos {{mit}}
|z14 dergleichen angenehmen Vorspiegelungen getäuscht haben. Es ist ein
|z15 sehr falscher, trauriger Grundsatz, womit viele sich lange hinhalten -
|z16 Ende gut alles gut. Sie rasen in das Leben hinein, und denken am Ende
|z17 wollen sie auf einmal *1 gute Menschen werden. - - Als «E»ein
|z18 Missethäter der einige Zeit gefangen gesessen gefragt wurde,: wiefern
|z19 er sein Leben, wenn er sollte befreyet werden, künftig bessern würde,
|z20 antwortete *2 er: darüber kenne ich mich noch nicht so genau.
|z21 δ_Rand S.151, ab Zeile 20
|z22 *1 @¿vct¿@
|z23 δ_Rand_ab Zeile 24
|z24 *2 Klüger als die Frage war.δ_
|z25 δ_Lage_U.

|P_152
|z1 ≥ 37ste Stunde +.Mittwoch 11 +.Ianuar ≤
|z2 Dasjenige Vergnügen, was zu gleich Cultur ist, kann am längsten
|z3 genoßen werden, denn es macht uns vermögend, das Vergnügen fernerhin
|z4 zu genießen. So ist das Essen +.und Trinken nicht Cultur, denn je mehr
|z5 man gegessen hat, je weniger kann man noch essen. Unter die
|z6 Vergnügungen der erstern Art, welche dauerhaft sind, gehören die des
|z7 Geschmaks und des Umgangs. Denn durch diese werden wir immer mehr
|z8 cultivirt +.und verfeinert. Man kann hieher rechnen die idealischen
|z9 Vergnügen im Gegensatz von den physischen. Iene entspringen blos aus
|z10 der Einbildungskraft, aus Vorstellungen +.und Gedanken, +.und sind am
|z11 dauerhaftesten, diese nutzen {{das Vermögen zu genießen}} sich selber
|z12 ab. Dieses Gefühl welches abstumpft, steht also weit unter dem welches
|z13 Cultur bringt. Das physische Vergnügen kann auch in so fern zum
|z14 +idealischen gehören, wenn man es sich zum Prospect macht. Generaliter
|z15 gehört hieher die Iugend, die sich eine Ehe oder +.Vorstellung vom
|z16 +.andern +.Geschlecht macht, Vergnügen mit Geschmak verbunden ist das
|z17 dauerhafteste, es stärkt das Vermögen des ferneren Genußes. Von der
|z18 Art ist auch der Umgang *1 mit wohlerzognem tugendhaften Frauenzimmer.
|z19 Luxus - wird nicht vollkommen ausgedrükt durch Ueppigkeit, denn diese
|z20 zeigt an: Unmäßigkeit sich gewißen Vergnügen zu überlassen. (+.und
|z21 dies ist ein Tadel) Luxus läßt sich gar nicht ins Deutsche übersetzen.
|z22 Der Franzose giebt dem
|z23 δ_Rand S.152, ab Zeile 20
|z24 *1 Er ist ein Vergnügen welches cultivirt.δ_

|P_153
|z1 Wort eine +.französische Endung, +.und sagt Lux‚, dies kann aber der
|z2 Deutsche nicht, dessen Sprache überhaupt den Vorzug hat daß man alle
|z3 fremde Wörter die sich in ihr befinden, sogleich erkennen kann. Luxus
|z4 ist die Neigung des Zeitalters, zu einem entbehrlichen Aufwande mit
|z5 Geschmak. Man auch wohl denjenigen der in Ansehung des Entbehrlichen
|z6 Aufwand macht einen Verschwender. Luxus ist:
|z7 1.) Die Würkung einer großen Cultur.
|z8 2.) würkt er selber auf die Cultur, weil er mit Geschmak eingerichtet,
|z9 +.überhaupt ideal ist. Der Geschmak wird dadurch Vergnügen; +.und
|z10 Vergnügen läßt sich als solches in tausend Mannigfaltigkeiten
|z11 vermehren. Wenn der Aufwand auch auf das entbehrliche verwandt wird,
|z12 so folgt doch der große Nutze daß die Industrie dadurch befördert, und
|z13 ungemein belebt wird. Viele sonst müßige Hände erhalten dadurch
|z14 Arbeit, Der Geschmak, die Zierlichkeit +.und +.Annehmlichkeit im
|z15 Umgange, wird dadurch cultivirt. Die schlimme Seite des Luxus ist: Er
|z16 kann auch so beschaffen seyn, daß das gemeine Wesen dadurch leidet in
|z17 Ansehung des Unentbehrlichen, wenn nemlich durch den Aufwand gar zu
|z18 viel +entbehrliche Dinge verbraucht werden. So sagt Rousseau: Manche
|z19 Menschen, die sich sehr viel Mehl auf den Kopf streuen, bewirken eben
|z20 dadurch, daß viele keins in der Suppe haben.
|z21 δ_Rand S.153, ab Zeile 2
|z22 (gleichsam eine gewiße Keuschheit)δ_

|P_154
|z1 Gesetze «s»wider den Luxus heißen auch Aufwandsgesetze, sie sind aber
|z2 nicht rathsam, denn der Luxus wird wirklich nicht dadurch vermindert,
|z3 sie verfehlen überhaupt ihre Wirkung, denn die Menschen verfallen auf
|z4 ein ander Object, wenn ihnen eins untersagt wird; die Industrie würde
|z5 dadurch gehemmt, +.und wo würden die Menge Menschen bleiben, die
|z6 dadurch sich ihren Unterhalt erwerben. Vor alten Zeiten war weniger
|z7 Luxus, aber es war auch weniger Antrieb zur Arbeit. Solche Artikel
|z8 sind rathsam zu verbieten die von auswärts kommen, (da man überdieß
|z9 scheint hiedurch den einheimischen Vorzug zu gestatten) und deren
|z10 Werth vorzüglich auf der Einbildung beruht Z. E. englisch Tuch.
|z11 +.Ueberhaupt kann man nur durch Klugheit nicht durch Zwang den Luxus
|z12 einschränken. In einem Buch über den Nationalreichthum wird gesagt: -
|z13 - - Fürst@¿en¿@ sind die grösten Verschwender, ein Friseur ist kein
|z14 productiver Arbeiter, aber wohl ein Perüqenmacher. Bei dem lezten
|z15 bringt eine Arbeit die andre hervor. Ein Engländer gab folgende
|z16 +.Definition des Luxus an: +.Luxus ist das Uebermaaß der Vergnügen,
|z17 welche weichlich machen. Dies kann wohl von dem schädlichen Luxus
|z18 gelten. - Home (in seinen +.Betrachtungen über den +Menschen) sagt
|z19 fahren macht weichlich, aber nicht reiten, also gehören Kutschen zum
|z20 Luxus
|z21 δ_Rand S.154, ab Zeile 17
|z22 Auch Bediente sind nicht productive Arbeiter, sie bringen nichts
|z23 +.verdienstliches hervor.δ_

|P_155
|z1 aber nicht Reitpferde. Er rühmt auch ferner, daß die Vergnügen seiner
|z2 Nation von der Art wären, daß sie nicht weichlich machten wie z. B.
|z3 Wettrennen pp. aber sie können auch so beschaffen seyn, daß sie durch
|z4 Ueberspannung die körperlichen Kräfte ruiniren.
|z5 Das sustine et abstine der Stoiker, aushalten +.und ausdauern, in
|z6 Summa, daß wir uns Vergnügen versagen ist das wahre Mittel, uns
|z7 Vergnügen zu erschaffen. Der Mensch de«s»r es auf Vergnügen nicht
|z8 anlegt, genießt gerade am leichtesten das Vergnügen, +.und der welcher
|z9 es sich versagt, genießt es am meisten.
|z10 Wir sind auch noch fähig eines Vergnügens oder Schmerzes von höherer
|z11 Art, nemlich eines Wohlgefallens +.und Misfallens sowohl am Schmerz
|z12 als auch am Vergnügen. Ein Gegenstand kann angenehm seyn aber doch
|z13 misfallen, weil wir nicht damit zufrieden sind, daß er uns gefällt. Z.
|z14 E. ein Sohn der einen strengen Vater hat, +.und in Verlegenheit ist,
|z15 freuet sich auf die Erbschaft, er wird aber doch den Grund dieser
|z16 Freude sich sehr reprochiren, welche er nicht verhüten kann. Ein
|z17 Adjunctus, wenn er sagt, Gott wolle den Prediger noch lange erhalten,
|z18 so lügt er, und wenn er sich in Bedrängniß fühlt, so hat er doch einen
|z19 angenehmen Prospect, den er nicht verhüten kann - tanquam vultur
|z20 expectat cadauer. -

|P_156
|z1 Ein Gegenstand kann unangenehm seyn aber der Schmerz kann gefallen.
|z2 Von dieser Art sind die Schmerzen aller Leiden von denen man sich
|z3 nicht will trösten laßen z. E. eine Tochter über den Tod ihres Vaters,
|z4 eine Gattin über ihren Mann. Von der Art ist die Reue wegen eines
|z5 Uebels oder Versehens, daß wir über dem Schmerze brüten; und ihn uns
|z6 nicht entreißen lassen, denn wir fühlen uns schuldig, +.und schätzen
|z7 uns hoch, daß wir den Schmerz haben, er gefällt uns, +.und wir
|z8 approbiren daß wir uns selbst Vorwürfe machen. Ein solcher, der sich
|z9 nicht +innerlich betrübt und sagt: was ist zu thun ist kein guter
|z10 +Mensch. Die Ursache des Wohlgefallens liegt auch darinn, die Vernunft
|z11 sieht es als eine Art von Pflicht an, einen Schmerz zu fühlen. Es ist
|z12 aber auch viel phantastisches dabei, +.und der, welcher sich zu sehr
|z13 härmt, ist auf immer (verloren).
|z14 Ein Vergnügen kann auch noch überdem gefallen,*1 z. E. Iemand lieset
|z15 gern alte Classiker +.und Dichter, der empfindet nicht allein an der
|z16 Sache selbst Vergnügen, sondern auch noch ein besondres Wohlgefallen
|z17 an sich selbst, daß er im Stande ist, so etwas zu thun.
|z18 So kann auch ein Schmerz noch zugleich besonders misfallen, nemlich
|z19 nicht allein durch seine Unannehmlichkeit an und für sich, sondern
|z20 auch durch das Mißfallen welches man zugleich über sich selbst
|z21 empfunden hat. ZE. Neid, dem Neidischen sebst ist es unangenehm, daß
|z22 er neidisch ist. Betrübt zu seyn über das Gute anderer,
|z23 δ_Rand S.156, ab Zeile 15
|z24 *1 d. h. daß die Vernunft es billigt, wenn die Empfänglichkeit für
|z25 dies Vergnügen zu billigen ist.δ_

|P_157
|z1 was einem gar nicht hinderlich ist, ist häßlich. Der Menschenhaßer
|z2 misfällt sich selber, indem er andere beleidigt.
|z3 ≥ 38ste Stunde +von 9 - 10 ≤
|z4 Das Vergnügen, was wir uns selbst erwerben, gefällt mehr als das,
|z5 welches wir durch den Zufall erhalten. z. E. das erworbene Geld. Man
|z6 freuet sich immer, daß wir für die Arbeit Geld bekommen, und der
|z7 Prospect des Genußes enthält bisweilen mehr Vergnügen, als der Genuß
|z8 selbst. So schämt *1 man sich etwas in der Lotterie gewonnen zu haben,
|z9 weil man dabei gar keinen Fleiß hat anwenden können. Die Lottospiele
|z10 sind wirklich dem gemeinen Wesen sehr schädlich, sie erfüllen die
|z11 Menschen mit Phantasien, und mancher traut seiner Phantasie und glaubt
|z12 dadurch glüklich zu werden, welches doch nie angeht.
|z13 Es ist schwer zu entscheiden was schmerzhafter ist, schuldig oder
|z14 unschuldig leiden? Doch betrübt wohl der selbstverursachte +.und
|z15 verschuldete Schmerz mehr, als der woran man nicht Schuld ist. Die
|z16 +Menschen führen aber in diesem Fall oft zweyerley Sprache. Der eine
|z17 sagt: mein Gott ich mußte soviel leiden, +.und war doch unschuldig.
|z18 Der andre: Mein Trost ist daß ich unschuldig war. Beides läuft am Ende
|z19 auf das hinaus, wenn ich unschuldig leide von Menschen, so entrüstet
|z20 es, wenn ich von +Menschen schuldig leide so schlägt es nieder.
|z21 Derjenige der aufs +moralische Wohlgefallen sieht, findet Trost; das
|z22 Bewustseyn seiner Unschuld macht ihm den Schmerz erträglich.
|z23 Derjenige, der
|z24 δ_Rand S.157, ab Zeile 7
|z25 *1 Dies thut ein Rechtschaffener +.und verwirft sich vor, daß viel
|z26 Arme +.und Elende dazu ihr bischen Geld beigetragen habenδ_

|P_158
|z1 aufs physische Wohlgefallen sieht, findet Unwillen. Ihm ist es
|z2 unerträglich, daß er unschuldig leiden muß, er wünscht lieber daß er
|z3 schuldig wäre, weil ihn doch in dem Falle wenigstens kein Unrecht
|z4 geschähe.
|z5 Vergnügen wächst durch Vergleichung mit anderer Leiden. Wenn man im
|z6 Winter bei dem kältesten Frost, oder bei Regen und Sturm an einem
|z7 Spieltische sitzt, die bunten Karten in der Hand, so kann man sich so
|z8 voll Mitleiden anstellen; man beklagt den armen frierenden
|z9 Wandersmann, den +vermutlich in Gefahr sich befindenden Seefahrer pp
|z10 +Eigentlich aber stellt man sich zu einer solchen Zeit, fremder
|z11 Leiden, nicht eben aus Mitleid so vor, sondern nur darum, damit man
|z12 seinen behaglichen Zustand desto besser fühlen könne. Dies zeiget aber
|z13 eben nicht einen bösartigen Charakter, es liegt schon in der
|z14 menschlichen Natur +.und ist der Erfolg von der oppositio juxta
|z15 opposita.
|z16 Schmerz wächst durch die Vergleichung mit anderer Freude. Der
|z17 Unglükliche ist boshaft sagte einmal ein Parlamentsglied. Etwas ist
|z18 wohl daran. Der Unglükliche kann es werden wenn er so viele Glückliche
|z19 sieht. Aber immer findet dies nicht statt, höchstens denn, wenn er
|z20 sich für Unglüklich hält.
|z21 Dem Leidenden ist es Trost, wenn er hört, daß auch andre Leiden haben.
|z22 Ia selbst in dem Leiden unserer besten Freunde,
|z23 ist oft

|P_159
|z1 ist oft für uns ein gewißes Vergnügen: - der Mensch scheut sehr die
|z2 Ueberlegenheit des andern, +.und aus diesem Grunde kann man sagen, der
|z3 Wohlthäter macht sich Feinde. Das Spiel der Rivalitaet, welches
|z4 überall fast ohne Ausnahme herrscht, hat eigentlich die Triebfeder
|z5 aller menschlichen Handlungen in Bewegung gebracht.
|z6 Es ist uns darum unangenehm wenn wir an einem andern keinen Fehler
|z7 entdecken können, weil uns nun gar nichts zur Gegenrechnung übrig
|z8 bleibt, deswegen hassen wir stets die Superiorität des andern, -
|z9 Schadenfreude ist dies Betragen nicht, nur Rivalität.
|z10 Es giebt noch eine Art daß man meint der Schmerz könne vermindert
|z11 werden, wenn man sich vorstellt, es hätte wohl noch ärger seyn können.
|z12 Dieser Gedanke wiegt den Schmerz auf. {{(Eulenspiegel)}} Gesner sagt,
|z13 Gott wolle ihn nur vor 3 Dingen bewahren. 1.) für großes Glück, weil
|z14 die +Menschen wenn sie etwa den Arm brechen, sagen es ist ein großes
|z15 Glück daß er nicht den Hals gebrochen hat. 2.) für starkes Getränk -
|z16 welches die Mühlenräder treibt 3.) für gesunde Speisen (medicin aus
|z17 der Apotheke.)
|z18 Glük macht weichlich, Unglük {{ver}}zweifelnd. Ersteres übt nicht die
|z19 Kräfte, lezteres härtet ab, wenn man sich nicht ih«nen»m ganz
|z20 überläßt. Uebermüthig durch Glük, und niedergeschlagen durch Unglük
|z21 ist verächtlich und zeigt Schwäche des Geistes an.
|z22 δ_Rand S.159, ab Zeile 3
|z23 +Anmerkung: Man will immer gern mit andern +Menschen in gewißer
|z24 Gleichheit seyn, z. B. wir begnügen uns allenfalls mit Käse +.und
|z25 Brod, wenn es nur niemand sieht, aber einen abgeschabten Rock mögen
|z26 wir nicht gern tragen, denn so können wir gar nicht in Gesellschaften
|z27 gehen, weil uns denn jedermann unsre Armuth ansieht, +.und wir dadurch
|z28 herabgesetzet werden.δ_
|z29 δ_Lage_V.

|P_160
|z1 ≥ Vom Geschmack. ≤
|z2 Wir haben eine 3fache Art des Wohlgefallens,:
|z3 1.) Das Wohlgefallen durch den Sinn ist Vergnügen im Gegensatz vom
|z4 Misfallen durch den Sinn, welches Schmerz ist - Vergnügen ist
|z5 angenehm, Schmerz unangenehm
|z6 2.) Wohlgefallen durch Reflexion, dies ist das Wohlgefallen am
|z7 Schönen, hiezu gehört Geschmack, oder Vernunft und Sinn. Wesen die
|z8 blos Vernunft und keine Sinne hätten, würden nirgends Schönheit
|z9 finden. Sie erfordert nicht allein Sinn (Empfindung) und Verstand
|z10 (Begriffe) sondern auch Reflexion. Das Geschmaksvermögen ist ein
|z11 schwer zu erforschendes Vermögen.
|z12 3.) Das Wohlgefallen an einem Gegenstande durch den Begrif ist gut. Es
|z13 ist das absolute Gut, was nie schlecht seyn kann.
|z14 Das Angenehme ist also für den Sinn.
|z15 Das Schöne für die aestethische (+.sinnliche) Urtheiskraft, Geschmak.
|z16 Das Gute für den Verstand.
|z17 Das angenehme vergnügt.
|z18 Das Schöne gefällt.
|z19 Das Gute wird gebilliget.
|z20 Vom Angenehmen muß man sagen, es ist mir angenehm, und nicht, es ist
|z21 angenehm. Vom Schönen muß man sagen es ist schön, und nicht, für mich
|z22 ist es schön, denn was schön seyn soll, muß jedermann gefallen, nicht
|z23 a priori durch die Vernunft, sondern durch die Erfahrung.

|P_161
|z1 ≥ 39ste Stunde Sonnabend den 12 Ianuar 1792. ≤
|z2 ≥ Von der Geschmakslehre, oder Aesthetik. ≤
|z3 Ausführlich können wir davon nicht handeln, denn man betrachtet in
|z4 neuern Zeiten diese Lehre als eine besondre Wissenschaft. Wir wollen
|z5 also nur die Hauptbegriffe anführen und bei der Erklärung einiger
|z6 Sprüchwörter anfangen.
|z7 De gustibus non est disputandum. Dieses Sprüchwort muß wie alle andre
|z8 sehr eingeschränkt werden. Dieses zeigt an, daß man über den Geschmack
|z9 wohl streiten kann, aber nicht vernünfteln soll. Denn Schönheit läßt
|z10 sich nicht beweisen, und vordemonstriren, «denn» ein jeder muß wißen,
|z11 was ihm gefällt, oder nicht gefällt, also läßt sich über den Geschmak
|z12 nicht disputiren, d. h. nicht mit Gründen argumentiren, was schön sey.
|z13 - Ein Gedicht z. B. ist ein Gegenstand des Geschmaks, und kann einem
|z14 schön, dem andern nicht schön seyn, denn die Vernunft ist wohl der
|z15 Richter des Wahren, aber nicht des Schönen. Man streitet also
|z16 allerdings, denn einer sagt: es ist schön, der andere behauptet das
|z17 Gegentheil. Aber über das Angenehme streitet man nicht. z. E. Wenn
|z18 einer sagt, ich trinke rothen, der andre, ich trinke weissen Wein so
|z19 wird man darin nie widerlegt werden, jeder genießt das, was ihm am
|z20 Angenehmsten ist. Es ist aber ganz et-
|z21 was

|P_162
|z1 etwas anders, wenn von Gesundheit die Rede ist.
|z2 Wenn ich etwas schön nenne, so kann ich nicht sagen, dies ist schön
|z3 für mich, und das für dich pp z. B. wenn ein ganz vortrefliches Gefäß
|z4 von Porcellain worauf sich eine schöne Mahlerei befindet herum gezeigt
|z5 wird, und es findet sich etwa einer oder der andre, dem es nicht
|z6 gefällt, so sagt man von ihm, er hat keinen Geschmak, hier liegt das
|z7 zweite Sprüchwort zum Grunde:
|z8 ein jeder hat seinen besondern Geschmak. (Chacun … son go–t.) Wer aber
|z9 einen besondern Geschmak hat; hat keinen, denn unter Geschmack
|z10 verstehn wir eine solche Beurtheilung des Schönen, die für jedermann
|z11 gültig seyn muß, denn ein Gegenstand heißt schön wenn er jedermann
|z12 gefällt. Das Schöne soll etwas seyn, das ein Gegenstand der Lust ist,
|z13 es ist unterschieden von dem angenehmen, welches ein Privat-
|z14 Wohlgefallen anzeigt, (wie auch schon oben durch +.Beispiele erwiesen)
|z15 auch von dem Guten (dies gefällt durch den Begriff) denn es geschieht
|z16 durch Reflexion. Das Intervallum zwischen den Vorstellungen und den
|z17 Begriffen eines Gegenstandes, ist Reflection. Alles was schön ist
|z18 gefällt im Gedanken, im Spiel, z. E. Musik. Der Mensch der nicht
|z19 reflectiren kann, findet kein Vergnügen an einer zusammenstimmenden
|z20 Musik. In der Reflection muß etwas liegen, was dem Gemüthe behagt. Die
|z21 Chinesen
|z22 δ_Rand S.162, ab Zeile 3
|z23 Wenn aber auch Sauerkraut nicht jedermann gefällt, so wird man darüber
|z24 nicht getadelt.
|z25 δ_Rand_ab Zeile 10
|z26 Ein gut Princip der Ungeselligen.δ_

|P_163
|z1 lieben nur die Musik eines einzigen Instruments, sobald accompagnement
|z2 dabei statt findet, so gefällt sie ihnen nicht mehr; dies kommt daher
|z3 weil sie nicht reflectiren, nicht aufmerken, wie die verschiednen Töne
|z4 auf einander folgen und endlich zu einer Harmonie zusammenstimmen.
|z5 Zwar haben die Sineser ein musikalisches Tribunal, dessen Zwek ist
|z6 ihnen begreiflich zu machen, daß eine aus mehrern +.Instrumenten
|z7 zusammengesetzte Musik besser klingt, aber +wahrscheinlich werden sie
|z8 nie dies einsehen lernen. Aus dem +nemlichen Grunde weil sie nicht
|z9 reflectiren können, statuiren sie nicht einmal Schatten auf Gemälden,
|z10 sie wollen haben, daß alles Licht seyn soll, ja sie verlangen sogar
|z11 dasselbe von der Natur, und rechnen es ihr zum Fehler an, daß sie so
|z12 viel Schatten giebt.
|z13 Der Grund des Wohlgefallens im Geschmak läßt sich nicht beweisen, es
|z14 ist genug, wenn wir wissen, was im Geschmak vorkommt.
|z15 Begrif der Schönheit. Winkelmann sagt, daß ein Unterschied sey,
|z16 zwischen Reitz und Schönheit sey. Die Farben am Gemälde geben den
|z17 Reitz, das Wohlgefallen durch den Sinn, die Zeichnung giebt die
|z18 Schönheit, +oder das Wohlgefallen durch die «¿¿¿¿»Reflexion. Er sagt
|z19 ferner: die Schönheit in Gemälden ist mit Neigung interessirt, und man
|z20 sie reitzend, aber selten schön nennen. So ist der Körperbau des
|z21 weiblichen Geschlechts ohne Zweifel nicht so regelmäßig als der des
|z22 männlichen, hat also auch im strengen Sinn genommen, nicht so viel
|z23 Schönheit, aber
|z24 δ_Rand S.163, ab Zeile 2
|z25 Sie kommt ihnen denn so vor, als ein confuses Getöse, was sie ohne
|z26 Zusammenhang sausen hören.δ_

|P_164
|z1 die Schönheit des +weiblichen Körperbau's, besteht darinn daß er sehr
|z2 reizend ist, daraus läßt sich nun leicht erklären, woher es kommt daß
|z3 man an +.weiblichen Figuren mehr Schönheit findet. Die Producte der
|z4 Schönheit z. E. die Venus waren bei den Alten sittsamer als jetzt.
|z5 Denn bei dem Urtheil über Schönheit liegt gemeinhin Neigung oder gar
|z6 Leidenschaft zum Grunde, welche das Urtheil verfälscht. Ein Mahler
|z7 pflegte sein Gemälde, wenn es schlecht gerathen war, zu einem goldnen
|z8 Rahmen zu condemniren, und er erreichte dadurch gewöhnlich seinen Zwek
|z9 - Der gemeine Mann sieht mehr auf Reiz, als auf Schönheit, d. h. ihm
|z10 gefällt die Form mehr als die Materie, z. B. in Pracht findet er
|z11 Vergnügen, denn hier ist mehr Empfindung durch den Sinn - «wie
|z12 in
»{{darunter gehören}} Vergoldungen.
|z13 Die Schönheit ist entweder Schönheit der Natur, oder Schönheit der
|z14 Kunst. Die Natur ist schön, wenn sie aussieht wie Kunst, die Kunst ist
|z15 schön, wenn sie die Natur nachahmt. Z. E. Wenn wir im Walde einen
|z16 grünen Rasenplatz finden, der rund herum mit Bäumen eingeschloßen ist,
|z17 und wie ein Amphitheater aus sieht, so finden wir es sehr schön. Die
|z18 regelmäßigen Blätter bei einer Narcisse sind schön, weil sie aus sehen
|z19 wie Kunst, und eine gemahlte Narciße ist schön, wenn sie aus sieht wie
|z20 die natürliche. So muß man auch immer bei der Kunst sich bemühen,
|z21 allenthalben Natur anzubringen.

|P_165
|z1 Bei allen unsern Vorstellungen wollen wir, daß unsere Gemüthskräfte im
|z2 Spiel und nicht beschäftiget sind. Ein peinlicher Fleiß, der sich
|z3 dabei zeigt, gefällt nicht. - Das Spiel des Verstandes und der
|z4 Imagination; das sich wechselseitig hilft, macht daß uns Schönheiten
|z5 der Natur, herrliche Prospecte wohlgefallen, und daß wir so lange
|z6 dabei verweilen können. Denn die große Mannigfaltigkeit der Dinge, die
|z7 in unser Auge fallen, verursacht daß wir stets nur Beschäftigung
|z8 haben. Musik ist fürs Gehör, +.Baukunst +.Mahlerei Kupferstecherkunst
|z9 fürs Sehen. Die größte Kunst ist Mahlerei, viele Räume auf einer
|z10 Fläche vorzustellen, sie ist +.überhaupt in Darstellung des Schönen am
|z11 weitesten gekommen. Baukunst macht einen dauerhaften Eindruk für die
|z12 Nachkommen.
|z13 ≥ Gefühl des Erhabenen. ≤
|z14 Ueber das Schöne haben wir die besondre Benennung Geschmak, über das
|z15 Erhabne aber haben wir keine dergleichen auszeichnende Benennung. Das
|z16 Erhabne bedeutet eine Vergleichung, übertreffend den gewöhnlichen
|z17 Maasstab der Größen. +oder was über den gewöhnlichen Maasstab der
|z18 Größen hinausgeht. Burg ein aufgewekter Kopf hat vom Schönen und
|z19 Erhabenen geschrieben, und sagt: Erhaben ist dasjenige dessen
|z20 Vorstellung uns Schauder und Furch einjagt, z. E. die See, der Sturm,
|z21 Steile +oder herüberragende Felsen,

|P_166
|z1 jähe Höhen, tiefe Einöden, darin der einsame grausenvolle
|z2 Aufenthaltsort eines Eremiten, «pp»ferner die Nacht ist erhaben, pp
|z3 aber der Tag ist schön. So ganz Recht hat Burg aber dennoch nicht;
|z4 denn das was in uns Schaudern erregt, finden wir nicht immer erhaben,
|z5 im Gegentheil bezeugen wir Widerwillen +.und Verabscheuung vor dem,
|z6 was uns mit Furcht erfüllt. - Besser möchte folgende Definition seyn:
|z7 Erhaben ist dasjenige, wo die Imagination durch den Gegenstand so
|z8 erweitert ist, daß der gewöhnliche Maasstab nicht mehr hinreichend
|z9 ist, sie zu fassen. Darum wollen wir jedoch gar nicht leugnen daß
|z10 manche erhabene Dinge einen heiligen Schauer *1 in uns erregen können,
|z11 z. E. ein ungeheures wüstes Schloß dessen zum Theil verfallene Ruinen
|z12 uns das graue Alterthum anzeigen, +.und +.der +.gleichen
|z13 Doch müssen solche Dinge nie ganz oder zu sehr vom gewöhnlichen
|z14 abgehen, denn das gigante, monströse misfällt immer. z. E. wenn man
|z15 sagt das russische Reich ist ungeheuer groß, so ist dies gar kein Lob.
|z16 Wie weit etwas gehen könne, daß es nicht gigantesk werde, läßt sich
|z17 nicht bestimmen. Der Iupiter Olympicus war, wenn er gestanden hätte 60
|z18 Fuß hoch, er enthielt also 10 Menschen von 6 Fuß in sich. Ein witziger
|z19 Kopf sagte; Wenn Iupiter auf-
|z20 stünde
|z21 δ_Rand S.166, ab Zeile 10
|z22 *1 Oder: von einer Seite die Anlagen zur Tugend, von der andern den
|z23 Abgrund einer schwarzen Seele des +Menschen.
|z24 δ_Rand_ab Zeile 21
|z25 Er saß.δ_

|P_167
|z1 aufstünde, so würde er das Dach umreißen. Wir schätzen die Größe eines
|z2 Menschen nach dem cubischen Innhalt, wenn es aber darüber ist, so
|z3 werden wir verlegen und dies ist analogisch der Schrek. Wir ziehen
|z4 dabei unsre Imagination, und nicht die Vernunft zu Rathe.
|z5 ≥ 40ste Stunde von 9 - 10 ≤
|z6 Der Geschmak gründet sich auf Interesse und dieses hat er nur in
|z7 Gesellschaft. In ihr werden die Gegenstände des Geschmaks erst
|z8 wichtig. Einer *1 der auf einer wüsten Insel allein lebt wird nie ein
|z9 Blumenbeet anlegen. - +oder auf geschmakvollen Schnitt und Farbe des
|z10 Kleides sehen pp Ueberhaupt haben wir alles was zum Geschmak gehört,
|z11 nur für fremde Augen. Geschmaksneigung ist Eitelkeit, Geschmakstalent
|z12 ist gut. Geschmaksneigung ist eine sehr große Plage, wenn er weit
|z13 extendirt wird. Was dem ächten Geschmak in der That zuwider ist, das
|z14 ist die Mode. Der Mensch der guten Geschmak in Mobilien hat, besitzt
|z15 ihn nicht immer in Conversationen. Der Conversationsgeschmak, ist eine
|z16 ganz aparte Art des +.Geschmaks +.und ist in Frankreich zu Hause; aber
|z17 der Geschmak in +.Ansehung der Dinge (Mobilien) findet man in Italien.
|z18 Der +.ConversationsGeschmak ist sehr der Mode unterworfen, und nichts
|z19 verdirbt ihn mehr als sie. Es darf eine Sache nicht schön seyn, wenn
|z20 sie nur neu und durch Beispiele empfehlend ist. Mode ist ein Gebrauch,
|z21 dessen Werth blos in der Neuigkeit besteht. Sie ist sehr dem Geschmack
|z22 zuwider z. E. Unsere Frauenzimmer tragen itzt
|z23 δ_Rand S.167, ab Zeile 9
|z24 *1 Es ist sogar zu vermuthen, daß er mit einer +.heßlichen Frau
|z25 zufrieden seyn würde denn der Werth einer schönen besteht nur darinn,
|z26 daß man sie andern vorziehen könne.
|z27 am linken Rand ab Zeile 18
|z28 45 +.Minutenδ_
|z29 δ_Lage_W.

|P_168
|z1 wahre Matrosenhüte, bloß weil es Mode ist, sie gestehn übrigens
|z2 selbst: daß sie sehr heßlich sind. Manchen Personen läßt alles gut,
|z3 sie dürfen nur was aufbringen, so gefällt es allen, und alle machen es
|z4 nach, ohne zu unterscheiden, ob es an sich hübsch läßt, oder ob es
|z5 gut, dauerhaft +oder nützlich sey. Ein Schneider in London wollte eine
|z6 neue Mode aufbringen, +.und versprach einem jungen Menschen dem alles
|z7 gut lies, und der in viele Gesellschaften {{kam}}, (diese beiden Stücke
|z8 waren nothwendig zu dem was der Schneider wollte, erforderlich) ein
|z9 Kleid von neuem noch nie gesehenen Schnitt ganz umsonst zu machen. Der
|z10 junge *1 Mensch ging es ein, und sobald er in Gesellschaft kam, so
|z11 gefiel jedem der neue Rock, alle drängen sich zu ihm, und fragen, bei
|z12 welchem Schneider er den Rock habe machen lassen; er sagt es ihnen,
|z13 +.und nun entschließen sie sich, den folgenden {{Tag}} sogleich
|z14 hinzugehn, +.und sich ähnliche Kleider bei ihm zu bestellen: - keiner
|z15 bleibt aus, und bald kam der Schneider unter Kunden. So bringen auch
|z16 Actricen auf dem Pariser Theater, denen ebenfalls alles gut läßt,
|z17 Moden auf, welche die Königinn nachahmt, - und denn unterläßt es auch
|z18 zuverläßig keine andre Dame.
|z19 Iunge Leute, die gar zu sehr (+.und fast allein) auf Musik bekommen
|z20 gewöhnlich nur einen seichten, schaalen, Charakter, und zwar deswegen,
|z21 weil dergleichen Musikliehaber selten andre Geschäfte vornehmen, oder
|z22 wenn sie es ja thun, doch
|z23 δ_Rand S.168, ab Zeile 11
|z24 *1 Wenn man einem solchen dem alles gut läßt, prangen sieht, so wird
|z25 man +ordentlich verwirret, worinn die Schönheit bei ihm zu suchen sey.
|z26 δ_Rand_ab Zeile 17
|z27 Es ist sehr +natürlich daß die Franzosen Moden aufbringen, denn sie
|z28 haben vor allen Nationen die größte Leichtigkeit.δ_

|P_169
|z1 nur überhin, denn sobald irgendwo ein Concertchen ist, so müssen sie
|z2 mit dabei seyn. Es sagt einst jemand zu einem solchen Menschen: Sie
|z3 sind just wie ihr Instrument weiter läßt sich mit ihnen nichts
|z4 anfangen, als daß man auch auf ihnen spielt. Dergleichen Leute machen
|z5 es ohngefähr so wie die Comoedianten, welche denken jedermann muß den
|z6 Titel des gestern aufgeführten Stüks wissen, und sich außerordentlich
|z7 wundern, wenn sie Leute finden, die nicht drein gewesen sind, weil sie
|z8 nur einzig und allein mit diesen Gedanken erfüllt sind.
|z9 Beim Schönen sieht man nicht immer auf den Nutzen; sondern nur
|z10 unmittelbar auf die Vorstellung. Das Schöne muß immer so beschaffen
|z11 sein, daß es das Wohlgefallen befördert, und mit dem Guten
|z12 übereinstimmt. Das Schöne hat viel Analogie mit dem Moralisch guten.
|z13 Derjenige Mensch, der Wohlgefallen an den Schönheiten der Natur
|z14 findet, zeigt schon eine gute moralische Seite, in ihm liegt
|z15 wenigstens ein guter Fond. Das Wohlgefallen an den Schönheiten der
|z16 Kunst kann lauter Eitelkeit seyn. Kann die Schönheit bestehen wenn sie
|z17 dem Nutzen widerstreitet? Gewiß nicht, das Nüzliche muß zum Grunde
|z18 liegen, das Nützliche macht zwar nicht das Wesen der Schönheit aus,
|z19 aber es muß hervorleuchten, und alle Arten von Schönheiten, die dem
|z20 Zweck widerstreiten, gefallen nicht.
|z21 δ_Rand S.169, ab Zeile 11
|z22 ¿ Ein Prrcellänerer Teller +.und ein silbernerδ_

|P_170
|z1 Iede Nation hat vielleicht eine ganz andre Idee, wenn sie sich das
|z2 höchste Ideal menschlicher Schönheit denkt, so werden sich z. B. die
|z3 Neger nie einen andern Gegenstand als einen schwarzen darunter denken.
|z4 - Der Schein des Guten gehört wenigstens mit zum Geschmak, z. E.
|z5 Höflichkeit ist ein Schein des Wohlwollens. Was das Gute selber
|z6 betrift so versteht man oft unter einem {{guten +Menschen, einen}}
|z7 gutmüthigen Menschen {{d. h.}} einen solchen, der sich alles gefallen
|z8 läßt, vor dem man sich alles Gute zu versehn, und nichts böses zu
|z9 besorgen hat, der überhaupt eigentlicher zu sprechen, eine Schlafmütze
|z10 ist. {{So bonhomme ein +Hahnrei}} Ein guter Mensch ist eigentlich der,
|z11 der gut von Charakter, der gute feste Grundsätze in seinen Handlungen
|z12 hat. Gut zu seyn kommt uns leicht vor, aber es gehört dazu eine
|z13 beharrliche Standhaftigkeit. Ehrlichkeit ist nichts weiter als der
|z14 kleinste Grad {{das minimum}} der Aufrichtigkeit, im Verkehr mit andern
|z15 Menschen. Ein Zeitalter also, wo die Ehrlichkeit so ganz vorzüglich
|z16 gepriesen und geehrt wird, ist sehr im Verfall, denn die Folge ist,
|z17 daß auch sie selten ist, dennoch ist es besser, als wenn sie gar
|z18 verachtet würde. Gutes und Böses muß in der Welt vermischt seyn, so
|z19 hat es die Natur gewollt. Man macht sich gemeinhin die Vorstellung ein
|z20 Volk hätte alles Gute, und das andre alles Böse, -------- Die Mischung
|z21 guter und böser +Menschen giebt Anlaß zur Cultur. Gute Menschen unter
|z22 einander können nicht bestehen, nichts würde ihre Gutmüthigkeit
|z23 erhalten, denn das Böse unter den +Menschen ist der Wetzstein zum
|z24 Guten.
|z25 δ_Rand S.170, ab Zeile 12
|z26 - +.Anmerkung Des jungen witzigen Lord Rochester Grabschrift auf
|z27 Carl II. Hier liegt Carl der in seinem ganzen Leben viel Kluges gesagt
|z28 +.und nichts Kluges gethan hat - dies wahr ganz richtig. Der König
|z29 nahm es ihm auch nicht übel.δ_

|P_171
|z1 [Vereinigt sich aber die Schönheit mit dem Nutzen, so wird
|z2 der Gefallen daran, desto gründlicher und dauerhafter. Indeß ist die
|z3 reine Schönheit, die bloß für den Geschmak ist, und ein gewißes reines
|z4 Vergnügen gewährt, von allem Nutzen leer.

|P_186
|z1 [Ein Autor sucht, die leichfertige Art in Gedichten z. E.
|z2 die Liebe - Wein pp mit schönen Farben zu schildern, und zu
|z3 rechtfertigen

|P_187
|z1 [Das zu sehr modische im Geschmak verräth einen Menschen
|z2 ohne Grundsätze
|z3 [δ_Rand S.188, ab Zeile 2
|z4 So werden verschiedne Versarten Mode. z. E. Lieder nach Klopstock.δ_

|P_216
|z1 [Es ist das Vermögen durch seine Vorstellungen zu erkennen,
|z2 daß Gegenstände die Ursachen zu unsern Vorstellungen sind. z. E. bläßt
|z3 jemand in ein Posthorn, so ist dieser Gegenstand die Ursache zu
|z4 unserer Vorstellung. Die Vorstellungen bestimmen unsere thätige Kraft
|z5 zur Hervorbringung des Gegenstandes, und denn das Begehren. Alle
|z6 unsere Begierden beziehen sich auf Aehnlichkeiten, und die nicht dahin
|z7 abgezielt sind, werden Wißbegierde oder leere Begierde genannt. Das
|z8 Begehrungsvermögen ist also die Bestimmung einer Kraft gewiße
|z9 Gegenstände hervorzubringen, es entstehen daher Wünsche und
|z10 Sehnsuchten. (Wenn ein Wunsch im Affect geschieht, so heißt er
|z11 Sehnsucht.) Nichts erschöpft das Gemüth so sehr als leere Wünsche *1
|z12 und Sehnsuchten, bei denen wir bewust sind, da«s»ß wir die Kraft nicht
|z13 haben uns den Gegenstand zu verschaffen. Z. E. Iemand hat ein Loos in
|z14 der Lotterie, wünscht immer daß bald einen Gewinnst erhalten möchte,
|z15 obgleich er weis daß die Post darum nicht eher als gewöhnlich ankommen
|z16 kann, (Mit solchen Wünschen kommt die leere Reue sehr überein - Unzu-
|z17 friedenheit mit sich selbst - Wunsch daß etwas ungeschehen sey, ist
|z18 ein leerer Wunsch, dennoch brüten gute Personen über der Reue)
|z19 Durch phantastische Objecte werden leicht Sehnsuchten erregt. Mit
|z20 Recht würden sie unsre Begierde hervorbringen, wenn es möglich wäre
|z21 sie zu erreichen, dies ist aber nie bei phantastischen +.Vorstellungen
|z22 möglich.
|z23 δ_Rand S.216, ab Zeile 13
|z24 *1 Sie machen das Herz welk besonders in +.Ansehung der Zukunft.δ_

|P_217
|z1 Das weibliche Geschlecht hat mehr Hang dazu als das männliche. Von der
|z2 Art sind auch die Romane, sie erfüllen mit das Herz welk machenden
|z3 Sehnsuchten; man findet kein adaequat der Idee immer ein
|z4 unerreichbares Hirngespinnst. - Es ist noch die Frage ob in der That
|z5 lebhafte Wünsche auch noch in der Folge möchten erfüllt werden Z. E.
|z6 der Wunsch eines Geitzigen nach Reichthum um damit allen Armen zu
|z7 helfen.
|z8 Brav bedeutet zwar i«m»n «allgemeinen»{{vielen Fällen}} Tapferkeit im
|z9 Kriege aber im allgemeinen wacker, thätig rüstig. Es giebt vague unbe-
|z10 stimmte Begierden, die uns immer aus unserm jedes maligen Zustande in
|z11 einen andern versetzen, und dies geht auch denn fort, wenn wir uns in
|z12 dem andern Zustande befinden. Sie kommen gewöhnlich aus Langeweile,
|z13 oder aus dem Zustande des abgestumpten Genußes, des Ekels +.und
|z14 Ueberdrußes an Gegenständen. Hauptsächlich beherrschet diese
|z15 Langerweile vornehme Weiber, unter dem Namen Vapeurs. Sie wünschen in
|z16 einem solchen Zustande etwas, und wissen nicht wozu; sie sind so wie
|z17 kleine Kinder, denen man anfänglich alle Wünsche erfüllt, welches aber
|z18 nicht immer geschehen kann, und in solchen Fällen den Kindern {{welche
|z19 zu grinsen fortfahren}} nichts anders als die Ruthe geben kann.
|z20 Besonders schädlich ist diese Langeweile, wenn man {{fremde}} Geschäfte
|z21 thun muß. Denn solche die man sich selber auferlegt hat, verrichtet
|z22 man mit weniger Fleiß, wer also nicht Langeweile haben will, muß sich
|z23 Zwangsgeschäfte auferlegen. Ihr kann niemand entrinnen der immer
|z24 genießen will. Sie bringt eine Menge Ausschweifungen hervor. Ihre
|z25 erste Wirkung ist
|z26 δ_Rand S.217, ab Zeile 2
|z27 Z. E. Grandison.
|z28 δ_Rand_ab Zeile 3
|z29 Solche +Menschen sagen o hätte ich Geld wie wollte ich es mit den
|z30 Armen theilen. Kommen sie aber zum Vermögen, denn heißts: müssen sie
|z31 gemächlich leben, +oder sie erheben sich in den Adelstand denn müssen
|z32 sie standesmässig leben, - so daß am Ende doch nichts für die +Armen
|z33 übrig bleibt. O ihr hartherzigen Reichen!
|z34 δ_Rand_ab Zeile 20
|z35 Bei selbst auferlegten Geschäften ist man nur occupatus in otio.δ_

|P_218
|z1 Spiel, es vertreibt die Zeit durch Zerstreuungen indem die Gegenstände
|z2 oft wechseln, Zweite Wirkung: Neigung zu starken Getränken
|z3 Tabakrauchen, Gesellschaften pp. Mittel wider die Langeweile kann man
|z4 auf die Art Arzneimittel für die Krankheiten des Gemüths nennen. Wir
|z5 nennen die Begierden frey wenn sie von der Art sind, daß sie uns den
|z6 Gegenstand als entbehrlich vorstellen. Wir nennen sie Neigungen
|z7 (Neigung ist habituelle Begierde) wenn wir immer in ihren Fesseln
|z8 sind. z. E. Ein Mensch hat Neigung zu Blumen, zu Musik, Comoedie ist
|z9 ihm unentbehrlich geworden, so ist er, wenn er sich gar nicht ohne
|z10 eine solche Sache behelfen kann, ein Sclave derselben, und dies macht
|z11 ihn natürlicher Weise sehr oft unglüklich; finden wir aber an
|z12 dergleichen Dingen dergestalt Vergnügen, daß wir sie auch entbehren
|z13 können, so ist dies ein Zusatz zu unserm Glücke.
|z14 [Die Menschen sind so
|z15 beschaffen, daß manche sich an Einförmigkeit andre an Wechsel, noch
|z16 andre an Genuß gewöhnen. Ein Mensch der sich an immerwährenden
|z17 Wechsel, an Geschäftigkeit gewöhnt hat,

|P_219
|z1 und auf einmal in die Einsamkeit geräth, wird nicht allein durch
|z2 Langeweile, sondern auch durch beständige Wünsche ohne Gegenstand
|z3 gequält.

|P_223
|z1 [wo wir aber durch Begierde bewogen werden ihn zu suchen z.
|z2 E. der Naturtrieb zum +anderen Geschlecht. Die Enten gehen nach dem
|z3 Wasser, ohne daß sie es weiter kennen. Instinkt ist also der Grund der
|z4 Begierde, der der Kenntniß des Gegenstandes vorangeht.

|P_224
|z1 [(Man könnte wohl sagen Neigung, aber es ist würklicher
|z2 Instinkt, denn die Neigung hängt nicht von der Erkenntniß ab)
|z3 [und
|z4 zwar im kleinern oder größern Grade. Daß Menschen Instinkt haben ist
|z5 nicht ihre Schuld, aber wegen der Neigungen haben sie sich selbst
|z6 anzuklagen, da man doch nach Grundsätzen handeln sollte. Alle
|z7 Neigungen setzen uns in Sclaverey, sind aber doch deshalb nicht ganz
|z8 zu verwerfen, denn sie sind gleichsam ein Wink der Natur, wodurch sie
|z9 uns zu etwas einladet. - Einige Menschen haben geschwinde zu etwas
|z10 Neigung, aber sie verliert sich auch bald. Denn ein Baum der lange
|z11 Zeit währen soll, muß lange wachsen, derjenige dem kein Ding einen
|z12 Trieb verursacht heist +unempfindlich. Man muß Neigungen als Feinde
|z13 seiner Freiheit fliehen und an keiner Sache aus Neigung kleben. Die
|z14 Menschen trauen sich in Ansehung der Grundsätze wenig zu, +.und
|z15 wünschen daher

|P_225
|z1 [Neigungen. Z. E. was würde eine Frau sagen wenn sie wüßte
|z2 ihr Mann wohne blos bei ihr um den Stand der Ehe zu erfüllen, +.und
|z3 nicht aus Neigung. Doch sind solche Ehen gewöhnlich dauerhafter als
|z4 die enthusiastische. Man wünscht immer die Neigung weil man die
|z5 Thierheit am Menschen für stärker hält als das Intellectuelle. Neigung
|z6 ist Grund von daurenden Begierden. Antrieb ist noch keine Neigung,
|z7 +sondern man bekommt indem man ihm oft folget einen habitum woraus
|z8 Neigung entsteht. Neigung ist ein sinnliches Begehren, indem wir
|z9 abhängig vom Gegenstande werden Z. E. Liebe ist Neigung (Bestimmung
|z10 unsers Begehrungsvermögens) zum Wohlwollen gegen eine Person. Sie kann
|z11 aber intellectuell, bloß Erkenntniß und Wohlgefallen am Gegenstande,
|z12 «aber» {{die}} sensual «seyn» verlangt schon Genuß; so kann man jene die
|z13 theoretische, diese die practische Liebe nennen. Zur ersten Gattung
|z14 kann man die Liebe gegen Arme rechnen, man bedarf nur der Erkenntniß
|z15 vom Zustande der Nothleidenden, um ihnen zu helfen, dies geschieht
|z16 ohne Genuß. Zur andern gehört Liebe der Aeltern gegen ihre Kinder; sie
|z17 ist Neigung, hängt ganz und gar nicht von Erkenntniß ab, lediglich vom
|z18 Instinkt ab. - Ein Bedürfniß ist Verlangen nach etwas, dessen
|z19 Abwesenheit uns unzufrieden macht.

|P_226
|z1 [z. E. man liebt ein Frauenzimmer nicht wegen ihrer
|z2 Schönheiten +oder etwas anders, sondern um sie zu besitzen.

|P_244
|z1 [Leidenschaft ist der Zustand des Gemüths, welcher uns un-
|z2 fähig macht über unsere Neigungen herrschen zu können, d. h. er
|z3 verursacht daß wir die Gegenstände nicht nach der Summe aller
|z4 Begierden wählen können. Die wahre Leidenschaft ist die, deren
|z5 Neigungen bis zu dem Grad gehen, daß sie ihre eigene Befriedigung
|z6 unmöglich machen.

|P_246
|z1 [So ist z. E. der Zorn eine Vertheidigungsneigung. Wird
|z2 aber die Neigung reif, so muß der Mensch den Affecten weiter kein
|z3 Gehör geben, als nur in so fern, daß er sich von ihnen an die Zwecke
|z4 des Lebens erinnern läßt.
|z5 [δ_Rand S.246, ab Zeile 9
|z6 *1 Z. E.: Die Erhaltung und Fortpflantzung der Art, konnte sie nicht
|z7 der Vernunft allein anvertrauen.

|P_247
|z1 [wo uns in der Wahl +.und Befriedigung derselben nichts
|z2 hindert. Dies ist die erste formale Neigung und gewiß die größte.
|z3 [Man
|z4 darf daher nicht den Regenten als Landesvater rühmen,
|z5 δ_Lage_GG.

|P_248
|z1 denn wir sind keine Kinder mehr, die einen Vater brauchen, die bei der
|z2 Nase herumgeführt werden müssen; ohne Freiheit haben wir kein
|z3 Eigenthum, das Unglück des Menschen ohne +.Freiheit ist unabsehbar.
|z4 Die formale Neigung zur Freiheit heißt negativ. Der Mensch verlangt
|z5 nichts zu erwerben, (nur seine Neigung will er befriedigen) Die
|z6 formale positive Neigung heißt das Vermögen, im Besitz der Mittel zu
|z7 seyn, und seine Neigung befriedigen zu können. Es giebt zweierley
|z8 Arten von Freiheiten:
|z9 1.) Die wilde, thierische, gesetzlose Freiheit, dies ist die
|z10 natürliche.
|z11 2.) Die bürgerliche Freiheit. Diese ist immer einem gewissen Zwange
|z12 unterworfen, dagegen sichert sie uns auch für Uebeln, denen wir im
|z13 Naturstande nicht entgehen können. Demnach giebt es kein Beispiel, daß
|z14 ein Wilder sein Leben dem unter Gesetzen vorziehen sollte. Die
|z15 bürgerliche Freiheit ist sehr künstlich, ihr Reitz besteht darinn, daß
|z16 der Mensch alles thun kann, was er will, wenn es nur nicht den
|z17 Gesetzen wiederstreitet. Sie hat großen Nutzen, denn sie veredelt
|z18 nicht allein die Bürger, sondern auch nur die Meinung der Freiheit
|z19 thut dies. Der Regent der dem Volke diese Meinung benimmt, benimmt ihm
|z20 auch zugleich jeden Sporn zu guten und edlen Handlungen. z. E. Man hat
|z21 viel Beispiele von canadischen Wilden, die schon Officiere geworden
|z22 waren, daß sie lieber in ihre Hütten zurückkehrten, als noch länger
|z23 unter Subordination s«¿¿»tanden. Ueberhaupt achtet der Wilde nichts
|z24 was unter Herrschaft steht. So verachten die
|z25 δ_Rand S.248, ab Zeile 15
|z26 So ist's in England.δ_

|P_249
|z1 nomadischen Araber diejenigen, welche in Städten wohnen. Die
|z2 Grönländer schätzen alle Matrosen, darum weil sie sich befehlen
|z3 lassen, so gering daß sie nicht einmal mit ihnen sprechen, welche Ehre
|z4 sie lediglich dem Capitain erweisen. Deswegen bitten es sich auch die
|z5 Missionarien aus daß der Schiffskapitain keine Autorität über sie
|z6 blicken lasse, weil man sie sonst als Nichts würdige betrachten
|z7 möchte. - Ie näher die Menschen der Freiheit kommen, desto stolzer
|z8 sind sie. Dies sieht man Z. B. daraus: ein Tunguse sagt, wenn er
|z9 jemanden Unglük wünschen will: daß du dein Vieh erziehen magst, der
|z10 Russe hingegen: daß du dein Brod beim Weberstuhl wie ein Deutscher
|z11 verdienen magst.
|z12 Die positive formale Neigung betrift den Besitz des Vermögens, seine
|z13 Neigungen zu befriedigen,
|z14 [und schränkt sich also auf folgende 3
|z15 Mittel ein:
|z16 1.) Ehre - durch diese habe ich Einfluß auf andere Menschen. in
|z17 Rüksicht auf ihre Furcht.
|z18 2.) Gewalt, durch diese Mittel habe ich Einfluß wegen der Ohnmacht
|z19 andr@¿er¿@.
|z20 3.) Geld, durch dieses vermittelst des Interesse und des Eigennutzes
|z21 der Menschen. Dies leztere ist das kräftigste Mittel. Denn nichts kann
|z22 so sehr die Neigungen der Menschen überstimmen, als Geld.
|z23 δ_Rand S.249, ab Zeile 25
|z24 Z. B. Die Anecdote, da der Brama alle seine Unterthanen Erlaubniß gab
|z25 sich etwas von ihm auszubitten, so fand es sich am Ende, daß alle mit
|z26 einander ohne Ausnahme - Geld baten.δ_

|P_251
|z1 [Ehre bringt immer Wiederspruch hervor, denn so bald man
|z2 welche erwirbt, so geschieht dies auf Kosten der Achtung anderer. z.
|z3 E. jede Ehre ist ein Vorzug, dem wir andern vor uns geben, und da dies
|z4 wenige gern thun, so wiedersetzen sie sich. Wer Anspruch auf Ehre
|z5 macht, thut gleichsam Unrecht, indem er will daß der andere von seiner
|z6 Ehre abstehen soll. Und darum weil wir keinen den Wahn lassen wollen,
|z7 daß er Vorzüge vor uns haben soll, ist man auch so theuer mit Titeln.
|z8 Wenn ich mir Gewalt erwerbe, so kann ich natürlicher Weise Widerstand
|z9 von andern erwarten. Das einzige wobei dies nicht statt findet, ist
|z10 das Geld. Denn wenn ich welches habe, so lieben andre dies, und zwar
|z11 darum, weil sie selber vielleicht davon Nutzen ziehn können.
|z12 In allen Begierden kann man sich etwas continuirendes vorstellen, und
|z13 diese continuirliche Begierde nennt man Sucht, so giebt's Ehrsucht
|z14 Herrschsucht Geld +oder Habsucht, welche sich auf die 3 genannte
|z15 Formale positive vermögen gründen, und werden alle 3 unter dem nach
|z16 englischer Art geformten Worte Selbstsucht begriffen. Diese Sucht,
|z17 welche vom Affect deshalb unterschieden ist, weil sie continuirlich
|z18 ist, macht, daß der Mensch auf den geringsten Grad seines Vermögens
|z19 erpicht ist. Ein Geldgieriger ist nicht allemal habsüchtig, denn ein
|z20 habsüchtiger läßt auch nicht den geringsten Vortheil aus den Händen,
|z21 durch den er sein Geld vermehren kann. Ein Ehrsüchtiger läßt sich auch
|z22 gern vom Narren loben. Wir wollen also nach der Reihe durchgehn:
|z23 δ_Rand S.251, ab Zeile 17
|z24 Daß +.überhaupt der +Mensch selbstsüchtig sey wäre zu kühn zu
|z25 behaupten, soviel aber ist gewiß daß er Anlagen dazu hat.δ_

|P_252
|z1 I. Ehrsucht. Ehrliebend muß jedermann seyn. Ehrsucht aber oder
|z2 Ehrbegierde beleidigt andere. Dies thut Ehrliebe nicht. Sie ist
|z3 negativ, ein bloßer Abscheu sich die Verachtung anderer nicht zu zu
|z4 ziehen; daher kann ein ehrliebender Mensch verlangen nicht bekannt zu
|z5 seyn, und wenn er gekannt wird, will er nur nicht so gekannt seyn, daß
|z6 er Objekt der Verachtung ist, sondern so daß er sich nicht schämen
|z7 darf, und Ehre davon hat. Ohne Ehrliebe ist keine Tugend. Ehrbegierig
|z8 seyn, heißt mit andern um den Vorzug streiten, wodurch man natürlicher
|z9 Weise andern offendirt. Denn indem dieser will vorgezogen seyn,
|z10 verliehrt der andere und so entsteht Eifersucht. Ein Ehrbegieriger
|z11 sucht die Gesellschaft, um auch durch die geringsten Kleinigkeiten
|z12 seine Ehre vergrößern zu können. Die Ehrbegierde wird endlich zur
|z13 Ehrsucht wenn man die Ehre zum Hauptgegenstande seiner Neigungen
|z14 macht, und zu Ehrgeitz wenn man {{auf}} die geringsten Kleinigkeiten bei
|z15 der Ehre sieht. Ehrbegierde +.und Ehrgeitz sind Leidenschaften die
|z16 erhöht werden können. Es liegt in der Ehrbegierde das Ungereimte, daß
|z17 eben durch die große Bestrebung nach Ehre sie ein Gegenstand der
|z18 Verachtung wird. Iemand kann bereitwillig seyn, einem andern Ehre zu
|z19 erweisen, und dieß mach ihm selber Ehre, aber dieß muß frey +.und ohne
|z20 Anspruch darauf geschehen. Ehrbegierde als Selbstsucht ist Hochmuth.*1
|z21 Hochmuth ist nicht ambitio. Denn ambitieuse Leute können sehr höflich
|z22 seyn, indem sie bei
|z23 δ_Rand S.252, ab Zeile 7
|z24 Ein Ehrliebender kann aus eben diesem Triebe verlangen unbekannt zu
|z25 seyn. Die Gesellschaft fliehen - nemlich, um sich vor Verachtung zu
|z26 schützen.
|z27 δ_Rand_ab Zeile 22
|z28 *1 Superbiaδ_

|P_253
|z1 andern eine vortheilhafte Meinung von sich, also Ehre erwerben wollen.
|z2 Ie mehr ein vornehmer Mann auf seine Ehre Verzicht thut +oder keinen
|z3 Anspruch zu machen scheint, da nemlich wo er es könnte, desto mehr
|z4 erwirbt er sich willkürliche Ehre. Hochmuth ist die Meinung von dem
|z5 Vorzuge, wodurch man andere, im Verhältniß gegen uns zu erniedrigen
|z6 sucht. «Denn»Und dadurch daß er will der andre soll sich gegen ihn
|z7 gering schätzen beleidigt er. Ie mehr einer arrogant ist und sich
|z8 brüstet, je mehr weigern andre sich, ihm Achtung zu erweisen, sobald
|z9 er sich aber mit andern in Gleichheit setzet, beweiset man ihm weit
|z10 lieber Achtung. Ganz besonders nennt man den Hochmüthigen einen
|z11 Narren, weil ein Narr derjenige ist, der in sich selbst einen größern
|z12 Werth setzt, als er verdient. Aber er arbeitet sich selbst entgegen,
|z13 wie eben gesagt worden. Man glaubt bemerkt zu haben, daß der
|z14 Hochmüthigste wenn er unter einen Mächtigern kommt zu gleich der
|z15 Niederträchtigste ist. Dies ist auch sehr natürlich, wie könnte er
|z16 dieses sonst einem andern zumuthen, wenn er selber nicht von der
|z17 nemlichen Denkungsart wäre. Stolz hingegen ist Anspruch auf diejenige
|z18 Achtung anderer, die er jedem andern auch erweisen will, eine gewisse
|z19 Halsstarrigkeit die darinn besteht, daß man seinen Muth nicht
|z20 schmälern lassen will. Der edle Stolz fordert nur Gleichheit; hat aber
|z21 auch einen Zug des Tadels bei sich, weil er gleichsam eine Sorgfalt
|z22 anzeigt, nicht das mindeste von der Achtung die er von andern fordert,
|z23 abzulassen. Es ist dies gewißermassen eine Krankheit.

|P_254
|z1 II. Herrschsucht. Diese ist ungerecht, die verlangt nicht allein
|z2 Gewalt, sondern auch ein vorzügliches Vermögen über andre. Es entsteht
|z3 die Frage, findet Herrschsucht als unmittelbare Neigung statt? Ia,
|z4 alle Menschen mögen gern herrschen. Doch liegt das stets im Geheim zum
|z5 Grunde, daß sie ein großes Mittel ist, seine Zwecke und Absichten
|z6 durch Beihülfe anderer zu erreichen. Wenige Fürsten haben resignirt,
|z7 und diesen wenigen hat es hernach leid gethan, z. B. Kaiser Carl V.
|z8 und der König von Sardinien. Viele mögen deswegen nicht herrschen,
|z9 weil sie Hinderniße und Wiederstand voraus sehn, auch wohl oft des
|z10 wegen, weil sie beherrscht *1 commoder leben
|z11 III. Habsucht. Es giebt eine mittelbare, da man nemlich deswegen viel
|z12 zu haben verlangt, um viel geniessen zu können; und eine unmittelbare
|z13 die keinen andern Zwek vor sich sieht als blos um zu haben, ohne etwas
|z14 daran zum Genuß zu bestimmen. Daher haben wir karge und gewinnsüchtige
|z15 Geitzige. Der karge will gar nichts verlieren. Ein Mensch der viel
|z16 hat, kann vielen nützen, und dadurch erlangt er ein großes Ansehn. Es
|z17 ist nach den Nationen verschieden wie {{sie}} sich nemlich ausdrücken z.
|z18 B.
|z19 Die Engländer sagen der Mann ist 100tausend Pfund Sterling werth
|z20 --- Holländer -------------- commandirt eine Million
|z21 Der Deutsche sagt blos ----- besitzt so und so viel Geld
|z22 Diese 3 Begierden sind gewöhnlich nur Neigungen des Wahns, welche ohne
|z23 Rüksicht auf den Zwek blos auf die Mittel gehen. So ist's
|z24 mit der
|z25 δ_Rand S.254, ab Zeile 10
|z26 *1 Dies mag wohl bei vielen geduldigen Ehemännern der Grund ihrer
|z27 Handlung@¿en¿@ seynδ_

|P_255
|z1 mit der Ehrbegierde. Die mehresten Monarchen setzen den Werth
|z2 unmittelbar in Herrschaft, also darinn, was nur Mittel zum Zwek ist.
|z3 Die Leidenschaften die im bloßen Wahn bestehen, schlagen am tiefsten
|z4 Wurzel, deshalb weil sie die ungereimtesten sind, und desto schwerer
|z5 sind sie auszurotten. Es liegt eine recht wunderbare lächerliche
|z6 complication in den Handlungen des Geitzigen.
|z7 ≥ Von den verschiedenen Objecten unserer Neigungen +.und
|z8 Leidenschaften ≤
|z9 Ruhe und Genuß sind die Hauptobjekte - (wovon die Extreme Faulheit und
|z10 Ueppigkeit, Wollust p) - Ieder Mensch hat Neigung zur Ruhe daß nemlich
|z11 nichts wieder seinen Willen sich bewegen soll, er liebt
|z12 Gemächlichkeit.
|z13 [Oft misfallen Werke der Kunst darum, weil sie zu viel
|z14 Schwierigkeit und Peinlichkeit verursachen. Die große Neigung zur Ruhe
|z15 nehmen wir hier als Abneigung zur Arbeit. Arbeit ist eine
|z16 Beschäftigung die für sich selbst unangenehm ist, und nur durch den
|z17 Zwek den wir dadurch erreichen, angenehm wird. Spiel hingegen ist für
|z18 sich selbst angenehm, ohne angenehmen Zwek. Unter den occupationibus
|z19 in otio *1 ist das eigentliche Spiel zu bemerken. Der. Der Hang zum
|z20 Kartenspiel ist Hang zur +.Beschäftigung in der Muße. Von Natur ist
|z21 der +Mensch faul, nur um einen Zwek zu erreichen kann er sich zur
|z22 Arbeit bequemen. Aus Neigung arbeitet man nicht, wohl spielt man aus
|z23 Neigung. Die Chineser sind immer thätig aber sie arbeiten nicht immer,
|z24 +sondern spielen stark.*2 Der Spieler kennt keine andre +.Leidenschaft
|z25 als die seinige, welche so stark ist, daß sie auch die Liebe
|z26 auslöscht. Sonst können {{mehrere}} +.Leidenschaften +.zusammen bestehn.
|z27 δ_Rand S.255, ab Zeile 16
|z28 Eben so eine Rede die mit mühsam hergehohlten Ausdrücken angefüllt
|z29 ist.
|z30 δ_Rand_ab Zeile 20
|z31 So sind Iagen Angeln Beschäftigungen, die an sich selbst angenehm sind
|z32 *1 nicht per negotium.
|z33 δ_Rand_ab Zeile 22
|z34 *2 Dies geht soweit, daß sie Haus Hof Weib +.und Kind ja am Ende sich
|z35 selbst verspielen, +.und wenn sie ihre Freiheit verloren, völlig in
|z36 die Sclaverey gehn.
|z37 Iede +.Beschäftigung womit Glük verbunden, macht, daß die, welche sie
|z38 treiben abergläu@¿bisch¿@ sind, so z. B. Iäger, Fischer Spieler
|z39 Bergleute.δ_
|z40 δ_Lage_HH.

|P_256
|z1 ≥ 48ste Stunde +.Sonnabend den 28ten +.Ianuar +.von 9 - 10 ≤
|z2 Wie tief die Neigung zur Gemächlichkeit in der menschlichen Natur
|z3 liegt, kann man schon daraus sehen, weil der Mensch nur darum
|z4 arbeitet, indem er sich im Prospect Ruhe und Gemächlichkeit mahlt. Nur
|z5 der Sporn der zukünftigen Ruhe treibt ihn zur Arbeit. Der Prospect
|z6 derselben liegt immer im Hintergrunde. Kann man diesen Hang zur
|z7 Gemächlichkeit unter dem Namen der Faulheit als ein Laster angeben?
|z8 Oft ist er in der That wohlthätiger Wink der Natur, seine Kräfte zu
|z9 schonen, um sie nicht zu erschöpfen. Und denn ist es nicht ein Fehler
|z10 z. E. die Habsucht würde viele Menschen antreiben, ihre Kräfte bis zur
|z11 Ueberspannung anzustrengen, +.und sie zu zerstören.
|z12 Der Hang zum Genuß ist zweierley:
|z13 1.) Hang zum Leben.
|z14 2.) Hang zum Geschlecht.
|z15 Im erstern Fall genießt der Mensch sich selbst im lezten einen andern
|z16 Menschen. Voltaire sagt, beide Neigungen wird keine Kunst ausrotten.
|z17 Sie sind die Fundamentalneigungen. Die Neigung zum Leben wächst mit
|z18 den Iahren, die zum Geschlecht nimmt mit den Iahren ab. Daher kommt
|z19 es, daß Iünglinge oft mit weit mehr Muth und Resignation sterben, als
|z20 alte. Was die Furcht vor dem Tode betrift, so ist sie unterschieden
|z21 von der Liebe zum Leben. Denn man kann den Tod fürchten, ohne das
|z22 Leben zu lieben. Die Ursach ist diese: Der Mensch fürchtet den Tod aus
|z23 physischem Abscheu, indem er nichts vor sich sieht. Der Grund liegt in
|z24 der Imagination, denn man stellt sich immer vor, man würde sich bewußt
|z25 seyn in der Erde - im Sarge zu liegen.

|P_257
|z1 Das Grab ist eigentlich schauerlich, die Furcht vor +dem Tode selbst
|z2 ist thierisch. - Beide Neigungen werden überhaupt getadelt als
|z3 erniedrigend für die Würde der Menschheit, weil sie Aehnlichkeit mit
|z4 thierischen Neigungen haben. Eben des wegen hat man auch in allen
|z5 Religionen nur die für heilig gehalten die gar keinen Hang zum
|z6 Geschlecht zeigten. Phantasten verlangen daß beide Neigungen nicht zur
|z7 Menschheit gehören. Eine Art davon nennt man Puristen weil sie sich in
|z8 diesem Punkt so gerne vom Menschen losmachen wollten. Was den Genuß
|z9 des Lebens betrifft, so ist's gut daß die Natur etwas Zaghaftigkeit in
|z10 uns gelegt hat. Die Liebe zum Geschlecht ist nicht immer so groß als
|z11 man angiebt, es stekt etwas Feinheit +.und Großmuth darinne. Die Liebe
|z12 zum Leben affectirt man nicht, wohl aber die Geringschätzung
|z13 desselben. Man nennt die Neigung zum Geschlecht Liebe, man muß sie
|z14 eigentlich GeschlechtsLiebe nennen, und sie hat nichts mit der
|z15 moralischen Liebe zu thun. Denn sie besteht im Genuß, und ist also
|z16 nicht die Liebe, die in Moral und Wohlwollen besteht. Die Natur hat
|z17 mancherley Instinkte zu großen Zwecken in uns gelegt, der cultivirte
|z18 Mensch muß also diese An«¿¿»lagen als Triebfedern von großen
|z19 Handlungen zu guten Zwecken gebrauchen. Ie mehr wir unsre Neigungen
|z20 befriedigen desto mehr multipliciren sie sich. (Man hat bemerkt, daß
|z21 auch das große Laster was unter den Menschen so gewöhnlich ist, die
|z22 Falschheit, bei allem Schaden den sie mit sich führt, doch auch
|z23 einigen Nutzen stiftet, nemlich den, daß sich Menschen welche böse
|z24 Absichten haben, nur dessen willen nicht so leicht vereinigen können.)

|P_264
|z1 [Die Romane erregen Affecte, unterhalten auch
|z2 Leidenschaften Es ist gefährlich eine Leidenschaft zu nähren, denn sie
|z3 führt immer weiter, und wächst. Der Affect ist nur ein vorübergehender
|z4 Sturm. Was das Schauspiel betrift, so wird hier der Affect durch
|z5 Vorstellungen vermittelst des Lebens erhalten. Comödie erregt nicht
|z6 Leidenschaft sondern nur Affect, auch Lachen ist Affect. Daß die
|z7 Comödien uns veredeln, kann man nicht sagen, wohl aber, daß sie unsre
|z8 Urtheilskraft cultiviren. Alle Romanen werden kalt, wenn sie in die
|z9 Ehe kommen, und man kann sagen, das Ende der Liebespein ist das Ende
|z10 der Liebe. Bücher die die Grenzen überschreiten kann man eintheilen
|z11 in: Kopfbrechende, Herzbrechende und Halsbrechende. Der größte Theil
|z12 der Romane gehört unter die Classe der Herzbrechenden. Das Benehmen in
|z13 der theatralischen Vorstellung ist unterschieden von dem des Con-
|z14 versationston's; und daher ist es albern wenn man vorgiebt, daß durch
|z15 die Aufführung der Komedien Z. E. der Kinder bei den Geburtstägen
|z16 ihrer Aeltern, die Sitten cultivirt werden. Denn es ist etwas anders
|z17 agiren, und mit Menschen umgehen. Diejenigen Leute, die oft agiren,
|z18 nehmen gemeinhin einen theatralischen, affectirten Ton an, der sich im
|z19 gemeinen Leben nicht schikt. Daß Trauerspiele jungen Leuten besser
|z20 gefallen als Komedien, kommt daher, weil die Affecte stark werden,
|z21 steigen, aber auch bald verschwinden, dies ist nicht der Fall beim
|z22 Lustspiele, sie gefallen der Iugend nicht so sehr, als den Alten, weil
|z23 diese dabei sich zu erholen suchen, hingegen mögen sie wieder
|z24 δ_Rand S.264, ab Zeile 17
|z25 Comödien haben kein weiteres Inreresse, ihre Unterhaltung währt nur so
|z26 lange als die Aufführung des Stüks.δ_

|P_265
|z1 nicht gerne Trauerspiele sehn, weil bei ihnen die Eindrücke lange
|z2 haften, welches bei dem jugendlichen Alter nicht statt findet.
|z3 Romane sind ganz zu tadeln, weil sie die Verschwendung der Zeit
|z4 abgerechnet, noch ausserordentlich das Gedächtniß schwächen. Und dies
|z5 deswegen, weil wir die Romane immer nur in futuramoblivionem lesen,
|z6 kommen wir nun an wichtigere Dinge, und lesen sie auch mit ganzen
|z7 Ernst, so können wir sie doch nicht behalten. Noch ein großer Schade
|z8 ist der, daß wir uns durch das Romanelesen ganz in eine Feenwelt
|z9 versetzen, und Ereigniße die nie geschehen können für leicht und
|z10 möglich halten, dazu kommt, daß indem wir einen Roman lesen, wir
|z11 selbst noch immer einen neuen dazu machen, indem nach unsrer Meinung
|z12 mehr Begebenheiten ganz anders hätten sollen erzählt werden. Wenn man
|z13 zu einem von beiden rathen soll, so sind die Komedien rathsamer, weil
|z14 sie mit Laune +.und Ideen aus dem wirklichen Leben angefüllt sind.
|z15 Die Bewegungen der Affecten, wenn sie heilsam sind, können statt
|z16 finden in der Conversation, und diese Art von Gemüthsbewegung
|z17 geschieht zwiefach:
|z18 1.) durch Gespräche,
|z19 2.) durch Spiel.
|z20 Zur Gesellschaft aber nicht zur Conversation gehörig ist
|z21 1.) Musik,
|z22 2.) Tanz - so zu sagen stumme Gesellschaften. Das Spiel ist 1.) eine
|z23 heilsame Unterhaltung, weil es den Affect bewegt. 2) eine gesellige
|z24 Unterhaltung, es verhindert *1 viele unangenehme Empfindungen,
|z25 δ_Rand S.265, ab Zeile 24
|z26 *1 nicht nur die Langeweile, +sondern auch ppδ_

|P_266
|z1 und Unterhaltungen - besonders scandalöse werden +dadurch vermieden.
|z2 3.) Eine Unterhaltung die sehr zur Cultur beitragen kann.
|z3 Das Gespräch wird am besten bei der Tafel continuirt. Die Engländer
|z4 haben 2 Stück von der Art, denn sie rühmen 1) ihren geselligen Camin,
|z5 2.) den geselligen Thee: In diesem schwelgen sie auch bis zum
|z6 Uebermaaß. Dies sieht man schon daraus: Es kommen jährlich 17,000,000
|z7 +Pfund Thee nach Europa, und davon nehmen die Engländer allein
|z8 10,000,000 +Pfund. Sie trinken ihn ausserordentlich stark, und
|z9 schwächen dadurch ungemein ihre Nerven, obgleich sie den Gebrauch des
|z10 Thees dadurch zu verbessern suchen, daß sie viel dabei essen. Iemand
|z11 sagte der Thee wäre sehr schädlich, 1.) weil die Gedärme der Schweine,
|z12 die warme Getränke bekämen, nicht zum Wurstmachen taugten, indem sie
|z13 sogleich entzwey rissen, und 2.) weil die Menschen die in den Thee-
|z14 magazinen arbeiten, gewöhnlich ein Zittern in den Gliedern haben.
|z15 Durch beide Geschlechter wird die Conversation am besten gehalten,
|z16 oder sie ist nicht angenehm. Der Ton, der zur Zeitkürzung und
|z17 Aufweckung dient, ist der, wenn die Conversation kein Geschäft,
|z18 sondern ein Naturspiel, oder +.der +.gleichen ist. Auch des wegen
|z19 müssen bei solchen Unterhaltungen keine wichtige Geschäfte abgehandelt
|z20 werden, weil die Frauenzimmer keinen Theil daran nehmen. Und ihre
|z21 Gegenwart ist des wegen auch bei der Tafel nothwendig, weil dadurch
|z22 die Rechthaberei der Männer im Zaum gehalten wird. Das sieht man bei
|z23 den Tafeln der Engländer, wo sich die Damen gegen das Ende der
|z24 Mahlzeit entfernen, alles abgenommen wird, und die Männer nur

|P_267
|z1 allein die Bouteille noch vornehmen, denn sobald dies geschehn,
|z2 herrscht in der Gesellschaft gleich eine gewisse Rohigkeit. Bei Tische
|z3 muß es scheinen, als wenn das Essen nur Nebensache wäre. Lord
|z4 Chesterfield sagt: Eine Tischgesellschaft muß nicht unter der Zahl der
|z5 Gratien, und nicht über der Zahl der Musen seyn. Denn sobald dies
|z6 leztere statt findet, ist es schon nicht möglich, daß alle die an der
|z7 Tafel sitzen, sich communiciren können. Und dies ist ja der Hauptzwek
|z8 einer Tischgesellschaft, denn es ist in der That beleidigend, wenn ein
|z9 paar in der Gesellschaft sich ins Ohr zischeln, denn es zeigt
|z10 Geringschätzung für die andern an; Zwei Personen sind entweder alle
|z11 beide still, oder sie haben keine rechte Unterhaltung, oder es müßte
|z12 denn seyn, daß einer mit dem andern Geschäfte abzumachen hätte. Ein
|z13 Gesellschaft, die grösser ist als neun, heißt ein Gela«g»ch, wo man
|z14 zum Theil fremd ist, und jeder redet wie +.und wenn er Lust hat, man
|z15 hört in einer solchen Gesellschaft nicht darauf, was jemand spricht,
|z16 und man antwortet oft das Gegentheil, daher kommt der Ausdruk, ins
|z17 Gelach hinein reden. Solche Gelache, wenn sie bei Solemnitäten gegeben
|z18 werden, heißen Fˆten, Schmause mit Recht nennt man sie Abfütterungen,
|z19 weil es hier blos ums Essen zu thun ist, denn Unterhaltung ist
|z20 höchstens nur unter 2 Personen möglich.
|z21 ≥ 50ste +.Stunde +.Mittwoch +den 1 +.Februar +von 9 - 10 ≤
|z22 Das Vergnügen bei der Mahlzeit ist das solideste, denn:
|z23 1.) Es kann mehr als einmal des Tages
|z24 2.) Es kann auf lange Zeit
|z25 3.) Es kann zugleich mit Cultur genoßen werden. Es giebt auch

|P_268
|z1 stumme Mahlzeiten, nemlich die, wo Tafelmusik ist, und auch die
|z2 öffentlichen Mahlzeiten die große Herren, wie Z. B. der König von
|z3 Spanien, im Garten geben, da denn jedermann zusehen kann. Der genannte
|z4 König sizt als denn ganz allein an einer Tafel, eben so auch seine
|z5 Gemahlinn, indeß befinden sich die Adjutanten welche das sogenannte
|z6 Corps diplomatique ausmachen im Zimmer.
|z7 Die Unterhaltungen bei der Tafel sind:
|z8 1.) Das Erzählen
|z9 2.) - Raisonniren
|z10 3.) - Scherzen.
|z11 Was das Erzählen anbetrift, so kommt man zuerst auf die Witterung,
|z12 dann auf Stadtneuigkeiten, Landneuigkeiten, zulezt auf die so ganz
|z13 Europa betreffen pp. Dann gehts ans Raisonniren. Unter allen
|z14 Raisonnements scheint keines interessanter zu seyn, als das über die
|z15 Handlungen und Leidenschaften der Menschen. Das Raisonniren kommt denn
|z16 wenn der Appetit gestillt ist, und zulezt der Scherz. Ueber eine
|z17 Mahlzeit wo immer gescherzt wird kann nichts unerträglichers gefunden
|z18 werden. Daß eine Gesellschaft animirt wird, beruht darauf, weil ein
|z19 jeder mitreden kann, indem er gleiches Interesse hat. Mancher
|z20 preparirt sich auch darauf, was er in Gesellschaft sprechen will.
|z21 Iemand las z. B. allemal ehe er in Gesellschaft ging, eine Seite aus
|z22 Wolfs Naturrecht, und wußte es denn hernach immer auf die Materie
|z23 hinzuleiten wo er mitsprechen konnte. Es ist recht gut wenn man um der
|z24 Gesellschaft Stof zur Unterhaltung zu gewähren, etwa vorher die
|z25 neueste Zeitung vorlieset.

|P_269
|z1 Solche interessante Mahlzeiten, gefallen nicht allein wenn man sie
|z2 genießt, sondern auch nur die blosse Erinnerung daran gewährt schon
|z3 Vergnügen. Es ist nicht gut wenn eine Gesellschaft stockstill wird, es
|z4 wagt nemlich als denn keiner das Gespräch wieder anzufangen. Denn er
|z5 glaubt, alle werden nun auf einmal auf ihn sehen. Ist aber nur jemand
|z6 da der die Gesellschaft wieder animirt, so muß man eine solche auf die
|z7 Bahn gebrachte Materie zu continuiren suchen, und nicht unterbrechen
|z8 mit dem - erlauben sie doch, vergessen sie doch nicht ihr Wort, +.und
|z9 +.der +.gleichen. Es zeigt von großer Geschiklichkeit wenn jemand wie
|z10 angeführt, das Herz hat die Gesellschaft aus der Stille zu bringen,
|z11 denn, ist das Räderwerk nur erst aufgezogen, denn geht es von selbst
|z12 fort. Man kann wohl Materien zum goutiren geben, aber wenn sie nicht
|z13 gefallen, auch nicht weiter daran denken, sonst bestände das Gespräch
|z14 aus lauter Fragmenten, die den Kopf verwirren. Die Rechthaberei ist im
|z15 Discours unerträglich, um so profitabler für die Gesellschaft ist die
|z16 Willfährigkeit, womit einer dem andern seine Behauptungen zu giebt.
|z17 Sobald man merkt daß jemand immer auf seinem Kopf beharret, muß man
|z18 stokstill seyn. Manchmal hat ein Mensch recht in der Sache, aber nicht
|z19 im Tone, weil er zu apodictisch spricht, und dies ist tadelnswerth.
|z20 Die Franzosen haben bei einem Wiederspruch die Gewohnheit den andern
|z21 um Verzeihung zu bitten, damit sie ihm kein Dementi *1 geben. Der
|z22 Conversationston ist in Frankreich der vollkommenste, hier wurde
|z23 zuerst das Frauenzimmer in +.Gesellschaft gebracht - Wir haben jetzt
|z24 die Elementarlehre geendigt, worin alle {{innern}} Bestandtheile des
|z25 +Menschen constitutive betrachtet wurden, nun wollen wir zum 2ten
|z26 Theil der Anthropologie gehen, dieser ist die Methodenlehre, +oder
|z27 +eigentlich generaliter:
|z28 δ_Rand S.269, ab Zeile 20
|z29 *1 ein solches ist z. E. die Aufforderung der alten Ritter:
|z30 so oft du dies gesagt, noch sagst, +.und sagen wirst, hast du gelogen,
|z31 lügst +.und wirst in +deinem Hals lügen.δ_

|P_270
|z1 ≥ 51ste +.Stunde +.Sonnabend +den 4ten +Februar +.von 8 - 9 ≤
|z2 ≥ Die Charakteristick. ≤
|z3 Sie handelt davon, wie wir den Menschen beurtheilen sollen, in
|z4 Beziehung aller Eigenschaften. Dies ist die Anwendung der
|z5 Elementarlehre. Charakter zeigt immer dasjenige an, woran man ein Ding
|z6 erkennen kann. Der Charakter des Menschen ist zwiefach.
|z7 1.) in allgemeinen Sinn als freyhandelndes Naturwesen,
|z8 2.) im strictesten Verstande, da es die Denkungsart des Menschen, nach
|z9 festbestehenden Grundsätzen anzeigt.
|z10 Wir werden nun folgende Theile des Charakters nach der Reihe
|z11 durchgehn:
|z12 I.) Der Charakter der Person,
|z13 II.) ------------ des Geschlechts,
|z14 III ------------- des Volks,
|z15 IV -------------- der Race,
|z16 V --------------- der Gattung.
|z17 Wir werden jezt auch von alle dem Gebrauch machen, was bis her
|z18 theilweise erwogen worden ist

|P_271
|z1 ≥ I. Charakter der Person. ≤
|z2 Der Charakter des Menschen enthält folgende 3 Stücke:
|z3 1.) das Naturell, - Talent, Naturanlage, geht auf das
|z4 +.Erkenntnißvermögen
|z5 2.) Temperament, - Sinnesart, geht auf Gefühl der Lust und Unlust.
|z6 3.) Der Charakter, - Denkungsart, geht auf das Begehrungsvermögen.
|z7 ≥ 1.) Vom Naturell
|z8 das im Talent gesetzt ist. ≤
|z9 Im Talent sind 2 Stücke nemlich 1.) Das Naturell oder die Fähigkeit
|z10 und das Vermögen des Menschen zum lernen, eine gewisse
|z11 Empfänglichkeit, Receptivität. 2.) Geist oder das Vermögen was
|z12 schlechterdings nicht gelernt werden kann, was die Weise angiebt, wie
|z13 wir etwas aus eignen innern Quellen lernen können. 1.) Man kann sagen,
|z14 der Mensch hat ein sanftes +oder ungestümes Naturell, denn es besteht
|z15 in den Gemüthskräften. Ein rohes Naturell nennt man das was immer in
|z16 Wiedersprüche ausbricht. - In Ansehung des Vermögens sagt man der
|z17 Mensch hat ein Naturell zur Dichtkunst, Geschichte pp. Ein Lehrer
|z18 erforscht das Naturell seiner Zöglinge, die Aeltern das Naturell ihrer
|z19 Kinder, Herren das ihrer Diener pp; es ist aber auch kein Bedienter,
|z20 der nicht das Temperament +.und die schwache Seite seines Herrn sollte
|z21 aus zu spähen suchen, findet er z. B. daß er furchtsam ist, so mahlt
|z22 er ihm bei
|z23 jeder
|z24 δ_Lage_KK.

|P_272
|z1 jeder ihm unangenehmen Unternehmung die dabei zu überstehenden
|z2 Gefahren u. s. w. Auch Kinder sind schlau genug zu beobachten wie sie
|z3 Einfluß haben können. Wenn wir nehmen das Naturell eigenthümlich, so
|z4 haben die Russen am meisten, denn sie ahmen gern und mit vieler
|z5 Genauigkeit nach, sie machen alles selber, und daher kann keine Kunst
|z6 grosse Fortschritte bei ihnen machen, daher brauchen sie auch so wenig
|z7 Städte,*1 weil sie die Handwerker ganz entbehren können. Es fehlt
|z8 ihnen aber an den ersten Grundbegriffen und principien, daher sie nie
|z9 Lehrer werden können. Denn man lehrt nie gut, wenn man so lehrt als
|z10 man selber ist unterrichtet worden. Sie besitzen kein Genie, ziehn
|z11 auch daher immer auswärtige Gelehrte ins Land, denn ein Gelehrter muß
|z12 nie ohne Genie seyn. Fähigkeiten in Ansehung des Kopfs heißen Talente,
|z13 das Vermögen desselben in Ansehung des Verstandes und Gedächtnisses
|z14 hießt Genie. 2.) Beim Talent wird hauptsächlich auf Geist gesehn -
|z15 Geist bedeutet das Princip des Lebens, und daher nennen wir alles was
|z16 belebt, Geist. Der Geist ist zwiefach:
|z17 1.) ein gewißer +eigenthümlicher ---.
|z18 2.) ein eigentlicher Geist. Dies Wort wird hier in dem Verstande
|z19 genommen, worinn es Z. E. von einer Unterredung oder einem Buche
|z20 genommen wird, wovon man sagt: Es ist ohne Geist. In diesem Sinne
|z21 versteht man darunter eine Ingredienz wodurch das Gemüth gleichsam
|z22 einen Stoß bekömmt und bewegt wird oder alles, was unsere
|z23 Gemüthskräfte durch große Aus-
|z24 sichten,
|z25 δ_Rand S.272, ab Zeile 7
|z26 *1 Es sind auch in dem +.russischen +.Reich +verhältnißmäßig
|z27 +.ausserordentlich wenig Städte {{+ganz andre z. B. in @¿Preussen¿@}}
|z28 ab Zeile 11
|z29 (nur mechanisch)δ_

|P_273
|z1 sichten, Abstechung, Neuigkeit pp erregen kann, daher muß jedes Bon
|z2 mot etwas überraschendes und und unerwartetes, oder - Geist enthalten.
|z3 Das Genie ist ein Geist woraus der Ursprung der Gedanken herzuleiten
|z4 ist, +.und erfordert also einen eigenthümlichen Geist, der dem Geist
|z5 der Nachahmung entgegen gesezt ist. Solche Genie's sind selten, +.und
|z6 obgleich man in einigen Wissenschaften z. E. in der +.Mathematik ohne
|z7 Genie fortkommt, weil man hier nur nachahmen darf, so sind die erstern
|z8 doch vorzu ziehen. Das Genie findet man vorzüglich bei den Engländern,
|z9 Franzosen und Italiänern, doch bei den ersten findet man nur das wahre
|z10 eigenthümliche Genie, weil (welches auch bei den Italiänern der Fall
|z11 ist) hier Freiheit und Regierungsform es begünstiget. Denn hier darf
|z12 es keiner für nothwendig halten, sich dem Hofe, den Vornehmen, oder
|z13 irgend einem andern zu accommodiren. Denn wo schon der Hof zu
|z14 furchtbar ist, und sich alles nach einerley Muster bildet, da muß
|z15 zulezt alles einerley Farbe enthalten. Bei den Deutschen findet man
|z16 gröstentheils den Geist der Nachahmung, sowohl in großen als kleinen
|z17 Sachen. Darum haben nicht sowohl einige Schriftsteller als auch
|z18 d«ie»er Schul«an-»zwang «stalten» Schuld, der nirgend so groß als in
|z19 Deutschland ist, +.und die Entwickelung der Genie's sehr hindert. In
|z20 England werden die Kinder nicht sonderlich zum Lernen angetrieben,
|z21 allein man weiset sie bei jeder Gelegenheit an, etwas zu profitiren.
|z22 Die Laune gehört zum +.Eigenthümlichen des Naturells, und das Genie
|z23 zum +.Eigenthümlichen des Talents.

|P_274
|z1 Der Unterschied zwischen dem Naturell und Genie, ist, daß wir leidend
|z2 sind in Ansehung des Naturells, und thätig in Ansehung des Genie's.
|z3 Wir wollen jetzt vom Geist abbrechen, da schon beim Genie davon
|z4 gehandelt worden ist, und die Eintheilung des Menschen vornehmen in:
|z5 Kopf und Herz. So ganz richtig ist sie nicht, denn wir unterscheiden
|z6 auch noch Gemüth und Herz. Wenn es heißt: es ist ein guter Mensch, da
|z7 ist ordinair nicht viel dahinter; das gute Gemüth gehört zum Gefühl
|z8 der Lust und Unlust, dahingegen ein gutes Herz zum Begehrungsvermögen.
|z9 Der Mensch der ein gut Gemüth hat, hegt keinen Groll, hat keine
|z10 Nachempfindungen, +.und vergißt das ihm angethane Unrecht, überhaupt
|z11 sagt man von dem, der sich alles gefallen läßt, und niemanden
|z12 Wiederstand leistet, er habe ein gutes Gemüth Gutherzig ist aber ganz
|z13 etwas anders, es heißt so viel als, er hat Wohlwollen. Das ist noch
|z14 nicht Gutherzigkeit, wenn man +niemanden was abschlagen kann,*1 und
|z15 zwar des wegen, weil man nur durch sprechen von einem solchen etwas
|z16 erlangen kann, denn schriftlich schlagen sie es gewiß immer ab, dies
|z17 liegt an einer gewissen Weichmüthigkeit; es liegt darinn im
|z18 Wohlwollen, daß er nur nicht andere über sich misvergnügt sehen kann.
|z19 Ieder muß seinen eigenen Sinn, d. h. feste Grundsätze haben, und sich
|z20 nicht nach den Wünschen eines jeden andern stimmen lassen,*2 dies ist
|z21 lobenswerth +.und nothwendig, sehr +.tadelnswert sind aber die
|z22 Eigensinnigen die den Grundsatz haben, andern nie zu folgen,
|z23 +.gemeinhin ist hiebei viel Affectation, - man hällt die Engländer im
|z24 Ganzen für solche Leute.
|z25 δ_Rand S.274, ab Zeile 16
|z26 *1 Ein wahrhaft gutes Herz hat bei der Austheilung seiner Wohlthaten
|z27 gewisse festbestehende Principien.
|z28 δ_Rand_ab Zeile 22
|z29 *2 Denn ein solcher würde sich ja lediglich wegen dieser Eigenschaft
|z30 zu jeder Missethat eben so als auch zu bessern +.Handlungen verleiten
|z31 lassen.δ_

|P_275
|z1 ≥ 52ste Stunde @¿+.Sonnabend¿@ +den @¿4ten¿@ +Februar +von 9 - 10 ≤
|z2 ≥ 2.) Vom Temperament. ≤
|z3 Der Arzt betrachtet das Temperament körperlich, +.und zwar:
|z4 1.) Der Constitution *1 nach. Ein Gelehrter muß eine starke Con-
|z5 stitution haben, denn das viele und tiefe Denken ist sehr angreifend,
|z6 daher ein sehr +schwächlicher Körper es selbst in +.Wissenschaften
|z7 nicht weit bringen kann.
|z8 [das +.Temperament der Seele besteht also in
|z9 Gefühlen und Triebfedern, +.und wird eingetheilt:
|z10 I. in das, der Empfindung nach. Dies geht auf das Wohl und
|z11 Uebelbefinden, auf Fröhlichkeit und Betrübniß, und ist zwiefach:
|z12 1.) Das Sangvinische, als Hang zur Fröhlichkeit.
|z13 2.) Das Melancolische, als Hang zur Betrübniß.
|z14 δ_Rand S.275, ab Zeile 3
|z15 *1 Sie geht auf das Bauwerk.δ_
|z16 |P_276
|z1 II. in das der Thätigkeit nach. Der Mensch hat Triebfedern zur
|z2 Thätigkeit, und dies zuweilen noch ehe er etwas begehrt. Man sieht
|z3 dies schon an Kindern, welche wenn man ihnen gar keine Arbeit gegeben,
|z4 etwas Böses thun, z. B. Schabernack +.und +.der +.gleichen. Auch diese
|z5 ist zwiefach:
|z6 1.) Das Colerische, als eine Triebfeder zur raschen Thätigkeit.
|z7 2.) Das «Melancolische» Phlegmatische, als eine Triebfeder zur
|z8 sauren aber behenden Thätigkeit.
|z9 [Die Benennungen deren wir uns jezt
|z10 bedienen, sind von den Aerzten hergenommen, die damit die körperlichen
|z11 Temperamente bezeichnen, sie sind
|z12 1.) Sangvinisch das heißt leichtblütig,
|z13 2.) Melancolisch, d. h. schwerblütig - auch bedeutet es schwarzgallig.
|z14 3.) Colerisch das heißt warmblütig, und
|z15 4.) Phlegmatisch, welches kaltblütig anzeiget.
|z16 I. Temperamente der Empfindung nach:
|z17 Sanguinisch ist der, bei dem ein Hang zur Fröhlichkeit, noch ehe er
|z18 Grund dazu hat, statt findet. Dies sezt Gesundheit voraus - es giebt
|z19 Leute von der Art, welche bis auf den lezten Atemzug spashaft sind.
|z20 Ein auffallendes Beispiel hievon gibt ein Mensch der, als er in den
|z21 lezten Zügen lag, gefragt wurde, wie es denn mit ihm stände, zur
|z22 Antwort gab: ach nicht zum Besten, denn so eben hat man mir die
|z23 Stiefeln geschmiert, damit wollte er anzeigen, daß er schon die lezte

|P_277
|z1 Oelung bekommen habe. - Der Sangvinische wird leicht und stark affi-
|z2 cirt, aber die Empfindungen dringen nicht tief ein, und dauren auch
|z3 eben des wegen nicht lange. Ein solcher Mensch ist leichtsinnig, legt
|z4 keiner Sache eine große Wichtigkeit bei, macht sich auch daher so
|z5 leicht keine Sorgen, die geringste Art des Vergnügens nimmt ihn gleich
|z6 ganz ein. So leicht wie er verspricht, so schwer hält er sein Wort,
|z7 und dies kommt daher, weil ihm Schwierigkeiten, die er gar nicht
|z8 vorhergesehen, in den Weg kommen, es geschieht keinesweges aus
|z9 Falschheit. Die französischen Autoren haben eine gewisse Frivolität,
|z10 die darinn besteht, wichtige Sachen klein, und kleine Sachen wichtig
|z11 zu machen, sie könnens nicht leiden wenn man eine Sache sehr wichtig
|z12 macht, bringen denn ihre Meinung zu behaupten, unbeträchtliche Dinge
|z13 hervor, denen sie für den Augenblik Wichtigkeit geben. Sie besitzen
|z14 den Esprit de Bagatelle vorzüglich, obgleich er wohl allen Menschen
|z15 eigen ist. Der Sangvinische ist scherzhaft, aufgeräumt,
|z16 gesellschaftlich, grämt sich nicht leicht, ist wenn er beleidigt
|z17 worden, bald wieder versöhnt, er beteuert leicht, thut aber auch
|z18 gleich wieder das nemliche, er redet in dergleichen Fällen
|z19 folgendermassen: nun ist's zum lezten mal, nun ist's auch zum ganz
|z20 lezten, denn zum allerlezten pp. Es findet zwar bei ihm Seichtigkeit
|z21 aber auch {{unterhaltende}} Leichtigkeit des Denkens statt.
|z22 [Die
|z23 Lionischen Weiber die täglich vom Morgen bis zum Abend am Weberstuhle
|z24 sitzen und arbeiten müssen, freuen
|z25 sich

|P_278
|z1 sich auf den Sonntag, da sie in Seide gekleidet paradiren können pp.
|z2 [sie können anders nicht vergnügt seyn, als bis sie sich berauschen.
|z3 Unsere Vorfahren machten es ebenso - die Fröhlichkeit aber, die im
|z4 blossen Genuß besteht, erschöpft wirklich unsere Kräfte und ist nicht
|z5 dauerhaft, sowohl wenn er in der Anwendung eigener Kräfte, als auch in
|z6 der Ueberladung besteht. Bei der Thätigkeit empfindet man sein Leben
|z7 am meisten.

|P_279
|z1 [Melancolisch ist der bei dem eine Empfindung zwar schwer
|z2 und langsam, aber auch desto tiefer eindringt. Und darauf beruht es
|z3 eben, daß ein solcher Mensch vorzüglichen Hang zur Traurigkeit hat, er
|z4 hat wenig Wechsel. Er verspricht nicht leicht, aber hält das, was er
|z5 verspricht, denn ehe er es thut bedenkt er immer schon alle Schwierig-
|z6 keiten, die sich bei Ausübung der Sache finden möchten, und dies geht
|z7 so weit, daß man solche Leute gewöhnlich Difficultätenkrämer nennt. Er
|z8 ist sehr hartnäckig und eigensinnig in seinen Vorsätzen, dabei kein
|z9 seichter, sondern tiefer Denker. Das melancholische Temperament
|z10 enthält Quellen der Dauerhaftigkeit, Schwierigkeit und Verbindlichkeit
|z11 zu übernehmen, und das übernommene beständig zu verfolgen. Der
|z12 Melancolische ist ordinair voll Verdacht, mistrauisch, thut sich nicht
|z13 leicht genüge, bei ihm ist Haß, Feindschaft und andre Unwillen gegen
|z14 andre schwer zu vertilgen. Dagegen ist auch die Freundschaft, die mit
|z15 einem melancolischen Temperament verbunden ist weit dauerhafter, als
|z16 beim Sangvinischen.*1
|z17 δ_Rand S.279, ab Zeile 24
|z18 *1 bei ihm erlöscht die Freundschaft leicht.δ_
|z19 δ_Lage_LL.

|P_280
|z1 Ueberhaupt ist der melancolische enthusiastisch in Religion, in
|z2 Freundschaft und in Vaterlandsliebe - fanatisch - wenn er mehr
|z3 Einbildungskraft als Verstand hat. In sofern die Einbildungskraft
|z4 eines Enthusiasten zügellos ist, wird er Phantast, in so ferne sie
|z5 aber regellos ist, wird er ein Schwärmer genannt. Wer seinem eignen
|z6 Zwek zuwider handelt, ist ein Narr, wer gar keinen, oder einen sehr
|z7 dummen Zwek hat, ist ein Thor. Wir sehen noch nicht ein, daß
|z8 achtungswürdige Charaktere jederzeit ein Ingredienz von Melancholie
|z9 haben müssen, denn eine jede Achtung die sich der Mensch erwirbt,
|z10 beruht auf einem starken Zusatz von Melancholie. So sieht ein Patriot
|z11 diese Welt nicht als einen Schauplatz des Spiels, sondern vielmehr als
|z12 einen zu wichtigen Unternehmungen bestimmten Ort an. Man fordert daß
|z13 selbst in der Geschlechtsliebe eine melancholische Zärtlichkeit seyn
|z14 müße, indem sie von einer weit größern Delicatesse zu seyn scheint.
|z15 Der melancolische brütet über Chimaeren, d. h. nicht würkliche Dinge.
|z16 Er ist irreligiös oder beharrlich in guten Grundsätzen. Wenn wir hier
|z17 den Unterschied zwischen einem melancolischen und sangvinischen
|z18 Menschen aus der Complexion herleiten wollen, so würden wir uns zutief
|z19 in die Medicin wagen, (wo es uns an Kenntniß fehlen dürfte.) So viel
|z20 ist gewiß, daß das Gefühl des gesammten Lebens eine Disposition zu
|z21 allem Vergnügen sey, daß dies Gefühl aber auf der Spannung der Adern
|z22 und Fasern beruht, die jede Bewegung anzunehmen fähig sind, und auf
|z23 ein verdünntes Blut ankomme, das recht transpirirt.

|P_281
|z1 Auch läßt sich leicht einsehen daß eine Spannung der Adern und Fasern,
|z2 und verdünntes Blut dem Menschen ein weit größeres Leben empfinden
|z3 läßt, dahingegen dickes Blut, und eine schlechte Spannung des
|z4 Nervensystems ein großes Hinderniß ist, das Leben zu fühlen. Die
|z5 Verschiedenheit des Temperaments beruht eigentlich darauf, daß bei dem
|z6 einen die Eindrücke länger haften als bei dem andern, und aus der
|z7 Verschiedenheit des Bluts und der Spannung der Nerven entsteht die
|z8 Lust oder Unlust.

|P_283
|z1 [II. zu den Temperamenten der Thätigkeit nach.
|z2 Der Cholerische ist affectvoll, d. h. er hat Triebfedern zur
|z3 Thätigkeit die rasch, aber nicht anhaltend sind. Der Phlegmatische ist
|z4 nicht affectvoll, d. h. er hat Triebfedern der Thätigkeit die nicht
|z5 rasch aber anhaltend sind. Der Cholerische ist wirksam, der
|z6 Phlegmatische emsig, denn Emsigkeit ist sehr unterschieden von der
|z7 rüstigen Thätigkeit. Vielthuerei, (Oliphragnosie) {{Poliphrognasis}} so
|z8 fing Lessing sehr viele Arbeiten an, wahrscheinlich aber würde er alle
|z9 diese Fragmente in Ewigkeit nicht vollendet haben, denn er wurde alles
|z10 in kurzer Zeit überdrüssig, und fing denn wieder was Neues an pp. Man
|z11 trifft gewöhnlich bei den Colericis völlige Gesundheit aller Sinne,
|z12 und Receptivitaet zu allen Empfindungen, wodurch man sein Leben
|z13 eigentlich fühlt. Bei einem solchen Menschen sind alle Fasern der
|z14 Geschäftigkeit gespannt, daher geht er immer gewissen Zwecken nach,
|z15 und überwindet gern Schwierigkeit, denn des Vergnügens wegen läuft er
|z16 nicht der Arbeit nach, sondern um etwas zu thun zu haben. Eine Folge
|z17 aus diesem Temperamente ist die Thätigkeit, daher man es auch das
|z18 +.Temperament der Thätigkeit, so wie das Phlegmatische das Temperament
|z19 der Unthätigkeit nennen kann. Der Cholerische wird leicht aber stark,
|z20 der Phlegmatische schwer aber nicht stark bewegt. Der +.Cholerische
|z21 hat Hang zum Zorn wie der Phlegmatische zur Ruhe, und zum Geitz, da er
|z22 langsam brütet zum Zwek. Iedes Temperament hat ein Hauptobjekt so hat

|P_284
|z1 Der Sangvinieus zum Objekt Geschlechtsliebe +.überhaupt Genuß,
|z2 Wollust,
|z3 Der Melancolicus --------- Geldsammeln, reich werden, Geitz.
|z4 Der Phlegmaticus --------- die Ruhe, Gemächlichkeit.
|z5 Der Colericus ------------ die Ehre, denn der Antrieb, welcher der
|z6 Empfindung am wenigsten nahe kommt, erfordert die größte Thätigkeit.
|z7 Nun aber ist die Ehre ein solcher Antrieb, welcher der Empfindung am
|z8 wenigsten nahe kommt, und also muß der Mensch, der durch Ehre bewegt
|z9 wird, die größte Thätigkeit haben. Ueberdies paßt das cholerische
|z10 +.Temperament der Thätigkeit immer mehr auf die Ehre als auf andere
|z11 Triebe, weil man in Ansehung anderer Zwecke es nicht so sehr in
|z12 unserer Gewalt hat, ihn zu erreichen, als bei der Ehre. Die Ehre ist
|z13 daher der Reiz durch welche colerische +Menschen angetrieben werden;
|z14 denn der Ehrgeitzige kann so zu sagen, seinen Endzweck allenthalben
|z15 auf stecken. Der Cholerische ist auffahrend, übereilend, geschäftig,*1
|z16 +.und mischt sich in alle Händel die ihn nichts angehen. Er ist
|z17 unternehmend zu großen Dingen. Er handelt gern en gros, ungern en
|z18 d‰tail. Er ist herrschsüchtig und daher Rival von allen. Die mehresten
|z19 male ist er ordentlich, dies gehört aber mit zu seinem befehlsha-
|z20 berischen Wesen, weil alle Ordnung immer mit einem gewißen Anstande
|z21 verbunden ist. Er liebt keine Abgemessenheit, sondern Zierlichkeit. Er
|z22 schikt sich gut zum commandiren, welches er auch sehr gerne mag. Er
|z23 scheint ordinair klüger zu seyn, als er es gewöhnlich ist. Er sucht
|z24 mehr Pracht wie Genuß, und kann aus Parade wohlthätig seyn.
|z25 Gemeiniglich ist er zur Heucheley und Verstellung geneigt, und dabei
|z26 steif und geschroben, dies kann man schon an seinem steifen Gange
|z27 δ_Rand S.284, ab Zeile 3
|z28 Phlegma hat öfters eine im Körper liegende Ursache, so auch bei wilden
|z29 Thieren, die gar ihre Kräfte nicht anstrengen, als das Faulthier.
|z30 δ_Rand_ab Zeile 14
|z31 *1 mit abwechselnden Arbeiten.δ_

|P_285
|z1 und Tone beobachten. Ist er ein Geistlicher so ist er allemal or-
|z2 thodox, (weil Orthodoxie selten was anders als Religionsmeinung der
|z3 herrschenden *1 Kirche ist.) Er glaubt sich allerwärts beobachtet, er
|z4 denkt sogar wenn er auf der Strasse geht, daß die Leute aus den
|z5 Fenstern auf ihn sehen. Er ist nicht filzig aber desto habsüchtiger,
|z6 und seine Habsucht ist ungerecht. Ist er also lib‚ral, höflich, so ist
|z7 lediglich um es andere sehn zu laßen, eine bloße Ceremonie. Er hat
|z8 keinen Conversationston, denn wenn er conversiren soll so commandirt
|z9 er; weil er immer herrschen will, so sucht er einen Zirkel um sich,
|z10 der unter seines Gleichen ist, damit er hier commandiren; und seine
|z11 Geistessuperiorität zeigen kann. Zwei Cholerici in einer Gesellschaft
|z12 passen nicht zusammen, sie können sich nemlich ihrer Herrschsucht
|z13 wegen nicht vertragen. Er ist in allem was er thut, in Werken des
|z14 Geistes u. s. w. methodisch, und dadurch glänzt er. Er erobert sich
|z15 eine Scheinachtung, und dies ist das Nachgeben. Er ist ehrsüchtig,
|z16 aber nicht ehrliebend. Ehrliebe ist nur negative (sie hütet sich nur
|z17 vor der Verachtung anderer) und für alle Menschen Pflicht.
|z18 ≥ Mittwoch den 8ten Februar 53ste Stunde +.von 8 - 9 ≤
|z19 Der Phlegmatische ist kaltblütig, und hat einen Mangel der Triebfedern
|z20 zu Thätigkeit. Einen Menschen dem man Phlegma beilegen kann, muß man
|z21 noch nicht phlegmatisch nennen, denn das ist soviel, als er hat einen
|z22 Hang zur Faulheit, denn die Temperamente werden nach dem betrachtet,
|z23 was im Object, nicht als Objeckt liegt. Man kann sagen, das Phlegma
|z24 besteht in der
|z25 δ_Rand S.285, ab Zeile 2
|z26 *1 und er immer herrschen will.δ_

|P_286
|z1 Affectlosigkeit, wenn das Gemüth nicht leicht bewegt wird, aber in der
|z2 Bewegung lange anhält, es kann eine gute Mischung der Sinnesart seyn.
|z3 Das phlegmatische +.Temperament als Schwäche betrachtet, besteht in
|z4 einer Art von Leblosigkeit; das gewöhnliche Laster desselben ist
|z5 Geitz, eine ruhige Emsigkeit in Vermehrung seines Vermögens. Der
|z6 Phlegmatische läßt es gerne beim Alten,*1 (so wie der +.Sangvineus
|z7 immer fürs neue ist) weil das neue auch neue Anwendung der Kräfte
|z8 erfordert. Er wird unnütz weil er immer nach Ruhe strebt, und zum
|z9 Schlafe geneigt ist. Wer Ehrtrieb hat ist immer mehr zur Colera
|z10 geneigt, und der Ehrbegriff erfordert eine rasche Thätigkeit, der
|z11 +.phlegmatische hat keine Triebfedern dazu, also auch Mangel des
|z12 Ehrtriebs, woraus oft Niederträchtigkeit entsteht. Ihm ist
|z13 Gleichgültigkeit in Ansehung seiner und anderer Schiksale eigen.
|z14 Reizbarkeit «M»mangelt ihm fast gänzlich, und eben darum hat er auch
|z15 weit weniger Ehrsucht als der Colerische.
|z16 Phlegma als Stärke betrachtet, wird am besten ausgedrükt durch
|z17 Kaltblütigkeit. Diese ist dem Menschen sehr vortheilhaft, denn er
|z18 bleibt denn noch in der Ueberlegung, und kann Anschläge fassen, wenn
|z19 ein andrer in der übereilten Hitze die Sache schon lange gethan. Zu
|z20 einer richtigen Urtheilskraft wird Phlegma erfordert. Alle Bewegung
|z21 eines Kaltblütigen ist wie ein Körper der sich mit mehr Masse aber
|z22 auch desto größerm Erfolge bewegt (z. B. eiserne {{coler}} und bleierne
|z23 {{phle}} Kugeln zusammengehalten - die leztern sind die wirksamsten.)
|z24 Ein commandirender General muß Phlegma haben, damit er sich nicht
|z25 übereile. Wer sich so fassen kann, daß er überlegt, ob er mit Recht
|z26 zürne, besizt sich ganz.
|z27 δ_Rand S.286, ab Zeile 1
|z28 Der Coleriker wird leicht, der Phlegma hat, schwer, der Phlegmatische
|z29 aber gar nicht in Affect gesezt.
|z30 δ_Rand_ab Zeile 6
|z31 *1 Er ist zufrieden mit dem niedrigsten Genuß, wenn er sich nur nicht
|z32 bemühen darf.
|z33 δ_Rand_ab Zeile 24
|z34 Dagegen fordert man von einem gemeinen Soldaten Colera, damit er ohne
|z35 zu fragen gleich zuschlage wenn's ihm befohlen wird.δ_

|P_287
|z1 Ein Zorniger ärgert sich, wenn der, über den er zürnt, gar nicht in
|z2 Affect gesetzt wird, und je weniger dieser Kaltblütige erschüttert
|z3 wird, je unerträglicher wird er dem Zornigen, weil dieser in dem Fall
|z4 sich tief unter ihm fühlt. Leute die Phlegma haben, lassen sich keine
|z5 Zeit verdriessen, wenn es auch lange dauern sollte, bis ihr Plan
|z6 vollführt wird, und denn haben sie auch nicht leicht etwas zu bereuen,
|z7 weil sie sich nicht übereilt haben. Ein gutes Phlegma, d. h. eine
|z8 solche Kaltblütigkeit, ist ein glükliches Temperament, und vertritt
|z9 oft die Stelle der Weisheit. Dabei ist immer wenig Eitelkeit. Der
|z10 Phlegma {{hat}} kommt gut fort, denn er widerspricht nicht immer, (und
|z11 des wegen wird der hitzige gegen ihn lächerlich) sondern läßt manches
|z12 gut seyn; er ist so zu sagen dreihörig, d. h. hat den Schalk hinter
|z13 den Ohren. Er wird selten in seinem wahren Werth erkannt, denn er mag
|z14 nicht schimmern, und strebt nach keiner Rivalität, sondern begnügt
|z15 sich mit seiner Stelle. Er befindet sich in der besten Situation, wenn
|z16 er liebt, so ist er nicht verliebt, und also auch kein Thor. Dieses
|z17 alles ist angeführt, damit man vom phlegmatischen Temperamente das
|z18 Phlegma unterscheide, +.und mit den leztern nicht den Begriff der
|z19 +.Geringschätzung verbinde, +sondern es als eine gute Beimischung zu
|z20 allen +.Temperamenten ansehe.

|P_288
|z1 [ ≥ Einige General-Vergleichungen zwischen den
|z2 Temperamenten. ≤
|z3 Eine habituelle Disposition der Gefühle und Triebfedern muß muß
|z4 unterschieden werden vom Temperament, denn sie «¿¿»{{hängt}} zu sehr von
|z5 der Erziehung und Lebens art ab,
|z6 [Gemeinhin haben die Seefahrer Laune
|z7 (Peregrine Pikle ein launiger Roman)

|P_289
|z1 [Ueberhaupt genommen hat die Zusammensetzung doch nicht so
|z2 rechten Grund, z. E. bei dem +.Sangvinisch +.Cholerischen, {{denn dem}}
|z3 der große Triebfedern zur Thätigkeit hat, kann man nicht sangvinisch
|z4 nennen, also auch nicht füglich zusammenstellen. Das Combiniren taugt
|z5 daher nicht viel. Auch wollen die meisten Menschen gern {{für}}
|z6 +.Sangvinisch Cholerisch gehalten seyn, +.und zwar aus Eigenliebe.
|z7 Eigentlich sollte man nie mehr als eins, +.und zwar das Her-
|z8 vorstechendste nennen. Am besten schickt sich die Zusammenfügung des
|z9 +.Melancholisch +.Phlegmatischen *2 Temperaments.
|z10 δ_Rand S.289, ab Zeile 3
|z11 *1 Denn ein +.Sangvinisch +.Melancholisch +.und +.Cholerisch
|z12 +.Phlegmatisches Temperament sind am Ende doch Undinge.
|z13 δ_Rand_ab Zeile 25
|z14 *2 Und dies wäre wohl auch gewiß das Unglüklichste.δ_

|P_290
|z1 In der Religion ist der Sangvinische ein Spötter. Der Melancholische
|z2 ein Schwärmer, der Cholerische orthodox, aber mehrentheils ein
|z3 Heuchler; der Phlegmatische indifferent, der alles für gut hält, und
|z4 mehrentheils abergläubisch.

|P_291
|z1 [also, als Autor ist:
|z2 Der Sangvinische ist witzig, populaer -
|z3 Der Cholerische geht auf Stelzen +.und ist methodisch ordentlich z. B.
|z4 Haller.
|z5 Der Melancholische dringt immer in die Tiefen und Dunkelheiten der
|z6 Dinge ein,*1 er hohlt seine Ausdrücke aus dem Innersten der
|z7 +.Wissenschaften +.und ist ganz originell.
|z8 Der Phlegmatische ist peinlich und mühsam; man hat den Deutschen
|z9 vorgeworfen, daß sie ihre meisten Werke in großen Folianten schrieben,
|z10 und daraus auf ihr Phlegmatisches Temperament geschlossen.
|z11 [δ_Rand
|z12 S.291, ab Zeile 15
|z13 *1 +.Anmerkung Es ist artig daß kein Leser sich Dinge gar zu deutlich
|z14 machen lassen will, er hat es gern, wenn noch etwas bleibt, was er
|z15 errathen kann, +.und freut sich wenn's getroffen ist.δ_

|P_292
|z1 [Im Amte ist:
|z2 Der Sangvinische zerstreut, übereilt, unordentlich, abwechselnd; ein
|z3 jeder hat noch überdies gewöhnlich ein Steckenpferd - +.Anmerkung Eine
|z4 Stelle aus dem Tristram Shandi: Laß doch jeden auf seinem Steckenpferd
|z5 die Straßen auf +.und nieder reiten, wenn er dich nur nicht nöthigt
|z6 hinten aufzusitzen pp.
|z7 Der Melancholische ordentlich, und scrupulöse.
|z8 Der Cholerische *1 herrschsüchtig, und behält in seiner Ordnung +den
|z9 Geist +der Formalitäten.
|z10 Der Phlegmatische mechanisch, und wenn er etwas +ausserordentliches zu
|z11 besorgen hat, ein Ia Herr der alles gehen läßt, so wie es geht.
|z12 Im Umgange ist:
|z13 Der Sangvinische scherzhaft, unterhält mit lustigen Vorfällen.
|z14 --- Melancholische vernünftelnd, grübelnd, liebt grause +.und
|z15 schauervolle Begebenheiten.
|z16 --- Cholerische vernünftig, geht auf Erzählung von Geschäften, ist
|z17 also eben nicht der amüsanteste.
|z18 --- Phlegmatische erzählt nichts komisches, lacht aber selber zu
|z19 allem.
|z20 Was die Ehre anbetrifft, so verdient sie nach Verschiedenheit der
|z21 Länder +.und +.Temperamente auch verschiedene Bemerkungen. So hielt
|z22 man es sonst in Frankreich für die gröste Ehre bei Hofe gewesen zu
|z23 seyn, +.und in England machte man sich nichts draus. Nun wollen wir
|z24 handeln von +den +Unterscheidungen der +Menschen aus ihrem Aeussern
|z25 ins Innere, oder:
|z26 δ_Rand S.292, ab Zeile 15/6
|z27 *1 Selbst mag nicht eben viel thun doch sehr gerne herrschen.
|z28 Anhänglichkeit an Formalitaeten ist Pedanterie, sie findet vorzüglich
|z29 bei ihm statt, z. B. auf seinem Bücherschaff stehn viele herrliche
|z30 Bücher mit schönen Titulaturen, doch selber liest er nicht's davon...
|z31 δ_Rand_ab Zeile 25
|z32 Nicht jede starke Neigung muß man +.Temperament nennen.
|z33 +.Ernsthaftigkeit sehr an Melancholie, ist es aber nicht immer. -
|z34 Iedes +.Temperament kann eine Ehre besitzen - δ_

|P_294
|z1 [denn wie man bei einer Uhr nicht nach dem Gehäuse das
|z2 Innere erkennen kann, so geht es auch mit der Physiognomik,
|z3 [Die
|z4 Physiognomik ist die Geschiklichkeit (allenfalls auch Kunst) aus dem
|z5 äußern Anblik des Menschen, auf das Innere zu schließen +.nemlich
|z6 1.) Aus der Gestalt, wenn der Mensch nichts thut,
|z7 2.) Aus +dem +.mechanischen Gebrauch seiner Organe, wenn er in Action
|z8 ist, z. B. dem Ton +seiner Sprache.
|z9 3 ---- seinen Gebehrden, z. B. Gang u. s. w.

|P_295
|z1 [Nach Lavater trägt auch der Gang des Menschen viel dazu
|z2 bei, ihn zu erkennen von dem oben schon etwas gesagt. Mancher Mensch
|z3 muß immer gesticuliren wenn er spricht, oder den Mund aufhalten, wenn
|z4 er in Ruhe ist, beides sind große Fehler, die man ja vermeiden kann.
|z5 Nach Lavater soll man sogar den Menschen aus den Schriftzügen seiner
|z6 Hand (ob sie nemlich fest oder ungleich pp sind) erkennen können; doch
|z7 ist dieses sehr zweifelhaft.
|z8 [δ_Rand S.296, ab Zeile 12
|z9 *1 Ist die +künftige Frau z. B. +.phlegmatisch so wird sie sich gern
|z10 aufwarten lassen.δ_

|P_304
|z1 [ Es ist die Frage ob das Regelmäßige in der äußern Bildung
|z2 des Menschen, auf gleiche Beschaffenheit in seinem Innern deutet? Die
|z3 mehrsten mahle zeigt sie sehr große Mittelmäßigkeit des +Menschen an.
|z4 Das mittlere ist das gewöhnliche alltägliche, also ist auch der
|z5 +Mensch alltäglich. Besondre Genies haben immer eine gewisse
|z6 körperliche Unregelmässigkeit, Z.E. Pope. (Hay der puklich war hat ein
|z7 Buch von der Heßlichkeit geschrieben, wo er die Vortheile derselben
|z8 anführte, welches ihn vor einer guten Seite zeigt) Die größten Genies
|z9 haben eine bizarre Bildung und der Grund liegt darinn weil Genie zu
|z10 seyn schon selbst Bizarrenie ist, - eine solche +.Proportion der
|z11 Talente, wo eins vorzüglich vor dem andern hervorsticht, ihre Größe
|z12 geht immer auf Kosten eines andern, +.und die +.Disproportion ihrer
|z13 +körperlichen Organen ist so groß als die ihres Gemüths.
|z14 Ist Heßlichkeit und Misgestalt einerley? Nein, ein +Mensch kann
|z15 misgestalt +.und doch nicht heßlich seyn, er kann groteskisch +oder
|z16 @¿wanschapig¿@ seyn, wie der Hollander sagt, das heißt im Wahn
|z17 geschaffen.

|P_305
|z1 Ein Charakter in der Uebertreibung ist Carricatur, Heßlichkeit macht
|z2 es nicht aus, wenn nicht Züge der Bösartigkeit da sind.*1 Heßlichkeit
|z3 ist immer relativ, dies beweiset das eben angeführte Beispiel
|z4 Heydekers eines Musici in London. Es ist ein Unterschied zwischen
|z5 Gesichtszüge und Gesichtsbildung. Diese ist bleibend, jene aber sind
|z6 im Gesichte das, was sich verändert, aber auch noch von den Mienen
|z7 unterschieden. Die Gesichtsbildung sieht man am besten im Profil.
|z8 Wenige Menschen wissen wie sie en Profil aussehen, und dies kommt
|z9 daher, weil sie nie Gelegenheit haben, ihr Bild von der Seite zu
|z10 sehen. Das männliche Geschlecht unterscheidet sich im Gesichte
|z11 vorzüglich dadurch von dem weiblichen, das es flache, dieses aber
|z12 kuglichte Bildung der Stirne hat, Es giebt Nationen deren Stirne mit
|z13 Haaren bewachsen sind, überhaupt sollen kleine Stirne, d.h. wenn die
|z14 Haaren tief hinein gehen, Eingeschränkheit der Gemüthsfähigkeiten
|z15 anzeigen. Von den Menschen die einen Hiebel auf der Nase (Nasum
|z16 Rinocerotis) haben, behauptete man, sie wären Spötter. Weite Ohren
|z17 bedeuten nach Lavater einen schwachen Menschen. Wenn aber das
|z18 Knorpliche nahe zusammengezogen ist, soll es Festigkeit anzeigen. Auch
|z19 die Augenbraunen sollen Einfluß haben; sie heißen eigentlich Augen-
|z20 bränen, und sind dazu, daß der Schweis nicht in die Augen läuft. Es
|z21 giebt einige Menschen bei denen die Zähne des untern Kinnbackes über
|z22 die des obern hervorragen (eben nicht die angenehmste
|z23 +Gesichtsbildung) sie sind zwar auch bei uns anzutreffen, doch in
|z24 Europa nur selten, dagegen soll dieses in China +und der dortigen
|z25 Gegend ganz allgemein seyn.
|z26 δ_Rand S.305, Z. 2
|z27 *1 oder was Ekelhaftes im Gesichte ist.
|z28 δ_Rand_Z. 14
|z29 Man hielt vor kurzem kleine Stirnen für schön daher man die Haare
|z30 überkämmte wie @¿Bodi¿@.δ_

|P_306
|z1 Baptista Porta hat die Menschen mit Thiergestalten verglichen, wenn
|z2 dies aber angeht so muß der Mensch Carricatur seyn. So sagte er, wenn
|z3 ein Menschen eine Nase wie der Schnabel des Adlers oder Habichts
|z4 hätte, zeigte dies von seiner Seite Stolz. - Es kann Nationalbilder
|z5 geben, doch bleibt es immer schwer, sie darzustellen, so z.B. die
|z6 Alten Griechen +.und Römer, sollen alle so etwas +.charakteristisches
|z7 gehabt haben; erstere nemlich daß bei ihnen Stirn +.und Nase ohne
|z8 Einbug in grader Linie fortging, leztere daß sie lauter krumme Nasen
|z9 gehabt. -
|z10 Anmerkung Durch die Silhouetten verlor die Kupferstecherkunst sehr
|z11 viel. Es ist zwar etwas daran zu erkennen, doch fehlet das beste.
|z12 Gesichtszüge können wir ansehen als ins Spiel gesetzte Mienen, Miene
|z13 ist eine Form des Gesichts, in so ferne sie durch Affect in Bewegung
|z14 gesetzt wird. Gesichtszüge könnte man nennen fixirte Mienen - wir
|z15 können wenn wir des andern Gesichtszüge nachahmen, auf seine
|z16 Empfindungen schliessen. Miene bedeutet in der ganzen Welt einerley,
|z17 +.und auf die Art hat der Mensch durch die ganze Welt einerley
|z18 Sprache. - Zur Mittheilung gehört:
|z19 1.) Die Articulation der Laute, +oder die Kunst zu sprechen.
|z20 2.) Die Gesticulation, worunter auch Mienen verstanden werden,
|z21 +.vorzüglich Gebehrden; die Kunst in Rüksicht der Mienen allein heißt
|z22 Mimik.
|z23 3.) Modulation, die Kunst mit der gehörigen Manier, dem passenden
|z24 Ausdruk und Tone *1 zu sprechen.
|z25 Durch bloße Modulation hat man noch nie versucht sich verständlich zu
|z26 machen. Man es aber auf folgende Art thun: Es müßte eine Comedie in
|z27 ganz fremder Sprache bei heruntergelassenem Vorhange aufgeführt
|z28 werden, +.und es läßt sich vermuthen, daß obwohl man die Sprache nicht
|z29 versteht, +.und nicht gestikuliren sieht, man dennoch aus der
|z30 Modulation der Stimme viel errathen wird.
|z31 δ_Rand S.306, Z. 7
|z32 Noch hat die +italienische Nation etwas +eigentlich
|z33 +charakteristisches
|z34 δ_Rand_Z. 22
|z35 *1 Accent von accinere singen.δ_

|P_307
|z1 ≥ 55ste Stunde +.Sonnabend den 11ten +.Februar +.von 8 - 9. ≤
|z2 Die Züge des Gesichts sind zu merken, die etwas charakteristisches
|z3 haben. Es frägt sich ob die Gesichtszüge von den Mienen gehen, +oder
|z4 umgekehrt. Züge werden die Theile des Gesichts genannt, die mit den
|z5 Gemüthsbewegungen in Harmonie stehen - Ieder Affect ist mit einer
|z6 Miene begleitet; hat also ein Mensch oft gewisse Affecte, so macht er
|z7 oft die damit verbundenen Mienen, woraus zulezt stehende Gesichtszüge
|z8 werden. Daher soll man Mädchen mit Gelindigkeit erziehen, damit sie
|z9 eine angenehme Gesichtsbildung bekommen. - Als ein Vater seinen Sohn
|z10 auf die Academie reisen lies, sagte er ihm beim Abschiede: Iunge bring
|z11 mir das Gesicht wieder; eine herrliche +moralische Lehre -
|z12 Wahrscheinlicher Weise würde ein solcher Mensch, der selbst sein
|z13 Gesicht verdorben hat, es mit der Zeit wieder verbessern können, wenn
|z14 er nemlich wieder ganz moralisch lebte. Allgemein kann man aber doch
|z15 aus dem Gesichte nicht schließen, denn manche +Menschen haben schon in
|z16 ihrer Kindheit gewiße unvortheilhafte Züge. Menschen die speciel mit
|z17 einander umgehen, nehmen gewisse Züge von einander an, z.B. Eheleute.
|z18 die sich sehr lieben, +.und gemeinhin heirathet der Mann ein
|z19 Frauenzimmer, das er +.zum +.Theil mit sich ähnlich findet. Die Mienen
|z20 der Landleute haben einen besondern Charakter. Ausdruk. Denn je mehr
|z21 +oder weniger sich ein Mensch an andern geschliffen, desto ver-
|z22 schiedener wird seine Gesichtsbildung Stellung Betragen. Die devote
|z23 Gemüthsverfassung drükt sich da wo man ein Geschäfft daraus macht, auf
|z24 den Gesichtern ab. Nicolai nennt sie gebenedeyete Gesichter.
|z25 δ_Rand S.307, Z. 23
|z26 Die +Abbildung des Heiligen hat was absurdes die schmachtenden Augen,
|z27 @¿etc¿@δ_

|P_308
|z1 Starke Beschäftigungen der Gedanken bringen Mienen hervor So wird
|z2 Königen die Majestät habituel, blos weil sie die hohe Würde bekleiden.
|z3 - Das Schielen kömmt daher, weil das eine Auge welches schwach ist,
|z4 sich versteckt, damit das andre desto besser sehen kann,
|z5 1) In wie weit kann man sich auf Physiognomik verlassen?
|z6 2 Läßt sie sich als +.Wissenschaft behandeln? d.h. kann sie gelehrt
|z7 +.und gelernt werden,
|z8 3.) Oder ist sie nur blos aesthetisches Urtheil?
|z9 Ein physiognomisches Urtheil ist uns natürlich. Lavater führt sogar
|z10 an, daß auch Pferde und Hunde Pnysiognomie haben. Ein glükliches
|z11 Gesicht ist das beste Empfehlungsschreiben. Man glaubt aus der
|z12 Physiognomie Verstand, Witz, das Nachdenken, Tiefdenken, Gründlichkeit
|z13 und auch Dummheit zu bemerken. +Eig@¿entlich¿@ ist das +.Temperament
|z14 zu sehn. +.Physiognomik kann nie Wissenschaft, aber Kunst werden.
|z15 Regeln kann man nicht dazu geben. Andre aus spähen ist beleidigend,
|z16 +.und verfehlt den Zwek, weil sobald sie es merken sich ihre Miene
|z17 verändert. Man kann gut aussehen,
|z18 1.) In physischer,
|z19 2.) In moralischer Bedeutung, z.B. die Marquise de Brinvillier (eine
|z20 berüchtigte Giftmischerinn, die Vater, Mutter, Brüder pp +vergiftet
|z21 hatte) sah physisch ausserordentlich schön aus, aber gar nicht
|z22 moralisch. Dies ersieht man daraus, daß ein Benediktiner,*1 der nie
|z23 etwas von ihr gehört, in einer Bildergallerie unablässig auf dasselbe
|z24 Bild (es war das Gemälde der genannten Marquise) sah; als ihn nun
|z25 seine Begleiter um den Grund seines Erstaunens befragten, gab er zur
|z26 Antwort: Wenn je eine solche Person gelebt hätte, so müsse sie der
|z27 Teufel +gewesen seyn.
|z28 δ_Rand S.308, Z. 21
|z29 *1 Dieser Orden hat das Vorrecht, daß jeder Mönch sich Don nennen
|z30 läßt.δ_

|P_309
|z1 Bösewichter von Profession sind gewöhnlich knochichte Leute, und haben
|z2 im Gesichte einen Ausdruk von Stärke. Also sind solche, die sich ihrer
|z3 Ueberlegenheit bewußt sind, und eben nicht die besten Grundsätze
|z4 haben, stets in grosser Versuchung. Daß +.Bösewichter im Tode
|z5 gutmüthig aussehen, kömmt daher, weil ihre Muskeln nachlassen, und sie
|z6 ein andres Gesicht bekommen.
|z7 ≥ 56ste +.Stunde +.von 9 - 10. ≤
|z8 ≥ 3.) Vom Charakter! ≤
|z9 Der Charakter ist das Kennzueichen des Menschen als freyhandelndes
|z10 Wesen. Es scheint widersprechend; ist es aber nicht. Ein
|z11 Freihandelndes Wesen muß so handeln, daß es immer Maximen zum Grunde
|z12 hat, sind aber diese Maximen beharrlich, so nennt man sie Charakter.
|z13 Wir sind uns unserer Maximen nicht immer bewust, handeln aber darnach.
|z14 Charakter ist das innere Princip aller Anlagen wornach er handelt, und
|z15 hat auf +.Temperament Einfluß.
|z16 Der Charakter ist nicht angebohren, sondern wird erworben. Die
|z17 Willensbestimmung des freyen Wesens geht nach einem Gang den wir nicht
|z18 erklären können. Ein Mensch kann ein unglükliches Temperament, aber
|z19 einen guten Charakter haben, um den Charakter des Menschen bestimmen
|z20 zu können, muß man die, in seine Natur gelegten Zwecke kennen, es
|z21 kommt dabei auf die Art an, wie man seine Triebe, Talent,
|z22 +.Fähigkeiten pp. modificirt.

|P_310
|z1 [Man kann nicht sagen, der Mensch hat einen glüklichen Cha-
|z2 rakter, denn er hängt gar nicht von der Geburt oder vom Zufall ab,
|z3 sondern lediglich von uns selbst. Der gute Charakter geht über alles.
|z4 - Das Talent bestimmt den Marktpreis. Ein solcher +Mensch wird als
|z5 denn wie ein Werkzeug angesehn, das zu allem *1 gebraucht werden kann.
|z6 Wo nichts als Talent ist, findet nur Brauchbarkeit statt.
|z7 +Geschiklichkeiten werden als Früchte des Talents angesehn.
|z8 Temperament macht den Affectionspreis aus. Wenn er auch nicht nützt,
|z9 so geht man doch gerne mit ihm um. Es kommt hier auf Liebhaberei an,
|z10 bald wählt man einen von dem, bald vom +andern +Temperament.
|z11 Character fixirt den Begriff den man sich von einer Person macht.
|z12 Darinn besteht der ganze Werth, und ein guter +.Charakter muß
|z13 jedermann gefallen. Ueberall muß der Mensch irgend einen Charakter
|z14 haben, und nicht nach Launen oder Anwandlungen, sondern nach
|z15 Grundsätzen handeln. Dem Engländer kommt ein Mensch der gar keinen
|z16 Charakter hat, unerträglich vor. Aus dem Grun@¿d¿@ lies Choiseul einen
|z17 Kopf der Voltairen vorstellte oben auf +einen Wetterhahn setzen.*2
|z18 δ_Rand S.310, Z. 13
|z19 Er hat ein +glükliches +.Temperament ist viel gesagt, er hat einen
|z20 guten Charakter ist alles gesagt.
|z21 *1 auch zum Bösen.
|z22 δ_Rand_Z. 24
|z23 Er sagt wohl gar Aut Brutus aut Catilina
|z24 *2 Damit er sich auch hier stets nach dem Winde richten könnte.δ_

|P_311
|z1 Der Mensch muß:
|z2 1.) Ueberhaupt einen Willen, (und nicht Laune) haben.
|z3 2.) einen eigenen *1 Willen, (aber nicht Eigensinn).
|z4 3.) einen eigenen und beständigen Willen.
|z5 Diese 3 Stücke machen den bestimmten Charakter des Menschen aus. Mit
|z6 Unrecht nennt man diejenigen die nur einen bestimmten +.Charakter
|z7 haben, eigensinnig. Vom würklichen Eigensinn hat man viele desperate
|z8 Beispiele, vorzüglich unter den Engländern, z.E. Ledgard. Der Lügner
|z9 hat gar keinen Charakter - Wahrhaftigkeit ist die erste Grundlage zum
|z10 +.Charakter dazu gehört ferner Beharrlichkeit - und nichts aufschieben
|z11 - Freiheit und Festigkeit des Vorsatzes determinirt alles beim
|z12 Menschen. Das Aufschieben der Besserung +.und Geschäfte ist eine
|z13 innere Lüge, indem der Mensch sich vornimmt, es doch nicht zu thun.
|z14 Daher ist es eine gute Regel beim Briefschreiben, daß man nicht eher
|z15 den Brief aufbricht, als bis man sich, mit der Feder in der Hand hin-
|z16 gesetzt hat, damit man ihn sogleich beantworte. Es ist sehr gut wenn
|z17 man sich selbst als einen solchen kennt, der unverbrüchlich Wort hält,
|z18 man kann denn versichert seyn daß man den einmal fest gefaßten Vorsatz
|z19 auch in Ausübung bringen wird. Gutartig ist +der +Mensch wegen +seines
|z20 +.Temperaments gut +wegen +seines Characters. Gutartigkeit des
|z21 Temperaments gleicht einem Gemälde mit Wasserfarben; +.Gutartigkeit
|z22 +des Characters einem mit Oelfarben. Ein steifer Sinn ist ein Analogon
|z23 +des Characters. Man fand ihn bei Carln XII. von ihm muß man ja nicht
|z24 glauben, daß er ein Sonderling war, +oder affectirte. So ist auch bei
|z25 Sylla die Größe +.und +.Standhaftigkeit +seiner Maximen zu bewundern,
|z26 als er resignirte +obgleich +der +Mensch selbst nicht hochzuachten ist
|z27 δ_Rand S.311, Z. 2
|z28 *1 D.h. auf Grundsätzen gebauten, den hat der Lügner nicht
|z29 δ_Rand_Z. 13
|z30 Es +heißt denn auch: nun zum lezten, +.allerlezten allerallerlezten
|z31 pp. was einmal aufgeschoben wird geschieht selten.
|z32 Des Gemüths +.und Herzens wegen lieben wir den Menschen seiner Talente
|z33 wegen schätzen aber seines Charakters +wegen verehren wir ihn.
|z34 Der welcher nachäfft zeigt +gänzlich Mangel +des Charakters.
|z35 so auch Cato von Utica.δ_
|z36 δ_Lage_PP.

|P_312
|z1 ≥ 57 ste Stunde +.Mittwoch +den 15ten +.Februar, +von 8 - 9. ≤
|z2 Erst durch Maxinen bekömmt das Gemüth Festigkeit. Der Schade welcher
|z3 entspringt wenn wir unsern Vorsatz nicht aus üben, ist groß, und der
|z4 Festigkeit unsers Charakters schädlich. Man muß lieber sich selbst
|z5 nichts vornehmen, wenn man voraus sieht, daß man es nicht halten kann.
|z6 ≥ Vom guten Charakter. ≤
|z7 Alle Bedingungen des guten Charakters sind negativ; und in der That
|z8 ist ein guter Charakter das Minimum der Menschheit.
|z9 Das erste Merkmal desselben ist jederzeit die Wahrheit. Alles was er
|z10 sagt muß wahr seyn. Lügenhaftigkeit sezt den Menschen sehr herunter.
|z11 Kann man dabei versteckt seyn, dissimuliren? Das gehört zum Rhum eines
|z12 jeden, wenn er sich nicht unvorsichtig offenbaret, wenn er Dinge
|z13 verheelt, die er aus besondern Verbindungen nicht eben sagen darf,
|z14 indem er andern dadurch sehr schädlich werden könnte. Verstellung
|z15 bleibt aber darum in +jedem +andern Fall schädlich.
|z16 Das 2te Merkmal im Versprechen Wort halten, dieses ist die Treue,
|z17 welche im gemeinen Wesen für sehr wichtig anerkannt wird. Menschen von
|z18 Charakter versprechen nicht leicht, weil sie immer halten, und daher
|z19 zuvor alle Beschwerden genau prüfen. Bei den Orientalen ist keine
|z20 Tugend seltener als die Wahrhaftigkeit. Man muß nicht allein {{in
|z21 Versprechen +sondern auch}} in der Aeusserung von {{aufrichtigen}}
|z22 Meinungen Worte halten, und nie das, was man einmal öffentlich bekannt
|z23 hat, wiederrufen. (@¿NH.K.¿@)
|z24 δ_Rand S.312, Z. 11
|z25 Deswegen darf man nicht alle +.Wahrheit reden dies wäre nicht immer
|z26 rathsam, nur das was man redet muß wahr seyn.δ_

|P_313
|z1 Das 3te Merkmal ist, nicht zu affectiren. Sobald einer affectirt so
|z2 weis man schon, er macht nicht seine Rolle, sondern agirt im buch-
|z3 stäblichen Sinne die Rolle eines andern. Affectation ist immer eine
|z4 Art von Falschheit. Ein Mensch der etwas plumpes ungeschiktes hat,
|z5 verliert lange nicht soviel, als der, welcher affectirt. Einer thuts
|z6 z.B. im Lieblich seyn, in süßen Manieren, er will lauter Gutherzigkeit
|z7 seyn, und denn besizt er sie gewiß am wenigsten. Auch Autoren
|z8 affectiren in der Schreibart; man dies vorzüglich an den in der
|z9 +französischen Nationalversammlung gehaltenen Reden bemerken.
|z10 Das 4te +Merkmal ist, nicht nachzuäffen, wie z.B. manche Candidaten.
|z11 --- 5- -------- -- , edle Simplicitaet. Ein Zug vom guten Charakter
|z12 ist immer Einfalt, die dem Geziere entgegengesetzt ist. Ueberdies
|z13 hängen die Verzierungen von dem so veränderlichen Geschmak ab.
|z14 Simplicitaet ist nichts weiter als die Abgemeßenheit zum Zwecke, wenn
|z15 der Mensch nicht mehr sagt als nöthig ist. Die Quäker gehn ganz
|z16 ausserordentlich auf Simplicitaet, doch ist bei ihnen der sonderbare
|z17 Widerspruch einer affectirten +Simplicitaet: sie sagen du auf jeden,
|z18 und nehmen vor niemanden den Hut ab, wollen nie Krieg führen, auch
|z19 nichts @¿dazu¿@ geben. Sie beweisen viel Festigkeit im Charakter
|z20 Das 6te Merkmal ist: Nicht aus plaudern. Iedermann hat einen nöthig
|z21 dem er sich ganz eröffnen kann; - wer immer ausplaudert ist ein Mensch
|z22 von keinem Charakter; er kömmt immer in den Fall zu lügen. In einer
|z23 Gesellschaft muß Freiheit der Mittheilung der Gedanken seyn, wenn
|z24 dieses nicht Statt findet (welches der Fall bei den +.holländischen
|z25 Gesellschaften seyn soll) so ist sie unangenehm. Durch das
|z26 +Ausplaudern ist der Bund jeder Gesellschaft zerrißen. Der Discrete
|z27 muß +unterscheiden können, was er +andern erzählen, +.und was er in
|z28 sich selbst verschließen muß.
|z29 δ_Rand S.313, Z. 23
|z30 Hume sagt: der ist ein böser gesellschafter der nicht vergißt, denn
|z31 eine Thorheit muß vergessen werden, um der andern Platz zu machenδ_

|P_314
|z1 Das 7te Merkmal ist Freundschaft sie muß wenn sie gleich schon sollte
|z2 erloschen seyn, dennoch respectirt werden, und man muß keinen Hass
|z3 blicken lassen. Im Zerreißen der Freundschaft stekt immer etwas nie-
|z4 derträchtiges, weil ihr Begriff so sehr viel Edles mit sich führt.
|z5 Der, mit dem ich Freundschaft mache, muß nie mein Feind +werden
|z6 können.
|z7 Das 8te +Merkmal ist Ehrliebe; sie gehört ganz nothwendig zum guten
|z8 Charakter. Sie strebt nicht wie die Ehrbegierde darnach, von allen
|z9 gekannt zu seyn; +sondern hütet sich nur, wenn er von andern gekannt
|z10 wird, durch seine +.Handlungen ihre Verachtung zu verdienen. Die
|z11 Ehrliebe ist die unzertrennliche Begleiterinn der Tugend. Sie ist die
|z12 höchste +weibliche Tugend: bei Männern kann die Idee ihres
|z13 Wohlverhaltens blos auf ihre Pflichten gründen.
|z14 Das 9te +Merkmal ist, es muß kein Kriechen *1 vor Mächtigern dabei
|z15 statt finden.
|z16 -- 10- ------------, niemand muß ein Abzeichen haben, d.h. man muß
|z17 keinen Werth in Titeln, Orden pp setzen, +oder durch absurde Mienen
|z18 und Gebehrden sich von andern unterscheiden. Man muß mit seines
|z19 Gleichen umgehn wer mit Narren umgeht, wird +selbst +.dafür erkannt.
|z20 Noscitur ex socio qui +.non +.cognoscitur ex se.
|z21 ≥ 58ste Stunde +.von 9 - 10. ≤
|z22 Das 11te +Merkmal. Man muß sich nicht an die Reden anderer kehren,
|z23 wenn wir unsrer festen Grundsätze gewiß sind; es ist auch dem
|z24 Charakter gar nicht gemäß in Grundsätzen zu schwanken. Ein Mensch der
|z25 immer frägt, was andre doch wohl sagen würden, +oder ob sie das auch
|z26 gethan was wir thun, hat keinen bestimmten Charakter. In so fern muß
|z27 man sich nach dem Urtheile andrer kehren, daß man ihnen kein Scandal
|z28 giebt, und nicht nach ihren Einfällen.
|z29 12.) Man muß in Empfindungen nicht süß und schmalzend seyn, durch
|z30 diese Eigenschaft verrathen sich eigenliebige Menschen. - Die Religion
|z31 ist a) des Aberglaubens
|z32 b) Der Schwärmerei, alles zu thun aus Liebe zu Gott. - Die
|z33 δ_Rand S.314, Z. 12
|z34 *1 es verträgt sich nicht mit +dem guten Charakter.
|z35 δ_Rand_Z. 25
|z36 des Cultus
|z37 Der +Mensch kann sich keine +Vorstellung von der Stärke einer
|z38 +Triebfeder machen, als wenn sie große Hinderniße hat +überwinden
|z39 können.δ_

|P_315
|z1 eigentliche moralische Religion ist auf die Idee der Pflicht, und
|z2 nicht ursprünglich auf die der Liebe gebaut, denn Gott lieben heißt
|z3 nichts anders als *1 dem +göttlichen Willen gemäß seine Pflicht thun,
|z4 also besteht die +Religion nicht allein in der Liebe Gottes, +sondern
|z5 vielmehr in +der Furcht Gottes, aber auch nicht in der Furcht vor
|z6 Gott. +.Anmerkung es wird erzählt, daß man einst eine Frau mit einer
|z7 Schaufel voll Kohlen +.und einem Eimer Wasser angetroffen, +.und als
|z8 man sie um die Ursache ihres Aufzugs befragt, soll sie geantwortet
|z9 haben: Ich gehe das Paradies zu verbrennen, und die Hölle
|z10 auszulöschen, damit man Gott nicht mehr aus Lohnsucht oder aus Furcht
|z11 vor der Strafe diene.
|z12 13.) Aus der Religion des Menschen kann man mit Gewisheit erkennen, ob
|z13 er Charakter habe oder nicht. Verschiedene Geschäfte des Menschen
|z14 haben Einfluß auf ihn selbst, und verhindern oft den Charakter, z.E.
|z15 Poeten, Comedianten müßen sich in einen andern Charakter finden
|z16 können. Sie haben selten einen bestimmten Charakter, mit den meisten
|z17 Musicis geht es eben so. Von speculativen Gelehrten pflegt man an-
|z18 zunehmen, daß sie einen guten Charakter, wenigstens keinen bösen haben
|z19 Hume sagt, er ist immer ehrlich, er sollte sagen redlich, denn das er-
|z20 stere könnte er auch aus Dummheit seyn.
|z21 15.) Offenheit der Denkungsart gehört auch zum guten Charakter; dieser
|z22 wird erworben, der böse aber wie eine Krankheit zugezogen. Ein jeder
|z23 Mensch muß sich in der Folge durch eignes Nachdenken noch einmal
|z24 erziehen, dies geschieht durch öftere Selbstprüfung unserer
|z25 Handlungen. Bei Erziehung des männlichen und +weiblichen Geschlechts
|z26 ist die Methode verschieden, bei dem ersten muß man stets auf Ehre bei
|z27 dem lezten auf Grundsätze sehn. Nie müßen Eltern es leiden, daß sich
|z28 ihre Kinder zu Detateur's von den Handlungen anderer gebrauchen
|z29 lassen, denn +das zeigt von +.Bösartigkeit.
|z30 δ_Rand S.315, Z. 2
|z31 *1 willfährig seine Gebothe halten.
|z32 δ_Rand_Z. 21
|z33 +Gewöhnlich sind die +Menschen bei +den besten Stellen ihrer Erzieher
|z34 doch verkehrt erzogen.δ_

|P_316
|z1 des Charakters. Wenn erwirbt man den Charakter? Selten vor dem 40sten
|z2 Jahre, weil der Mensch alsdenn schon vielerley Situationen des Lebens
|z3 durchgegangen ist, und itzt einen Ueberschlag davon machen kann; erst
|z4 jetzt wird er sich von sehr vielen Dingen einen richtigen Begriff
|z5 bilden können. Es giebt Menschen die eine Zwiefache Gestalt in ihrem
|z6 Charakter haben, nemlich einen publiquen und einen privat-Charakter.
|z7 So war Mirabeau ein Mann, der im ersten viel Gewissenhaftigkeit
|z8 bewies, im leztern aber nichts weniger als das that.
|z9 ≥ II. Charakter des Geschlechts. ≤
|z10 ≥ +.Sonnabend +.den 18ten +.Februar 59ste Stunde +von 8 - 9 ≤
|z11 Man glaubt es käme nur auf Erziehung an, so könnte man, bei der großen
|z12 Gleichheit, die die Natur in unser beide Geschlechter gelegt, es auch
|z13 dahin bringen, daß ihre Denkungsart von gleicher +.Beschaffenheit
|z14 würde. Das +weibliche Geschlecht nennt man allgemein Frauenzimmer, das
|z15 Wort Weib scheint ganz abgekommen zu seyn. Wie unterscheidet sich Frau
|z16 vom Weibe? So wie der Herr von dem der nicht Herr ist. Frau ist
|z17 Herrinn. In Absicht der Titelsucht findet sich viel absurdes in
|z18 Europa. So ist man auch im Gebrauche der hier vorkommenden Wörter sehr
|z19 peinlich. - Die Griechen hatten ein $@¿gigekonitis¿@$ (Zimmer für
|z20 Frauen) im Innern des Hauses, wohinn kein Fremder kommen durfte. Auch
|z21 die Männer aßen bei Tische allein. Vermuthlich ist diese Gewohnheit
|z22 zuerst durch die Franzosen abgeschaft worden, in England existirt noch
|z23 etwas davon.*1
|z24 δ_Rand S.316, Z. 6
|z25 +Ieder +.Mensch ist Patriot aus Eitelkeit; es aus +.Grundsätzen zu
|z26 seyn, ist Pflicht. - (Cosmopolitismus!!)
|z27 δ_Rand_Z. 24
|z28 *1 Die +.Frauenzimmer müßen sich +nemlich sobald sie satt sind von der
|z29 Tafel entfernen, und in ein apartes Zimmer begeben.δ_

|P_317
|z1 Die ersten Deutschen ließen +.Complimente an das Frauen-Zimmer machen,
|z2 nun ist es doch gewiß absurd, die Benennung die man einer ganzen Stube
|z3 voll Frauen gab einer einzigen beizulegen. Es käme nur auf die
|z4 Hardiesse einiger beliebter Autoren, dem Worte Weib die Achtung welche
|z5 es gewiß verdient, wieder zu verschaffen.
|z6 Da das weibliche Geschlecht von der Natur mit weniger Kraft als das
|z7 männliche aus gerüstet ist, so hat sie diesen Mangel durch mehr Kunst
|z8 ersezt. +.Ueberhaupt kann man bei der schwächsten Organisation immer
|z9 die meiste Kunst voraus setzen. Der Mann hat mehr Kraft, und ist daher
|z10 gerader (versteht sich von Natur) hat weit weniger Kunst im
|z11 Intriguiren. Das Wort Mensch bezeichnet das Genus, Mann und Weib aber
|z12 die Species. Im +Englischen und +Französischen ist es nicht so, da
|z13 bezeichnet ein Wort die +.Begriffe von Mann, und Mensch. Der Mann ist
|z14 für die Natur, das Weib für den Mann gemacht, d.h. der Mann ist zu
|z15 herrschen, das Weib zu regieren gemacht, d.h. den Mann zu ihren Zweken
|z16 zu gebrauchen, daraus sieht man schon, daß in +dem +natürlichen
|z17 Charakter eines Weibes viel @¿+Kunst¿@ liegt.
|z18 {{+.Grundsätze}} Alles was in der Natur liegt, ist gut indem es seinen
|z19 gehörigen Zwek hat; auch haben wir keinen andern Maas stab fürs Gute
|z20 +.und Böse, als die Natur selber. Wie entdeken wir nun die
|z21 Naturanlagen. Alles zusammengenommen, was das Weib vom Manne
|z22 unterscheidet, nennt man Weiblichkeit, denn wenn man sie wegnimmt, so
|z23 ist +Männlichkeit da. Diese aber ist nicht eine besondre, sondern -
|z24 die menschliche Anlage. Wir müßen daher das Subjekt so betrachten,
|z25 wenn es von der Kunst entfernt ist.
|z26 δ_Rand S.317, Z. 3
|z27 So giebt noch mehr Wörter Iungherr Iunker +.Jungfrau @¿Iungfer¿@ immer
|z28 das Diminutivum Die Franzosen sind bei ihrem Demoiselle geblieben,
|z29 am linken Rand Z. 6
|z30 Der +Charakter des +weiblichen +.Geschlechts
|z31 δ_Rand_Z. 10
|z32 Daraus folgt schon daß man das +.weibliche +.Geschlecht studiren
|z33 müße.δ_

|P_318
|z1 D.h. nicht daß wir darum unter die wilden Nationen gehn sollen, denn
|z2 wir suchen nicht Roheit +sondern Kunst, und diese finden wir ja nur im
|z3 Zustande des Luxus und der Cultur, wo das +weibliche Geschlecht erst
|z4 Gelegenheit findet seine Anlagen zu entwickeln. Also werden wir die
|z5 Natur des Weibes am besten im Zustande des Luxus «er»kennen lernen.
|z6 Dampier, einer der geschiktesten Reisenden, welcher 3mal eine Tour
|z7 über den ganzen Globum gemacht, merket auch an, daß bei allen rohen
|z8 unkultivirten Völkern, der Mann sich blos mit den Waffen beschäftige,
|z9 den Zug anführe, das Weib aber, welches das Geräth hinterhertrüge, nur
|z10 als Hausthier betrachtet würde; ganz im Gegentheil aber fingen sie im
|z11 Stande der Cultur an, ein Obergewicht über die Männer zu bekommen. Die
|z12 Eigenthümlichkeiten dieses Geschlechts nennen wir Schwächen, welches
|z13 sie doch nur im Verhältnis gegen die Männlichkeit sind. Allein durch
|z14 diese Schwächen des Weibes kann die Natur ihre Zwecke in demselben
|z15 erreichen. Diese beruhen nemlich auf Erhaltung der Species, des wegen
|z16 sie ihr liebstes Kleinod, das Kind, dem Schooße des Weibes
|z17 anvertraute. Um dasselbe nun sorgfältig zu erhalten, pflanzte sie
|z18 Furcht in das Weib, und je mehr Schwäche dieses zeigt, desto mehr kann
|z19 es auf den Mann wirken, welcher denn aus Großmuth Schonung mit ihr
|z20 hat. Ie mehr sie sich stark beweisen desto weniger Einfluß haben sie
|z21 auf den Mann, welchen sie nicht selten dadurch beherrschen, daß sie
|z22 eine gewiße Weichlichkeit und Furchtsamkeit affectiren. In der
|z23 +männlichen Seele liegt gleichsam ein Beruf der Natur, das Weib zu
|z24 schützen. So scheint Großmuth mit +der Stärke +verbunden zu seyn.

|P_319
|z1 Sie wird durch die (affectirte) Schwäche der Weiber aufgefordert, Z.B.
|z2 wenn Mann und Frau an ein Wasser kommen, so weis leztere gewiß daß
|z3 ersterer sie herüber bringen muß, dies geht so weit, daß bei dem
|z4 Frauenzimmer, dem Manne eine Beschwerde verursachen nur soviel heißt,
|z5 ihm Gelegenheit geben, seinem, ihm von der Natur aufgelegten Amte
|z6 genug zu thun. Sie scheinen den Männern durch Aufträge ihre
|z7 Gewogenheit zu bezeigen. Die äußern Dinge sind dem Manne wegen seiner
|z8 Stärke unterworfen, dahingegen die Frau gewohnt ist, ihn zu
|z9 dirigiren,*1 aber nicht, ihn zu beherrschen.
|z10 [Die Natur wollte die
|z11 vollkommenste Einheit beider Geschlechter bewirken, zwischen ihnen die
|z12 innigste Verbindung errichten, welche nicht auf Willkühr, sondern auf
|z13 Bedürfnißen beruhte, die durchaus immer nur von dem andern erfüllt
|z14 werden könnten. So macht das wechselseitige Bedürfniß eine weit
|z15 dauerhaftere Verbindung, als sie bei der vollkommensten Eintracht
|z16 statt haben könnte. Aber diese Verbindung muß nicht allein ganz innig,
|z17 +sondern auch moralisch +.und +.dauerhaft seyn,
|z18 δ_Rand S.319, Z. 9
|z19 *1 daß kann sie nur durch die Neigungen des Mannes.
|z20 δ_Rand_Z. 17
|z21 Der Mann bezeigt darinn Schwäche, daß er +seiner Frau alle Geheimniße
|z22 entdekt, +.und +gewöhnlich zu viel Leichtgläubigkeit gegen das, was
|z23 ihm das Weib saget, zeigt.δ_
|z24 δ_Lage_QQ

|P_320
|z1 damit nemlich dadurch ihre Art nicht allein erzeugt, sondern auch
|z2 erhalten würde. - Dem Weibe ziert die Männlichkeit eben so wenig, als
|z3 die Weiblichkeit den Männern. Schrek und Furchtsamkeit steht dem
|z4 +weiblichen Geschlechte oft gut an, denn Männern nie. Das Weib zeigt
|z5 besondre Furcht vor körperlichen Verletzungen, (diese scheint ihr die
|z6 Natur deswegen eingepflanzt zu haben, damit die Frucht nicht Schaden
|z7 leide) dies zeigt sich vorzüglich in ihren Prügeleien, denn sie ziehn
|z8 «¿st¿¿»dabei alle sehr die Köpfe zurük.
|z9 ≥ 60ste Stunde +Sonnabend +den 19. +Februar +von 9 - 10. ≤
|z10 Gegeneinandersetzung des Mannes und des Weibes.
|z11 Der Mann ist gegen das Weib schwach, weil er leicht zu erforschen ist,
|z12 und das Weib dagegen die Kunst sehr wohl versteht, eigne Geheimniße
|z13 bei sich zu behalten, aber auch nur eigne, fremde nicht so leicht. Der
|z14 Mann ist weit leichter zu bereden als die Frau, welche wenn sie sich
|z15 einmal einen Plan in den Kopf gesezt hat, auch gar nicht davon abzu-
|z16 bringen ist, und denn muß der Mann, welcher meistentheils den Haus-
|z17 frieden erhalten will, (dies ist bei den Weibern nicht so der Fall,
|z18 denn sie lieben wohl gar bisweilen den Hauskrieg als eine Art von
|z19 Motion) nachgeben. Der Mann der im öffentlichen Stande ungesellig,
|z20 hart ist, pflegt gemeinhin ein verträglicher Ehemann zu seyn. Noch ein
|z21 Mittel zur Schwächung des Mannes sind die Trähnen, welche dem
|z22 Frauenzimmer stets zu Gebothe stehn, +.und mächtig auf ihn wirken, sie
|z23 entwaffnen nemlich +dadurch den Mann +.und excitiren seine Großmuth.
|z24 Ferner haben sie von der Natur zu ihrer Vertheidigung eine +besondere
|z25 +Beredsamkeit (+besser Redseeligkeit.) erhalten, eine weise Anlage,
|z26 denn sie erheitern dadurch nicht allein +den Mann, sondern auch die
|z27 Kinder würden vielleicht gar nicht reden lernen, wenn sie nicht von
|z28 Weibern
|z29 δ_Rand S.320, Z. 9
|z30 Misogin heißt Weiberfeind. Bei der Gegeneinanderhaltung sehn wir daß
|z31 kein Geschlecht Ursach hat, sich vor dem andern +besonders zu rühmen.δ_

|P_321
|z1 erzogen würden, welche nicht müde werden ihnen vom Morgen bis zum
|z2 Abend vorzuplaudern, wenn sie auch nichts verstehn, so ahmen sie doch
|z3 nach. (+.Anmerkung Ein Autor sagte bei dieser Gelegenheit, daß auch
|z4 Christus nach seiner +.Auferstehung zuerst +den Weibern erschienen
|z5 wäre, damit die Nachricht desto schneller unter die Leute käme.)

|P_327
|z1 [Ein Engländer sagt, eine gute Hausfrau muß seyn wie 3
|z2 Dinge, aber auch nicht seyn wie dieselben 3 Dinge:
|z3 1.) Seyn wie eine Schneke, d.h. häuslich; nicht +seyn wie eine
|z4 +.Schneke d.h. nicht alles auf sich tragen.*1
|z5 2.) - - - - - - - Stadt«f»uhr. - - +ordentlich - - - - - - - - - -
|z6 Stadtuhr - daß nicht +.gleich +die +ganze +Stadt alles erfährt.
|z7 3.) - - - - - - - Echo - nicht zuerst, @¿+ihres¿@ +.Mannes Wort +reden
|z8 - - - Echo - - nicht immer das lezte Wort behalten.
|z9 Der beleidigte Mann ist leicht zu versöhnen, nicht so die beleidigte
|z10 Frau, diese ist in den meisten Fällen gar nicht zu versöhnen, dies
|z11 kommt von der Schwäche her. Das Weib will herrschen, und sonderbar,
|z12 der Mann läßt dieses nicht allein zu, sondern will auch beherrscht
|z13 seyn. Er wünscht es sehr daß ihm seine Geliebte etwas befiehlt.
|z14 «s»Dies findet auch noch einigermaßen im «Ritter»Ehestande Statt.
|z15 Daher die Galanterie zur Zeit der Ritterschaft, welche gleichsam im
|z16 Dienste der Damen stand. Das weibliche Geschlecht kommt weit früher
|z17 als das männliche zum Selbstbesitz, so daß es in Gesellschaftern
|z18 bessern Anstand, und weniger +.Verlegenheit zeiget, überhaupt gelangt
|z19 es eher zur Reife, wenn z.B. der Bruder noch kein Geld halten kann, so
|z20 kann man es der «ältern» {{jüngern}} Schwester schon anvertrauen. Das
|z21 Frauenzimmer rechnet auf jemandes Achtung durch die Vorzüge ihres
|z22 Geschlechts. Der junge +Mann dagegen besorgt immer ihm werde die
|z23 Achtung nicht zukommen, er habe sie nicht erworben. Haller führt an,
|z24 daß das +weibliche Geschlecht nicht den großen Hang zum männlichen
|z25 habe, als dieses zum weiblichen. - Verliebt thun ohne es zu seyn,
|z26 +oder große Ergebenheit beweisen, ist Galanterie. @¿Einem Mann¿@ von
|z27 Verdienst sollte man glauben, müsse das
|z28 δ_Rand S.327, Z. 3
|z29 *1 d.h. nicht zu viel Geld auf Putz verwenden.
|z30 Man sagt der +.theologische und Weiberhaß sind unversöhnlich.δ_
|z31 δ_Lage_RR.

|P_328
|z1 Frauenzimmer achten, aber sie sieht ihn wie ein Spielwerk an, weil sie
|z2 weis sie kann ihn sie kann ihn zusammt seiner +.Gesch@¿ichte\äfte¿@
|z3 fangen, weil er Gunst +.und Liebe verlangt. Der junge Mann ist geneigt
|z4 sich phantastische Vollkommenheiten von Frauenzimmer vorzustellen, und
|z5 diese werden durch Romane erwekt. Das +weibliche Geschlecht steht
|z6 gegen einander in sehr großer Rivalitaet. Wenn Rousseau sagt, die
|z7 Cultur des +.männlichen Geschlechts beruhe sehr auf der des
|z8 weiblichen, so redet er wahr.
|z9 ≥ +.Mittwoch +den 22ten +.Februar. 61sten Stunde. ≤
|z10 Es ist eine Frage welches von beiden Geschlechtern schöner ist, zwar
|z11 behaupten wir dies von dem weiblichen, aber unsre Begriffe sind mit
|z12 Wollust verbunden - wir wollen den Alten folgen, deren Beurtheilung
|z13 vom Schönen immer Regel des Geschmak«t»s und mit keiner Begierde
|z14 verbunden war; und eben diese Alten, die Griechen und Römer, wenn sie
|z15 eine schöne Figur darstellen wollten, wählten stets die männliche
|z16 Gestalt, indem sie dieser den ganzen Ausdruk von Kraft des Körpers und
|z17 Geistes beilegen konnten, darinn haben die Alten weit besser gethan,
|z18 indeß die Neuern, um eine Schönheit aus zudrücken, sich immer des
|z19 Geschlechtsreitzes bedienten, z.B. der Venus welche die Alten sittsam
|z20 vorstellten, immer etwas anziehendes beilegen. Man kann aber die
|z21 Weiber das schöne Geschlecht nennen, wegen der mit ihrer Schönheit
|z22 verbundenen Nützlichkeit, weil sie nemlich in der That das Mittel sind
|z23 wodurch alles in der Welt verschönert wird. Der männlLäsion Verstand
|z24 hat nur
|z25 δ_Rand S.328, Z. 17
|z26 Winkelmann von den Künsten der Altenδ_

|P_329
|z1 einen Maasstab, er nimmt alles aus sich selbst. Der +weibliche richtet
|z2 sich nach dem Ton - Beispiele pp Vom Manne wird viel Selbstdenken in
|z3 der Religion erfordert; die Frau aber, die dieses thut, geht aus ihrem
|z4 Kreise heraus, sie wagt auf ihre Gefahr, und dies ist wider ihre
|z5 Geschlechtseigenschaft, Behutsamkeit. Ihre Regeln In Ansehung des
|z6 Verstandes ist: Was alle Welt sagt ist recht. - -
|z7 - - - - - Sitten - : Was alle Welt thut ist Recht. Die specifische
|z8 Qualität und Haupttugend des weiblichen +.Geschlechts ist Sittsamkeit.
|z9 Das Ehrgefühl muß bei ihnen von Iugend auf sehr erhöht werden. Eine
|z10 Frau kann sich nicht so wie der Mann, über die Sagen andrer wegsetzen.
|z11 Sie muß den Schein der Tugend und Anständigkeit, der +wirklichen
|z12 gleich achten. Dagegen geht der Mann blos auf wirkliche Ehre Tugend pp
|z13 und kümmert sich nicht um das was andre davon sagen. Der Mann hat
|z14 Verstand für den Zwek, das Weib für die Mittel. Ueberhaupt beweisen
|z15 +Frauenzimmer in Intriguen ungleich mehr Geschiklichkeit als Männer,
|z16 verstehen sehr wohl die Kunst andre Menschen mit in ihre Absichten
|z17 einzuflechten, und wären überhaupt ganz treflich in Gesandschaften zu
|z18 gebrauchen, wie man dieses auch aus dem Beispiel der +.Madame D'Eon
|z19 ersehen hat, die unter männlichem Nahmen mit so großem Glück
|z20 negociationen getrieben hat. +Frauenzimmer können weit leichter als
|z21 Männer reden, welches sie auch weit lieber thun ihr natürliches Talent
|z22 ist oft würkliche Beredheit; daher zeigen sie auch so viel Talent im
|z23 Briefschreiben, welches auch diejenigen die wenig, selbst nicht in der
|z24 Ortographie unterrichtet sind, zeigen. Was die +Empfindung anbetrifft,
|z25 so könnte wohl die Zartheit von der Zärtlichkeit +unterschieden
|z26 werden,

|P_330
|z1 so wie die Empfindsamkeit von der Empfindlichkeit. Von Frauenzimmern
|z2 sagt man, sie sind empfindlich zärtlich, d.h. sie werden in dem was
|z3 Leid und Freude betrifft, leicht afficirt, Dies muß man aber von einem
|z4 Manne nicht sagen können, «s»doch muß er empfindsam und zart seyn,
|z5 damit er Feinheit genug besitzt, seiner Frau Unannehmlichkeiten zu
|z6 ersparen; dies ist eine Delikatesse worin Großmuth liegt. Iede
|z7 Sehnsucht mit dem Bewustseyn der Ohnmacht bringt Seufzen und Thränen
|z8 hervor.
|z9 Der Mann hat Geschmaksneigung, nicht so das Frauenzimmer, welches auch
|z10 überdies selbst Gegenstand des Geschmaks ist. Sie hat zwar ein
|z11 Geschmaksurtheil, aber aus blosser Parade, nicht aus Neigung. Diese
|z12 geht eigentlich nur auf Eitelkeit - das Verlangen, andern zu gefallen;
|z13 der Mann paradirt durch seine Frau. Im Häuslichen ist des Mannes
|z14 Wirthschaft erwerben, des Weibes - ersparen. (Dies Ersparniß geht in
|z15 vielen Fällen soweit, daß sie nicht einen Bissen Essen, +oder alte
|z16 +.Kleidungsstüke umkommen lassen.
|z17 - Ie weniger Vermögen einer hat desto mehr ärgert er sich über den
|z18 Mächtigern, besonders wenn er ihn überwältiget. Hieraus erklart es
|z19 sich auch, daß kleine Leute so karsch sind. Der Mann ist eifersüchtig
|z20 wenn er liebt, die Frau selbst denn wenn sie nicht liebt, +.und was
|z21 das sonderbarste ist, auch auf andre Frauen - sobald eine andre
|z22 Person bewundert wird, ist dies für sie schon eine Art von Laesion.
|z23 Auch während der Ehe sucht die Frau zu gefallen, (damit wenn ihr Mann
|z24 je sterben «w»sollte, sie nicht sitzen bleibt) die meiste Zeit
|z25 geschieht dies aber gar nicht in der

|P_331
|z1 Absicht, der Person besondre Neigung für sie einzuflößen (Diese
|z2 unaufhörliche Ausübung ihres Vermögens zu reitzen, wird nicht übel
|z3 durch - erobern ausgedrükt. Ist diese Eroberungsbegierde sichtbar, so
|z4 nennt man sie Coquetterie (Buhlerei ist dafür ein ungeschiktes Wort.)
|z5 Die Frau sucht das häusliche Interesse,*1 der Mann wohl auch, aber im
|z6 äussern Verhältniß gegen andre als Bürger des Staats.
|z7 ≥ 62 Stunde +.von 9 - 10. ≤
|z8 Einige Anmerkungen: Das +.Frauenzimmer bildet sich zum Theil selbst,
|z9 was Erziehung anbetrifft, früher geht die +Entwikelung ihres
|z10 +.Verstandes vor sich. Ueberhaupt reift das +weibliche Geschlecht weit
|z11 früher als das männliche. +.Wissenschaften schiken sich eigentlich
|z12 nicht für Frauenzimmer, sie haben die Bücher so wie die Uhren (die
|z13 selten aufgezogen sind) nur um daß sie sie haben. Sie sind durchgängig
|z14 unter sich rival, daher auch weibliche Personen über andre ihres
|z15 Geschlechts weit strenger richten, als wenn es Männer thäten.
|z16 Natürlich kommen sie sich sehr oft ins Gehege,*2 weil jede den Einfluß
|z17 ihrer Reitze auf das gänze +männliche Geschlecht extendirt. - Die
|z18 Vielweiberei im Orient zeigt den Mangel alles Geschmaks. Man nöthigt
|z19 hier die Weiber sich in Harem's einzusperren. ($ginykonitis$.) Die
|z20 Weiber vertragen schlechterdings nicht den Spott über ihr Alter, weil
|z21 sie als denn nicht mehr zum Zweke taugen. Die Ausschweifungen des
|z22 +weiblichen Geschlechts in ehelosen Zustande ziehn nach sich, daß auch
|z23 nicht die geringste Nachfrage nach ihnen mehr geschieht, beim
|z24 +männlichen findet dies nicht statt. Die Person welche die andre zur
|z25 Ialousie erregen kann, pflegt zu herrschen,
|z26 δ_Rand S.331, Z. 2
|z27 Leute ohne Absicht gewinnen.
|z28 *1 was bei der Frau noch hinzukommt, als Gesellschafterinn.
|z29 (NB Nach Kant verdienen Xantippe +.und Hiobs Weib nicht den Tadel,
|z30 den man +ihnen +gewöhnlich beilegt«,». Sie sollen nur +.häusliches
|z31 Interesse gesucht haben.)
|z32 *2 bei Männern ist dies nur höchstselten der Fall.δ_

|P_332
|z1 Auf die Klage der Frauenzimmer, daß die Männer sie zur Zeit der
|z2 Erwerberung so sehr mit Schmeicheleyen überhäufen, und dagegen nach
|z3 der Hochzeit sich weit kälter betragen, ist wohl die natürlichste
|z4 Antwort: es kann nicht anders seyn, denn im Prospect ist alles
|z5 angenehmer und reitzender, als hernach der Genuß selbst.
|z6 Wer soll Herr in den Ehen seyn? - Wir haben davon schon oben
|z7 gesprochen - auf galante Weise aber kann auch die Frau herrschen,
|z8 (weil nemlich die Neigung herrscht) und der Mann regieren (weil der
|z9 Verstand immer regieren muß.) Wer Gesetze giebt, herrsche wer sie aber
|z10 verwendet, den Fall dafür bestimmt, und eigentlich zeigt, wie man
|z11 handeln soll, dazu gehört mehr Klugheit, und dies kann nur der Mann.
|z12 Bei sehr verkehrten Herrschern, aber sehr klugen Regierern (die das
|z13 Gesetz zu modificiren verstehen) kann der Staat doch bestehn. Eben so
|z14 geht es auch im kleinen mit der Wirthschaft. Der Mann muß mit
|z15 Höflichkeit die Wünsche *1 seiner Frau lenken. Ein blöder Mann gefällt
|z16 Frauenzimmern nicht, und zwar weil er der bewerbende Theil ist, lieben
|z17 sie an ihm etwas Erdreustung. Eifersucht ist entweder mistrauisch,
|z18 oder blosse Intoleranz. Ein +.Mann der intolerant in der Ehe ist, kann
|z19 doch ohne Mistrauen sein, er handelt unbillig. Der Vater verzieht die
|z20 Töchter die Mutter die Söhne +besonders die lebhaften, welche
|z21 Eigenschaft das Frauenzimmer überhaupt gern an Mannspersonen sieht.
|z22 Der Vater sieht (falls die Mutter stirbt) in der Tochter die künftige
|z23 +Hauswirthin. Die Mutter nach des Vaters Tode in ihrem +erwachsenen
|z24 Sohn einen Beschützer. Der Ehrenpunkt des +weiblichen +.Geschlechts
|z25 besteht nicht allein in der Moralitaet, +sondern auch in der Nachrede.
|z26 Ein +Frauenzimmer glaubt, wenn es ein Laster begeht, das +.ganze
|z27 Geschlecht +dadurch zu beleidigen.*2 Sie müßen sich daher ohne Ehe
|z28 nicht weggeben als die einzige Bedingung unter der sie einen Werth
|z29 haben.
|z30 δ_Rand S.332, Z. 15
|z31 *1 es taugt nicht wenn die Frau so eingeschränkt ist daß sie nicht
|z32 einmal Wünsche äusern darf.
|z33 Ein toleranter +Ehemann sezt seiner Frau nicht zu enge Schranken
|z34 +gegen andre. +Intoleranz ist die Ursach von +der +Stiftung +der Ehen
|z35 *2 Daher die Kindermorde.δ_

|P_334
|z1 [ - Manche sagen, das Volk ist das, was die Regierung aus
|z2 ihm macht. Dagegen aber kann man einwenden daß die Beschreibung welche
|z3 Caesar von den alten Galliern und Tacitus von den alten Germaniern
|z4 giebt noch heutiges Tages in vielen Stüken auf die nunmehrigen
|z5 Franzosen und Teutschen paßt. Wir müßen insbesondre bei der
|z6 Verschiedenheit oder Aehnlichkeit des Characters mehrerer Völker,
|z7 Rüksicht auf ihre Abstammung nehmen, so sind die Schweden und Russen,
|z8 obgleich unter einem Clima wohnend von so verschiedenen +.Charakter,
|z9 weil sie nemlich von +.verschiedenen Völkern abstammen. Die Deutschen
|z10 haben sich unter Franzosen, Italiänern, +Engländern allenfalls auch
|z11 Spaniern in Menge ausgebreitet - unter alle diese Länder hat der
|z12 Deutsche sich gemischt, sie erobert und dennoch den Schlag ihrer
|z13 Bewohner fast gar nicht verändert; sie selbst hingegen scheinen immer
|z14 von ihnen profitirt zu haben; dies sieht man zum Theil schon daraus,
|z15 daß die Sprache der überwundenen Völker, welche doch gewiß zu ihrer
|z16 CulLücke geschikter war als ihre eigene, stets die herrschende blieb.
|z17 Wir können sagen daß wenn alle Personen einer Nation eine besondere
|z18 unLäsionnterschiedenen Charakter haben, die ganze Nation eigentlich
|z19 keinen habe, wie dies auch würklich mit den Engländern der Fall ist.
|z20 Bei den Franzosen ist das Gegentheil, jeder einzelne hat keinen
|z21 bestimmten +.Charakter alle sind variabel und daher hat die Nation
|z22 einen Charakter; da sich überdies von diesem beinahe am meisten sagen
|z23 läßt, wollen wir auch anfangen mit:

|P_335
|z1 ≥ I. Frankreich. ≤
|z2 Die Franzosen haben einen ausserordentlichen Hang zur Geselligkeit,
|z3 ein jeder sucht immer die Form des andern anzunehmen, und ihn nach-
|z4 zuahmen, und schon daraus ersieht man, daß keiner einen Charakter hat,
|z5 welcher ganz und gar von dem eines andern unterschieden wäre. Man kann
|z6 Frankreich nennen das Land des Geschmaks, aber nicht so in Ansehung
|z7 der Sachen, als in Ansehung der Conversation, worinn hier gar kein
|z8 Ceraemoniel statt findet. Diesen Converstationston zu lernen muß man
|z9 nothwendig in Frankreich gewesen sey, denn alle andre Länder sind
|z10 darinn nur Schüler. Für Frivolitaet haben wir kein rechtes deutsches
|z11 Wort, es ist die Eigenschaft kleine Dinge groß und große Dinge klein
|z12 zu machen - auch nur den Franzosen +eigenthümlich. Sie können die
|z13 Gesellschaft mit einer solchen art von Leichtsinn ausserordentlich
|z14 animiren. Die eigentliche Galanterie - Conduite, die Art sich wichtig
|z15 zu machen ist auch ganz Produkt der Franzosen, eben so wie der Ausdruk
|z16 Petit Maitre der das eben gesagte vorzüglich bezeichnet. Sehr
|z17 uneigentlich ist dafür das Wort Stutzer, der sich steif aus geputzet
|z18 hat, denn zur Zeit +Ludwig 14., verstand man unter Petit Maitre
|z19 diejenigen die sich den Anschein gaben als wären sie von großem
|z20 Einfluß, wüßten wichtige Geheimniße pp. Das Point d'honneur ist bei
|z21 den Franzosen sehr groß, es geht bis auf den gemeinsten Soldaten,
|z22 daher sind auch hier Duelle so häufig. Es ist nicht Ehrliebe, sondern
|z23 wenn man große Wichtigkeit auf seinen Ehrenruf setzt. Es ist
|z24 eigentlich ein Punctum Iuris, oder Casus Conscientiae.
|z25 δ_Rand S.335, Z. 6
|z26 Dieser Conversationsgeschmak erfordert eine Anständigkeit, welche die
|z27 Franzosen gar sehr beobachten.δ_
|z28 δ_Lage_SS.

|P_336
|z1 Man kann Frankreich das Land der Moden nennen. Mode ist Manier sich zu
|z2 zieren - ein Gegenstand der Nachahmung ums Geschmaks willen ohne
|z3 Gebrauch zu werden; (denn sobald dies geschieht, ist's nicht mehr
|z4 Mode)*1 ferner muß er veränderlich seyn. Ehedem sezte der Franzose
|z5 darinn die gröste Ehre, von seinem Könige gekannt zu seyn, weil dieser
|z6 alles, und sie nichts vermochten. Dieses hat sich aber seitdem gar
|z7 sehr geändert, und jetzt ist es fast das gänzliche Gegentheil, und
|z8 dies läßt denn wohl auch in verschiedener Rüksicht eine Veränderung im
|z9 Charakter des Franzosen vermuthen. Gewiß wird es immer den Franzosen
|z10 characterisiren, daß er einen äußern Schein um sich macht. Persönlich
|z11 ist der +.Franzose +durch seine Manieren beliebt, übrigens ist er aber
|z12 von dem Vorzuge seiner Nation so sehr eingenommen, daß er alle andre
|z13 dagegen verachtet. In der That ist er der größte Egoist - obgleich
|z14 seine Sprache dem äußern Scheine nach die theilnehmendste ist. Die
|z15 Eturderie @¿sich¿@ mit Fleiß andern vorzuziehen das air dŠgag‚ ist nur
|z16 ihnen eigen, sind sind zwar mäßig aber nicht reinlich. Das Spielen mit
|z17 Floskeln, Einfällen, Embellissements, auch in den wichtigsten Fällen
|z18 verliert er nie. Ihre Munterkeit hält sie vor dem Genuß schadlos. Bon
|z19 mots *2 sind bei ihnen von der grösten Wichtigkeit. Ihre Weiber sind
|z20 nicht so schön als sie angenehm sind. Sie sollen mehr Soliditaet der
|z21 Denkungsart haben, als ihre Männer. Rousseau sagt sie wären vernünftig
|z22 wenn auch nicht häuslich. Ihre Criminalgerechtigkeit ist Härte die
|z23 Bastille, Schiksal des +.unglüklichen Calas. ¿ Der +.Franzose hat eine
|z24 Menge +.von Tugenden, aber aus andern Principien. Was andre aus
|z25 +.Grundsätzen sind ist er oft nur aus Eitelkeit nemlich: höflich,
|z26 gesellig, ehrliebend, patriotisch pp.
|z27 δ_Rand S.336, Z. 4
|z28 *1 denn wäre es Gegenstand des Interesse, nicht des Geschmaks.
|z29 δ_Rand_Z. 19
|z30 *2 Im Deutschen etwa Witzsprüche.
|z31 ≥ 64ste Stunde, +von 9 - 10. ≤
|z32 2. Dieser Wiederspruch ist mit ihrem Leichtsinne +.und Lebhaftigkeit
|z33 gut zusammen zu reimen.δ_

|P_337
|z1 ≥ II. Spanien. ≤
|z2 Die Spanier unterscheiden sich ganz ungemein von den Franzosen. In
|z3 Castilien muß man den ächten Schlag der Spanier suchen, nicht in und
|z4 um die Seehäfen. Die Grandezza ist Air der Größe, ein Rang der was
|z5 sehr wichtiges vorstellte. Ihre große Ernsthaftigkeit scheint
|z6 einigermaßen noch aus dem maurischen +oder saracenischen Blute
|z7 herzustammen. Schon ihre Sprache hat Grandiloquenz - etwas
|z8 hochtönendes was ihnen gut ansteht. Der geringste Bauer spricht ohne
|z9 Verlegenheit mit den Vornehmsten, ja selbst mit dem Könige. Sie
|z10 bleiben gern beim Alter, sind überhaupt das Gegentheil von den
|z11 Franzosen auch in dem Punkt da sie aus den wichtigsten Dingen
|z12 Bagatellen machen. In Spanien giebt es wenig {{(+oder doch nicht zu
|z13 viel)}} Reiche, nur diese sind es auch in +ausserordentlichem Grade
|z14 z.B. der Duc von Medina Sidonia. Sie reisen fast nie ausserhalb
|z15 Landes, lernen auch keine fremde Sprachen.*1 (+.Anmerkung Andre
|z16 Nationen, z.B. Indostaner, Perser, können nicht begreifen, warum
|z17 Europäer so weite Reisen thun, um z.B. eine Statüe zu sehn +oder +.der
|z18 +.gleichen und glauben immer daß eine andre Ursache zum Grunde läge,
|z19 etwa Schätze graben, - man zeigt ihnen die leeren Hände dann erwiedern
|z20 sie, daß man es wohl verstehen würde sie unter der Erde
|z21 fortzuschaffen) In +Wissenschaften sind +die Spanier sehr zurück, alle
|z22 ihre Litteratur schränkt sich auf +.Religion ein. Ob bei ihnen der
|z23 Stolz die Faulheit, +oder diese Stolz verursacht, ist unaus gemacht.
|z24 Doch könnte man wohl sagen, daß ihre Armuth auf Faulheit, +.und diese
|z25 auf Stolz beruhe. Aus Ueberlegung haben die Spanier Hang zur
|z26 Grausamkeit. Sie haben aber auch +rühmliche +.Eigenschaften als die
|z27 Ehrlichkeit; die +ehrlichsten +.Kaufleute sind +die spanischen. Wenn
|z28 die Musik ihres Fandangotanzes *2 gehört wird so ist nichts vermögend
|z29 sie zu halten, alles läuft hin. Alle ihre Freuden sind immer mit Pomp
|z30 verbunden, also hat die Nation keinen eigentlichen Hang zur
|z31 Lustigkeit.
|z32 δ_Rand S.337, Z. 12
|z33 *1 Lezteres thun die +Engländer auch nicht, aber sie reisen desto
|z34 häufiger, +gewöhnlich sind 10000 +Engländer ausserhalb Landes auf
|z35 Reisen. 1777 waren allein zu Paris 3000.
|z36 Man erstaunet wenn man hört, Spanien werde zu den ärmsten Ländern wie
|z37 Polen gerechnet, allein sie müssen vor +.Fabrikware ihre Schätze
|z38 geben.
|z39 *2 er ist uralt, +und schreibt sich noch von den Mauren her.δ_

|P_338
|z1 ≥ III. Italien. ≤
|z2 Die Italiäner haben eine vorzügliche Lebhaftigkeit aber mehr durch
|z3 Klugheit geleitet als die der Franzosen. Sie zeigen viel Affect und
|z4 starken Ausdruk in den Mienen. Zu Rom und Neapel geht fast kein Tag
|z5 ohne eine Mordthat vorbei, dies ist sehr natürlich wegen ihrer
|z6 ausserordentlichen Heftigkeit, da über einen unbedeutenden Streit
|z7 sogleich ein Duell entsteht, und weil niemand den Sbirren ins Amt
|z8 greifen (d.h. die Mörder anhalten) will, weil man sie für halb
|z9 unehrlich hält; dazu findet jeder Mörder im nächsten Kloster sein
|z10 zuflucht. Wie Rousseau sagt, schlafen die Italiäner in Ratzennestern.
|z11 Ihre Conversationen sind an gewissen Tagen in der Woche; sie leben
|z12 fast von Chocolat wenn sie viel Visiten machen, denn allenthalben wird
|z13 sie presentirt. Ihre meisten +.und liebsten Beschäftigungen zwecken
|z14 auf öffentliches Aufsehen ab z.B. ihre Schauspiele, Maskeraden,
|z15 Carnaval, Proceßionen, Pferderennen, prächtige Häuser pp. - Cicisbeo
|z16 eigentliche ein Flüsterer, eine Gewohnheit einzig in ihrer Art. Sie
|z17 haben einen vortreflichen Kunstgeschmak, «+.sich» sind sehr überlegend
|z18 und erfinderisch. Die Banken, Buchhandlungen, Lotterien, Wechsel pp
|z19 sind Erfindungen der Italiäner. Die +italiänische Buchhaltung ist eine
|z20 besondre sehr wohl ausgedachte Ordnung. Sie haben systematische
|z21 Verschlagenheit, oder tiefgelegte Schlauigkeit (+.vide hierüber Pufen-
|z22 dorfs Geschichte pp) Durch Banditen oder gedungene Meichelmörder andre
|z23 aus dem Wege räumen zu lassen, und Giftmischereyen sind in Italien
|z24 recht zu Hause. In +.Wissenschaften beweisen sie +.Bedachtsamkeit
|z25 +.und Gründlichkeit. In +.Frankreich hat der gemeine +.Mann mehr
|z26 Conduite, in +.Italien mehr Kunstkenntniß als in irgendeinem +.andern
|z27 Lande. Beide sind immer zufrieden.
|z28 δ_Rand S.338, Z. 15
|z29 Nirgend ist so viel Architectur verwandt als in Italien.
|z30 δ_Rand_Z. 24
|z31 Häuflers +.Reisebeschreibung +durch Italien u.a.m.δ_

|P_339
|z1 ≥ +.Mittwoch +den 29ten +Februar +.von 8 - 9 die 65ste Stunde. ≤
|z2 ≥ IV. England. ≤ (+.Großbritanien kann man nicht +füglich hier nennen
|z3 +wegen +des +.Unterschieds +zwischen +.England +.und +.Schottland)
|z4 Die Engländer selbst sagen, daß weil jeder einzelne einen eigenen
|z5 Charakter hat (affectirt) die ganze Nation keinen habe. Dazu trägt die
|z6 Freiheit viel bei, die ihnen persönliche Würde giebt. Er hat Antheil
|z7 an der Regierung, oder glaubt ihn wenigstens zu haben; darf sich nicht
|z8 den Neigungen anderer accomodiren; kehrt sich nicht daran, wenn andre
|z9 im Geschmak mit ihm verschieden sind. Auch hat der Engländer ein von
|z10 andern Gegenden verschiedenes Clima Boden und Nahrung. Leztere ist
|z11 besonders kraftvoll. Die Engländer sind vielleicht diejenige Nation,
|z12 die am meisten Fleisch ist. Nach der Franzosen eignem Geständniße soll
|z13 das Grün in England das schönste seyn. Dies kömmt von der Nässe. Die
|z14 Seeluft ist sehr gesund und stärkend; besonders deswegen weil sie den
|z15 Grad der Hitze und Kälte gehörig moderirt. Das Wohlverhalten manches
|z16 Menschen beruht blos auf seiner Schwäche, wobei er oft den bösesten
|z17 Willen habe: die Tugend ist die rühmlichste, die mit Stärke verbunden
|z18 ist, daher entstand auch das Wort Virtus. In Frankreich hat alles
|z19 Conduite. (Diese empfiehlt Lord Chesterfield seinem Sohne, wenn er ihm
|z20 schreibt: die Gratien die Gratien.) In Italien ist jedermann gescheut,
|z21 d.h. er hat das s‡avoir faire, weis in allen Stücken seinen Vortheil
|z22 in Acht zu nehmen, sich andrer Menschen zu seinen Absichten zu
|z23 bedienen. In England ist die ganze Nation mehr cultivirt - bis auf den
|z24 gemeinsten Mann in Ansehung der Kenntniße belehrt. Dazu tragen nun
|z25 wohl vorzüglich die Zeitungen *1 viel bei.
|z26 δ_Rand S.339, Z. 1
|z27 +.Anmerkung Diese Schilderungen sind nur als eine Art von Vorspiel
|z28 gegeben, über die Methode den Charakter kennen zu lernen, keines weges
|z29 als entschiedene Wahrheiten.
|z30 δ_Rand_Z. 17
|z31 (suaviter in moda fortitier in re.)
|z32 δ_Rand_Z. 24
|z33 *1 Einer Erfindung wovon die Alten nichts wusten.
|z34 am linken Rand Z. 22
|z35 @¿NB.¿@ (@¿Ia m. H. Summa pp)δ_

|P_340
|z1 die ganz allgemein gelesen werden, wegen ihres mannichfaltigen
|z2 Innhalts (es sind nemlich nicht allein die allgemein interessanten
|z3 +Neuigkeiten sondern auch litterairische und specielle Nachrichten und
|z4 +Beschreibungen +des Landes). Wenn nun das Gesinde diese Zeitungen
|z5 gelesen hat, und hört bei Tische darüber raisonniren, so werden
|z6 natürlicher Weise seine Kenntniße dadurch vermehrt. In keinem Lande *1
|z7 erstrekt sich das Wohlleben so sehr bis auf den gemeinsten Mann, und
|z8 das vorzüglich deswegen, weil sie ihre Kunstprodukte weit wohlfeiler,
|z9 als andre Nationen liefern können, indem sie so erfinderisch sind, daß
|z10 sie fast alles fabrikenmäßig Tractiren. Die Engländer haben einen
|z11 Public-Spirit, d.h. es vereinigen sich oft viele zu einer Entreprise,
|z12 zum gemeinen Besten eine gute Anstalt zu stiften, oder zu befördern.
|z13 Solche Associationen sind häufig. Sie wagen etwas auf den gehoften
|z14 Vortheil - machen sich nicht viel daraus wenn sie ihn nicht erhalten
|z15 dies ist so ein +vorzüglicher Charakterzug der Engländer. (+vide
|z16 Archenholz brittische Annalen, da findet man verschiedene Entreprisen
|z17 der Engländer erzählt z.B: Reisen ins Innere von Africa, woraus sich
|z18 in kurzen wichtige Erweiterungen für die +.Erdbeschreibungen dieses
|z19 Welttheils erwarten lassen, ein andermal wurde in einer Gesellschaft
|z20 erzählt daß an der Westküste von Südamerika viel Wallfische wären;
|z21 gleich traten Leute zusammen +.und rüsteten Schiffe aus. Sehr oft ist
|z22 die Originalität des +.Engländers *2 affectirt. Ihr Geschmak in der
|z23 Kunst ihrer Arbeiten ist vollkommen, allein die Fa‡on gefällt nicht -
|z24 sie zeigen in allem Gründlichkeit. Die Frauenzimmer in England sind
|z25 gepriesen wegen ihrer Schönheit, doch haben sie nur den 2ten Rang weil
|z26 ihnen das air d‚gag‚ der Franzosen mangelt, +.und sie genirt +.und
|z27 zurükhaltender sind. Man beweiset den Damen in England mehr Achtung
|z28 als in Frankreich, +ansich sie nur in der Complaisance besteht.
|z29 δ_Rand S.340, Z. 6
|z30 *1 etwa Schweiz +.und Holland ausgenommen, wo sich gleichfalls die
|z31 gute Nahrung bis auf den gemeinsten Mann erstrekt.
|z32 δ_Rand_Z. 21
|z33 *2 Er ist so ungesellig daß er in einem Wirthshause nie mit einem
|z34 andern zusammen ist, sondern jeder hat sein apartes Tischchen. Wenn er
|z35 reiset, so thut er es nur um andre Nationen zu verachten +.und Geld
|z36 auszugeben, sie vertheuern die Gasthäuser ungemein, +anno 1777 waren
|z37 3000 +.Engländer in Paris, blos zum Vergnügen.δ_

|P_341
|z1 ≥ +Von 9 - 10 66ste Stunde.≤
|z2 ≥ V. Deutschland. ≤
|z3 Den Deutschen meßen fremde Nationen viel Phlegma bei, und deriviren
|z4 daher ihre unerschütterliche Geduld, so mühsam volumineuse Werke zu
|z5 schreiben (als z.B. Krynitz ökonomisches Handbuch nach dem Alphabeth.
|z6 50 +.Bände) Sie sagen auch, daß es ihnen an Originalität mangelt, daß
|z7 sie meist nachahmen. Zwar sind sie Erfinder einer Menge von Künste,
|z8 aber doch nur da wo ein anhaltender Fleiß zu suchen ist. So haben sie
|z9 in der Chymie viel gethan, und das Fundament davon ist bei ihnen zu
|z10 suchen. Doch zeigt dies noch nicht von Genie, welches das Talent zu
|z11 einer Kunst ist, die nicht gelernt werden kann. Iedoch wäre es unrecht
|z12 wenn man die Deutschen beschuldigen wollte, ihnen mangelte Genie. Sie
|z13 haben es würklich in sich, wenn man es nur excitiren könnte. Daß das
|z14 nicht geschieht, dazu trägt wohl die verkehrte Schulbeschaffenheit
|z15 viel bei. Es ist zwar gut daß sie den Geist der Ordnung und Methode
|z16 haben, wenn sie es nur nicht übertrieben, bis zur sclavischen
|z17 Abhängigkeit von ein mal angenommenen Regeln und Vorschriften. Ordnung
|z18 ist wesentlich nur ein Mittel zum Zwek, sie machen sie aber zum Zwek
|z19 selbst. Für Tabulatur sind sie auch sehr eingenommen - daher rührt nun
|z20 auch +.zum +.Theil ihre außerordentliche Titelsucht, wodurch sie sich
|z21 von andern Ländern auszeichnen. Ein Mensch ohne Stand oder Titel wird
|z22 nicht {{viel}} geachtet. Diese Titelsucht macht die Höflichkeit bei den
|z23 Deutschen ausserordentlich schwer. Ihre Briefe können nie anders als
|z24 steif und peinlich werden indem die Worte dieselben, dero -
|z25 Hochgebohren, +Hochwohlgebohren, +.Hochedelgebohren beständig
|z26 vorkommen.
|z27 δ_Rand S.341, Z. 21
|z28 Titel ist Unterscheidungsmittel.
|z29 Wo der Franzose mit Monsieur, Monstigneur wegkommt.δ_

|P_342
|z1 Der Deutsche hat nicht die Freiheit des Genie's vom Zwange der Regeln,
|z2 und ist auch des wegen bescheiden. Ihm fehlt das Air d‚gag‚ des
|z3 Franzosen, daher er sich auch nicht so gut zum Theater schikt. Die
|z4 deutsche Nation lernt alle Sprachen, und unterscheidet sich dadurch
|z5 von allen übrigen. Dieses Lernen aller Sprachen zeigt von vieler
|z6 Wißbegierde. Der Deutsche kann sich in alle Verhältniße schicken,
|z7 daher kommt's daß in allen Ländern Deutsche angetroffen werden,
|z8 ausgenommen in Portugall wo selten ein Fremder @¿sich¿@ hält. Andre
|z9 Nationen thäten daher wohl wenn sie die deutsche Sprache lernten,
|z10 indem sie damit in den meisten Ländern fortkommen würden.*1 Sie sind
|z11 die treflichsten Colonisten, und besten Cultivateurs. Die Deutschen
|z12 lassen sich nicht allein gut, sondern auch gern regieren, mit aus dem
|z13 Hange zum Systematischen. Sie halten sich nicht für die erste Nation,
|z14 verachten daher auch keine andre; haben überhaupt keinen
|z15 Nationalstolz. Dieser ist auch in der That absurd, denn wenn man
|z16 glaubt, Vorzüge zu haben, so bewirbt man sich um keine.
|z17 Die Sprache der Deutschen macht, daß von dem Fortschritte des Geistes
|z18 in andern Sprachen gar nicht profitiren können, indem sie gar keine
|z19 Beimischung aus denselben leidet;*2 dafür hat sie aber auch einen
|z20 ausserordentlichen Reichthum an eignen Worten, und nähert sich darinn
|z21 der griechischen. Der Deutsche ist +gesellschaftlich +.und +zugleich
|z22 gastfrey.*3 Aus Neugier sucht er Fremde auf. - Das Geistvolle scheint
|z23 dem südlichen Theile mehr als dem +nördlichen eigen zu seyn.
|z24 δ_Rand S.342, Z. 10
|z25 *1 Dies ist sehr natürlich da mehrere Länder wie Schweden +.und
|z26 Hohland ganz vom germanischen Stamm sind.
|z27 δ_Rand_Z. 19
|z28 *2 Der Franzose hingegen kann jedes fremde Wort metamorphosiren. Es
|z29 ist schwer neue Worte in der deutschen Sprache aufzubringen z.B. groß
|z30 und heer klingt immer noch fremde.
|z31 *3 nicht wie der Franzose der zwar ersteres aber +nicht lezters istδ_

|P_343
|z1 ≥ Sonnabend +den 3ten Merz +.von 8 -9 67ste Stunde. ≤
|z2 Völker die noch nicht genugsam aus der Barbarey herausgekommen, und
|z3 die noch einen Hang haben, zurükzufallen, es dürfen nur gewiße
|z4 Umstände dazu kommen, sind:
|z5 1.) Pohlen,
|z6 2.) Russen,
|z7 3.) Türken. - Die beiden ersten sind slavische Völker. Diese machten
|z8 einen besondern Stamm aus, der sich weit bis nach Westen erstrekte,
|z9 auch Leipzig war noch eine slavische Stadt. Die Wenden sind zu diesem
|z10 Stamm zu rechnen. Man findet bei ihnen nichts anders als Herren +.und
|z11 Knechte. Der Name Slav bedeutet Sklave, Leibeigener verstand man unter
|z12 Slavonien +oder Sclavonien. Die Türken haben nicht Herren und
|z13 Leibeigene, sondern im Grunde sind sie allen Sklaven eines Despoten.
|z14 ≥ VI. Pohlen. ≤
|z15 Dies ist ein besonderes Land; es hatte gleichsam nur einen wirklichen
|z16 Stand, nemlich den Adel, nur dieser machte den Staat aus. Es gab wohl
|z17 freye Gewerb treibende Bürger, aber nie haben sie den Rang eines
|z18 Staatsbürgers behauptet. Sie verlangen Freiheit, Gesetz, aber keine
|z19 Gewalt über sich. Sie wollen den Stand der Natur +.und Freiheit,
|z20 nemlich so, daß jeder ungestraft den andern todtschlagen kann, und
|z21 dennoch verlangen sie ein Gesetz dagegen. Die Pohlen werden als
|z22 leichtsinnige veränderliche Menschen beschrieben, von keiner festen
|z23 Entschliessung.
|z24 δ_Rand S.343, Z. 13
|z25 Es ist doch große Verschiedenheit im Charakter der slavischen Völker.δ_
|z26 δ_Lage_TT

|P_344
|z1 Sie machen Schulden ohne an die Bezahlung zu denken, dies geschieht
|z2 aber nicht aus Grundsätzen, sondern weil sie schlechte Haushalter
|z3 sind. Man findet bei «a»ihnen Mangel an Ordnung, große Güter, aber
|z4 viel Schulden. Sie sind reich, aber es fehlt ihnen allenthalben, bald
|z5 an Gläser Schuhe pp. Unter ihrem Geschrei von Freiheit verstehen sie
|z6 nur einzelne, aber nicht Staatsfreiheit. Weil es bei ihnen keinen
|z7 Mittelstand giebt, so haben sie auch wenig Cultur, sowohl in +Ansehung
|z8 der Künste als auch der Wissenschaften. Denn gewöhnlich geht Cultur
|z9 vom Mittelstande aus. Man findet so leicht unter den Pohlen keinen
|z10 Mann der sich in irgend einer Wissenschaft besonders hervorgethan
|z11 hätte; man zählt zwar einige dahin, aber mit Unrecht; Ein gewißer
|z12 Herzensantheil am Vortheil des Ganzen, wie bei den Engländern (Public
|z13 Spirit) fehlt ihnen gänzlich. Denn jeder dünkt sich als eine Art von
|z14 Souverain. Aus dem was jezt unter den Pohlen vorgegangen ist, ließe
|z15 sich gar nicht mit Zuversicht auf die Zukunft schließen. - Die
|z16 polnischen Damen sind diejenigen, die unter allen andern Nationen den
|z17 ausgebreitesten Verstand, die gröste Staatsklugheit, Umgang, und die
|z18 mehrste Welt haben. Wirklich haben sie oft Antheil an den
|z19 Staatsgeschäften; die Pohlen sind voller Höflichkeit gegen sie. Dieses
|z20 Volk ist eben nicht zur anhaltenden schweren Arbeit gemacht, überhaupt
|z21 zu keiner Anstrengung der Kräfte.

|P_345
|z1 ≥ VII. Rußland. ≤
|z2 Die Rußen haben Adel, aber dieser hat lange nicht die Freiheit des
|z3 polnischen, denn sie stehen unter despotischer Regierung, und haben
|z4 keine andre Freiheit, als die, welche ihr Souverain ihnen gestatten
|z5 will. Die Rußen sind Unterthanen des Staats im eigentlichen Sinne des
|z6 Wortes, und sind doch auch Herren, die wieder Unterthanen haben. Die
|z7 vornehmen Pohlen sind Aristokraten, keines weges die vornehmen Russen.
|z8 Beide Nationen unterscheiden sich schon im Gesichte. Der Russe hat den
|z9 Ausdruk des Eigensinns, ist ein Starrkopf, fest im Vorsatz, brauchbar
|z10 in schwierigen Unternehmungen, die Beharrlichkeit und Anstrengung
|z11 erfordern. Er liebt die Veränderung nicht, und ist voll steifer
|z12 Anhänglichkeit an seine Nation, dies ist ein Zeichen der
|z13 Eingeschränktheit seines Geistes. Daher kommt es auch, daß die Rußen
|z14 so selten desertiren. Er giebt den besten Stokmeister ab, weil er sehr
|z15 mistrauisch, und verdachtvoll ist. Sie sind ausserordentlich treue
|z16 Diener, praecis in allem was ihr Herr ihnen befiehlt; außerdem
|z17 verbergen sie den heimlichen Haß, den sie {{bisweilen}} gegen ihn gefaßt
|z18 haben, und sind wenn er gestürzt wird, die ersten die sich darüber
|z19 freuen. Der Ruße nimmt die Cultur die auf Conduite geht, nicht so
|z20 leicht wie der Pohle an, ist aber desto besser zu discipliniren, weil
|z21 er nicht so leitsinnig ist.

|P_346
|z1 Daher ist er der beste Soldat, als Instrument des Krieges, wenn nur
|z2 die Befehlshaber klug sind, denn er gehorcht absolut. Er hat viel
|z3 Geschik alles selbst zu machen. (+.Anmerkung Die Völker, wovon
|z4 einzelne so künstlich sind, sich alles machen zu können, sind die
|z5 rohesten, dies beweisen die Russen) Der Bauer macht sich im Nothfall
|z6 selber Schuhe, Wagen, und bastelt immer, wie wir es nennen; er
|z7 pfuschert es doch so als es zu seinem Zwek hinreichend ist; er baut so
|z8 gar sein eignes Haus pp - aber eben, weil hier sich jeder alles selbst
|z9 macht, sind Künste und Gewerbe im schlechten Zustande. Der Städte und
|z10 Künstler sind wenig. Wenn erstere bestehen sollen, so müßen die Land-
|z11 leute nur den Boden bearbeiten, und ihre Bedürfniße aus der Stadt
|z12 holen. So entsteht nicht nur eine Menge Städte, weil die Bedürfniße
|z13 groß sind; sondern diese verzehren auch wieder die Produkte des
|z14 Landmanns, die er verkauft, und für das erhaltene Geld auch aus der
|z15 Stadt, das was er nöthig hat kauft. So bleibt das Geld im Lande,
|z16 welche Art auch nur in cultivirten Ländern statt findet. Der Russe
|z17 kann alles lernen; doch haben sie bis her noch nicht Tücher gemacht,
|z18 obgleich sie sonst die prächtigsten Zeuge Drap d'¢r +.und d'argent
|z19 verfertigen. Auch ihre zu Tula verfertigten Stahlarbeiten geben den
|z20 englischen wenig nach. Sie sind Nachahmer, +.und können daher wohl
|z21 alles lernen,
|z22 δ_Rand S.346, Z. 17
|z23 Des wegen ist auch Schlesien um seine vielen Städte berühmtδ_

|P_347
|z1 aber nichts wieder lehren - alles nachahmen, - nichts selbst machen.
|z2 So können sie gut mahlen, aber nichts selbst erfinden. Ihre Lehrer
|z3 nehmen sie gerne von aus wärts. Obgleich Rußland «9»{{8}}0 Iahre im
|z4 Stande der Civisilirung ist, so hat sich auf ihren Universitäten noch
|z5 kein einziger großer Kopf hervorgethan. Es muß etwas im Naturschlage
|z6 liegen was man nicht so kennt, aber es trifft bei allen sclavischen
|z7 Nationen ein. -
|z8 ≥ +von 9 - 10 68ste +.Stunde ≤
|z9 Ob man von den Slaven überhaupt wiederum eine große Revolution zu
|z10 besorgen hat? Man könnte sagen: ja, denn es scheint als werden sie nie
|z11 Cultur erlangen, und doch sind sie kriegerisch. Ob sie aber von Dauer
|z12 seyn werde? Alle solche Revolutionen sind von keiner Dauer, wenn sie
|z13 nicht zusammen schmelzen, sondern in Opposition bleiben. Dies kann man
|z14 schon an den Russen sehn - es liegt an ihrer Sprache und Abneigung zu
|z15 Cultur und Wissenschaften; und schmelzen sie ja zusammen, so blieben
|z16 sie nicht mehr Russen. Auch würde die Macht wahrscheinlich sich selbst
|z17 wieder vernichten, wofern nicht die Barbarey alles niederdrükt. Es
|z18 scheint Wille der Vorsehung daß viele Menschen verschiedene Religionen
|z19 haben sollen. Um dadurch das Zusammenschmelzen in eine Masse
|z20 (Monarchie) zu verhindern. Iede Nation besonders erhält besser in sich
|z21 die Freiheit und Cultur. Wir haben ein Beispiel an den Römern, wie sie
|z22 anfingen die Welt zu beherrschen, fielen sie in Barbarey.
|z23 δ_Rand S.347, Z. 19
|z24 Die Engländer können nicht einmal mit den Schotten zusammenschmelzen,
|z25 meistentheils +wegen +Verschiedenheit der Religionen, aber sonst sind
|z26 ihre Sitten +äusserst verschieden.δ_

|P_348
|z1 ≥ VIII. Die Türkey. ≤
|z2 Die Türken und Tartaren (welche meist ein Volk ausmachen)*1 sind noch
|z3 fast ganz in der Barbarei. Auch können sie gar nicht mit andern
|z4 Nationen zusammenschmelzen, vorzüglich die Muhamedaner, die entsezlich
|z5 stolz sind. Ihre Religion ist die insociabel«tste»; würden sie die
|z6 halbe Welt erobern, so blieben sie dennoch gewiß ganz abgesondert. In
|z7 ihren Moscheen sind blos Ceremonien, nicht das demüthige der
|z8 +christlichen Religion. Sie glauben die einzigen zu seyn die den
|z9 wahren Gott anbeten. Meistentheils verliehren sie ihre Eroberungen
|z10 eben so schnell als sie sie machten. Sie sind ehrlich, tapfer,
|z11 nüchtern, voll starker Triebfedern, ernsthaft zuverläßig, muthig, und
|z12 +.überhaupt ein wohlgebildetes Volk mit treflichen Eigenschaften
|z13 begabt; aber ihr unermeßlicher Stolz gereicht ihnen sehr zum Tadel,
|z14 ferner ihre Rohigkeit, und daß nur Gewinn +.und Vermögen sie
|z15 aufmuntert. Man muß ihre natürlichen Anlagen rühmen, doch dieses macht
|z16 sie niederträchtig. Auch verlangen sie immer Geschenke. Ieder
|z17 Gouverneur verlangt solche von den Reisenden. Das Merkmal roher
|z18 barbarischer Völker ist, wenn sie keine Achtung für Gesetz haben. Sie
|z19 suchen ihr Heil in der Gesetzlosigkeit, und wähnen sich frey, wenn
|z20 ohne ihre Bewilligung sie von Steuern frey sind, und ertragen übrigens
|z21 die gleichsam mit Sturm ausgeübten himmelschreiendsten
|z22 Ungerechtigkeiten,
|z23 δ_Rand S.348, Z. 2
|z24 *1 Man rechne aber hieher nicht die Nogajer und Bedziker, denn
|z25 obgleich sie die nemliche Religion haben, so sind sie dennoch nicht
|z26 von derselben Race.δ_

|P_349
|z1 wenn z.B. ein unschuldiger Bascha strangulirt oder geköpft wird,
|z2 welches leider im osmannischen Reiche nichts neues wäre. Dabei trösten
|z3 sie sich damit, daß sie vor der Hand doch immer noch frey sind, wenn
|z4 auch einem andern der Kopf genommen wird. Selbst die gemeinsten Weiber
|z5 haben in ihren Mienen einen Blik von Selbstzuversicht, und Gefühl von
|z6 Freiheit. Geburtsvorzüge sind ihnen unbekannt. Unterordnung leiden sie
|z7 nicht, und haben sie auch nicht. Die Eigenschaft, durch's Gesetz
|z8 disciplinirt zu werden, kann nur bei cultivirten Nationen statt
|z9 finden. -
|z10 Man kann überhaupt jedes Land mit einem besondern Namen belegen. man
|z11 könnte Frankreich nennen: das Modenland, Spanien das Ahnenland,
|z12 Italien das Prachtland, England das Land der Launen, Deutschland das
|z13 Titelland, Rußland das Land der Tücken.
|z14 {{NB}} (Obgleich die Völker ganz verschiedene Nahrungsmittel haben, so
|z15 muß man gestehn, daß wenn man die russische Armee gesehn, sie einen
|z16 Vorzug hat der ihr allein eigen ist.) Der Nationalcharakter ist als
|z17 keine bloße Chimaere, denn so wie ein calmukisches oder nogaisches
|z18 Gesicht gleich in die Augen fällt, so leicht bemerkt man auch, von
|z19 welcher Nation jemand ist, wenn man den +.Nationalcharakter kennt. Ein
|z20 französisches Gesicht kann man sogar in Hogards Kupferstichen kennen,
|z21 wenn er es auch selbst verschwiege.

|P_350
|z1 Von den Preußen kann man wegen ihrer großen Vermischung mit andern
|z2 Völkern, die sich seit kurzer Zeit hier aufhalten, nichts bestimmtes
|z3 festsetzen. Indeß will man ihnen doch durchgehends Falschheit
|z4 beimeßen, wie auch Zurükhaltung, und dies kann auch wohl seyn, weil
|z5 sich die Zurükhaltung gewöhnlich da einfindet, wo die Familien nicht
|z6 genug ausgebreitet, ganz verschieden und einander fremd sind. Dazu
|z7 kommt noch, daß die Regierung an einem auswärtigen Ort geführt wird,
|z8 woraus eine Zurükhaltung +.und Neid gegen die, so ihnen vorgezogen
|z9 werden, entsteht. - Von den Czeremissen, welches Heiden sind, die an
|z10 den Grentzen des Gebirges, welches Rußland von dem asowschen
|z11 Gouvernement absondert, wohnen, hat man versichert, daß sie alle
|z12 Fremde unterscheiden können, sie mögen gekleidet seyn, wie sie wollen.
|z13 ≥ IIII. Vom Charakter der Race. ≤
|z14 Wo wir den ganzen Menschenstamm nach Aesten betrachten.
|z15 Race ist ein nothwendiger, angeborner, erblicher Unterschied von
|z16 andern. Es sind 4 Racen:
|z17 1.) Die Amerikaner. Ihr Charakter ist eine große Unempfindlichkeit,
|z18 und die daher entspringende Gleichgültgkeit, so daß selbst die Creolen
|z19 die hier von europäischen Eltern gebohren werden, an dieser
|z20 Gemüthsbeschaffenheit Theil haben,

|P_351
|z1 Ihre Farbe ist kupferröthlich wie Eisenrost mit Oehl vermischt. Sie
|z2 können entsezliche Operationen aushalten, eben so sind sie auch
|z3 unempfindlich in Affecten. Diese Leute afficirt nichts, und sie werden
|z4 weder durch Versprechungen noch durch Drohungen gerührt, ja selbst in
|z5 Ansehung der Geschlechterneigung sind sie kaltsinnig. Zur Rache haben
|z6 sie große Neigung. Die Freiheit bei ihnen ist nicht wie die in Europa,
|z7 sondern thierisch. Dieser Freiheit aber opfern sie auch alle
|z8 Süßigkeiten des Lebens auf. Sie haben keine Sorgen; des Morgens
|z9 verkauft er seine Hängematte, und wundert sich wohl gar des Abends daß
|z10 er nichts hat, worauf er liegen kann. Sie sind eben nicht gesprächich
|z11 die Weiber nehmen oft Wasser ins Maul, daß sie nicht reden dürfen,
|z12 Dieß kann man auch schon daraus erkennen, daß die americanischen Hunde
|z13 die Menschen nicht lieben, sondern vielmehr vor ihnen fliehen, weil
|z14 sie nie gewohnt sind, von ihnen geschmeichelt zu werden.
|z15 2.) Die Neger (africaner) haben einen ganz entgegengesezten Charakter;
|z16 obgleich Africa mit America in einem Clima liegt. Sie sind voller
|z17 Lebhaftigkeit, Leidenschaft, Affect, er ist eitel, geschwätzig,
|z18 scherzhaft, nimmt Cultur an, aber entweder die eines Knechts oder
|z19 eines Antreibers. Man hat nie bemerkt, daß wenn einer von ihnen frey
|z20 geworden ist, er ein Handwerk ergriffen hätte. Lieber mag er ein
|z21 Gast{{Coffee-}}haus haben.
|z22 δ_Lage_UU.

|P_352
|z1 Er scheint dazu gemacht zu seyn, andern zu dienen, aber nie civilisirt
|z2 zu werden. Sie sind bei ihrem lebhaften Naturell läppisch, denn
|z3 obschon ihre Fasern reizbar sind so fehlt ihnen doch eine gewiße
|z4 Festigkeit in denselben, daher es ihnen an Standhaftigkeit mangelt,
|z5 und sie zu allem ungeschikt sind, wozu Verstand erfordert wird. Sie
|z6 sind wie die Affen sehr geneigt zum Tanzen, und benutzen dazu jeden
|z7 Augenblik da sie nicht arbeiten dürfen. Wenn sie dieses auch den
|z8 ganzen Tag über gethan haben, so plaudern sie dennoch Nächte durch,
|z9 und schlafen wenig.
|z10 3.) Die Indianer (+nemlich in Asien) haben eine Art von Selbst-
|z11 beherrschung - gerathen fast nie in Hitze. Doch haben sie starke
|z12 Leidenschaften, und tragen es nach. Sie nehmen alle bürgerliche Cultur
|z13 an, sind aber keiner Aufklärung fähig; sie haben ein Maaß über das sie
|z14 nicht kommen. Ihre Religion bleibt unverändert. Sie haben wohl Künste,
|z15 aber keine eigentliche Wissenschaften. Als Bürger sind sie geduldig
|z16 und gehorsam Sie haben keine eigentliche Begriffe von Ehre und Tugend,
|z17 denn dies setzt Geist und Genie voraus, sie legen sich auf List und
|z18 Ränke. Sie können am meisten in tiefen Gedanken seyn, sie thun
|z19 entweder gar nichts oder legen sich auf Glüksspiele;*1 dahin gehören
|z20 auch die Würfel. Bei zunehmenden Iahren können sie Stunden-
|z21 lang
|z22 δ_Rand S.352, Z. 22
|z23 *1 Sie sind an sich schon melancholisch.δ_

|P_353
|z1 lang an der Angel sizen, wenn auch kein Fisch da ist, der anbeißt. Die
|z2 Ostindianer sind zurükhaltend und behutsam, sie sehen alle wie
|z3 Philosophen aus. Wenn sie von einem Europäer angeführt werden, so
|z4 besänftigen sie ihn, +.und entfernen sich gern, um nicht Streit zu
|z5 haben. Die Ursache ist die Feinheit ihrer Fasern, da sie sehr leicht
|z6 aus aller Fassung gebracht werden.
|z7 4.) Die Europäer oder Weißen sind gemeinschaftlich zum Ungestüm
|z8 aufgelegt, bei ihnen findet man alle Triebfedern, Affecte, Lei-
|z9 denschaften, aber auch alle Anlagen und Talente zu Künste und
|z10 Wissenschaften, Sie haben die Eigenschaft durch Gesetze civilisirt zu
|z11 werden, und doch frey zu seyn. Sie nehmen nicht allein Disciplin an,
|z12 sondern auch Cultur des Geistes. Ohne Geist bleibt der Mensch bornirt,
|z13 ohne Naturell roh d.h. er lernt nichts, und ohne Instinct ist keine
|z14 Cultur. -
|z15 Was soll man sagen, werden die Racen zusammenschmelzen oder nicht? Sie
|z16 werden nicht zusammenschmelzen, und es ist auch nicht zu wünschen. Die
|z17 Weißen würden degradirt werden, denn jene Racen nehmen nicht die
|z18 Sitten +.und Gebräuche +der Europäer an.
|z19 5.) Die Mongolische oder kalmukische Race. Sie haben platte Gesichter,
|z20 kleine Nasen +.und Augen, und bartloses Kinn. Der Schnitt ihrer Augen
|z21 ist schief einwärts nach der Nase zu. Sie haben viel Tapferkeit und
|z22 Fähigkeiten alles zu lernen. Sie machten nie große Eroberungen, ohne
|z23 sie wieder zu verliehren, es kommt mit von ihrem Hange Zum
|z24 Hirtenleben. Rußland hatten sie 200 Iahre. Sie waren +berü@¿hmt¿@
|z25 +.unter +dem +Nahmen +der Hunnen.
|z26 δ_Rand S.353, Z. 23
|z27 Die weiße Race ist die vorzüglichste und hat sich allenthalben
|z28 ausgebreitet.δ_

|P_354
|z1 ≥ V. Vom Character der Menschengattung«en» ≤
|z2 Um ein Wesen zu charackterisiren müßen wir es mit andern vergleichen.
|z3 Womit können wir die Menschen vergleichen?
|z4 1.) Mit der Thiergattung.
|z5 2.) Mit der Gattung vernünftiger Wesen überhaupt -. (+Der +.Mensch ist
|z6 +vernünftig Thier)
|z7 ≥ I. Charakterisirung des Menschen im Vergleich mit der Thiergattung.
|z8 ≤
|z9 Es frägt sich, ob er vier oder zweifüßig ist, d.h. ob er bestimmt war,
|z10 auf 4 oder auf 2 zu gehen. Es scheint als wäre es keine vernünftige
|z11 Frage - Moscati (ein Gelehrter in Pavia) hat geschrieben, ob die Natur
|z12 den Menschen bestimmt habe auf 2 oder 4 Füßen zu gehen, er ist für das
|z13 leztere, und zeigt die Beschwerlichkeiten von dem Gehen auf 2 Füßen.
|z14 Er sagt:
|z15 1.) es ist schädlich um der Eingeweide willen, sie drücken nach unten
|z16 zu.
|z17 2.) bei einer schwangern Frau ruht die Frucht zu sehr auf dem Mutter-
|z18 munde, und kann leicht Abortus hervorbringen.
|z19 3.) das Blut müße beim Circuliren immer steigen pp. Aber dies gereicht
|z20 ihm zum Verderben - Maria Theresia sezte ihn ab, und nun weiß man
|z21 nicht wo er geblieben ist. Indeß hat seine Meinung bei näherer
|z22 Untersuchung nicht völlig Grund, wenn auch schon der Mensch an den
|z23 Waldmensch grenzt, daß es würklich Affen giebt, die häufig auf 2
|z24 Füssen gehen. Kamper ein Arzt im Franeker hat am besten davon
|z25 geschrieben.

|P_355
|z1 Er sagt von einem der der die größte Höhe gehabt (4 « Fuß) er habe mit
|z2 seinen Füßen greifen können, aber keine Kniescheiben gehabt. Er hatte
|z3 auch eine ganz andere Bauart im Schlunde nach welcher er nie sprechen
|z4 lernen kann. Es ist also unrecht zu glauben, daß der Mensch eine
|z5 Affengattung wäre. Der Gibbon oder langhändige Affe ist dem Menschen
|z6 am ähnlichsten, und der Orang-Outang. Die +holländische Societäet in
|z7 Batavia behauptet, daß noch nie ein Orang-Outang in europäische Hände
|z8 gekommen. Er ist auch darinn dem Menschen ähnlich, daß er nicht wie
|z9 ein anderes Thier sich mit seinen eigenen Gliedmaaßen (Füssen, Hände
|z10 Zähne) wehret +.und vertheidigt, sondern er bedient sich dazu starker
|z11 Stöcke. - Ist der Mensch frucht- oder fleischfressendes Thier? ist er
|z12 das leztere so wäre er ein Raubthier. Dies ist er aber nicht nach dem
|z13 Bau seiner Zähne, seines Magens wegen ebenfalls nicht. Hat die Mutter
|z14 oder Amme Fleisch gegessen, so bekommt die Milch dem Kinde am besten.
|z15 Bekommt die Amme nicht gut zu essen so gerinnt ihre Milch wie
|z16 Kuhmilch. Der Magensaft ist ein wenig salzig aber nicht sauer, und nur
|z17 wenn er die Säure versüßt, kann er zum Nahrungssaft dienen. Der Mensch
|z18 muß also wohl für beides gemacht seyn, hauptsächlich für Fleisch. Die
|z19 wenigsten Früchte sind auch von der Beschaffenheit, daß sie sich bis
|z20 zum Winter halten, und die Kunst sie aufzubewahren

|P_356
|z1 findet nur bei cultivirten Völkern statt. Die Thiere sind aber auch
|z2 eher gewesen wie die Menschen, und die rohen Nationen essen meist nur
|z3 das Fleisch von wilden Thieren. Ist der Mensch ein gesellschaftliches
|z4 oder einsames Thier? Er ist wohl ein geselliges, denn er hat viel
|z5 Bedürfniße, die er wohl unmöglich allein «erfüllen» befriedigen kann.
|z6 Die Vorsicht hat ihn so eingerichtet, daß er ohne andere nicht seyn
|z7 kann. Die Familien werden sich zusammengehalten haben, weil der Mensch
|z8 Beistand brauchte, sie haben sich durch die Erziehung einander unent-
|z9 behrlich gemacht. Auf der Westküste von Amerika findet man unter
|z10 Felsen so wie in Kamtschatka Colonien von Menschen. Sie waren einander
|z11 unentbehrlich in den unentbehrlichsten Bedürfnißen. In Summa, die
|z12 Menschen bedurften einander, trennten sich allein bei der
|z13 Vergrößerung. Von der andern Seite ist der Mensch auch wieder das
|z14 ungeselligste Thier, denn sobald die Familie größer wurde, sich
|z15 erhalten konnte, und der andern nicht mehr bedurfte sonderte sie sich
|z16 ab. Dies war das Mittel der Vorsehung die Völker über die ganze Erde
|z17 zu verbreiten, dieses Absondern findet noch bei den Indianern statt.
|z18 Unter den Esquimo's sucht oft ein Stamm den andern auf 200 Meilen auf,
|z19 um ihn todt zu schlagen. Ein Mensch erschrikt in einer Wildniß mehr
|z20 vor einem andern, als vor einem reissenden Thiere, dem er im Fall
|z21 eines Angriffs schon zu begegnen wüste, was aber der Mensch im

|P_357
|z1 Schilde führt, kann er gar nicht wissen. Man sieht dies auch bei
|z2 cultivirten Staaten, jeder rüstet sich im Fall daß es nöthig wäre, zur
|z3 Vertheidigung, und thäte er es nicht so würde man ihn gewiß angreifen.
|z4 Obgleich Friede ist, steht alles in Kriegsrüstung. In der Natur liegt
|z5 also Mistrauen und Ungeselligkeit.
|z6 Der Mensch hat keinen ihm von Natur gegebenen Instinkt zum Gebrauch
|z7 desjenigen was er äusserlich bedarf. Er kann nicht riechen ob etwas
|z8 schädlich +oder unschädlich in der Nahrung ist. Er muß erst alles
|z9 lernen. Nicht einmal den Instinkt zu schwimmen, oder sich vor dem
|z10 Wasser in Acht zu nehmen. Das Kind läuft gewiß hinein.
|z11 ≥ II. Charakterisirung des Menschen als ein vernünftiges Wesen
|z12 (Thier:) ≤
|z13 Die Natur hat ihm keine Kunsttriebe gegeben, sondern er muß erzogen,
|z14 d.h. gebildet +.und belehret, und nicht blos aufgefuttert werden. Den
|z15 ersten Mensch sich zu denken, wie er hat sprechen, sich in alles
|z16 finden, sich erhalten können, geht über unsere Vernunft. Der Mensch
|z17 bedarf also Erziehung, d.h. 1.) Unterweisung. 2.) Disciplin, weil ob
|z18 er gleich von Natur widerstrebend ist, gesellig seyn muß, wenigstens
|z19 in seiner Familie, so muß er dazu gezwungen werden; Disciplin ist
|z20 Einschränkung des eigenen Willens eines Geschöpfs unter gewiße Regeln,
|z21 die mit dem Zwecke übereinstimmen. Ein Mensch ist gut disciplinirt
|z22 worden, d.h. er hat oft die Ruthe
|z23 bekommen,

|P_358
|z1 bekommen, bis er das geworden, was er nun nach den Regeln der
|z2 Disciplin ist. Aller Gesang der Singvögel ist kein Instinct, die
|z3 Iungen müßen von den Alten lernen. Die Vögel haben verschiedene
|z4 Organlaute, sie haben solche Töne unter sich zusammengesezt, die für
|z5 ihre Organe am passendsten sind. Ein Vogel der einen Gesang von der
|z6 andern Gattung abgelernt hat, lernt den von seiner Gattung nicht
|z7 wieder, dies zeigt daß es nicht angebohren ist. Da der Mensch gewußt
|z8 hat, den Hund zu erziehen, so wurde er Herr darüber, eben so war es
|z9 mit allen andern Thieren. Der Mensch ist von Natur gemacht, sich alles
|z10 selber zu erf«u»inden
|z11 ≥ ste Stunde. von - Lücke den ten Merz. ≤
|z12 Er soll sich alles seiner Geschiklichkeit zu verdanken haben. Die
|z13 Natur hat ihm dazu nichts weiter als eine geschikte Hand gegeben Sie
|z14 ist sonderbar gemacht; in ihr liegt der künstlichste Bau. Das zeigt
|z15 an, er muß sie mannigfaltig gebrauchen, und dies sezt Vernunft voraus.
|z16 Das Individuum gelangt nicht vollständig zur Erfüllung seiner
|z17 Bestimmung, sondern die Species; d.h. das Kind thut immer wieder etwas
|z18 zur Vermehrung der Kenntniße des Vaters. Der Mensch lernt anfänglich,
|z19 dann lehrt er es seinen Kindern, diese denken mehr hinzu, und lehren
|z20 es wieder. Der Vorrath von Kenntnißen wächst und so geht es auch mit
|z21 den Arbeiten, Die Menschen sind zum Fortschreiten durch Generationen
|z22 bestimmt. Die Gattung erreicht nur die menschliche Bestimmung. Was ist
|z23 die Bestimmung des Menschen?

|P_359
|z1 Das Existiren macht noch keinen Zwek aus; ist es zum Genuß oder zur
|z2 Cultur? Der Mensch hat nicht die Bestimmung zu geniessen, sondern zur
|z3 Cultur, d.h. die gröstmöglichste Entwikelung der Naturanlagen zu
|z4 erreichen. Man kann wohl nicht mit Rousseau annehmen, daß der Mensch
|z5 hier nicht glüklich seyn soll, sondern im rohen Zustande bleiben wird.
|z6 Der lezte Naturzwek ist Cultur. Dies muß die größte moralische
|z7 Vollkommenheit bewirken, und Moralitaet der Sitten scheint der Endzwek
|z8 zu seyn, das Ende aller Bestimmung. -
|z9 Welches ist der Zustand des Menschen in dem er diese Bestimmung der
|z10 höchsten Cultur erreichen kann? Dies ist der +bürgerliche Zustand, er
|z11 ist nicht für das Leben im Naturstande, +sondern für das im
|z12 Civilstande bestimmt, was auch moralische Sittlichkeit zur Absicht
|z13 hat. Rousseau sagt der Mensch wäre zum Naturstand geschaffen, weil in
|z14 diesem weniger Keime zu mannigfaltigen Uebeln als in jenem wären, in
|z15 dem es wohl Rohigkeit, aber nicht solche Laster als im Civilstande
|z16 gäbe pp - - Dieses ist aber gewiß falsch, denn sonst hätte der Mensch
|z17 nicht nöthig die Anlagen der Natur zu haben, die ihm doch eigen sind.
|z18 Die Vorsehung hat um das Leben mühsam machen wollen, so, daß wenn man
|z19 schon einen Zwek erreicht hat, man einem andern nachstrebt. Rousseau
|z20 sagt sogar die Natur habe uns für Wälder gemacht. Der Zustand der
|z21 Entwickelung wenn der rohe Mensch zur Sittlichkeit übergeht,
|z22 δ_Lage_VV.

|P_360
|z1 ist der «S»schwerste und gefährlichste. Eine Generation erlangt immer
|z2 mehr Cultur als die andere. Der Mensch z.E. sollte, wenn wir ihn
|z3 betrachten nach der sittlichen Bestimmung, sich niemals den Genuß,
|z4 auch nicht die Neigung zum Geschlecht erlauben, als unter der
|z5 sittlichen Bestimmung der Ehre. Nach dem Naturstande hat er schon im
|z6 16ten Iahre das Vermögen und den Antrieb zu zeugen, aber dies ist
|z7 nicht genug, er muß auch Weib und Kinder ernähren können. Im
|z8 Naturzustande ging es wohl an, dieß zeugen die warmen Länder. Weil
|z9 mehr +Ausübung der Kunst in gesitteten Zustande ist, so ist auch viel
|z10 mehr nöthig zur Erhaltung des Hauswesens, und da ist er im 16ten Iahre
|z11 vielleicht im 20ten noch Lehrling, noch ein Kind, wenn er schon als
|z12 Natur Mensch ein Mann ist, d.h. einem Weibe beiwohnen kann. Iüngling
|z13 kann man denjenigen nennen, der wohl zeugen, aber nicht ernähren kann.
|z14 Die Zwischenzeit als Naturmensch Mann, und - im +bürgerlichen
|z15 Verstande Mann zeichnet sich +dadurch aus, daß der Mensch sich Gewalt
|z16 anthun, d.h. seiner Naturbestimmung Abbruch thun muß. Es scheint der
|z17 Bestimmung der Menschheit zuwider gehandelt zu seyn. Etwas
|z18 unbegreifliches bleibt immer übrig. - Die Iahre die der +Mensch lebt
|z19 scheinen für die +.Wissenschaft zu kurz zu seyn. Dies dient zum
|z20 Einwurf gegen die Cultur des +Menschen, die doch bei größerer
|z21 Lebenslänge leichter gewesen.
|z22 δ_δ_Rand_Z. 21
|z23 Dieses gehört zur +Bestimmung der Menschengattung aber nicht des
|z24 Individuums.δ_

|P_361
|z1 ≥ Stunde +.von 8 - 9 +den 10ten Merz 179«1»2 ≤
|z2 Bengelhaft hieß vor 200 Iahren ein 16 jähriger Mensch, (soweit im
|z3 guten Sinn,) der wohl ein Weib nehmen, aber es nicht ernähren
|z4 k«ann»{{onn}}te. Der Mensch hat Talente und Anlagen in sich, die weiter
|z5 gehen, als zum Naturerforderniße nöthig ist. Die ganze Lebensart eines
|z6 Gelehrten, oder Künstlers ist dem Körper nicht gut, denn Wissenschaft
|z7 unaufhörlich mit Fleiß betreiben, erschöpft die Körper. Es ist der
|z8 Natur des Menschen nichts angelegner, als frey zu seyn, auch bei
|z9 Thieren zeigt sich dies. Freiheit bringt auch Cultur mit. Sie verliert
|z10 bei jeder Vereinigung der Menschen. Die Natur mit der Kunst harmonisch
|z11 zu machen, ist die schwerste Aufgabe. Rousseau hat immer am tiefsten
|z12 nachgedacht. Er hebt den Naturzustand heraus, und preiset ihn
|z13 ausnehmend 1.) in Ansehung des Lebensgenußes 2.) in Ansehung der
|z14 Freiheit von den Uebeln des Lebens in der Cultur und 3.) in +.Ansehung
|z15 der Freiheit von den Lastern in der Cultur. Er will, der Mensch soll
|z16 zurük in den rohen Zustand; er soll die Wissenschaften fliehen, in dem
|z17 er den Schaden derselben zeigt, daß Menschen auf Kenntniße ihr Leben
|z18 verwenden +.und s. w. (etwas ist wohl wahr, denn einigen Schaden haben
|z19 die Wissenschaften gethan, aber - wie überwiegend bleibt der Nutze).
|z20 Wenn Rousseau so spricht, so haben viele ihn nach den Worten
|z21 verstanden, denn er will nicht, daß wir zurückkehren, sondern nur auf
|z22 die Natur zurüksehen sollen, damit es nicht blos Kunst wird.
|z23 δ_Rand S.316, Z. 19
|z24 +vide Terrasson.δ_

|P_362
|z1 Es sind hier 3 Schaden genannt die von den Wissenschaften herrühren;
|z2 worüber denn Rousseau besondre Werke geschrieben:
|z3 1.) Emil oder die Erziehung, hier sagt er:
|z4 a.) nichts verliert von der Natur, und
|z5 b.) nichts von der Glükseeligkeit, die die Natur gewährt, in seinem
|z6 2.) Buch von der Ursache der Ungleichheit unter den Menschen spricht
|z7 er
|z8 a.) von dem Mein und Dein des Bodens, und endlich wie die Gewalt
|z9 entspringt.
|z10 b.) vom Unterschiede zwischen Herr und Knecht, der so ganz
|z11 der Natur zuwieder ist.
|z12 3.) Der Socialcontract. Der Stand der Natur kann heißen Stand der
|z13 Unschuld, weil keine Gewaltthätigkeiten statt finden. Der Mensch ist
|z14 nicht zum Genuß allein gemacht, +sondern zur Kraftäußerung. Das Böse
|z15 was in seiner Natur liegt ist auch Triebfeder zum Guten, weil es nicht
|z16 bestehen kann, um dem Guten Platz zu machen. Der Mensch hat zum
|z17 Stachel der Thätigkeit:
|z18 1.) Neigungen. 2.) eigene Uebel. 3) anderer Uebel. Der Mensch ist für
|z19 die Gesellschaft gemacht, wie die Biene für den Bienenstok, er hat
|z20 keine Ruhe bis er sich mit dem andern auf irgend eine Art associirt.
|z21 Die menschliche Gesellschaft besteht aus der Unvertragsamkeit unter
|z22 einander.
|z23 Der bürgerliche Zustand besteht:
|z24 1.) Aus Freiheit.
|z25 2.) - - Gesetz.
|z26 3.) - - Gewalt.
|z27 Soll Freiheit gesichert seyn so wir Gesetz erfordert. Dieses aber

|P_363
|z1 ist eine bloße Idee, die der Mensch befolgen kann, wenn er will, also
|z2 muß auch Gewalt damit verbunden seyn, daß er es befolgt.
|z3 Es giebt viererley Verfaßungen:
|z4 1.) Freiheit ohne Gesetz und ohne rechtmäßige Gewalt, ist der Zustand
|z5 der Wildheit, oder eine völlige Anarchie. -
|z6 2.) Freiheit und Gesetz aber ohne Gewalt, z.E. die polnische Freiheit.
|z7 3.) Gewalt ohne Gesetz +.und Freiheit ist Tyrannei, Despotismus.
|z8 4.) Gesetz mit Gewalt, aber ohne Freiheit. (monarchisch.)
|z9 Die Vollkommenheit der bürgerlichen Verfassung beruht darauf, wie
|z10 Freiheit, Gesetz, Gewalt, vereinigt werden können. Dies ist die größte
|z11 Aufgabe, die uns die Natur schon gegeben hat. Wie dies Problem
|z12 aufzulösen ist hat die ganze Menschheit bis jezt daran gearbeitet,
|z13 nicht allein Gelehrte, sondern auch die Völker selbst. Die ganze
|z14 Völkergeschichte ist anzusehen als eine Bestrebung eine vollkommene
|z15 bürgerliche Verfaßung hervorzubringen, aber dies ist nicht planmäßig
|z16 von ihnen geschehen, gewiß auch aus weiser Absicht der Vorsehung. Die
|z17 Menschen rücken fort in der Cultur, aber das wesentliche ist die
|z18 Bestrebung
|z19 ≥¿ste Stunde +von 9 - 10 +den 10ten Merz 1792 - Finis≤
|z20 nach vollkommener Verfassung. Der Zustand ehe sie unter Gesetze
|z21 treten, ist der Nomadenzustand, oder der, der bandenlosen Freiheit.
|z22 Die Errichtung der bürgerlichen guten Verfassung wäre die Realisirung
|z23 des Iuris naturae. Das

|P_364
|z1 Ius gentium zu realisiren, müßen die Völker unter sich einen Bund
|z2 machen. Es ist zu hoffen die Realisirung des Iuris Gentium, d.h. es
|z3 wird zu einem allgemeinen Völkerbunde, zu einem ewigen Frieden kommen,
|z4 wenn auch dieses noch in der Ferne ist. Man kann die Geschichte
|z5 ansehen, als die Entwickelung aller natürlichen Anlagen der
|z6 Menschengeschlechter, und die Fortrückung zu ihrer Bestimmung. Rücken
|z7 wir in der Cultur vor oder rückwärts? Wir gehen zum Theil bis weilen
|z8 zurük, aber kommen doch im Ganzen um einen Schritt weiter; so wie der
|z9 Nilstrom, der solche Windungen und Krümmungen hat, daß er zuweilen
|z10 zurükzugehen scheint, aber endlich doch bis zu seinem Ziele in die See
|z11 kömmt. (Die Zeit des Aberglaubens für die Religion hat viel für die
|z12 Kunst gethan. Man fände gewiß nicht die vortreflichen Gemälde in
|z13 Italien, auch nicht die Bildhauerkunst, die damals aufs höchste stieg,
|z14 wenn nicht das Interesse der Religion die Menschen zu dieser Kunst
|z15 begeisterte, indem sie alles durch Gemälde und Statüen vorzustellen
|z16 suchten. Und wäre das Christenthum von jeher gleich rein +.und
|z17 unverfälscht gewesen, so wären auch diese Werke der Kunst nie gemacht
|z18 worden.) Keine Regierung muß suchen den Unterthan glüklich zu machen,
|z19 er muß es selbst thun, sie muß nur negative dabei verfahren, d.h.
|z20 verhüten daß keiner dem andern etwas böses thue. Rousseau

|P_365
|z1 sagt: 1.) die Erziehung muß negativ seyn, auch dieses handelt er in
|z2 seinem schon genannten Buche - Emil - ab. 2.) Gesetzgebung muß negativ
|z3 und positiv seyn. 3.) Die Religionsunterweisung muß auch negativ seyn.
|z4 Wir können auf 2 erley Art unmündig seyn:
|z5 1.) in einer bürgerlichen Unmündigkeit, d.h. man weiß nicht die
|z6 Gesetze und wird darnach gerichtet, dies sezt den Werth des Menschen
|z7 herab. Die Menschen sind so unmündig geworden, daß wenn sie auch frey
|z8 würden, sie nicht bestehen könnten. Menschen können
|z9 2.) in einer frommen Unmündigkeit seyn. Der größte Theil muß der
|z10 Schrift gehorchen, die er nicht einmal kennt, d.h. nicht so kennt daß
|z11 er sie hinlänglich versteht.
|z12 Die Bedingungen einer allgemeinen Verbesserung oder eines vollkommenen
|z13 bürgerlichen Zustandes sind:
|z14 1.) Bürgerliche Freiheit.
|z15 2.) Freiheit der Erziehung, und
|z16 3.) Religions-Freiheit.
|z17 Schnörkel
|z18 Ende
|z19 der Anthropologie


Datum: 28.02.2010