/|P_0

/

/ G. C. W. Busolt.

/

/

/|P_1

/ ≥ Prolegomena. ≤

/Mann macht einen Unterschied, unter Schulkent-
niß %.und Weltkentniß.

/Schulkentniß hat man, wenn man seine Kentniß
nach einem gewissen Sistem andern mitheilen
kann. Welltkentniß aber besizt man dann, wenn
man eben diese seine kenntniß in unterredungen
oder Gesellschafften andern so beybringen kann, daß
man daß wenig Intressante außläßt %.und doch ver-
ständlich genung ist, folglich angenehm. Derjenige ders
leztere nicht kann heißt ein Pedant. Uebrigens kann
ein Pedant ein recht geschikter «m»Man seyn, nur ihm fehlt
das eben erwähnte - -. Das was uns in der Welt
am mehresten beschäfftigt was unsere Neigungen,
unsere Begirden, %.und Unsern Willen, am mehresten
in Bewegung sezt ist der %.Mensch. Weltkentniß ist also e-
ben soviel als Menschenkenntniß. Wenn nun diese
Beobachtung der %.Menschen (antrographie) zu einer Wissen-
schafft gebraucht wird so heißt sie Antropologie,
diese Wissenschafft erlangt man.

/1.) Durch die Länge %.und Vielfältigkeit der Erfah-
rungen %.und durchs Reisen.

/Anmerkungen Wenn man durchs Reisen Antro-
pologische kenntnisse samlen will: so
muß man schon vorher eine genungsa-
me Zusammenhängende %.Menschenkäntniß haben
damit man mit einem gewissen Plan, in den
Verschie<den>heiten der %.Menschen, die man durchs Reisen

/ zu sehen

/|P_2

/zu sehen bekommt, seine Beobachtungen anstellen
kann.

/2.) Wenn man aufmerksame Beobachtungen mit sich
selbst %.und mit andern %.Menschen macht.

/Eine solche %.Menschenkenntniß ist Möglich weil wir
Täglich in unsern Geschäfften %.und i«m»n Gesellschafften
Gelegenheit haben; uns Antropognosie zu erwerben.
Wenn wir durch Erfahrungen die ohne Absicht
sind, %.und durch Beobachtungen uns %.Menschenkennt-
niß verschaffen, %.und dieselben in einem Zusammen-
hange, und nach einer gewissen Methode, oder
mit einem Wort, systematisch vorgetra-
gen werden: so ist sie eine Wissenschafft, die
Man Antropologie nennt. - 

/Es giebt 3 Arten von Lehren.

/1.) Wir müssen uns Geschiklichkeit; durch Theoretische
Wissenschafften <die man> zu allen beliebigen Werken
brauchen kann, zu erwerben suchen

/2.) Wir müssen uns bemühen, uns nach <der Denkungs@art@ %.und> den fähig-
keiten der %.Menschen mit denen wir zu thun haben zu
formen, damit wir ihnen nicht zu schwer auch nicht
zu anstössig werden. Das lehrt uns nun die
Antropologie, die uns zeigt wie wir die %.Menschen
zu unserm Zwek brauchen können. Die Klug-
heitsRegel wird nicht in der Schul, sonder in der
Welltkenntniß gelehrt.

/3. Die Lehre der Weißheit. Diese leitet nicht bloß
auf Vortheile; sondern wie wir dadurch Kräffte

/ der

/|P_3

/der Seele, dinge die nicht notwendig sind entbehren,
%.und die beste Wahl, in unserer Handlung treffen
können. Man kann diese 3 arten von Lehren
auch auf eine Andere Art %.und Kürzer ausdrüken.

/1. Durch die Schulwiessenschafft in der wir Cul-
tiviret werden.

/2. Durch Klugheitslehre in der wir Civilisi-
ret werden.

/3. Durch Weißheitslehre, in der wir uns selbst
schäzen lernen, oder wo wir Moralisirt
werden.

/Lehren die Geschiklichkeit beförden sind Pra«gma»<c>tisch <Practisch>

/- - - - Moral - - - - - Moralisch.

/- - - - Klugheit - - - - Pragmatisch

/So ist eine Geschichte von grossem Nuzen %.und eine
Quelle zur Antropologie, wenn sie Pragmatisch
behandelt wird, daß ich mir nähmlich auß der Geschich-
te eine Klugheitslehre ausziehe, die mir Klug
%.und Vorsichtig in Ansehung der Wahl meiner Hand-
lungen macht, in dem ich immer mehr die Beschaffenheit
der %.Menschen kennen lerne. Eine solche pragmatische
Antropologie ist nun unser Zwek. Sie soll
nicht eine Theoretische Antropologie seyn, die
bloß fragen Aufwirfft %.und in sich <nur> psichologische Unter-
suchungen enthält: sondern wir wollen eine

/ Anweisung

/|P_4

/Anweisung geben, wie man durch eine Beobach-
tung die Beschaffenheit der %.Menschen kennen lernt,
um nur hier zu unsern Zwek gebrauchen zu kön-
nen. Noch eine frage könnte man aufwerf-
fen obs möglich sey, daß man sich eine Voll-
ständige Antropologie verschaffen könne.
Das geth nicht an; weil das Gemüth des %.Menschen
sich sehr verstellen kann. Die Antropologie
beruth auf «E»empirische Lücke, die aus Er-
fahrung gegeben sind. Die lezteren hat man
nun entweder:

/a.) durch Kunst, %.und zwar.

/aa) durch Beobachtung, wenn wir den Gegenstand
so lange wir wollen beobachten.

/%.Anmerkung Der %.Mensch will aber nicht beobachtet wer-
den. Denn so bald mann Jemanden
bemerkt %.und er sieths: so ist er entweder
verlegen, oder er verstellt sich. In beyden
fällen ist der %.Mensch nicht der, der er erst war,
Will man allso beobachten; so muß mans
sichs gar nicht merken lassen.

/bb.) Durch Experimenten. Dadurch kan der %.Mensch
auch nicht beobachtet werden. Mann kann
Wohl mit Thieren %.und Sachen Experimen-
te machen; aber nicht mit %.Menschen; weil so balds

/ ers merkt

/|P_5

/ers merkt, er gerade das Gegentheil davon
thut, was man haben will. So wird er gewiß,
wenn er es bemerkt, daß ich ihn ärgen will, gera-
de zu lermen.

/b.) Durch allgemeine Erfahrung anderer.

/Obgleich nun die Antropologie in dieser art
Unvollkommen ist; so ist sie doch unentbehrlich %.und
schafft gar grossen Nuzen.

/1. In der ErziehungsKunst.

/2. In Absicht des Einflusses den wir auf andere ha-
ben. Besonders den Befehlshabern, die bey einer
gehörigen %.MenschenKentniß ganz ander«¿»s zu werke gehen
können, da ohnedem nicht alles durch gewalt ausge-
richtet werden kann.

/3. In Absicht des Einflusses auf Moral %.und Religion,
da man diesen Pflichten die Krafft der Triebfedern,
durch diese Kentnisse geben kann.

/Diese Charakteristik (denn die Antropologie ist
eigentlich eine Charakteristik, wird in Ansehung
ihrer Methode eingetheilt in die Lehren.

/1. Von dem Character der Personen

/2. - - - - - - - Geschlechter

/3. - - - - - - Völker

/4. - - - - - - Gattung

/Es ist schwer die Menschheit nach allen ihren Grundsä- 

/ zen

/|P_6

/Grundsäzen zu kennen; weil wir Zwischen Mensch-
heit %.und andern Vernünfftigen Wesen keine Spe-
cifische Vergleichung anstellen kann. Es ist daher
ein Grosser Umstand den Character der Menschheit
in der Antropologie zu bestimmen.

/ ≥ Von dem bewußtseyn seiner selbst. ≤

/Ich ist dasjenige worauff der Mensch seine größte
Aufmerksamkeit sezt. Auf seine Person sezt er bey
allen Gedanken %.und Handlungen einen Werth. Zu
dem Begriff Ich, samlet sich daß Intresse des
Menschen. Wenn aber jemand das Ich in einer Ge-
sellschafft beständig anbringt: sonent man den,
einen Egoisten %.und die Sache einen Egoismus. Das
ist ein grosser fehler, %.und zeigt an, daß man we-
nig Klugheit %.und besonders wenig Aufführung hat.
Denn man gewinnt immer mehr wenn man
den andern %.Menschen dazu bringt, daß er von sich spricht.
Diese Art den Andern dahin zu bringen, daß er seine
Geschiklichkeit %.und seinen Werth gegen mich zeigt, ist
die beste, Des andern Neigung %.und Achtung %.und Achtung
zu gewinnen.

/Montagne, ohnerachtet seine Schreibart rauh war; so
hat er doch einen daurenden Beyfall erhallten. Er
redet zwar immer von sich selbst aber weil er %.Menschen
kentniß vorträgt; so kann er es füglich nicht an- 

/ ders thun

/|P_7

/anders thun, %.und sich %.und seine Neigungen prüfen; um
von diesen auf andere zu schliessen.

/Der Moralische «Mensch»<Egoist> ist der der sich verblenden
läßt, daß er alles ausser sich gering schäzt. Diese
Regung der Selbstliebe muß man im Zaum hal-
ten.

/Der Aestetische Egoist ist eben derselbe, von
dem geredet worden. Nur daß er etwas von
sich sagt indem er andern den Vorzug gönnt.

/Der Phisische Egoist ist der, der sich immer an die
Stelle eines Objects Hat. - So zE. geben die
Hipochondrischen Leute beständig auf sich selbst
acht, %.und indem sie sich selbst immer zum gegenstand
haben, geben Sie offt was Ungereimtes in Ge-
sellschafften an. Alles dieses selbst zufühlen ist
wirklich Unnüz. Denn was ich fühle ist unbrauch-
bar. Je mehr kentnisse man aber von den Ob-
jecten hat, desto nüzlicher ist man. Bey dem immer
währenden selbstgefühl, verliert sich seine ganze
tätigkeit %.und Lebhafftigkeit, der %.Mensch wird ein Wahrer
träumer; weil bey ihm die Einbildungskrafft, die nicht
durch den Verstand geleitet wird, allerley Chimaeren
%.und die größte Grüllen %.und thorheiten hervorbringt.
Die Abziehung vom Selbstgefühl, ist Erholung des Ge-
müths, die dadurch bewirkt wird, wenn ich durch eine
Wühlkührliche Zerstreuung in Gesellschafft mein Gemuth
auf verschiedene Vorstellungen herumschweiffen lasse.

/ Wodurch

/|P_8

/Wodurch denn auch die Aufmerksamkeit, auf sich
selbst aufhört. Eine gesunde Seele ist immer aus-
se«¿»rhalb beschäfftigt. Eine Kranke Seele ist wieder
immer mit sich selbst beschäfftigt, %.und daher ent-
steth denn Phantastisches Wesen %.und Schwär-
merey. - Durch grosse Aufmerksamkeit
wird man entweder genirt oder affectirt.
Genirt ist man wenn man im Umgange eine
gar zu grosse pünktlichkeit beobachtet %.und dadurch
am Ende gegen sich selbst Mißtrauen erregt.
Mann weiß nicht wie man sich vortheilhafftig
zeigen soll. Daß alles rührt aber bloß daher,
wenn man auf sich so sehr acht giebt. Aus die-
ser verlegenheit aber, entsteth es, daß der %.Mensch
es noch schlechter, als er es würde gemacht haben.
Ungenirt zu seyn ist also schon ein grosser Vor-
theil.

/Man affectirt wenn man im Umgange sich,
bestrebt daß ein anderer eine vortheilhaffte
Meynung von seiner Persohn haben soll. Das
Afect<i>ren erregt aber würklich lachen oder
Mitleiden bey den andern %.Menschen. Die %.Menschen können
von einem solchen auch leicht schlüssen, daß er
ohne Affectation gar nichts ist. Am

/ besten

/|P_9

/Am besten kann ein solcher %.Mensch durch gleichgültigkeit
%.und Spott gedehmütigt werden.

/Naivitaet ist ein natürliches Betragen ohne
Lust, wo Wahrmühtigkeit %.und Freyheit ver-
bunden ist. Wenn man nicht genirt auch nicht
Affectirt ist; so kann man diese Naivitaet haben.
Er ist eine Natur die Wie Kunst aussieth. - Die
Aufmerksamkeit auf den äussern Anstand blikt
nicht hervor, aber nichts desto weniger ist Bescheiden-
heit da, die aber ohne Premeditation ist - Man
nimmt aber dieses Wort nicht immer in der Bedeu-
tung: sondern gewöhnlich nent man Naiv die
Kinder, die jungen frauenzimmer %.und die Bauern.
Man nent dieß auch air de_gage.

/ ≥ Von den Dunkeln Vorstellungen. ≤

/Dunkle Vorstellungen sind die, deren wir uns
nicht unmittelbar bewußt sind; sondern durch
ihre würkung. Alles was unser Gedächtniß enthält,
liegt im felde der Dunkel Vorstellungen. Viele be-
streiten daß daseyn der Dunkeln Vorstellungen
%.und sagen; Wie kann man von dem Daseyn Dunkler
Vorstellungen überzeugt seyn wenn wir uns Ihrer
nicht bewußt sind; hierauf kann man antworten.
Es ist eben nicht nöhtig daß man durch Empfindung
sich bewußt ist, wenn man durch Schlüsse zum be-
wußtseyn kommen kann. So erklärten <zE> die Alten

/ schon den

/|P_10

/schon den Schimmer der Milchstrasse, als ein Licht einer
menge Sternen, ohnerachtet sie die Sterne in die-
ser strasse, wegen Mangel a«¿»n ferngläser nicht
kannten.

/Diese dunkle Vorstellung exisstirt würklich %.und
spielt bey den %.Menschen eine grosse Rolle. Wenn sich
der %.Mensch aller dieser Vorstellungen auf einmal bewußt
wäre, so würde er über den Vorath derselben
erstaunen. Allein das Vermögen des Zurük-
führens dieser Vorstellungen, ist bey uns so einge-
schränkt, daß sie nur einzeln %.und bey Gelegenheit
an den Tag kommen. - Man kan sich die %.Menschliche
Seele als eine Karte Vorstellen, deren illumi-
nirten theile; Die klaren; gewisse besonders helle
, die deutliche %.und die Unilluminirten theile die
Dunklen Vorstellungen bedeuten. Lichte, nehmen
den größten Plaz ein, %.und liegen den klaren
Zum Grunde. Die %.Menschen werden offt ein Spiel dunkle-
rer vorstellungen. Wenn ein %.Mensch bey einer Sa-
che Zweifel hat, %.und in dieser Sache sind die Vorstellun-
gen Dunkel: so ist daß eine Skrupel. Werden diese
klar so sind es einwürfe. Diese Dunklen Vorstellun-
gen sind denen %.Menschen eine angenehme beschäfftigung
; weil er die Veränderung von Licht %.und Schaaten
sehr liebt zE. Ein wiziger Einfall. Die plözliche Ver-
sezung der Gedanken in uns, %.und die plözliche bele- 

/ bung der

/|P_11

/belebung der Denkkrafft ist angenehm; weil bey
einer anfänklich scheinenden Dunkelheit sich
auf einmal eine Menge von Gedanken vor
uns aufdekt. Durch dunkle Vorstellungen, sehen
wir die Stärke des Eindruks entweder zu schwä-
chen oder zu stärken. zE. durchs Wort Commo-
ditaet, wird die Stärke des Eindruks sehr ge-
schwächt, weil ich gleichsam durch eine Menge
von andern Vorstellungen erst auf diese komme
%.und in der Zeit die Vorstellung ihren Eindruk
verliert. Durch Künstliche Verdunkelungen wo-
durch der Einbildungskrafft mehr zu schaffen
gemacht wird, geschieths auch daß der Eindruk
einer Vorstellung desto stärker wird; zE. bey
allen den Ausdrüken die zu den Galanterien
beyderley Geschlechts gehören. Die Dunkelheit
sobald sie spuren von Licht verräth, strängt
unsere Aufmerksamkeit an.

/Unser Sinn ist offt ettwas klar, wir sind es uns aber
nicht bewußt, %.und wir können uns erst dessen be-
wußt werden durch Schlüsse. So zE. Wenn je-
mand in der ferne geth so glaubt man ihn zu sehen,
seine Augen, Nase %.und dergleichen aber nicht. Sehe
ich aber dessen Augen nicht: so sehe ich auch einen
flek so groß wie die Augen nicht; also kommts
heraus wir sehen ihn am Ende gar nicht.

/ Wir sehen

/|P_12

/Wir sehen ihn aber doch, also müssen wir
auch seine Theile sehen. Ein ander beyspiel
wäre. Iesezt der Mond ist ein solcher Körper
wie die Erde, wie er es würklich ist; so hat er
auch solche thiere %.und andere Sachen wie Unsere
Erde. Ist nun ein Pferd im Monde so muß
ichs sehen; denn sehe ichs nicht so sehe ich auch den
Pflek nicht der so groß <ist> wie daß Pferd im Monde
; %.und so auch alle Pfleken nicht die so groß sind
wie ein Pferd, sehe ich alle nicht; folglich sehe
ich den auch den Ganzen Mond nicht. Den Mond
sehe ich aber doch also auch seine theile, folglich
auch dieses Pferd, aber ich bin mich dessen
nicht Bewußt -.

/ ≥ Von den Deutlichen Vorstellungen. ≤

/Die Deutlichkeit beruth auf Ordnung, so wie die Un-
deutlichkeit auf Unordnung beruth. Kann ich
meine Gedanken in Gewißheit %.und Volkommener Ordnung
hervorbringen; so ist dieß die Deutlichkeit. Der
Geist der Ordnung ist sehr unterschieden. Derjenige
der eine Gar Zu grosse Anhänglichkeit %.und eine ge-
wisse Peinlichkeit bey der Ordnung Verräth, der auch
mehr Aufmerksamkeit auf formalität als Re-
alität verschwendet, ist ein Pedant. Derjenige
der sich nicht um Deutlichkeit seiner Vorstellungen
bewirbt ist ein leerer Kopf Beyde Denken nur

/ darauff

/|P_13

/darauf, der Sache eine Gewisse form zu geben,
wenn auch auf Kosten des innern Werths. - Unter
den %.Menschen herscht aber eine gewisse edle Nachlässig-
keit, wo man die Regeln der Ordnung nicht so genau
%.und Peinlich beobachtet, %.und wo man die freyheit
sucht, um dem Gemühte nicht durch Zwang der Regeln
zu thun zu geben. An den Deutschen Autoren
bemerkt man einen grossen Hang zur Ordnung
In ihren Sitten, Gebräuchen, %.und aufschrifften. So
wie im gegentheil bey den franzosen, eine
gewisse edle Nachlässigkeit angetroffen
wird. Viele halten daß faßliche vor deutlich, %.und
daß Unfaßliche vor Undeutlich. Dis ist aber falsch
denn gemeinhin ists daß Gegentheil wenn
man eine Sache Deutlich machen will (nähmlich
mit einer Gewissen leichten art) so wird sie
dadurch Unfaßlich. Macht man sie aber zu faßlich,
so wird sie dadurch Undeutlich. Die populäre
Deutlichkeit, wo es scheint, als ob sie keine
Mühe koste, ist ein Kunststük.

/Die Deutlichkeit ist das Wahre Gegenmittel vor
Schwärmerey, wo die Einbildung ohne alle Ge-
seeze %.und Regeln auch ohne Vernunfft herum-
streifft, %.und wo man stat Vernunfft_Begriff em-
pfindungen sezt. Die Schwärmer leiden keine
Definitiones. Ihrer Meynung nach muß der

/ Begriff

/|P_14

/Begriff nicht durch deutliche Erklärung ins Detail
sondern nur alla gros dargestellt werden. Sie
sehen nicht darauf was man versteth: sondern
was man fühlt, %.und die Aufforderung zu deutlichen
Begriffen, bringt die Schwärmerey da sie sich immer
hinter dunkle Begriffen versteken, zum Verstümmen.

/ ≥ Von der Vollkommenheit der Erkäntnisse. ≤

/Die Vollkommenheit der erkentniß ist ein Verhältniß,

/mit dem Verstande - - - - - Wahrheit
/Grösse %.und
/Deutlichkeit

/mit dem Geschmak - - - - - Neuigkeit
/Lebhafftigkeit
/Leichtigkeit

/mit dem Willen - - - - - Sinnlichkeit %.und
/Nüzlichkeit.

/Wahrheit ist die größte aller Vollkommenheiten
aber nur für den verstand, nicht für die Meinung.
Wahre Täuschung, Ihrthum %.und falscher Schein, sind
für den %.Menschen angenehm weil dadurch ihre Wünsche
eine Zeitlang aufgehalten werden. Der Wahr-
heit ist Irthum %.und Unwissenheit entgegengesezt; Ihr-
thum ist eine Positive Hinderniß der Wahrheit %.und wenn
der weggeschafft ist so trit Unwissenheit ein Wel-
cher ein Mangel der Erkentniß ist. Unwissenheit bringt
uns gar nicht zur Erkäntniß der Wahrheit: sondern wir

/ müssen

/|P_15

/müssen auf dem Weege der Irthums zur Erkänt-
niß der Wahrheit gelangen. Das Antropologi-
sche Kriterium der Wahrheit ist, wenn wir unser
Uhrtheil, an dem Irthum des Publicums Pfrüfen;
Die Grösse %.und Deutlichkeit gefallen auch nur @für@
sich allein. Die Aestetische Vollkommenheit, bestetht
in der Neuigkeit, Leichtigkeit %.und Lebhafftigkeit.
Sie hat freilich keinen solchen werth, das man dadurch
was Reelles erhalten sollte: sondern sie bildet
bloß den Geschmak. Diese Volkommenheit geth bloß auf
Unterhaltung. Die practische Vollkommenheit,
wo ein %.Mensch zu einem gescheitern %.und bessern %.Menschen
gemacht werden soll besteth in der Sinnlichkeit %.und
Nüzlichkeit.

/ ≥ Verschiedene Bemerkungen. ≤

/1. Einfälle bedeuten eine Vorstellungsart welche be-
trachtet wird, als ein Versuch Zu Uhrtheilen, aus
einem Bloß zufälligen Grunde. Mann kommt
Offtmahls auf gedanken, zu denen man keinen Vor-
saz oder Vorbereitung, oder Absicht gehabt. Sie kön-
nen nicht verachtet werden; sondern sie müssen
dazu gebraucht werden, daß sie zum Nachdenken@den@ %.und
zu entdekungen anlaß geben.

/2. Die Paradoxa Ist ein mit Verstand gewagtes
kühnes Uhrtheil. - Man wagt ein Uhrtheil, das
mit dem Verstande durch gedacht, aber den alge-
mein angenommennen Grundsäzen zuwieder, ist.

/Läsion @Ein solches@

/|P_16

/Ein solch Paradoxes Uhrtheil ist immer was Originelles.
Es ist auch einmahl eine Neue Aussicht %.und eine Anzeige
Zur Nähern Nachforschung. Die Paradoxe Köpfe
deren vielen unter den Satyrikern sind, sehen alle
Dinge aus einem andern Gesichtspunkte an, %.und sie
selbst sind andern ein richtiges Object. Das Para-
doxe kann nüzlicher als das Alltägliche seyn.

/3. Der Nuzen der Erkäntniß. Derjenige der den Werth der
Erkäntnisse nach dem Nuzen schäzt, ist ein sehr ein-
geschränkter Kopff; indem die erkäntniß an %.und für
sich schon einen Werth hat.

/4. Der Vortrag der Erkäntniß. Pragmatisch ist er,
wenn vie Sinn darinn enthalten ist, Estetisch,
Hypotätisch oder Selbstständig.

/ ≥ Von dem Vermögen der Sinnlichen Erkänntniß,
Im gegensaz mit dem Verstande. ≤

/Die Sinnlichkeit ist ein Vermögen, uns Anschauung
in Concreto zu geben, oder sie ist ein Vorstellungs-
Vermögen uns etwas in Gewissen fällen anschau-
lich zu machen. Mann beschuldigt die Sinne daß
sie den Verstand verdunkeln oder betrügen. Wir
werden sie hier aber vertheidigen %.und ihnen eine
Antropologische Rechtfertigung halten. Die Sinne
betrügen nie denn sie Uhrtheilen nicht sondern sie
nehmen nur wahr. Der Verstand aber Uhrtheilt,
wenn der nur nicht genungsam beuhrtheilt, was ihm

/ die Sinne

/|P_17

/die Sinnen vorgelegt haben; so Uhrtheilt er nicht
recht, %.und dieser Verabsäumte gebrauch des Ver-
standes, in absicht der sinne ist schuld daran. Die
Sinne Verdunkeln auch nicht denn sie sind Klar
in Ihren Vorstellungen, die Klahrheit der Be-
griffe aber muß der Verstand geben. Die
Sinne geben dem Verstande die Materialien,
diese muß der Verstand in Ordnung bringen, sonst
ist es ein Willdes Gewäsch von Vorstellungen.
Die Ordnung ist hier eine Sache des Verstandes.
Etwas versinnlichen heißt etwas Anschaulich machen.
Daß ist eine Vollkommenheit die dem Verstande sehr
hielfft. Zwar geben sie mir einzelne Vorstellun-
gen, %.und der Verstand macht allgemeine Begriffe
davon. Dieß scheint eine Einschränkung zu seyn;
«e»aber das ists nicht, denn die Sinnlichkeit gibt ihrer
Natur nach Anschauung in conc«t»reto; %.und der Ver-
stand macht seiner Natur nach Begriffe in Ab-
stracto. Durchs erstere werden die Begriffe
versinnlicht %.und nur denn wird der Verstand Corrum-
pirt, Wenn daß was zur Sinnlichkeit gehört zum
Verstand mitgerechnet wird. Die Sinnlichkeit ist
eine Edle %.und unentbehrliche Erkäntnißkrafft,
wodurch wir Unseren Begriffen Beyspiele %.und
Anschauung geben. Die Empfindungen beleben
auch die Begriffe. Ein Menschlicher Begriff intres- 

/ sirt nur

/|P_18

/Intressirt nur in Beyspielen, wodurch der Be-
griff belebt wird. Der Verstand macht nur kall-
te Beobachtungen, die durch die Sinnlichkeit in Würk-
samkeit gebracht werden. Dieses Spiel der Ge-
müthskräffte, nach seiner Wüllkühr %.und Gewallt
über sich selbst gebrauchen zu können, ist eine Haupt-
vollkommenheit des %.Menschen Die Sinnlichkeit ist die
untere Erkäntnißkrafft; weil sie die unwühl-
kürlichen Vorstellungen nicht im Stande ist zu ge-
brauchen. Der Verstand ist die Obere Erkäntniß-
krafft. Denn ich kann nach wüllkühr meine
Begriffe machen. Was hat nun mehr Werth?
eins ist so nothwendig als andere, weil beide
zusammen einen Zwek haben. Die Sinnlich-
keit kann ohne Verstand Vorstellungen ha-
ben; Der Verstand aber nicht ohne Sinnlichkeit;
Denn das Denken ist bloß Anordnen in Abstrac-
to der Vorstellung, die wir in Concreto haben,
. Beyde also sind zu einem gemeinschafft-
lichen Zwek nothtwendig. - Umgekehrt hat
der Verstand wieder den Vorrang, insofern
er der Sinlichkeit Regeln vorschreiben muß.

/Was hat der Verstand in Ansehung mit der Sinnlich-
keit zu thun? Der Verstand muß die Oberher-
schafft in solcher art haben; daß er das ganze
Spiel der Sinnlichkeit so zu bemerken weiß um da-
durch seinen Endzwek zu <e>rreichen.

/ %Anmerkung: Die %.Menschen

/|P_19

/Bemerkung. Die Menschen haben Zwar alle Sinnlich-
keit, aber ein %.Mensch ist sinnlicher als der andere;
weil erstere nicht Verstand genung haben über die
Sinnlichkeit zu herschen.

/Kinder %.und Weiber werden für sinnlich gehalten.
- Der Verstand ersterer macht mit der Sinnlichkeit
die ersten Versuche. Ein deutlicher Beweiß hirvon
ist, daß die Kinder am leichtesten Begriffe durch Kupfer-
stiche erhalten - Das Weibliche Geschlecht, muß seine
Begriffen immer mehr versinnlichen; weil sie ver-
möge des Natürlichen Herzens in allen Stüken
auf Sinnliche Darstellung hinnausgehen, Das
Uebergewicht der Sinnlichkeit findet auch bey dem
gemeinen Mann stat; er ist gemeinhin abgehalten
den Verstand zu gebrauchen. Ie grösser die Sin-
lichkeit ist, desto kleiner ist der Verstand. Orienta-
lische Völker haben mehr Sinnlichkeit als Ver-
stand. Denn sie Reduciren ihre Begriffe größ-
tentheils auf Bilder. Die Orientaler scheinen
weniger Natur gaben als die Occidentaler
zu besizen.

/Die Sinnlichkeit ist auch in der Jugend stärker als
im allter; indem sie ehr als der Verstand ab-
nimmt. Die Uhrtheilungskrafft aber wächst im
Alter. - Sinliche Vorstellungen sind erholun-
gen; weil ich mich da bloß dem Eindruk überlasse.
Mahler, Dichter %.und Musiker muß man den Na-
men Virtuos beylegen, den sie Zeigen in ihren Pro- 

/ ducten

/|P_20

/Producten, daß sie Reglen der Sinnlichkeit ausüben.
Die Mahlerey Cultivirt die Sinne vor sich selbst %.und
dient zu nichts als durch ihre Producte, die ganze
Stärke der Einbildungskrafft zu erreichen. Die Dich-
ter suchen Billder zu finden, um den Verstandesbe-
griffen immer näher zu kommen. Die Musik lehrt
uns nichts: sondern belebt blos unsere Empfindung
durch Harmonie.

/ ≥ Vom Leichten %.und Schweren. ≤

/Die innere Leichtigkeit ist der überfluß der Kräf-
te, die man über den Grad der zur Arbeit ge-
braucht wird besizt. zE. einem der einen Centner
trägt, ist ein %.Mensch leicht. Die Leichtigkeit ist uns
angenehm die Schwere aber nicht, erstere Ermü-
det uns nicht in Geschäfften, %.und verstattet uns auch
noch, nach ihrer verrichtung gleich drauf mit andern din-
gen <uns> zu beschäfftigen. Die Abwechselung ist jedem
beliebt; %.und läßt uns niehmalen den Muth sinken.

/Die aeussere Leichtigkeit besteth im Mangel der Hin-
dernisse wenn denen Kräfften die wir haben, nicht
aeusserlich entgegengewürkt wird.

/Schwere ist ein grosses Verhältniß unserer
Kräffte, Zu einem erlangenden Zwek. - Die-
ser Gedanke leidt veränderung. Es kann einem
etwas schwer seyn was dem andern leicht ist.
Dieses Schwere unterscheide man von der Be-
schwerlichkeit. Es ist diese <Beschäfftigung> wozu wir keine Lust ha-
ben, wo kein trieb ist, leer %.und ohne Zweek. So ist zE

/ Dem Mann

/|P_21

/Dem Mann nichts Beschwerlicher als Compliments.
Etwas leichtes thun, bringt nicht Ehre, weil jeder es
thun kann. Etwas schweres thun macht Ehre; weil
es Geschiklichkeit %.und Anstrengung der Kräffte an den
Tag legt.

/Etwas schweres aber leicht zu machen <hiezu> mußen vie-
le«n» Natürliche Anlagen seyn. Die Franzosen
besizen darinn viel Geschiklichkeit.

/Das Schwere nach seiner Nothwendigkeit zeigen,
ist nothwendig, damit der andere, der das Ver-
mögen hat eine Sache durchzusehen, sich damit ge-
faßt machen kann, %.und dadurch wirds schon leichter.
Derjenige dem alles Schwer vorkommt ist genirt oder
Peinlich; dem wieder alles leicht vorkommt, <der> ist
leichtsinnig oder Unbedacht auf die Schwierigkeiten.
So geths auch in Ansehung der Gesinnungen. Dieje-
nigen die leichtsinnig sind, sind doch besser zu ge-
brauchen als die Peinlichen, weil erstere mehr
Muth haben. Faulenzer machen alle arbeit aufein-
mal vor, damit sie nur lange faulenzen können.
Das beste ist woll bey allen dingen die Mittelstrasse.
beständig arbeiten wenn es die Kräffte erlauben,
%.und nie zu schwer.

/Cholerische Leute sind beschäfftigt, aber sehr
manigfaltig.

/Flegmatische Leute, arbeiten zwar steetig,
aber nicht schweer, davor arbeiten sie eine
lange Zeit.

/ Sanguinische

/|P_22

/Sanguinische lieben leichte Arbeit; aber auch
nur kurze Zeit.

/Melancholische Leute übernehmen muehsame
%.und schwere Arbeiten, in einer langen Zeit. Gewohn-
heit macht alles leicht. Denn durch die öfftere Ausübung
gewisser Handlungen, werden wir aller dabey sich be-
findlicher Uhrtheile inne.

/Angewohnheit macht eine Nothwendigkeit der
Handlungen. ZE. ein %.Mensch, der einen andern in ge-
wissen Maniren oder Ausdrüken %.und Redensarten,
zum Scherz nachgeahmt hat, denn wirds her«¿»nach zur Ange-
wohnheit, daß mann es nicht lassen kann. ferner
wenn sich jemand das Schlaffen nach dem Essen ange-
wöhnt hat so ist es nachgehends nothwendig daß er alle
nachmittag schlaffe. Die Angewohnheiten gehen auch
sogar auf Empfindungen, so daß man weder daß An-
genehme noch daß Unangenehme fühlt zE. das Geräusch
auf der Strasse, ist jedem der es nicht gewohnt ist Unan-
genehm. Mann erhält zulezt Geduld, we<l>che Gewohn-
heit aus der Länge der Zeit herkommt. So muß man
sich auch gewöhnen in seiner Jugend beschwerden auß-
zuhalten, um sie gewohnt zu seyn. - Neuigkeit
stärkt unsere Empfindungen. Die Aufmerksamkeit
wacht auf, weil eine Erlangung der Erkenntniß
erwartet wird. Die Absehung eine Art von Em-
pfindung macht unsere Empfindung auch sehr Lebhafft.
ZE. wenn man lange Durch eine Sandwüste gereiset

/ ist

/|P_23

/ist %.und auf einmal fruchtbares Land zu sehen bekommt, es
darf so sehr fruchtbar nicht einmal seyn: so belebt
es schon unsere ganze Empfindung. Wenn wir mit
Personen von edleren Eigenschafften als wir haben umge-
ben sind: so macht daß auch eine Lebhaffte Empfindung.
Um seine Empfindungen zu erheben, muß man Wech-
sel %.und Abstechungen suchen. So ist es mit den Engli-
schen Gärten. Das Unerwartete macht auch die Em-
pfindung stärker zE. Ein Kluges kind - Eine Wiese
in Norwegen. Der schluß einer Sache stärkt auch, nur
am mehrsten die Empfindungen. So ist es in einer
Rede, wo der Schluß derselben zum Uhrtheilen am mehre-
sten an«f»laß giebt. Und es kommt würklich auf den Schluß
an, ob daß Uhrtheil gut oder schlecht ausfallen soll. Wenn
auch zE. eine Gesellschafft vorher nicht sonderlich vergnügt
gewesen aber am Ende Aufgereimmt wird: so giebt es
unsern Empfindungen doch sollchen schwung, das wir ans
erstere gar nicht denken. Wenn also von einer Ge-
sellschafft geuhrtheilt werden soll; so kommts sehr darauf
an wie sie auseinander geth - Es kommt hier auf den
Nachschmak an, oder wie die lezte Empfindung ist, welche
sehr in Unserm Uhrtheil über das ganze entscheidet. Die
Empfindungen, werden geschwächt durch eine andere
Unangenehme Empfindung.

/ ≥ Von der Attanction %.und Abstraction. ≤

/Die Aufmerksamkeit ist das Vermögen, daß Bewußtseyn

/ seiner Vor- 

/|P_24

/seiner Vorstellungen, klar zu machen, zu stärken
%.und zu vergrössern. Die Abstraction ist das Vermögen
eine Vorstellung in sich zu verdunkeln. Die Auf-
merksamkeit ist.

/1. Intensiv. Wenn ein grosser Grad der Aufmerksam-
keit erfodert wird, die Vorstellung klar zu machen,
%.und zu erhalten.

/2. Protensiv. Das Vermögen eine lange Zeit eine
Vorstellung, in sich klar zu erhalten.

/3. Extensiv Wo man die Aufmerksamkeit auf ein-
mal auf viele Gegenstände wendet. Unangenehme
Vorstellungen loken uns unangenehme Attanction
ab, welches unwillkührlich geschieht. zE. Wenn man
ein Unangenemes Geschrey auf der Strasse
hört; so wartet man, ohnerachtet man wünscht
daß das Geschrey aufhören möchte, obs nicht wie-
derkömmt. Die Attantion giebt zu einer Refle-
xion anlaß; weil durch die Abstechung vergleichungen
angestellt werden. Hipochondrische Leute
sind von sollcher Attanction sehr geplagt, die ganz
unwillkührlich ist. Dieser unwillkührlichern Aufmerk-
samkeit, wird Negative, entgegengesezt, die - 

/Gedankenlosigkeit. Sie best«¿»ehet darinn, wenn man
keine Aufmerksamkeit anwendet %.und nachher nicht
weiß waß man gedacht hat. Mann läßt da sei-
ne Vorstellungen herum schwärmen %.und wendet
seine Aufmerksamkeit auf keine Vorstellung

/ besonders. Die Abstr- 

/|P_25

/Die Abstraction ist eine wahrhaffte Handlung,
wodurch ich meine Aufmerksamkeit von etwas
abwende, um die Vorstellung davon bey mir zu
verdunkeln. Das ist schwer %.und Erfordert Anstren-
gung: Denn beym Abstrahieren muß ich wiederste@h@n
%.und beym Attendiren hab ich bloß eine Vorstellung, die
ich zu unterhalten suche. Die Abstraktion ist so wie
Attanction Willkührlich %.und Unwillkührlich. Eine Un-
willkührliche Abstraction heiß Distraction. Denn da
ist man zerstreut, %.und verwendet, die Stärke der Auf-
merksamkeit auf andere Gegenstände. Specula-
tive Köpfe Abstrahiren zuviel. Viele %.Menschen werden
dadurch Unglüklich, indem sie zuwenig Abstrahiren.
Denn von Wiederwärtigkeiten des Lebens Ab-
strahiren zu können ist sehr Nothwendig. Von der an-
dern Seite sind wieder viele %.Menschen Unglüklich, weil sie
zu wenig Attendiren. zE. der zu wenig Attendirt
macht nicht so geschwinde seyn Glük, als der sehr Attent
ist. Der Stoiker fodert zu seiner Glükseeligkeit
eine Solche selbstbeherschung, in Ansehung der Attanc-
tion %.und Abstraction.

/Die Vorstellungen sind.

/Perceptiones primariae vel complexe et percep-
tiones adhaerentes.

/Die Inhaerirende vorstellungen sind sehr wichtig
zur entscheidung des innern Effects. Perceptiones

/ ad haerentes

/|P_26

/adhaerentes sunt vehiculae perceptionum
primarum. - Die Hauptvorstellungen müssen
immer Nebenvorstellungen haben. zE. Ein Prediger hat
wenn er Prediget ein Thema, das ist perceptio pri-
maria, die andern vorstellungen sind perceptio-
nes ad haerentes. Die Adhaerirende Vorstellun-
gen, sind zuweilen die ersten. zE.: sagt, Rouses
Ein schlechtes Bild muß einen Goldnen Rahmen
haben; weil es sonst noch schlechter beuhrtheil wer-
den würde, wenn der Rahmen nicht vergoldet
wäre. Das Bildniß ist hier die Preceptio prima-
ria %.und der Rahmen die Perceptio adhaerens.
Wenn leztere nun ihre Aufmerksamkeit auf sich
Zieht; so verliehrt sich dadurch die erste Vorstellung.
Anständigkeit ist eine adherirende Vorstellung in Anse-
hung der Moralischen Vollkommenheit, von der Ehrlich-
keit %.und Redlichkeit. Alle Ceremonien sind adherinende
Vorstellungen, wo die Aufmerksamkeit, auf sollche fey-
erlichkeiten gewand %.und nicht so sehr auf Realitaet
gesehen wird. Sie sind nothwendig, den %.Menschen die wenig
aufgeklärt sind, wo aber die Begriffe aufgeklärt sind
müssen sie wegfallen, weil sie sonst preceptiones
primarias nur verdunkeln, Heilige Gegenstände
in soferne sie Rührung hervorbringen, ist Andacht,
%.und in sofern sie bessern ists Erbauung. Die Rührung
heißt nichts denn sobald sie vorbey ist, ist auch der Vor- 

/ saz vorbey

/|P_27

/Vorsaz vorbey. Aber man muß belehrt, oder aus Ein-
sichten gerührt werden. Durch anherirende Vorstel-
lungen kann eine Sache Gefallen, %.und daß ist
Hauptsächlich im Anfange nöhtig.

/Wenn die Ideen so eingetheilt werden, daß per-
ceptiones complexae, immer hervorragen, %.und die
Adherentes nur kleiner machen: so nennt man
diese Klahrheit Bündigkeit. Wenn man alles in
einer Vorstellung dur<ch>sähen kann, %.und nichts dunkles
darin ist; so nennt man das faßlichkeit (perspicu-
itas)

/%Anmerkung: Welche Mittel gehören dazu, um den Gang
unserer Vorstellung zu befördern? Es jemand am
Besten denken, wenn er am Camin feuer sizt %.und
die flamme spielen sieth. Ein anderer wenn er
bey einem rauschenden Bache sizt, %.und die Wasserbla-
sen da immer so betrachtet. Ein dritter denkt am
besten, wenn er eine Grosse %.und weite Ebene vor sich sieth.
Ein 4ter kann nicht ohne Tabaks-Pfeiffe denken. Und
so giebts verschiedene, wo einer immer was anders
hat, was ihm äusserlich beschäfftigen muß. Mann kann
daß nicht anders erklären, als auf solche Weise.
Wenn wir Unser Gemüth anstrengen wollen, da-
mit wir Unsern Zwek erreichen, so muß daß Ge-
müth frey %.und von Aeussern Sachen ungestört
seyn. Dieses Geschieth wenn wir mit aeussern Sa-
chen beschäfftigt sind die Ohne Zwek sind. Diese Aeus-
sern Sachen verhindern, daß das Gemüth nicht andere

/ Eindrüke

/|P_28

/Eindrüke erhält, %.und weil die Sache keine Aufmerksam-
keit zum Zweke hat, so bleibt daß Gemüth frey %.und
man kann, bey der äusserlichen aber Zweklosen
beschäfftigung der Sinne, frey denken.

/Die Krafft der Vorstellungen Von der Ueberredung
%.und Ueberzeugung. Man kann etwas bis zur Ue-
berzeugung oder Ueberredung beweisen; %.und den
Unterschied hievon wahrzunehmen ist schweer.

/Ueberredung ist ein fürwahrhalten aus lauter
Subjectiven Gründen, die für Objectiv gehalten
werden. Ueberzeugt beruth bloß auf Objecti-
ve Gründe. Das Ueberredungs_Vermögen zu
besiezen ist nicht gut. Redner sind diejenige die
Das Vermögen zu überreden haben; Vorstel-
lung ist die Art wie etwas dem Andern faßlich
gemacht wird. Diese Kunst ist von Grosser wich-
tigkeit.

/ ≥ Von der Sinnlichkeit. ≤

/Die Sinnlichkeit ist.

/1. Das Vermögen Dinge Unmittelbar Anzuschauen.

/2. Die Einbildungskrafft ist ein Vermögen der An-
schauungen in Abwesenheit der Gägenstände, so
wie Anschauung D.I. eine Unmittelbare Vorstel-
lung einer Sache, wodurch Gegenstände unserm Ge-
müth gegeben werden, welche nicht Begriffe sind,
Vor Gegenwärtigen Vorstellungen die Sinnlichkeit ist.
Dieses sind die Beyden Haupttheile der Sinnlichkeit. Von
dem Sinnen oder Anschauungsvermögen der Gegenstän-
de, insofern sie Gägenwärtig sind, wollen wir jezt

/ handeln

/|P_29

/handeln.

/Der Sinn ist das Vermögen sich ein Obje«¿»ct vorzustel-
len, insofern wir davon Afficirt werden. Alles
was Sinn betrifft auch die Eindrüke, die durch die
Gegenstände gemacht werden, als wodurch das
Gemüth afficirt wird -. Es scheint das «¿»Daß
Gemüth sich selbst Afficiren kann, durch eine Hand-
lung der Regeneration oder «¿¿»<im> Innern Sinn
ohnerachtet der Gegenstand Aeusserlich nicht gegen-
wärtig ist.

/Die Sinne werden eingetheillet.

/A. In die Aeussern, wie der Körper Affitirt
wird. Weil verschiedene Organe der Empfindung
im Körper sind; so sind auch die Aeusseren Sinne
verschieden. als

/a.) der Lücke sensus vagus der sich über den Gan-
zen Körper %.und das Ganze Nerwensystem ver-
breitet. zE. ein Schaudern welches man
durch alle Nerven empfindet.

/b.) der Organsinn sensus sexus der auf dem Organ
%.und auf die Empfindung die ich durch denselben erhal-
ten kann eingeschränkt ist. Ueberhaupt wenn
mich ein Object afficirt.

/Dieser kann wieder eingetheilt werden, in

/aa. Mehr Obje«z»ctiv

/bb. Mehr Subjectiv.

/Wenn wir ein Object betrachten %.und nicht
fühlen das etwas aufs Subject wirkt, so ist
die Empfindung mehr Abjectiv. zE. beym sehen
wenn wir mehr bey betrachtung eines Objects
fühlen das unser Subject dadurch Afficirt
wird so ist, dieser mehr subjectiv. zE. Beym Richen

/ B. In die Innern

/|P_30

/B.) In die Innern wie daß Gemüth Afficirt wird.
Wir werden jezt vom dem Organsinn, insofern
sie mehr Objectiv %.und mehr Subjectiv handeln.

/ ≥ Die Objectiven Sinne. ≤

/Sind fühlen, hören, %.und sehen.

/Fühlen ist sehr leicht zu Unterscheiden vom Gefühl,
welches ein Realsinn ist, wo ich mir kein Object vor-
stellen, sondern wo nur meine Nerven afficirt wer-
den. Durchs fühlen soll ich ein Object erkennen, das
Geschieth bloß durch die Hände. Die Natur hat in den fin-
gern solche Nerven hereingelegt, daß wir alles sehr
Genau auf der Oberfläche eines Dinges, fühlen %.und Un-
terscheiden können. Der Sinn des Gefühls wird der
Grobe sinn genannt. Durch gefühl %.und sehen können
wir zuerst Begriffe von Gestallt erhalten.

/Hören Dieser Sinn Unterscheidet sich dadurch, das er
sich auf Gägenstände die entfernt sind erstrekt -. Die-
ser Sinn der ist ein unmittelbahrer, vermittelst
der Bewegung der Lufft. Er ist ein feiner Sinn weil
man einen weitausgedehnten Gebrauch davon machen
kann zE. bey der Musik, hier ist eine Saite die den
tiffsten Ton angibt %.und in einer Secund 50 mahl hin
%.und her schlägt. Aber die den Höchsten angiebt schlägt in
1 Secund 6000 mal hin %.und her. Da kann das Gehör gleich
empfinden, wie der Thon entweder mehr oder weniger
bebt. Das Gehör ist das leichste Mittel, Gedanken einander
mitzutheilen. Vermittelst des Sehens könte man es
nicht thun; etwa nur durch durch Minen, Pantomimen
%.und dergleichen.

/Das Sehen ist auch ein Unmittelbarer Sinn, indem
ich Gegenstände vermöge des Lichts wahrnehme. Es
ist mehr Objectiv als Subjectiv. Dieser Sinn kann

/ unter

/|P_31

/Unter allen am wenigsten ermüdet werden. Er hat
einen grossen Umfang denn er sieth viele 1000 Mei-
len weit, bis zu den Sternen. Das Sehen ist aus
dem Grunde noch sehr Groß. Die Erde wirfft den
3000 theil des Sonnenlichts auf den Mond, %.und der Mond
wirfft wieder von dem 3000 Theil des empfangenen
lichts, den 3000 theil auf die Erde zurük. Diesen
kleinen Grad von Licht kann ein gutes Auge sehen
wenn der Mond in dem ersten Virtel ist, %.und man
sich so stellt, das daß erleuchtete Virtel, von irgend
einem Gegenstande zE. von einem Schorstein, ver-
dekt wird, so kann man de«m»n übrigen grössern theil
des Mondes erbliken welcher nicht erleuchtet ist.

/So wie das Auge den kleinsten Grad vom Licht er-
bliken kann, so kann es auch einen hohen Grad des-
selben sehen. Denn man kan doch einige Augen-
blike in die Sonne sehen. Die Töhne verhalten sich
zum Gehör«¿», wie die Farben zum Gesicht.

/ ≥ Die Subjective Sinnen

/Sie sind der Geruch %.und der Geschmak. Diese beyden
Sin«¿»ne sind mittelbar. Durch den Geruch Empfinden
wir dinge, die entfernt oder Nahe sind, durch den
Geschmak aber empfinden wir allein dinge, die
Uns Nahe sind. Diesen Beyden Sinne kommen da-
rin überein, daß das was wir empfinden, auch in
Unsere Säffte kommt. Wir rüchen Durch die flüchtigen
Salze, %.und schmeken durch die fixe Salze. Höhren %.und
sehen würkt nur in Gerader Linie, Riechen %.und
Schmeken aber von allen Richtungen.

/Alle Sinne werden nochmals überhaupt ein-
getheilt, in Ansehung des verschiedenen Einflusses,
Derselbe ist entweder

/ 1. Mechanisch

/|P_32

/1. Mechanisch durch geseze des Stosses %.und des druks
wozu die 3 Objectiven Sinne gehören als
Fühlen, hören, %.und sehen

/2. Chimische durch einnehmung, die sich mit der Sub-
stanz Vereiniget, dazu gehören die Beyden Subjec-
tiven Sinnen, als

/Geruch %.und Geschmak

/Gröbere Sinnen sind die, bey welchen wir Gegen-
stände berühren. feinere, durch welche wir sie in
der Entfernung wahrnehmen können.

/Anmerkung je weniger die Sinne lehren desto mehr
afficiren sie. Der Geruch %.und der Geschmak affici-
ren mehr, Gefühl, Gehör, Gesicht, lehren mehr, der
Undankbarste %.und «Un»entbährlichste sinn ist der Ge-
ruch. Denn in einem fall ist er angenehm; aber es
giebt wohl 100 fälle, wo wir mißvergnügen
empfinden müssen; doch in Manchen fällen, beson-
ders den willden ist er nüzlich, da sie nach dem
Geruch was sie haben wollen oder nicht ausspä-
hen.

/Der Geschmak ist der aller Gesellschafftlichste
sinn, %.und man würde ohne diese nicht so lange
Gesellschafften meiden können. Er scheint ein
Nothwendiger Organ der Natur zu seyn. Denn
man kann durch Vorübung des Geschmaks, leicht vor-
errinnert werden was unserer Natur zuträg-
lich ist; so schmeken süsse sachen besser im Vor-
schmak als Nachschmak, %.und saure besser im Nach-
schmak. - Welcher Sinn, ist ehr entbehrender
Gesicht oder Gehör? Das Gehör scheint am nothwen-
digsten zu seyn, denn e«s»r scheint der Vernunfft un- 

/ mittelbar zu dienen

/|P_33

/unmittelbar zu dienen. Grobheit %.und Feinheit
der Sinne beruhen theils auf Natur theils auf Cul-
tur.

/Die feinheit der beyden Sinne des sehens %.und des Hörens
ist sehr nothwendig. Der Geschmak muß nicht alle-
mahl fein seyn. Der Geruch %.und Geschmak kann
zur grösten Feinheit Cultivirt werden.

/ ≥ Von Sinnlichen Schein. ≤

/Insofer er als Blendwerg oder Betrug erscheint.
(Illusion, Blendwerk) ist ein solcher schein, Der da
bleibt wenn ich würklich überzeugt bin, daß es
keine wahrheit ist zE. eine schöne Reinliche klei-
dung,

/(Betrug (Fallacia sensum) ist ein solcher schein,
der gleich aufhört Schein zu seyn, wenn man
vom Irrwege geführt ist. zE. ein geschmünkt
frauenzimmer. Den Betrug haßt man, aber
das Blendwerk nicht. Selbst beym Bewußseyn
der Unwahrheit zE. bey der Mahlerey, einer Op-
tischen Stube. Die Optischen Illusionen sind
die Angenehmsten. Bewunderung scheint der
Grund von Illusion zu seyn. Das schöne Geschlecht
verläßt sich sehr auf Illusion, denn sonst würde
es nicht soviel Zeit auf Puzen verschwenden.

/%Anmerkung: Die Sinne betrügen den Verstand. Das
Geschieth würklich durch die Schönen künste. Der Um-
gang mit dem schönen Geschlecht; (Galanterie)
ist ein Mittel die thierischen Neigungen Abzu-
leiten. Denn man hat da immer etwas mit dem schein
zu thun wercher von dem Genuß der erschöpfend
ist abzieth. Der Aeussere Anstand ist auch eine
Illusion wodurch eine Achtung erregt wird.

/ Politesse ist

/|P_34

/Politesse ist ein äusserer Schein eine Manir der freund-
schafft. Sittsamkeit ist auch ein Schein wodurch wir
Achtung für die Verdienste anderer bliken lassen.
Dergleichen Illusionen haben einen grossen
Nuzen. Es giebt eine Art von Lücke, die
Alles was der Schein sagt verwerfen. Die sind
aber schlim darum, weil dadurch feindseelige Ge-
sinnungen, mit einem Wort Misantropie,
entstehen; Anthrophobus, ist ein solcher der alle
%.Menschen fürchtet, ist aber kein Menschen feind; sondern
er glaubt nicht Redlichkeit unter Ihnen zu finden.
Der Schein dient dazu, daß die Triebfedern zum
Guten angespannt werden.

/ ≥ Von der <Art der> Stärkung %.und schwächung unserer
Empfindungen. ≤

/Sie werden gestärkt,

/1. Durch die Abstechung, Contrast, Wiederspiel

/2. Durch die Neuigkeit,

/3 Durch den Wechsel

/Geschwächt werden unsere Empfindungen.

/1. Durch den Trunk

/2. Durch den Schlaff.

/Ein %.Mensch der von einer unerwarteten Vor-
stellung getroffen wird, daß er seine Aufmerk-
samkeit nicht anwenden kann, der ist perplex
oder Betroffen oder (Verblüfft.)

/ ≥ Von der Einbildungskrafft %.und Phantasie

/Die Einbildungskrafft (Immaginatio) ist das
Vermögen abwesende Gegenstände sinlich vor- 

/ zustellen.

/|P_35

/vorzustellen. Wer aber diese Anschauungen, deren
Gegenstände nicht Gägenwärtig, für die Gägen-
stände selbst nimmt ist ein Träumer. Derjeni-
ge der daß anschaut was gar kein Gegenstand
der Sinne werden kann das ist ein Schwärmer.
Ein Träumer glaubt immer dies oder jenes zu
sehen indem er es sich einbilldet, %.und mann nent
Ihn hauptsächlich Phantasten. Ein Schwärmer
bildet sich aber ein Gegenstände zu sehen, die gar
keine Gegenstände der Sinne seyn können, %.und
wovon auch nicht einmal die Analogie zu finden
ist -. Einbildungskrafft ist entweder Productiv oder
Reductiv. Die Anschauung von einem einmal
Gewesenen <gegenwärtigen> Gegenstande, ist Productive Einbil-
dungskrafft, %.und stell ich mir vergangene Gegen-
stände vor; so ists Reductive Einbildungskrafft.
Ein Dichter muß Einbildungskrafft oder Phanta-
sie besiezen. Diese Phanthansie ist theils Productiv theils
Reductiv; Leztere bringt Vorstellungen mitein-
ander, die Aehnlichkeit haben, auch wenn sie Opposita
sind; Sie ist immer in solcher Vorstellung am stärksten,
die uns üble Empfindungen verursacht. Wenn «¿¿»Sie für
uns allemal sind, so ist die Phantasi eine Angenehme
Beschäfftigung, welches eine wohltätige Einrichtung
des Sinnes ist, so lange es nähmlich wüllkührlich ge-
schieth. Wenn sie aber durch allerley Eindrueke
unwüllkührlich geworden, so ist sie auch Unangenehm.

/ Die Immagination

/|P_36

/Die Imagination des Blinden ist weit stärker, als
die des andern. Sie zu haben ist offt sehr nüzlich, wie
beym rechnen. Vorzüglich wird sie durch Abstrac-
te Ideen %.und Zerstreuung sehr geschwächt. Es ist die
Immagination eigentlich, die Krafft, Vorstellun-
gen %.und Gegenstände ohne Anschauung sich klar zu
machen. Doch sezt man von den Gegenständen schon
immer, einen Begriff zum voraus. Immagina-
tion bringt am Ende Nachahmung hervor. So sieth
man das zE bey Eheleuten, die nehmen am Ende, wenn
sie nur nicht gar zu verschieden sind, einerley Mie-
nen ann, weil sie miteinander in der ersten Ver-
bindung stehen. Diejenigen die eine Starke Einbildungs-
krafft haben, dennen ist der erste Anblik«s» des Uebels
sehr Unangenehm %.und erregt bisweilen Convolusionen
. Wo Leidenschafft ist, da trit auch gemeinhin Immagina-
tion mit ein. Sie reproducirt den Gegenstand
macht ihn aber weit schöner als er ist. Sie über-
sieth denn auch Fehler %.und bemerkt sie nicht einmahle, es
ist dahero gut sie von solchen Gegenständen zu entfer-
nen. Und das muß vorzüglich in der Jugend geschehen, weil
denn selbige am stärksten ist. - 

/Die Einbildungskrafft ist zügelloß, in Ansehung der
menge der Vorstellungen, insofern sie unserm Zwek
zuwieder, %.und unserm Gemüth wegen der Mannigfall-
tigkeit der Billder unangenehm ist. Wenn die Ein-
bildungskrafft stark ist so braucht man die Geseze
des Verstandes; Regelloß ist Sie, wenn sie wieder
die Geseze des Verstandes streitet. Sie ist Verwir-
rung man kann allgemein sagen, die zügellose Phan- 

/ tasie

/|P_37

/Phantasie (imaginatio efferens) schwärmt; %.und die Re-
gellosse (perversa) fesselt. Durch Regellosigkeit der
Phantasie kommt Aberwitz, Wahnsinn %.und %.dergleichen
@heer@. Gesittete Völker die wenig Phantasie haben, be-
sizen viel Verstand, %.und so umge«¿»kehrt. Die Orientaler
scheinen überhaupt mehr Phantasie %.und wenig bestimmte
Verstandes_Begriffe zu haben. Die Italiener besie-
zen auch viel Pfantasie. Pfantasie schwärmt mehr
des abens als des Morgens. Der Kopf scheint des Mor-
gens zu Geschäfften bestimmt zu seyn. Es ist dahero
nicht sehr rathsam des Abens allein sehr spät aufzu-
bleiben; sondern vielmehr des Morgens frühe sei-
ne Geschäffte zu betreiben. Hypochondrische Persohnen
lieben sehr die Abendstunden, %.und man könte versi-
chert seyn, das sie bald gesund würden werden, wenn
sie zur gehörgen Zeit nieder %.und Aufstanden. Daß die
Phantasie des Abens auch würklich stärker ist, zeizt auch
diese Bemerkung, daß man des Abens vor Gespenstern
sich fürchtet %.und des Morgens nicht. Hat die Phantasie eine
ganz besonders eigene «best» Stimmung, so ist das Origi-
nalitaet. Sie ist Lücke oder im gemeinen Leben nicht
Gewöhnlich, weil sie von der algemeinen Regel
abweicht. Die Originalitaet erfreut auch sehr, weil
da auch meine Regeln entdekt werden.

/Durch die Phantasie werden Viele Laster bestärkt.
zE. Die Rachgier. Vieler andern folgen ist sie
der Grund. Sie ist die Mutter der schönen künste.
Die Einbildungskrafft ist unser guter Genius %.und
auch unser daemon. Sie ist die Quelle der Entzükensten

/ Vergnügungen

/|P_38

/Vergnügungen! aber auch der Unangenehmsten Empfindun-
gen. Jedes Zauberwerk beruth auf Phantasie. Die
%.Menschen bedienen sich gerne ganzer Zahlen zE. jemand
99000 %Reichsthaler so ruth er nicht ehr als bis er 100000
voll hatt. Die Vorstellungen der Phantasie «¿»sind die
größten Triebfedern zu vielen guten Handlungen
zE. um Ehre zu erlangen.

/Die Phantasie erstrekt sich bis zum Grabe. So zE. Glaubt
mann, wenn man gestorben ist, werde man wissen
wie man im Grabe Liege. Daher wählen sie viele
schon im Leben, beyleibe nicht ein Dunkles Gewölbe,
sondern wie bey uns am Haberberge will man
gern begraben seyn. Der Enthusiassem ist der, der
in der Phantasie dem Grade nach die Schranken über-
schreitet. Ein Enthusiasmuß ist ein Hang zum
guten Zwek, mit Affect verbunden. Durch densel-
ben leidet aber der Bürgerliche Staat, offt selbst
wahre Religion sehr viel.

/ ≥ Von dem Witz %.und der Uhrtheilskrafft. ≤

/Vom Vermögen die Vorstellungen oder Billder, in
Anschauungen der Einbildungskrafft zu vergleichen.
Das geschiet auf eine zwiefache Weise, entweder
durch Uebereinstimmung oder durch Verschiedenheit.

/1. Der Wiez ist das Vermögen, der Verknüpfung der
Vorstellungen, insofern sie aehnlichkeit mitein-
ander haben.

/2. Die Uhrtheilskrafft ist das Vermögen bey den Bil-
dern oder Vorstellungen unserer Einbildungskrafft
, die Verschiedenheit derselben zu erkennen.

/nun wollens wir Antropologisch durchgehen.

/Der Wiz ist in Ansehung unsere kenntnisse positiv,
um neue Begriffe hervorbringen zu können.

/ Die Uhrtheils- 

/|P_39

/Die Uhrtheilskrafft ist negativ, %.und d«e»int dazu, unsere
Erkentnisse zu berichtigen %.und die Ihrthümer von unseren
Begriffen abzuhalten. Begriffe entstehen also
eigentlich durch den Wiz %.und Uhrtheilskrafft. Der Wiez
belustigt durch das freye Spiel, die Uhrtheilskrafft aber
nicht %.und ist doch Angenehm. Der Wiz ist frey, die
Uhrtheilskrafft schränkt ein. Die Negative Voll-
kommenheit der Uhrtheilskrafft, verhindert das der
Wiz, nicht ins Falsche, ausarte. Durch den Wiz,
entdeken wir die Genera, durch die Uhrtheilskrafft
die Species. Der Wiz findet immer übereinstimmung,
die Uhrtheilskrafft Unterschied, zE. hält der Wiz
Hoffarth %.und Hochmuth vor einerley, die Uhrtheils-
krafft aber sucht unter beyden einen Unterschied,
der Hochmühtige verlanget daß man ihn <hoch>schäzen
soll; %.und sich in seiner gegenwart geringe schäzen
soll. Er mag es also gern mit niederträchtigen zu
thun haben. Die Hoffarth äussert sich in einer Anmassung
von Standes vorzügen. Dieser Unterschied ist durch die
Uhrtheilskrafft entdekt. Wiz %.und Uhrtheilskrafft zei-
gen beyde Scharffsinn. Iener darinn, daß er in sachen
die sehr verschieden sind Aehnlichkeit findet; diese das
sie Unterschied in ganz ähnlichen dingen findet. Scharf-
sinn ist das Vermögen des Subtilen Gebrauchs unserer
Kenntnisse. Mann daher nicht Wiz von Scharffsin
Unterscheiden, weil so wohl «¿¿»Witz als Uhrtheilskrafft
scharfsinnig seyn können. Der Wiz ist flüchtig, die
Uhrtheilskrafft bedachtsam. fürs erste haben wir
Neigung, fürs zweyte Achtung. Eine Erkäntniß des
Verstandes, insofern Witz darinn vorkommt, heißt

/ Sinnreich - 

/|P_40

/Sinnreich, insofern aber Verstand darin vorkommt
so heißt sie Scharfsinnig.

/Zum Wiz gehören die Bons mots, die so zu sagen
ein Currenter Wiz sind. Sie müssen gar nicht ge-
sucht kommen, %.und Vorzüglich in wenig Worten viel
enthalten. Es ist eigentlich eine Regel die in kur-
zem Termino viel Wiz enthält. Die bons mots
haben ihrer Natur nach viel Annehmlichkeit bey sich,
weil sie von andern bald weggeschafft werden, %.und
wenn sie bekannt sich ihre Neuheit, mithin ihre
Annehmlichkeit verlieren. Derjenige der Vom Wiz
Profession machen will heiß ein Witzling, so wohl
als klügling. Der Wizling %.und Klügling sind beyde
nicht viel werth. Besonders ist ein junger Klügling ekel-
hafft, weil die Reife der Uhrtheilskrafft (die man
erst im alter haben kann, mit seiner jugend einen
besondern Contrast macht. Wiz kann man bey
jungen Leuten noch leiden aber nicht klügeln. Wiz
bringt Mode hervor Uhrtheilskrafft gebrauch. Zum
Witz kann man selbst höffliche Maniren %.und gu-
ten Anstand rechnen. Wenn diese so sind daß Dauer-
hafftigkeit vermieden werden muß, so heiß das
Mode. In frankreich, dem Uhrbilde aller Moden,
existiren dieselbe immer. Sie herscht nicht nur in kleidern,
sondern ertrekt sich auch bis auf Conversationen,
<(mores)> Sitten aber, können nicht nach der Mode seyn. Was nicht
zu Maniren gehört zE. Sittlichkeit, da muß nicht Mo-
de sondern Grundsaz seyn. Die Francoisen bringen
Der ton der Conversation durch Bücher hervor; Die
Deutschen aber in Bücher, in welchen denn solcher leichtig

/ keit %.und

/|P_41

/Leichtigkeit %.und Seichtigkeit herscht, das sie auch nicht
die geringste Prüfung aushalten. Diese Schreibart
nent man gemeinhin die Galante, die für frau-
enzimmer die gerne mit leichten sachen umgehen Passend
ist. - Schaaler Wiz ist der wo nichts für den Ver-
stand ist; sondern bloß die Einbildungskrafft mit ihren
Bildern spielt. Wer geflissentlich Wiezelt ist ge-
meinhin Schaal. Diesem Schaalen Wiz entspricht
grüblerische Uhrtheilskrafft. Diese enthält auch
nichts für die Vernunfft. Schaaler Wiz ist ekelhafft,
wie grüblerische Uhrtheilskrafft lästig ist. Man hie-
von viel Verachtung anzeigende Wörte; als
Laffe, %.und Gek. Ersterer will immer Uhrtheilen, %.und
lezterer denkt als ein Alter al<le>s nach. Gemeinhinn
braucht man diesen Ausdruck von mitleren Jah-
ren. Die Franzosen machen mehr von Wiz %.und
die Deutschen mehr von Uhrtheilskrafft Profes-
sion. Der Deutschen Unterschiede genau zu bemerken
zeigt sich deutlich in den Büchern. Der Deutsche
ist immer, bescheiden Behutsam %.und Peinlich. Der Scherz
ist launigt, wenn er Original ist. Ein Original
Wiz ist der, der Aehnlichkeiten bemärkt die nicht jedermann
in die Augen fallen. Die Engländer haben ihn vor vie-
len anderen Nationen zum Voraus. Durchtrieben
nennt man den Wiz, wenn er mit Unschuldsvoller
Miene %.und Thon wichtiges sagt. Voltaire %.und Schvift
zeigen sich darinn sehr aus. Es giebt auch schwe-
ren %.und leichten Wiz; ersteren haben die Engländer
lezteren die Francoisen. Wenn man den Wiz,

/ wo man fehler

/|P_42

/wo man Fehler belachen will, so anbringt; daß
derjenige dessen Fehler belachet werden mitlachet;
so ist er nicht tadelhafft. Sonst kann er Böse folgen
nach sich ziehen. Der Volkswitz besteth gemeinhinn
in Sprüchwörtern, die bisweilen auch recht ab-
geschmackt sind. Die Wiz ist hauptsächlich nöhtig um
Plaene oder Entwürfe zu machen; Die Möglich-
keit der Ausführung %.und Volziehung derselben gehört
zur Uhrtheilskrafft. Mann nent alles Subtile;
was sich miht Bemerkung der Unterschiede abgiebt
die von keiner Wichtigkeit sind. Sonst wirds auch
Micrologie genannt. Diese ist eine Beschäfftigung
der Uhrtheilskrafft, in sofern sie dem Verstan-
de kein Uhrtheil schafft. Eine Micrologie der
Critik ist, wenn ich auf solche Kleinigkeiten verfalle,
die dem Buche keinen Werth benehmen. Die Cos-
nistik ist eine Micrologie der Gewissensfragen;
aber <sie> etwas leere Spitzfindigkeit zu nennen, weil
man glaubt man «¿»kann sie entbehren, ist nicht
rathsam. Denn alles ist in gewisser Art Brauch-
bar; Wiz %.und Uhrtheilskrafft unterscheiden sich immer
auch darein. Wiz Uhrtheilt gerne en gros %.und Uhr-
teilskrafft en detail. Wo Uhrtheilskrafft ist, da ist
Gründlichkeit. Daraus folgt das wir uns Befleissi-
gen müssen, nie en gros, sondern en detail zu
Uhrtheilen. Der Mangel an Uhrtheil mit Wiz ist Albern-
heit. Der Mangel an Uhrtheil ohne Wiz ist dumheit,
Ein Stumpfer Kopf ist ohne Wiz ein Dummkopf ohne

/ Uhrtheil.

/|P_43

/Uhrtheil. Daher ist ein dummer %.Mensch dreist. Ein dummer
kann auch nicht die Regeln«;» die ihm durch Unterrichtung
des Wizes Anderer gegeben sind nicht brauchen; weil
er kein Uhrtheil dazu hat. Er ist Unvermögend von
den Regeln die der Verstand giebt Anwendung
zu machen. Wenn ein %.Mensch nicht gescheit ist, so
hat er kein Uhrtheil. Jemand der unter dem Schein
der Einfalt viel Wiz verbirgt, ist abgewitzt.
Einen Abgewizten nennt man einen solchen,
der auf alle fälle genungsam gewitzt ist.
Ein feiner Kopf ist der, der einen kleinen Un-
terschied bemerken kann.

/ ≥ Von dem Gedächtniß

/Es hat vieles einerley mit der Productiven Ein-
bildungskrafft, die daß Vermögen ist, vorherge-
gangene Anschauungen uns wieder Gegenwär-
tig zu machen. Das Gedächtniß ist das Vermögen
der Einbildungskrafft, nach Belieben die Vorstel-
lungen, die man schon gehabt hat, mit Klarheit
zu Reproduciren. Es ist der Grund aller Menschlichen
Wissenschafften. Und wenn wir daß Gedächtniß
nicht hätten, so würde alles was wir jezt guth ein
sehen, nach einiger Zeit wieder neu seyn. Daß
Gedächtniß ist Verschieden. Einiges faßt bald, anderes
mit Schwierigkeit, behält aber langer. Ersteres nent
man Capax zweytes tenax; das Gedächtniß
ist leicht wenn man sich Sachen behende errinnern
kann. Die Jugend faßt geschwind vergießt aber
bald, weil Ihr Kopf von Ideen leer ist. Entsinnen
heißt, wissen daß etwas wohlgefunden werden kön- 

/ ne %.und daß

/|P_44

/könne %.und das man es im Gedächtniß «¿»Parathe habe.
Sich besinnen heißt, sich leicht an etwas errinnern.
Dieses findet bey Wizzigen Einfällen am gewöhn-
lichsten staat. Bey ältern Iahren ist schwer etwas
ins Gedächtniß zu fassen; aber leicht daß Gefaßte
zu erweitern. Es scheint als hätten die Ideen da
nicht mehr Plaz. Das ist dem Gedächtniß sehr Nachthei-
lig wenn man etwas in Zerstreuung fassen will
; man muß sich daher hüten zerstreut zu seyn,
weil man sonst keine Spur im Gedächtniß zu
rük lassen kann. Je mehr wir uns vernach-
lässigen etwas zu behalten, desto schwächer wird
unser Gedächtniß; hingen aber jemehr wir uns
bemühen zufassen, desto stärker wirds. Es
geth hier so wie mit dem Magnet, der seine
Krafft verliert wenn man ihm nicht Eisen vor-
legt; hingegen aber stärker zieth jemehr man
ihm vorlegt. Mann Unterscheidet 3erley
arten zu Memorieren. als

/1. Ein Mechanisches Memoriren, welches
durch vielfältiges wiederholen einer Sache ge-
schieth. Wie zE. bey Kindern das 1 mal 1. Wenn
uns die Dinge einfallen sollen; so müssen
sie in der Ordnung, wie wir sie Memoriren
vorkommen. Dieses Memoriren ist in Wissen-
schafften sehr Nothwendig, zE. in der Geschichte
die Epochen.

/2. Das Indiciöse Memoriren beruth auf der Ver-
knüpfung der Vorstellungen, durch die ähnlichkeit
der Bilder, durch die Verwandschafft der Vorstel-
lungen, %.und durch die Affinität der Uhrsache zur
Folge.

/ 3. Das

/|P_45

/Daß Ingeniöse Memoriren beruth auf
ein gewisses Spiel des Wizes. Es ist daß
schlechteste unter allen; weil der Wiz sehr ver-
änderlich %.und dieß auch der Uhrtheilskrafft sehr
schädlich ist. zE. Die Bilderhistorie.

/Diese art erschw«ä»ert daß Behalten, statt daß
es, dasselbe erleichtern soll. Es ist dieß ein Blosses
Spiel des Wiezes %.und ein Mischmasch von Vor-
stellungen der den Verstandes_Begriffen
sehr schädlich ist. Das Indiciöse Memoriren ist
daß schönste, weil man da immer weiß, wo-
von man Gebrauch machen kann. Mann
könnte sagen daß daß Gedächtniß aestetisch
sey, wenn dabey ein Interesse ist. zE. wenn
man sich einen schönen launichten Vers aus
einem Gedicht bekannt macht. Dem Gedächt-
niß läßt sich auch ehr das was Geographisch, als
das was Historisch ist vorstellen. weil der Raum
aber nicht die Zeit sich bildlich da<r>stellen läßt. Mann
findt Leute die nicht schreiben können %.und deswe-
gen doch ein stark Gedächtniß haben. Das Gedächtniß er-
hält zwar durchs Schreiben eine grosse Hülfe, wird
aber durch selbiges nicht Cultivirt. Das Ungetreue
Gedächtniß ist nicht die Vergeßlichkeit, sondern es er-
rinnert falsch. Das ist die Folge des Wizes, der stat
der eigentlichen Sache, eine ähnliche Producirt. Dies
findet auch bey denen die die Wahrheit nicht lieben
staat. Sanguinische Leute haben ein Behendes, aber
Ungetreues Gedächtniß. Pflegmatische Leute
haben ein behendes %.und dabey dauerhafftes Gedächt-
niß. Cholerische ein treues aber nicht dauerhafftes

/ %.und die %Melancholischen

/|P_46

/%.und die Melancholischen ein bleibendes. Die Italiaener
haben das stärkste Gedächtniß, %.und Maltiven_beken ist ein
rechtes Wunder des Gedächtnisses.

/ ≥ Vom Dichtungs_Vermögen

/Das Productirte Vermögen der Einbildungskrafft
wenn es wüllkührlich geschieht heißt Dichten. Der
Wortgebrauch hievon ist zwiefach.

/1. Productiv welches dem Gedächtniß zum Grunde ligt
%.und von demselben in nichts weiter Unterschieden ist,

/Es bringt nichts hervor sonder wiederholt nur.

/2. Productive Einbildungskrafft bringt aber wüllkühr-
lich neue Billder hervor; %.und ist eigentlich das dichtungs
vermögen. Nun kommen Ausdrüke die dem dich-
ten nahe kommen, wie Entdeken; Etwas zuerst,
antreffen; was doch aber schon gegeben war.
Erfinden heißt. Erfinden heißt etwas zuerst durch
Nachdenken erkennen, was vorhinn nicht da war,
zE. Die Erfindung des Pulvers. Ausfinden heißt
dasjenige wiederfinden was vorher schon <bekannt> war,
aber verlohren gegangen war. Entsinnen heißt
aus sich selbst etwas neues hervorbringen, Etwas
vor würklich ausgeben was man erdicht hat.
Aussinnen heißt was an sich Realitaet %.und dar-
gestellt werden kann. zE. bey jedem Handwerk
sind nach %.und nach mehr werkzeuge <aus>gesonnen
worden. Es ist darinn vom Ersinnen unterschie-
den, daß bey jenem eine Realitaet vorgegeben
wird, hier aber eine würkliche Existirung. Aus-
denken kommt in Gägenständen der Vernunfft vor,

/ so wie das

/|P_47

/so wie das Aussinnen, im Gegenstande der Sinne vor-
kommt.

/Das Dichten ist generaliter ein Wühlkührlicher
Gebrauch unserer Productiven Einbildungskrafft.
Ein Dichter kann mit seiner Einbildungskrafft nicht
schwärmen, sonder er muß die Productive schöp-
ferische Einbildungskrafft in seiner Wüllkühr
haben. Sein Dichten ist unbestimmt zu was für ei-
nen Zwek es gebraucht wird wie zE. Die fanta-
sie durch Gedichte. Aber etwas erdichten, heißt etwas
Ausgedachtes für wahr ausgeben. Die Erdichtung
ist mit bestimmter Absicht verbunden. Bey der Erdichtung
Declarirt man, daß Etwas wahr sey, was im
Eigentlichen Sinn Lügen heißt.

/Der Dichter erdichtet nicht, aus Absicht dasjenige
wahr zu machen was er Dichtet. Die Dichtkunst ist
mit der Beredsamkeit verwandt. Beyde Schö-
ne Künste erfordern eben dieselbe Gemüths-
kräffte nur im andern Verhältniß.

/Beredsamkeit ist ein Geschäffte des Verstandes,
belebt du<r>ch Einbildungskrafft. Sie scheint bloß den
Verstand zu beschäfftigen %.und spielt doch mit der Ein-
bildungskrafft. Ein Dichter aber, indem ers scheint, bloß
mit Gefühl %.und der Einbildungskrafft zu spielen,
beschäfftiget auch den Verstand. Der Redner muß
bloß zu beschäfftigen scheinen, dabey aber doch auch
spielen. Der Dichter wieder muß bloß zu spielen schei-
nen %.und muß dabey aber doch ein gewisses Geschäffte haben,
den Verstand insgeheim zu beschäfftigen, weil sonst
die Einbildungskrafft regelloß wäre. Der Redner
Declarit bloß, den Verstand zu Informiren, %.und doch

/ bemächtigt er

/|P_48

/bemächtigt er sich der Immagination %.und Neigung seiner
Zuhörer. Beredsamkeit ist die Kunst zu bereden, %.und
Dichtkunst die Kunst zu belustigen. Mann hat ei-
nige Ausdrüke die der Beredsamkeit nahe kommen.
Beredt seyn heißt, einen guten Vorrath in Ausdrü-
ken zu haben. Wohlredenheit besteth darinn, dem
Verstande %.und der Sinnlichkeit angemessen reden.
Durch die Wohlredenheit werden die Ideen des Ver-
standes belebt. Die Beredsamkeit, ist die Geschiklich-
keit zu bereden, das Uhrtheil dem Verstande
nach falsch zu bestimmen, %.und auf irwege zu führen,
Der Redner sucht auch Affect zu erregen. Alle die
Eindrüke, die durch die Kunstgriffe des Redners ge-
macht werden, dienen dazu, um ein Leben in
die Vorstellung zu bringen. Der Dichter kündiget ein
blosses Spiel der Einbildungskrafft an %.und berührt doch
den Verstand durch Begriffe, cultivirt %.und belebt densel-
ben auch. Da ist also ein reiner Gewinn. Die Blumen-
reiche Schreibart soll ein Mittel zur Beredsamkeit
%.und Poesie seyn; sie ists aber nicht. Denn es herscht eine
Geflüssenheit %.und Mühsamkeit im blossen Spiel des
Wizes. Alles was schön ist muß Männlich schön
seyn. Es muß aber auch zu gleicher Zeit, Stärkung
unserer Begriffe seyn. Reimfreye Verse, die
daß Sielbenmaß haben, werden auch ge«t»macht; %.und sind
nach dem Ausdruk eines Schrifftstellers eine Doll
gewordene Prose. Denn es werden hier gemeinig-
lich staat der Anschauungen Empfindungen herein
geworfen. Es läßt dahero besser Miltons verlohr-
nes Paradis als Klopfstoks Messiade lesen. Der

/ erste bemühet

/|P_49

/erste Bemühet sich immer Anschauungen zu geben,
der lezte aber sezt sich immer in Empfindungen -.
Die Klahrheit der Anschauungen %.und die Neuheit
Der Bilder Cultiviren den Verstand sehr; aber
dieß thun keine Empfindungen.

/Warum Poesie angenehmer als Rede ist, kommt
daher, weil bey der Poesie das Spiel der Einbildungs-
krafft daß Object ist, %.und bey der Rede das Geschäffte. Die
Poesie ist Aelter als die Prosa. Da die Sprache im
Anfange nicht so vollkommen war, das sie für al-
gemein Abstracte Begriffe Ausdrüke hatte, so
haben die ersten Philosophen Bilder Genommen
, die etwas Analogisches enthielten, Denn die Spra-
che war sehr armseelig. Daher mußte die Dichter-
sprache angenommen werden. Der Dichter ist
Glüklicher in der fabel als in der Wahrheit. Denn
in der fabel kann der Dichter nach seiner freyheit
%.und Wohlgefallen Dinge geschehen lassen. Wenn
er aber die Natur schieldert so ist die Einbildungs-
krafft weit unter demselben %.und die Immagina-
tion reicht gar nicht. Weit glüklicher ist er aber, wenn
er nach seinen Ideen, Alles was der %.Menschliche Affect her-
vorbringt, in der Einbildungskrafft reege macht,
welches Ihm viel freyheit %.und uns viel vergnügen
verschafft. Dahinn möchte das arcadische Schäfer-
leben gehören -. Ueberhaupt glükts dem Dichter
immer besser Ideale als Natur zu schildern -. Wa-
rum braucht nun dieser Spiel der Einbildungs-
krafft Verse, Silbenmaß, oder taktmässigen Gang?

/ Weil hiedurch

/|P_50

/Weil hiedurch die Einbildungskrafft an gewisse
Regeln Gebunden wird, %.und das tactmässige
mehr auf unsern Geist würkt. Der Reim ist
dazu gekommen, weil bey uns Occidentalischen
Völkern, der Natur der Sprache gemäß, kein an-
der Sillbenmaß, nach Regeln über dasselbe statt
findet. Es sind hier weder kurze noch lange Silben. Die
Reime Insinuiren sehr dem Gedächtniß. In der
Redekunst aber muß sich auch nichts auf die entfernste
art reimen. Denn der Poet spielt; der Redner
treibt aber ein ernsthafftes geschäffte; daher ist es un-
ter der Würde desselben %.und mißfält. Woher Licen-
tia poetica? der poet ist deswegen an keine gra<h>m-
matischen Regeln gebunden; weil im Grunde betrach-
tet die Poesie nur ein Spiel der Einbildungskrafft
ist. Daher wird auf die Uebertretung der Gramma-
tische Regel nicht so sehr gesehen; sondern man
läßt Ihnen ihre freyheit. Die Dichterli«ch»ngen die das
äussern bloß Mechanische nachmachen kommen
hier nicht in betracht, sonder dichterische Ingenia.

/Warum ist ein Mittelmässiges Gedicht Unleidlich?
die Uhrsach liegt darinn; weil ein künstlicher Schwung
der Einbildungskrafft angekündigt; aber auch alle
Augenblik betrogen wird. Es ist eine Kunst die al-
le Augenblike fehl schlägt.

/Woher kommts das Poeten mehrentheils arm sind«,»?
Die ganze Uhrsache ist diese; (ohnerachte die Poesie einen
Wiz bey sich führt) weil der %.Mensch am Ende ein Getän-
del %.und Mißbrauch von seinen kräfften gemacht zu ha-
ben scheint. Er braucht die Einbildungskrafft nicht

/ zu Gunsten

/|P_51

/zu Gunsten des Verstandes, sondern den Verstand
zu Gunsten der Einbildungskrafft. Daher kommt das
die Poeten so arm sind, welche aber doch nach dem To-
de belacht werden.

/Furor Poeticus, scheint als wenn der dichter eine
Unwülkührliche begeisterung hat. Seine Immagi-
nation ist durch seine Disposition, zu einem Un-
gewöhnlichen Schwung geschikt. Es findet hier
so zu sagen ein zuströhmen aller Dinge der Ima-
gination staat, welches die alten eine art von
begeisterung nennten. Die alten haben
daher auch denen dichtern eine Wahrsagungs-
kunst angedichtet. Das Zeitalter da die Bered-
samkeit eine Hohe St«¿»uffe bestig, war zugleich
der Verfall des Staats. So wars in Grichen-
land, als Demostenes das Volk durch seine Reden
im Zaum zu halten suchte. Und Cicero lebte auch zur
Zeit des Verfals von Rom; in unserm Zeitalter herscht
Wohlredenheit - Poesie ist die grosse Cultur unserer
Sinnlichen Erkentnisse, %.und der Verstand ist nur das Mit-
tel die Vorstellungen in Ordnung zu bringen. Die Dich-
ter übertreffen die Redner immer in Nachruhm, weil
beym Dichter mehr Product der Natur; beym Redner
mehr betrug ist. Denn der leztere bedient sich seiner
Kunst, um die Schwäche anderer, zu ihrem Nachtheil %.und
zu seinen eignen vortheil zu gebrauchen. Es läßt sich eher
durch Nachahmung ein Redner als Dichter werden.
Denn in der Dichtkunst ist mehr Originnaellitaet %.und genie
als bey der Beredsamkeit. Di«¿»e Dichtkunst verschwin-
det mit dem Alter %.und andere Wissenschafften bekommen
alsdenn ihre Reife.

/ Von den Krankheiten

/|P_52

/ ≥ Von den Krankheiten der %.Menschlichen Erkäntnißkrafft. ≤

/Die Träume. - Wenn im Schlaff bey einem ge-
sunden %.Menschen die äussere Empfindung %.und Sinne fühlloß
sind, %.und die Bilder der Imagination unwüllkühr-
lich für würkliche Gegenstände gehalten werden;
so heißt das ein traum -. Es sind wenige %.Menschen die
würklich gar nicht träumen. Es ist ein anderes
träumen %.und einen anderes sich der träumerey er-
rinnern. Weil der Körper zur Zeit des Schlaffs er-
mattet %.und dadurch fühlloß wird, so giebt die Natur
die träume damit er bewegt wird, wie wohl nur
innerlich. Alles dieses träumen wirkt auf das Innere
%.und das Gemüth wird dadurch Afficirt. Es giebt einige
träume, die ziemlich algemein sind. So zE. haben
sie gemeinhin Aehnlichkeit mit unsern Tages Ge-
schäfften. Wunderbar ist es nur, das daß wir ge-
raume Zeit mit Verstorbenen ohne Befangenheit
zu thun haben. Wir selbst haben aber auch im Wa-
chen merklich träumereyen: Ein träumer ist
der, der dem Gange seiner Einbildungskrafft un-
wülkührlich nachhängt. Mann nent daß auch zer-
streut. Dieses Irrwesen ist eine Gemüths-
krankheit. Derjenige bey dem Unwüllkührliche
Gedanken entspringen, die wieder die Regel des
Verstandes %.und des Vernunfft_Gebrauchs sind, ist ein
Hypochondrist. Einem solchen %.Menschen drängen sich immer
gewisse Vorstellungen Unwüllkührlich auf. Diese
Grillenkrankheit ist beym %.Menschen nicht wie Gestöhrt
an zu sehen, denn er weiß sehr wohl daß es dem
Verstand zuwieder ist, %.und macht daher kein dem

/ Verstande

/|P_53

/Verstande zu wiedrigen Gebrauch davon, sondern
sucht die Gedanken vielmehr zu Unterdrüken. Er
fühlt auf Chimerische Art bey einer Achtsamkeit
auf sich selbst, alles in seinen Organen. Mann
muß also durchtrieben seyn %.und auf angenehme Klei-
nichtkeiten gar nicht achten -. Das gestöhrte Ge-
müth besteth darinn, daß der %.Mensch seine Gemüthskräffte
nicht in seiner Gewallt hatt, welches er aber nicht
weiß; sondern er glaubt daß er mit seinen Ge-
müthskräfften umgehe, als ob sie durch Verstand %.und
Vernunfft «regirh»<Deregirt> würden. Ein Hypochonder al-
so, ist sich der unwülkührlichen Bewegungen des Gemüths
bewußt; Ein Gestörter ist sich derselben nicht bewußt.
Ein Doller hat seine Gemüthsbewegungen nicht in sei-
ner Gewalt. Ein Verrükter faselt; aber ein toller
tobt. Der Verrükte ist eigentlich Wahnsinnig oder
Unsinnig und dann ist er entweder Wahnwizig oder
aberwizig -. Wahnsinnig ist der, der einen Wahn
hat, Etwas in seinem Sinn zu haben, das doch bloß in der
Imagination ist. Unsinnig ist der, der in Ansehung
der Einbildungskrafft unvermögend ist, die Bilder
%.und deren Menge zu Dirigiren, der nicht weiß was
er denkt, %.und wörter ausfaßt, in welchen kein
Sinn ist. Dazu kommt die Verkertheit des Verstandes,
woraus der Wahnwiz entsteth, welcher darinn besteht,
das ein solcher %.Mensch sich zwar wahre Grundsäze
macht, aber sie falsch anwendet. Aberwizig ist der
der schon falsche Grundsäze hat, %.und sie befolgt. - Das
Gestöhrte Gemüth kann das andeuten was der Traum

/ im Schlaff

/|P_54

/im schlaff bedeutet. So wie im traum die Bilder
der Imagination als würkliche Gegenstände vor-
kommen, so bringt die Imagination bey einem Ge-
störten auch die Billder sehr lebhafft vor, die aber
falsch sind. Denn ein solcher hat eine Täuschen-
de errinnerungskrafft. Die Gemüthskräffte ei-
nes Gestörten sind tähtig aber in Unordnung. Er
Uhrtheilt ganz Egoistisch über Gegenstände nach
seinem eigenen sinn, %.und niehmals aus dem Ge-
sichts-Punkte des gemeinschafftlichen Sinnes. Da nun
ein solcher %.Mensch die Wellt in sich selbst hat; so isolirt
er sich auch gern. - Die Blödsinnigkeit die mit
der Dumheit übereinstimmt ist ein Schwäch der Ein-
bildungskrafft, daß sie nicht hinreichend ist, die Ver-
standesbegriffe nach ihrer Klahrheit sich vorzustel-
len. - Sinnloß ist der, der seinen Reden keinen
Sinn geben kann. Der Raptus ist der Zustand
eines Kopfs, der den Grillen Unwülkührlich unter-
worfen ist, welches hinterher aber eingesehen
wird, das es lauter Ilusiones waren. Das
Delirium kann man eintheilen, in das Delirium Gene-
rale, wenn ein %.Mensch unwülkührlich in der Einbildungs-
krafft auf allerley Gegenstände kommt; %.und in das Deliri-
um circa abjecta, wenn es sich auf einzele Gegen-
stände ersträkt. Die mehrsten %.Menschen glauben das Leute
aus Hochmuth oder Liebe offt doll werden. Das ist aber un-
gegründet. Denn bey solchen, die schon eine Anlage
zur Verrükung haben, äussert sich der Verrükte Zu-
stand, zuerst im Hochmuth %.und in der Liebe. Diese

/ sind daher

/|P_55

/Diese sind daher nicht die Uhrsachen davon, sondern die
Würkungen des Delirii -. Mann sieth niehmalen ein
Verrüktes Kind. Die Hypochondry kömmt dem Wahn-
sinn darinn sehr nahe. Der Wahnsinnige ist sich
nicht bewußt, daß seine Einbildungskrafft Unwül-
kührlich ist, %.und der Hypochonder ist sich derselben bewußt.
Etwas Analogisches von einem Wahnsinnigen <«@ist@»> (der die
Producte seiner eigenen Einbildungskrafft für Erfahrung %.und
Gegenstände der Sinne hält) ist ein Phantast,. Der sich zE.
dur Romanen, von guten %.und bösen Characte-
ren Vorstellungen macht, %.und sie für würklich
hält, ob es gleich Producte der Einbildungskrafft
sind. - Hiezu werden gerechnet,

/Die Schwärmer, welche die blossen Producte für würkli-
che Gegenstände halten, die aber nach allen Regeln
der Vernunfft keine Würkliche Gegenstände der Sin-
ne seyn können. ferner Ein Enthusiast, beschäff-
tiget sich mit dem was würklich Real und ein Wah-
res Object ist, nur in der Erfahrung nicht würklich
seyn kann. Er ist ein Phantast, in Ansehung wahrer
Vernunfft_Ideen, welche er mit Affecten nachhängt.
Die Affecten können aber nur bey Gegeständen der
Sinnen Stat finden; wofer aber die Vernunfft_Ide-
en die, ganz kalt betrachtet werden müssen, durch
Affect sinnlich werden; so entsteth daraus ein Enthu-
siaßmus, der in allen Sachen durch Hize sichtbar
wird.

/ ≥ Vom *1 Vor<her>sehungs_Vermögen

/Es giebt drey Vermögen des Gemüths, die auf die
Zeit Gestellt sind, %.und alle zum felde der Sinnlichkeit
Gehören. Die Sinne gehen auf die gägenwärtige

/ Zeit, das Gedächtniß

/~Rand_055_Z_28

/Vorhersehungs

/|P_56

/Zeit«;». Das Gedächtniß auf die Zukünfftige. Dies Ver-
mögen wird Zur Sinnlichkeit gehörig betrachtet.
Es besteth darinn; daß vom Gegenwärtigen aufs
Zukünfftige geschlossen wird. Es ist kein Vermögen,
wo die Natur nach Proportion unserer Neigung,
davon Gebrauch zu machen sparsam gewesen
wäre, als dieses Vor<her>sehungs_Vermögen. Alle un-
sere tähtigkeit gründet sich darauf, das wir gerne
das zukünfftige wissen wollen. Das Vorhersehen
des Zukünfftigen geth mehr aufs üble als Aufs Gu-
te. Weil das Gemüth mehr mit Besorgnissen
als Hoffnungen zu thun hat %.und weil auch das Ge-
müth mehr durchs unangenehmere als Angeneh-
me rege gemacht wird. Das Gegenwärtige
%.und Vergangene Intressirt uns sehr wenig. a-
ber das Zukünfftige desto mehr. Wir geben daher
einer «%.Menschen» menge Thorheiten Plaz; um das Zu-
künfftige auszuspähen. Dahin gehören Ahndun-
gen, vorbedeutende Träume, das Looß, die Züge
der Land, Wahrsagerey aus den Sternen u. so. w.
Die Ahndung beym %.Menschen ist mannigmahl in Bangem
Zustande, welches in Körperlichen Umständen sei-
nen Grund hat. Aber die Phantasie bringt bey
der Besorgniß schon Argwohn, daß nie Gefahr ent-
springen könne. Man nent das Ahndung, wenn der
%.Mensch ein zukünfftiges Uebel durch vorhergehende Trau-
richkeit, schon spüren will. Ahndungen sollen
also voranspiegelungen seyn. Aber man kann
nur daß was gegenwärtig ist empfinden %.und
nicht was zukünfftig ist. Die Ahndungen aber be-
deuten im Grunde nichts. Denn niehmals sagt

/ jemand vorh¿¿

/|P_57

/jemand vorher, es ahndet mir, daß das %.und das gesche-
hen wird, sondern wenn ein Unglük passirt ist; so
sagt er, ja, es ahndete mir; denn nun hat er ge-
wißheit davon. Die Ahndungen entspringen bey
solchen Personen, bey denen die körperlichen Unan-
nehmlichkeiten, sehr leicht auf den Kopf %.und die Phanta-
sie würken. Die Hoffnung nent man nie Ahndung.
Weil der Ahndung die Mittel der Vorsehung fehlen, so
ist auch nichts auf dieselbe zu halten. Denn das Vor-
hersehungsvermögen geschieth nach Regeln der
verknüpfung des Gegenwärtigen mit dem Zukünf-
tigen mit dem Zukünftigen ohne Mittelbare Uhrsachen
Statfinden, welches aber nicht würklich seyn kann.

/Vorbedeutende Träume, die als ein Vorspiel der Künf-
tigen Welt gehalten werden, sind erst sehr stark Mode
gewesen, in Ansehung des Zukünfftigen. Sie wer-
den auch wohl noch gebraucht, besonders wenn sie deut-
lich sind. Selbst bey den Willden gehts so, das
wenn jemand von ihm in der Nacht träumt
Sie es den tag darauf ausüben.

/Die Astrologische Ausdeutung der Ster«¿»ne soll auch
dazu dinen, die Schiksale der %.Menschen auszumachen.
Mann betrachtete erst Unsere Erde als den Mit-
telpunkt der Welt %.und glaubte daß alle andere
Weltkörper ihrentwegen Existiren müssen.
Diese Idee von der Wichtigkeit unserer Erde
wur durch das Copernicanische System auf-
gehoben. Nun wird sie für daß was sie ist er-
kannt. Diese Wahrsagungen aus den Sternen
sind in Europa zwar ganz abgeschafft; aber

/ bey den «%Occidentalischen»

/|P_58

/bey den Orientaler herschen sie noch. Die Züge der
Hand %.und das Gesicht wie auchs Kaffegiessen können zu
nichts Andeutendem gebraucht werden. Man legt
die Kreuzzüge in der Hand, wie Schrifftzüge aus
die etwas bedeuten sollen. Hieher gehören auch die
Sorters virgilanes, wo mann einen Vers im Vir-
gil aufschlug, %.und den als einen entscheidenden Spruch
betrachtete. - Hieraus kann man sehen was für einen
grossen Hang die %.Menschen zur Wahrsagerey haben. Hiezu
kommen noch die %.Menschlichen künste, Mentils nannte man
den der die Sprache des Verrükten auslegte. Denn
man hielte einen Verükten für einen Abgesandten
des Himmels, der Künfftige Schiksale verkündigen sollte.
Wir sollten eigentlich nicht Sorge«n», sondern Vorsorge
für die Zukunfft haben. Die Anstalten in Ansehung
des Künfftigen ist Sorge, wenn es nicht in unserer
Gewalt steth. Aber die Anstalten in Ansehung des Künffti-
gen, wenn«s» <sie> in Unserer Gewalt steht Vorsorge.
Daher können Träume u.s.w. nichts bedeuten,
weil alles nicht in Unserer Gewalt ist. Die Sorg-
losigkeit wo mann Garnicht, aufs Zukünfftige siehet
in Einem Zustande wo man sehr wenig Braucht findet
bey einem Coraiaen stat. Sorge<n>loß muß niemand
sey, aber sorgenfrey in Ansehung des zukünffti-
gen müssen wir seyn.

/Die Vorhersehung in Ansehung des Phisischen ist mög-
lich zE. die Vorherbestimmung, des Wetters. Aber alle
andere Mittel der Vorhersehung taugen nichts. Jä-
ger, Fischer, %.und Spieler sind gemeinhin im Ruff
künfftige Vorher zu sehen.

/ Das lezte

/|P_59

/Das lezte Vermögen der Sinnlichkeit ist.

/ ≥ Das Bezeichnungs_Vermögen. ≤

/Dies gehört gar nicht zur Bestimmung der Zeit, sondern
es ist ein Vermögen der Einbildungskrafft das durch die
Verknüpfung (Assotiation) bestehet - . Es ist ein Vermö-
gen durch gewisse Zeichen, Vorstellungen zu verbinden.
Ein Mittel einer Vorstellung um eine andere hervor
zu bringen ist ein Zeichen. Die Zeichen sind zweyer-
ley: Begleitende %.und stellvertretende; zE. so sind von
ersteren die Wörter, %.und lezteren die Bilder, einer
Sprache. Wenn ein Zeichen zur Begleitung gebraucht
wird, aber ausserdem noch was anderes bedeutet,
so ist es ein Symbolum. Dieses Symbolum ist we-
gen der ähnlichkeit ein stellvertretendes Zeichen.
Wörter können Zeichen; aber nicht Symbola der
Vorstellungen seyn. Durch Wörter werden die
Vorstellungen nicht Symbolisch vorgestellt; sondern
sie sind bloß begleiter der Vorstellungen. Sie schieken
sich am besten zur Beziehung der Begriffe, in sofern
sie nur auf Assotiationen %.und nicht auf Aehnlichkeiten
gehen, durch Wörter die blosser Schall sind, werden die
Gedanken nicht zerstreut, daher sie auch am besten
zum denken dienen.

/Die Schrifft ist zwiefach entweder

/1. Durch Buchstaben oder Charactere

/2. Dadurch Realcharacten oder Figuren %.und Sym-
bolen: Diese aber ist lange nicht so gut wie die
Buchstabenschrifft. Denn diese erweitert durch
die Symbolische Vorstellung den Begriff
der Sache. Sie muß daher ohne Noth nicht ge-
braucht werden. Mann muß eine andere
Sache fassen an denenen ich eine Aehnlich-
keit von «ihr» <Denenen> finde, die ich mir habe vor- 

/ stellen

/|P_60

/vorstellen wollen. Mann muß bloß Bilder %.und
Analogie brauchen, um sich etwas faßlich zu
machen suchen. Die Dich %.und rohen Völker reden
Symbolisch. Jezt herscht die Mode durch Analogi-
sche Bilder zu reden, das taugt aber gar nicht, denn
durch sie hat die Sprache keine «Begriffe»<Wörter> für bestimm-
te «Wörter»Begriffe. Doch diejenige die sich solcher
Sprache Bedinen, brauchen ja auch keine Bestimmte
Begriffe anzuzeigen. Das Symbolum ist eine frem-
de Anzeigung, %.und ein Zeichen vom zeichen, Sie ha-
ben vielen Schaden gethan, %.und vorzüglich ist der
Aberglaube in der Religion, durch Symbola sehr
gestärkt worden. So ist Abgötterey entstanden. Denn
die Anbethung der Bilder, welche anfänglich nur
Symbola der Gottheit waren, hat Gelegenheit ge-
geben, diese Symbola nachher vor die Gottheiten
selbst zu halten. Was als Analogi anfänglich der
Sache diente, wurde am Ende für die Sache selbst
gehalten. - Es giebt Natürliche=Zeichen zE. Die
Mienen, die Unse Affecten Begleiten -. Daher
giebts auch Demonstrations_Zeichen zE. der Rauch
Zeigt jedes mal feuer an. Das blaß werden zeigt
Furcht der Verlegenheit an. Daß rothwerden Zorn
Entrüstung, oder ein gewisses schämen - Einige Zei-
chen sind Remuneratio, die das Vergangene
bezeichnen. So zE. zeigen die Grabmäler an, daß
da jemand begraben sey. Die Muschelschalen in
den Bergen zeigen an daß da einmal der Grund
eines Me¿res gewesen. - Es giebt aber auch
Prognostische Zeichen, die das Zukünfftige anzeigen.
zE. bey den Aerzten ist ein gewisser Zustand des Ge- 

/ sichts, welcher

/|P_61

/Gesichts welcher den Todt des Kranken anzeigen
soll. So hat man Zeichen des Künfftigen Wetters,
die aber noch nicht unter Regeln gebracht sind. Es
giebt auch Myestische Zeichen welches Symbo-
la %.und Hierogliphen sind, wo das Zeichen etwas
Analogisches bedeuten soll zE. eine Schlange
die den Schwanz im Munde hat bedeutet ein Iahr. Es
giebt auch wüllkührliche Zeichen, die denn zulezt in
eine gleichsam innere Nothwendigkeit wir, und durch
die Gewohnheit, unserer Meinung nach natürlich
werden. zE. die Zahl 12. Mann hoffet durch eine
gewisse art von Nothwendigkeit an diese Zahlen.
Dies hat eine Menge Von Wahn hervorgebracht.
Denn wenn zE. auf einer Auction, ein Duzend
Teller, oder andere Sachen der Art, verkaufft werden,
so geths recht gut, wenns duzend voll ist; fehlt a-
ber nur ein teller, so stößt sich ein jeder darann
ohnerachtet sich 11 teller, eben so gut brauchen lassen.
In China ist wieder die Zahl 9 in grossem Werth.
Daher soll der Kayser von China 9999 Schiffe
haben. Daß sieth aber wohl jeder ein, das es nicht
möglich ist denn wo will es der Chineser herneh-
men, %.und ihr Betrug in Worten %.und Handlungen
ist nur schon gar zu sehr bekannt. Die Uhrsache
des Aberglaubens, daß wenn am Neui<a>hr 13 am
Tische sizen, einer von denselben in dem nähm-
lichen Jahr«en» sterben muß, scheint <auch> auf die 12
Himmlichen Zeichen Zu beruhen. Wie dieser Astrolo

/ gische Wahn

/|P_62

/Wahn, mit dem Vorigen Zusammenhängt, ist zu
Weitleiffig %.und gering zu untersuchen. Ueberhaupt
gründet sich vieler Aberglaube auf Astrologi-
sche Symbola -. Man hat sich ordentlich Stern-
bilder erdacht um nur Weissagen zu können.
Die sortes virgilianae wurden deswegen gebraucht
; weil die Alten glaubten die Dichter wären ent-
weder von einem Daemon oder Genius begabt
durch welchen sie wahrsagen konnten. Nur noch
eine Nation hält von dem Wahrsahgen viel; die
Türken. Noch ist zu merken das Wahrsagereyen auf
einzele Personen, Weissagungen aber auf
ganze Völker. Dies ist das ganze feld der Sinnlich-
keit.

/ ≥ Von der Obern Erkentnißkrafft. ≤

/Unsere Erkenntniß ist entweder Sensi«s»tiv zur
Sinnlichkeit %.und Anschauung gehörig, oder sie ist In-
tellectuell, das Vermögen sich etwas durch all-
gemeine Begriffe Discursiv vorzustellen, wel-
ches der Verstand ist.

/Alles wird zur Sinnlichkeit gezählt, was beym
Denken sich auf Anschauung bezieht %.und wo die Sinne
%.und die Einbildungskrafft geschäfftig ist. Durch Be-
griffe bekomm ich algemeine Vorstellungen, die
sich nicht wie die Sensitiue Erkentniß, auf einzele
Anschauungen beziehen. Wir haben schon vom Wiz
%.und Uhrteilskrafft (insofern sie beyde zur Sinnlich-
keit gehören) geredet. Mann könnte den Sen-
sitiven Wiz %.und Uhrtheilskrafft, vom Intellectu

/ ellen

/|P_63

/Intellectuellen Wiz %.und Uhrtheilskrafft unter-
scheiden. Der Mensch kann in Vielen fällen Ver-
stand , in andern aber nicht haben. Die Obere Uhr-
theilskrafft kann man Cultivirt haben; aber nicht
die Sinnliche. Mann hat sich nicht bemüth in Anschau-
ung Anwendungen zu machen. Ein solcher %.Mensch
ist im Gemeinen Leben ein Ignorant, welches
aber durch eine kleine Uebung nicht gleich gehoben ist.
Wir bleiben hier noch im Capittel der sinnlichkeit,
weil wir noch in einzelen fällen der Anwendung %.und des
Gebrauch des Verstandes (%.und <in> der Anschauung) ein¿eschränkt
sind. Es ist ein grosser Unterschied eine Sache Allge-
mein zu wissen, %.und dieselbe auszusuchen. Ein Beyspiel
davon ist, der sonst so aufgewekte Mechiavell, welcher
ein Herrliches Buch von der taktik schrieb, als er aber
nach diesen Ideen Commandiren sollte, brachte er
eine grosse Confusion hervor. Wir sehen also
daß der, der eine sache Algemein weiß, das der in
einzelen fällen unerfahren %.und unbewandert ist. Der
Verstand ist in der Anwendung der Gegenstände
Unerfahren, nicht in Erfahrung geübt %.und unvermö-
gend ein Gleichniß anzustellen. Der Verstand eines
sollchen %.Menschen ist Intellectuell aber nicht Sensitiv, der
Gebrauch von den Gegenständen der Anschauungen ma-
chen kann. Der Gebrauch des Verstandes kann bey einem
%.Menschen grösser als beym andern seyn, nicht des wegen;
weil er mehr Verstand hat, sondern weil er durch
Sinnlichkeit seinen wenigen Verstand Cultivirt
hat. Verstand bedeutet Das Vermögen zu denken,

/ %.und dazu ge- 

/|P_64

/%.und dazu gehören Begriffe, welches auch der eigent-
liche Verstand genannt wird. Die Uhrtheilskrafft
ist das Vermögen, der Uhrtheile, als die Vermögen
der Schlüsse. «man»Nun wird Verstand %.und Uhrtheilskrafft
vergliechen. Der Verstand ist das Vermögen
Der Regeln, %.und die Uhrtheilskrafft das Vermögen
von diesen Regeln Gebrauch zu machen, %.und genau
zu wissen, was man in Concreto für eine
Regel anzuwenden habe die man in Abstrac-
to erkannt hat. - . Wenn es heißt Verstand,
kommt nicht vor Jahren; so versteht man dadurch nicht
Eigentlich Verstand, sondern Uhrtheilskrafft fähig-
keit, die durch lange viel Iährige Erfahrung
erworben wird; wo man weiß ob die oder die oder
die Regel für diesen fall gehöre. Dazu Gehört Be-
kanntschafft mit viel dergleichen fällen. Die Uhr-
theilskrafft muß geübt werden, man kann sie
aber nicht wie den Verstand Unterweisen.
Denn in der Uhrtheilskrafft kommts immer auf ge-
brauch an, der aber nicht durch Unterweisung;
sondern durch Erfahrung kann beygebracht werden.
Man sagt dann auch die reiffe Uhrtheilskrafft, nicht
aber der Reife Verstand. Der Eine reiffe Uhr-
theilskrafft hat, ist gewiziget, denn er weiß was
für einen Gebrauch vom Verstande er machen
soll. Ein %.Mensch ohne Uhrtheilskrafft, der seinen Ver-
stand immer verkehrt anwendet ist einfältig.
Die Lehren der Höfflichkeiten sind nicht algemein;
sondern dabey muß Uhrtheilskrafft gebrauchen, da-
mit man weiß wie man sich in einzelen fällen
halten darff. Wenn der Verstand mit Uhrtheils- 

/ krafft verbu

/|P_65

/Uhrtheilskrafft verbunden ist; so nennt man ihn den
gesunden Verstand. Wenn jemand mit hinreichen-
der Uhrtheilskrafft, einen Gebrauch mit seinem Ver-
stande in Concreto machen kann, so hat dieser %.Mensch
gesunden %.Menschen Verstand. Der das nicht kann
verdint den Nahmen nicht. Zum Sprechen kann
man Verstand genung haben; aber in Anwendung
davon Gebrauch zu machen, ist ein ander ding. Man-
che klügeln in den Worten %.und wollen dadurch viel
Verstand verrahten; aber in ihren Handlungen sieth
man genau die Heilige Einfallt. Sie reden viel
kluges %.und thun bloß dummes. Das ist aber wiedersin-
nig; denn das beste ist doch immer das, daß man von dem
Verstande durch Uhrtheilskrafft einen schiklichen %.und
Zwekmässigen Gebrauch mache. Wie schon oben ge-
sagt, gehört zur Uhrtheilskrafft, nämlich sie zu erhal-
ten; nicht Anweisung sondern Uebung. Doch eine
Regel findt hier wohl stat, man thue in keiner Sache
zuviel. Zuviel heißt mehr wie gut, zuwenig heißt
weniger als gut. Aber auch diese Regel hielfft nichts,
wenn man nicht weiß, was eigentlich die Grän-
ze vom zuviel %.und zu wenig sey. Ferner der Ver-
stand ist Glüklich durch Behende Begriffe. Hier liegt
alles am Wiz. Ein solcher der gleich oder behende faßt,
und sich gemeiniglich von der Oberfläche jeder Sache
Begriffe verschafft, ist zu unterscheiden von dem
der alles gründlich %.und näher betrachtet. Wenn der Ver-
stand behend %.und gründlich ist; so ist er richtig. Ein flüch-
tiger Verstand hatt bloß kenntniß von dingen ohne
auf besondere Anwendung zu sehen %.und davon Ge-
brauch zu machen. Das ist die schon offt %.und lange ge- 

/ tadelte

/|P_66

/getadelte Französische Allwissenheit, wo früh über
alles Resonirt. Der Verstand wird ein Tiefer Ver-
stand genannt, wenn er auf Gründe geth, welches
ein grosser Grad des Verstandes ist. Der Betrüger
scheint offt Klug zu seyn, da wo der Betrogene weit
Klüger ist. Denn der Betrogene rechnet auf Ehrlich-
keit %.und stellt sich in dem Betrüger nicht einen so
niederträchtigen Menschen vor. Wird aber ein
sollcher offt betrogen, so wird er endlich ein Misan-
trop, %.und macht sich solche Grundsäze, die gegen alle
andern ein Mißtrauen zeigen. Zum Betrügen gehört
nicht sowoll Wiz als durchtriebenheit; Es ist jedesmahl
besser ein Betrogener als ein Betrüger zu seyn. Bey
den Orientalischen Völlkern herscht durchgängig
wenig Ehrlichkeit, so daß sie sich auch wohl gar darauf
was zu gute thun, gut Betrogen zu haben. Ein
Ehrlicher ist in seinen Uhrtheilen immer bedachtsam.
Zur Behutsamkeit in Uhrtheilen gehört auch der Aufschub
in Uhrtheilen. Es giebt offt fälle in Uhrtheilen, wo
es immer besser ist, behutsam zu seyn, als gar zu frey
sich daran zu wagen. Denn besonders kann man
in Gesellschafft leicht ausgelacht werden, wenn man
gleich was kluges sagt. Besonders muß man sich hüten
zu Uhrtheilen, wenn man eine Person, von eingewurz-
zelten voruhrtheil hat. Doch kann mann manchemal
durch gar richtige Gedanken, auch seinen größten
Gegner zu andern Gesinnungen bringen. Es ist aber
doch immer«s» «f»besser in Gesellschafften als ein Simpler
%.Mensch zu erscheinen. - Einen dummen %.Menschen nennt
man gemeinhinn denjenigen, der keine Kentnisse
hat, das ist aber nicht so, sondern ein dummer %.Mensch
ist der, der Kenntnisse vieleicht genung haben mag
nur er weiß sie nicht von sich zu geben. Dumheit

/ gesellt man

/|P_67

/gesellt man auch mit Ehrlichkeit, das ist aber ungereimt.
Ehrlichkeit die auf Grundsäzzen beruht, ist Redlichkeit
%.und im höchsten Grad schät«h»zbar. (Ehrlichkeit die auf Grund-
säzen beruht ist Redlichkeit %.und im höchsten Grad
schäzbar.) Ehrlichkeit die auf Temperament beruth
%.und ganz Unfähig ist Intriguien zu spielen, indem
sie nicht kunst genung dazu besizt, die könnte man
mit Dummheit paaren@;\.@ für einen Ehrlichen ist man
nie so ganz siecher. Denn er kann zuweilen arg-
listig seyn, %.und denn stolpert seine Ehrlichkeit. Einem
Redlichen aber kann man jedesmahl trauen; denn er
hat sich gewisse Grundsäze Abstrahiert, in welchen
er auch bey den traurigsten Umständen Stich hält,
Man könnte aber sagen ein Ehrlicher wenn er dum
ist; so kann er ja nicht arglistig seyn, ja aber ein
Arglistiger kann ihm gewisse Regeln an die Hand
geben, nach welchen er Handeln soll, %.und die Be-
folgt er den auch gewiß in jedem Punkte: Vor einem
dummen %.Menschen hat man verschiedene Ausdrüke, die a-
ber am Ende nicht den mindesten Geist verrahten, sie
zielen darauf, daß man Ehrlichkeit für Dummheit
halten solle. Die Vernunfft ist das Vermögen, über
die Prinzipien der Regeln zu denken. Ein solcher
Vernunfft_Gebrauch, findet aber nicht beym Subal-
terne im Militaire stat. Denn die duerfen nicht
fragen warum? - Der Vernunfftgebrauch geth auf
auf alle Critik. Regeln raffen wir aus eigner
Erfahrung aus. Die Vernunfft frägt aber denn
nach welchen Vernunfft_Prinzipien das gebraucht
werden muß, ehe man etwas als Regel zum Grunde

/ legen kan,

/|P_68

/legen kann, nach denen der Verstand Dirigirt wer-
den soll. Die Vernunfft sagt versuche ob es Nüzlich
ist, das deine Regel von andern als allgemein
genommen werden kann, sobald das Geschieth
so ist die Regel auch ein Princip. Man hat auch
sonst, mit vielen Erfahrungen, Anschauungen,
Erleuchtungen, %.und innern Empfindungen zu thun,
wie dieses alles, da«s» es doch bloß eine Privatbemer-
kung ist, allgemein angenommen werden «h»kann.
Die Bemerkung die nicht algemein seyn kann, kann
auch keine Erfahrung seyn. Die Vernunfft sagt
mir, das wenn ich Dinge annehme die sich nicht Exa-
miniren lassen; so ist das kein Princip. Sie
lehrt mir auch zugleich das ich das nicht annehmen soll.
Der Aberglauben ist von der Art, daß er sich auf Fac-
ta Gründet, welche zum algemeinen Prinzip
angenommen werden %.und doch nicht algemein
Examinirt werden können. zE. kann die Geister-
historie dienen. Eine jede allgemeine Erfahrung, die
nicht eine Privatbemerkung ist, muß einer alge-
meinen Untersuchung dargestellt werden. So
muß ich zE. den Magnet %.und seine wundersame
Würkung zu jeder Zeit %.und bey jeder sich darbietenden
Gelegenheit untersuchen %.und prüfen.

/ ≥ Von den Prinzipien des Denkens. ≤

/1. Das Selbstdenken
/2. Das denken an die Stelle eines andern
/3. Das jederzeit mit sich selbst überseinstimmende Denken.

/Das Selbstdenken hilfft dazu

/a.) Daß man seine Vernunfft zum obersten Probier-
stein der Wahrheit machen kann.

/b.) Daß man das, was man durch, Selbstdenken erzeugt

/ hat

/|P_69

/hat, weit gründlicher einsieth %.und daß solches nie entwischen
wird %.und kann. Man muß sich aber auch an die Stelle
eines andern sezen können, um die Sachen aus einem
andern Gesichtspunkte zu überdenken. Auch Consequent
muß man denken können, damit ein Grundsaz immer
mit einem andern <be>stehen kann. Doch kann aber auch der,
der würklich falsche Grundsäze hat Consequent denken -.
Die Schwärmerey Uhrtheilt inconsequent. Der Man-
gel an der Stelle eines Andern denken zu können, ist
nicht gut. Man muß sich durchauß in den Stand
eines andern sezen können; weil man sich auch da-
durch für falsche Uhrtheile sehr hüten kan. Das Con-
sequente Uhrtheilen ist auch sehr gut, besonders wenn
die Grundsäze gut sind, denn alsdenn müssen die
follgerungen woll gut seyn. Consequent in seinen
Maximen zu Handlungen seyn, ist sehr vortheilhafft,
so bald nur die Maximen gut sind. Dieser Gebrauch
ist zweyerley Theoretisch, das betrifft das Consequen-
te Uhrtheilen, %.und Practisch das betrifft das Consequen-
te Verfahren, nach guten Grundsäzen zu Handeln,
%.und seinen Willen darnach zu bestimmen. Mann könnte
den Gebrauch der Vernunfft, der das Resoniren nicht
zuläßt, den Mechanismum oder Despotismum
nennen. Alle Mechanische Denkungskrafft ist
falsch; denn ein solcher der daran gewöhnt ist, wird nie
was guts leisten; weil man dazu, wovon man
zu gleicher Zeit durch Grundsäze überzeugt wer-
den soll, nicht gezwungen werden kann.

/Der Vernunfftgebrauch ist sehr nöhtig. Denn um zu

/ lernen

/|P_70

/lernen braucht mann Gedächtniß %.und Verstand; um das Ge-
lernte recht anzuwenden, braucht man Uhrtheils-
krafft, um es selbst zu Examiniren, auf die Prin-
cipien der Regeln zurük zu kehren %.und sein Uhrtheil zu
erweitern, dazu gehört Vernunfft. zum ersten
wird Geschiklichkeit erfordert die im Wissen %.und können
besteth %.und auf den Verstand beruht. zum zweyten ge-
hört klugheit, um sein Wissen an den Mann zu
bringen, seine Geschiklichkeit nach seinen zweken zu
gebrauchen %.und anwenden zu können. zum dritten
Weißheit über den Wahren Werth der dinge zu Uhr-
theilen. Dies ist die Vernunfft daß Beduerffniß.

/Die Beuhrtheilung des wahren Werths geth nach Prin-
cipien %.und nicht nach besonderem Geschmak %.und Beyspie-
len. Vernünffteln sollte wohl, heissen Vernunfft
gebrauchen; aber eigentlich ist es nur ein leerer
Vernunfftgebrauch, der in Ansehung der Wahren Zwe-
le nichts enthält. Die Weißheit ist ein Practischer
Vernunfftgebrauch. Selbstdenken ist die Aufklärung
oder nach einer gemein herschenden Maxime selbst
zu denken. Dazu gehört so sehr weitläufftige kent-
niß nicht; sondern es wird nur die eigene Vernunfft
als der oberste Probierstein der Wahrheit gebraucht.
In der Stelle eines andern zu denken, ist e«s»in erwei-
ternder Begriff -. Ein Bemerker ist nicht der, der we-
nig gelernt hat; sondern der keine erweiternde Be-
griffe hat. Seine Denkungsart ist eingeschränkt, er
kann sich nicht in die Stelle eines andern versezen,
sondern Uhrtheilt bloß in senem Standtpunkte @<n>ach@ sei-
ner einen Art, %.und sieth nie eine Sache in einem andern

/ Gesichtspunkt

/|P_71

/Gesichtspunkte an. Einen solchen %.Menschen nent man Bornirt
weil er eingeschränkte %.und nicht erweiternde Begriffe
hat. - Consequent denken heißt auch Gründlich denken, daß
immer eins mit dem andern im zusammenhange bleibt
%.und uebereinstimmend ist. Diese Denkungsart ist die Schön-
ste. Dazu wird auch eine ausserordentliche Aufmerksam-
keit erfordert. Daher denken wenige %.Menschen so, welches
auch würklich Gut ist, denn es entstehen die grös«¿»sten Ue-
bel dadurch, wenn man Consequent mit falschen Prin-
cipien denkt. Sie bleibt dennoch von vieler Wichtig-
keit. Es gehört aber viel dazu %.und besonders viel Erfahrung,
die irrigen Principien wegzulassen, um alle Ihr-
thümer zu entdeken %.und den Zusammenhang genau zu beuhrthei-
len.

/Die Philosophie ist die Gesezgeberin der Vernunfft in
jeder Art des Menschlichen Wissens. Wir haben sie allent-
halben nöhtig; weil sie uns auch selbst lehrt, wie wir uns
des obersten Probiersteins der Wahrheit bedienen duerfen.
Die Principien, oder die Grundbegriffen %.und Grundregel
erfodern eine Aufmerksamkeit auf einerley Object.
Dies ist sehr Nöhtig %.und auch sehr schweer, weil es nur einer-
ley Gegenstand der Gedanken %.und nicht der Sinnen seyn
soll. Die Mathematik kann der Aufmerksamkeit
durch Anschauung sehr zu Hülfe kommen. Wo man aber
unmitelbar durch Vernunfftbegriffe %.und nicht durch Construc-
tion der Begriffe seine Aufmerksamkeit auf einerley
Object beschäfftigen will, da ist dies sehr schwer. Die
Zerstreuung der Gedanken, da man auf keine andere
dinge mehr Acht haben kann, findet bey Speculatiuuen

/ Köpfen stat,

/|P_72

/Köpfen stat. Die Zerstreuung ist Wüllkührlich %.und Unwüll-
kührlich; Wüllkührlich ist sie wenn man seine Gedanken,
wüllkührlich herumschweifen läßt, auf allerley Gegen-
stände, %.und vorzüglich in Gesellschafften, wo gesprochen
wird. Man kann sich in Gesellschafft am besten zer-
streuen %.und seinen Gedanken freyen Lauf lassen. Nur
muß die Gesellschafft, (wie sich Graff Cheberfild aus-
drükt) nach Art der Musen nicht über 9 seyn, %.und nach
Art der Gracien nicht unter 3. Denn sonst theilt
sich die Gesellschafft in kleinere Theile, %.und wird dadurch
eben verdorben. Das eigentlich Angenehme was
sich die Gesellschafft mittheilen soll fehllt, mithin hört
das rechte Vergnügen auf. In einer kleinen
Gesellschafft wird hier still geredet, dort Geheimnißvoll
Gethan. Ueberhaupt der rechte Ton der Vertraulich-
keit %.und der Geist der Mittheilung, der hier doch billig seyn
sollte fehlt. Bey solchen Gesellschafften, hatt auch der
Ausdruk ins Gelach reden seinen Plaz, d. h. wenn jemand
in einer sollchen Gesellschafft; dieselbe ganz ver-
ringern will %.und aus diesem Grunde, zur Ganzen Ge-
sellschafft Zu reden anfängt; so hört ihn nicht nur
Niemand; sondern er wird auch wohlnoch hie %.und da
genekt. Kurz er redet ins Gelach hinein, es giebt
keiner auf ihn Achtung, ob er da Proponirt oder
nicht. Aber in einer Gesellschafft die nicht getheilt
ist (welches nur staat finden kann wenn die Ge-
sellschafft nicht zu groß ist) geth es anders Zu, da ist
die Mitheilung allgemein, die Vertraulichkeit hat
ihren Plaz, das Gemueth wird wüllkührlich durch
Zerstreuung auf allerley Gegenstände gebracht %.und
man wird zu gleicher durch diese Gemüthsbewegung

/ gestärkt;

/|P_73

/Gestärkt; weil das Gemüth auf verschiedene Gegen-
stände geleitet wird.

/Unwüllkührlich ist die Zerstreuung. Wenn man
in diesem Zustande auf Etwas gezogen wird, wo-
rauf man die Aufmerksamkeit zu wenden nicht
lust hat. Wenn Diener die sonst nichts zu denken
haben, zerstreut sind, so haben sie entweder
eine Intrigue oder Bekümmerniß, oder Liebesge-
schichte im Kopf. Das erstere Pflegt wohl gewöhn-
lich der fall zu seyn. Wenn Frauenzimmer, die doch
immer mit ihren Vorstellungen herumschweifen,
%.und daher recht in Gesellschafften gehören, wenn
die Distrahiret sind; so sind sie entweder ver-
liebt, oder es herscht doch so etwas in Ihnen. Diese
Unwüllkührliche Zerstreuung, ist eine Krankheit,
wo die Aufmerksamkeit immer auf sich selbst ge-
richtet ist, %.und wo man den Gedanken die eine
Unlust erweken nachhängt. Menschen, die derglei-
chen Subtile zerstreuung haben, %.und immer Lufftschlösser
bauen, taugen gar nichts in Gesellschafft %.und sind sich
selbst schädlich %.und der Gesellschafft lästig. Dergleichen
Leute sind aber auch gemeinhin Narren der Ge-
sellschafft,. Denn wenn ein zerstreuter in Gesell-
schafft ist, so giebts immer was zu lachen. Ueber
haupt ists immer Schädlich seinen Gedanken so sehr
nachzuhängen, %.und daher gleichsam Gedankenloß
zu seyn, d.h. ohne Absicht an etwas denken,
worauf man sich am Ende doch nicht besinnen kann.
Hingegen ist die Wüllkührliche zerstreuung,
die die Aufmerksamkeit auf einerley Gegenstand auf-
hebt, sehr nüzlich. Auf eine solche Zerstreuung muß eine

/ Sammlung

/|P_74

/Sammlung folgen. Sie ist eine gewisse Vernunfft
fassung, wo man den Rumor der Einbildungs-
krafft aufhebt, %.und sie in den Zustand der Ord-
nung sezt, damit dem Verstande %.und der Ver-
nunfft folge leiste. Es ist daher nöhtig, das wenn
man sich samlen will, damit die Gedanken ei-
nen Continuirlichen %.und regelmässige
%.und Zwekmässig Ordnung haben; man sich eine
Zeit in Ruhe begeben, eine Ordnung zu erlangen, %.und
den Gedanken in gehörige geleise zu bringen.
Mann muß sich auch bey jedem Vorhabenden Ge-
schäffte, vorzüglich bemühen, erst die Gedanken
in Ordnung zu bringen. Dieses Sammlen der
Gedanken geth sehr Langsam von statten. Aber
die Gedanken lassen sich nach einer grossen Dispu-
tation guth sammlen. zE. nach einer Comedie
nach Musik, Gesellschafften %.und dergleichen, als
nach einer Distrection. Denn es kostet bey der Ge-
dankenlosigkeit welches die leztere ist viel mühe,
die Gedanken zu samlen.

/Die Ursache solcher Zerstreuung ist, das Romanen
lesen oder wenn man Dinge lieset wo man nicht
das geringste Interresse hat, das Gelesene zu behalten
wenn man lieset bloß um sich die Zeit zu ver-
treiben; so entsteth dar<a>us ein doppelter Schaden
Denn dadurch wird die Zeit verdorben %.und daß
Gedächtniß geschwächt. Ein solcher %.Mensch geräth
endlich in eine Natürliche Zerstreuung, daß da
er sich den Roman noch immer mehr ausmahlt,
er hernach Interessante Dinge garnicht behalten

/ kann

/|P_75

/kann. Dies war von dem Gebrauch des Verstan-
des, in Ansehung der Dissipation %.und Distraction

/. Wir wollen noch vom seinenem Gebrauch in
Absicht der Majorennitaet %.und Minorennitaet.
reden.

/Der Verstand gelangt mit den Iahren zur
Stärke, das der %.Mensch endlich ein Glied der Bürger-
lichen Gesellschafft werden kann. Dieser Grad
ist die Natürliche Majorennitaet.

/Minoren ist man, in den Iahren, noch zu schwach
ist, ein Mitglied des Allgemeinen Wesens zu
seyn, das ist nach Natur %.und Civilgesezen bestimmt.
Aber wird die Majorennitaet Durch gewisse
Iahre bestimmt; wo man vor Erlangung dieses
alles Minoren bleibt; so muß daß auch gelten.
Wir sehen also das die Unmündigkeit in dem Un-
vermögen eigentlich besteht, sich seines eignen
Verstandes ohne Beythun eines Andern, zu bedie-
nen. Ohnerachtet der Iahre kann Jemand in ge-
wissen Zweken Unmündig seyn. Dies sehen
wir daraus, weil sich ein grosser Theil der %.Menschen
in der Religion der Leitung anderer überläßt
wenn sie auch in den Besten Jahren schon sind.
Sie haben bey aller der Wichtigkeit %.und Nothwendig-
keit, sich ihres eigenen Verstandes in der Religion
zu bedienen, doch den Hang, der Leitung Jhrer
Lehrer zu folgen. Dies kommt daher; weil wenn
eine Religion, von Andern Gelehrt wird, %.und sie
falsch ist; man glaubt nichts verantworten
zu dürfen. Die Schuld wird denn immer auf
einen andern geschoben; weil man selbst kein

/ Uhrtheil.

/|P_76

/Uhrtheil über die Sache fällen mag. Der Wagt,
der von seiner Religion zur andern über-
geth, auf sein gewissen %.und auf seine Rechnung.
Solcher wechsel aber nüzt nichts. Denn der
Mensch wird dadurch nicht besser das er Dinge
die gar nicht erheblich sind, auf sein Gewissen
gewagt hat. Das Volk ist in dieser Hinsicht
beständig Unmündig. Ein verständiger Man
Dirigirt immer die Verschiedenheit der Köpfe,
die gar nicht ihre Zweke erreichen können,
%.und stimmt sie zu Ihrem Zwek. Ohne einen sol-
chen Mann kann der Haufe nichts ausrich-
ten, besondern was gemeinschafftlich seyn
soll. Ein sollcher Vernünfftiger Mann kann
Vorzüglich, wenn er ein guter Redner ist, viel
ausrichten, %.und er kann das Volk ganz nach
seinem Sinne lenken. Häuffige Beyspiele
die dieses beweisen, haben wir in der Geschich-
te der Grichen %.und Römer -. Grosse Gesellschafften
werden daher immer klein. Denn wenn von einer
Sache die Rede ist, so haben Einige die Gedanken auf diese,
andere auf jene Gegenstände gerichtet. Und«¿» so entste-
hen bey jedem Neben«k»puncte, so daß dadurch was Unzu-
sammenhängendes heraus kommt -. Gelehrte sind
im Haußwesen Unmündig, %.und stehen daher hierin unter
Ihrer frau. Sie wissen sich auch gar nicht in Häuß-
lichen Sachen zu finden. Die frauenzimmer aber
werden im gemeinen Wesen immer durch Leitung
eines andern Verstandes, für Unmündig angesehen.

/ Despoten

/|P_77

/Despoten sind die, die das ganze Volk Unmündig halten, das
es nicht Raisoniren darff. Dies ist vor dem Regenten
sehr leicht denn er kann seine Uhntertahnen ganz
wie Maschienen behandeln -. In einer Demo-
cratie ist das ganze Volk Unmündig; aber es sind
Demagogen die das Volk regieren.

/Was macht dem Menschen Muth, als sich in der
Religion %.und des gemeinen Wesens seines eignen
Verstandes zu bedienen; Die Philosophen sind
nicht Vormünder der Menschen: sondern sie Zeigen
nur, inwiefern man durch Freyheit, zu seiner Glük-
seeligkeit gelangen kann. Wir können sagen
das wenn die Menschen nie die Freyheit hätten Narren
zu seyn, sie auch unmöglich klug werden könnten. Denn
der Mensch kann gar nicht gezwungen werden, klug zu seyn,
sondern er muß die Grundsäze zum guten Leben
aus sich selbst nehmen. Ein Mensch der einen Hang zur
Verschwendung hat, wird nie durch zwang dahin gebracht
werden, daß er Sparsam lebt -. Die Natürliche
Regirung wofür das Wohl der Untertahnen gesorgt
werden soll, ist die gefährlichste; weil die Untertahnen
da unter dem zwange sind, %.und wie kinder behandelt
werden. Ein könig muß für die gerechtigkeit sorgen,
daß das recht eines jeden durchaus nicht gekränkt
wird. Für die Glükseeligkeit seiner Untertahnen
kan er füglich nicht sorgen; sondern einjeder wird schon
dafür selbst sorgen, daß er sich sein Leben %.und die seinigen
beschüzt. Für Gerechtigkeit muß ein könig sorgen, aber
für das Wohl eines jeden geth nicht an. Denn dieses kann
nicht als ein ganzes Dirigirt werden, wie ein jeder für
sich lebt. Dennoch scheint das ganze Menschengeschlecht,

/ unter

/|P_78

/Unter der Leitung eines andern glüklich zu seyn. Ein Volk
zu regiren dazu gehört Ueberlegenheit des Verstandes %.und
vorzüglich «überlegenheit des Verstandes» Aufmerksam-
keit, daß das ganze nicht verdorben oder gar zerstört
werden kann: Wir halten uns noch bey den Ausdrüken
die hieher gehören auf -. Einfältig (Simplex) heißt
Dasjenige was schlecht %.und recht blos Natur %.und von
jeder Kunst entfrent ist. Zu dieser Simplicitaet
oder eigentlich zu reden (Naivitaet oder <edle> Einfalt) gehört ein
grosses genie. Es findet sich gemeinhinn das die meh-
resten, so sehr geschroben sind, einen Schein zu
affectiren anehmen, um sich Andern durch ihre Zurük-
haltung auf eine vortheilhaffte Art zu zeigen. Und bey
denen darff man nicht Naivität suchen. Das Naive
wird gemeiniglich gebraucht von Personen, die
Etwas Unkultivirtes in der Weltmanier verrathen,
die aber durch daß Gesagte (welches ohne Kunst der Zu-
rükhaltung geschieth) so viel Wietz zeigen, als
ob es mit der größten Kust außgedacht wäre.
Diese Einfalt oder Kunst ohne zu künstlen, erfo-
dert ein besonder genie. Voltaire hat ein genie
der Freymühtigkeit %.und der Simplicitaet. Aber es hat
ihm viel Mühe gekostet diese Kunst zu verbergen
um nur bloß Naiv zu seyn.

/Ein Kopf ist der der selbst denkt -. Ein Pinsel der
andere Nachahmt. Es sind aber die Mehresten
Menschen so beschaffen daß sie Nachahmen müssen.
Dieses ist nicht Eingeschränktheit sondern der Gebrauch
des Verstandes %.und der Vernunfft, insofern erfeh- 

/ lerhafft

/|P_79

/fehlerhafft ist. wenn man aber Original zu seyn
scheinen will %.und es nicht ist, so kömmt auch nichts heraus.
Der fehlerhaffte Gebrauch des Verstandes, zeigt sich dann
daß man ein Thor, ein Laffe, %.und ein Narr ist.
Ein Thor ist der, der einer Sache einen Werth giebt,
den die Sache dem Verstande nach nicht hat. Dahin
gehört zE. Aller Aufwand, %.und die Eitelkeit: Auch das
Verliebt seyn gehört hierher. Denn Verliebt seyn
%.und klug seyn ist ein Wiederspruch. Weil ein Ver-
liebter im Affect ist %.und der Affect den %.Menschen zum
Thoren macht. Fontenelle sagt der ist Klug,
der ein Thor von der allgemeinen Klasse ist. Wenn
er aber aber ein thor von einer besondern seyn will;
so wird er ein Nar genannt. Bey den Moden geth es
so, es wird immer nach Beyspielen %.und Gewohnheiten
geuhrtheilt; aber nie nach der Sache. Die Mode
ist eine Thorheit algemeiner Klasse. Daher sagt der
Engländer ich will ein Narr <in> der Mode, als einer Auser
derselben seyn. Ein Sonderling der sich klug dünkt %.und
auf seine eigene Manier ein Thor ist, ist ein
Gek, %.und wenn er jung ist ein Laffe. Lezterer be-
wundert alles %.und wird von allen betrogen. Erste-
rer aber der sich einbildet klug zu seyn, wird am
Narrenspiel geführt, verachtet %.und gering geschäzt;
weil er das Alter entehrt zE. Ein alter Kerl der
Verliebt ist, ist ein Gek. Ein Narr ist ebenderselbe
thor, insofern er sich in der Thorheit einen Vorzug
anmaßt. Es ist mit dieser Thorheit zugleich ein
Zug des Hasses verbunden. Er sezt als ein thor einen
Werth in dingen, die keinen haben, %.und erhebt

/ sich in

/|P_80

/sich in dieser Thorheit auch über andere. Alle Hochmüh-
tige sind daher auch Genera«ä»liter Narren. Denn sie
wollen Jhrer thorheit gemäß, die sehr beleidigend
ist, das andere sie hochschäzen, %.und sich selbst, in Vergleich
gegen sie, gering schäzen sollen. Aber ein sollcher Narr
ist seinen Zweken ganz zuwieder. Denn indem ers
sich merken läßt, was er verlangt, verdierbt er
seyn Spiel. Mann kann seinen Vorzug erreichen
wenn mann sich demühtig stellt. Wenn man herab-
lassend %.und Bescheiden ist, so wird man den Vorzug
anderer leicht erhalten, weil man denn andern
für sich nicht abzwingt, sondern ihnen vielmehr
gelegenheit giebt, ihr wertes Ist zu zeigen, wo-
durch die Eigenliebe geschmeichelt %.und nicht gekränkt
wird, so daß sie auch darauf denken, dem der sie
Vorzieht auch andern Vorzuziehen. Ist man aber
Hochmühtig; so wiedersezt si«e»ch jeder andere dieser
Praetension. Diese Mängel %.und fehler des Gebrauchs
des Verstandes %.und der Vernunfft, nennt man doch
nicht gemüthskrankheit. Es kann ein mit thorheit
Eitelkeit, %.und Narrheit befallener Mensch hin und wie-
der einen Verlust, aber keinen Vortheil, nähmlich
Achtung im Umgange haben; dennoch fähig seyn ein
Mittglied der Bürgerlichen Gesellschafft zu werden.
Ein Gemühtskranker aber ist unfähig zu alle dem
zE Ein Phantast hielfft dem %.Menschen nichts. Denn insof@ern@
er ein Enthusiast ist %.und für das was gut ist Affect
hat, übertreibt er alles. Und insofern er ein Schwär-
mer ist %.und sich mit sollchen dingen beschäfftigt, die

/ nichts

/|P_81

/nichts wahres in sich enthalten, %.und nur in seiner Ein-
bildungskrafft staat haben, nüzt er zu gar nichts,
Es giebt Enthusiasten der Freyheit, der freundschafft u.
s.w. Beym Enthusiasten ist immer etwas gutes
zur Absicht, nur mit Affect verbunden, wo die Ue-
berlegung fehlt, nach welcher wir Unsere bestrebungen
kräftigen können. Ein solcher Enthusiast kann gefähr-
lich werden -. Die Schwärmerey hat gar nichts
Reelles, sondern blosse Chimere. Dieser Zustand
des Gemühts kommt dem Zustand der Stöhrung sehr nahe.
Wir %.Menschen haben bey Gebrauch des Verstandes eine Re-
gell, unser Uhrteil durch daß Uhrtheil anderer zu
prüfen, daß wir uns nicht unseres eigenen Uhr-
theils; allein bedienen, sondern auch der Andern ihres, da-
mit Uebereinstimmung sey, welches ein nothwendiger
probirstein der Wahrheit ist. Es muß Sensus com-
munis, allgemeiner Menschen Verstand da seyn, %.und
das Uhrtheil muß nicht Egoistisch; sondern Pluralis-
tisch seyn %.und von allen Menschen gelten. Eine Sache
aus dem Gesichtspunkte des Gemeinen Verstandes
zu beuhrtheilen, muß der Probierstein der Wahrheit
seyn. Generaliter fehlt dieses aber bey Verrükten.
Sie sind unvermögend eine Sache, aus dem Gesichtspuncte,
des gemeinschafftlichen Verstandes zu beuhrtheilen.
Ein Wahnsinniger, glaubt etwas in seinen Sinnen zu
Empfinden, was nicht ist. Ein Wahnwiziger stellt sich
Dinge als geschehen vor, die nur Producte seiner eige-
nen Einbildungskrafft sind. Er Uhrtheilt dabey aus

/ einem

/|P_82

/einem Privatstandpunkte %.und nicht aus einem ge-
emeinschafftlichen Punkte. Ein Aberwiziger Uhrteilt
von dingen allgemein, die sich auf gar keine Grund-
säze bringen lassen. Er ist ganz von allen Gesezen
%.und der Erfahrung abweichend, wizzig. - Der Aber-
glaube kommt dem Wahnwize Nahe. Aberglaube kann
auch bey Gelehrten staatfinden, weil sie diesen neu-
e und von der allgemeinen Erfahrung abweichende
Sachen Sammlen, %.und mit vielem Wiz über die Wahr-
scheinlichkeit %.und Möglichkeit derselben studiren. Alle
Erzählungen, wo viel Wiz gezeigt wird, werden als
Facta ausgedeutet -. Der Schwärmer ist aberwizig,
er denkt sich dinge, die nicht Facta sind, als ob sie
Facta wären. zE. er nimmt Geister an, mit einer
inneren Anschauung %.und inniges Gefühl. Er redet vom
Wahrheitssinn, welches aber einem contradictio in
abjecto ist. Denn Wahrheits_Verstand findet wohl
stat aber nicht Wahrheitssinn. Er macht ein Ver-
nunfftuhrteil, welches er selbst zum Factum ver-
nünfftelt. Ein Abergläubischer macht das factum
zur Vernünffteley, um einen Schluß daraus zu ma-
chen; aber er vermengt das Factum mit dem was
die Vernunfft gedacht hat -. Trübsinnig ist der, der
eine Anlage, Melancholisch zu werden hat. Tiffsinn
(eigentlich ein Wiederspruch, weil der Sinn niemals tief
geth; sondern tiefdenkend, wo man auf Gründe
geth) tiefsinn sage ich ist Schwermuth, %.und bedeutet
eigentlich den Zustand des Menschen, wo er in

/ seiner

/|P_83

/seiner einen Attention %.und Bewegung so vertiefft ist,
das er sich nicht herausheben kann. Dieses bringt eine
Feindseelichkeit zu wege - Ein toller ist ein verrük-
ter im Affect, Der kann nicht freygelassen werden.
Ferner die Allbernheit in Analogie mit der Dollheit.
Ein Alberner, der ohne Uhrtheilskrafft, Eigendünkel
besizt, will immer mit Wiz glänzen. Er ist einiger-
massen mit dem Aberwizigen zu vergleichen.
Das Klugthun, gränzt sehr an Wahnwiz. Das groß-
thun ist eine Wahnnarheit, oder Wahnsinn; weil
ein solcher sich einbildet, daß er in die Augen falle,
das er ein Object der allgemeinen Achtung sey.
Dieser Wahnsinn, äussert sich immer im Hochmuth.
Der Tollheit gränzt der auffahrende Zorn. Seneca
sagt, ira furor brevis est -. Es ist ein gewisser toben-
der Affect. (Nun noch ein par fragen?. - Ist eine Grän-
ze die das gestörte vom Ungereimten Unterscheidet?
es ist sehr schwer hier das allgemeine Merkmahl an-
zugeben. Der Species nach sind sie unterschieden.
Ein Verrükter betrachtet alles nicht aus dem allge-
meinen Standpunkt; sondern aus seinem eigenen,
wo es es immer mit Illusionen zu thun hat. Beym
Ungereimten ist sehr die Anlage zur Verrükung.
Ueberhaupt ein Mensch der mit sich selbst redet, kommt
sehr in den Verdacht des Wahnwizes -. ferner
Ob die Lage des Gemühts zugezogen oder erblich ist?
Wenn sie Erblich ist so wird sie schwer gehoben wer-
den. Wenn aber die Verrükung zugezogen ist; wenn

/ körperliche Uhrsachen

/|P_84

/körperliche Uhrsachen %.und gewisse Irruptionen dasind,
welches durch Schwachheit des Gemüths, Grillen, Dis-
traction %.und so %.weiter geschieth, so ist das auch sehr schwer
zu heben, wenn die Uhrsachen nicht wegge-
schafft werden. Wahnwizzige Kinder findet
man nicht; weil die Natürlichen Anlagen %.und Ge-
müthskräfften sich im Allter e<n>twikeln, %.und diese
Anlage nicht leicht gehindert %.und Corrumpirt wer-
den kann.

/ ≥ Von den Gemühtsfähigkeiten. ≤

/Wenn die Vollkommenheit der dinge beuhrteilt
werden soll; so kommts nicht auf den Grund des
Vermögens %.und der Menge, die zum Zweke hinrei-
chend ist; sondern auf die Proportion der Gemüths-
fähigkeiten an. Talente sind die Tauglichkeiten
zu allerley belibigen Zweken. Es giebt verschiede-
ne Vermögen des Gemüths, bey deren Cultur
vorzüglich darauf gesehen werden muß, das die
Proportion nicht in Disproportion verwandelt
werde. Wenn jemand zu einem Studio mehr Anla-
gen zeigt als zu einem andern, so kommt davon
nichts heraus, wenn er sich nicht dem fache Widmet, wo-
zu er schon gemacht zu seyn «seyn» scheint. Und man
könnte einen Menschen recht vernünfftig machen, wenn
man eine grössere Krafft zur kleineren herab-
stimmte, damit er sich nicht in der einen Verstei-
gert %.und die andere talente in Proportion des
einen nicht zu klein«en» werden. Das ist Nöhtig da- 

/ mit

/|P_85

/Damit man sich nicht lächerlich mache. Es geschieth zE.
bey einem Pfantasten, der seine Einbildungskrafft
nicht durch den Verstand in Zügel hält %.und geneigt ist,
seinen Chimeres Realitaeten zu geben, das
er durch diese Disproportion seine Kräffte lächer-
lich macht. Unter den Gemüthskräfften muß eine
Proportion Statfinden. Wenn man den Verstand
nicht steigern kann; so schwäche man die Einbildungs-
krafft, damit man im stande ist, leztere durch den
¿ersten Grund zu halten. Mann gewöhne sich. Alles
in genau bestimmten Begriffen zu reden«,». Ueber-
haupt macht nicht sowohl der Grund als die Propor-
tion der Talente den Kopf aus; Dieser ist ein
vollkommener Gebrauch aller Zweke, wo alle Ge-
müthsEigenschafften Gebraucht werden. So zE. zur
Geschichte wird hauptsächlich Gedächtniß erfordert, aber
auch Uhrtheilskrafft. Zur Geografie gehört eigent-
lich Einbildungskrafft; aber auch Uhrtheilskrafft %.und Ver-
nunfft. Der Himmel hat gewollt, uns fähig zu machen
alle mögliche Wissenschafften zu erlernen, daher gab
er uns Talente %.und zwar in verschiedenen Propor-
tionen. Jede Disproportion bringt Verwunderung
%.und jede Proportion Bewunderung hervor. Die Dis-
proportion findet immer mehr stadt, weil die %.Menschen
bey ihrer grossen Eigenliebe, auf diese Extragation

/ fallen

/|P_86

/fallen, um desto ehr bemerkt zu werden. Ein jeder
%.Mensch hat irgend eine Naturgabe, die in Proportion
der übrigen kräffte, immer recht gut ausgebildet wer-
den kann. Aber es ist ein Unglük daß die %.Menschen Ste-
kenferde haben; D.I. die Thorheit sich ein lieblings-
geschäffte zu wählen, wozu die Natur die geringste
Krafft gegeben hat. Dieses verhindert alles. Diese
Disproportion in Talenten erregt Verwunde-
rung, die aus der Monstrositaet herrührt. Wenn ein
Zwek erreicht werden soll so muß ein Talent daß
andere nicht überschreiten. Der Schüler braucht
Naturell zum lernen, der Lehrer talent zum lehren.
Der Erfinder muß igenium haben. Das ist Naturell
%.und Talent zusammen. Es giebt verschiedene grade
der Gemüthskräffte, nach den Verschiedenheiten
der Wissenschafften %.und Künsten. Einer hat ein Empi-
risches der andere ein Historisches; Rednerisches,
Mechanisches Talent; dies sind Anlagen, aber doch
noch nicht ingenuim. Genie besteht darinnen, das et-
was ausgeführt wird, was ein Muster für andere
werden kann. Das ingenuim soll das Uhrbild
seyn %.und nicht nachahmen. Es soll eine Regel aus ei-
nem Gegenstande machen, die andern zur Nach-
ahmung dient. Ein Virtuose hat ein talent. Ein
allgemeiner Kopf der zu allem aufgelegt ist, ist
nicht recht zu brauchen. Denn das findet sich nicht
in der Wellt, das ein allgemeines Talent, allen

/ Sachen

/|P_87
Sachen gewachsen ist.

/Ingenuim; In den neuern zeiten ist viel davon
geschrieben worden; Ein genie ist ein Original zur
Nachahmung. Da wird nun aber eine Menge an-
genommen, durch welche das Genie sehr herabgewür-
digt worden ist. Es kann bey einem ingenium
nicht auf die Menge der Kräffte, sondern haupt-
sächlich auf die Zusammenstimmung ankommen. Genie
ist eigentlich die Unverhoffte <Eigenthümlichkeit einer> Naturgabe. Es muß
eine eigenthümliche Naturgabe da seyn, aber
nicht eine eigenthümliche Narrheit, Verkerthheit und
Phantasie. Dies Eigenthümlichkeit muß ferner unver-
hofft seyn, um andern zur Vorschrifft %.und Regel zu
dienen. Das ingenium muß nicht Nachahmung seyn,
obgleich das Talent nachahmend nicht zu verachten ist.
Das Nachahmen ist vom nachmachen %.und nachaffen
verschieden; denn lezteres geschieth Empirisch %.und Me-
chanisch. Das Nachahmen ist eine Veränderung
der Ide, eines andern, die zur Anweisung dient.
Dazu gehört schon viel talent, %.und nicht wie beym
genie Uhrsprünglichkeit %.und Eigenthümlichkeit. Der
Deutsche hat vor genie kein Wort. Auch kommt genie
nicht aus dem französischen; sondern von dem la-
teinischen Wort Genius her. Genius war bey
den Römern der eigentliche Geist des Menschen,
der bey Geburth anfängt %.und mit dem Tode aufhört.
Dieser Geist war den %.Menschen beygesellt, um ihn an

/ und abzu

/|P_88

/und abzurathen. Das ist eine Art Metapher %.und
Allegorie. Doch hatte das Wort bey den Latei-
nern nicht die Bedeutung, die es bey uns hat.
Es bedeutet nähmlich nicht genie: sondern einen
reinen ingenium.

/Im genie ist die Originälität der Einbildungs-
krafft, das Vorzüglichste %.und hauptsächlich Nothwen-
dig, insofern sie ein Muster wird. Der Verstand
%.und die Uhrtheilskrafft muß sie doch in Zügel halten.
Weil sie sonst Zügelloß %.und Regelloß wird. Man
hat auch gewisse künste des genies. Wissenschaf-
ten können durch anhaltenden fleiß erworben wer-
den, vorausgesezt daß man das Mittelmaß der
Talente, die dazu erforderlich sind habe. zE. in Ma-
thematik, %.und Geschichte, kann man durch anhalten-
den fleiß, ziemliche fortschritte thun, ohne sonder-
liche talente. Allein mit allem fleiß, kann man
es doch in der Poesie nicht weit bringen, wenn nicht
schon Natürliche Anlagen da sind. Das genie geth
eigentlich auf kunst. Die Kunst unterscheidet sich da-
durch vom Handwerk, daß wenn man beym
Handwerk etwas weiß, man es auch kann; aber
bey der Kunst geth es nicht so; man kann da alles
gut wissen aber nichts machen zE. beym Mahlen.
Das genie gehört zu den Künsten %.und diese Künste
werden, schöne Künste genannt. Schöne Wissen-
schafften giebts gar nicht, denn sie gehören zum

/ Verstande

/|P_89

/Verstande. Aber schöne künste, wie Dichtkunst Redner-
kunst etc: giebts. Man kann denjenigen, der es durch
Nachdenken %.und Nachahmen weit gebracht hat, bey wei-
tem nicht ein genie nennen; sondern der ist ein gelehr-
ter. Wenn ein solcher vieleicht auch mit dem größten,
fleiß, alle Poeten durchgelesen hätte, %.und er keine Na-
türliche Anlagen, zu dichten hat, so hielffts ihm nichts.
Die Einbildungskrafft %.und die Stimmung dersellben
muß beym genie ausserordentlich groß %.und Meister-
hafft zugleich seyn. Die freyheit der Immagina-
tion, muß auch eine Haupt ingredienz seyn. In den Uebrigen
Gemühtskräfften sucht man Regeln. Die Imagination aber
will Unabhängig seyn. Sie ist kühn, sie ist schöpferisch, %.und unter den
Regeln des Verstandes geschieht ihr immer Abbruch, wellche ihr gleich-
sam die flügel beschneidet. Die Imagination aber muß auch
unter Gesezen seyn. Wenn sie sich nur Gesezen Unter-
wirfft, wo ihre größte freyheit stat findet, das die Glüklichste
Zusammenstimmung mit der größt möglichsten Bestimmtheit des
Verstandes %.und der Vernunfft da ist, so hat sie die Stimmung, die zu ei-
nem genio erfordert wird. Ein genie durch wiederspenstigkeit
gegen Regeln zureden, ist ein sehr <«@weit@»> ver«h»kehrter Wiz %.und
das kann nie ein genie werden. genie gehört für das was
nicht gelernt werden kann. Das sind die Künste, denn Wissen-
schafften können erlernt werden. Was nicht erfunden
wird wird nachgeahmt. Ersteres gehört zum genie,
lezteres zur Wissenschafft. Der Erfindungskrafft ist nach-
ahmung zuwieder. Zum genie gehört daher freyheit %.und
Originalitaet der Einbildungskrafft, die sich nicht in Schranken
hällt, %.und doch dem Verstande nicht wiederspricht, ohne daß sie

/ von ihm

/|P_90

/von ihm gezwungen, %.und ihn durch seine Regeln Gränzen
Gesezt werden sollen. Dies kann geschehen weil sie Original
eige¿nthümlich %.und nicht Nachgeahmt ist. Die Einbildungskrafft
ist auch beym genie Meisterhafft; weil ihre Producte Anlaß
zu neuen Regeln geben. - Sie wird <nicht> durch den Zwang schon ge-
gebener Regeln, sondern durch sich selbst Dirigirt. Bey genie
bedient man sich auch des Ausdruks Geist; Geist ist dasjenige was
belebt, jemehr Geist da ist desto mehr Belebung geschieth durch
pure Ideen, wodurch die Tähtigkeit des Erkenntniß_Vermögens
insgesammt harmonisch bewegt wird. Die Einbilldungskrafft
muß beym genie von der Art seyn, daß sie Geist erhält. Die
Ideen sind sollche Vorstellungen, die angesehen werden als
die Originale der Dinge. zE. es will jemand eine Rede beuhr-
theilen; so muß er eine Ide von der Rede haben, die eine
Vorstellung a_priori ist, %.und die ihm als eine Regel zur Beuhr-
teilung der Rede dient. Das genie hat nun das Vermögen
der Einbildungskrafft die Ideen zu beleben, %.und sie in eine
Harmonischen Proportionirliche Bewegung zu sezen. Hier
wird die Einbildungskrafft ins Spiel gesezt, der Verstand fin-
det Stoff, der Wiz unterhaltung, %.und die Uhrtheilskrafft be-
schäfftigung. Nur muß die Einbildungskrafft bey einem sol-
chen Spiele nur Stark genung seyn, um das alles An-
zuschauen. Das genie belebt durch Vorstellungen, die aus
der Einbildungskrafft genommen sind, %.und unsere Gemüths-
krafft zusammen bewegt. Die Einbildungskrafft muß den
Tohn angeben, %.und würksam seyn, so daß der Verstand
und der Wiz Gelegenheit hat cultivirt zu werden. Ein
solch mit freyheit entworfenes Gemälde, bewundert man.
Das thut Millton Vorzüglich. Dazu gehört talent oder
geni, alles in eine einzige Idee zusammenzufassen, %.und das

/ Spiel

/|P_91

/Spiel aller Gemüthskräffte in der Einbildungskrafft zu
beschäfftigen. Daß läßt sich aber nicht lernen, auch nicht
mit der größten Mühe. Daher es auch ein glükliches talent
genannt wird; weil es ohne alle Mühe ist %.und dabey doch
eine Proportion hervorbringt. Das genie ist angebohren
%.und durch alle mögliche Mühe, kann man nie ein genie
erreichen. Einer der nicht genie hat, kann Verstand haben;
aber es kann ihm an Wiz oder an Uhrtheilskrafft, in der
Einbildungskrafft fehlen. Da hörts denn auf genie zu
seyn. Denn wo eine Krafft fehlt ist kein Geist. genie ist
dem Mechanischen Kopf entgegengesezt. Ein sollcher kann
alle talente haben, er bedarff aber immer einer Regel, um
Gelenkt zu werden. Die Einbildung hat nicht die freyheit, sei-
ne Krafft ins Spiel zu sezen. Ein Mechanischer Kopf ist ohne
Geist; er hat zwar Verstand, aber er muß immer Regeln
nach denen er handeln soll haben. Und da dies was all-
tägiges ist; so erregt es keine Bewunderung. Dennoch aber
ist dieser Verstand sehr nüzlich, in dingen die erlernt wer-
den müssen.

/Das genie kann man von Virtuosen unterscheiden.
Im Grunde betrachtet geben leztere keine neue Regeln
an die Hand. Ein Musicus der ein guter Compositeur ist
ist ein genie Denn Erfindung gehört zum genie. Die Exe-
cution eines Stüks aber, erfordert ein eigentliches talent in
Ansehung der Ausführung, wozu Mechanismus in den
Organen sehr beförderlich ist. Virtuosen haben eine ganz
besondere Organisation die zur kunst vortheilhafft ist,
schon von Natur.

/Das genie ist an sich selbst roh, %.und nur ein Virtuos hat Selbi-
ges cultivirt. Mann kann die Producte des genies un- 

/ terscheiden

/|P_92

/unterscheiden, <in> Geist %.und in Geschmak. Zum Geist gehört der
Reichthum %.und das belebende der Einbildungskrafft, das
sie nicht Disproportionirt; sondern Harmonisch
belebe, das ist denn Geschmak. Dieser macht die Einbildungs-
krafft dem Verstande proportionirt. Die Einbildungs-
krafft muß in Anschauungen frey seyn, aber sie kann sich da
verwikelen. Wenn sie nun zu ihrem eigenen Vortheil
beschnitten wird, um den Verstand zu nuzen; so heißt das
Geschmak. Ein Cultivirtes genie hat Geist (oder Reichthum)
%.und Geschmak (oder Mässigung %.und Harmonie) In den
aller mehresten Zeiten ist viel Geist. In den cultivirten
Zeiten ist mehr Geschmak, der alles vollendet %.und zusam-
menstimmung zu wege bringt. Man kann den Geschmak
eine sinnliche Uhrtheilskrafft nennen, d.h. eine Uhrtheils-
krafft, welche die Einbildungskrafft, dem Verstande Fleck ge-
mäß eingeschränkt. Das genie schießt entweder in die
Wurzel, daß ist die Uhrtheilskrafft, oder in die Krone, dies ist
die Sinnlichkeit; oder in die Blüte, das ist der Geschmak; oder
in die frucht, das ist der geist. Bey den Deutschen schießt da genie
in die Wurzel, D,h, Sie besiezen viel Uhrtheilskrafft in ihrem
genie. Bey den Engländern in die frucht, d,h, in ihrem
genie das sie zeigen, ist viel Geist. - Bey den Italienern
in die Krone, d,h, sie lassen sich bey ihrem genie durch die Sinn-
lichkeit hinreissen. Bey den Franzosen in die Blühte, d,h,
sie haben viel Geschmak im genie.

/Bey manchen Völkern findet sich das genie mehr, als bey
andern. Das hängt von der Einbildungskrafft ab. Itali-
en ist ein Land wo die Einbildungskrafft stoff findet. Aber
was für eine Einbildungskrafft soll wol der Grönlaen-
der haben!

/Das es so wenige genis giebt, daran haben wohl die

/ Schulanstalte

/|P_93

/Schulanstalten %.und selbst die Regierung schuld. In der Schule
herscht ein Zwang, Mechanißmuß, %.und ein Gängelwagen
der Regeln. Das benimmt den Menschen offt alle kühnheit
selbst zu denken %.und es verdierbt die genies. Es ist wahr das
sich die übrigen Gemühtskräffte, immer nach Regeln, immer
nach Regeln sehnen. Diese Regeln aber sollten nur
Rectificiren, ob die Freyheit die Gemüthskräffte zu beleben,
benehmen. Das Machinen Mässige (da es doch sehr nöhtig ist)
muß sehr behutsam gebraucht werden, damit nicht alle ge-
nis ausgerottet werden. Der Mechanismus erstrekt sich so
sehr nachher auf die Denkungskrafft, daß man nicht anders
als nach vorgelegtem Modell %.und Muster denkt. Die deutsche
Nation ist dazu sehr gestimmt. Zu einem Beweise dint die titel-
sucht dieser Nation; weil sie zum theil ein Naturell da-
zu hat, zum theil auch durch Mechanismus dazu gebracht wor-
den ist. Dieses Mechanische hängt auch von der Regierung
ab. Der Richter muß Mechanisch, nach den Buchstaben
Des Gesezzes in allen möglichen fällen richten. Es ist aber
doch in der tath nicht möglich, das ein Gesez auf alle mögliche
fälle gemacht werden kann.

/Die Affectirte %.und angemaßte genies, glauben daß eine
vorherige Herumschweifung %.und Verwikelung, der Ein-
bildungskrafft; die mit Worten bekleidet wird, %.und dem
Verstande, etwas Angemessenes zu enthalten scheint,
für würkliche genies gehalten zu werden verdienen. Sie
Praetendiren Bewunderung %.und Befremdung. Sie Affecti-
ren eine Gedanken fülle, oder eine Menge von Ideen
die zusammengedrängt werden, die man bloß leer findet.
Solche Praetendierte genies, findet man häuffig in Deutsch
land. Sie haben was Orakel mässiges, das giebt einen

/ Anschein

/|P_94

/Anschein, als sey es unmittelbar aus der Natur. Bey ihnen
ist die Rohe Stärke der Einbildungskrafft, die nicht durch
den Geschmak Cultivirt ist -. Man nent gewöhnlich
einen ausserordentliche Kopf ein genie, welches nicht ei-
gentlich ist, weil die Originellitaet, welche alle Kräffte
Proportioniert, fehlt. Newton, war ein grosser
Kopf, aber nicht ein genie. genie geth auf Einbildungs
krafft, angemessen ihrer eigenen Freyheit. talent, oder
die fähigkeit des Geistes, geht auf das, was erlernt
%.und erworben werden kann. Ein genie unterscheidet
sich vom Kopf nicht den Graden der talente nach; sondern
nach der glüklichen Proportion der Gemüthskräffte, die
durch Einbildungskrafft, Harmonisch belebt werden.
Das ist ein Glük. Talent ist der Qualitaet nach durch fleiß
Cultivirt. Milton, Schaekspear sind genies.

/Sind wohl zu demselben Objecte, wozu die Neigung des Men-
schen groß ist, auch Naturanlagen? - Das ist schwierig
auszumachen, das die Natur die talente so ausgetheilt
habe, das jedesmal da, wo talent ist, auch Neigung sey.

/Es kommt gemeinhin auf Veranlassung %.und ersteren Eindruk
an, das man einen Hang wozu bekommt, darum weil es
gefällt. Daher ist es immer nöhtig, seine Geschiklichkeit, in der
ersten zeit so zu cultiviren, damit man nachher zu aller-
ley zweken geschikt sey; frühzeitige Köpe können nicht
eigentlich zu den genis gezählt werden. Es giebt davon
viele Beyspiele, wie das Kind Heinike in Lübek - %.und man
findet wiederum, daß grosse Köpfe in der Jugend nicht
viel versprochen haben. zE. Fontenelle.

/ Die Spanier

/|P_95

/Die Spanier in America, werden sehr früh brauchbar;
aber nach dem 30. Jahr haben sie ihr non plus ultra er-
reicht.

/Die Bauren haben, erstau«¿»nlich viel Mechanisches
genie. Bey der Astronomie %.und Mechanik, stell sich solch
genie sehr früh ein, %.und wenn eine Anweisung da
ist so kan@n\es@ sehr weit darin gebracht werden. Die
Köpfe die im Kleinen oder Micrologisch grüblen, tau-
gen nicht zu grossen Sachen, wo sie viel umfassen
sollen. Es giebt Cyclopische Gelehrsamkeit, wo viel Histo-
risches Wessen ist, wo aber die Uhrteilskrafft fehlt, inwi-
fern die Kentnisse richtig %.und wahr sind %.und angewand wer-
den können. Die Vereinigung aller talente, nent
man einen Kopf. Dazu gehört Polihistorie. Ein solcher
allgemeiner Kopf, muß zu allen Wissenschafften aufge-
legt seyn, er hat auch die Geschiklichkeit in verschiedener Art.
Doch diese Vereinbarung hat Schwierigkeit. Denn Philosophie
%.und Dichtkunst läßt sich nicht füglich zusammenbringen. Der
Philosoph schildert die Dinge nach der Wahrheit, der Dichter
nach dem Schein, %.und gewöhnt den Menschlichen Verstand, an Statt
an Begriffen an Bildern.

/Naturalisten einer Wissenschafft sind die, welche ohne
Anweisung Wissenschafften erlernt haben, hiebey findet
doch immer ein Mangel des Fundaments stat. - Die Leichtig-
keit einer Ausübung entsteht durch öfftere Wiederholung,
wodurch eine fertigkeit entsteht; aber auch eine Nothwendigkeit,
die nennt man Angewohnheit zE. kann man sich ein flükwort,
oder eine Miene eines Andern angewöhnen, wenn man
es dem andern zu merken offt wiederhollt. Wenn ein
flükwort gleich ein gutes wort ist; so taugt es doch nicht,

/ denn daß

/|P_96

/denn das gute muß nach Grundsäzen, nicht durch Angewohnheit
ausgeübt werden. Bey der Gewohnheit findet Hülfe. Die
Angewohnheit wird aber nothwendig %.und bey entbehrung der-
selben schadhafft. Mann muß alles in der Wellt thun und er-
dulden können, d,h, man muß sich in Handlungen und Lei-
den gewöhnen. Daher ist es nicht gut sich gewisse Handlungen
%.und Empfindungen anzugewöhnen. Denn eine Angewohnheit
ist jederzeit ein Mechanismus, %.und der muß vermieden
werden. Der Mechanismus in der Außübung der fähig-
keiten, ist dem genie nicht entgegen. Aber der Mechanis-
mus muß in der Unterweisung aufhören, wenn es auch die
genies nicht wollen. Der Mechanismus ist nothwendig in
Ansehung des Gedächtnisses %.und der Materialien, die gefaßt
werden sollen. Der Mensch hat ein 3 faches Vermögen,
nähmlich das Erkentniß_Vermögen, daß Vermögen des Gefühls
der Lust %.und Unlust %.und das Begehrungsvermögen. Vom er-
sten Stük (nähmlich vom ganzen Erkentnißvermögen) ist
bisher gehandelt worden, %.und nun kommt das 2 te Stük.

/ ≥ Von dem Vermögen des Gefühls der Lust %.und Unlust. ≤

/Lust %.und Unlust ist ein Gefühl; weil dadurch kein Object vor-
gestellt wird; sondern nur dasjenige, was im Subject
eine Empfindung macht. Zu Diesem Gefühl welches Sen-
sus Vagus ist, gehören alle Vorstellungen, die nicht Erkent-
nisse seyn können %.und keine Beziehung aufs Object; sondern
aufs Subject haben, wodurch auch der Zustand des Gemüths
Modificirt wird. Dieser Zustand nun wo Unser Gemüth Affi-
cirt wird, ist ein Gefühl, entweder Lust oder Unlust. Das
läßt sich nicht erklären, wenn man nicht tautologisch verfahren

/ will.

/|P_97

/will. Mann kommt hier immer auf das was bekannt ist.
Gefühl der Lust %.und Unlust ist ein Vermögen der Recepti-
vität, von welcher wir Afficirt werden können. Hir ist
eine gewisse Modification, ein Wohlgefallen oder Miß-
fallen. Obgleich es Uneigentlich, nicht recht erklärt werden
kann. (Hier ist eine gewisse Modification, ein Wohl-
gefallen oder Mißfallen.), so ists es doch vorteilhafft,
wenn Beobachtungen zu Maximen gesamlet wer-
den, welche zu einem Populairen Gebrauch bestimmt
sind. Und hierauf geth die Antropologie.

/Wollgefallen haben wir an Beschaffenheit eines
Ge«s»genstanden, so daß wir an der Existens derselben,
kein Wohlgefallen haben. Dieses ist das Geschmaks
Uhrtheil. An der Existens des Gegenstandes ein Wohl-
gefallen, so das uns die Beschaffenheit nicht gefält,
ist Vergnügen. Bey denselben findet die Existens, ein
besondrer Grad des Gefühls stat, %.und das Vergangene
wird auch nach dem Grad der Aehnlichkeit, die wir dadurch
empfinden, beuhrtheilt. Hiebey wird gar nicht auf
die Quantitaet der Sache, die das Vergangene macht
gesehehen. Wir können aus verschiedenen Quellen
in Hetrogenen Dingen Vergnügen finden. Weil
bey dem Vergnügen nur auf den Eindruk %.und Grad
der Wirkung gesehen wird. Das Vergnügen be-
kümmert sich nicht um die Uhrsache des Vergnügens.
Die Vergnügungen sind dem Grade nach aller von ei-
ner Art. Das Vergnügen, ist das Gefühl von der Be-
förderung des Lebens -. Der Schmerz ist daß Gefühl
der Hinderniß des Lebens. Er beförde<r>t auch am mehre- 

/ sten

/|P_98

/mehresten das Gefühl des Lebens, weil der %.Mensch beym
Schmerz doch auf sein Leben aufmerksam wird. Beym
Vergnügen giebt er aber auf dasselbe nicht soviel acht
. Beym Vergnügen, wird das Leben in allen Or-
ganen befördert. - Der Schmerz aber hindert nicht
das Gefühl des Lebens; sondern er ist daß, was
Gefühlet wird. Zerstreuungen, sind Mittel, das
Gefühl des Lebens zu verhindern, damit das Unan-
genehme sich verliere. Und da ist das einerley, wo
durch man Zeurstreut wird. Im Schmerz fühlt
man sein Leben; weil man die Hindernisse des
Lebens fühlt.

/Das Leben hat einen gehörigen Grad. Um ein
Gefühl von der Beförderung des Lebens, zu haben
muß ein Gefühl der Hindernisse des Lebens, Vorher-
gehen. Wenn wir also Vergnügen des Lebens em-
pfinden wollen; so müssen wir vorher Schmerz em-
pfunden haben. Daher können wir es nicht so weit
bringen, daß das Vergnügen den Schmerz überwö-
ge. Denn das Vergnügen ist die Aufhebung eines
Vorhergegangenen Schmerzes, %.und ist also nicht was
Positives. Wenn das Vergnügen was Positives
wäre, so müßte folgen daß wir unser Leben im Ver-
gnügen mehr empfinden %.und wahrnehmen könnten.
Im Vergnügen aber nimmt man sein Leben nicht
wahr; sondern beym Schmerz fühlt man sein Leben.
Unser Leben ist mit lauter Schmerz angefüllt, %.und
wenn wir eine Streke Zeit, niedergelegt haben, ohne
darauf zu merken, so ist sie mit vielen Vergnü-
gen, untermischt gewesen. Der Schmerz treibt uns

/ aus

/|P_99

/aus dem gegenwärtigen Zustande heraus, %.und er ist
der Stachel der tähtigkeit. So ists mit keinem Ver-
gnügen. Daher kann man sagen die Natur hat für
uns einen Unaufhörlichen Schmerz aufbewahrt. Es
ist aber nichts anders als unnenbare Ungeduldt, im-
mer aus einem Zustande in den andern zu kommen.
Das Vermögen besteht in der Kunst so zu leben, ohne
sich dasselbe bewußt zu werden. - Der Gebrauch
des Tabaks ist zwar ein Schmerz, eine Hemmung des Lebens,
die aber bald weggeschafft werden kann, %.und eben dadurch eine
Beförderung des Lebens wird. Es giebt kleine Hemmun-
gen, die sich alle Augenblik heben lassen, %.und durch
diese Aufhebung, eine Beförderung des Lebens seyn,
oder ein Vergnügen verschafen. Das Vergnügen
kann nicht stetig seyn; sondern Schmerz muß immer
darzwischen seyn, sonst würde man am Ende, auch
das Vergnügen, nicht wahrnehmen. Unter allen
Leidenschafften ist die Zum Spiel die grösseste, %.und
auch am schwersten auszurotten.

/Das Spiel hat immer einen gewissen Reiz, weil
man immer Hoffnung hat, ettwas seinem Intresse
zu gut zu thun. Dieses aber muß immer vom Glük
abhängen; daher sind Spieler, Fiescher, %.und Iäger, manch-
mal auch voller Aberglauben; weil ihre Geschächte
sehr vom Glük abhängen; nichts aber bringt die Affecten
mehr in Bewegung wies Spiel, zE. dabey ist Hoffen,
Furcht, Schreken, Freude etc: Es sind augenblikliche
Hemmungen %.und augenblikliche Ergissungen, %.und daher
eine grosse Beförderung der Lebenskrafft. Wir
bedürfen zur beförderung, der Lebenskrafft, innere

/ Gemüths

/|P_100

/Gemühtsbewegungen durch Affect; so wie wir
äusserlich, Leibesbewegungen durch Organen be-
dürfen. Von dieser Seite würde ein Spiel zu verthei-
digen seyn, wenn es sellten und bloß zum Ver-
gnügen gebraucht wird. Es ist aber auch bey den
Mehresten Menschen eine Beförderung der Gesund-
heit. Aber das Passionirte Spiel, ist unter al-
len Mitteln des Erwerbes das Schädlichste. Was ist
nun das Resultat vom Werth des Lebens?
Die Beschäfftigung die an sich angenehm ist, als
das Spiel. <Die> Beschäfftigung die des Zweks wegen
angenehm ist, ist Geschäfft. Und das Geschäfft das
mit Beschwerden verbunden ist, ist Arbeit. Darinn
besteht nun der Werth des Lebens, daß man seine Zeit
mit Beschäfftigung %.und Arbeit, au«f»sfülle, %.und nicht
mit Vergnügen. Weil ein immerwährendes
Vergnügen nicht stattfinden kann, ohne dabey eine
unausbleiblich lange Weile zu haben; eben so
kann man nicht lange stille siezen, ohne das ge-
ringste vorzuhaben, sondern man fühlt immer
den Stachel der Tähtigkeit, %.und unnenbare Schmer-
zen, die uns nöhtigen aus dem vorigen Zustande
herauszugehen, %.und immer Geschäfftig zu seyn.

/Bey dieser rastlosen Gemüthsunruhe, ist nicht ein Trib
zum Vergnügen; sondern zur Beschäfftigung, wo
man die Zeit fühlt %.und sich vor die entsezlich lan-
ge weile schüzt. Die Stoiker %.und Epicuraeer haben
hierin verschiedene Grundsäze. Der Epicureer
sagt, das Vergnügen sey gänzlich Positiv, %.und eine
wahre Accession. Der Stoiker sagt, je mehr ihr

/ euch

/|P_101

/euch fühlloß macht, desto glüklicher werdet ihr seyn.
Der Stoiker sucht der Werth des Lebens, in rechtschaffe-
nen Handlungen. Der Epicureer nur im Ge-
nuß.

/Gleichmühtigkeit ist der Zustand des Menschen, wo
er kein Vergnügen hat; aber auch keinen Schmerz
empfindet %.und eine Zufriedenheit besizt, wo er nichts
hofft aber auch nichts befürchtet. Man muß den
Plan zu seiner zufriedenheit so einrichten, daß
man alle Vergnügungen %.und Freuden des Lebens
(welche sehr zufällige Dinge sind) für unent-
bährlich halte. Denn hat man reinen Gewinn,
weil da die Freuden nicht mehr Bedürffnisse sind. Wir müssen
auf Dinge die uns Vergnügen machen sollen, wenig rechnen;
weil man beym Genuß selbst wenig Antrifft, das auch nur
des Genusses werth sey; sondern wir müssen uns viel-
mehr der Tähtigkeit bestreben; weil man durch Tähtig-
keit %.und Wohlverhalten anders sein Glük befestigen %.und
den Werth des Lebens Schäzen kann. Die Gleichgültig-
keit ist gleichsam eine Unerschütterlichkeit gegen alle Zu-
fälle. Ein gleichgültiger hat einen gewissen, Freund (bey
einem Wohlgefallen an seiner eigenen Existens)
an allen Vergnügungen, so daß sie ihm, da sie ihm
ganz entbehrlich sind, einen reinen Gewinn verschaffen.
Der Mangel an dieser oder jener Ergözlichkeit, würkt
nicht auf seine Zufriedenheit. Man muß sich daher,
über alle Vergnügungen, für entbehrlich halten. Ein Gleich-
mühtiger ist nicht fühlloß; sondern er hat einen gewissen
Grad des Gefühls, der Zufriedenheit mit seinem Zustan-
de. Er freuet sich nicht und betrübet sich nicht kindisch: dies
ist auch einem vernünfftigen Man nicht anständig. Der
Mensch hängt von Zufällen ab, %.und wenn die Zufriedenheit

/ davon

/|P_102

/davon abhängt, so ist er ein Fall des Glüks. Er ist nicht
ein Vernünfftiges Wesen; sondern er läßt sich aus schwä-
che der Seele, von den dingen beherschen die er beherschen
sollte. Ein solcher hat seine Zufriedenheit, bloß in seinen
Einbildungen %.und Chimeren, im Genuß gar keine
Aehnlichkeit. Die Lust unser daseyn wohlgefällig zu
machen ist Zufriedenheit. Die Zufriedenheit kann
man nach vielem Wunsche <doch> übrig behalten; und wenn
diesem Wunsche Gnüge geschieth, so ist man glüklich.
Die Glükseeligkeit ist etwas Positiuues, das Bewußt-
seyn eines Zustandes, im Genuß von Vergnügen
welches allen Menschen gemäß ist -. Es ist nun die
Frage ob ein Mensch glüklich werden? Da der Mensch
immer Wünscht; so muß er sehr Hoffen %.und sich überre-
den können, daß seine Wünsche einmal erfüllt wer-
den. Die Glükseeligkeit, sofern sie auf Direction des
Gemühts beruht, ist Selbstzufriedenheit; so fern es aber
auf Zufälle ankommt, so kommts auf den Concursum
des Glüks an, ohne auf Zeit %.und Ort zu sehen. Und das
ist sehr sellten. Mann sieht selten jemanden Glüklich;
aber viele Zufriedene. Die Begierden Extendiren sich immer
weiter, %.und verlangen immer mehr, als ihm ein günstiges
Schiksahl gewärtigen kann. Diese Stiffmütterliche Ein-
richtung der Natur, die uns immer weiter nach neuen
Besizungen streben läßt, ist durch die Begierden ein
Stachel der Tähtigkeit. Unabhängigkeit vom Glük, daß
ist der «Stachel der Tähtigkeit» Siz der Stoiker, wodurch
sie den Weisen sehr emporheben. Kann ein Recht-
schaffener elend werden? Elend zu seyn kommt auf
den Menschen selbst an. Wenn das Verhalten recht-
schaffen ist, so kann man nicht Elend, wohl aber Un-
glüklich werden. Ein Rechtschaffener kann also un- 

/ glüklich seyn

/|P_103

/unglüklich seyn, wenn er auch nicht Elend ist. Zufälle
können ihn in den Zustand versezen, wo er seine
Moralischen Bedürfnisse nicht befriedgen kann,
%.und solche Zufälle man, als eine Hinderniß, der Aus-
übung seiner guten Grundsäzen ansehen muß.
Elend kann er aber doch nicht werden, denn er kann
sich nichts vorwerfen. Je besser ein Mensch ist desto
Unglüklicher kann er werden, er kann mit Be-
wußtseyn, seiner Redlichkeit im höchsten Grad un-
glüklich werden. Ein solcher Unglüklicher ist unver-
mögend, seinen Moralischen Bedürffnissen
ein Gnüge zu leisten, %.und das schmerzt ihn. Wenn
die Glükseligkeit die Quelle des Guten %.und das Prin-
cip der Sinnlichkeit seyn sollte; so müßte der
der Gutes Thuht glüklich seyn. Daß ist aber nicht; son-
dern die Rechschaffenen leiden gemeinhin, daß
mehreste Unglük.

/Laune ist eine Disposition des Gemüths, in
der man mehr der Fröhlichkeit als des Unmuths fä-
hig ist. Launig ist der Mensch der sehr veränder-
lich ist, %.und unwillkührlich zu Schmerz %.und Vergnü-
gen aufgelegt ist. Daß Worst Laune ist gemein,
%.und scheint von Luna herzukommen. Vieleicht daß das
Temperament sich nach dem Monde Wechsel richtet,
oder verhalten soll. Der Mensch kann Grillenhafft,
%.und augewekte Laune haben. Zu dem ersteren sind
die Engländer sehr geneigt. Zur Glükseelichkeit
des Menschen gehört auch, daß er gar keine Lau-
ne habe. Diese Disposition muß Zeitig überwäl-
tigt %.und gegen alles was in der Natur ist, eine Gleich- 

/ mühtigkeit

/|P_104

/Gleichmühtigkeit hervorgebracht werden. Man muß al-
le Unruhige Launen verhüten, %.und so viel wie mög-
lich durch scherzhaffte zu vertreiben suchen. Denn da-
mit kommt man im gemeinen Leben a«l»m besten
fort. Ferner der Mensch der nichts steigern kann, in
dem was zu seinem Vergnügen gehört, der verlirt
bald den Geschmak davon. Man muß sich daher im
Anfang viel Vergnügen versagen %.und das Vergnügen,
das man genießt klein seyn lassen, damit man
immer fortschritte machen kann %.und daß man nicht in
Gefahr komme, im Vergnügen nicht steigern zu können.
Die Gedult ist das Vertrauen auf das Aufhören des
Schmerzes, durch Gewohnheit der Dauer. Ein Schmerz
kann durch einen andern gehoben werden. Ein Uebel
ist Phisisch das andere Moralisch. Daher kann man
durch einen andern Schmerz Diversion machen, das
aus dem ersteren Scherz nicht ein Gram oder auszu-
rottender Schmerz entsteht. Thiere können nicht un-
glüklich seyn; weil sie keinen Ueberschlag von Glük
oder Unglük machen können. Eine schlechte Mahlzeit
die zur Befriedigung der Bedürfnisse gehört,macht
nicht Unglüklich. Aber ein zerrissen Kleid zu haben
%.und damit in Gesellschafft zu erscheinen, daß ist Un-
glük. Man fühlt sich von der Gesellschafft ausgeson-
dert %.und verlirt die Achtung der andern. Ein solcher
kränkt sich nicht durch Mangel; sondern durch Gering-
schäzung die er von andern erwartet. Die Men-
schen sind schon einmal von der Art, daß sie den der
Unglüklich %.und Unvermögend ist, sich nach seinem Stan-
de zugegen verachten. Die Kleider %.und das äussere
gehört daher sehr zur Glükseeligkeit des Lebens -.

/ Was ma@cht@

/|P_105

/Was macht das Leben wohl angenehm? Viel Gesell-
schafft nach den Geschäfften -. Gesellschafftlich ist der,
der selbst in der Gesellschafft gefällt. Viele Menschen
sind Gesellschafftlich aber nicht gesellig. Ist aber jemand
der beydes zugleich ist, so genießt er sehr die Annehm-
lichkeit des Lebens. Die Phisische Vergnügungen
nüzen, sind aber mit Reue %.und überdruß ver-
bunden. Aber die Vergnügungen der Gesellschafft,
wo auch Moralische stat finden, sind Mannig-
faltig, %.und die Gesellschafft beschäfftiget unsere
moralische kräffte, auch vergrössert sie das
Bewusstseyn, unseres eigenen Moralischen
Wehrtes. Das Vergnügen im Nachschmak, oder
das lezte in dem genossenen Vergnügen, in-
tressirt den Menschen sehr, Das lezte bey einer
Gesellschafft, überhaupt bey allen Sachen, muß
man immer angenehm machen. Denn ist die
Empfindung so stark, daß man sich vor glüklich
schäzt. Das vergangene scheint durch das lezte in
Nichts verwandelt zu werden. Der Schluß De
cidirt sehr über das Uhrtheil im Ganzen, %.und glük-
lich ist der der das Ende seiner Tage in Ruhe
zubringen kann. Das Vergangene kann
zwiefach seyn, als ein bloß Phiesisches Vergan-
genes %.und Moralisches Vergangenes, welches zu-
gleich Cultur ist, %.und was auch in den Stand sezt noch
mehr Vergnügen von der Art zu genissen. Dies
ist das Vergnügen der Gesellschafft. In Gesell-
schafften, die aber nicht roh seyn müssen, sondern

/ wo

/|P_106

/wo Anständigkeit, Sittsamkeit %.und der Werth eines wohl-
erzogenen Menschen gillt, wird man Cultivirt, mit
verminderung der Phisischen Vergnügungen. Auch
Wissenschafften sind von der Art daß sie sich selber
Abnuzen. Alle in<s>gesammt schwächen auch die Talente, %.und
machen das Gemüht zu bestrebungen Unfähig; weil
sie lediglich das körperliche beschäfftigen.

/Luxus heißt ein entbehrlicher Aufwand mit Geschmak.
Ohne Geschmak heißt er fastus. Im Orient, haben die
Regenten kleine Armeen von Bedienten, das ist
nicht Luxus, sondern fastus. Luxus %.und Luxuries sind
auch von einander Unterschieden. Das leztere verdient
schon einen Tadel. Wenn ich einen Aufwand des ent-
behrlichen mache, daß ich dadurch den Bedürfnissen Ab-
bruch thue, so ist das nicht Luxus. Der gemeine Mann
fält sogleich in Luxuries. Er sucht alles durch Aufwand,
durch Quantitaet, aber nichts durch Mannigfaltigkeit,
auszurichten.

/Die Vergnügnügungen sind in Ansehung unserer
Wohlfarth des Lebens, gefährlicher als Ungemächlich
keiten. Denn bey Vergnügungen bedürfen wir
keiner Kräffte; sondern Verlangen nur Empfindun-
gen, %.und da können wir leicht verdorben Werden. Aber
die Ungemächlichkeiten verlangen mehr die Bequem-
lichkeiten %.und verstärken unsern Geist. Die Ungemäch-
lichkeiten müssen immer mit den Vergnügungen ver-
bunden seyn, daß die Kräffte %.und der Muth geübt wird,
und man durchs Vergnügen nicht weichlich werde.
Man muß sich nicht verzärteln %.und unvermögend
machen, das Unglük mit seinen Kräfften auszu-
stehen. Ueberhaupt müssen uns Ungemächlichkeiten Ge-
schmak an Vergnügungen Verschaffen. Offt kann mir

/ der

/|P_107

/der Gegenstand des Vergnügens angenehm seyn, %.und das
er mir angenehm ist, kann mir mißfallen, zE. Der Todt
eines Freundes der mir Vermögen hinterläßt. Offt ist
uns ein Gegenstand angenehm %.und der Schmerz gefält. zE.
der Schmerz einer Gattinn. Mann nent diesen Schmerz
eine Süssen Schmerz, weil er durch die Vernunfft ge-
fällt. Man hat offt Freunde, die man doch nicht billigen
kann zE. Ein Adjunctus. Man hat auch bittere freuden
bey denen zugleich ein Schmerz ist.

/Die Reue oder der Schmerz über Vergehungen, ist ein sehr
grosser Schmerz. Wenn die Müssige Reue aber, unsere
Seele schwächt, %.und so von Tüchtigkeit abhält, so nüzet sie
auch zu nichts. Das übele daß man gethan hat muß durch
gute Handlungen besser gemacht werden. Ein Reuiger
stellt sich vor, er sey Straffens würdig, %.und strafft sich
daher selbst.

/Alle Vergnügen die Cultur sind, gefallen dem Menschlichen
Verstande, %.und auch die Neigung zu denselben. zE. Das Ver-
gnügen an Wohltahten. Es kann ein Schmerz ausser
der Empfindung, nach der Vernunfft außfallen zE. der
Neid; Haß. Es ist sehr gut wenn bey einer Tugend
eine gewisse Laune oder fröhlichkeit herscht. Denn es
ist beym Tadel besser, das Laster lächerlich vorzustellen,
als Hassenswerth. Wenn man das Laster haßt so
haßt man auch den Lasterhafften. Ein sich selbst ge-
machtes Vergnügen ist sehr groß %.und erfreut sehr. Der
Erwerb eines Reichthums ist daher weit angenehmer
als eine Erbschafft. Aus diesen Gründen ist auch Arbeit
ein Vergnügen %.und Unterhaltung. - Ein Schmerz
worann man selbst Schuld ist betrübet sehr, %.und die

/ Vorwürfe

/|P_108

/Vorwürffe, die man sich als dann selbst macht ver-
doppeln den Schmerz,. Etwas zu erdulden, wovon die
Schuld sich selbst nicht zuzuschreiben ist, ist schwer. Einen
Solchen der Unschuldig leidet trifft der Schmerz der Ent-
rüstung, so wie der der Schuldig leidet, niedergeschla-
gen wird.

/Schlechtdenkende Menschen empfinden das mehr, woran
andere schuld sind; weil sie in sich selbst keinen
Werth haben. Gut denkende Menschen empfinden
mehr ihre eigene Schuld, als Anderer! weil sie immer
mit sich selbst Rechenschafft halten. Die Spie-
ler hab<en> beym Unglük immer selbstvorwurff, der
sehr hefftig ist, weil sie auch nicht das geringste,
zum Vorwande darbringen können. Das Ver-
gnügen wächst mit der Vergleichung Anderer Leiden
, so wie Schmerz, durch die Vergleichung der Freuden
anderer Wächst. Es ist an dem Unglük unserer
besten Freunden Etwas, was uns nicht ganz miß-
fält. Ohnerachtet dieses Misantropisch zu seyn
scheint; so ist doch Wahrheit. In der Menschlichen
Natur sind zwey Dinge.

/1. Das sie alle insgesammt sich verstellen. Da-
rauf gründet sich das Betragen der Anständig-
keit, welches ein Schein ist. Daher darf man in Ge-
sellschafft, Offenherzigkeit, nicht als etwas vor-
zügliches Praediren. Auch ein par ganz intime
Freunde legen nicht ganz die Maske gegen sich ab,
weil ein jeder darum besorgt ist, das er dadurch
seine Achtung verscherzen würde. Um diese zu
verhüten dient die Anständigkeit oder der Schein.

/ Wenn

/|P_109

/Wenn Aufrichtigkeit herschte, so würde, da ein jeder
dem andern trauen könnte, es noch viel ärger
seyn, weil doch die Boßheit der Menschen dieselbe bleibt
. Der Schein ist dasjenige, was das übrige böse in
Schranken sezt.

/2. Daß ein jeder auf den Werth des andern eiffer-
süchtig ist. Daher sucht jeder Mensch, von dem W<e>rth
des Andern immer etwas abzuzwaken. Das Gleich-
gewicht ist nicht in Stand zu bringen. Daher sind die
Menschen immer heimlich froh; wenn ein Mensch von
seiner Schäzung etwas verliehrt, weil sie als denn
versiechert sind, das der Unglükliche als denn kein
Umgang der Schäzung für sie sich nennen werde. Es
ist ein wahres Unglük der Menschen, daß diese Nei-
gung bey dem Unglük unserer besten Freunde, uns
etwas angenehmes ist. Das Unglük des Freundes
macht den Gedanken in uns rege, daß er sich nun
keinen Vorzug für uns werde herausnehmen kön-
nen. Der Schmerz wächst bey den Freuden anderer.
Bey einem Melancholischen muß die Natur
schon traurig scheinen. Ein Schmerz wird öffters
dadurch erträchlicher, daß man sich vorstellt, er hätte
noch grösser seyn können. Einen Schmerz den man
für edel hält, ist der Schmerz über das Unglük anderer.
Dieses Mitleiden findet sich aber nur gemeinhin,
bey denjenigen die selbst Unglük erlitten haben. Die-
se Theilnehmung an dem Leiden anderer ist edel. Nur
muß man in diesem Punct den Grundsaz haben, den
der Stoiker hatte. Hänge mit deinem schmerz %.und mit
deiner Empfindung an das, wo du helffen kanst. Denn
sonst ist dein Mitleiden Umsonst. Im Glük muß man

/ nicht

/|P_110

/nicht weichlich %.und im Unglük nicht zaghafft werden. Der
Mensch wird im Glük sehr verdorben, und im Un-
glük niedergeschlagen, in dem Bewußtseyn, daß er
sich selbst nicht werde helffen können. Wenn man
eine Festigkeit erworben hat, so ist man gestahlt %.und
gestärkt. Es ist daher sehr gut, bey Zeiten Unglük %.und
wiederwärtigkeiten zu ertragen, um sich dadurch
Festigkeit %.und Stärke des Gemüths zu erwerben.

/Wer im Glüke übermühtig oder Kindisch fähig ist, der
ist im Unglük niedergeschlagen. Dies ist auf keine
Weise Vortheilhafft, sondern man muß sich Mühe
geben, gleichmüthig zu seyn %.und den Affect in sich nicht
herschen «zu» lassen.

/ ≥ Vom Geschmak

/Das Wohlgefallen durch den Sinn heißt angenehm,
daß durch den Geschmak schön.

/Angenehm ist dasjenige, dessen Existens gefällt, ob-
gleich die Sache so oder so ist. Die Sache vergnügt, die
Form mag seyn wie sie will. Das Wohlgefallen
durch Geschmak ist schön. Hier gefält die Sache in Anse-
hung der Form, da man in Ansehung der Existens gleich-
gültig ist. ZE. ein Schönes gefält nur; aber nie ist
darann gelegen obs dasey oder nicht. Das Wohlge-
fallen der Denkungsart ist guth, oder böß, was da-
rum Vergnügt, daß seine Existens, um seiner Form willen
unmitelbar gefällt.

/Das Wort Geschmak, ist Uhrsprünglich vom Essen
hergenommen. Der Geschmak ist das Vermögen, gesellschafft-
lich zu wählen, oder das Vermögen, nach jedermanns
Sinn zu uhrtheilen. Das Sprüchwort ein jeder hat sei- 

/ nen eigen

/|P_111

/seinen eigenen Geschmak, ist falsch; denn bey dem
Eigenen Geschmak hört der Begriff vom Geschmak
auf. Es ist wieder die Erfahrung. Man sagt de
gustu non est disputandum, über das was ange-
nehm ist kann mann nicht Disputiren. Aber über
den Geschmak %.und über die Richtigkeit desselben kann
man streiten. Mann kann warum etwas gefal-
len soll %.und muß, %.und wozu eine Regel seyn muß, ein
oder wiedersprechen. Das Uhrtheil kommt nicht durch
den Verstand, sondern durch daß Verhältniß der Sinn-
lichkeit mit der Einbilldungskrafft. Ob wir zwar hier
Contradiciren können; so können wir doch nicht von
dem Geschmak <co«¿»n>Traversieren. Der Geschmak ist eine
Uhrtheilskrafft über das was Cultivirt aber nicht
genossen wird. Es giebt nur zwey Sinne für
welche die Gägenstände des Geschmaks gehören; Ge-
sicht %.und Gehör zE. Mahlerey, ein Garten, Musik. Hie-
von könen viele auf einmahl vergnügt werden. Sie
sind daher gesellig beyeinander. Bey den andern
Sinnen aber, kann nur einer empfinden. Der Geschmak
ist ein Geselliges Beuhrteilungsvermögen, in Re-
lation auf jederman. Es ist der gesellschafftlichste
Sinn den die %.Menschen zusammen haben %.und besteht in einem
Vermögen der Mittheilbarkeit (welches das We-
sentlichste der Gesellschafft ist.) Unsere Empfindun-
gen Gedanken, können wir uns durch Worte mit-
theilen, auch durch Beyspiele der Erfahrung. Die Em-
pfindungen der Qualitaet nach, lassen sich nicht mit-
theilen zE. ich kann niemanden erklären, was ange-
nehm, roth oder weiß ist. Das Gefühl der Lust oder Unlust

/ aber

/|P_112

/Aber läßt sich mittheilen. zE. ich kann erklären was
gefallen %.und Mißfallen sey.

/Man rechnet zum Geschmak Rührung %.und Reiz. Das
ist aber nicht recht; weil beydes Empfindungen sind.
Der Geschmak kommet erst von den Jahren %.und beruht
nicht auf die Lebhafftigkeit der Einbildungskrafft.

/Anwendungen. Geizige sind, weil sie nicht gesellig sind,
ohne Geschmak.

/Geschmak ist Cultur, weil daß Vermögen nicht erschöpfft
sondern ein Gewinn ist, da man seine Gemüthskräffte
%.und besonders, die Einbildungskrafft Cultivirt.

/Der Fastus, die Arrogante wahl, ist bey den Orien-
talern gewöhnlich.

/Geschmaks Vermögen %.und Geschmaks Neigung haben ist
ein Unterschied. Das erste ist ein Vorzug, das andere
eine Leidenschafft. Der Geschmak ist die größte Cultur
der Sinnlichkeit. Es ist daher sehr wichtig selbigen zu
Cultiviren.

/Der Geschmak ist ein uneigennüziges Wohlgefallen, %.und
man wählt nicht nach Interesse.

/Den Mangel des Geschmaks kann man schon aus
der kleidung eines Menschen ersehen. Den Geschmak
des Anzuges findt man bey höfen.

/Die Griechen sind in ihrem Geschmak Original. Ein fal-
scher Geschmak rührt offt von der Neigung nach den
Moden her. Hier nimmt man bald die Beyspiele
vor geseze an. Man muß im Geschmaks Uhrtheil,
die Reizungen %.und Rührungen nicht hinzurechnen.
Unsere Uhrtheile über Schönheit sind gemeinhinn
wollüstig.

/Kann man nicht eine schöne Darstellung, (oder eine
Treffliche) vom Häßlichen haben? - In der Dichtkunst

/ wohl

/|P_113

/wohl, aber nicht in der Bildhauerkunst %.und Mahlerey.
Das Gute, das durch Vernunfft gefält, ist entweder
mittelbar guth %.und das ist das Nüzliche. Eine Sache die
gar nicht schön ist, kann doch nüzlich seyn zE. das
Reiffe Korn.

/Das Gute kann gar nicht angeschaut werden;
weil es nicht ein Gegenstand der Sinne ist. Es ge-
fällt nur durch das, was die Vernunfft hinzudenkt.
Unmittelbar ist nichts gut, als ein an sich selbst
guter Wille, der beruht auf Moralitaet, %.und die
gehört nicht hieher. Wir betrachten hier das gu-
te bloß Antropologisch. Kan etwas schön seyn
was nicht eine Nüzlichkeit zu gleicher Zeit bey
sich führt? Was Sachen der Kunst betrifft; so läßt
sich das Schöne mit dem Guten vereinigen. Die Zwek-
mässigkeit bey einer Sache ist das Gute. Was an
einer Sache den Nuzen wiederspricht, das wiederspricht
auch der Schönheit. Die Sache muß dem Zweke immer
ganz angemessen seyn. Die Sinnlichkeit muß mit
dem Verstande %.und seinen Begriffen übereinstimmen.
Wir sehen zwar beym Schönen nicht auf Nüzlichkeit,
dennoch muß die Sache der Nüzlichkeit nicht zuwieder
seyn. zE. Der Puz der Frauenzimmer, hat zwar nichts
Nüzliches, aber er wiederstreitet doch auch nicht der Nüz-
lichkeit. Wenn die Natur schön seyn soll; so muß
sie wie Kunst außsehen. So ergözt uns zE. ein
Amphiteator im Walde; weil es kunst zu seyn
scheint %.und doch Natur ist - Die Kunst wenn sie
gefallen soll, muß wie Natur aussehen. So halten

/ wir

/|P_114

/wir ZE. ein Gemähde für schön, wenn es der Na-
tur sehr nahe scheint. Jedoch muß man bey @f\s@ache¿
der Kunst, immer sehen können, daß es Kunst sey.
Es muß da immer Täuschung seyn -. Bey der Na-
tur scheint Freyheit zu seyn %.und Kunst scheint Ge-
sezmässigkeit zu haben. Wenn nun eine Sache
der Kunst gefallen soll, so muß dabey die Freyheit
der Natur %.und die Gesezmässigkeit der Kunst hervor-
leuchten. Die Leuchtigkeit bey einer Sache der Kunst,
da es Natur zu seyn scheint ist das Schönste. Bey
einer Sache der Kunst, muß man immer die Mühe
versteken; doch so daß sich noch Kunst zeigt. Sie muß
ferner auch so beschaffen seyn, daß wenn man
von der Regelmässigkeit abstrahirt, Die Sache
Natur %.und ihr freyes Spiel wieder erhält -. Cultur
die Vergrösserung unserer Talente, geth zulezt
auf die Civilisirung, die auf die Angemessen-
heit %.und Annehmlichkeit im bürgerlichen Umgan-
ge vorkommt. In wiefern der Geschmak der Con-
versation gehörig ist, in sofern ist Civilisirung
im Umgange. Derjenige ist daher Civilisirt.
Der das Angemessene %.und Annehmliche in der Gesell-
schafft hat. Die Italiener haben keinen Conver-
sations_Geschmak. Die Franzosen aber haben ihn
%.und da geben die Damen den Tohn an. Der Geschmak be-
fördert das Moralische Vergnügen, das daß grobe
Vergnügen schwächt %.und die niedrige empfindungs
Arten verdrängt; aber auch dem Verstande be-
för«¿»lich ist. Der Luxus ist der Geschmak im Aufwande
Luxuries ist ein Aufwand ohne Geschmak, wo nur

/ bloß

/|P_115

/bloß auf Quantitaet gesehen wird. Der Luxus
verunehrt die Bedürfnisse. Diese Vermehrung
der eingebildeten Bedürfnissen, die um ihrer
Schönheit willen, durch eine Geschmaks Welle Wohl-
ausgesucht werden, ist dem Publico sehr nüzlich.
Wenn man nähmlich der Phantasie des Menschen
einen freyen Lauf läßt, daß sie sich einge-
bildeste Bedürffnisse macht, so hört dadurch die In-
dustrie nicht auf. Daher ist der Luxus dem Staate
nüzlich. Aber nicht Luxuries, da ist immer ein Auf-
wand, wo eine Menge ganz überflüssig ist.
ZE. Eine Hochzeit (besonders unter gemeinen
Leuten) Die Schwellgerey muß eingeschränkt
werden, weil sie zu nichts nüzts. Es ist bey der-
selben, kein continuarlicher Gebrauch, wie
beym Luxus. Der Luxus verzehrt %.und giebt da-
durch Andern was zu verdienen. Es ist gut wenn
in einer Sache auch nur der Schein des Guten da ist.
ZE. die Höfflichkeit. In der Gesellschafft verlangt
man Höfflichkeit, %.und nicht so viel Ehrlichkeit, wel-
che leztere aber in Handlungen weit der ersteren
vorzuziehen ist. In Gesellschafft hat man lieber,
mit einem Höfflichen Manne, in Geschäfften
lieber mit einem Ehrlichen Manne zu thun. Die
Höfflichkeit ist, gewisses zuvorkommen %.und Bemühung
im Umgange mit Andern, Etwas zur Erleichterung
%.und zum Vergnügen beyzutragen, wodurch die Eitel-
keit der Andern gewinnt. Die Höfflichkeit ist al-
so nur ein schein, aber doch sehr Vortheilhafft.

/Ein Menschen den man nuzen kann, ist ein guter

/ Mensch;

/|P_116

/Mensch; weil er brauchbar ist. Die Güte des Men-
schen in sofern sie ein Werkz<e>ug, ist, andern nüz-
lich zu seyn, ist von guter «¿¿» Art. Die Selen-
güte %.und Seelenstärke, beydes miteinander ver-
bunden, macht den grossen Mann aus. Die Seelen-
güte; besteht in einem wohlwollen immer Gutes
%.und in der Gelindigkeit nie Jemanden etwas
Leides zu thun. Es ist eine Guthmühtigkeit, wo man
den Wohlstand eines Andern befördern will. Die-
ses Wohlwollen kann aber keine rechte Grund-
säze haben, wie weit man nähmlich gehen
soll, %.und wo man aufhören kann. Daß blosse Wohl-
wollen, ist ein sehr extendirter Wunsch, welches
nicht aufgeführt werden kann. Hier ist eine
Grundlage zum Guten, die aber noch nicht guth
macht -. Seelenstärke besteht in der Beharr-
lichkeit auf Grundsäzzen, nach welchen man
immer handelt, denselben nicht Abbruch thut %.und sie
auch nicht in Gefahr sezt. - Zur wahren grösse
wird Seelenstärke erfordert %.und Selengüte, damit
solcher nicht allein sich; sondern auch andere zum Au-
genmerk hat. Sonst nennt man auch einen Mann
groß wenn er viele Talente hat. Das kann seyn,
denn er hat viele Vorzüge, %.und wir müssen vor die Na-
tur Achtung haben, die sie ihm gegeben hat %.und die
er herrlich genuzt hat. Als ein Beyspiel %.und Muster ist
ein solcher ein Gegenstand der Achtung. Und wenn
er so handelt daß er tadlens würdig ist, so muß doch
das grosse Produkt der Natur hochgeschäzt werden.
. Daß Absolute Gute, ist der Wille von allen seinen
Talenten durchgängig einen Zwekmässigen Gebrauch

/ zu machen

/|P_117

/Zu machen. Ein solcher Wille ist an sich unbedingter
weise gut. Die Talente als eine zulängliche taug-
lichkeit %.und Vermögen zu allerley Zweken, sind Mittel
zum guten Willen. Die Talente sind das höchste
bedingte gute. Der gute Wille ist das höchste unbe-
dingte Gute. Alle diese Eigenschafften sind wie ein
Natürliches Capital, wodurch man sich etwas er-
werben kann.

/Menschen die mit Sentenzen %.und Klugthun um
sich werfen, machen nach ihrer gemeinen Moral,
durch dieses Mittel Etwas Weiß, was würklich nicht
ist. Ein Solcher ist in den strengsten Pflichten, gewiß
nicht gewissenhafft, da er sonst wohl ein guter
Man seyn kann. Er kann viel weisses reden;
aber nichts kluges thun (wie Carl_der_XI in England)
In Ihren Handlungen sieht man immer das Gegen-
theil von ihren Reden.

/Das Angenehme hat den Privat Beyfall.

/- - Schöne - - Publik - - - 

/- - Gute - - Allgemeinen Beyfall.

/Wäre es einem jeden vernünfftigen Wesen
nicht besser, wenn die gute %.und böse von einander«t»
abgesondert wären. Diese Mischung der Natur
aufzuheben ist unmöglich; Und wäre es Nüzlich;
so würde es doch nicht vortheilhafft seyn; weil allein
in dieser Mischung das Gute vom bösen absticht,
%.und dieses durch jenes verbessert wird. Man findet
leute die beuhrtheilen können, was gut oder böse
ist, aber ohne Se<n>timent, das ist, ohne alle Empfindung,
welche die Ideen des Guten oder Bösen in uns rege

/ macht

/|P_118

/macht, %.und wo Begehren %.und Abscheu ist, da ist Senti-
ment. Man nennt bis weilen Sentenzen, mit
denen man um sich wirfft, Sentiment, das ist
aber nicht recht, bey Sentiment ist inneres Gefühl.
Man muß bey zeiten Maximen gewählt %.und ge-
gründet haben um sie bey der Hand zu haben %.und dar-
nach handeln zu können. Sie aber nicht bloß im
Kopfe haben %.und damit prahlen %.und um sich werfen.

/ ≥ Vom BegehrungsVermögen. ≤

/Wir haben bis hieher gehandelt.

/1. Vom Gefühl der Lust %.und Unlust.

/2. Von der Uhrtheilskrafft, unangesehen der Em-
pfindung d.i., vom Geschmak. %.und nun sehen
wir.

/3. Auf das Gute, was ein Gegenstand des Willens
%.und mit einer Lust verbunden ist, die aus der Ver-
nunfft entspringt.

/Das Begehrungs_Vermögen ist das Wohlgefallen
an der Existens der Sache, in so fern sie der Grund
ist die Würklichkeit zu geniessen. Das Begehrungs-
vermögen hat seinen Uhrsprung, entweder aus
Neigung oder aus Vernunfft. Die Vernunfft be-
stimmt %.und die Neigung muß entweder weichen
oder übereinstimmen. Der Wille ist daß Begehrungs-
vermögen durch Vernunfft bestimmt. Das Wollen
ist eine Begierde aus Neigung, wo Empfindungen
daß Angenehme sind. Nicht eine jede Begierde ist
Neigung; sonder die, die eine daurende Uhrsache
des Begehrens nach einer Regel ist. Begierde ist Nei-
gung; Bey derselben findet eine Angewohnheit

/ statt,

/|P_119

/statt, wo die Sache durch öfftere Wiederholung
nothwendig wird. Die Begierden die Oeffters erfült
werden, sind Neigungen. Aber eine Einmahlig-
Erfüllung machen Begierden; wird bald eine Nei-
gung, die sehr frühzeitig herschend wird. So geht es
ZE. mit dem Spiel, welches offt eine unauslöschli-
che Neigung wird -. Von der Neigung ist Instict
unterschieden. Es ist diejenige Begierde, die
vor der Kenntniß des Gegenstandes in uns ist, %.und
uns nöhtigt denselben zu suchen. ZE. das junge
Kind das keine Kentniß von der Mutterbrust hat
weiß dieselbe doch zu brauchen. Auch die Geschlechts
Neigung ist ein Natur Trieb, %.und eine Uhrsprüngli-
che Begierde. Die Instincte «werden eingetheilt»
müssen daher, von den acquerirten Begierden
wohl unterschieden werden, welches aber
sehr schweer ist.

/Ein Ehrlicher Mann handelt gerade, ein redlicher
nach Grundsäzen. Das ist ein grosser unterschied.
Der erste handelt nach Instinct, der Andere nach
Principien und Maximen. Der Instinct ist
Thierisch, wo man nach Einfällen %.und Andwand-
lungen, ohne Betrachtung des Gegenstandes han-
delt. Alle Begierden haben eine Beziehung auf
tähtigkeit, %.und sind die Causalitaet davon. Die Begier-
de, die Mit dem Bewußtseyn des Unvermögens
daß Begehrte hervorzubringen, verknüpfft ist,
das ist ein Wunsch, %.und wenn dieser mit Affect
verbunden ist, ist es Sehnsucht. Eine vergebliche

/ Bestrebung«.»,

/|P_120

/Bestrebung etw würklich zu machen, was nicht
in meiner Gewallt ist, das ist Töricht, daher
ist Sehnsucht unverzeihlich %.und Eitel. Wir haben
Wünsche wo wir etwas begehren, ohnerach-
tet wir nicht wissen obs in unser Gewalt ist,
wo wir doch aber durch gehörige Vorbereitung
dazu gelangen können. Die Sehnsuchten wer-
den durchs Romanenlesen erregt. In Ro-
manen werden Persohnen, die Character der-
selben %.und andere Sachen so vorgestellt, als sie
im gemeinen Leben garnicht vorkommen.
Indem nun alles dieses nicht erreicht werden kann
%.und man sich auch der Unmöglichkeit davon bewußt
ist, so kommen leere Sehnsuchten hervor, die alle
Tähtigkeit aufheben, %.und sind hier nichts als Pia de
Sideria. Man muß Tähtigkeit auf Gegenstän-
de wenden, die in unserer Gewallt sind %.und die übri-
ge lasse man bleiben, sonst thut man auf sol-
che Weise nichts. Es ist sehr nöhtig daß die Menschen
nicht Phantasten werden, %.und sich mit ihren Be-
gierden nicht erhizen. Der Mensch muß sich nur
was Practisches, als Wünschenswerth vorstellen
%.und dasselbe durch seine Tähtigkeit zu erreichen
suchen.

/Die Romanen nuzen unsere Empfindsamkeit
durch eingebildete Gegenstände ab. Das ist aber
nicht gut. Denn ein Mann muß Empfindungen
haben, um nachher wahrhafftig tähtig %.und Wohl-
tähtig zu seyn. Ein Romanenleser ist gemeinhin
ganz gleichgültig, weil das würkliche Elend sehr

/ unter

/|P_121

/unter, seiner überspanten Vorstellung vom
Elende ist. Kurz die Menschen werden durchs Ro-
manenlesen so schaal, daß sie, da sie gleich
zärtlich sind, doch im gemeinen Leben ganz gleich-
gültig sind. Sie legen sich nicht auf wohltähtig-
keit, sondern auf wohlleben. Die Begierden müssen
auf Practische Gägenstände gehen %.und da ist ein
Mann ein Wakerer Mann. Das Wakere stekt
in der Tähtigkeit <das Lehrende in der tähtigkeit> ist Rüstigkeit -.

/Unbestimmte Begierden, die indem sie keine be-
stimmte Gegenstände haben; uns immer treiben %.und Quä-
len, sind in sofern sie Affect werden selbst Qual
%.und lange Weile. In denselben ist einem alles zur
last, wo man bald dies bald jenes will. Un-
ser Gefühl wird da abgenuzt durch die Bitteren
Rührungen. Die Begierden nach den Gegenständen
bleiben denn, aber daß Gefühl der Lust ist nicht mehr
da. Indem man immer begehrt; so weiß man am Ende
nicht was man begehrt. Der Mensch muß um der Lan-
gen Weile zu entgehen immer mit Beschäfftigungen
wechselln. Denn man erhält sich durch Beschäfftigun-
gen anderer Art. Man muß sich also dazu ange-
wöhnen; weil man so, immer fortkommen kann.
Wir haben soviel Geisteskräffte, daß wenn wir ei-
ne nach der andern brauchen, dieser Gebrauch uns
zu tähtigen %.und wakern «¿»Männern machen muß.
Wer auf Genuß geth muß lange weile haben.
Man muß hier ohnedem viel wechseln, wenn es uns

/ reizen

/|P_122

/reizen soll. Beym Genuß aber ist nichts blen-
dendes; sondern er erfordert eine lange Zwischen-
pause. Beschäfftigungen aber die Bes@¿¿en@ %.und ver-
treiben. - 

/Die lange Weile ist ein schrekliches übel, der aber der
sie hat wird von Niemanden bedauret. Sie besteht
aus lauter Sehnsuchten, die nicht zu befriedigen
sind. Man brütet darüber Gedanken, aus denen
man nichts machen kann, man findet keine mit-
tel sich auf eine vernünfftige weise zu beschäfftigen.
Die gewöhnlichen Mittel sich lange weile zu vertreiben,
ist ein Pfeiffe Tabak; - Starke Getränke %.und
das Spielen.

/Das Wort rüstig bedeutet eine Tähtigkeit mit
Fröhlichkeit verbunden. Beym Rüstigen ist immer
Lust. Wenn aber jemand tähtig ist %.und doch dabey
eine Unlust empfindet, da ist denn ein Trieb
nöhtig. Die rüstige %.und wakere Leute schieben
nichts auf. Denn das Aufschieben Disponirt
sehr das Gemüth zur Tähtigkeit. Ein rüstiger Man
entschließt sich gleich, %.und da er das mit mit einer
gewissen Lust thuht, so wird ihm daß leicht Habitu-
ell.

/Jeder Mensch muß streben, sich selbst zu beherschen,
Er muß über sich selbst Disciplin halten %.und sich
nicht alles erlauben, was selbst Leidenschafften
%.und Neigungen fordern, %.und so kommt man dem Uhr-
bilde der Menschheit immer näher %.und ist im Stan- 

/ de das

/|P_123

/Stande das glükseeligste Leben zu wählen oder führen.
Er behandelt sich als dann gewissermassen, als einen
Frenden mit gewisser Härte, wodurch er Stärke er-
langt %.und sich dann einen Werth beylegen kann.
Und so wird er fürwahr die Zeit, nicht in Sehnsuchten
verschwenden; sondern in reellen Handlungen. - 
- Zu jeziger Zeit wird viel auf Tändeley aber
nicht auf Rüstigkeit gesehen. - Neigung nimmt kei-
ne Weisen an, man muß daher sogleich von ihr ab-
strahiren %.und nicht mit derselben Disputiren, weil
sie den Verstand bald berükt. Man muß sie fliehen
und schlechterdings nicht glauben, man werde, sovil
krafft haben sie zu unterdrüken. Das Alter hat den
Vorzug aber nicht das Verdienst, daß es von Neigun-
gen freier wird. Allen Begirden %.und den Gegenstän-
den derselben, müssen wir die Entbehrlichkeit zu er-
halten suchen. Denn haben wir einen reinen Ge-
winn, weil sie die würkliche Freuden sind, die
wenn sie uns entzogen werden, uns auch nicht im
mindesten kränken noch schmerzen; weil sie uns
nicht zum Bedürffniß geworden sind. Mann kann
sie als denn entbehren ohne, sie zu vermissen.
Es ist sehr vortheilhafft, wenn man es so macht,
daß man sich in einer Gesellschafft gefält %.und daß
man der Gesellschafft gefällt; aber auch daß man
sich nirgends so als zu hause gefält. Ueberhaupt ist
das sehr vortheilhafft, wenn wir uns von Be-
dürffnissen, soweit sie in unserer Gewallt sind
loß machen können. Ein zufriedener Mensch ist der,

/ der nicht

/|P_124

/der nicht wünscht, sondern der daß Bewußtseyn hat,
daß er nichts denkt %.und wünscht, als was zu seinen
Bedürffnüssen gehöret. Man sich also, um zufrie-
den zu seyn, Gegenstände, die nicht Bedürffnüsse
sind, auch nicht zu Bedürffnissen machen. Es ist
möglich in den Zustand der Zufriedenheit zu kommen
wenn man den Vergnügungen aller Art, zu entbehren
sucht; weil man denn auf einem etwannigen Ge-
nuß derselben reinen Gewinn hat -. Wir haben
iezo von dem Begehrungs_Vermögen, oder von den
Vermögen seiner Vorstellungen, Uhrsache, von
der Würklichkeit des Gegenstandes, die Erkentniß
geredet. Wir kommen nun auf das Leben selbst.

/ ≥ Das Leben. ≤

/Es ist das Vermögen der Tähtigkeit nach den Ge-
sezen der Begierden. Bey allen unsern Begirden
ist eine Gradation, Hang, Instinkt, Neigung und
Leidenschafft.

/Hang. kann man hie und dazu haben, und man
kann sagen, daß der Mensch mit einem Hang zu
allem Bösen geboren ist. Der Hang ist die innere
Beschaffenheit der Seele, die der Grund der Möglich-
keit der Begierden, nach der besondern Dispositi-
on der Natur wird.

/Alle rohe Menschen, vorzüglich die Männer haben
einen Hang zum Rausch. In diesem Zustande
spürt man an sich eine art von Muth, Leichtig-
keit, Zutrauen gegen sich selbst %.und Sorgenfreyheit.
Daß die Menschen sich berauschen, thun sie darum,

/ um des

/|P_125

/um des Gefühls des gegentigen geplagten Lebens
loß zu werden, %.und einen Augenblik mit der Phan-
tasie, in ihrer eingebildeten Wellt herumzuschwär-
men. - Es treibt uns immer ein Stachel aus dem
gegenwärtigen Zustande heraus zu gehen. Nati-
onen die Weine haben, berauschen sich gerne da-
rann. Die den Brandwein haben an Brandt-
wein. Die Americaner lieben sehr das Getränk
Tschika genannt %.und das Opium brauchen wohl
Millionen von Menschen in den Morgenländern.
Die Leute in Camschatka haben ein gewisses
Kraut, welches wenn sies essen, eine Art von Toll-
heit bewirkt %.und deswegen brauchen sie es gerne.
Alles daß beweißt nur, daß dieser Hang sehr all-
gemein sey. Der Mensch kommt mit Hang aber
ohne Begirden auf die Wellt.

/Instinkt. ist eine Art von Begirden, die vor der
Erkenntniß des Objecte vorhergehet. Die Begir-
de treibt uns kein gewisses bekanntes; sondern
Unbekantes Object aufzusuchen. Geschlechts Neigung
ist auch Instinkt. Der einsamste Mensch hat den-
selben %.und so bald er in Gesellschafften käme, wür-
de sein Instinkt bald einen Gegenstand finden.
Der Mensch hat gleich Instinkte, so bald er geboren
wird zE. Das Kind hat einen Instinkt zum Sau-
gen. Wir müssen uns aber hüten die Instinc-
te beym Menschen zu Multipliciren, oder die
Erworbene begirden zu Instincte zu machen -. Die

/ Neigung

/|P_126

/Die Neigung der Elltern gegen ihre Kinder ist auch
Instinkt. Dieser findet sich so gar bey den Zaghaffte-
sten Thieren, so daß man mit Rührung die List
derselben betrachten muß, wodurch sie die Neigung
zu ihren Jungen verrahten.

/Der Kindermord geschieht daher immer wieder die Nei-
gung; entsezliche Furcht, oder andere Affecten
sind immer die Uhrsachen davon. Das Mittleiden ist
auch Instinkt. Die Instincte sind die ersten Antriebe
wornach ein Mensch handelt, bis er an dessen
Stelle nach Principien handelt. Sie sind daher,
gut nur müssen sie vom Verstande beherrscht
werden.

/Neigung eine subituelle Begirde, welche eine
Subjective Nothwendigkeit zu einer Sache gewor-
den ist. Es ist Angewohnheit oder eine Subjec-
tive Nothwendigkeit der Begirden. Wenn mans
überhoben seyn kann; so muß man zu nichts
Neigung haben. Auch zu guten nicht, wenns aus
Gewohnheit mit einem gewissen Mechanismo ge-
schehen soll. Denn hier ist keine Objectiue Nothwen-
digkeit; sondern sie ist nur Subjectiv, welch dem
Verstande sehr schädlich ist. Neigung sezt immer
voraus, daß ein Object beym Subject Bedürff-
niß geworden sey. Daß gute muß aber nicht
im Grade der Neigung wachsen, sondern nach Maxi-
men %.und Grundsäzen. Da dies aber nicht möglich
ist, das wir Menschen so vollkommen werden können;

/ so hat

/|P_127

/so hat die Natur eine solche gütige Einrichtung ge-
macht, das die Hauptzweke durch Neigungen ausge-
führt werden. Sehr vortheilhafft aber %.und besser ist
es nach Maximen der Vernunfft zu handeln. Vie- 
Neigungen machen den Menschen nicht glüklich; son-
dern sie werden immer grösser %.und Stärker, je mehr
man sie befriediget. Die alte Regel ist daher sehr
vortrefflich; - Wenn du glüklich seyn wilst so zw@e\a@-
ke deine Neigungen so vil du kanst. Mann muß
seinen Neigungen nichts einräumen; sondern Herr-
schafft über sie führen. Mann muß aber frühzeitig
Damit anfangen %.und seine Neigungen nicht öffters be-
friedigen. Wenn man also durch öfftere Befrie-
digung der Neigung glaubt zufriedenheit zu erhalten,
so betrügt man sich; weil die Lust der Neigungen,
beständig auf neuerungen %.und Abwechselungen gehen,
%.und dabey der Einfluß auf Gemüth stärker wird.
Will man zufriden seyn; so muß bey den Neigun-
gen die Entbehrlichkeit erhalten.

/Leidenschafft ist eine Neigung, wo der Grad der-
selben so groß ist, das sie uns unfähig macht seine
Verhältniß %.und Verknüpfung mit allen übrigen
Neigungen zu befriedigen. Sie macht die Vernunfft
unfähig dem Gegenstande einer Neigung mit der
Summe aller Neigungen zu «befriedigen» vergleichen.
Lieben ist Neigung, Verliebt seyn ist Leidenschafft
%.und Thorheit. Sie besteht aber nicht darinn, daß man
eine Persohn liebt, sondern das man nicht ver- 

/ mögend

/|P_128

/vermögend sey, die Befridigung derselben mit den
Forderungen der übrigen Neigungen zu verglei-
chen. Das Gemüht hat da nur auf einen einzigen
Gegenstand Aufmerksamkeit. Leidenschafft muß
kein mensch haben; weil dadurch der Gebrauch der
Vernunfft verhindert wird.

/Affect ist von der Leiden<schafft unter>schieden. Menschen von
starken Leidenschafften sind öffters ohne Affect; Und
umgekehrt. Die Leidenschafft ist die Eigenschafft, über
Gegenstände continuirlich zu brüten. Der Affect
aber ist eine Hefftige Gemüthsbewegung, die nicht
continuirlich ist.

/Alle Neigungen können eingetheilt werden in Mate-
rielle %.und Formelle. Die formale Neigungen, sind die
Subjective Bedingungen, der Befriedigung unserer
Begirden. Die Materiale Neigungen sind die Ob-
jective Bedingungen, der Befridigung unserer Be-
girden.

/Es giebt «zw¿¿y»zwey formale Neigungen, Frey-
heit und Vermögen.

/Vermittelst der Freyheit ist der Mensch in einem
Zustande, wo er Neigungen von aller Art unge-
hindert befriedigen kann. Wenn der Mensch nun
kein Hinderniß hat, so ist ferner ein Vermögen
oder Zulänglichkeit, die Neigungen zu befriedigen
nöhtig. Das Vermögen ist Ehre, Gewallt und
Geld.

/Die Freyheit ist das Höchste Formale Gute des

/ Natürlich

/|P_129

/Natürlichen Zustandes. Man muß nach seinen eige-
nen Meinungen glüklich werden %.und nach seinen
eigenen Begriffen von Glükseelichkeit, nicht nach
denen Anderer.

/Die Freyheit ist im Grunde eine Negatuie Bedin-
gung der Befriedigung unserer Begirden %.und be-
steht in der Entfernung alles Wiederstandes sich
nach seinen eigenen Neigungen zu bestimmen. Es
ist die größte formale Neigung %.und wird von jeder-
mann für das größte Gut gehalten. Sie läßt
sich nur durch Vergleichung mit dem Zustande An-
derer oder durch Beraubung derselben empfinden.
Rohe Nationen verachten daher sehr die Subaltern.
Sie können sich keinen Werth bey einem Menschen
denken, der vom Andern befehlicht wird. Ueberhaupt
schäzen alle wilden die Freyheit hoch. Und bey ihnen
sind selbst die, die in Städten wohnen sehr veracht;
weil solche sich doch schon auf manche dinge einschrän-
ken müssen %.und nicht so wie sie völlige Freyheit
haben. Die Freyheit (oder die Bedingung nach
meinem Sinn glüklich werden zu können) ist
zwiefach, nähmlich die Bürgerliche d.h. die Frey-
heit unter Gesezen, %.und die Nomadische d.h. die
Freyheit ohne Geseze.

/Die gesezlose Freyheit macht stolz %.und gar faul.
zE. Der Tunguse, wenn der jemanden schimmpfen
will; so sagt er, daß du dein Vieh selbst erziehen

/ magst.

/|P_130

/magst; Diese glauben auch, daß dabey schon Zwang
sey. Die Spanier sind auch hochmühtig %.und faul. Die
Neigung von Freyheit %.und der Schein derselben, ist vor
Regirenden herren sehr gut, weil das sehr Patriotische
Grundsäze erhält, %.und die Nation veredelt, zE. in England.
Wenn dem Menschen noch der Schein von Freyheit ge-
lassen wird, so ists sehr gut, %.und die Meinung ist nicht zu
verachten; weil die Leute sich dabey wohlbefinden können
. Der Wunsch, den beynahe jeder hat auf dem Lande
leben zu können, entsteht aus der Meinung der Frey-
heit um sich auf gewisse Art vom Zwange %.und der Pein-
lichkeit loß zu machen %.und nach seinem Sinn leben können.

/Daß Vermögen ist der Besiz der Güter oder Mittel zu
unserm Zwek und Befriedigung unserer Neigungen
ohne Unterscheid. Zu unserem Zweke aber müssen ande-
re Menschen Concurriren, daher müssen wir ei-
nen Einfluß auf die Gemüther anderer Menschen
haben, sie zu Unserm Zweke zu gebrauchen. Das Ge-
schieth nun, durch Ansehn %.und Ehre oder Achtung, die
sie uns Schuldig sind. Durch Gewallt oder vermit-
telst ihrer Furcht %.und durchs Geld oder vermittelst ihres
eigenen Intresses. Achtung kann man bald verlie-
ren, daher ists ein Unsicheres Mittel Menschen zu un-
serem Zwek zu gebrauchen. Die Gewallt ist schon ein
sichereres Mittel. Aber das Geld ist daß stärkste %.und si-
cherste Mittel Einfluß auf Menschen zu haben; weil
da ihr eigner Eigennuz im Spiel ist. Wenn man Geld
in Händen hat; so ist alles willig %.und der Eigennuz ist der
Leitfaden. Mit dem Ansehen %.und Ehre geths schon nicht
so zu: Ein Geistlicher hat einen Einfluß durch seyn Anse- 

/ hen

/|P_131

/Ansehen; die Advocaten haben einen Einfluß; weil
das Publicum sich in Ansehung der Geseze für unwiessend
hält. So gehts auch mit den Aerzten, da man für dieselbe
Ehrfurcht hat. Auch auf die Gewallt kann man nicht sicher
rechnen. Weil offt der Gewallt, Gewallt entgegen-
gesezet wird.

/Wenn diese 3 Neigungen Leidenschafften werden; so
heissen sie Ehrfurcht, Herschsucht %.und Geldsucht (ein Hoheits
wahn, Ehrenwahn, %.und Reichthumswahn). Der Wahn
ist eine Täuschung, wo man Glaubt daß man schon
etwas besize %.und denn auf den Zwek selbst verzichthut.
So ist der Geizige im Wahn. Er sieht das Mittel vor den
Zwek an. Das Geld ist ein Mittel zur Befriedigung«,».
Ein Geiziger aber hält das Geld für den Zwek selbst, %.und
thut auf den Wahren Zwek verzich.

/Die Neigungen werden zu Leidenschafften, aber nicht
alle, sondern nur die, die auf Menschen gehen, werden
Leidenschafften. zE. das Spielen, die Neigung zum an-
dern Geschlecht. Zu Sachen können wir nur Neigung
haben. Einer hatt Neigung zur Ruhe, ein Anderer
Zur Bewegung, ein dritter zum essen oder Trinken.
Das alles aber ist nicht<1> Neigung<4> sondern¿<3> Leidenschafft<2>.

/Die Ehrsucht ist nicht Ehrliebe. Erstere sezt keinen un-
mittelbaren Werth in die Achtung anderer; sondern
braucht sie nur als Mittel zu ihrem Zwek. Sie ist daher
verstellt. Ein Ehrliebender scheute sich, irgend jeman-
den sich verachtungs_Werth zu zeigen. Er erwirbt sich
Achtung %.und Ehre durchs wahre Gute. Ehrliebe hat einen
Unmittelbahren werth %.und gründet sich auf Bescheiden-
heit. Daher sucht ein Ehrliebender nicht Ehre, sonst müßte

/ er sich

/|P_132

/er sich auch bekannt machen. Die Ehrsucht wird Hochmuth.
Dieser aber ist niederträchtig und nicht ehrliebend; weil er an-
dern zumuhtet, daß sie sich geringer als Jhn schäzen sollen.
Er muhtet allso andern eine Niederträchtigkeit zu,
%.und muß selbst daher niederträchtig seyn. Denn man
muhtet dem andern selten etwas zu was man nicht
selbst hat. Er ist immer Verhaßt, weil man durch
solche Zumuhtung beleidigt wird. Daher findet Ehrsucht imm-
mer Wiederstand. Ein Hochmühtiger krücht für
den, der höher ist, wie er, und gegen andere dünkt er sich
wiederum, desto mehr. Derjenige aber der Hochmüh-
tig ist, ist auch dum; denn er wählt gerade das schlech-
teste Mittel, die Achtung anderer sich zu erwerben.
Personen von Hohem Range, sind gemeinhin herablas-
send; weil sich niemand mit ihnen vergleichen kann.
Wenn der Rang aber zweydeutig ist, denn Zeigt sich
recht der Hochmuth.

/Der Stolz. ist der Grundsaz dem Hochmuhte anderer
auf seine eigene kosten keine Nahrung zu geben. Die-
sen Stolz der eine Sellbstschäzung ist, kann man nicht
leicht ablegen. Aber am besten ists, wenn man sich
keines würklichen Werths bewußt ist.

/Herrschsucht ist dem Menschen sehr eigen, %.und wenn sie
mit Gewalt verbunden ist; ist ungerecht %.und findt Wieder-
stand; Ein Herschsüchtiger bemüht sich alles zu seinem
Zwek zu gebrauchen, auf jedes kosten, ausser seinen ei-
genen. Doch sezt er, wenn er bisweilen eine grosse
Speculation, auch selbige aufs Spiel. Herschsucht entsteht

/ eigentlich

/|P_133

/eigentlich, aus der Furcht beherscht zu werden. Der Mensch
will gern das Gleichgewicht behalten; daher traut kei-
ner dem andern. Das scheint auch die Uhrsache zu seyn,
warum die Menschen auf der ganzen Erde zeur-
streut sind.

/Habsucht; ist eine Neigung, vermöge welcher der
Mensch einen Werth in die Mittel sezt, %.und auf den
Zwek selbst schon verzich thut. Es ist eine Neigung des
Wahns. So ist zE. ein Religionswahn, wenn man
in die Andacht (welche ein Mittel zur frömmigkeit ist) ei-
nen Werth sezt; %.und dabey den Zwek (frömmigkeit) selbst
vernachlässiget. So ist auch der Geiz, ein Reichthum
im Wahn.

/Derjunge Mann ist gewöhnlich mit der Leidenschafft
der Ehrsucht angestekt, die, die schon älter sind mit
Herrschsucht, %.und das Späte Alter; wo die Tähtigkeit
aufhört, mit Geldsucht. - Das sind die formale
Neigungen. Die Materielle Neigungen sind ent-
weder Wohlleben durch genuß oder Liebe %.und Spiel.
Weil diese Neigungen auf Menschen gehen; so kön-
nen sie Leidenschafften werden.

/Die Natürlichen Eigenschafften sind die Neigungen
zum Leben %.und zum Geschlecht. Durch jenes erhält die
Natur das Genus durch dieses die Species. Wenn
diese Neigungen Leidenschafften werden; so werden
sie Verächtlich besonders die ersteren. Denn für die
Vernunfft hat das Leben keinen Werth; sondern
nur in so fern sich der Mensch durch seine Handlungen
des Lebens würdig macht. Je älter der Mensch wird

/ jemehr

/|P_134

/jemehr wächst die Liebe zum langen leben, und das
scheint ein Beweiß von einem guth geführten
Leben zu seyn. So ists auch mit der Neigung zum
Geschlecht. Mann siehts für Heroish an, sich über
diese Neigung wegzusezen, es ist aber der Natur
zuwieder %.und zwar mehr als ersteres. Denn Hie-
durch vergiebt der Mensch nur der Dauer etwas,
durch lezteres, aber seine bestimmungen.

/In der Wellt ist nichts beruffener als Faulheit. Der
Instinkt der Trägheit bey der Natur ist Mannigmal
sehr vortheilhafft; denn mann könnte sonst die Kräffte
überspannen. Daher sucht die Natur offt durch Instinct
ruhe, D.h. eine Erholung der Kräffte, die sich sonst
gänzlich erschöpfen könnten. Es ist nicht allemahl möglich,
der Stimme der Natur nicht nachzugeben. Denn mann kan
sonst seine Kräffte übers«t»pannen und dadurch seine Ex-
istens aufheben.

/Gemächlichkeit ist die Neigung sich von der Arbeit
loß zu machen und zu ruhen. Gemächlichkeit aber die
zur Ersparung der Beschwerden gehört, muß man
immer im Prospect haben. Die Ruhe muß, weil
sie nur eine Erhohlung ist, durch Tähtigkeit unter-
brochen werden. Wenn jemand sein eigner Herr
ist; so bleibts gemeinhinn nur beym blossen Vorsaz
zu arbeiten. Es ist daher nöhtig«t», daß die Pflicht treibt,
aus seiner Ruhe einmal herausgehen zu müssen.
Durch Arbeit werden die Unannehmlichkeiten des
Lebens überwunden. Der Mensch fürchtet den Todt,

/ ohne

/|P_135

/ohne das Leben zu Lieben. Hier ist Instinkt der Natur.
Die Täuschung der Phantasie macht uns den Todt
grausend; obgleich der Verstorbene nichts unan-
genehmes empfinden mag. Die Einbildungskrafft
macht hier die fürchterliche Empfindung,; weil sie nicht
Unterlassen kann unser Ich in den Todt mith-
zunehmen.

/Die übergrosse Liebe zum Leben wird verach-
tet; weil man hier nicht genungsamen Muth, Gefah-
ren auszustehen, gewahr wird.

/Die Gelassenheit beym Sterben ist offt der schwachen See-
le und der Abgematteten Einbildungskrafft bey-
zumessen, die das Fürchterliche des Todes nicht em-
pfinden läßt.

/Die Liebe zum Geschlecht ist ein Grund der Mithei-
lung der Menschen untereinander. Dies aber muß
im besondern Verstande genommen werden. Der Mensch
liebt nicht brutal, %.und es ist nicht ein Object des blossen
Genusses (wo diese Neigung durch die Phantasie eine
Leidenschafft des Wahns werden kann.) sondern es
ist bloß eine Theilnehmung an der Glükseeligkeit
Anderer %.und ein gewisses wohlwollen, an der Wahl
der Neben«f»menschen; hier hat das Thierische gar
nichts zu thun. Die Geschlechts Neigung, in so fern
sie Natürlich ist, «h»fängt von Instinctb»n.

/Die Natur hat Instincte, die auf weise Zweke ein-
gerichtet sind. Diese aber sollen mit Reflexion ge-
lenk«e»t werden, %.und nicht durch Verwahrlosung in blei-
de Leidenschafften ausarten. Man muß die In-
stincte von der Vernunfft abhängig machen. Die Na- 

/ tur leitet

/|P_136

/Natur leitet durch Instincte, %.und diese müssen durch
die Vernunfft geleitet werden. Die Natur hat ei-
nem jeden Menschen, einen gewissen Grad von Kräf-
te beygelegt. Daher kann ein Mensch nicht so viel ar-
beuten als ein anderer. Deswegen darff man daß
aber gar nicht Faulheit nennen. Mann kann auch
sagen daß die faulheit den Menschen eben so gut
erhält als die Tähtigkeit. Zuweilen haben die Men-
schen die Absicht Jemanden zu beunruhigen, allein
wenn sie bedenken, das es ihnen selbst Mühe kosten
wird; so bleiben sie Lieber in dem Zustande der
Gemächlichkeit %.und lassen also von ihren bössen
unternehmungen ab. Eben so muß mans der Faul-
heit beymessen, daß in Kriegen noch so viele Men-
schen übrig bleiben. Denn wenn alle Menschen tapfer
%.und Muhtig wären; so würde in der Taht niemand
aus dem Treffen Zurükkehren. Die faulheit un-
terhält auch die Menschliche Gesellschafft. Denn wenn
alle Menschen aufrichtig sprechen %.und einer dem an-
dern gerade zu sagen wollte, so würde die Gesell-
schafft ins wilde ausarten. Diese faulheit macht
nun den Menschen würklich sanfft, indem sie an
den Schein der Wahrheit gewöhnt. Auf solche art
ist Faulheit an sich zwar tadelhafft; aber doch ein
Mittel zur Verfeinerung des Menschen.

/Die Neigung der Tähtigkeit, ist entweder Neigung
zur Arbeit oder Neigung zum Spiel. A<r>beit ist wol¿
nie eine Natürliche Neigung, denn sie ist doch eine
würklich unangenehme Sache, %.und nur vermittelst
des Zwekes angenehm. Das Spil ist für sich selbst an- 

/ genehm

/|P_137

/angenehm. Derjenige der bis zum Ekel spielt, als
nur um zu gewinnen, der macht das daß Spiel
auch zulezt als Arbeit anzusehen ist. Also Neigung
zur Arbeit ist unmittelbar nicht angenehm. Daher
sind alle willden faul, weil sie keine Zweke haben.
So lange wir wachen können wir nicht ohne
Arbeit seyn oder vielmehr ohne Beschäfftigung. Da-
her erhält sich der durch Arbeit ermüdete Mensch nicht
durch faulheit; sondern durch Geschäffte. Besonders
aber ists doch, Daß die Neigung zum Spiel zur
hefftigsten Leidenschafft wird, so daß die Leiden-
schafft des Spiels, die sonst so sehr hefftige Leidenschafft
der Liebe ausrotten kann. Das Spiel sezt den
Menschen immer in Erwartung eines grösseren
Glüks %.und daher findet ein Spieler noch froh. Was
aber eigentlich die wahre Zauberkunst des Spiels
sey, ist würklich schwer anzuzeigen.

/ ≥ Vergleichung der Affecten mit den
/Leidenschafften. ≤

/Affect ist gleichsam ein Strom, Leidenschafft
aber läßt sich zeit. Wo viel Affect ist, da ist wenig
Leidenschafft und so auch umgekehrt. So zeigen die
Chineser viel Phlegma wiewoll sie Leidenschafften
im Höchsten Grad besizen. Sie sind rachgierig
%.und Geizig im Höchsten Grad. Die Franzosen zeigen
wieder viel Affect, aber wenig Leidenschafft.

/Affect liegt im Gefühl. Die Leidenschafft geth auch

/ auf die

/|P_138

/auf die entfernste Gegenstände. freylich kann
der Mensch leicht in Affect gerahten, wenn er sich des
Vergangenen errinnert. Das ist aber auch gleich
sam eine Reproduction. Aufs zukünfftige geth
der Affect ein. Der Affect ist gleichsam ein Rausch der
Leidenschafft im Wachseyn. Der Affect tadelt sich hin-
terher sellbst. Die Stärke der Leidensch<aff>t macht noch
keinen Affect aus; sondern denn wenn sie von der Art
ist, daß sie auf ein einziges Object geth. Der Affect ist
Ehrlich denn er verbirgt sich nicht, die Leidenschafft aber
ist heimlich. Die Affecten treffen theils die Empfindung
theils das Herz; und man könnte sagen sie werden
bloß empfunden oder zu Gemüht gezogen. Bey dem
Gemüht kommt immer eine Reflexion mit hinzu. Wenn
wir eine Empfindung aus Reflexion, nicht als eine
Quelle eines Unveränderlichen Unglüks ansehen, so
empfinden wir zwar dabey, wir werden aber
nicht Niedergeschlagen oder Traurig. Affect wünscht
sich der Mensch manchmall nie aber Leidenschafft.
Denn die Affecten Stärken das Gemüht; die Leidenschafft
aber beherrscht %.und ist Lästig dem Menschen. Affectvoll
%.und lebhafft ist auch sehr von einander unterschieden.
So sind die Italiener Affectvoll %.und die Frazosen
lebhafft. Die Lebhafftigkeit einen Affect vorzustellen
ist immer sehr groß. Ueberhaupt ist das eine gute
Regel sich nicht täuschen zu lassen. Viele Autore¿
welche so Affectvoll schreiben, empfinden sicher nicht

/ was¿

/|P_139

/was sie schreiben. Eben so beten %.Menschen inbrünstig ohne
inbrünstig zu seyn, bis zum sterben lieben ohne liebe,
und sich ausgelassen freuen ohne freude. Also kann
man nicht immer glauben, daß der Afficirt sey, der den
andern Afficirt -. Etwas würklich zu herzen neh-
men ist offt nöhtig; aber Affect %.und Leidenschafft müssen
davon immer entfernt seyn. Ieder Affect ist insofern
Unklug, wenn er den Menschen Unfähig macht, seine
Zweke zu erreichen. Ein Affect läß sich zuweilen
bey guter Absicht recusiren aber nicht excusiren. Ubel
kann man es einem %.Menschen nicht immer nehmen, aber zu ta-
deln ist der Affectvolle %.Mensch immer. Denn er hätte seinen
Zwek besser und richtiger ohne Affect erreichen können.
Es mag nun seyn was will es muß alles ohne Affect
geschehen. Mit Ernst muß alles Gute durchgesezt werden
Die Furcht ist ein Affect, die den eigenen Affect vertreibt.
So macht die Scham den %.Menschen gleichsam Unfähig, sich vor-
theilhafft zu zeigen. Wenn wir in der Natur eine
Anlage zum Affect und Leidenschafft haben, so müssen
sie doch gut seyn. Die Natur hat vieles in uns gelegt
in Erwartung, daß wir es selbst nach %.und nach ent-
wikelln werden. So ist mit der Liebe. Die Vernunfft
kann aber den Instinct in uns nicht ausroten, sie kann
nur verhüten, das es nicht Leidenschafften werden.
Die Gleichmühtigkeit ist dem Affect entgegengesezt.
Die Herrschafft über sich selbst ist wieder der Leidenschafft
entgegengesezt. Sie heißt auch die Gemühtsfassung.

/ Von

/|P_140

/ ≥ Von den Mitteln wodurch die Menschen ihre Nei-
gung am besten befriedgen. ≤

/Dur Geschäffte %.und besonders durchs Spiel suchen die %.Menschen ihre
Neigung zu befriedigen. Das Vergnügen das durch
Wiederholung immer grösser wird, ist der Umgang. Im
Umgang scheint dies Leben am mehresten zu versüssen
%.und deswegen werden die Conversation_Eigenschafften
sehr geschäzt. Aber so wie der Geschmak offt verdirbt; so
giebts auch bisweilen ganz verkehrte %.und verderbte
Conversations_Eigenschafften. Diese Eigenschafften müs@sen@
so zu sagen erst aus«¿»probirt werden. Daher gehören vie-
le Versuche und Bemühungen dazu, sich Conversations
Eigenschafften zu erwerben. In Francreich ist
man woll meister davon. denn sie sind die ersten die
das Frauenzimmer in die Conversation mit einschliessen
und ohne Frauenzimmer ist würklich keine gut Conversa-
tion möglig. Denn ist das Frauenzimmer mit in Gesell-
schafft; so wird nur auf Unterhaltung, nicht aber
auf Nuzen %.und Belehrung gesehen. Aber der Zwek
der Gesellschafft ist eigentlich auch nur Unterhaltung
%.und daher ist eine Solche Eigenschafft zur Conversati-
on hinreichend. Conversations_Regeln können nicht
entworfen werden; sondern diese Eigenschafft
muß Cultivirt werden;. In England ist eine Con-
versation gewöhnlich bey der Flasche, das Frauenzimmer
wird entfernt %.und deswegen arten die Conversati-
ons ins Rohe aus. Im Umgange sind zwey stü- 

/ ke

/|P_141

/stüke, die die Unterhaltung ausmachen, als Unterredung %.und
Spiel. Dieses Spiel ist aber daß Spiel der Empfindung,
der Bewegung %.und des Glüks. So ist Musik ein blosses Spiel
der Empfindung, der tanz ist das Spiel der Gestallten. Das
Dritte endlich ist das Spiel des Glüks. Das Schachspiel ist mehr
ein Geschäfft als ein Spiel. Die Unterredung ist wohl
das Vorzüglichste in der Gesellschafft. Bey dem Gespräch
muß besonders der Egoismus vermieden werden, denn
jedermann wird desto mehr unterhalten, je mehr er sei-
nen Egoismus zeigen kann. Wenn der andere auch
würklich Unnrecht hat, so muß mann es ihm doch wenig
fühlen lassen. In der Unterredung kommt es nicht so-
viel darauf an, wie man seine Ausdrüke Moderirt;
sondern vielmehr auf den ton %.und auf die Art des
Sprechens an. Ist der Ton millde so läßt man
sich eher belehren, als wenn alles Egoistisch klingt.
Mitt denselben Ausdrüken aber kann der eine be-
leidigen, mit welchen der andere Unterhällt. Denn
es kommt so sehr viel auf die Art des Spreche<n>s an.
Es frägt sich aber, ob das Spiel «mehr» auch wohl <auf> eine
gewisse Weise Cultur vor den Menschen ist? Das
kann man behaupten. Denn das Spiel ist gleichsam
ein Vortrag nach dem Princip des Eigennuzes,
ohne daß man eigennüzliche Absichten Vorgiebt,
doch nachdem Eigennuzze zu handeln. Hiedurch lernt
der Mensch, eine gewisse Mässigkeit, vorausge-
sezt daß es in Ordentlicher Gesellschafft geschieht; denn

/ Das Spiel

/|P_142

/das Spiel an sich ist blosser Eigennuz. Ein Mensch der gar
nicht gespielt hat, ist etwas eingeschränkt, denn ein klei-
ner Verlust bringt solchen ausser fassung. Das
Spiel ist allso eine Convention nach allen Maniren
des Eigennuzes auch ohne Eigennuz zu verfahren.
Daher kommts auch daß daß Spiel am längsten un-
terhält %.und der Mmensch wird nicht im Mindesten hie-
durch agitirt.

/Das Gespräch kann auch in einer bloß Bäulaufigen
Unterha<n>«lt»ndlung, gefühlt werden, das Gespräch bey der
Tafell ist aber das beste vehiculum der Unterhaltung
Bey Tische ist immer eine wechselseitige Unterhal-
tung der Empfindungen %.und Gedanken. Eine solche tisch-
gesellschafft muß nicht zu klein %.und zu groß seyn,
damit sich die Unterredung nicht in mehrere klei-
nere Pahrthieen theilt. Lord Schsterfild sagt
ganz recht. Eine gute Gesellschafft muß nicht unter
der Zahl der Gratien %.und über der Zahl der Musen
seyn. Bey einem ordentlichen grossen Gastmahl,
findet man schon nicht mehr die Freyheit, welche
zur Conversation erfodert wird. Wenn Personen
zum Umgange zusammenkommen, die sich für einander
gar nicht passen; so nennt man daß ein Gelache. Denn
hier geht alles durcheinander, die Gesellschafft ist zu groß.
Bey Tische können 3 Arten von Unterhaltungen vor-
genommen werden, Erzählungen, Raisonnements
%.und Scherze.

/Mit Erzählungen wird gewöhnlich angefangen. Wenn

/ das Erzäh

/|P_143

/das Erzählen vorbey ist so wird gewöhnlich Resonirt,
wobey die Flasche offt dieselbe beste Würkung thut.
Endlich fängt man an zu scherzen %.und damit muß die
Gesellschafft auch immer Geschlossen werden. Denn ein
Solcher Schluß läßt immer eine Angenehme Zurükerrin-
nerung. Bey tische immer zu scherzen ist auch nicht gut,
denn er wird endlich zum Ekel. Erzählung könnte wohl
allein die Unterhaltung ausmachen, wenn nur immer
Stoff genung dazu wäre. Daher muß Erzählung,
Räsonineren %.und Scherz mit einander Abwechseln. Mann
findet offt, das eine ganz grosse Gesellschafft mitein-
mal ganz stille schweigt. Um nun solche Gesellschafft
zu ermuntern«t»; so muß man nur aufsuchen, was
derselben Intressirt, so wirds nie an Unterhaltung
fehlen. Gesellschafftliche Neigung zu haben ist nicht eben
zu wünschen, denn von Gesellschafft kann der Mensch
nicht leben %.und noch dazu kostes Geld offt in Gesellschafft
zu seyn. Geschmak aber an der Gesellschafft muß
sich jeder man zu erwerben suchen. Ein solcher %.Mensch
kann das Vergnügen ertheilen und auch geniessen,
aber er muß es auch entbehren können; hier ist nun die
Elementarlehre zu Ende %.und wir kommen auf die
Methodenlehre.

/ ≥ Die Methodenlehre. ≤

/Der Character; ist zwiefach, entweder der
Character eines Dinges oder der eines Menschen.

/ Der Character

/|P_144

/Der Character eines %.Menschen ist das Unterscheidungsmerk-
mahl eines Menschen von dem Andern, oder der Mensch von
andern Wesen. Dies ist der Character der Person, der des Geschlech@ts@
der eines Volks %.und endlich der Character der Gattung. Den %.Menschen
kann man nun betrachten als ein Natur %.und als ein Freies
Wesen. Als Naturwesen betrachtet man ihn nach den
Anlagen, die bey ihm Angetroffen werden, %.und das ist der
Character der %.Menschen als Thiere. Mit dieser Betrachtung
wollen wir den Anfang machen. Der Character des %.Menschen
als freyes Wesen wird in seinen Willen gesezt.

/ ≥ Von der Characteristik der Person. ≤

/Das Talent oder Naturell zeigt das Temperament. fer-
ner kommt der Character oder die Denkungsart dazu. Diese
Stüke machen den Character des %.Menschen aus in sensu latiore. - 
Naturell bedeutet die Naturanlagen in Ansehung der Em-
pfänglichkeit. Einen Gewissen Grund von diesem Naturel
hat jeder Mensch. Dieses Naturell ist die Empfänglichkeit
einer Disposition oder einer Belehrung der Disciplin,
Unten Disciplin versteht man die Einschränkung der
Neigung durch eine gewisse Regel -. Disciplin ist ei-
gentlich Negativ. Der %.Mensch nimmt Disciplin an, wenn
er seiner selbst zu weit verläugnet, daß er sich an-
dern accomodirt. Ein bigsames Naturell ist immer
gut, für den der es erzieht, sonst ist es kein grosses
Lob. Denn ein solcher %.Mensch kann auch sehr leicht schlechte
Formen annehmen. Mann versteht auch unter Naturel
die NaturAnlage %.und das heißt talent, %.und hat dieses Ta-
lent Originaellitaet; so heißt genie. Wir werden uns
bald dasjenige zum Temperament zählen, was wir zum

/ Naturell

/|P_145

/Naturell rechnen. Das gute Gemüht bedeutet die Un-
schädlichkeit eines %.Menschen, besonders aber will es so viel
saagen, daß ein solcher %.Mensch sich leicht andere accommodirt,
sich hinwänden läßt, wohin andere ihn haben wollen.
Wir sehen also, daß das eben kein Lob für den %.Menschen ist.
Es gibt sehr gute Leute, die nichts destoweniger Laster
annehmen bloß aus Gefälligkeit. Blosse Wünsche
Zeigen nicht «leicht» gleich von einem Guten herzen.
Die Gutherzigkeit kann man bloß auß der Taht
beuhrteilen. Die Engländer nennen sich ein gutge-
artetes Volk. Andere wollen ihnen das aber nicht ein-
räumen. Die Gutartigkeit, bedeutet so zu sagen, In-
stinktartigkeit %.und nach Grundsäzen Gutes zu thun.

/Das Temperament ist eigentlich das Characteristische
der Lebenskrafft, so fern sie zur Rationalitaet des
%.Menschen gehört. Das Temperament ist Körperlich Psicho-
logisch, des Körpers %.und der Seele. Bey den Alten war
es der Gebrauch, die Uhrsache des Temperaments
in der Leibesbeschaffenheit zu suchen; aber das läßt
sich nicht begreiffen. Das Temperament der Seele
ist die Proportion der Triebfeder. Das Talent ent-
hält die Proportion der Erkäntniß, das Tempera-
ment kann man Sinnesart nennen. Die Liebe
besteht im Gefühl der Lust oder Unlust %.und bestehet in
Tähtigkeit. Wenn das Gefühl Determinirt; so ist
daß die Triebfeder, wir können aber bey dem Be-
stimmungsgrund auf die Tähtigkeit sehen %.und denn
ist es Temperament der Tähtigkeit.

/In Ansehung des Gefühls, sind die Temperamen-
te

/δ_Text_bricht_ab