/|P_1

/δ_leer

/|P_2

/δ_leer

/|P_3

/ ≥ Kant's

/anthropologische Vorlesungen.

/Konigsberg the 1st August 1791. ≤

/

/|P_4

/δ_leer

/|P_5

/ ≥ VorErinnerungen. ≤

/Die Wißenschaft des Menschen (anthropologiaa) hat mit der
Psychologie des äußern Sinnes eine Aehnlichkeit in so fern
in beyden die Gründe der Erkenntnüß aus beobachtung %und
Erfahrung genommen werden. Nichts scheint wohl für den
Menschen interessanter zu seyn, als diese Wißenschaft,
%und doch ist keine mehr vernachläßiget als eben diese. - Die
Schuld wird wohl an die Schwierigkeit von dieser Art Beobachtungen
anzustellen liegen, wie auch aus der seltsamen Illusionb, da
man glaubt dasjenige zu können\ennen, womit mann umzugehen
gewohnt ist. Dadurch haben sich in manchen Wißenschaften
wichtige Stücke, der Beobachtung entzogen, weil man sie
nicht wu\ürdig dazu hielt. Eine Ursache, mag auch wohl
die seyn, daß man nicht viel erfreudliches zu finden
vermuthet, wenn man die schwierige Höllenfahrt zur
Erkenntnüß seiner selbst anstellen würde. - Aber

/ warum

/|P_6

/ist aus dem großen Vorrath der Beobachtungen Englischer Verfaßer
nicht eine zusamenhängende Wißenschaft der Menschen gemacht.
Es scheinet daher zu kommen, daß man die Wißenschaft des
Menschen als einen an die metaphysicc angehängten theil be-
trachtet hat, %und nur dahero so viel achtsamkeit auf sie ge-
wandt als die Theile der metaphysic zu ließen. Dieser
Fehler ist vielleicht aus dem Irthum entschpoßen\sprossen weil ich
in der metaphysic aus mir nehme, %und mithin hat man alle
Theile der metaphysic als Folgen der Seele angesehen.
Aber die Metaphysic hat nichts mit den Erfahrungs
Erkenntnüßen zu thun. Die empirisched Psychologiee
gehöret eben so wenig zur Metaphysice - Wenn wir
die Kenntnüß des Menschen als eine besondere Wißenschaft
ansehen: so entspringen viele Vortheile daraus denn man
darf 1, aus liebe zu ihr nicht die ganze Metaphysic
lernen. - 2. ehe eine Wißenschaft in Ordnung %und Regelmäßig-
keit der Disciplinf kommt muß sie auf Akademien allein
getrieben werden. - Dieß ist das einzige mittle\Mittel eine
Wißenschaft zu einer gewissen höhe zu bringen: es
kann aber nicht Statt finden so fern nicht eine
Wißenschaft abgesondert ist. - Mann behählt nichts
aus den Büchern wozu man nicht gleihsam Bücher in

/ Verstande

/|P_7

/hat. - Die Dispositiong ist daher in der Wißenschaft das
Vortreflichste, hat man diese von der NaturKenntnüß des
Menschen: so wird man aus Romanen %und Wochen Blättern,
aus allen Schriften %und dem Umgange unschäzbare reflexionenh
und Beobachtungen sammlen. Wir werden das Menschliche
Gemüth in allen Zustände betrachten, im Gesunden %und
Kranken, verwirten %und rohen Zustande. Die ersten
Principien des Geschmacks %und der Dyndication des Schönen,
die Principien der Pathologiei, Empfindsamkeit %und Neugungen.
Wir werden die Verschiedenen Älter %und besonders Ge-
schlechter in ihren Caracteren angeben, %und aus ihren
Quellen zu ziehen suchen. Hieraus wird sich folgern laßen
was an dem Menschen natürlich, %und was an ihm %Künstlich
oder angewohnt ist. Daß wird das schwerste und
unser HauptObject seyn, den Menschen so fern er
natürlich ist, von dem durch Erziehung %und andern Einfluß
umgeschaffenen Menschen zu unterscheiden, das Gemüth
abgesondert vom Körper zu Betrachten %und durch Beo-
bachtungen auszumitteln suchen, ob der Einfluß des
Körpers notwendig zum Denken erfordert werde.
Zeigen «muß» uns die Erfahrungen das Gegentheil, so wird
eine bloße Schluß Folge aus den Erfahrungen den sichersten

/ Beweiß

/|P_8

/Grund für die Unsterblichkeit der Seele an die Hand geben. - 
Einige studiren für die Schule, andere für die Welt. Für
die Schule studiren heist Kenntnüße erwerben um sie zum
beliebigen Gebrauch zu haben, %und sich ihrer zu bedienen,
wenn man dernach frägt. Eine Erkenntnüß, so fern sie
der Methodek der Schule angemeßen ist heist Schulgerecht.
Denjenigen, der den Schulgebrauch seiner Kenntnüße zum
Weltgebrauch macht, nennt man einen Pedanten: z:E:
Außer den Kenntnüßen für die Schule, mit denen man
sich sehen laßen kann muß man auch suchen; seine
Kentnüße an den Mann zu bringen, %und sie im gemeinen
leben zu gebrauchen. Weltkenntnüß, wird bisweilen als
Natur_Kenntnüß, bisweilen als Menschen_Kenntnüß betrachtet.
Man sagt z:E: der Mensch hat Welt, d:h: er kennt so
die Menschen, daß er si«e»ch in ihrer DenkArt zu @sinken@\schicken
weißt, so redet man von der große Welt, d:i: von
den Menschen %und ihrem ton. Welt bedeutet eine Verknüpfung
eines gangen von verschiedenen Dingen. Menschen sind
der Beste Zwek, auf welchen wir all unsere gesammlete
Kenntnüße geltend machen können. Menschen zu seinen Absichten
zu gebrauchen, auch unter\üeber Menschen sich bequemen zu können - 
daß man unter ihnen Paße. Eigentlich kann nur die Kenntnüß
der Menschen, in so fern sie ein Fundamentl im Gebrauch aller

/ unserer

/|P_9

/übrigen Kenntniße auf menschen ist. Welt_Kenntnüß genannt
werden. Eine solche Menschen_Kenntnüß macht nicht nur gelehrt,
sondern vorzüglich Klug - Klugheit ist eigentlich der lezte Zwek
der Kenntnüße. Das Vermögen sich der Natur zu seinen Absichten
zu bedienen, heist Geschichlichkeit, hingegen das Vermögen die
Menschen zu unserer Absicht zu gebrauchen heist Klugheit.
Man unterscheidet die Kentnüß der Dinge von der Geschiklichkeit, von
diesen Dingen einen für sich vortheilhafter\n gebrauch zu machen.
Die Geschicklichkeit ist die Anthropologie auf Sachen, die Klugheit
auf Menschen geruh\ichtet könnte 1. scholastisch seyn in so fern
sie bloß geschickt macht. 2. pragmatisch, in so fern sie
klug machet. Alle Pragmatische Anthroplogie ist ein Organonm
der Klugheit, die scholastische, ein Organon der Geschiklichkeit.
Die scholastische anthropologie enthält die empe\irischen Psy-
chologie in sich. Die scholastische Anthropologie untersucht z:E:
ab das Gedächtniß auf die Organe unseres Gehirns beruhe,
sie siehet aber niemals auf den Nuzzen den wir doch haben.
Wir werden hier von der Pragmatische anthropologie handlen.
Anthropologie ist eine Menschen_Kenntnüß als Weltkenntüß,
so fern sie «g»jenem entgegengesetzt ist, als Schulwißenschaft,
diese pragmatische anthropologie ist nöthig, dem Menschen die
erste Bildung zum Umgang mit Menschen zu geben, den\ie man
durch reißer\Reisen erwirbt. Diese pragmatische anthropologie hat
große swierigkeiten, dann erstens muß sich der Mensch sebst
beobachten ehe er einen andern beobachten kann. Wann die

/ Triebfedern des

/|P_10

/Menschen in Bewegung sind, so kann er sich nicht beobachten, beobachtet
er sich, so ruhen die Triebfedern %und dann hat er nichts zu beobachten,
als daß er lebet. Also, wann er sich beobachte«t»n kann, so ists
nichts zu beobachten %und ist was zu beobachten so kann er
sich wiederum nicht. Es bleibt aber übrig, daß er sich
nachher beobachten kann, wenn sein Gemüth nach actionn in ruhe
ist, aber dies ist schwer, weil man dann zu weilen sich
entsuldiget, auch vergißt. Zweytens muß mann andere Mensch-
en beobachten um dadurch eine Regel zu bekommen aber dies
ist auserordentlich schwer, weil die Menschen sich verstellen
%und wollen ihre Schwache Seite nicht bliken laßen. Allein,
hier muß man durch lange verglichene Beobachtungen Erkennt-
nüße sich erwerben, denn beständig kan der Mensch sich
auch nicht verstellen weil es ihm beswerlich ist, so kann
Man sie dann von Zeit zu Zeit attrapiren. Wann man
vergleichen will, die Kentniß seiner selbst mit den Kenntnüßen
anderer, so ists erstere weit leichter, denn ich werde mich ja
nicht gegen mich selbst verstellen wann ich mich beobachten will.
Alle Kentniß unserer selbst, macht uns demüthig, bewahrt
uns für denn Eigendu\ünkel u:s:w: Die Qwelle der Anthro-
pologie außer der eigenen beobachtung, die jeder an sich
selbst macht, wann er allein ist, oder an anderen in der
Gesellschaft, sind Gesichte %und Romanen. Man muß einen blik
auf das Caracteristische (Eigenthümliche) der Menschen werfen am meisten

/|P_11

/wann man aus der Gesellschaft heraus kommt. Die Gesch«¿¿»ichte kan
eine Menschen_Kentniß erweitern, aber keine hervorbringen
Eine pragmatische Geschichte ist solche die klu\üger macht, sie
kan nur vom dem der Anthropologie genung besizt geschrieben
werden. Roman %und Schauspiel können auch zur Menschenkennt-
niß genutzt werden, weil der Romanschreiber %und Schauspiel
Dichter ohnmöglich Interesse - «an» seinen Zügen verschaffen könte«¿»,
wann sie nicht einiger maßen mit der menschlichen Natur
übereinstimmten - Weil aber alle Züge in den Schauspielen
%und Romanen, weit zu stark aus geleget gedruckt «ist»sind; so muß man
daß übertriebene weglaßen, %und nur beobachten, ob die
Erdichtung, der Menschlichen Natur angemeßen ist. Auf
dem Schauplatz ist alles Caricaturp. Der Nutzen %und Gebrauch
der anthropologie fällt leicht in die Augen, wenn man bedenkt,
daß der Mensch, das Ziel, %und der letzte Zweck, aller unserer
Kentnüße ist, %und also die Kenntniß des Menschen sehr wichtig
ist. Auch ist die Kentniß seiner selbst sehr viel werth, dan sie
verschafft ruhe der Seelen %und Zufriedenheit, weil wir sehen
das Leute, die da scheinen außerlich glücklich zu seyn, doch
unzufrieden sind, %und dieß war\ist der moraliche\sche Nuzzen. Ein ge-
brauch der Menschen_Kenntniß ist jede«¿» unte\Unterweisung. Menschen
durch moralische Belehrung zu beßern, dazu gehört menschen-
kenntniß. «andern theils eine Stärkung der Triebfeder»
Religion ist eines theils eine besondere Triebfeder zur Moral
andern theils eine Stärkung der Triebfeder, allein es gehört

/|P_12

/viel Menschen_Kenntniß zu bestimmen, «Religion zu beurtheilen»
wie viel Theologieq zur Religion gehört. Menschen_Kenntniß
gehört also um andere, Religion beyzubringen. Religion zu
beurteilen, auch der Ursprung %und Misbrauch zu erkennen %und
sich selbst zu prüfen, welches ein Haubt_stück der Religion
ist. Die Anthropologie verhält sich zur Moral, wie die
Feldmeßkunst zur Geometrie. Sie kann nichts in die
Moral schaffen aber sie trägt dazu bey, um die Moral
auf Menschen wirksam zu machen. Anthropologie ist eins
der schönsten mittel der Unterhaltung, sie scheint das
interressanteste (reichteste)zu seyn, %und zwar mehr als die Neuigkeiten. Die Regel@n@
der Anthropologie werden wir in Concreto suchen anzuwen@den@
%und dadurch wird sie Pragmatisch.

/δ_Schnörkel

/δ_Rest_leer

/|P_13

/ ≥ Abhandlung der Anthropologie selbst.

/------------------------ 

/Vom bewustseyn seiner selbst. ≤

/Im bewustseyn seiner selbst, kann man sagen: Ich, als Mensch,
%und Ich, als denkendes Wesen, das ist das Grund-Vermögen des
Menschen. Unter dem Wort Seele verstanden die Alten das Innere, z:E:
die Seele der Feder. Das Wort Seele ist nicht genungsam
im populairenr Gebrauch, sondern das Wort Gemüth. Der
Ausdruk ist nicht populair, der eine gewieße Kenntniß von
Schwierigkeit voraussetzt. Seele scheint anzu zeigen eine
besondere Substanzs, die vom Körper verschieden ist. Gemüth
aber eine besondere Kraft, die im Körper ist. Wann ich
Ich sage so rede ich von meinen äußern %und innern Empfin-
dungen, auch von meiner Einbildungs_Kraft. Kein Ding wirkt
auf den Menschen so sehr, als was das Bewustseyn, seiner
selbst erreegt, z:E: in einer großen Gesellschafft, wo man
auf vieles nicht achtet, wird man auf einmal, bey leiser nen\Nennung
seines Nahmens aufmerksam «wird». Kinder die schon ziemlich
fertig reden können, können sich ihres Ichs noch nicht
bedienen, sodern reden immer durch die 3te Person. Wann
ein Kind %Per Ich redet so findet man schon einige Aufklärung
in ihm - Egoistt ist der, der in Gesellschafft seine Per-
son geltend machen will - der in sich selbst vernarrt ist,

/|P_14

/ist %eigentlich ein moralischer Egoist. Jeder der immer von sich selbst redet
würde in der Gesellschafft unerträglich werden, wenn er nicht bedächte,
daß jeder andere auch gerne von sich selbst spricht. Man muß @aber@
die Egoistische Erregung sehr verheelen, denn man wird dadurch
beliebt, wenn man in der Gesellschafft andere gelegenheit «giebt»,
von sich zu reden giebt. Ein Egoist so bald er sich entdeckt wird all-
gemein verhaßt. Wir war ein ausdruck der bescheidenheit bey
Königen, %und bedeutet so viel als ich %und meine Räthe. Der Plural
im Anreden ist uns\nur bey den Morgenländern, %und die Deutschen,
bey denen dieses sehr mannigfach ist, haben sich denn Umgang
dadurch sehr erswert. Das %eigentliche Ich im speculativenu Ver-
stande heist nur Seele, im Populairen aber immer der Mensch.
Das Gemüth bedeutet die Sinnen der Empfindengungen. Das
bewust_seyn seiner selbst, ist das einzige m\Merkmal seiner
Personlichkeit. Sich beobachten heist das bewustseyn seiner selbst
lange bey sich behalten, ist %unerträglich %und %wiedernatürlich. weil\Der Zustand @einer@
anhaltenden %und subtilen Beobachtung seiner selbst ist unerträglich %und
wiedernatürlich weil er üble Folge hat, den Menschen am Ende blind macht,
%und %vorzüglich Hypochondriev erregt. Alle Hypochondristen sind
subtile (genaue) Beobachter ihrer selbst, die Beobachtung seiner
selbst kan also nichts anders als etwas vorübergehendes seyn
das bewust_seyn seiner selbst macht bey dem Menschen
das einzige merkmal des unterschiedes den Thieren aus.
Dem ton der %Gesellschafftlichkeit ist nichts so zuwieder, als der
Egoismus. Der Mensch muß nicht allein mit sich selbst, sondern
vielmehr mit «seiner selbst» Gegenstände, außer sich,

/|P_15

/Beschäftigen, weil die beobachtung seiner selbst zu %unNatürlich ist, %und
zweitens hindert, sie daß wir gegenständen außer uns, nicht beobachten kön-
nen. Es giebt eine Zweifache art von Zurücke«r»hrung in sich selbst,
a) eine willkührliche b) eine unwillkürliche, welche zum theil eine
Folge von zu stark willkührlichen ist. Zur erhaltung der Gesundheit
des Körpers, %und der Seele, ist nothwendig, daß Man sich zerstreue
%und seine aufmerksamkeit auf andere Gegenstände richte. Die
Langeweile entstehet, wann das Gemüth sich nicht mit Gegen-
stände beschäftigt, %und dann nagt es sich Selbst auf. Der
Mensch hat nöthig sein Selbst vergeßen zu machen, denn
ist er glücklich. Daß geschiet am vorzüglichsten im Ge-
sellschaften. Der mit sich selbst beschäftigt ist, ist für alle
Gesellschaft verlohren, weil er immer zerstreut ist. Die
Aufmerksamkeit im Gesellschaft a«h»uf sich selbst hat zwey wirk-
ungen 1) sie macht affectirt, d: ist: wenn der Mensch
sich voraus übt, um ja auf eine vortheilhafte weise
in die augen zu fallen. Seine Geberde %und Schprache sind
erkünstelt, so, das er kan sich selbst kann reden hören - 
Affectation ist dem Menschen in den Augen anderen
höchst nachtheilig, kein Mensch wird Affectiren der
einen inneren werth füllt. Roheit und u\Ungeschiffenheit hat
selbst nicht so viel nachteiliges, man merkt gleich
daß der Affectirte sich beyfall zu erschleichen sucht, den
man ihm dann gewieß versagt. 2.) Genirt, dies ge-
schiet öfter, der genirte ist schü«¿»chtern, aufmerksam
auf sich selbst, er wird steif, hölzern, %und dies entstehet

/|P_16

/dadurch weil er es nicht will seyn, %und bey der Furcht wieder den guten
«¿»Anstand zu verstoßen, fehlt er am öftersten. Fehler die die
natur uns aufgelegt hat, können wir wohl zu vermeiden
suchen hier reden wir aber vorzüglich vo«m»n dem Zwange in der Ge-
sellschaft; Also natürlich muß der Mensch seyn %und thuen.
Jeder Mensch hat seine«r» Art sich in Gesellschaften geltend
zu machen, die er nicht verändern kann. z:E: eine gewiße
Stellung, die man hat, wird auch der Größte«¿» Tanzmeister
schwer ändern können, so auch die natürliche Sprache pp: - 
alle Naïvetaet (ingenuitas) (ingenuitas %natürliche Neigung wozu ist, was nicht affe«i»ctiret, auch
nicht genirt, sie hat was sehr gefallendes. Wann wir
auch nicht unsere Aufmerksamkeit auf unsere Person
selbst richten sollen, so müßen wir es doch viel mehr
auf die Objecte «Gest» (Gegenstände) unserer Gedanken thun, damit man
sich a.) der Wahrheit b.) des Zusammenhanges bewust
sey. Dies ist das objective bewust_seyn, %und sehr zu em-
pfehlen - Vorstellungen deren man sich unmittelbar
bewust ist, heißen klare Vorstellungen, Wenn man
sich des klaren der Vorstellung bewust ist, d.i. weiß
man so gar die Vorstellungen zu zergliedern, %und
die teilbegriffe anzugeben, so heißen sie Deutlich.
Die Natur hat unseren Verstand so eingerichtet, das
der gröste teil der Vorstellungen dunkel sind, %und

/|P_17

/hierin liegt der gröste Schatz des Menschen. Da«s»ß dunkele
Vorstellungen in uns sind, zeigt sich, wenn z:E: ein Musicus
phantasiret, so denkt er dabey, indem er die Tone wählt
ist sich aber dennoch deßen nicht bewust. Dunkele Vor-
stellungen spielen eine große role\Rolle beym Menschen,
sie machen daß man sich in ein nicht schönes Frauen-
zimmer verliebt, ohnerachtet daß man es selbst ge-
steht, daß sie nicht schön ist. Scrupel sind auch
dunkele Vorstellungen - wir spielen oft mit dunkelen
Vorstellungen, z:E: wenn wir verblümt reden. Die
dunkele Vorstellungen treiben noch weit öfte«m»r ihr spiel
mit uns, vorzüglich bey denjenigen die sich sehr mit
ihre Seele beschäftigen. Das Spiel der dunkel«e»n Vorstel-
lungen ist erstaunend manigfaltig, wenn jeder Mensch
laut dächte, so würde eben kein große u\Unterschied
zwischen einen klugen m\Mann und einen n\Narren seyn,
den ein Narr ist der laut denkt. Ein witzige Einfall
muß nicht ganz klar seyn, «b»sondern er muß andern
das Ver\gnügen machen; ihn selbst, aber leicht auf zu
«ent»lösen. Alles was im dunkelen liegt scheint auch
größer, so machen es auch einige SchriftSteller die
ihre g\Gedanken in eine geheimnißvolle Dunkelheit
einhüllen, %und doch den l\Leser hintergehen. Dunkel

/ sind

/|P_18

/die Vorstellungen, deren wir uns nicht unmittelbar, sondern durch
ihren Wirkungen bewust sind. Viele bestreiten daß daseyn
«den» der dunkeln Vorstellungen, %und sagen, wie können wir von
daseyn dunkeler Vorstellungen überzeugt seyn, wann wir uns ihrer nicht
bewust sind. Hierauf antworte einem, es ist aber nicht nöthig
daß man vermittelst der Empfindung sich bewust wird, wann man durch
Schlüße so zum bewust_seyn kommen kann. So erklärten schon,
zum Beyspiel, die alten den Schimmer den Milch_Straße, als
das lie\Licht einer m\Menge Sterne, ob sie gleich diese Sterne in
e\Ermangelung der Ferngläßer nicht sehen konnten. Man kann
die menschliche Seele sich als eine Charte vorstellen deren illu-
minirten Theile die klaren, gewiße, besonders helle Theile, die
deutliche«n», %und die unilluminirten Theile die dunkelen Vor-
stellungen bedeutet\n. Menschen werden durch dunkele Vor-
stellungen zu denen bewegt, was sie durch die klaren für unge-
reimt gehalten haben würden, %und die u\Untersuchung dieser
Vorstellungen, ist eine angenehme Beschäftigung.

/Von deutlichen Vorstellungen. - Die Deutlichkeit ist eine
wirkung der Unterscheidung %und Ordnung. Sie ist ent-
weder Scholastisch, bey welcher die bearbeitung her-
vorleuchtet, die da macht, daß die Erkenntniß deutlich
werde, oder populair, wo es scheint als ob sie keine
Mühe gemacht hätte. Eine gar zu große Anhänglich- 

/ keit

/|P_19

/zur Ordnung verräth einen Pedanten, «nicht» zur deutlichkeit
einen leeren Kopf. Beyde«n» denken nur darauf, der Sache
nur eine Form %und methode zu geben, wenn auch auf Kosten
des inneren Inhalts. - An den Deutschen Nation bemerkt,
mann einen großen hang zur Ordnung, in ihren Sitten
so wohl als in ihren Schrifften. Viele halten daß faßliche
für deutlich, %und daß unfaßliche für undeutlich. Dies ist aber
falsch, denn gemeiniglich ist gerade das Gegenteil\theil. Wenn
man eine Sache ganz deutlich machen will, so wird sie
eben dadurch unfaßlich. Macht man sie aber zu faßlich, so
wird sie dadurch undeutlich. Die populaire Deutlichkeit, wenn
die Deutlichkeit nichts verlier«e»t, ist ein Kunststück. Ordnung
gefällt immer, sie hat aber doch einen Zwang an sich - 
Deutlichkeit bestehet darinnen, daß wir uns nicht nur
unserer Vorstellungen überhaupt bewust sind, sondern nur\auch
der theil-Vorstellungen - oder der Vorstellungen der Theile. Undeutliche Vorstellungen
werden auch verworren genannt, eigentlich aber sind
sie unterschieden, denn das Verworrene ist die Ursache
vom undeutlichen. So wie es «g» eine beliebte %undeutlichkeit\Dunkelheit
giebt, dadurch nehmlich, das es etwas zu rathen giebt,
so giebts auch ein beliebte Verwirrung - Es giebt auch
eine Noble Nachläßigkeit - Die Peinlichkeit der Ordnung
hat etwas anstößiges, %und zeiget einen leeren Kopf an.

/|P_20

/ ≥ Von der Vollkommenheit der Erkenntniss
Ueberhaupt. ≤

/Die Vollkommenheit der Erkenntniß ist 1., in ansehung des Objects %und
hier ist die Erste Vollkommenheit Wahrheit. Wahrheit ist die gröste
Erforderniß der Erkenntniß für den Verstand, aber nicht immer
für die Neugung %und überhaupt fürs Subject. Romane sind
durchgänz\gige Lügen, %und gefallen dennoch den Menschen. Reizende
Irrthümer sind die uns die Mühe übernehmen die Wahrheit
zu suchen. Die Zweyte %nehmlich Vollkommenheit ist die g\Größe der Erkenntniß, sie bestehet
darinen, daß eine Erkenntniß mit einer m\Menge«¿» anderer
zusammen hänge. Die Dritte ist Deutlichkeit, sie ist objectiv
von große Wichtigkeit, Subjectiv aber oft nicht. Paradoxonw,
ist ein mit Verstand gewagtes Urtheil - Die Franzosen
nennen es ein hardies Urtheil, wo sie lieber alles wagen.
Der Deutscher ist darinen behutsamer; alles paradoxe verwerfen
zeigt einen seichten Kopf an. Das Paradoxe setzt die Mecha-
nisch Gelehrte«n», die kein genie haben, in bewegung - 
Wahrheit ist zwar die größte Vollkommenheit der Erkenntniß
aber nur für den Verstand, nicht für die Neugung.
Bey dieser wird die Erdichtung, der Wahrheit, vorgezogen.
Der Wahrheit ist Irrthum %und Unwißenheit, entgegen gesezt.

/|P_21

/Unwißenheit ist ein Mangel von Erkenntniß. Irrthum ist aber
eine positives hinderniß der Wahrheit, dann, wann ich den Irrthum
weggeschafft\en habe, so tritt erst die Unwißenheit ein - Allein
obgleich die Wahrheit die Unwißenheit nicht hindert so befördert
sie auch so wenig, daß die Menschen nur auf dem Wege
der Irrthümer zur Wahrheit gelangen - Die Aufhebung
der Irrthümer hat ihren Negativen Nuzzen. Irrthümer entspringen
aus dem übereilten gebrauch des Verstandes - Um das
Irrthum zu vermeiden, muß man das Urtheil aufschieben,
bis man mehr Kenntniß haben wird. Es ist aber immer
beßer, auf Gefahr des Irrthums ein urtheil zu wagen,
denn ein Nuzzen bleibt gewiß, Nehmlich die Cultur
des Verstandes - das anthropologische Criterium die
Wahrheit besteht in der bestimmung anderer - Es ist ein
Trieb in der Menschlichen Natur sein Urtheil an an-
derer Urtheil anzuhängen. Die Vorsehung hat gewollt,
daß das\ie Erkenntniß eines Menschen dem andern
mitgetheilt werden soll, damit sie auf diesem Pfad
fortfahren können - die Ursache ist daß unsere Urtheile
<nicht> Irrthümer enthalten, sondern durch ander«n» geprüffen\t
werden sollen. Der Probierstein des Urtheils, an andere«n»r
Verstande, ist ein Wirkliches Criterium der Wahrheit.
Es giebt gewiße Wahrheit, wo man sich auf anderer
Urtheil, als eines beweißes beruffen\t. Dies ist der
Fall in der Jurisprudenz (Rechtsgelartheit) - Der Nuzzen der Erkenntniß

/|P_22

/ist entweder ein unmittelbarer Nuzzen, %und daß ist die Cultur des
Verstandes, z:E: metaphysic. So Nuzzen Satyrische Schrifften
auch zur Cultur des Geschmacks zur beßerung in den\er untersch¿¿\eidung
des schönen %und helfen sich beßer aus zu drücken - So gar
lose Gedichte haben einen moralischen Nuzzen denn je mehr wir
le«h»rnen, an mehr als einen\m groben Genuß Geschmak zu finden,
desto mehr ist das Gemüth zum Einfluß der moralilschen
gründe fähig. Sie befördern also die Cultur der Gemüths_Kräfte.
Aber dennoch ist die «Gemüth» Wahrheit nicht immer ddas\ie
beliebteste Vollkommenheit unserer Erkenntniß. Man will immer getäuscht werden -, Ist es
erlaubt ein Volk in Irrthum zu laßen, oder ihn gar noch
Vorurtheile zuzuspielen? Dies war eine\die Frag einer
berühmten Academie der Wißenschaften. Wenn wir
kön\einen anderen Grund haben, als den Nuzzen, so ists
sehr unsicher, denn man kann erst sehr spät einsehen, %und
oft das, was ein Nuzzen zu seyn scheint, ists in der
Folge nicht. Wie ists aber da zu machen wo schon Vorurteile
eingewurzelt sind? Man muß a, <Es> entweder beym alten
laßen; ehe wir fragen ob etwas Nützlich ist, müßen wir
fragen, ob es recht ist, welches die Nützlichkeit weit
überwiegt b. Vorurtheile im Volke müßen ausgerottet
werden, ohne rücksicht auf schaden und Nuzzen, denn es ist
allgemeine Menschen_Pflicht, daß der Mensch aufgekläret
werde - Die Zweyte Vollkommenheit den Erkenntniß, ist

/|P_23

/die Größe. Es giebt eine Zwiefache Größe der Erkentniß 1.
das man viel wiße. 2. des Gebrauchs, da sie mit vielen
anderen verknüpft ist, %und diese Größe ist die Vortheilhafteste.
Die Denk_Art eines Menschen ist Vernunft, seine Vernunft
kan was großes haben - Der Mensch mit einer erweiterten
Denkungs_Art, s¿¿\iehet gleich auf d¿¿\ie Größe des gebrauch¿ izt die Größe\s, %und wie seine ganze
«deßelben, %und wie seine ganze» Erkenntniß zusammen geor-
denet, ein System ausmacht. Die Eingeschränkte Denk-
ungs_Art ist der erweiterten, entgegengesetzt. Sie
Beschäftigen sich micrologisch mit das Object, aber es wird
dann blos ein Hauffe, ohne daß sie Verknüpfung mit
ein ander«e» haben. - Deutlichkeit ist ein logische Vollkom-
menheit. Ein Mensch deßen «e»Erkenntniße eine große
Deutlichkeit haben, heißt ein heller Kopf. Ein Autor
kan deutlich werden, aber\ob er gleich nichts von der Sache
verstehen\t - Oft halten wir leichtigkeit für %deutlichkeit,
weil es uns keine Mühe macht. Interesse halten
wir für Wahrheit, wenn die Gedanken des Autors
mit unseren Neugungen Correspondiren - das Interesse
könnte man eintheilen ins Theoretische %und practische. Der practische Werth unserer
Erkenntniß ist, wann wir in der Stand gesetzt werden, unsere
Zwecke zu erreichen. - Sonst haben die Erkenntniße einen
Eastaetischen ästetischen Werth, %und das ist die Cultur des Gemüths_kräfte

/|P_24

/Bey der Erkenntniß können wir überhaupt unterscheiden das hypostatische
Selbstbewust seyn und das emphatische oder das Aestetische, die
Einkleidung. Die Mannigfältigkeit ist das unterhaltenteste bey
der Erkenntniße. Die Einheit vom Mannigfaltigen ist das schwerste
aber zugleich ein wichtiger Zweck aller unserer Erkenntniß.
Die 3te Vollkommenheit der Erkenntniß ist Deutlichkeit, %und ist
eine der Vorzüglichsten, ob sie gleich an sich selbst nicht
vorzüglich ist, sondern bloß als mittel der Wahrheit. Wo
man keine Wahrheit sucht ist eben keine Deutlichkeit nöthig.
Ein Zeit Alter ist aufgeklärt wo jeder Mensch nach deut-
lichen begriffen frägt. Ein aufgeklärter Mensch ist der, der das
Vermögen hat, dasjenie, was bey anderen dunkel schwärmt,
höchstens Verständlich ist, deutlich zu machen. Wann man
nicht nach Deutlichkeit der begriffe frägt, so herrscht Schärm-
merey %und abe«ntheuer»rglauben. Die gefüllvolle Zeiten sind
die abgeschmachtesten %und scheuen die Deutlichkeit. Ein ganzes
Zeit_Alter aufgeklärt zu nennen, dazu gehört viel, das
jetzige zeit_Alter ist eine Zeit der Aufklärung, denn man
frägt nach Deutlichkeit. Dies führt uns auf die Unter-
scheidung der Sinnlichkeit %und des Verstandes, man
schreibt alle Undeutlichkeit auf die Sinnlichkeit %und maßt
die Deutlichkeit allein dem Verstande an - Sinnlichkeit
ist das Passivex unserer Vorstellungs_Kraft; sofern
sie selbst Thatig ist, heißt sie Verstand - Daher nennt
man die Sinnlichkeit das untere Erkenntniß_Vermögen,
den Verstand aber das obere. Diese spontanaeitaety jene

/|P_25

/receptivitaetz Die Menschen schreiben alles auf die %Sinnlichkeit
weil sie glauben alsdan nichts zu verantworten zu haben - Ohne
Sinnlichkeit würden sich keine Objecte und\s offeriren (darstellen), in so fern
hat die Sinnlichkeit einen Vorzug vor den Verstand, daß sie
auch ohne ihn, wenigstens in Anschauung %und Empfindung bestehen
kann, der Verstand aber ohne sie nichts sagen würde, in-
dem er kein Gegenstand hätte, über die er denken könnte,
sie müßen sich also wechselseitig helfen. Zur Sinnlichkeit
gehört noch außer den Sinnen die Einbildungs_Kraft. Unsere Ein-
bildungs_krafft hat auch etwas passives (leidendes), obgleich der Wille
einigen Einfluß drin hat. Obgleich die Sinne der leidende
oder empfängliche theil der Vorstellung sind: so sind
doch die fehler der Deutlichkeit ihnen nicht zugeschrieben
sondern des\m Verstande«s». Die Sinne können nicht irren
denn sie Urtheilen ja gar nicht - Eine Deutlichkeit der
Anschauung können die Sinne in die größte Vollkom-
menheit liefern. Die Deutlichkeit nach begriffen, beruhet
auf den Verstand, u\Undeutlichkeit kann «ihm» also auch nur
ihm zugeschrieben werden. Seine begriffen sinnlich zu
machen, heißt sie in anschauung bringen, %und dadurch seine«n»
Verstandesbegriffe«n» realitaet geben. Seine abstraiten
begriffe«n» zu versinnlichen ist eine Vortrefliche Art.
Die Sinnlichen Vorstellungen können der\n Mangel der
begriffe nicht ersetzen - Die Sinnlichkeit kann dem Ver-
stande doch hinderlich seyn, wenn dieß aber überwunden

/|P_26

/ist; so nuzt sie desto mehr. Die Sinne sind dem Verstande darin\rum
hinderlich, daß ihre Vorstellungen einen größeren Eindruck
auf unsere Seele machen, als der Verstand. Damit die Sinn-
lichkeit den Verstand«e» nicht störe, suchen wir eine Vorstellung
der Sinnlichkeit in unser Interesse zu ziehen. Die Sinnliche
Erkentniß hält sich bey einzelnen Fällen auf, der Verstand
an die Algemeine Regel. Sie haben beyde n\eine Verschie-
dene Richtung, dadurch hindert er sie freylich, aber auf
der anderen Seite, haben die Sinne großen nutzen, ¿zt\nehmlich
eben die algemeine Verstandes_Regeln auf besondere Fälle
anzuwenden, %und\um dadurch realitaet zu geben. Bemüheten
wir uns nur die Sinnlichkeit gehörig zu bedienen, so
ists sie eben das, was auf den Verstand zurück würkt.
Die größte Vollkommenheit des Menschen, in ansehung aller
Eigenschafften, bestehet darinen, daß er sich aller seiner
Vermögen nach beliebten bedienen, %und sie seiner Will-
kühr unterwerfen kann. Freylich, wann der Verstand
der Sinnlichkeit gehorchen muß, denn gehts schlecht zu,
%und dies geschiet bey eingewurzelten Vorurtheilen. So
fern die Sinne unter unserer Gewalt stehen, so fern
gehören sie zum obern Erkenntniß_Vermögen. Der
Verstand erwegt\et Gegenstande, die %Sinnlichkeit aber gehet
aufs subject, da sie uns unseren zustand vorstellt,

/|P_27

/%und hiebey sind wir interessiret - die Sinnlichkeit ist in Rück-
sicht auf den Verstandt von verschiedenem Verhältniß.
Man sagt ein Mensch ist Sinnlicher als der andere, wenn
in ihm Neugungen %und Triebfedern herrschen - Die Empfindungen
sind das Unedele der Sinnlichkeit, die Einbildungs_Kraft
ist aber das «e»Edele derselben. Man schämt sich der Schwäche
von Empfindungen abzuhängen - Die Einbildungs_Krafft
oder das Vermögen, bilder dem Verstand hervorzubringen
ist demselben sehr beförderlich. Die Einbildungs_Krafft
dienet dem Verstande, die Empfindungen nicht - Es
giebt Virtuosen der Sinnlichkeit, z:E: sehr grob sinn-
lich ist der, der keine andere Vernügungen Statuirt,
als Essen, trinken pp: dies entsteht aus Empfindungen.
Edel Sinnlich ist der, der sich an Music, Mahlerey
pp ergötzt. Wenn man sagt der Mensch ist sehr sinnlich,
so versteht man, daß vom une«¿»deln theil, d. i.: von
Empfindungen. Empfindungen können wir uns in ihrer Abwesen-
heit gar nicht so lebhafft vorstellen; hingegen gewinnen noch
die Bilder der Einbildungs_Krafft, durch ihrer abwesenheit, weil
wir sie uns über die Natur machen. k\Kinder sind Sinnlicher
als erwachsene«r», Frauenzimmer sinnlicher als Männer.
Rohe Volke bestehen so zu sagen aus %Sinnlichkeit, so daß der
Verstand den Sinnen zu @seinen@ Diensten siehet - Selbst

/|P_28

/herrscht sie über Phantasie, aber den Griechen %und Römern ihre
Theologie enthielte herrliche Bilder der Phantasie in sich.

/

/ ≥ Von den Begriffen des Leichten %und Schweren. ≤

/Dies giebt zu verschiedenen reflectionen anlaß - Schwer ist das
wozu ein großer aufwand der Kräffte erfördert wird. Leicht
%und Schwer sind bloß relative Vorstellungen %und beziehen sich
auf ein ander«s»Object. Leicht ist also, wenn in Ansehung
des Subjects demselben noch viel Kräffte übrig bleiben,
er\wo also den überfluß\«s¿¿»schuß seiner Kräffte groß ist. Beschwerlich
ist das, zu deßen ausrichtung wir uns ungerne entschließ-
en %und das ist uns beschwerlich, ob es gleich nicht schwer ist, die Ursache
weil wir nicht den geringsten Nuzzen davon haben. Wann
man etwas mit Vergnügen thut, so wird man die anstrengung
seiner Kräffte nicht gewahr. Das menschliche Leben ist voller
vexationen (plackereyen) wo wir unsere Kräffte für nichts
anwenden müßen. Es scheint als wenn man den Menschen
nicht so leicht zu einem vermeidlichen Glücke wolle gelangen
laßen, ohne ihn gewißer maßen zu hudlen, daher der
Penalismus *1 auf academien %und die Cerimonien (Gebräuche) beym
Heyrathen entstanden sind. Man plagt den jungen Bräut-
gam durch viele entbehrliche Cerimonien um ihn zu den

/|P_29

/großen Glück nicht ohne Plagerey kommen zu laßen. Eben so
beym gelangen zu Ehrenstellen auf Academien; Es giebt auch
dergleiche Freundschaftliche Beschwerlichkeiten. In der Religion
ist vieles was beschwerlich ist, weil es zu nichts ist - Die
Menschen faßen nach der verschiedenheit ihrer Temperamente
ihre Gedanken %und Urtheiles\e schwer oder leicht. Etwas leichtes
zu thun bringt wenig Ruhm, aber etwas was schwer ist,
leicht zu machen, ist verdienstvoll. Die Franzosen haben
hiezu das größte Talent - Man nennt überhaupt schwer,
waß relative auf die meisten Menschen schwer ist, %und bey-
nahe ihre Kräffte übersteiget. An die Stelle etwas leicht
zu machen, es leicht vormahlen, ist ein Taschenspieler
streich. %Und dies finden wir in vielen Wißenschafften.
Wahre popularitaet ist sehr verdienstvoll, %und es gehört
viel Talent dazu, aber die Scheinbare popularitaet,
das ist, die da leicht vorgemahlet wird, ist betrügerisch.
Der alles für leicht hält, heißt leichtsinnig. D«er»ie in
allem schwierigkeiten finden heißt peinlich. Leicht-
sinnige personen versprechen alles leicht, peinliche
aber nicht. Die Gemüths_Art deßen, der nicht etwas
für hättet\schwer findet ist thatiger, als deßen, der alles für schwer
ansiehet. Einem Menschen läßt alles was es\r thut, leicht,
dem andern schwer, aber wem\m etwas leicht läßt, dem

/|P_30

/ists deswegen noch nicht leicht. z: E. Voltaires Schrifften haben
ihm viel mühe gekostet, aber man siehts ihnen nicht an. Wir
fühlen durch eine gewiße Sympathy. Die Swierigkeiten des-
jenigen, von dem wir sehen das es ihm schwer wird. Deswegen
wird uns beklommen, wann wir sehen daß einem anderem
etwas schwer wird. Im umgange, da es nur eigentlich ein
Spiel seyn soll, muß nichts beschwerlich vorkommen
daher hat man die Ceremonien in neuen Zeiten ziemlich
aus die\er Gesellschafft abgeschaft hat. Jeder muß nach
seiner manier höfflich seyn, %und nicht nach einer ge-
wißen Form - Die beste manier zu gefallen ist, daß
man natürlich ist. Das schwere erfordert entweder
anhaltende bemühung mit geringer Krafft oder eine kurze Bemühung mit vieler starcker Kraft. Wahre
innere Beherrschung der Gesinnungen ist schwer,
weil es lange anhaltende Aufmerksamkeit auf
seine«r» Gesinnungen erfordert. Was dauerhaft seyn
soll erfordert lange anhaltende Bemühungen, nicht
mit überspannung der Kräffte. Es ist etwas schwer
entweder in ansehung der Zeit oder der Kräffte. - 
Das was in ansehung der Zeit schwer ist, konte man
beschwerlich nennen. Es giebt verschiedene naturelle
davon einige beständig«e» %und anhaltend«e» arbeiten, aber

/|P_31

/nicht mit anstrengung großer Kräffte. Andere arbeiten mit
der größte anstrengung aber nur eine kurze Zeit %und die
übrige brauchen sie zum Faulenzen. Also kan einer Fleißig seyn,
in ansehung der Emsigkeit, der andere in ansehung der an-
strengung. Eine stätige Arbeit erfordert eine Solide
gesezte Denkungs_Art. Colerishe Leute sind sehr geschäf-
«arbeit» tig«et», fordern manigfältige arbeiten aber nicht
anhaltende. Phlegmatische Leute sind gut zu einer
stätigen, aber leichten Arbeit. Der Cholerische kann eine
schwere Arbeit treiben %und oft wiederholentlich, aber kurz.
Sanguinische arbeiten nur leicht, %und eine kurze Zeit - 
Melancholische nehmen mühsame %und dauerhafte Arbeiten
über sich - Der Phlegmatische findet alles Beschwerlich
weil er sein vergnügen an der Gemachlichkeit suchet.
Der Sanguinische findet eine Sache beym ersten anblick
leicht, übernimmt die Ausführung hizzig, laßt aber eben
so bald davon ab. Der Melancholische findet alles
schwer, weil er sich auch die geringste Kleinigkeit als
sehr wichtig vorstellet.

/Gewohnheit. Gewohnheit ist ein lang anhaltender Gebrauch
als object der Nachahmung. Durch öfftere ausübungen
gewißer handlungen wurden uns die Handlungen leicht
d: i: Gewohnt die öfftere Empfindung macht auch ge- 

/|P_32

/wohnheit, %und die Empfindung schwach, so daß sie uns nicht
mehr Aufmerksamkeit erreget. Mann kann das gewohnt
werden, wann eine öfftere ausübung«en» eine Leichtigkeit
hervorgebracht hat. Ein Geistlicher auf der Kanzel, wenn
er leise redet; macht keinen eindruck, %und schreyt er
gleichförmig stark, so erregt er auch keine Auf-
merksamkeit. Alle Dinge so aufmerksamkeit
erregen sollen, müßen mit Sparsamkeit angewandt
werden z:E: Ermahnungen. Auch der Menschliche
Körper wird die ihm nachteihlige Dinge gewohnt,
z:E: Opium zu sich zu nehmen. Das Gewohnt werden
hat viel vortheil für uns. z:E: Geduld ist weiter
nichts als <ein> gewohnt werden des übeln - Jede Gewohnheit
ist jederzeit nachtheilig %und verwerflich, %und ist nicht eine
leichtigkeit etwas zu thuen, sondern eine Nothwendig-
keit, weil man's nicht laßen kan, waß man sich
einmahl angewohnt hat. - Einige Leute sind sehr geneigt
sich etwas anzuwöhnen, andere hingegen gewöhnen
sich nichts an - Angewohnheit selbst im guten Ver-
mindert den Werth deßselben, wann es nicht alles
aus besonderen Bewegungen %und Grundsätzen geschieht.

/|P_33

/Es kommt öfters darauf an, gewiße Vorstellungen zu Em-
pfindungen klarer oder dunkeler zu machen. Die Neuigkeit
%und der Contrast verstärkt sehr die Klarheit. Alles wird
stärker Empfi\unden wo man daß Gegentheil zeigt. Zur
Klarmachung %und Verdunkelung der Empfindungen gehört,
1. das attendiren 2. das abstrahiren. Den Gebrauch
der Gemüthskräffte muß den Mensch ganz in seiner
Gewalt haben, er muß auch dafür sorgen, %und die Klar-
heit oder Dunkelheit der Vorstellungen in seiner Will-
kühr haben, als dann wird das Verfahren seines Gemüths,
harmonisch %und Zweckmäßig. Man nennet das Vermö-
gen, wo durch wir unsere Vorstellungen klar machen
die attention2, %und das Vermögen3 wodurch wir sie %Will-
kührlich dunkel machen die abstraction - Attendiren
lernt der Mensch durch Neugung, aber nicht abstra
hiren - %und wenn auch die Philosophie es lehret, so
thut sie es speculativ, aber nicht Practisch, d: h:
wenn ich die Triebfedern überwältigen kan. Eine
Wißenschafft die uns dies lehrte, wäre eine Gym-
nastick (Uebungsschule). Es giebt eine %unwillkührliche
attention pp abstraction diese taugt nichts - Die Auf-
merksamkeit, wird dann meistens auf das gezogen

/|P_34

/was offendiret, ob mans gleich nicht wünscht %und gemeinhin
wird die attention auf das gezogen - was einem zuwieder
ist - durch eine Willkührliche attention kann man etwas
klar machen, was man sonst nicht bemerkt hätte.
Abstrahiren ist ein negatives attendiren - Negative
kann ich etwas nennen, wenn ich gewiße Kraffte ab-
wende. Es ist eine willkührliche handlung, wodurch ich
verhindere, daß sich nicht eine klare Vorstellung, in
unser Gemüth einmische. Zum abstrahiren werden
Kräffte erfordert. es ist also mehr als das bloße
nicht attendiren. Abstrahiren erfordert im grunde
mehr Kräffte als das attendiren - weil die rastlose
Thätigkeit des Gemüths immer Bestreben\t ist neue Vor-
stellungen ins Gemüth zu schaffen, %und es wird noch
schwerer, weil es die Natur des Gemüths unnatürlich
ist neue Vorstellungen zu unterdrücken. Attention
ist auch unterhaltender als abstraction - Viele Menschen
werden unglücklich, wiel sie zu viel abstrahiren und atten-
diren, oder zu wenig abstrahiren %und attendiren - könnten
wir nur attendiren auf das vortheilhaffteste %und abstra-
hiren vom übeln, denn wären wir glücklich. Die unzu- 

/|P_35

/fuedene\riedne gemüths_art der Menschen ist Ursache daß sie
nicht abstrahiren von der Mühseeligkeit des Lebens %und
ihres Zustandes. Der Mangel der attention macht aus,
daß uns vieles verschwindet, was uns beruhigen könnte.
Der nicht anhaltend attendiren kann, nennt man zerstreut - 

/

/ ≥ Von gemischten Vorstellungen. -  ≤

/Die Vorstellungen werden eingetheilt in perceptiones4
complexas5 (haupt) %und adhaerentes6 (Neben_Vorstellungen)
Eine Vorstellung so fern sie Aufmerksamkeit auf sich
ziehen soll, ohne alle neben_Vorstellungen, nennet man
Trocken. Die Trockenheit ist vielfältig sehr gut, z:E:
Pflicht, ohne Empfellung derselben, die aus bequemlich-
keiten hergenomen wird\erden. Die naïvitaet ist auch
trocken. Nüzliche Lehren solten auch mit einer
natürlichen Einfalt vorgetragen werden. In allem,
was uns vorkommt, ist eine Haupt %und eine Neben
Vorstellung. z:E: in der Predigt, ist die Haupt
Vorstellung, die Lehre zur beßerung. Neben
Vorstellungen sind, die Zahlreiche Versamlung,

/|P_36

/der Anstand, oder die Kleidung des Predigers z:E: daß
man darauf, wie er sich gepuzt hat mehr sieht, als
auf die Predigt selbst, auf diese Weise, ziehen die
Neben_Vorstellungen, die Gedanken des Menschen,
von der haupt_Vorstellung ab. Wenn Ein geschickter
Mann, «wenn er» eine rede hält, %und «ziehet» ein schönes
Kleid anzieht, so verliert er seinen Zweck, dann man
gliebt auf sein Kleid acht. Eine Gemälde von
großer schönheit muß keinen Goldenen r\Rahmen
haben. Das Primarium von adhaerente zu
unterscheiden ist die Hauptsache.

/

/ ≥ Von der Ueberredung %und Ueberzeugung. ≤

/Ueberzeugung ist mit der Ueberredung so sehr verwandt daß
man sie kaum unterscheiden kan. Jene beruhet auf sub\ob-
jective Gründe «die wir objetive» halten, diese auf ob\subjective,
Die wir für objective halten. Wir haben bey allen unsern Urtheilen immer drey personen
um uns, eine«n» der\ie es behauptet, eine«n» der\ie es widerspricht
%und eine«n» der\ie es richtet z:E: Ob ein Mensch sich beßern

/ soll

/|P_37

/oder ob er sich Laster erlauben soll um künftig Reue darüber
zu tragen - Nun soll die Vernunfft als Richter sprechen,
aber öfters vergleichen sich die advocaten7. Die ihr interesse
zusammen zu schmelzen suchen - Es ist dieses eine ange-
nehme betrachtung. - Wir müßten uns üben, mit wahrer
Ueberzeugung zu urtheilen, und uns von Neugungen nicht
hintergehen zu laßen. Alle diese Spiele unserer Vorstel-
lungen, werden in Thätigkeit gesetzt, durchs Interesse,
auch öfters durch Ursachen, die kein Interesse bey sich
führen. z:E: eine Musick, das ansehen einer werten\weiten
Landschaft, eines Kamin Feuers. Die abstraction ab-
zu ziehen ist öfters nöthig, das Gemüth mit einer
andern gewohnten Vorstellung zu occupiren beschäftigen - Die Folge
ist diese, das spiel unserer Vorstellungen zu erhöhen
%und zu schwächen. Es sind drey Vermögen des Gemüths
1.) das erkenntniß_Vermögen - 2. Das Gefühl der
Lust %und Unlust. 3, Das Begehrungs_Vermögen.

/Das Erkenntniß_Vermögen ist Zwiefach. a. @¿¿¿@ das untere
Erkenntniß_Vermögen, dies ist Passiv«e», hat receptivitaet,
%und beruhet auf Sinnlichkeit. b., das obere Erkentniß
Vermögen, dies hat Spontanaeitaet %und beruhet auf dem

/ Verstande

/|P_38

/das untere ist aber doch auch schätzbar. In unsere
Sinnlichkeit sind wieder zwey Theile 1. Empfindung %und
2. Anschauungen, durch Empfindung erkennt man gar nichts,
sondern nur wie unser Subject afficiret wird, diese
Empfindung aber können wir aber keinem mittheilen
%und dadurch gar nicht ihre Erkenntniße erweitern. Auch
sind wieder die Empfindungen in demselben subject
nach verschiedenen Laune Verschieden. Empfindungen
dienen uns zu beleben, sie geben uns Rohe materie.
Außer Empfindung ist bey der Sinnlichkeit Anschauung.
Diese gehört zur Erkenntniß, %und unserer Vorstellungs
Krafft wird in derselben aufs object geführt. Dies
gehet auf die Form und ist edel. Wenn unser
Bewustseyn, aber blos aufs Subject geführt wird,
so ist dies bloß Empfindung - Empfindungen gehen
auf die Sinne, Anschauung auf Einbildungs_Krafft. - 

/Rest_leer

/|P_39

/ ≥ Vom Vermögen zu Empfinden, d.h. die Sinne; %und vom

/Vermögen der Anschauung, d:h: Einbildungskrafft. ≤

/Der Sinn ist das Vermögen zu Empfinden, d. «h» ¿¿\etwas vor
zu stellen waß uns afficiret %und unsern Zustand verändert.
Ich kan mich Dinge vorstellen die meinen Zustand nicht
verändern, %und das Vermögen hiezu ist der Verstand - Die
äußere Sinne empfinden die Veränderung des Zustandes des Körpers
die inneren aber die Veränderung des Zustandes des Gemüths.

/Es ist ein äußerer %und innerer Sinn«e». Ein Sinn ist ein Äus-
serer, so fern er fahig ist, Eindrücke von Gegenstände außer
sich zu bekommen. Z. E. Das Gehör, Gesicht pp. - Ein innerer
Sinn so fern ich Eindrücke von innen bekomme z. E. Die
Gedanken pp. Der innere Sinn hat ein sehr weitläuftiges
Feld.

/ ≥ Von den äußere«m»n Sinnen. ≤

/Die äußeren Sinne«n» sind das Vermögen zu empfinden,
wie der Körper afficiret wird. Die inneren, wie das Gemüth
afficiret wird - Die Empfindung ist a,) vital, b) organe. Die
vital_Empfindung ist das Vermögen durchs Leben selbst
zu empfinden, es gehört hiezu kein besonderes organ,
sondern der ganze corpus nervosum, d.h. Nervenbau. dies könnte man
das Gefühl (Sensus) nennen. Die Organ_Empfindung
gehet auf einzelne Theile z:E: das Gehör erstreckt sich

/|P_40

/Blos aufs Ohr. Es sind darum verschiedene äußere Sinne, weil
verschiedene Organe der Empfindung im Körper sind. Die Nerven
sind überhaupt die Werkzeuge der Empfindung, Wo die Nerven
sparsam sind, da ist auch wenig Empfindung. Alle vital_Em-
pfindungen geben gar keine Erkentniß, keine Vorstellungen
vom object, sondern von der Art wie sie afficiret werden,
wenn ihr Zustand verändert wird, z. B. sie fühlen w\Wärme
gehen also nur aufs subject. Die organ_Empfindungen sind
objectiv, haben aber doch etwas subjectivus bey sich. Die Organ
Empfindungen sind einzutheilen a., in mehr objective durch
objective nehme ich mehr die Beschaffenheit des Gegenstandes,
als die Eindrücke deßelben wahr, durch Subjective aber
attendiren wir mehr auf den Gegenstand selbst. Einige Sinne
sind mehr Erkenntniß, andere mehr Gefühl, %und b, in mehr
subjective, und denn dienen sie nicht zur Erkenntniß. Mehr
objective sind 3 Sinne, das Fühlen, Hören, Sehen. Diese
Sinnen zur beförderung der Erkenntniß. Das Riechen
%und schmecken sind mehr Subjective. Dieße Stellen mehr
unseren eigenen veränderten Zustand, als das object
vor. Hören %und Sehen könten ansta«d»tt edleren, feineren
Sinne heißen - Das Fühlen (Tactus) gehet auf die
oberfläche des Körpers, %und ist mehr objective - Das Gefühl
(sensus) ist ganz subjective, - Die Kenntniß von der

/|P_41

/Gestalt des Körpers geht uhranfänglich aufs Fühlen,
dadurch, daß wir erst kleine Sachen berühren, %und denn mit
der Zeit von der Gestalt großer Dinge Begriffe Bekommen.
Alles was wir Sehen, sehen wir blos auf dem Flachen raum.
Das Gesicht lehret uns die apparence von Dingen - Das
Fühlen aber, wie sie sind - Der wahre Sinn des Gefühls
giebt vergnügen. Das Fühlen (tactus) nimmt mit der
Zeit ab. Alte Frauen können nicht mehr spinnen, weil
sie den Faden nicht mehr fühlen können. Wann die
anderen Sinne bey dem Menschen vergehen, so nimmt
das Gefühl bis zum Erstaunen zu. Der Sinn des Gefühls
gehet auf Gegenstände, die uns mittelbar afficiren z:E:
die Lufft. Es kann ein Schall so laut seyn, daß ich
mehr meine Ohren %und überhaupt mein subject afficiren
fühle, als ich Kenntniße von Gegenstände bekomme.
Dann gehörts mehr zum\den subjectiven Sinnen, ja kann
zu den vital_Sinnen gerechnet werden. Das Gehör
dienet nur die zeichen der objecte wahrzunehmen, z:E:
wenn ich ein Posthorn höre, so giebt der Schall nicht
einen Begriff von der Gestalt des Posthorns - Der
Sinn des Gehörs ist das Werkzeug der Gesellschaft,
dadurch laßen sich Gedanken mittheilen. Außer diesen
Nuzzen ist noch ein anderer Einfluß, der aufs Gemüth

/|P_42

/durch ihn gemacht werden kann d:i: die Music, die, die ganze
vital_Empfindung in bewegung setzt. Das Gehör dienet
zum guten vihiculo der Gedanken. Ein Ton ist vom Schall
dadurch unterschieden, das er durch bebungen die Zeit in
gewiße theile eintheilet. Der tieffste Ton muß 6000
Bebungen machen in einer minute. Das Gehör kann
unterschieden werden a,) in den organ_Sinn. b,)
in die Wirkung die es auf den vital_Sinn macht.
Alle unsere Vergnügungen, wenn sie sollen lange
anhalten müßen zur Gesundheit beytragen. Dies
scheint die music zu thun. Denn Sinn des Gehörs ist
also sehr wichtig in ansehung der mittheilung der
Gedanken in der Gesellschafft. Durchs Gehör nehmen
wir entfernte Dinge wahr, wir können aber durchs
Gehör ihre Entfernung nicht schäzzen %und den Ort be-
stimmen, wo der Schall herkommt, - auch nicht die
Gestalt deßen. Das Gesicht hat ein«e» analogon mit
dem Gefühl, so fern es ein objectiver Sinn ist, hat
er analogie mit dem Gehör - Das Vergnügen bey
der Veränderung der Farben ist mit dem Vergnügen der Veränderung der Töne analogisch. Beym Sinn
des Ges«ch»ichts würken die Gegenstände unmittel- 

/|P_43

/bar in gerader Linie, um aber den Ort zu bestimmen, wo
wir die Gegenstände sehen, gehören viele reflexionen.
Er ist unter allen Sinnen am mehresten objectiv, %und
hat das wenigste subjective bey sich. Wann der Mensch
aus dem Dunkeln ins Licht kommt, dann ist der Sinn
mehr Sub als Objective - Durchs Gesicht können wir
die Gegenstände in der Grösten Weile wahrnehmen.
Der Geruch %und @Ge@schmak sind subjective Sinne, %und kommen
mit einander sehr überein - Man könte sagen
Geruch ist ein Geschmak in der Ferne. Durch die
anderen Sinne, nehmen wir etwas wahr, durch
Geruch %und Geschmak genießen wir etwas - Sie
Ziehen immer etwas in ihre Gefäße. Der Geruch
empfindet den Gegenstand nicht in gerader Linie,
denn er verbreitet sich allerwärts, man kann
also nicht die Stelle des riechenden Körpers er-
rathen. Geruch %und Geschmack würken auf unsere
organen, durch die auflösung gewißer Sachen.
Wir können solche mannigfaltige Empfindungen
nicht wahrnehmen beym Riechen %und Schmaken,
als beym Hören %und Sehen. Alle Sinnen werden

/|P_44

/entweder durch einen mechanischen oder chemischen Einfluß
afficiret. Ein mechanischer Einfluß ist ein Stoß auf
unsere sinnliche Werkzeuge. Die Chemische geschiehet
durch auflösung der Theilchen pp Der Anfang der
Berührung ist immer ein Stoß, z:E: beym Gefühl.
Beym Gehör ist auch ein mechanischer Einfluß,
nehmlich daß die erschütterte Lufft auf unsere
Ohr Trommel schlägt; auch ist der Einfluß der
Lichtmaterie auf den Körper mechanisch, dann die
Lichtstrahlen vereinigen sich in einen mittelpunckt.
Alle chemische würkung läuft auf auflösung heraus.
Durch den chemischen Einfluß werden die materien mit
unseren Säften innigst vereinigt - Die Geschmaks
Wärzchen scheinen doch von verschiedener Art zu
seyn. z:E: süße Sachen schmeken vorne im Munde
gut, haben aber gemeinhin einen üblen Ge\Nachschmak.
Bey welchen Arten von Empfindungen ist die Mehrste
vital_Empfindung? Die Mehrste vital_Empfindung
(d:i: wozu kein besonderes organ gehört, sondern
man theilhaftig wird, wo nerven sind.) ist beym
Geruch, denn dadurch werden Menschen zu boden

/|P_45

/geworfen, wie bey der Ohnmacht. Dies kommt von dem
flüchtigen Salzen her, die bis ins blut, ja in die Nerven
selbst herein gehen - Der ein wenig geringer das Leben afficiret
ist der Geschmak, denn folgt das Gehör, man weiß
viele beyspiele, welche wirkung die Music auf
kranke Menschen gehabt - Das Gesicht erregt am
wenigsten die vital_Empfindung«en» - Der z:E: einen
schönen Garten siehet, muß andere Neben_Vorstel-
lungen herbey rufen, wann er will gerührt werden.
Diejenigen Sinne, welche am meisten die vital_em-
pfindung rege machen, sind auch am meisten
Subjectiv - Edel ist der Sinn, der zur Erkenntniß
beyträgt, grob, der durch eine grobe materie,
durch die Berührung der Gegenstände in Bewegung
gesetzt wird, fein, der durch eine feine Materie
in bewegung gesetzt wird, durch welche wir in der
Entfernung die Gegenstande wahrnehmen können.
Der gröbste ist wohl das Gefühl, er <ist> aber deßhalb nicht zu
verrachten, weil wir doch vom Gefühl anfangen müßen.
Die Sinne zu cultiviren ist gut, aber die vital_Sinne oft
in Bewegung zu setzen ist äußerst nachtei«¿»lig.

/|P_46

/Die anderen Sinne müßen gebraucht werden, dies dient ihnen
zur Stärke, aber der vital_Sinn, muß geschont werden, denn,
sonst entspringen daraus schwache Menschen, die nicht ein-
mal Blut sehen können. Der ganze vital_Sinn scheint
bey einigen schwächer zu seyn, entweder er ist stumpff
oder er ist sehr stark. z:E: Mancher kann mis_Töne
hören %und wohl ertragen. Dies rührt also nicht von der
schwäche her. Je weniger die Sinne lehren sollen, desto
weniger müßen sie afficiren. Der Sinn des Gemüths\ruchs
scheint der entbehrlichst zu seyn, aber er ist doch
nöthig, denn er warnet uns für Schädliche Sachen.
z:E: für Fäulniß, die wir nicht\zugleich schme«¿»ken «würden».
Der Geruch der Wilden ist erstaunend scharf, denn
er dienet ihnen zum wegweiser, sie können das
Feuer weiter riechen als wir denn Rauch sehen.
Der Geschmack kostet zwar viel, er ist aber eine
Quelle viele Vergnügungen, so daß man ihn nicht
gerne entbehren würde. Denn ist er zum Theil
ein Gesellschafftlicher Sinn z:E: bey der Mahlzeit.
Das beste an ihm ist, daß er kann täglich wieder-
holt werden - Geruch %und Geschmak machen denn Siz

/|P_47

/des Ekels aus, weil sie zuweilen etwas in de¿\n Körper
bewegen, was er nicht vertragen kann. Beym Geruch
ist der meiste Wahn, %und es kommt ammeisten darauf an,
was man dabey denkt. Die Sprache ist das wahre
mittel, sich Ideen %und besonders abstracte mitzu-
theilen. Wahre\elcher Sinn scheint wichtiger zu seyn, bey
Erwachsenen, die schon zu Ideen gekommen sind?\.
Gesicht oder Gehör? Mann kann Gesicht %und Gehör
lange Beschäfftigt halten, ohne da«s»ß sie ermüden,
weil sie durch Lufft %und Licht beschäfftigt werden,
%und der Eindruck ist nicht so inniglich - Ohnstreitig
ist es das Gehör, denn der t\Taube verlieret den
Antheil der Gesellschafft, deswegen sie auch selten
vergnügt sind. Leute die Hörlos aufgewachsen
sind, können kaum denken. Oft müßen die
Sinne sich einander zu Hülfe kommen, z:E: man
versichert, daß man Kalb %und Schöpsen_Fleisch von
einander nicht unterschieden kann. blos durch den
Geschmack, hierzu gehört also das Gesicht. Das
Gehör %und hauptsächlich das Gesicht, gehören
zum gout, denn sie enthalten die Organe des

/|P_48

/Schönen %und des Geschmacks. Man hat das unterscheidungs Ver-
mögen des Schönen deswegen Geschmack genant, weil es
etwas Gesellschafftlich ist, %und weil «nur» de«n»r Geschmak des
Gaumens auch ein Gesellschafftlicher Sinn ist, so hat man
jenes auch so genannt. Alles angenehme wird dem
Menschen überdrüßig, es wird also etwas herbes erfordert.
welches dadurch, daß es gleich vergehet etwas angenehmes
bey sich führt, dies nennt man Lücke z:E: der Toback. Der
geruch ist nur negative gesellschafftlich. Die Feinheit
der Sinne können beruhen auf die Feinheit der Organe,
auch auf die Aufmerksamkeit die wir dabey anwenden.
Alle Zerstreuungen thun eben das, was ein schwacherer
Sinn thut, des wegen sagt man, er hört nicht, weil
er nicht will. Unsere Empfindungen werden sehr gestärkt
1,) durch Neuheit 2.) Abwechselung 3.) Abstechung - 
4.) Durch das unerwartete. Die Vorstellungen oder
Empfindungen die die lezten sind, machen den grösten
Eindruck, z:E: ein Gedicht das sich gut endigt,
scheint durchaus gut. Die Zeit vermindert von selbst
die Sinnlichen Eindrücken durch die Ableitung der
Aufmerksamkeit auf andere Gegenstände. - 

/|P_49

/ ≥ Von der Täuschung der
Sinne. ≤

/Unsere Sinne werden im Grunde nie getäuscht, denn
sie urtheilen nicht, sondern der Verstand, die Sinne
geben nur den Stoff. Meine Augen empfangen das Bild
des Objects ganz richtig, nun kommt's darauf an, wie
der Verstand urtheilet. Die Menschen sagen oft, sie
fühlen daß eine Sache wahr oder falsch«¿» sey, dies ist
aber %unmöglich; denn das wahre oder falsche läßt sich nicht
fühlen. Am gegenstande, der sich unseren Sinnen
mir die Sinne lehren. Man muß auch nicht glauben
die Sinne lehren uns etwas, dann die Sinne geben
uns nicht Erkenntniß, sondern nur Eindrücke. Wir
nennen aber doch etwas eine Täuschung der Sinne,
wann das object so beschaffen ist, daß es schwer ist

/|P_50

/daß sich der Verstand nicht betrügen. Wir müßen das
blend werk der Sinne unterscheiden 1., in illusion der Sinne d:i:
diejenige bey welcher der schein immer bleibt, ob zwar ihre«r»
unwahrheit erkannt wird. 2.) in betrug der Sinne, dieser
täuscht nicht mehr, so bald man siehet, daß es ein Schein ist.
Alle Illusion gefällt. Der Anstand ist der äußere Schein,
der andern Hochachtung einflößt. Der äußere Anstand
ist sehr in Gesellschafft beliebt, %und jeder wünscht Achtung
einzuflößen. Politesse, ist ein gewißer äußerer Schein,
der Liebe einflößt. Die Sinne verlie\eiten oft den Verstand
zum Irrthum, umgekehrt muß wieder der Verstand
die Sinne betrügen. Uns selbst müßen wir ohne
verschonung beurtheilen. Bey anderen können wir
immer Schein gelten laßen. In frommen wünschen
sind zuwielen Menschen bis ans Ende seelig, könnten
sie aber diesen wünschen ein gnüge thun, so würden
sie eben es am wenigsten seyn. Sie glauben gut
zu «thun» seyn, weil sie es wünschen. Illusion ist eine
anreitzung zu einem falschen Urtheil, wovon wir
aber wißen, das es falsch ist. Betrug ist ein Schein,
der Irrthum hervorbringt; so bald man ihn aber
bemerkt, vergehet er - z:E: eine schöne Kleidung

/|P_51

/ist Illusion. Schm«e»inke ist Betrug. Die Sittsamkeit ist
ein Schein, wodurch wir Achtung für verdienste anderer
bliken laßen. Das sind Illusionen, sie sind aber
mittel zur Cultur. Es giebt illusionen des inneren
Sinnes z. b. hypochondrische Leute können oft durch
Krankheit anderer bewegt werden, sich dieselbe, selbst
zuzueignen. Einbildungen können ofters durch
Einbildung geheilt werden. Es giebt ein Art von
igoristen die alles was der Schein sagt verdammen.
Man muß nicht sehr hinter der Schein forschen,
um die Nachteiligen Eigenschafften auszuschpähen,
denn es giebt feindselige Gesinnungen; hieraus ist
die misanthropie entstanden. Anthropophobus
ist ein solcher, der Menschen fürchtet, er ist nicht
ein Menschen feind, sondern er glaubt nicht
redlichkeit unter ihnen zu finden - Der gute
Schein ist eine Triebfeder zum guten. Wann
wir lauter guten Beyspiele «zu» sehen, so wird
unser Gemüth auch zu lezt gut, aber den
Schein seiner eigenen Empfindungen, muß
man aufzudenken suchen, weile er uns schaden
könnte. - 

/|P_52

/ ≥ Von der Klarheit, in welcher unsere
Sinne versetzt werden können. ≤

/Unsere Vorstellungen können lebhafftigkeit erhalten a., durch
Neuigkeit. Neuigkeit erfreuet dadurch, daß das Gemüth Hoff-
nung bekommt, einen neuen Erwerb zu machen, also ist sie
ganz allein der bewegungs_Grund. Die Franzosen lieben
dies sehr. Der hang zur Neuigkeit setzt eine Gemüths
art voraus, die sehr veränderlich ist, %und nicht lange in
einerley Stärke bey einem Gegenstand beharren kann.
Die Vorbereitung der Neuigkeit, schwächt sehr den Eindruck
derselben, weil die erste Idee stärker ist, als die folgende,
%und das menschliche Gemüth immer mehr erwartet als in der
Erfüllung. Daher ist uns jeder anbrechende Tag angenehm.
Neulinge in der Welt haben also mehr annehmlichkeiten - 
Wobey sich viel denken läßt, das bleibt immer Neu
z:E: für den Astronomen der bestirnte Himmel. Wobey
sich aber nichts denken läßt, gefällt in der Folge der
Zeit nicht z:E: Moden. Zu ihnen gehört wesentlich

/|P_53

/etwas neues. Wann eine Freundschafft lange dauren soll,
so muß ein Freund dem anderen immer neu seyn, daß
geschieht durch naïvetaet. Die raritaet pfleget auch aufmerk-
samkeit auf sich zu ziehen, aber nur i«nn»m ersteren Augenblik
Zwey Dinge mit einander im Contrast zu stellen, heißt zwey
Gegentheile gegen einander stellen, eins erhebt denn die
Klarheit des anderen sehr, es aber so ein gegentheil seyn
das mit dem anderen bestehen kann, z:E: ein Armer %und ein
reicher. Contrast ist die Zusammenstellung mit seinem
wiederspiel, man muß hievon den wiederspruch wohl un-
terscheiden. Der wechsel erweckt auch Aufmerksamkeit, die-
jenigen die immer was neues wißen wollen scheinen
lehre Köpfe zu seyn. Wann eine Vorstellung lange
dauert, so wird man unempfindlich z:E: so können
wir nicht beständig ruhen, sondern die Ruhe ist blos
in intervallen angenehm - Das vornemhste beym
wechsel ist, daß die Vorstellung nicht mit eben derselben
Stärke auf einander folget, sondern immer durch schwächere
Zwischen Vorstellungen abgewechselt werden. Im Contrast
stellet man eine Sache vor, die auf Sinne würkt,
eine andere neben ihr, die eben das gegentheil würkt.
Das Contrastiren kann auch zuweilen comisch seyn. Der
comische contrast ist würklich eine art von wiederspruch,

/|P_54

/z:E: eine Dame die da fein geputzt ist, %und Plattdeutsch redet.
Paradoxe Leute sind solche denen etwas contrastirendes schon von
Natur eigen «hat» ist. Das komische contrastiren geschiehet auf
2fache weise 1., wenn ich schlechte %und gemeine Leute, wie größe
Männer; im hohen Tone sprechen laße. - 2.) z:E: wenn ich einen
großen Mann in einer Friseur_Sprache reden laße, lezteres
nennt man travestiren. Die monotonie ist der mangel des
Wechsels dem grade nach. Wechsel ist also ein Hauptstück
um unsere Vergnügen angenehm zu machen. Monotonie
im Leben macht einen das Leben ganz überdrüßig. Zu diesem
Wechsel kan auch gewißer maßen die Steigerung gerechnet
werden. Der Wechsel der Qualitaet ist auch nöthig, wir müßen
immer suchen zu steigen. Man muß also vom geringen
anfangen um noch immer zuzusezen zu haben - Weil das
Steigern eine so große Erforderung des Genußes ist, so
läßt doch immer das lezte d«as»en größten Eindruck zurück.
Um in seinen Gemüths_Vorstellungen Klarheit der Erkenntniß
hervorzubringen %und Empfindungen zu dämpfen, gehört daß
man sich selbst ganz in seiner Gewalt habe, dies zeigt
immer eine große Seele an. Was nicht wieder kann her-
gestellt werden, muß vergeßen werden. Wann die
Vorstellungen des Menschen unwillkührlich geschwächt
werden, so sagt man entweder, er ist nicht bey sich
selbst, oder er ist außer sich. Außer der Faßung ist
man gebracht, wenn man auf einmal betroffen wird,

/|P_55

/so daß man nicht weiß wie man sich verhalten soll, man nennt
dies auch verblüfft, perplex. Ein hoher Grad davon ist die
Betäubung. Die Italiener sagen er hat des Tramontana
verloren. Das perplex seyn kommt davon her, wann man in
einem Zustand kommt, den man nicht gewohnt ist z:E: der
in eine große Gesellschafft kommt, %und es nicht gewohnt ist.
Der Entzückt ist, zeigt, daß er durch innere Bilder von den
äußeren Gegenständen abgezogen wird. Der Zustand der Trunk-
enheit ist der, des Verlustes der Gemüths_Fassung sofern er
durch Trunk hervorgebracht ist. Der Mensch ist in Gesellschafft
in continuirlichen Zwange seiner selbst, in diesem Zustand
kann er sich erhalten so lang er Nüchtern ist. Im Nüchternen
Zustande sind die Menschen sehr zurückhaltend, verheelen
ihre Fehler, %und sind mistrauisch in ihren Urtheilen. Der
Mensch hat einen unwiederstehlichen Trieb sich nicht zu
theilen, %und beym trunk vergehet dieses Mistrauen in
sich selbst, %und jeder äußert eine gemische Freymüthigkeit,
welche er öfters in Nüchternen Muth bereuet. Weil die-
ses aber von allen in der Gesellschafft gilt, so ist es
paralel. Das trinken sofern es die Ursache werden kann,
die Vernunpft von ihren strengen posten abzusetzen, hat
von der Seite was gütes. Beym Trinken bekommt man
mehr Muth, es Befördert die Offenhertzigkeit u:s:w:
In der Gesellschafft bringt der Trink nehmlich Wein,
Gesprächigkeit im Gange. Wann vieles Trinken %und einer

/|P_56

/drunter ist der nicht <mit>trinkt, ist ein lästiger Gast, denn er so
«gut» zu sagen ein Beständiger aufgucker. Wenn aber das trinken
bis zum rausch gehet, als denn hat es keine Annehmlichkeiten
die Vernunpft schränckt sich als denn nicht ein, sondern ist
nicht mehr im Stande sich selbst zu bedienen. Frage!
Warum betrinkt sich das Weibliche Geschlecht nicht? Die
Ursache ist, weil sie die Zurückhaltung mehr nöthig haben als
das Männliche Geschlecht, auch sich wegen ihrer natürlichen
Schwäche noch mehr blos gehen. Trinken, wenn man nicht
gesprächig ist, macht ehe betrunken, %und dies heiß das Stumme
Betrinken. Sich auf seine eigene Hand betrinken, d:h: vor
sich ohne Gesellschafft, ist schädlich. Brantwein trinker
werden mistrauisch %und unberedt. Die Alten Griechen
zähleten das Vermögen stärke getränke vertragen
zu können unter die Tugenden. Die Ursache möchte seyn
weil sie viel mit den Persern zu thun hatten, die
den Trunk liebten, daher diejenigen angesehen waren
die ihnen im Trinken die Spizzen Bieten konnten, %und sich
dadurch nicht überwältigen ließen. Man kann nicht sagen
daß man den Menschen im Trunk am besten kennen
lerne: Denn obgleich er nicht so Zurückhaltend ist, so
bringt doch der Trunk ungewöhnliche Laune hervor,
denn er ist als dann ein ganz anderer Mensch.
Mancher ist Zangsüchtig, ob er gleich nüchtern ein
friedfertiger Mensch ist. - 

/|P_57

/ ≥ Vom Schlaf, Ohnmacht, und Tod. ≤

/Die Empfindungen werden Schwach durch Trunkheit, Swächer durch
den Schlaf, noch schwächer durch Ohnmacht %und hören endlich auf im
Tode. Was der Schlaf eigentlich sey, weiß niemand. Bemerk-
ungen beym Schlaf sind a.) das Blut ist k<a>lter beym Schlafenden
b.) der Körper wird wohl im Schlaf 1/2 Zoll länger. Sieben Stund-
en zu schlafen ist zuträglich, das kann man auch die ganze
Lebens_zeit beybehalten, man muß eben auch nicht länger im
Bette liegen bleiben als man Schläft, denn dies erschöpft
wieder die Kräffte des erquikten Körpers - Wer in der
Jugend zu viel schläft, schläft im Alter weniger. Bey
vielen Völkern wird der Schlaf zu mittage für Schädlich
gehalten. Es ist es auch, denn der Schlaf muß nicht in
intervallen geschehen. Durch zuvielen Schlaf werden die
Nerven geschwächt. Beym Tod hören alle Empfindungen
auf. Tod %und Ohnmacht hat man noch nicht recht unterscheiden
können. Es habe Leute bis zu 24 Stunden in Ohnmacht
Gelegen, wo keine Spur vom Leben mehr war, selbst
der todten Geruch ist kein sicheres merkmal, daß der
Mensch schon gestorben ist.

/|P_58

/ ≥ Von der Einbildungs_Kraft ≤.

/Die Sinne sind das Vermögen Dinge unmittelbar anzuschauen, aber
nur dann wann sie gegenwärtig sind. Die Einbildungs_Kraft
stellet uns Bilder vor Gegenständen vor, die nicht gegenwärtig
sind. Wir müßen unterscheiden Einbildungs_Kraft %und Phantasie
Sie können wohl im allgemeinen rede_Gebrauch für einerley
gehalten werden aber nicht um einige feine Unterschiede zu
bemerken. Die Imagination ist ein Willkührliches Vermögen,
die Phantasie ist aber unwillkührlich; sie scheint also mehr
ein Antrieb zu seyn. Das Vermögen der Einbildungs_Kraft
ist a.) productiv, wo wir uns selbst nur Bilder nach unseren
eigenen Idée machen können, z:E: ein mahler. Das repro-
ductive Vermögen der Einbildungs_Kraft ist ein Wesentliches
Stück des Genies b.) reproductiv. Dies ist das Vermögen
nicht nur neue Bilder hervorzubringen, sonder das, was
wir schon durch die Sinne empfangen hätten, zurückzuruffen.
Wenn ein Mensch sich aller Erkenntniß bewust seyn sollte
die er Wirklich hat, so würde er über sich selbst erstaunen.

/|P_59

/In aller unserer Imagination ist ein Zwiefache Gebrauch a.) ein
Willkührlicher, %und dies ist gesunde Einbildungs_Kraft. b.) ein unwill-
kührlicher d:i: Phantasie. Phantast ist derjenige der einem
unwillkührlichen Gebrauch seiner Einbildungs_Krafft unterworfen
ist. Was in uns unwillkührlich geschiehet, glauben wir, daß die
Ursache deßelben gar nicht in uns lieget, %und es ist schwer zu
beobachten, weil wir die Ursachen nicht gewahr werden. Das
Gesez der Einbildungs_Krafft, ohne daß die Willkührlichkeit was
dabey zu thun hat, ist association - die Einbildungskrafft beruhet
auf die association der Idéen so daß, wenn eine Idée rege
gemacht ist, die andern darauf folgen. Die association ist
zwiefach entweder Ideen sind benachbart d:i: wenn sie
an dem selben Ort oder zuderselben Zeit in uns gekommen
sind, oder verwandt: Der Witz bringt diese Art Vorstellung
hervor, weil er immer neue Ähnlichkeiten %und Ideen entdeckt.
Ersteres um der concumitans willen, lezteres um der
affinitaet willen. Die Einbildungs_Krafft sofern sie
nach den gesezzen der assotiation fortgehet, schwärmet
unendlich. Wir bringen sie auf gedanken %und sie über-
läßt sich denn ihrem Lauf, bis der Verstand sie einlenkt.
Die Einbildungs_Krafft ist bey den orientalischen Völkern
stärker als bey den occidentalischen. Ehe der Mensch
meditiren will, muß er so zu sagen tumultuarisch

/ denken.

/|P_60

/Bis weilen treibt die Phantasie ihr spiel mit uns, besonders
mit Hypochrondrischen Leuten. %und umgekehrt spielen wir oft
mit der Phantasie, besonders ist daß das Geschäfft des
Dichters. Die Phantasie wird sehr unterhaltend durch ihren
unwillkührlichen Lauf. Die Phantasie betrügt uns, %und wie
es scheint wollen wir es auch so, sie verschönert die
Gegenstände der jungen Jahre«n». Das Heimweh der Schweitzer
beruhet blos auf eine trügliche phantasie. Die Einbildungs_Krafft
die vor der anschauung einer Sache vorhergehet, schwächt sehr
Der Eindruck derselben z:E: wenn man jemanden eine Comödie
voraus erzahlet. Was der Mensch oft in seiner Einbildungs
hat, daß glaubt er auch oft zu sehen. Die imagination ist
oft bey blinden sehr groß. Die Phantasie bringt nach-
ahmung zu wege z:E: wenn wir jemand fallen sehen
so glauben wir auch zu fallen, oder wenn jemand der
eine schwere Last hebt, eine veränderte miene macht
so machen wir sie auch mit. Beym Gähnen würkt auch
die Phantasie mit, so wie beym Lachen, daß oft Leute
mitlachen, %und nachher erst fragen vorüber man gelacht
hat. Convulsivische Zufälle muß man nicht ansehen.
Jeder Affect hat eine Gewiße Art von Thorheit bey sich.

/|P_61

/Beym Verliebt seyn würkt die Einbildungs_Krafft so, daß
einem die person in der Abwesenheit mehr gefällt, %und dann
ist sie untheilbar. Laster entspingen oft, nicht aus der
Gegenwart des Gegenstandes, sondern aus der Phantasie.
die phantasie wenn sie in ansehung ihrer cultur fehlerhafft
ist, ist entweder zügelloos durch die Lebhafftigkeit der
Dinge, oder regelloos, wenn sie den Regelln des Ver-
standes zuwieder ist. Die Phantasie ist zügelloos sobald
sie wider die Willkühr des Menschen schwärmet. Etwas
unwillkührliches liegt immer in unsere Einbildungs_Krafft,
so bald sie auf einen Gegenstand geleitet ist, läuft
sie nach assotiirten Ideen fort, %und der Verstand muß
suchen sie immer wieder einzulenken. Die Regellosigkeit
der phantasie ist noch weit ärger als die Zügellosigkeit
derselben. Die Regellosigkeit bemerket man am Öft-
ersten bey Hypochodristen, %und wenn sie versezlich geschie-
het, nennt man diese Leute schwärmer, oder Vorsatz
Träumer. Die Regellosigkeit nuzzet zu nichts. Man
könnte sagen regellose Phantasie faselt; zügellose schür-
met. Die Zügellosigkeit zeigt eine Stärke an, regel-
losigkeit ist verwirrung %und ist schädlicher. Die Zügel- 

/|P_62

/losigkeit der Phantasie pfegt bey großen männer angetroffen
zu seyn. Das Spruch_wort mundus vult regi opinionibus ist nicht
allein ein Spott über den gemeinen mann, sondern auch eine
Regel für Fürsten. Die Einbildungs_Krafft ist nach dem Ver-
stande das wichtigste Vermögen, da sie uns Gegenstände
vor die anschauung bringt, die nicht gegenwärtig sind. Sie
ist auch die Erfinderinn viele Künste. Nicht immer ist die
Einbildungs_Krafft mit hinlänglichen Verstande verbunden
vorzüglich ist dieses bey den Morgenländern. Die Einbild-
ungskraft schwärmt mehr des abends als des Morgens.
Originalitaet der Phantasie wird bey jedem genie voraus-
gesezt. %und ist der Character deßelben. Alle leiden %und Ergözlich-
keiten der Liebe beruhen auf Phantasie. Der Enthusiast
ist ein Phantast in ansehung der Idéen des Guten nehm-
lich, wann er dem Ideal des Guten, das die Vernunpft
ihm nur zur regel vorgelegt, realitaet in der Erfahrung
geben will z:E: Vollkommene Freundschafft. Ideale
aber laßen sich in der Erfahrung nicht antreffen. Misanthro-
pie: Leutscheuung, findet sich bey jedem mit den Jahren.
Die Phantasie ist in ansehung unserer Unterhaltung
%und Zeitverkürzung sehr Wohlthatig denn vermittelst der-
selben bauen wir uns eigene Plane, %und unterhalten uns

/|P_63

/selbst. Die Einbildung der Sache thut oft dieselbe Würkung als
die Sache selbst. z:E: die Freyheit. Der Wahn der Freyheit
ist so angenehm als die Freyheit selbst. Die Meinung von
Freyheit veredelt den Menschen, so bald er sich aber unter-
drückt findet, macht er keinen Anspruch drauf. Um von
unserer Einbildungs_Kraft Gebrauch zu machen, hat die
Natur zwey Vermögen in uns geleget. 1.) den Witz, der
die Ähnlichkeit der Dinge entdeckt. 2.) Urtheils_kraft, um
das Verschiedene der Dinge zu bemerken. Urtheils_Krafft
wird hier blos genommen als ein judicium discretivum.
Witz %und Urtheils_Krafft können Scharfsinnigkeit heißen,
man kann eben so gut scharfsinnigen Witz als scharfsin-
nige Urtheils_Krafft haben. Dem igenio muß man nicht
das acumen, sondern das judicium entgegensezzen.
Anthropologisch scharfsinnig ist der, der das Bemerkt
was sehr schwierig zu entdecken ist. Der Witz gehöret
dazu, um sich allgemeine Begriffe zu machen. Die Ur-
theils_Kraft um die grenzen zu bestimmen. Der Witz
ist beliebter, weil er unserer Urtheil extendirt, aber
die Beurtheils_Krafft wird höher geschätzt, sie ist ein-
schränkend %und Bezähmt die Lust, unsere Regeln allge-
mein zu machen. Man sagt von einem Menschen der

/|P_64

/Witz hat, er ist aufgeweckt, der Urtheils_Krafft hat, er ist gesezt.
Witz ist die Quelle der Einfälle, Urtheils_Krafft der Einsichten.
Einfälle sind gleichsam die Ebrione der Einsichten. Zu Ein-
sichten wird Empsigkeit, zu Einfallen Leichtigkeit erfordert.
Witz ist aufgeweckt %und muß behend seyn. Urtheils_Krafft
kann einen langsammen Schritt thun %und ist Ernsthaft. Die
Handlungen des Wizes «ist»sind Spiele, die Handlungen der Urtheils
Kraft sind Geschäffte. Der Witz ist ein Antheil der Jugend, die
Urtheils_Krafft des Alters. Wann man sagt Verstand kommt
nicht vor Jahren, so ist dies von Urtheils_Kraft zu verstehen.
Eine Erkenntniß des Verstandes, so fern der Witz hervorsticht
ist sinnreich. Wann die Urtheils_Kraft hervorsticht, scharf-
sinnig. Witz ist gut zu Einfällen, Urtheils_Kraft zu Einsich-
ten. Wiz ist kühn %und gefällt. Bon Mots sind producte
des Witzes. Die bonmots sind so zu sagen ein currenter
Wiz %und ein currenter Verstand. Wann aber die Einfälle
die Einsichten verdrängen, so ist der Verfall derselben öffen-
bar daher hat es zu allen Zeiten Censoren der Bücher gegeben
die den Einfällen den Eingang ins Gebiet der Wißenschaff-
ten versperrten. Die Franzosen sind sehr reich an
bonmots: Einer der von Witz profession macht heißt
Witzling, der von Urtheils_Krafft profession macht

/|P_65

/heißt Klügling. Esterer von beyden Narren ist noch eher
zu dulden. Einen verfehlten Witz nennt man ekelhafft.
Die moden beruhen auf witz, der Gebrauch auf Urtheils_Kraft
Die Popularitaet kommt auf den Witz an - den Ton der Conver-
sation kann mehr den Witz befolgen, der Ton der Schrifft
muß mehr Urtheils_krafft enthalten. Kahler Witz ist, der
nichts für den Verstand enthält. Urtheils_Krafft ist
grüblerisch wenn sie nichts für die Vernunpft enthält.
Der Witz bedarf immer originalitaet. Der Deutsche ist
genirt, %und deshalb zu Sachen des Witzzes nicht aufgeleg«en»t,
aber zur Urtheils_Krafft. Der Wiz verstattet der Muth-
willen, oder bringt ihn hervor. Urtheils_Krafft führet
bescheidenheit bey sich, ja macht uns bescheiden. Be-
scheidenheit ist der Mäßigung der Ansprüche. Witz be-
lebet die Gesellschafft durch Scherz, aber ohne Urtheils
Krafft wird er Schaal. Diesem ist eine pedantische
Urtheils_Krafft entgegengesetzt. z:E: Scholastische
distinctionen. Dies nennt man das grüblerische %und
micrologische. Einen würde man einen affen, den
andern einen Geck nennen. Den launigten Wiz haben
die Engländer. Die Originalitaet der Laune ist, wenn

/|P_66

/man etwas zum Beweise gebrauchet, was das gegentheil Be-
deuten soll. Leichten Witz findet man am meisten bey Vol-
taire. Aufgelegter Wiz ist bey Young. Der Volks_Wiz be-
stehet in Sprüch_Worten. Sprüch_wörter gehören zur
Pöbel_Sprache. Man kan das caracteristische der Nation
aus ihren Sprüch_Wörtern wohl einsehen. Sprüch_Wörter
enthalten auch weiter nichts als Pobel_Weisheit. Damit sie
aber doch daß bestimmen was sie sollen, müßen sie
sehr abgeändert %und verbeßert werden. Ein gesuchter
Wiz ist ein contradictio in adjecto %und deshalb sehr ekelhafft.
Naïvitaet, welche eine Kunst ist, die doch Natur zu seyn scheint
ist dem gesuchten entgegengesezt, %und gefällt sehr. Offters
hällt man einen dummen für naïv. Wiz giebt dem Ver-
stand viel materialien an die Hand. Der Witz muß eine
Bewegung des Gemüths seyn, %und Leichtigkeit bey sich führen.
Er darf auch nur auf der Oberfläche gehen. Beym Wiz
erholet sich das Gemüth. Beym Urtheilen ermüdet es.
Aehnlichkeit findet man leicht, aber unterschiede entwischen
leicht, daher heißt eine Urtheils_Krafft scharfsinnig,
die auch kleine Unterschiede bemerkt - Man nennt einen
Menschen, der Unterschiede«n» bemerkt die deßen nicht
werth sind, micrologisch. Der Subtile Witz kan Wohl

/|P_67

/Bewunderung erregen, aber er ergötzt nicht. Urtheils_Krafft
ist oft genöthigt subtile zu seyn. Die Urtheils_Krafft zwackt
den Wiz, schränkt ein wo er allgemeinheit sezt. Der Wiz Ur-
theilt en gros. Die Urtheils_Krafft en detail. Wenn man
loben will muß man en detail loben, %und nicht en gros. En
gros ist ein Urtheil für Schwäzer. Wiz %und Urtheils_Krafft sind
die beyden Vermögen, wodurch die Einbildungs_Krafft zum
Dienste des Verstandes angewandt wird, %und ihre Begriffe
des Verstandes anzuwenden brauch wir Wiz %und Urtheils_Kraft.
Um viele herbey zu schaffen, braucht man Wiz, um zu
sortiren Urtheils_Krafft. Wie der Wiz ein Spiel bey sich
führet ist er ergötzlich, %und der Verstand gewint dabey. Wann
der Wiz einen ernsthaften Schein hat, %und doch tändelnd ist,
so nennt man ihn durch trieben Muthwillig. Der Wiz ist
denn recht muthwillig, wenn er ernsthafte %und wichtige
Dinge zum Bagatel macht. Ein Mensch ohne Wiz ist
ein stumpfer Kopf, ohne Urtheils_Krafft ein dumm Kopf.
Ein stumpfer Kopf kann wohl ähnlichkeiten finden aber
keinen Unterschied. Ein Mann ohne Wiz, wird «ein»nie Dichter
werden. Der Mangel an Urtheils_Krafft mit Wiz ist al-
bernheit. Der Mangel an Urtheils_Krafft ohne Wiz ist
eigentlich dummheit. Der Mangel an Urtheils_Krafft

/|P_68

/muß bey Dummheit practisch seyn. Dummheit ist noch erträg-
licher als Albernheit. Ein ausdruck der Dummheit, der
gelinder ist, ist Einfallt. Dumm ist eigentlich kein anderer
als der ohne Urtheils_Krafft hochmüthig ist. Der Eigentliche
dumme ist vorlaut, %und hält sich zu allem fähig. Die
Dummheit ist ein unverschämte Blödsinnigkeit. Der da
practische Urtheils_kraft hat, heißt klug, durch Gefahr
%und Schaden wird man gescheut. Dadurch daß wir an Mensch-
en anlaufen, durch unsere unbesonnenheit im reden,
werden wir gewizigt. Um junge Leute zu Wizzigen
ists Nöthig sie in Gesellschafft wohlerzogener Frau-
enzimmer zu bringen - Abgewigt nennt man den,
der andere Menschen geschickt hintergehen kann, p
hat er noch einer Neigung dazu, so ist er abgefeimt.
Durch trieben ist der, der unter der Miene der Ein-
falt, einen bitteren Spott vorbringt. Voltaire
ist sehr stark darinn.

/δ_Schnörkel

/|P_69

/ ≥ Vom Dichtungs_Vermögen. ≤

/Wenn die Gegenstände die Ursachen der Vorstellung sind, so gehören sie
zu den Sinnen, sind wir aber die Ursache der Vorstellung, so gehören
sie zum Dichtungs_Vermögen. Der Wortgebrauch des Ausdrucks Einbild-
ungs_Krafft ist zwiefach 1. reproductiv. Diese reproductive Einbildungs
Krafft ist die, die dem Gedächniße zum grunde lieget, %und sie ist von
demselben in nichts weiter unterschieden als daß das Bewustseyn
hinzukommen muß, %und dann wird sie Gedächniß. Sie bringt nichts
hervor, sondern wiederholt nur. 2.) productiv: das productive Ver-
mögen der Einbildungs_Krafft ist eigentlich das Dichtungs_Vermögen,
%und der erstere Namen ist beßer als der leztere. Schöpferisch ist das
Dichtungs_vermögen nicht, sondern nur bildend; hieraus entspringt eine
reiche Quelle der Unterhaltung der Menschen. Das Dichtungs_Vermö-
gen ist ein großes Gesenck der Natur, wieder die Mühseeligkeit-
en des Lebens um die leeren Augenblicken de«s»ßelben damit anzu-
füllen. Diese träumerische Denk_Art ist aber doch nachteilig, %und
sie wird schimärisch, schwärmerisch %und romanhafft. Am besten
ists sich mit Arbeit zu beschäften. Aber im Nottfall ists eine
Wohlthat. Öffters brauchen wir doch auch Ieale in der würlichen
Welt z:E: ein guter regend, die Idee eines Weisen. Das
Ideal ist ein Figment was seinen grund in der Vernunpft hat,
solche Ideale giebt es nicht, aber wir brauchen sie doch zu Mus-
tern. Man bedient sich mancher Ausdrucke, die grad Weise

/|P_70

/gehen. Das Dichtungs_Vermögen ist das Vermögen, Vorstellungen
in uns hervor zu bringen. Entdeckt heißt etwas wahrnehmen,
was aber schon vorher da war. z:E: America ist entdeckt. Er-
finden heißt eine Erkenntniß von etwas bekommen, das noch
nicht da war z:E: eine Machine wird Erfunden. Ein Geschicht-
Schreiber muß nicht erfinden, sondern entdecken. Ein Magister
in Oxford soll die Strumpfweber_machine erfunden haben. Das
wieder Entdecken heißt ausfindig machen. d:i: etwas was
würklich ist, aber verloren gegangen, erkennen. Erdenken
%und ausdenken, beym ersteren finde ich etwas, was blos seyn
in Gedanken hat. z:E: eine Fabel. Beym lezterm bedarf
ich etwas, was doch nur durch meine Gedanken möglich
ist z:E: Handswerk_Zeuge. Dichten heißt etwas was man
sich nicht selbst als würklich denkt, als möglich vorstellen.
Das was ich dichte kann objective realitaet haben auch
eine chimaere seyn. Beym Dichter ist die Phantasie origi-
nal %und productiv - Das Dichten ist ein actus der productiven
Einbildungs_Krafft, %und eine angenehme beschäfftiung des
Wizes %und der imagination. Erdichten heißt etwas her-
vorbringen von dem man weiß daß es keinen Gegenstand
hat. Man kann etwas Erdichten a,) es glaubend zu machen.
b.) um zu unterhalten %und zu vergnügen. Eine Lüge ist die
Mittheillung einer Erdichtung, in der Absicht daß sie ein
anderer als wahr annehmen soll. Öfters liegts an einer
corru«¿»pten Phantasie, daß es manchen Mühe kostet nicht zu Lügen.

/|P_71

/ ≥ Vom Begriff der Dichtungskraft\kunst %und Beredsamkeit. ≤

/Einbildungs_Krafft ist daß waß untern Kräften dem Verstande
als obere Kraft beförderlich ist. Empfindungen sind nicht be-
förderlich. Einbildung trägt zur Erkenntniß bey. Das Spiel
der Einbildungs_Kraft, so fern es willkührlich ist, %und zur
Beförderung des Verstandes beyträgt, ist das Dichtungs
Vermögen - die vereinigung der untern Erkenntniß_kräfte
mit den oberen so fern sie sich beyde beförderlich sind,
Vorstellung %und Harmonie hervorzubringen, ist schöne Kunst.
Zu den schönen Künsten nach Ideen gehören Dichtkunst
%und Redekunst. Beredsamkeit ist ein Geschäffte des
Verstandes, belebt durch Einbildungs_Krafft. Poesie ist
ein Spiel der Einbildungs_Krafft geordnet durch Begriffe
des Verstandes - Die Beredsamkeit hat eigentlich zum Zweck
die Geschäffte des Verstandes, aber um dieses zu vollbring-
en sucht sie die Einbildungs_Krafft rege zu machen, um
den Verstand zu beleben. Kein Spiel der Einbildungs
Krafft kann lange dauern, wann nicht der Verstand
gewiße regeln giebt %und ordnet. Bey der Poesie ist Blos
die Absicht ein Spiel der Einbildungs_Krafft, nur der

/|P_72

/Verstand gehöret dazu, um dem Spiel der Einbildungs_Kraft
Regeln zu geben %und zu ordnen. Ein Dichter braucht Verstand
das ist aber nicht sein Zweck, sondern um die Einbildungs
Krafft zu ordnen. Ein Redner braucht Einbildungs_Krafft
das ist aber nicht sein Zweck, sondern um den Ideen
des Verstandes Eingang zu verschaffen. Der Dichter ist
ehrlicher als der Redner, denn der Poet sagt schon daß
man das nicht für Wahr halten soll, was er sagt, er
verspricht blos zu unterhalten. Wir haben dreyerley aus-
drücke: 1. Beredheit. Sie ist ein Vollkommenheit beson-
ders bey Frauenzimmer. Daß kann man aus ihren
Briefen sehen. Zeigt sich diese Eigenschafft beym Männ-
«h»lichen Geschlecht früh, so sinds mehrentheils schnelle
Köpfe. Beredt ist der, der eine menge Worte findet, um
seine Gedanken auszudrücken. 2.) Beredsamkeit, ist
die Geschiklichkeit zu gebrauchen. 3.) Wohlredenheit:
bestehet blos in der Übereinstimmung einer Rede, mit
allen Sprach Regeln %und in der richtigen Wahl der Aus-
drücke, die mit den Begriffen übereinstimmen. In
Paris ist nur noch eine Beredsamkeit zu finden. Be-
redsamkeit muß bey keinem Gerichts_Hofe Statt
finden, denn es ist die Kunst den Richter zu bereden.
Beredsamkeit kann auf die Kanzel nicht Statt finden - 

/|P_73

/(denn man wird ja keinen zur Frommigkeit bereden) sondern
Wohlredenheit. Beredsamkeit ist ein Geschäffte des Verstandes
durch Einbildungs_Krafft in bewegung gesezt. Poesie ist ein
Spiel der Einbildungs_Krafft durch den Verstand geordnet.
Sinnlichkeit muß dem Verstande zu Dienste seyn, vor-
züglich die Einbildungs_Krafft, die Empfindungen tra-
gen nichts zur Erkenntniß bey. Beredsamkeit hat
ein Geschäfte vor sich, es wird aber so aus geführt, daß
es einem Spiel ähnlich sieht. Weil kein Spiel unter-
haltend ist, wann der Verstand nicht regeln <an>giebt
so gehört also auch Verstand zum Spiel der Einbildungs
Krafft. d:i: zur Dichtkunst. Beredsamkeit schafft ein
so ein reines Vergnügen als die Poesie. Die Kunst zu
bereden ist nicht blos illusion sondern betrug - Wohl-
redenheit dienet aber zu erhaltung der Wahrheit.

/Bemerkung. Die größten Redner florirten dann, wann
der Staat in seiner grösten Blüte stand, aber doch mehr
zum fall sich neigte. z:E: in Rom waren die größten
Redner, da es bald unter das Joch der Kayser fiel,
%und in Griechenland da es bald unter die Herrschafft
des Alexanders kam. Denn wann so viele Schreyhälse
waren, so konten sie mit dem Volk machen was sie
wollten. Demagogen sind die verschmitzten Volk- 

/|P_74

/leiter. Man muß also nicht Beredsamkeit sondern Wohl-
beredenheit üben. Frage? Warum ist Poetische Kunst
angenehmer als Rednerische? Antwort. Weil ihr Zweck
ein Spiel ist, %und man in der Fabel mehr freyheit
hat seine Phantasie am meißten spielen zu laßen.
Daher ist der Dichter auch glücklicher in der Fabel als
in der Wahrheit. Dem Dichter glückts am wenigstens
wann er die natur mahlen wird, denn er kann die
größe der Natur nicht erreichen. Warum wird in der
Poesie der Tact_mäßige gang angetroffen? Weil
der poet nicht den natürlichen gang gehen will, er würde
sonst von der prosa nicht zu unterscheiden seyn, %und
weil die poesie schon zum gesang aptiret ist. Warum
haben die Nordischen Völker außer dem Sylben maaß noch den
Reim? Weil die Sylben bey ihnen nicht bestimmt sind, ob sie
lang oder kurz sind, des wegen haben sie dies durch reim
ersezen wollen. Das Sylbenmaaß hilft schon sehr zum Ge-
dachtniß, der reim aber noch mehr. Der Reim giebt auch zu-
weilen durch den Zufall zu einem originellen Gedanken an-
laß. In der Rede_kunst der Tactmäßige Gang der Sylben
vermieden werden. Weshalb hat man den Poeten einen
Furor beygelegt? %und des wegen wird er auch vates genannt.

/|P_75

/Weil der glückliche Augenblick zum Dichter nur zufällig ist, %und
nicht kan aufgehört werden. Deswegen hat mancher Dichter dies
für eine göttliche Eingebung gehalten, indem er sein verfertigtes
Gedicht selbst angestaunt, %und geglaubt daß er es nie so
wieder machen wurde. Warum ist dem Poeten so manches er-
laubt, welches dem Redner nicht frey stehet? Weil er durch
das Sylbenmaas sehr eingeschränk wird, so halt man ihn
auf diese Weise schadlos, doch hat die Poetische Freyheit
auch ihre Schranken. Warum kleidet man Sentenzen doch
gerne in Versen ein, %und weswegen haben sie denn mehr
Nachdruck? Weil es einem sehr glücklich vorkommt, die
Abgemeßenheit des Sylben maaßen mit reichhaltigen Gedan-
ken verbinden zu können, %und um die darinn enthaltene
Sittenlehre beliebt zu machen, %und es ist auch leichter für das
Gedächniß. Warum ist Poesie das erste Product des
Geistes? Der Poetische vortrag war eben derjenige, der
der Armuth der Sprache angemeßen war, die BilderSprache
ist immer früher als die begriff Sprache - Selbst die
Römer hatten für abstracte begriffe z:E: Gewißheit pp:
noch keine ausdrücke - Heraclitus fing zu erst an in
Prose zu Philisophiren. Warum haben bey allen Nationen die
Dichter den redner übertroffen? In der Dichtkunst ist

/|P_76

/mehr product der Natur, beym redner aber ist mehr Betrug. Es
läßt sich ehr durch nachahmung ein Redner als ein Dichter werden
denn in der Dichtkunst ist originalitaet. Es ist bey der Dichtkunst
mehr genie. Beredsamkeit aber läßt sich lernen. Warum ist
ein mittelmäßiges Gedicht unleidlich, da doch ein mittelmäs-
siges Rede erduldet wird? Durch die poesie werde ich in ein
Spiel gesezt %und sie verspricht Unterhaltung, leistet sie die-
selbe nicht, so fällt der ganze Werth weg. Warum trocknen
die Poetische Ader im Alter aus, da doch beredsamkeit noch
zunehmen kann? Wie sonst alle Wißenschafften mit dem
Alter zunehmen. z:E: Philosophie. Weil Dichten ein Spiel
ist, %und Spielen nicht eine Sache Alter Leute ist. Die Satyre
würde auch im Alter gelingen. Die Laune die die Thorheit
des Menschlichen Lebens schildert, kann auch beym Alter
bleiben, da es mehr erfahrung hat %und nicht so viel
Imagination braucht. Warum wird der Dichter im
Leben so sehr vernachläßiget, %und im Tode erhoben?
Weil er nicht so wie der Musicus eine Schule %und gegen-
wärtig unterhält, sondern das ganze publicum, %und
nur allmählig, daher wird er auch nicht belohnet, denn
was für das ganze Publicum kommt wird nicht ver-
golten. Dem musicus muß die Gesellschafft auf der

/|P_77

/Stelle bezahlen. Die Einbildungs_Krafft ist zwiefach in Be-
wegung 1.) Sie «schärmt»schwärmt, daß ist ein unwillkührliches Geschäffte
derselben. 2.) Sie Dichtet, daß ist ein Willkühlicher Gang
derselben. Derjenige, welcher von den Dichtungen seiner
Einbildungskraft dafür hält, daß sie in der Natur statt
finden, ist ein Phantast (Phantast)

/Der traum ist ein Zustand der Schwärmenden Einbildungs
Kraft wärend dem Schlaf, er ist entweder ohne Zusammen-
hang, oder ein würkliches regelmäßiges Spiel der Ein-
bildungs_Kraft. Ersteres können wir uns nicht besinnen
weil es mit unseren Verstand nicht überein kommt.
Jeder Mensch er sey krank oder gesund träumt, wenn
er es sich auch gleich nicht errinnert. Alles ist im Traum
dunkler %und schwächer z:E: das %und die imagination gehet
weit unregelmäßiger als im Wachen, weil man im
wachen allenthalben ordnung findet. Alles in der Welt
worinn der Grund schon in den Gesezzen der Natur liegt,
hat seinen Nuzzen, also auch träume. Wenn das
gemüth gar nicht im Schlaf auf den Körper würken
möchte, so würde dies den Tod verursachen. Unter den
Phenomenen des Traums, gehört auch die Schlaf wan-
derung. Diesen Zustand zu heben ist kein mittel anzuge-
ben. Der Mensch der da träumt daß er gehet, %und auch

/|P_78

/würklich gehet, ist ein Schlaf Wanderer. Im wachen ist <in> alle
gegenständen der Sinne Ubereinstimmung mit den regeln
des Verstandes, also kann als denn, der Verstand leicht
unterscheiden, das Spiel der Phantasie von dem was Wahr-
heit ist. Die Phantasien im Schlaf müßen lebhafter seyn
als im Wachen.

/Wahnsinn. (Delirium.) %und verrückt seyn heißen der
Zustand des Gemüths, so fern sie den regelmäßigen Ge-
brauch des Verstandes unmöglich machen. Wahnwiztige
sind ganz unterschieden von den Wahnsinnigen. Wahnsin-
sig ist der, der das Spiel seiner Einbildungs_Kraft im
wachen für die Erfahrung würklicher Dinge hält. Es
muß aber doch ein Fehler im Verstand liegen, wiewohl die
meiste Schuld auf die überspannte Einbildung fällt. Es
ist schwer den Wahnsinnigen zu überzeugen, daß er Wahn-
sinnig sey. Hypochondristen sind diejenigen, die in
ansehung ihrer subjectiven Wahrnehmung in respectu
ihres Körpers Phantasten sind. In ansehung der äußeren
Gegenstände sind sie nicht Phantasten - Gesund ist der
der seinen Körper gar nicht fühlt - das eigentliche
merkmal des Wahnsinnes ist der sensus communis.
Wir beurtheilen Gegenstände nicht nur nach unseren

/|P_79

/Sinn, sondern auch nach dem Urtheil des Verstandes, über
diese Gegenstände, %und wir sind auch geneigt unser Urteil
mit dem Urtheil andere zu vergleichen. Ein Mensch der
etwas glaubt zu sehen, daß kein anderer sieht, hat große
Ursache zu glauben daß er getäuscht %und krank sey. Die
Verrückung ist der Zustand worinn man gegenstände
aus dem gemeinschafftlichen Sinn beurtheilt; %und alles aus
seiner Phantasie betrachtet, %und auf dem Sensu communi
acht giebt. Der Privat_Sinn in Dingen der Erfahrung
wenn er dem %.Publicen Sinn wieder spricht muß nachstehen
da sich Erfahrung mittheilen soll. Wie kommts daß es
nicht Wahnsinnige Kinder, da es doch blödsinnige
giebt, %und der Wahnsinn ist auch zuweilen Erblich?
%.Antwort: Weil er sich dann erst entwickelt, wenn sich bey ande-
ren die Vernunpft erst entwicklet. Mit dem Wahnsinnigen
kommt der Phantast gewißer maaßen überein. Der alle
Einbildungen für würkliche Erfahrungen hält, ist ein Phan-
tast. Ein Phantast ist ein Enthusiast, wenn er das was
in Idee der Vernunpft liegt, für einen Gegenstand der
Erfahrung hält. z:E: die Idee der Freundschafft. Nur
die große theilnehmung am guten kan hervorbringen,
daß man sie sich auch als Gegenstände der Erfahrung

/|P_80

/denkt. Enthusiasten sind tugendhafften Phantasten %und diese werden
gemeinhin misanthropen. Den Einfluß der Einbildungs_Kraft, den
sie auf die Erfahrung %und auf die gegenwätige zeit hat, %und
den misbrauch derselben, haben wir erwogen. Die Einbildungs
Kraft in ansehung der vergangenen Zeit, ist das Gedachtniß
es ist das reproductive vermögen mit bewust_seyn, in an-
sehung der vergangenen Zeit. Zum Gedächtniß gehört noch
der Willkührliche Gebrauch des reproductions_Vermögen, man
könnte es nennen das besinnungs_Vermögen. Das Vermö-
gen mich worauf zu besinnen, ist doch noch mehr als mich
etwas zu errineren. Errinneren ist schon die reproduc-
tion, lezteres aber erfordert erst eine Anstrengung des
Gemüths, %und man sagt ich entsinne mich. Das Gedachtniß
hat drey Vollkommenheiten 1.) Etwas leicht zu faßen.
2.) lang zu behalten. 3.) leicht zu besinnen. Memoriren
heißt etwas sich vorseztlich auf solche weise vorstellen,
daß mans lange behalten %und leicht errinneren kann.
Es ist die Frage ob schwache Urtheils_Kraft %und schwache
Gedächtniß verbunden sind. Das Memoriren ist drey
fach a. das mechanische. Wann ich gewiße Worte der reyhe
nach durch öftere wiederholung dem Gedächtniße einrücke,
wie man z:E: das ein mal eins lernt - Das

/|P_81

/memoriren wird sehr durch den vers bau erleichtert. Das
mechanische memoriren ist von dem grösten Nuzzen, und
unentbehrlich, bey Verstandes_kenntnißen sollte man es
ganz weglaßen, weil dem Verstand dadurch alles mit-
würken benommen, %und er passiv gemacht wird. z:E: in
Religions_Sachen. b.) ingenieuses memoriren. Dies taugt
nicht viel, man sieht hier nicht auf die Nehmlichkeit
der Sachen sondern der Töne. Es ist der Urtheils_Kraft
sehr nachtheilig. z:E: Bunians Bilder_Historie. Es ist
auch vergeblich, weil es statt daß es erleichtern soll
noch mehr erschwert. Einer von den alten sagt, Bücher
haben das Gedächtniß zu Grunde gerichtet. Dies
ist wahr den wenn man ein Buch selbst besizt, so ver-
läßt man sich darauf, man lernt also aus einem
gelehnten Buch mehr als aus einem eigenen. Man
findet Leute die nicht schreiben können, %und doch
ein Starkes Gedächtniß haben. Das Schreiben kommt
dem Gedächtniß sehr zur hülfe, es bleibt aber dabey
uncultivirt. Das untreue Gedächtniß ist nicht die
Vergeslichkeit, aber es errinnert falsch. Dies ist
die Folge des Wizes, der Statt der eigentlichen Sache

/|P_82

/eine ähnliche produciret dies findet auch bey denen Statt die
die Wahrheit nicht lieben: Sanguinische haben ein behend %und
untreues Gedächtniß, phlegmatische haben nicht ein behendes
aber dauerhaftes Gedächtniß. Melancholische haben ein
festes Gedächtniß. Italiener haben d«¿¿»as stärkste Gedächtniß.
c. judicieuses memoriren. Dies ist das Herrlichste unter allen
nur es hafftet nicht so lange, %und schickt sich mehr für das
reife Alter, ich behalte etwas darinnen weil die Gegen-
stände übereinstimmen mit den Reglen des Verstandes.
Zum judicieusen memoriren gehört auch der Synchronismus.
Vergeßenheit bedeutet «Un» das UnVermögen ehedem gehabte Vor-
stellungen zu reproduciren, oder zu recognosciren, oder
Zurückrufen. Das vorhersehungs_Vermögen in ansehung
der künftigen Zeit heißt die Einbildungs_Kraft die
Praevision. Das künfftige interresirirt uns am meißten,
das Vergangene nur in Rücksicht des Künftigen, daher
bringen sich die Mensch um den Genuß des Gegen-
wärtigen. Die Vorhersehung des künftigen kann Blos
sinnlich seyn, o:s: nach erwartung ähnliche Fälle,
oder interlectuel, so fern die künftige zeit, in Ver-
bindung der Gegenwartige steht. Je mehr man

/|P_83

/seine Gemüths_kräfte extendiret desto feuriger ist man das
künftige vorherzusehen. Die Vorhersehung bestehet in expecta-
tione casuum simitium. Sorgenfoll @%oder@ Sorgenfrey, sind die
Menschen nach dem Hange die sie für die Zukunft haben.
Die Verirrungen im Gebrauch des Vermögens vorherzusehen
sind Wahrsagungen, Ahndungen pp. Ahndungen sind zwar
dunkele doch unmittelbare Anschauung des künftigen. Ahn-
dungen sollen ohne Leitung der Zukunft aus ahnlichen
ursachen, auf ahnliche Würkungen oder ohne expectatione
casuum simitium geschehen. Ahndungen konnen auf keine
weise eingeräumt werden. Es sind drey vermögen des
Menschlichen Gemüths, die auf das Zeit_verhaltniß be-
stimt sind. Für das Gegenwärtige ist der Sinn, wir
sind am meisten interresirt wegen des künftigen. Alle
Aussicht in die Zukunft ist ängstlich %und Bange, weil je
weiter das Ziel ausgesezt wird, desto dunkler um
uns wird, %und aus besorgniß daß uns etwas übles
zustosen wird. Die Klugheit «b»gebeuts unsere Aufmerk-
samkeit auf Dinge der Zukunft zu richten, so fern
sie in unserer Gewalt sind. Vieles von der Zukunft
ist in unserer Gewalt. Die Vorsorge ist die Veran- 

/|P_84

/staltung in ansehung unserer Zukunft, so fern sie in unsere
Gewalt ist. Sorgen heißt vergeblich sich um das Zukünftige
bekümmeren, so fern es nicht in unserer Gewalt ist. Der
Aberglaube von Ahndungen gehet darauf hinaus um einen
Schlüßel in die Zukunft zu bekommen. Ahndungen sind
Aus_spähungen in die Zukunft in ihre«¿»r eigenen Ein-
bildungs_Kraft. Im Anfange dieses Iahrhunderts frug
man noch die Sterne um die Zukunft. %und dies hieß
astrologia judiciania, denn damals hielt man die
Sterne blos für Ausputz. Darauf sagte man Wahr
aus der Sterne %und aus der Hand. Man unterscheidet
Wahrsagungen %und Weißagungen, erstere betrifft nur
einzelne Personen, leztere ein ganzes Volk. In anse-
hung des künftigen haben Menschen Zweyerley Ur-
theile 1.) Schicksall oder Desninée 2.) blinde«¿»n Zufall.
Alle Menschen deren Gewerk oder Glück beruhet, %und
deren Schicksal nicht in ihrer Gewalt ist, sind
aberglaubisch z:E: Schiffer, Iager, Spieler pp.
Talisman ist ein geweihter Plunder, der wenn man
ihn bey sich trägt, alles übel abwendet. Manche
Leute können sich mit angenehmen Hoffnungen speisen

/|P_85

/andere befurchten schreckliche Zukunft. Da es ihnen jetz
recht gut gehet. Ein dritter hofft weder, noch kümmert
sich, %und dieser lebt ruhig.

/

/≥ Vom Begehrungs_Vermögen. ≤

/Dies Vermögen gehöret zur Sinnlichkeit, es ist das mittel durch
verbindungen nach Gesezen der imagination gewiße Kenntniße
hervorzubringen. Es vertritt hier ein Sichtbare Sache die Stelle
des Objects - «¿»Bezeichnungen sind 1.) Stellvertretende dies
sind alle Worte z:E: Donner 2. Begleitende, diese dienen
leediglich etwas ins Gedachtniß zu rufen. Man kann die
Zeichen eintheilen a. in Natürliche die aus der Natur der
Sachen kommen. b. in Willkührliche, die man sich wählt.
In ansehung der Zeit bestimmung sind die Zeichen $a$,
demo<ns>trative, diese bezeichnen daß etwas gegenwärtig ist.
$b$, rememorative, die das vergagene anzeichen. z:E: alle
grabsteine %und Pyramiden $g$, prognostische, die das künftige
anzeichen diese sucht man begierig auf. Zeichen heißen
symbola, wenn sie Crypisch sind, d:h: die im Grunde
ganz etwas anders bedeuten. z:E: eine Schlange die

/|P_86

/den Schwanz im Maul hat, soll die Ewigkeit bezeichnen. Bey
den Egyptiern findet man Symbolen am meisten, weil ihre
Schrift Symbolisch war. Symbolen bezeichen etwas inderect.
Bey Symbolen muß die Sache an sich selbst immer eine natür-
liche bedeutung haben, da den recipirte Bedeutungen ganz
davon verschieden sind. Charactere %und Symbole sind sehr
von einander unterschieden. Symbole müßen sehr verhütet
werden, wenn man deutlich seyn will. Einige Charactere sind
Willkührlich, andere natürlich auch conventionel. Worte sind
Willkührliche Mienen %und Ton der Sprache %und sind natürliche
Zeichen. Articulation ist eine künstliche Sprache. Zu ihrer
Vollkommenheit gehöret auch noch die gesticulation %und
der Ton. Es läßt sich leicht begreiffen daß Zeichen für
Sachen genommen sind, %und daraus aberglauben entstanden
z:E: die Himmlischen Zeichen der Thier_Kreiß. Gewiße
aberglauben hafften an Zahlen. Die Kunst förmlich zu
Schreiben muß spät erst erfunden seyn, %und man hat
dieses für Zauberey gehalten, weil man bewunderte
daß ein anderer aus solchen Zeichen etwas Verstehen
konnte. Die Zahlen haben einen großen Wahn her-
vorgebracht. Man hat zwey Heiliche Zahlen, die

/|P_87

/erste hat in Egypten ihren Ursprung, das ist die 7. Die
andere in Thibet %und zwar die 9. Volle Zahlen zu machen
verleitet oft zu Lastern. Geizige lieben sehr die vollen
Zahlen. Jetzt haben wir das Feld der Sinnlichkeit
absolvirt, %und kommen jetz zu dem

/

/ ≥ Oberen Erkenntniss_Vermögen. ≤

/Das obere Erkenntiß_Vermögen heißt auch Verstand hier
werden drey kräffte angenommen 1.) der %eigentliche Verstand.
2.) Urtheils_Kraft 3. Vernunft. Verstand ist das Ver-
mögen zu denken, durch Sinnlichkeit allein können wir
uns mittheilen. Sinnlichkeit %und Verstand müßen ein-
ander begleiten, aber eins kann den Mangel des an-
dern nicht ersetzen. Die Sinnlichkeit ohne Verstand
ist nichts wie leere anschauung. Verstand ist das
Vermögen der Regeln. Urtheils_Kraft das Vermögen
des Gebrauchs der Regeln. Vernunft das Vermögen
der Erfindung der Regeln. Verstand hat der, der da
fahig ist regeln zu empfangen, %und belehrt zu werden.

/|P_88

/Oft fehlt dem Menschen, der viel Verstand hat, %und also auch
gelehrt ist, Urtheils_Kraft. Wenn aus dem Erkenntniß
Vermögen der Regeln schon erhellet, wie sie sollen ge-
braucht werden, so gehöret dazu wenig Urtheils_Kraft.
Wenn eine Regel so beschaffen ist, daß die Anwendung
von ihr selbst unbestimt ist, so gehoret dazu Urtheils
Kraft, um zu wißen ob sie soll gebraucht werden.
Die Urtheils_Kraft zeicht sich sehr machtig, bey den
Ausnahmen der Regeln: empyrische Regeln Verstatten
manigfaltige Ausnahmen, aber nicht die Vernunft
Regeln. Es giebt gewiße Regeln von denen sich die
Fälle gar nicht bestimmen laßen z:E: Höflichkeiten,
laßen sich nach Formeln gar nicht bestimmen. Hier
wirds also der Urtheils_Kraft der Menschen überlaßen.
Urtheils_Kraft kann man nicht lernen, den sie richtet
sich nicht nach regeln, sondern muß jedes Mal
sehen, ob der Fall, unter der Regeln paße. Urtheils
Kraft ist keine Sache der Schule sondern des Mut-
terwizes, %und man kann sie nur in der Welt lernen.

/|P_89

/Alle Regel bedarf Urtheils_Kraft, wegen ihres Gebrauchs.
Ein Mensch ist nicht discret d:i: er hat zwar Verstand
aber keine Urtheils_Kraft. Gescheut seyn heißt Urtheils
Kraft haben. Mit indiscreten Leuten ist es schwer zu
thuen zu haben. Vernunft ist das Vermögen der Er-
findung der Regeln. d:i: der Principien. Wer eine
Regel erfindet verstehet sie am besten. Im beschifften
Meer bedarf der Schiffer Verstand %und Urtheils_Kraft.
Wenn er aber auf gefährlichen %und unbeschifften fährt,
Bedarf er Vernunft. Wiz %und Einbildungs_Kraft haben
nach gesezen der Sinnlichkeit schon Thatigkeit aber Be-
dörfen Verstand, um beyde unter Regeln zu bringen,
%und Urtheils_Kraft sie anzuwenden, denn sonst tändelt
der Wiz %und die Einbildungs_Kraft schwärmt. Der Witz
wird durch die Urtheils_Kraft «ein»gezügelt. Um ein
rechter Narr zu seyn muß der Mensch Witz haben
%und dabey keine Urtheils_Kraft. Verstand ist das
Vermögen das allgemeine zu erkennen. Urtheils_kraft
das Vermögen im allgemeine das Besondere zu
erkennen. Vernunft das Vermögen, zum Besonderen

/|P_90

/das Allegemeine zu finden. Erfahrung kann uns zwar generale
regeln geben, wenn aber die Regeln universaliter seyn sollen
so brauche ich Vernunft. Zum besonderen das allgemeine
finden ist von größter Wichtigkeit. Principien machen
für den Verstand das wesentliche aus. Principien sind
regeln von regeln. Vernunft ist das vermögen der
Principien. Die Principien die man zu seinen Handlungen
sezt, sind maximen. Zur Festigkeit der maximen gehört 1.,
die Untersuchung ob sie auch zu thun sind 2., der feste Vor-
satz sie zu befolgen. Zu jedem Endzweck wird Vernunft
erfordert daß ich erwäge die Principien der möglichen Zwecke.
Urtheils_kraft muß exercirt werden, um daß was man
gelernt hat, gehorig anzuwenden. Auf Acdemien zu
lernen braucht man Gedächtniß und Verstand das Ge-
lernte im Leben anzuwenden, Urtheils_kraft; um weiter
zu gehen als man gelernt hat, Vernunft. Geschick-
lichkeit bestehet im Wißen %und können, hiezu wird noch
Klugheit erfordert, d.i. es an den man zu bringen,
endlich gehört zum Vernünftigen Menschen noch Weis-
heit %und hiezu wird Vernunft erfordert - Der Verstand
erwirbt Begriffe, die Urtheils_kraft berichtigt %und

/|P_91

/Die Vernunft erweitert sie - Es giebt drey regeln an den
Menschen 1., Selbst d:i: frey denken. Ein Aufgeklärter
Mensch ist der Selbst d:i: frey denkt, hiezu gehört Ver-
stand. 2., Aus verschiedenen Gesichts_Punckte zu denken. Der
so denkt ist ein Mensch von erweiterten Begriffen, um dies
zu thun gehört mehr Urtheils_kraft. Das Gegentheil von
dem mit ex«d»tenditen Begriffen, heist «der» ein bornirte Mensch.
Bornirt ist der, der immer aus seinem Standpunckt ur-
theilt, %und nicht vermag in der Stelle <jedes anderen> zu denken, d:h:
so denken daß ich dabey erwäge, wie andere würden
denken. Geographie ist die beste Wißenschaft, das Mensch-
liche Gemüth zu erweitern. Der Mann von erweiterten
Begriffen hat eine Geschärfte %und Berichtigte Urtheils-
kraft. 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig nach
einem Princip zu denken, dies ist das schwerste.
Man nennt dem Mensch consequent %und seine Denkungs
Art consequente Denkungs_Art, der immer nach einen
Princip mit sich einstimmig denkt. Uebung des Ver-
standes verhütet die Unwißenheit; Uebung der
Urtheilskraft Vertreibet die Irrthümer, Uebung

/|P_92

/der Vernunft entdeckt die Quelle der Irrthümer - Bey der Cultur
des Verstandes kommt nicht so viel darauf an, was ich denke
sondern auf denkungs_Art. Alle diejenigen Vorschrifften die
da Bedingungen anzeigen, die lezte Zwecke der %Menschlichen Natur
zu erreichen, sind Gebote. Mangel an Urtheils_kraft ist
warum man den Menschen dumm nennt. Gescheut ist ein
Mensch der Vernunft hat. Redlich ist der, der Ehrlich ist aus
Grundsätzen. Ehrlichkeit ist die Unbekantschaft, schlechte Hand-
lungen auszuüben. Beym Gebrauch der Vernunft findet
der Mensch nicht die Unterhaltung als beym Witz %und Ein-
bildungs_kraft, daher löset er auch gerne die Vernunft
von ihren Posten ab. Aus Neigung beschäftigen wir die Ver-
nunft. Es ist nicht zu tadeln, daß man zuweilen sein
Vernunft ruhen läßt. Zerstreuung hindert oft das Obere
Erkenntniß_Vermögen. Die Oberen %.Erkenntnis «Vermögen» kräfte
erfordert durchaus Faßung des Gemüths, weil wir bey
dieser immer mit regeln zu thun haben. Alle Zerstreu-
ung kan a.) accidentell b.) als habituel angesehen
werden. Erstere ist zuweilen sehr heilsam, es ist eine
abspannung der kräfte, die lange angestrengt waren,
dadurch wird das Gemüth erholet, diese Zerstreuung

/|P_93

/ist Willkührlich - Wechsell der Gegenstände ist auch erholung
des Gemüths. Es erschöpft das Gemüth nichts als die Bestan-
dige Anstrenung der Aufmerksamkeit auf einen gegenstand.
Willkührliche Zerstreuung nennt man dispensation, die Unwill-
kührliche distraction; durch die äußeren Ursachen kann man
distrahirt werden, auch durch innere Ursachen. Die Zerstreu-
ung kann auch habituel werden, dann ist sie ein großes
Unglück. Denken heißt wenn man absicht dabey hat, %und
es anderen sagen kan, nicht denken wenn mans selber
nicht weiß. Der Zerstreuung ist die Samlung des Gemüths
entgegen gesetzt. Man kan sich samlen, wenn die Gedanken
mit wichtigen Gegenstände beschäftigt waren, aber auch
aus inner Gedanken loosen Zerstreuung. Kann man
sich samlen, welches «¿»oft schwer ist. Sich inner Gedank-
enlosen Zerstreuung überlaßen ist Gefahrlich. Die
Gedankenlosigkeit im Schlaf erholet das Gemüth, im
wachen thuts die Promenade, oder die abwendung des
Gemüths, von einem Gegenstand zum anderen. Der
Mangel der Oberen kräfte, der darinn bestehet, daß
sie noch nicht Gebraucht sind, heißt unmündigkeit. Sie
ist Zwiefach 1.) Natürliche wenn es wegen Mangel

/|P_94

/des Alters noch nicht möglich ist. 2.) selbst verschuldete, wenn man
noch nicht gewust hat seine kräfte zu gebrauchen. Unmündich
nennt man den, der nicht die Erlaubnis hat selbst zu denken
oder Willkührlich unmündich der zu Faul %und zu Feig ist, selbst
zu denken %und sich seiner Gemüths_kräfte zu bedienen. Alle
Unmündigkeit ist das unvermögen sich seines eigene«s»n Verstande@s@
ohne Leitung anderer zu bedienen.

/

/ ≥ Von den Krankheiten des Gemüths. ≤

/Einfältig ist der, der nicht nur nicht selbst zu denken vermag,
sondern der auch nicht Faßungs_Kraft hat von anderen belehrt
zu werden. Dumm heißt der, dem es an Urtheils_Kraft fehlt.
Stumpf der keinen Wiz hat. Dummheit ist der Gescheutheit
entgegengesezt. Practische Vernunft d:i: im umgange mit
Menschen, ist Klugheit. Laffe ist der, der alles bewundert,
%und daher leicht betrogen wird. Der Mensch ist ein Kopf oder
Pinsel. Kopf ist der, der selbst denkt, Pinsel, der alles
nachmalt. Ein Geck ist der, der uber alles freuet. Albernheit
sezt immer ein Mangel an Urtheils_Kraft voraus, mit einem
überfluß von Wiz. Thorheit bedeutet %.eigentlich den Mangel
an Urtheils_Kraft bey der Wahl. In ansehung des Werths
der Dinge, wenn man kleine Dinge Gros, %und Große

/|P_95

/Dinge klein schätzet. Ein Thor ist ein Gegenstand der gelinden
%und gutherzigen Satyer. Ein Narr ein Gegenstand des bittern beiß-
enden Spotts. Ein Thor ist belachends Werth, ein Narr aus-
lachensWerth. Der Thor so fern er zugleich hochmüthig ist,
heißt ein Narr. Der Hochmuth ist beleidigend; so wie man
sagen kan, jeder Narr ist hochmüthig, so kann man auch
sagen jeder Hochmüthiger ist ein Narr. Man kann nicht
sagen der Welt ist voller Narren, aber wohl voller
Thoren, denn die Menschen fehlen am meisten in Schätzung
der Dinge. Der Hochmuth ist die Zumuthung daß andere sich
in Verhältniß seiner gering schätzen sollen. Wenn wir
Menschen die Dinge der Welt, selbst Laster mit guter Laune
%und gleich gültigen Augen ansehen können, so ist unsere Ge-
müths_Disposition gestimmt. Kein Mensch kan Verachtung
ertragen, wiewohl er Haß vertragen kann, weil bey haß
der Gedanke von Wichtigkeit überbleibt daß er Schaden
könne, %und erstere ihm allen Werth benimmt. Die Hyphochondrie
ist erstens eine physiologische Krankheit am Körper, zweytens
eine Bloße grille_krankheit. Der Hyphochondrist, ist dem
Gemüthe nach, mit dem Wahnsinnigen einigermaßen
Verwandt, nur daß ersterer sich seiner Vorstellungen
bewust ist. Man verlacht den Hypochondristen weil man

/|P_96

/glaubt daß seine Phantasie willkührlich ist %und also will, daß
er sich derselben entslugen soll, es steht wohl freylich bey
ihm, aber es kostet große Mühe. Der Hypochondrist ist darinnen
unglücklich, daß er von keinem bedauret wird, denn man hält
dies alles bloße für grillenfängerey. Der Grillen krake weiß
daß seine Phantasien nicht wahr sind, er kan sie nur los
werden. Wahnsinnig ist der, der bloße Einbildungen für Würk-
liche Erfahrungen halt. Phantast ist der, der seine Phanta-
sie für mögliche erfahrungen hält. Ein Phantast nach grund-
sätzen ist ein Enthusiast. Man hat Enthusiasten der Freund-
schaft, der Geschlechter Liebe %und des Patriotimus. Die Enthu-
siasten der Freundschaft sind alle misanthropen. - Die
Phantasie nach Grundsätzen macht auf keine weise den
Menschen Verachtlich. Beym Verrückten %und Gestörten stellt
man sich vor, es sey die Seele aus dem sensorio com-
muni herraus gekommen. oder es sey das sensorium com-
mune selbst zerrückt. Der erste Grad der Verrückung
ist wahnsinn d:i: daß der Mensch im wachen, was bloß
in seiner Phantasie <ist, für actualiter hält. Man muß glauben daß beym %.Wahn@sinnlichen@ %.die Phan@tasie@> zu stark sey, aber daß ein Fehler
seinen sinnlichen organe vorgegangen sey, ist nicht
zu glauben, denn er ist zuweilen recht vernünftig nur

/|P_97

/bey gewißen objecten zeigt sich sein Wahnsinn, so daß
er selbst im Wachen nicht Einbildung von Erfahrung unter-
scheiden kan. - Von dem wo er die %natürliche Lage auch aus dem
Standpunkt anderer zu Urtheilen nicht mehr würkt, kann
man sagen daß er schon einigermaßen zerstört sey. Wahn-
sinn weicht am ersten den Artzeney mittel. Wahnwiz ist
eine Art von falschen Princip seine Vernunft zu gebrauchen.
Es giebt verschiedene Arten von Wahnsinn. Der Wahnsinn ist
unter aller Ver«¿»rückungen am wenigsten Gefährlich - Blöd-
sinnig ist der, der Mangel an Urtheils %und Faßungs_Kraft
hat, daß er nicht in bürgerlichen Gesellschaft bestehe«t»n
kan. Unter Tiefsinnige verstehet man gemeinhin melan-
cholishe. Der Wahn wiziger hat keinen Fehler in anseh-
ung seiner Urtheile durch die Sinne, sondern in feinen
Schlüßen - Wiz mit allen regeln der Urtheils_Kraft. Wie-
dersprechenden Grundsatz ist Wahnwiz - In den inneren
Wahnsinn kan ein Mensch leicht verfallen durch die
Beobachtungen seiner selbst - Wahnwiz ist %eigentlich
eine Verkehrtheit, das was innere Erfahrung ist,
a_priori durch falsche Schlüße für äußere Erfahrung zu
halten. Der aberwizige ist dadurch vom wahnsinnigen

/|P_98

/unterschieden daß dieser aus der Erfahrung falsch Schlüße machte,
den aberwizige aber a_priori Schlüße ziehet, %und sie für Wahre
Erfahrung halt: so wie der aberglaube den Wahnwiz nahe kommt
so die schwärmerey dem aberwiz. Es kann mit dem Aberglaube
große Gelehrsamkeit verbunden seyn, nur nicht eigentlich
Philosophie - der Schwärmer denkt sich noch eine ganz aparte
Vernunft. Die Theosophischen Schrifften enthalten lauter Aberwiz.
Der Aberwiz ist die anmeßung einer Erkenntniß a_priori durch
eine unmittelbare anschauende Vernunft. Die wahre Zerruttung
der Vernunft ist nur beym Aberwiz, denn er achtet nicht
auf Erfahrung, %und macht sich einen neuen Gang der Vernunft.
Für sich allein schwärmt wohl kein mensch, er sey denn Ver-
rückt, sondern schwärmerey ist epidemisch %und modisch. Gegen
der Schwärmerey helfen keine Vernunft Principien sondern
das auslachen - Gegen den Aberglauben aber, hilft dies
nicht, sondern da muß man mit Gründlichkeit verfahren.
Ein Mensch hat raptus, dadurch verstehet man die Tauschung
seines Verstandes, die ihm anwandeln, %und von welchen
er nach her einsiehet, das es bloße grillen waren.
Trübsinnig %und Schwermuth ist auch eine Art von Wahnsinn.
Der gesunde Verstand ist allen diesen Krankheiten des
Kopfs entgegen gesezt, er heißt auch sonst der gemeine

/|P_99

/Verstand, nicht darum weil er vulgaris sondern communis
ist - Der gemeine Verstand ist das Vermögen der Erkenntniß
gemäß den Gesetzen der Erfahrung, er gelt also nicht weiter
als ihm die Erfahrung folgen kan. Gemeiner Verstand
heißt er, weil unsere Urtheile zu ihren Probierstein, an-
derer Menschen Urtheil nötig haben.

/

/ ≥ Von der Verschiedenheit der Köpfe. ≤

/Kopf (ingenium) unter ihn wird «alle» die proportion aller
Erkenntniß_kräfte untereinander verstanden. Nicht der Grad
der Erkenntniß_kräfte macht den Kopf beyfalls würdig, sondern
die proportion <worinn sie stehen. Welche proportion> die Menschen haben müßen; den guten Kopf
ist schwer zu bestimmen - Mancher Mensch glänzt wegen die
Disproportion seiner Kräfte weil er bizarre ist - Man benennet
auch die Köpfe nach den Gegenstanden z:E: ein Historischer,
Poetischer Kopf, der %.Philosophische Kopf %und der Mathematischer
sind %.wesentlich von einander unterschieden - Der %.Philosophische
kan seinen Gegenstand nur erhalten, durch allgemeine
Begriffe, der %.Mathematische kan ihn in der Anschauung dar-
stellen. Einen kan einen Empirischen Kopf haben. d:i: er

/|P_100

/kan leicht Erfahrungen %und beobachtungen machen, %und die kleinste
unterschiede durch die Sinne bemerken; der andere einen
Speculativen, dieser weiß mit Begriffen gut um zu gehen.
Fahige Köpfe sind die leicht etwas lernen können. Genies
sind von vorigen unterschieden, sie haben talente in an-
sehung deßen was nicht gelernt werden kan. Einen
allgemeinen Kopf nennt man, der Talente zu allen hat,
doch ragt ein Talent gemeinhin hervor. Wir kommen jezt
zur betrachtung des Genies. Iedes eigenthümliche Talent
heißt genie, doch bestimt diese Definition nicht was
man %.eigentlich darunter verstehet. Genie nennt man den
Mann, der gewißermaßen eine Schöpferische Einbildungs
Kraft hat. Das Genie wird unterschieden von der Fa-
higkeit was zu lernen. Genie ist die originalitaet
des Talents d:i: aus sich selbst groß zu werden
doch wird aus diesem etwas mehr erfordert, Siz: es
muß ein Muster werden können; denn es kan auch
einen original_Narren geben. - Wo verlangt man
die originalitaet des Talents.? Die Einbildungs_Kraft
ist das einzige Vermögen in uns, das gewißermaßen
Schöpferisch ist, ohne eben von der Natur zu copiren. Also

/|P_101

/ist Genie nur erforderlich in product«io»en der Einbildungs_Krafte
%und in Sachen des Geschmacks. Mathematisches Genie kann man
einen nicht nennen, sonder %.mathematischen Kopf. Genies werden gesucht
untern Malern, Bildhaurn %und Musiken pp. - Es kommt von
dem Lateinische«s»n Wort Genius her. Ein Dichter bedarf Genie.
überhaupt bey schönen künsten %und Wißenschaften wird genie
erfordert. Zum genie wird erfordert Freyheit der Einbildungs
Kraft. genie_Affen sind die so ein Privilegium vorgeben; für
die Freyheit der Regeln, denn sich von allen regeln frey zu
sagen %und verwildert zu seyn ist nicht der Character des Genies.
Dem Genie %und der Entwickelung deßelben ist der mechanismus
der unterweisung sehr zuwieder. Wir können unterscheiden
den mechanischen Kopf vom genie, der mechanische Kopf ist was
alltagliches, aber doch nützlicher als das Genie. Genie ist
ein monstreuser Auswuchs des Talents, %und macht epochen.
Das Genie verliert, in seiner Politur immer etwas, aber
auf der anderen Seite gewinnt es; wie ein Marmor.
Das Genie achtet zwar die alten regeln nicht, es giebt
aber neue, das thut aber nicht der Genie_Affe. Genie
Affen giebs neuerdings sehr viele. Der Genie_Affe
verachtet als Naturalist alles was gelernt werden kan.

/|P_102

/Ein Mensch kan nicht sagen daß er ein Genie sey, wenn er
original ist, sondern er muß auch musterhafft seyn, %und
dazu gehört Urtheils_Kraft. Beym Geschmack wird man auf
zweyerley Art satisfacirt. 1.) daß er die Einbildungs
Kraft in freyen schwung sezt. 2.) muß auch die Urtheils
Kraft diese Bewegungen mäßigen, daß der Verstand den Zweck
Bemerken kan. Bey den Producten des Genies wird 1, Empfindung 2, Geist erfordert. Geist ist das Princip
des Lebens, es bestehet in der Harmonie der Einbildungs_Kraft
mit den Ideen des Verstandes so daß der Verstand durch
die Einbildungs_Kraft gehoben wird, %und wiederum die Einbildungs
Kraft durch den Verstand. Urtheils_Kraft mit %.Empfindung
%und Geist zusammen genommen ist Geschmack. %.Urtheils_Kraft ist
Talent. Der Deutschen sind fast zu peinlich an regeln geheff-
tet, %und urtheilen zu streng. Die Italiener sind an der
Stärke der Einbildungs_Kraft überlegen. «¿¿s» Ins Geblüte
sch«l»ießt das Genie am meisten Bey den Franzosen. Jn
der Frucht hauptsächlich bey den Engländern. Den Geschmack
kan man cultiviren durch lesen guten Autoren. Die Stärke
der Einbildungs_Kraft verliert bey der Püncktlichkeit des
Geschmacks. Das Genie nimt mit den Jahren ab. Urtheils
Kraft aber nimmt zu. Es giebt zweyerley versuchungen
beym Genie 1.) den Geist der Allgemeinheit zu affectiren

/|P_103

/2.) die originalitaet des Talents. Frage. Dörfen wir wohl uns
als naturalisten zeigen in künsten %und Wißenschaften <zeigen>? Dies
ist gar nicht zu rathen. Die Schweiz soll das Vaterland
der Selbstlehrer <(Autodidactiker)> seyn, sie machen zuweilen viel Aufsehen
%und verdienen Bewunderung: z:E: Lambert war nicht
auf Academien gewesen, doch sieht man dies in seinen
Schrifften, es ist immer etwas verworrenes darin. Das
Wort Genie wird in viel fachen verstand genommen. Man
kan die Künste mitheilen, in Künste des Fleißes, dies sind
die Handwerke, %und in Künste des Genies, %und dies sind die
eigentliche Künste. In der %.Mathematik ist nicht originalitaet
der Qualitaet sondern der Quantitaet. Deswegen kan man
den Newton nicht genie nennen. Es giebt bis weilen früh
kluge Leute sie verfallen aber nacher in mittelmäßge,
an Menge des Wizes wachßen sie, aber nicht an Grad
von Gewohnheit, Habitas, Fertigkeit kan eine würkung
der Natur_Gaben seyn, auch eine Würkung der öftere
Ubung seyn. Gewohnheit ist die Leichtigkeit etwas zu
thuen. Angewohnheit ist die Nothwendigkeit etwas zu
thun, also sind beyde von einander sehr unterscheiden.
Angewohnheit sind alle übel, auch selbst die guten denn
die Handlungen geschehen nicht aus Grundsätzen. Die
Natur hilft manche Angewohnheit ertragen, ja nothwen- 

/|P_104

/dig machen z.E. der Gebrauch des Opiums der Indianer, der
den Europaer gleich tödten wurden. Etwas gewohnt zu wer-
den ist zuweilen uns nicht lieb, zuweilen Trost. - 

/

/ ≥ Vom Gefühl der Lust %und Unlust. ≤

/Vom Begehrungs_Vermögen. Unsere Vorstellungen kommen
Gröstentheils von den Gegenständen, %und heißen Empfindungen.
Es können auch umgekehrt die Vorstellungen Gegenstände
hervorbringen, %und dies Vermögen nennen wir Begehr-
ungs_Vermögen. Alle Vorstellungen haben was objectives,
sie haben aber auch zur Bestimmung meines Zustandes et-
was subjectivus, denn heißen sie Empfindungen. Es ist
keine Empfindung bey der wir nicht Lust oder Unlust hät-
ten. Daß bloße verhältniß einer vorstellung zum Object
nach welchen das Verhältniß ein Grund ist, diese Vor-
stellung zu erhalten, ist Lust. Was ein Gegenstand
der Lust ist gefällt, der Unlust misfällt. Auch die Bloße
Vorstellung gefällt, ohne das der Gegenstand empfund-
en wird. Das Wohlgefallen ist entweder am Gegenstand

/|P_105

/oder auch an der existenz des Gegenstandes, ersteres heißt
gefallen, zweytes Vergnügen. Indifferent bin ich wenn ich
weder Lust noch Unlust empfinde. Das angenehme %und unan-
genehme gefällt %und misfällt blos in der Empfindung. Es
ist ein großer Unterschied, ob der Gegenstand, oder die
existenz des Gegenstandes gefalle oder misfalle. Das
Wohlgefallen an der existenz des Gegenstandes ist das
Vergnügen. Es gefällt manches ohne das es Vergnügt.
Ia, es kann wohl Schmerz erregen %und doch gefallen. Die Tu-
gend gefällt über alles. Beym Schönen %und Guten gefällt
das Object, ohne zu fragen ob die existenz des Objects
gefalle wir konnen bey der existenz ganz indifferent
seyn. Sehr oft gefällt der gegenstand %und die existenz
desselben misfällt. Das Vergnügen ist das Gefühl
von der Beforderung des Lebens sezt auch eine Hinder-
niß voraus %und die hebung der Hinderniße ist die
Beförderung, hieraus fol«l»gt daß der Schmerz muß
vor dem Vergnügen voraus gehen. Der Mensch ist
Glücklich der ein mittel hat, wieder den Stachel
der uns immer aus einen Zustand in den anderen
treibt, welches ein nahmenloser Schmerz ist. Weil

/|P_106

/Beym Schmerz uns die Zeit länger wird als beym Vergnügen
so müßen wir beym Schmerz ein Stärkeres Gefühl unseres
daseyns haben, er ist also der wahre Zustand des Lebens.
Der Schmerz ist die Empfindung die den Menschen treibt,
seinen Zustand zu verlaßen. Kein Vergnügen kann un-
mittelbar aufeinander folgen, sondern es muß der
Schmerz dazwischen mischen. Der Mensch nennt den Zustand
mit allen Übeln an den er sich gewohnt hat, Glücklich. Die
Zeit wird uns kurz, d:h: wir vergeßen unsere existenz.
Welche von beyden %.Philosophischen Secten möchte wohl mehr wahr-
heit für sich haben, die epicurische oder Stoische? Die epi-
curische Schule nahm an, daß das Vergnügen im Leben
positiv sey. Die stoische nahm an, daß es kein wahres
Vergnügen sey, sondern nur eine Aufhebung des immer-
währenden Schmerzes, diese sagt, das Herz gegen
den Schmerz zu Stählen, ist der Weg zur Glückseelig-
keit. Der Stoicker hat ungemein recht. Empfindsam
seyn, heißt das Vermögen haben, zu empfinden.
Empfindlich ist der, bey dem eine jede Veränderung
aufs Gemüth«s» Eindruck macht. Ein Mann muß
empfindsam seyn, damit er Großmüthig sey, aber

/|P_107

/nicht empfindlich. Lehre. Sucht Euch durch cultur gegen das Übel,
auch gegen das Gute empfindsam zu machen, damit Ihr nicht
empfindlich werdet. Positive Vergnügen müßen wir so wenig
achten, als uns durch positive Schmerzen bewegen laßen.
Innere motion welche durch lebhaften discours bewürkt wird
%und vorzüglich Hypochondristen zu empfehlen ist, ist viel heil-
samer %und stärker, als stundenweise Holz sägen. Gleichgültigkeit
heißt entweder Unempfindlichkeit %und bestehet nicht mit dem Leben
oder die Erhaltung des Gleichgewichs zwischen vergnügen
%und Schmerz, so daß man keines von beyden recht fühlt.
Gleichmüthigkeit ist die Beharrliche Selbstzufriedenheit,
da man durch Glücks_umstände weder in große Freude
noch Traurigkeit gesezt wird. Der wahre vorteih des Geldes
ist entweder von anderen unabhangig seyn zu können,
oder gutes zu stiften. Der Launische Zustand ist der
Gleichmüthigkeit entgegengesezt. Launisch heißt eine
unbeständige Gemüths_Disposition, wo man bald zur
Freude, bald zur Traurigkeit Disponirt ist. Zum Ver-
gnügen ist durchaus abwechselung nöthig %und diese fin-
det vorzüglich bey der Arbeit Statt, sie giebt einen
wahren Genie dafür müßen wir aber sorgen daß wir
unser Vergnügen immer steigern können. Die Iugend

/|P_108

/muß sich dem Vergnügen entsagen, um allmälich steigern
zu können. Schmerzen können oft durch Schmerzen ver-
trieben werden, sie müßen aber von anderer Art
seyn. Hat man in seiner Jugend viel Vergnügen Ge-
noßen, so wird man unfahig mehr zu genießen.
Unter den angenehmen ist unterschied zu machen. Alle
Annehmlichkeit ist entweder im vorschmak, %und diese
beruhet auf Einbildungs_Kraft, oder im Genuß, %und diese
ist Empfindung oder im Nachschmack. Der Vorschmack ist
gemeinhin Tauschend. Ich kan das Vergnügen im
Vorschmack nicht eigentlich Vergnügen nennen wenn
ichs nicht mit dem Nachschmack verknüpfen kan.
Das Vergnügen durch genuß, wird erst verschönert
%und vergrößert durch Nachschmack. Gesellschaft kan
viel Vergnügen schaffen das mit cultur verbunden ist.
Zur Gesellschaftlichen Unterhaltung bey tische Gehören
3 Stücke 1.) erzählen 2. raisoniren %und 3. Scherzen. Eine
gute Gesellschaft %und eine gute Mahlzeit bringen die
wahren Vergnügen des %.Menschlichen Lebens. Gelag ist
die Gesellschaft, deren Discours niemals kann

/|P_109

/allgemein werden, dies ist aber Zweckwiedrig, denn der
Discours muß bey Tische gemeinnüzig seyn daher auch
eigentlich nicht mehr als 13 %und weniger als 3 Personen, da-
bey seyn müßen. Ein Mensch ist Gesellschaftlich oder
Gesellig. Gesellschaftlich ist der dem es in Gesellschaften
gefällt, von diesem wünscht man oft daß er zu Hause
geblieben wäre. Einem Menschen der nichts zu thu«t»n hat,
wird die gegenwärtige Zeit unmäßig lang, die vergange-
ne sehr kurz. Hingegen einen Mann von Geschäften, ver-
gehet die gegenwärtige Zeit geschwind, %und die Rückerriner-
ung der Zeit ist ihm lange. Einem geschäftigen Manne
ist immer die Zeit zu kurz, ein Iahr ist im «ä»aber lang,
denn er erinnert sich viel gethan zu haben. Wenn der
Mensch seines Lebens nicht überdrüßig sondern satt seyn
will, so muß er arbeiten, denn als denn sieht er, wenn
er auf sein Leben zurück blickt, was er gethan hat
%und halt sich befriedigt. Die Länge der Zeit schäzzen
wir nach der Menge der Gegenstande die wir wahr-
nehmen. Lange Leben heißt viel verrichten, viel
thun, seine Zeit verkurzen heißt viel arbeiten.
Glückselligkeit als Genuß betrachtet, ist ein Wort

/|P_110

/ohne Sinn. Glückselligkeit ist kein Genuß, sondern ein Über-
schlag, daß unsere existenz einen Werth habe. Zufriedenheit
können wir nur durch das bewust_seyn unseres eigenen
Wohlverhaltens erhalten. Zufriedenheit mit seinem eige-
nen Verhalten find nur statt bey Thätigkeit. Die finstere
Laune taugt zu nichts wenn sie auch aus moralischen
Ursachen entstände. Heraclit: weinte über %.menschliche Ver-
gehungen, Democrit lachte. Welchem von beyden könnte
man Beyfall geben? Ersteres scheint mehr lobenswürdig
zu seyn, dann lezteres scheint Schaden Freude zu haben.
Das Laster kann einerseits als object des Haßes, an-
derseits als ein object der Verachtung angesehen wer-
den, ersteres weil es den Menschen von seiner Pflicht
abbringt, zweytens weil immer etwas ungereimtes
darin liegt z:E: wenn jemand Geld sammelt um es
so gut zu haben als andere, %und sich doch deßelben
nicht bedienen. Man kan die Vergehungen %und unge-
meinheiten z:E: eines Undankbaren in sehr belach-
enden Lichte stellen. Oft betrüben sich die Leute
um den Verlust eines Flitterstaats, so daß man

/|P_111

/dem Democrit recht geben kann. %.Frage Welcher Laune soll
sich der überlaßen, der die menschlichen Laster %und Übel über-
schlägt? Moralitaet bey guter Laune ist weit vorzuziehen
der moralischen Strenge bey mürischer Laune. Die Übel
des Lebens haben gar nicht die Wichtigkeit daß man
sich deshalb der Schwermuth überlaße. Die Verachtung
ist dem Lasterhafften empfindlicher als Belachung %und Haß.
Die Traurigkeit ist eine Art von Undankbarkeit gegen Gott.
Eine Gemüths_Disposition von guter Laune ist das beste
auf dieser Welt, wer diese hat wird nie unglücklich seyn,
auch nicht mit seinen kleinen Antheil. Die muntere Laune
ist fast jederzeit gutherzig %und macht es auch. Die Aus-
drücke zu Gemüthe ziehen %und zu Herzen ziehen, scheinen
einerley zu seyn, sind aber verschieden. Zu Gemüthe
ziehen heißt die unwillkührliche richtung der Aufmerk-
samkeit auf ein Übel, welches abzuändern doch nicht
möglich ist. Das Gegentheil hievon wäre sich etwas
aus den Gedanken schlagen. Der sich oft etwas zu Ge-
müthe ziehet, zeizt daß er nicht Herrschaft über
sich selbst habe. Man muß sich nichts zu Gemüthe
ziehen auch nicht das moralische Böse, denn dies ist
eine vergebliche Art von selbst Quaal. Zu Herzen kan

/|P_112

/man sich manches ziehen. Jch nehme etwas zu Herzen so fern
ichs mir vorstelle als nothwendig zu meiner Zufriedenheit.
Ich nehme zu herzen des anderen wohl, wenn ich etwas dazu
beytragen kan. Eigentlich haben wir Ursache nichts wie unsere
Handlungen %und nicht das physische Gute zu herzen zu nehmen
Vergnügen daß zugleich cultur ist heißt ein edles Vergnügen
d:i: was unsere Talente zu guten Handlungen schärft.
Alle geselligen Guten Unterhaltungen von guter auswahl,
wo wir durch Anständigkeit gebunden sind, sind von der
Art. Es ist nichts geschmackvolles was nicht zu gleicher
Zeit cultur wäre. Alle Beschäfftigungen im Spiel, so fern
sie zugleich cultur ist, ist geschmackvoll. Vergnügungen
mit Geschmack machen immer fähiger mehr zu genießen
Auf der anderen Seite, sind Vergnügungen die nicht cultur
sind, sondern abnuzung %und Beschöpfungen. Dies sind die
tischen Vergnügungen, als Besaufen, vagolibido pp. Der
hang zu Vergnügungen, die zugleich verminderung
unsere Vermögen sind, ist Luxurieus. Der hang zu Ver-
gnügungen die da cultiviren d:h: mit geschmack ist
Luxus. Der Aufwand des Entbehrlichen zum Nachtheil
des Nöthigen ist Üppigkeit. Ein entbehrlicher Aufwand
ohne Geschmack ist Luxurieus, es herscht hier immer

/|P_113

/Menge. Z.E: bey einer Bauren_Hochzeit. Ein entbehrlicher
Aufwand mit geschmack ist Luxus. Den Luxus einzuschränken
taugt nicht, %und ist nicht recht, auch der Geschmack würde
sich von der Nation verlieren. Der Gegenstand kan angenehm
seyn, %und die Freude doch unangenehm z:E: eine Erbschaft
von einem guten Freunde wenn man dürftig ist. Die Freude
eines Adjunctus über den Tod seines vergangeners den er
liebte, dies nennt man bittere Freude. Oft ist uns der
Gegenstand unangenehm, so daß er Schmerz hervorbringt %und
der Schmerz gefällt doch, dies nennt man einen süßen
Schmerz. Hier ist das Wohlgefallen am Schmerz blos
moralisch z:E: die reue ist was schmerzhafftes %und wird
für was verdienstliches gehalten, weil sie vom guten
character zeigt. Nicht allein daß wir zuweilen an unserem
Vergnügen Schmerz haben, %und an den Schmerz Vergnügen,
wir können auch noch überdem an unseren Vergnügen
gefallen haben, %und an unseren Schmerz misfallen. Dem
Menschen gefällt oft nicht allein z:E: eine Bilder Gale-
rie, sondern auch sein Geschmack in der Beurtheilung
der Gemälde. Der Schmerz kan für sich selbst misfallen
z:E: Jemand der Schmerz hat, über die Versorgung
eines anderen, hier schmerzet ihn sein Schmerz. Ein
selbst erworbenes Vergnügen, Vergnügt doppelt.
Ein Schmerz mit dem Bewust_seyn daß wir selbst daran

/|P_114

/schuld sind, betrübt doppelt. Das eigentliche betrüben beym
Vernünftigen Mann bestehet darinn daß ihm wiedrige Zu-
falle zustoßen, sondern wenn er selbst schuld ist. Ist un-
schuldig leiden erträglicher als schuldig leiden? Beym
unschuldig leiden <so wohl als beym schuldig leiden ist Schmerz, Unschuldig leiden> kan entrüsten gegen andere. Schuldig
leiden entrüstet gar nicht, dies bringt Niedergeschlagen-
heit hervor. Es hat also beydes seine Grunde aber auf
verschiedene weise. Beleidigungen können die Menschen
gar nicht ertragen, schon beym kinde sehen wir dies.
Vergnügen wächßt durch vergleichung anderer Leidenden, %und der
Schmerz wird vermindert durch vergleichung anderer Leidenden.
Ersteres führt ziemlich gerade auf die Schaden Freude, doch
einen grad hievon vermehrt würklich das Vergnügen. Dies
lehrt die Erfahrung, aber die Würze zum Vergnügen aus
den Leiden anderer zu nehmen ist nicht gut. Der Schmerz wird
erleichtert wenn man denkt es hätte können noch größer
werden. Auch ein Vergnügen kan uns größer werden, dadurch
daß man denkt es hätte uns schmaler werden können zu geme@ßen.@
Jm Unglück nicht schwach %und verzagt seyn im Glück nicht
weichlich %und übermüthig. Dies ist eine Regel im Schmerz
%und Vergnügen. Das continuirliche Übel scheint dem

/|P_115

/Menschen dienlicher zu seyn, als immerwahrendes Glück. Denn
im Unglück bietet der Mensch alle seine Kräfte auf, dem
Übel zu wiederstehen. Wir gehen jetzt zum gefühl des angenehm-
en %und zum Geschmack des Schönen. Was im Geschmacks_Urtheil
gefällt heißt nennt man schön, was misfällt häßlich. Ein
Urtheil über das angenehme %und Unangenehme soll nur privat
gültig seyn, über das schöne %und häßliche soll allgemeingültig
seyn. Von dem was für jederman gelten soll sind zwey Arten.
Der Unterscheidungs_Grund des allgemeinen Wohlgefallens
ist etwas, blos subjectiv oder auch objective. Das was aus
subjectiven Gründen aber doch allgemein gefällt ist das Gute.
Wenn der Grund des allgemeinen Wohlgefalles im subject
liegt, so ist das Gute schön. Das Gute hat allgemeine Gül-
tigkeit für alle Vernünftige Wesen. Zur Unterscheidung des
schönen %und häßlichen gehöre«n»t Übereinstimmung der Sinne mit
dem Verstand %und dies ist Geschmack. Zur Unterscheidung des
Angenehmen %und Unangenehmen gehöret blos der Sinn, zur
unterscheidung des Guten gehört Vernunft. Geistigen Wesen
würde nichts schön seyn, weil ihnen der Sinn fellt. Wir
beziehen durch Geschmack alles auf den allgemeinen Sinn.
Das schöne wird auch immer mit für fremde Augen ge-
wählt. Ohne Verstand hätten wir keinen Geschmack, so

/|P_116

/auch keinen ohne Sinnlichkeit. Beym lezterem hätten wir gefühl
des Angenehmen. Obzwar die Sinnlichkeit so beschaffen ist,
das wir den Grund des Wohlgefallens aus dem subject zie-
hen müßen, mithin durch Demonstration die schönheit nicht
beweisen können, sondern jeder es selbst fühlen muß so ist
doch das sonderbare daß ein Urtheil ist, daß für jeder man
gelten soll. Sprüchwort: Ein jeder hat seinen Geschmack,
d:h: ohne tadeln zu können, gefällt einem des anderen Geschmack
nicht. Dies ist ein absurder Satz, denn der Geschmack muß
für jederman gelten. Der Geschmack ist das Fu«d»ndament
der Geselligkeit. Ein jeder hat seinen Geschmack, daß ist
der Grund_satz, der Ungeselligen, oder derjenigen die keinen
Geschmack haben. Gehör %und Gesicht sind die Sinne in deren
rücksicht besonders der Geschmack gillt. Der Geschmack
gehöret zur cultur %und moralischen vollkommenheit, denn
wenn nur erst jemand am schönen Wollgefallen findt
so erhällt er auch bald Empfindung fürs Gute, wenigstens
praeparirt es ihn zum Guten, %und ist ein Übergang dazu.
Ein Übergang zum Begriff des Luxus. Luxus ist die
Annehmlichkeit am Entbehrlichen so fern es dem Bedürfniß
Abbruch thun, aber mit Geschmack. Ohne Geschmack ist

/|P_117

/Luxurieus. Ersteres hat etwas gutes, zweytes ist wildes
Schwelgerey. Luxus kan Arm machen, luxureus Krank. Aus
finanz_principien kan man wieder den Luxus schreyen, aber
aus moralischen nicht. Er kan wohl viel Elend nach sich
ziehen, dadurch daß man nur aufs entbehrliche Geht, %und das
Bedürfniß aus den Augen sezt. Luxus ist die Neugung zum
Wohlleben mit Geschmack, ohne Geschmack Luxurieus. Dieser er-
niedrigt den Menschen. Die größte müßigkeit entspringt durch
den Luxus, weil man seinem Munde viel vorsagt, um es
auf den anderen Seit anzuwenden. Fastus ist ein groß-
thürrey mit dem besitz der Mittel die Man im Wohlle-
ben hat, diese zeigt sich in Orient. Auch in Pohlen sieht
man noch einen gewißen Fastus. Luxus befördert die
Künste der Industrie, %und ein Staat ist desto blühender
je mehr darinn gearbeitet wird. Die angemeßenheit
des Wohllebens zur Geselligkeit nennt man die gute
Lebens_art. Ein Mensch weiß nicht zu leben, wenn er
auch viel Geld verschwendet, daß doch nicht zur %.Geselligkeit
beyträgt. Fastus ist eine Prahlende Eittelkeit mit dem
Übermaaß seines Vermögens, ohne daß man Geschmack
zeigt. Wo ein wahrer Geschmack soll Herrschen, da muß
nicht viel Kosten hervorstechen. Sparsamkeit ist ein

/|P_118

/Haupt_erforderniß zum guten Geschmack. Wenn Kunst wie Natur
aussieht gefällt sie. Das Geschmacks_Urtheil ist ohne alles
Interesse. Die Geschmacks_Neigung hat Interesse an Gegenstan-
den des Geschmacks. Reitz gehet blos aufs Gefühl, mit-
hin «¿¿»Auf «¿¿»die «¿¿»Quellen der Neigung, Schönheit blos auf Urtheils
Kraft. Geschmacks_Neigung ist Neigung zu Gegenständen
des Geschmacks. Geschmacks_Neigung findet nicht in der
Einsamkeit statt, in der Gesellschaft ist sie nöthig. Ge-
schmacks_Neigung muß nicht bedürfniß werden, sonst
macht sie den Menschen unglücklich. Geschmacks_Urtheil
gehöret zum Verdiest eines Menschen. Einige Gegen-
stände des Geschmacks, sind mehr die allgemeinen Mit-
theilung fahig, andere nicht. z:E: was ich höre %und sehe
können viele andere mitgenießen, hingegen was ich
Trinke können nicht viele zugleich genießen. Die Mit-
theilung des allgemeinen Wohlgefallens, giebt den
Gegenständen einen so hohen Werth. Wenn wir bey
jemanden einen Mangel des Geschmacks finden, so
schließen wir auf den Mangel des Cultur. Verdienste
vergüten aber den Mangel des Geschmacks. Mode ge-
höret zwar zum Geschmack, sie giebt aber keine Regel

/|P_119

/dazu. Griechen %und Römer waren so große Muster des Geschmac@ks.@
Die Ursache davon ist, weil die Weiber ihn nicht angaben.
Zur Geselligkeit gehöret aber doch der Geschmack der von
Weibern angegeben wird. Der Gesellschafts_Geschmack ist
auch in neuern Zeiten, weit beßer als bey den Alten. Das
Frauenzimmer_Urtheil gehet nicht aufs Erhabene, son-
dern nur aufs Niedliche. Die Beschaffenheit des Zeit-
alters, der Hang zur Democratie, erhob bey den Alten
den Geschmack so sehr.

/

/ ≥ Vom Unterschiede des Bösen %und Guten. ≤

/Das was durch die Vorstellung des Verstandes gefällt, ist
gut, %und muß jedem Vernünftigen Wesen gefallen. Was durch
die Vorstellung der Sinnlichkeit gefällt; ist angenehm. Das
Schöne ist mit dem Guten in gewißer natürlichen Verbin-
dung. Das Schöne ist die Leitung zum Guten. Kein Neigung
ist mehr verführerisch %und dem Menschen angenehmer, als
die Neigung zum Geschlecht. Was gut ist Kan mittelbar
auch unmittelbar gut seyn. Das Schöne wird unmittelbar
gefallen. Was gut ist, als mittel ist an sich selbst nicht
gut, sondern inderecte. Nützlichkeit ist eine Art von Gute@s.@

/|P_120

/Das Schöne ist oft so, daß es ganz unnutz ist. Das gute das mittel-
bar gefällt ist das nützliche. Das gute was unmittelbar durch
durch den Verstand gefällt ist das moralische gute. Das gute
muß sehr oft dem Schönen nachstehen. Wahre solide Schönheit,
muß sich mit dem Nützlichen vereinigen laßen. Und der rechte
Geschmack ist, wenn das Schöne mit dem Nützlichen verbunden
ist. Wo die mode sich einmengt, hört aller wahre Geschmack
gleich auf. Die Höflichkeit gehört zum Guten, so fern sie eine
gefälligkeit gegen andere ist, da sie aber nicht immer eine
wahre Willfährigkeit ist, sondern nur der äußere Schein, so
gehöret sie zum Schönen. Man unterscheidet das Gute vom
großen z:E: einen guten Fürsten von einem großen Fürsten.
Das gute beruhet auf die Qualitaet der gesinnungen, das
große aber auf die Quantitaet. Woher stätz man oft die
geschicklichkeit höher, als die gute Denkungs_Art? Man
betrachtet dies aus einen anderen Gesichtspunckt, %.innerlich
schätzt man die gute Denkungs_Art höher, doch zieht man
jene vor, weil eine gute Denkungs_Art nicht so viel ge-
hört, als ein großes Talent, überdem weil Talent als
mittel Nützbar ist. Das gute ist im zeit alter des Luxus
nicht in großen ansehen. Das Schöne überwiegt denn es
ist mehr gesellig als das Gute. Die Natur hat das gute
%und böse so untereinander gemischt, daß man gewünscht hat

/|P_121

/sie möchte den Guten von Bösen absondern, daß er allein leben
könnte, aber dies ist eben der Wetzstein, daß ein guter mit viele
Böse«r»n umgeben ist, %und sein Werth wächßt, denn dadurch daß
der Gute vom Bösen gehindert wird, erlangt er moralische
Stärke.

/

/ ≥ Vom Begehrungs_Vermögen. ≤

/Begierde ist die Thatigkeit, die uns dem Wohlgefallen an der
existenz eines Gegenstandes entspringt. Wir Begehren etwas,
heißt, wir wenden unsere Kräfte an, daß würklich zu machen,
deßen existenz uns gefällt. Leben ist das Vermögen nach
Begierden zu handlen. Die bedingte innere möglichkeit heißt
Hang. Beym Hang sezze ich nicht voraus, daß jemand was
begehrt, er darf den Gegenstand nicht einmal kennen, er
würde aber Hang haben, wenn er nur den Gegenstan kennen
würde. Der Hang geht vor der begierde voraus. Dem an-
gebornen Hang nach, sind Menschen von einander sehr
unterschieden. Man hat nöthig bey Kindern dem Hang ent-
gegen zu arbeiten. Instinct ist dem Hang entgegengesezt.
Instinct ist eine Würkliche Begierde, die auf etwas gehet, wo-
von der Gegenstand noch nicht bekant ist, %und ihn also nöthigt
ihn zu suchen. Neigung ist die begierde die einen bestimten

/|P_122

/Gegenstand hat. Man nennt auch Neigung eine habituelle, d:h: dau-
rende Begierde. sie darf nicht immer in Handlung aus brechen.
Eine Neigung entspringt nicht anders wie aus Übung. Alle
Begierden legen uns ein Bedürfniß auf. Habituelle Begierde
hat habittuelles bedürfniß. Neigungen zu haben ist kein glück
sie erregen bedürfniß. Man sagt ein Mensch hat keine Nei-
gung d:i: er hat keine Triebfeder zur Thatigkeit. Der Mensch
muß durch Uberlegungen, %und nicht aus Neigung, zur Tha-
tigkeit gelangen. Neigungen haben wir zum angenehmen.
Zum Guten wurden wir wohl «keine»leicht Ursprüngliche Neigung
haben. Selbst aufs gute gerichtete Neigungen, sind herrsch-
ende Begierden, %und nicht der rechte Zweck. Leidenschaft
ist die Neigung welche uns unvermögend macht, der ge-
gegenstand derselben im Verhältniße mit unserer Nei-
gungen zu schätzen. Affect hat mit der Leidenschaft ge-
wiße Ähnlichkeit. Man hält oft Affect für ein Synoni-
mum der Leidenschaft. Affect ist das Gefühl das uns
unvermögend macht, den Gegenstand deßelben, in Ver-
hatniß der Summa unseres gesammten Gefühls, zu schätzen.
Es ist ein großer unterschied zwischen beyden. Neigungen
kan man in formale %und materiale eintheil. Formale
Neigungen sind begierden, die auf bedingungen gerich-
tet sind unter denen wir alle unsere Neigungen

/|P_123

/befriedigen. Die Formalen müßen die stärksten seyn, weil
sie aufs allgemeine gehen. Die materiale Neigungen
gehen auf einen bestimmten Gegenstand. Der Trieb zur Frey-
heit, %und zum besitz eines Vermögens sind die 2 formale
Neigungen. Freyheit ist die negative bedingung, der
befriedigung aller unserer Neigungen, ist also die be-
förderniß, wenn man nicht frey ist, kan man seinen
Neigungen nicht nachleben. Der besitz des Vermögens
ist die positive bedingung der befriedigung aller un-
serer Neigungen. Freyheit ist unter diesen formalen
Neigungen weit wichtiger, als das Vermögen, denn
ohne Freyheit kan man nie glücklich seyn. Vermögen
ohne Freyheit ist nichts, denn ohne derselben kan
ich von meinem Gebrauch machen. Was Freyheit für
ein wichtiger Gegenstand ist, kan man am Menschen
im Wilden Zustande bemerken. Wenn ihm auch nichts
geschieht, so hält er sich doch durch die, so um ihn sind,
eingeschränkt. Die Neigung zur Freyheit, weicht nie
vom Menschen; zwar kan er einigen Zwang gewohnt
werden, er muß ihn aber sich selbst auflegen. Der
Mensch kan weder wohl denken noch aus guten Grund- 

/|P_124

/sätzen der nicht frey ist. Die Freyheit ist viel fältig ein Wahn.
z:E: die Freyheit die darinn bestehet, daß man nicht arbeiten darf.
Beschäftigungen die nicht mit einigen Zweck verbunden sind, be-
sezen die Zeit nicht so gut. Dies ist aber immer ein selbst ge-
wählter Zwang. Wir können aber noch die Wilde Freyheit
von den bürgerlichen unterscheiden. Erstere ist ohne alle gesezze
%und Einschränkungen, %und diese ist voller Übel. %.Bürgerliche Freyheit
ist «oft», wo jedes Menschen Freyheit so eingeschränkt wird, daß
des anderen Freyheit mit dabey bestehen kan. Freyheit ver-
edelt den Menschen. Nur wenn er frey ist, ist er eine Person,
wenn er nicht frey ist, eine Sache. Es kan auch ein Freyer
Müßig gänger seyn. Alle Faule Leute halten sich für edel
z:E: Polen, Spanier. Die Griechen nannten alle Völker Ba-
baren, weil sie nicht frey waren. Hier war aber %.Bürgerliche
Freyheit zu verstehen. Wo der geschmack von Freyheit
gewohnt ist, legt er sich nicht mehr ab. Fürsten sollten
bey ihrem Volk, wenigstens die Meynung von Freyheit
erhalten, wenn es auch nicht reale Freyheit hat. Denn
diese Meynung veredelt das Volk sehr, ohne sie wird
es Niedrig. Der 2te Punckt ist das Vermögen. Ver-
mögen ist der besitz der Mittel, die befriedigung
aller seiner Neigungen sich zu verschaffen. Alle

/|P_125

/unserer Neigungen können wir durch den beystand anderer
Menschen befriedigen. Vermögen bestehet darinn einen Einfluß
auf anderer Menschen zu haben, um sie zu unseren Absichten
zu gebrauchen. Man hat Einfluß auf andere Menschen 1.)
durch Ehre %und Meynung die sie von mir haben 2.) durch Ge-
walt 3) durch Geld: Geld ist das sicherste unter allen, %und da-
her hat Mans auch Vermögen genannt genannt. Ich lenke sie
durch ihren Eigennutz. Nach der Natur ist das wahre Ver-
mögen, Verstand mit sittlichen Grundsätzen. Formale Nei-
gungen sind die kein object haben, sondern sich nur mit
dem Zustande des subjects beschäftigen. Der Besitz der
mittel zu beliebigen Zwecken, ist Vermögen. Alles Vermö-
gen reducirt sich auf Ehre, Gewalt %und Gelt. Diese drey
Vermögen sind die drey formale positiven Neigungen zu
befriedigen. Diejenige Täuschung, nach welcher wir das, was
nur mittel zu anderen Zwecken sind, unmittelbar zum Zweck
selbst machen ist Wahn. Die Neigungen zu Ehre, Gewalt
%und Geld, arten bey den mehresten in Wahn aus. Die Be-
gierde nach Ehre, nach dem Tode, ist Wahn. Derjenige ist
bestrebt nach mittel, %und macht sich zu Zwecken. Was die Gewalt
betrifft, so könnte man dies die hoheits Wahn nennen, die-
ser sezt, so wie der Ehren wahn, anfänglich die Macht als
Ehren mittel an, %und brauch sie zulezt statt Zweck, Geitz
ist eine Art von Reichthums Wahn. Man kan daß

/|P_126

/Geld nie brauchen ohne es zu verbrauchen %und der es ausgiebt
büßt es schon als mittel ein. Das Geld hat keinen anderen
Werth, als nur als mittel. Der Wahn des Reichthums ist
eine Tauschung wo man das Geld für Zweck halt. Er ist
niedriger als die beyden ersteren. Wenn diese 3 Neigung-
en zu Leidenschafften werden, so bekommen sie den Nahm@en@
Sucht, Ehrsucht, Herrschsucht, Habsucht. Sie können am mei-
sten wütend werden im Menschlichen Gemüth %und können
nicht ausgerottet werden, sondern wachßen noch. Die Geld-
sucht kan am wenigsten ausgerottet werden. Wieder
die karge Habsucht, vermag die Vernunft nichts. Wir
haben hier von den formalen Neigungen ohne bestimmten
Gegenstand geredet, jetzt von den materialen mit
bestimmten Gegenstand. Die bestimmte Gegenstand unserer
materialen Neigung ist Glückseligkeit. Die Glücksellig-
keit ist a.) positiv d:i: Wohlleben b.) negativ d:i:
Gemächlichkeit. Die Gemächlichkeit ist wieder zwiefach
1.) Entfernung von Arbeit 2.) von Unruhe %und Schmerz. Das
Wohlleben kan entweder seyn, das Wohlleben bestimmter
begierden, welches ein bestimtes object haben, oder un-
bestimte begierden, die kein bestimtes object haben.
Der Ausdruck zu leben wißen, zeigt an, daß nicht jede@r@
Mensch der auch mittel hat, weiß, was die Glückselig- 

/|P_127

/keit ausmache. Das Wohlleben kan beßer eingetheilt wer-
den a,) in das Wohlleben des Genußes. b.) des Zeitver-
treibes. Beym ersteren suchen wir die Zeit zu genießen
d:h: die Zeit zu verlängern; beym Zweyten wünschen
wir uns der Kürze der Zeit bewust zu seyn. Eine Menge
von Beschäfftigungen thut der Mensch blos, aus Zeitver-
treib, dies beweißt, daß die mit vielen Unannehmlich-
keiten belästiget ist. Auf gewiße Stelle des Lebens
wünschen wir zu hafften, bey anderen drüber wegzuhüpfen.
Die Deutschen lieben lange Mahlzeiten. Nahrung %und Ge-
schlecht sind 2 Arten des Genußes, die die Kräfte er-
schöpfen. Gesellschaftliche Unterhaltungen können einen
gewißen genuß geben, wo wir wünschen können, daß das
Vermögen lange daure, %und die Kräfte nicht erschopft son-
dern gestärkt werden. Gesellschaftliche unterhaltungen
gehören nicht zu bedürfnißen sondern zum Spiel, d:i:
wo kein bestimmter Zweck sondern der Genus des Lebens
befördert. Ein Mensch der zu leben weiß muß sich
mehr befleißigen auf Zeitverkürzungen als auf Ver-
längerungen d:h: Genuß. Zu den Zeit verkürzungen
gehören alle schöne Künste %und Wißenschaften. Alle diese
materiale Neigungen können Leidenschaften werden
d:i: unfahig machen auf die Summa aller unserer

/|P_128

/anderen Neigungen, acht zu geben. Alle Leidenschaft ist blin@d.@
Blind ist der, der nicht nach einer überlegter Wahl verfäh@rt.@
Unter den formalen Neigungen können zur Leidenschaft wer-
den, Ehrsucht, Herrschsucht %und Habsucht unter den materi-
alen die Neigung zum Geschlecht %und Spiel %und generaliter
haben die Leidenschafften nur Menschen zum object %und nich@t@
Sachen. Die Neigungen die nicht auf Menschen gehen, kön-
nen nicht Leidenschaften werden z:E: wenn man allein
auf die Iagd geht. Denn grad zu determiniren wo
etwas anfängt Leidenschaft zu werden ist leicht: z:E:
Jemand liebt, dies stimmt mit der Natur, aber so bald
man keine rücksicht nimmt auf Character, Familie %und
Vermögen des Mägdchens, so ist's Leidenschaft. Lei-
denschaften sind nicht zu approbiren, weil sie blind
sind, auch nicht wenn sie aufs gute gehen. Ie edler
der Gegenstand %und das Gute selber ist, desto schädlich
ist die Leidenschaft die darauf gerichtet ist. Der Men@sch@
ist nicht notwendig den Leidenschaften unterworfen,
wenn er die Vernunft nur recht braucht.

/Schnörkel

/|P_129

/ ≥ Vom Unterschiede der Affecten %und Leidenschaften. ≤

/Sie sind sehr von einander unterschieden. Affect heißt, Gemüths
bewegung %und gehet also aufs Gefühl. Leidenschaft ist Neigung, gehört
also zum Begehrungs_Vermögen. Bey Leidenschaften kan das Ge-
müth in Ruhe sey, bey Affecten niemals. So ist die Leiden-
schaft des Geitzes. Furch ist Affect. Rachbegierde ist wahre
Leidenschaft. Indianer %und Chineser haben Leidenschaften, aber
keinen Affect wie die Europaer. Was in einer daurende
Neigung bestehet ist Affect. Affecte können in Augenblicken
schädlicher seyn als Leidenschafft. Affecte laßen sich eher
mit der moralitaet zusammen reimen, %und man kan bey
Affecten auch beßerung hoffen. In Affect gerathen selten
Leute, die den Vorstellungen ergeben sind. Bey Affect kan
man sagen. Der Mensch ist außer sich, bey Leidenschaften nicht.

/-------------------- 

/δ_Rest_leer

/|P_130

/ ≥ Vom Gefühl das bis zum Affect steiget, von der
impotentia animi. ≤

/Leidenschaft ist nur eine Unbiegsamkeit des Gemüths, da ich es
von einem anderen Gegenstand nicht ablenken kan. Die Herr-
schaft über sich selbst, wird der Herrschaft der Leidenschaften
entgegengesetzt. Affect beraubt mich meines eigenen be-
sitzes, in der Leidenschaft besitz sich der Mensch wohl, nur
er kan sich nich errinneren. Affect heißt auf deutsch Ge-
müths_Bewegung, ist unüberlegt %und überrascht %und raubt
uns das Vermogen uns selbst zu beurtheilen. An dieser
Gemüths_Bewegung ist theils die Stärke des Gefühls, theils
die Schwäche der Vernunft schuld. Das Vermögen seine
Neigungen %und begierden zu hemmen, heißt selbst Herr-
schaft. So ein Gemüth würde ein gesetztes Gemüth seyn,
von ihm ist das w«¿¿»akelbare Gemüth unterschieden. Das
Gemüth kan beschäfftigt seyn, %und doch bey der beschäfftigung
in Ruhe seyn, %und so wohl es auch immer seyn. Gleichmüth-
igkeit ist das glückliche Phlegma wo das Gemüth doch
Thatig %und doch in Ruhe ist. Man kan lebhafft seyn ohne

/|P_131

/Affect, Engländer haben Affect zum Schwermuthigen. Erstere
sind beßer zu Trauerspielen, weil sie selbst nicht so viel theil
am Traurigen nehmen, daher können sie es beßer spielen.
Engländer sind beßer zu Lustspielen weil sie keinen theil
ans komische nehmen, daher können sie es beßer spielen.
Man kan schelten ohne zornig zu seyn, welches für manch-
en Haus_Vater sehr Nöthig ist. Zürnen mag der Mensch,
nur nicht zornig seyn. Man kan Caressen machen, ohne
verliebt zu seyn, klagen ohne betrübt zu seyn, wie gemein-
hin die Dichter: Hyp«h»ochondrischen Leute scherzen auch in
Gesellschaft, ob sie gleich nicht fröhlich sind. Mancher Mensch
der in Affect ist, sezt dem anderen durch Sympathie in
ähnlichen Affect, nur allein der Zorn nicht weil wir selbst
befurchten, daß er im Zorn auf mich fallen kan. Man kan
inbrünstig seyn ohne andächtig zu seyn: Dichter %und Redner
rühren uns %und setzen uns in Affect. Dichter hintergehen
sich oft selber.«,» Derjenige der Affect hat, kan wohl ehrbar
seyn als der ihm verstellt, doch der ist glücklich, der
keinen hat. Wir tadlen uns selbst, wenn wir etwas
zum Affect kommen laßen, doch giebts einige die,
wenn sie über edle Gegenstände <in Affect> gerathen, sich dies
zur Ehre ziehen, aber auch das ist nicht gut.

/|P_132

/Enthusiasmus ist ein Gefühl des Guten, so fern es bis zum
Affect steigt. Ein enthusiast fürs Vaterland macht oft das
Vaterland unglücklich. Man nennt einige Affecte muthig
andere muthlos nennen, erstere sind Zorn, Liebe pp. lez-
tere, Furcht pp. Ein religieuser mit Affect ist höchst schäd-
lich. Affect ist eine Art von besoffenheit. Ein Enthusiast kan
nichts recht überlegen, daher ist er gefährlich. Durch Gefühle
wird kein Mensch klüger. Ein Ernst ohne Affect kan daurend
seyn, %und denn erst ist der Mensch fahig seinen Plan zu über-
legen. Es giebt hier dreyerley Vermögen 1.) das Vermögen
es nicht bis Affect zu kommen zu laßen, dies ist Gleich-
müthigkeit. 2.) das Vermögen sich zu faßen, wenn man
in affect gebracht wird. 3.) Das Vermögen den Affect
zu verbergen. Es ist noch beßer gar keinen affecten
zu haben, überdem ist die ursache des Affects so muth-
ig, %und die Folge schädlich. Die Schaam entspringt aus
Delicatesse im Punckt der Ehre, nun aber wenn man sich
schämt, kommt man noch mehr in Verlegenheit, eben so
ists mit Zorn, Liebe pp. Affecte berauben sich selbst
ihrer Zwecke. Die Natur hat uns keine Affecte eingeflöst
nur die Laage dazu. Im Stande der Rohigkeit gab uns
die Natur einen Affect, wenn aber die Vernunft anfäng@t@

/|P_133

/ihre Rechte auszuüben, denn muß das vorige wegfallen. Affect ist
gleich einem Sturm. Leidenschaft gleich einem Strom auf einem
abschlüsigen Boden, erstere vergeht, die Quelle des lezteren ist
immer während. Was der Mensch nicht in Affect thut, thut er gar
nicht; hingegen die Leidenschaft läßt sich Zeit. Wo viel Affect
ist, ist wenig Leidenschaft. Wo viel Affect ist viel veränderlichkeit
des Gemüths, wo viel Leidenschaft ist, ist viel beharrlichkeit deßel-
ben. Der Affect ist gleichsam ein Rausch den Man ausschläft, %und
auf ihn folgt Kopfwey. Leidenschaft ist ein Wahn %und bleibt.
Stärke der Neigung macht noch nicht Leidenschaft aus, wenn nur
noch die Überlegung statt findet. Affect läßt sich nicht verheelen,
Leidenschaft verbirgt sich mehrentheils. Affecte treffen entweder
blos den Sinn, oder sie dringen ins Gemüth ein, es kan mir et-
was Schmerzen, ohne daß ich dabey traurig werde. Schmerzen fühlen
%und traurig seyn ist unterschieden: nur erst wenn ich meiner Schmerz
überlege, kan ich traurig werden. Affecte sind erst %.eigentlich wenn
sie ins Gemüth dringen. %.Eigentlicher Traurigkeit %und Freude sind nur
Menschen fähig. Wir müßen uns aber nichts zu Gemüthe
ziehen, der wahre Gram %und Freude kan bey Thieren nicht statt-
finden, weil sie kein Gemüth haben. Apathie soll die befreyung
von allen Leidenschaften seyn. Ataraxie die befreyung von
allen Affecten. Affecten gehören zu den Gefühlen, %und diese
sind der Lust oder Unlust, Freudigkeit oder Traurigkeit
unter<wor>fen. Affecte in ansehung des Vergangene, ohne Rück-
sicht auf den gegenwärtigen Zustand, ist eine Illusion
der Imagination. Wir fürchten uns oft, in einer

/|P_134

/anderen Person, das macht wir setzen uns in anderen Stelle. Der
Affect gehet immer aufs Vergangene. In Affect kan man durch
gegenwärtige Beleidigungen gerathen, aber in Rücksicht auf die
Zukunft. Der Affect ist blos aus den Folgen entstanden aus
Rücksicht die sie in der Zukunft haben könnten, er gehet also
blos auf künftige Folgen. Das künftige interessirt uns nur,
das Vergangene %und Gegenwärtige nur um d«a»es künftigen willen
Man kan die Affecte durch den Gedanken, %und die Kurze des
Lebens, maßigen. Auch demjenigen der nur in der Nähe, %und
nicht in entfernter Zukunft sieht, können Affecte nicht so
sehr angreifen. Zu den Affecten gehören auch Furcht %und Hoffnung
sie können beyde Gefühle seyn ohne Affecte. Hoffnung ist
nie ohne Furcht. Sie kan wohl in festen glauben gerathen,
aber denn ist auch nicht mehr Hoffnung zu nennen. Je
wichtiger der Gegenstand des Hoffens ist, desto größer
ist die Furcht. Furcht so wie alle <un>angenehme Affecte
sind weit stärker als die angenehmen z:E: der 10 %Reichsthaler verloren hat
fühlt seinen Verlust mehr, als Freude wenn er die 10 %Reichsthaler gewon-
nen hätte. Ein jeder Verlust ist merklicher, weil er abzug ist.
Wenn ich eine Summe gewinne, ist mein Zustand nicht um
so viel verbeßert, als er verschlechtert wird, wenn ich sie
verliere. Es zeigt immer von Schwäche des Gemüths, wenn
sich der Menscheit Hoffnung speisen kan, %und wenn sie nicht
einschlagen trostlos wird. Daher ist es gut ein wenig Furch
bey der Hoffnung schon voraus zu sezzen. Traurigkeit ohne

/|P_135

/Hoffnung ist verzweifelung. Man kan betrübt seyn, ohne Traurig
zu seyn, etwas betrauren ohne sich zu Grämen. Ist es der Vernunft
gemäß Traurig zu seyn? Bey der Traurigkeit schätz ich den Werth
meines ganzen Lebens. Wenn ich mein Leben unglücklich finde
bin ich Traurig. Gedanken lose Leute werden nie schwermüthig aber
doch betrübt. Traurigkeit ist reflectirte betrübniß. Thiere können
nicht traurig seyn, weil sie über ihren eigenen Zustand nicht denken
können, betrübt können sie wohl seyn. Niemand muß traurig
seyn, auch nicht die erhaben scheinende Traurigkeit über Eltern,
Freunde pp. ist zu loben. Eines Menschen betrübnis der sie zu
verbergen sucht, die fühlen wir mit; wenn er aber in tränen
ausbricht, so wenden wir das Gesicht weg. Traurigkeit geht auf
den ganzen Zustand %und afficirt das Gemüth, betrübnis aber auf
den gegenwärtigen Fall. Niedergeschlagenheit ist eine betrübniß
die sich nicht aufrichten kan, durch welche der Mensch den Werth
seiner eigenen Person aus den augen verliert. %.Niedergeschlagenheit
ist aber nicht die Aufgebung aller Hoffnung. Ein indeclinables
Übel macht daß Menschen Muth faßen. Niedergeschlagenheit
ist, der Verlust aller Zufriedenheit mit seiner existenz, da er
doch existirt. Die Verzweifelung kan seyn Schwermüthig %und wild,
«ist» diese ist zu befürchten, sie entsteht aus Entrüstung %und Zorn
jene aus Gram. In wilder verzweifelung sind Leute, die man
durch ungerechtigkeit aufs äußerste bringt. Um zu wißen ob
Selbst_Mörder furchtsam sind, muß man sehen ob sie an Schwer-
müthiger oder wilder Verzweifelung waren. Trau<ri>gkeit ist ein
tief eindringender Affect, Fröhlichkeit ist weit rascher. Weit
mehr Menschen sind für Freude gestorben, als für Traurigkeit.

/|P_136

/Bey der Freude überläßt man sich dem Affect, bey der traurigkeit such@t.@
man zu wiederstehen. Sich kindisch über etwas freuen, ist weit verächt-
licher als die Starke Traurigkeit. In den Ursachen der betrübniß ist
mehr realitaet. Trauren kan der Mensch lange, aber sich nicht lang
freuen. Schwermüthige Personen können nicht gut fröliche Gesichter um
sich leiden, weil sie als dann ihren Zustand mehr fühlen.

/Herzhafft ist der, der nicht erschrickt, Muthig der, der sich nicht furchte@t.@
Herzhafftigkeit ist offenbar eine Würkung des %Temperaments %.videlicet dadur@ch@
daß die nerwen nicht so empfindlich sind. Muth ist eine Würkung
der Denkungs_Art %und Uberlegung. Herzhafftigkeit ist oft Muthlos,
nemlich sie sind Herzhaft wenn sie die Gefahr noch nicht kennen.
Der Muthige kan sich auch erschrecken, er samlet sich aber bald
wieder. Es giebt phlegmatische Personen die nicht so bald erschre@cken.@
Personen von zarten bau erschrecken bald. Muth ist nicht all@ein@
bey Gefahren, sondern auch bey gegenwärtigen Üblen, so fern ich
sie nicht über mich herschen laße. Wenn es zum sterben gehet,
muß der Mensch Muth bezeigen, im Treffen muß er Herzhaft
seyn. Rohe Nationen werden Herzhaftigkeit, aber nicht Muth
bezeigen. Wenn jemand die Gefahr einsieht, %und doch Standhaft
bleibt, so ist er Muthig. Muth ist dauerhaft. Herzhaftigkeit
ist wetterwendisch. Gehöret mehr wahrer Muth zum Treffen, oder
zum Duel? Zum Duel wird nur Herzhaftigkeit, zum Treffen
aber Muth erfordert. Herzhaftigkeit kommt oft aus Mangel der Er-
fahrung, %und aus unbesonnenheit her. Daher sind junge Soldaten
oft beßer zum angreifen, weil sie die Gefahr nicht kennen.
Waghalsigkeit ohne alle Überlegung ist Herzhaftigkeit. Geduld
ist nicht Muth. Muth ist eine %.mänliche Geduld, %und eine %.Weibliche
Tugend. Furchtsam seyn, schließt das Vermögen Muth zu

/|P_137

/faßen nicht aus. Die gar zu große Leichtigkeit zu erschrecken ist
Schüchternheit. Derjenige der gar nicht Muth faßen kan, heißt Verzagt.
Feigheit ist eine Ehrlose Verzagtheit, wo der Mensch im Punkt der Ehre
nicht muthfaßt. Wenns auf den Punkt der Ehre ankommt, faßt mancher
Verzagte Muth. Der Mensch hält immer das Leben bedingter Weise für
ein Glück. Dies ist aber unedel. Ehre im genauen Verstande
nennt man das, was den Werth des Menschen ausmacht. Wenn
der Mensch auch seinen Persönnlichen Werth verliert, so kan er
doch in sein Leben einen großen Werth setzen, dies ist aber
Schlecht, denn edle Leute, wenn sie nicht mit Ehre Leben können,
wollen gar nicht leben. Der ehrliche edle Mann kan keinen Werth
in sein Leben setzen, sondern in seiner Person. Der Rechtschaffene
achtet bey natürlicher Furcht nicht sein Leben, weil er noch etwas
höheres hat. Geduld ist eines furchtsamen Menschen lezter Trost.
Der noch fröhlich seyn kan bey Übeln die Zeit_Lebens dauren,
beweißt noch mehr Geduld. Es sind gewiße Affecten mit über-
raschung von Lust, andern von Unlust verbunden, lezteres
ist Schreck überhaupt, <jede überaschung> bey der wir was zu besorgen haben,
ist Schreck. Dieser Schreck kan seyn, Zorn, befremdung, (Ver-
wunderung) Schaam. Man nennt sie %.sämtlich alteration. Das
bloße Erstaunen ist Schreck, bey ihm ist man aber ungewiß,
obs ein Übel oder was Guts ist. Alterationen wenn sie
gemäßig sind, können gute Würkung thun; der Zorn ent-
springt aus vermeindlicher beleidigung. Diese kan nur
von Menschen vielleicht von Thieren geschehen, obgleich
Leute gar über leblose Wesen zornig sind, dies ist aber
höchst Thörigt. Der Zorn ist ein muthiger Affect. Neid %und

/|P_138

/rachgierd sind nagend. Haß ist auch eine Art von selbst quaal.
Man muß Zorn von Erbitterung oder sogenannter Aergerniß un-
terscheiden. Sich worüber ärgern, ist ganz etwas anders als zur-
nen. Ersteres afficiret das Herz, zürnen dient oft zur Ge-
sundheit. Der bloße Zorn ob er zwar ungestüm ist, %und man
ihn nur aus toben läßt %und er keinen widerstand findet,
hinterläßt gar keinen Haß. Ärgerniß ist ein ohnmächtiger
Zorn, dieser ist für den Menschen höchst schlecht, denn er
erregt zugleich Schaam. Der ohnmächtige Zorn ist zugleich
mit rachgier verbunden, dem schönen Geschecht schreibt man
ihn zu. Den Geistlichen legt man einen unversöhnlichen
Haß zu, weil ihr Stand es nicht zu läßt sich zu wiedersez@en@
so sind sie also ohnmachtig. Der ohnmachtige Zorn pflegt sich
in Haß zu verwandeln. Der Haß ist schon nicht mehr als Affect
anzusehen, sondern als Leidenschaft, die in Rachgierde aus-
artet. Verwunderung scheint nichts anders zu seyn als
eine Überaschung von etwas, wovon man nicht gleich
weis, ob was gutes oder was böses ist. Verwunderung
hat etwas Gutes auch böses bey sich. Das Gute bestehe
in Lücke wo wir eine Entdeckung machen können, das
Böse in dem Zustande da man sich zu finden weiß. Die
Veränderung wenn man sieht, daß etwas von der allge-
meinen Regel abweicht, wird Bewunderung, die aber
nicht Affect ist. Wenn sie Affect wird so heißt sie

/|P_139

/Erstaunen. Achtung ist eine Hochschätzung mit einer Art von Be-
wunderung, man kan jemand werth schätzen ohne ihn zu ach-
ten, %und jemand Achten ohne ihn zu lieben. Achten können wir
nur den, in Ansehung deßen wir etwas von unserer eigenen
Selbst_liebe einbüßen. Alle Pflichten kommen darauf heraus,
daß wir Achtung fürs Gesetz haben. Verachtung kränkt am
meißten, wenn man ein Object derselben ist. Man muß
den Schaden, %und selbst den haß anderer nicht achten wenn
man doch ein Gegenstand der verachtung wird. Man
muß den Schaden nicht so übel schätzen, als die Schande.
Denjenigen den ich haße halte ich doch für etwas important,
weil ich sonst auch deßen nicht würdigen würde. Beym
Gegenstand des Haßes, schätze ich eine Sache nur relativ
auf meine Person; aber der<selbe> Gegenstand relativ auf meine
Person, könnte nicht ein Gegenstand der Achtung seyn. Wir
müßen vermeiden daß Leute uns nicht verrachten, wenn
sie uns auch haßen. Verachtung ist die geringschätzung
unseres Persönlichen inneren Werths. Wer mit grund
von einem verachtet wird, kan von keinem in der Welt
hochgeschätzt werden, der aber von einem gehaßt wird,
kan von anderen hochgeschätzt werden. Um den Lasterhaft-
en zu beßeren, muß man zeigen daß er sich zum Ge-
genstand der Verachtung macht, denn daß würkt stärker
als wenn man sagt, er wird ein Gegenstand des haßes.

/|P_140

/Sollen wir eine Geselschaft von Personen suchen für die wir
Achtung haben, oder das Gegentheil? Iunge Leute suchen
nur ihres gleichen zur Gesellschafft. Es ist aber keine Ge-
sellschafft von Geschmack, wo nicht Personen sind, vor die
man Achtung hat. Wir müßen uns durch Personen
die uns Achtung einflößen einschränken. Schaam ist ein
Affect «ist ein» von großer Lebhaftigkeit, er ist ein Schreck
aus besorgniß einer Verachtung, %und zwar wenn man nicht ge-
nug Stärke fühlt zu wiederstehen. Schaam Artet zulezt
in Grämische Leidenschaft aus. Man sagt der Mensch der
roth wird wenn er zürnt, ist gegenwärtig nicht zu furchten
der aber blaß wird ist zu fürchten. Wenn er roth wird
schämt er sich schon über sein Unvermögen, %und denn entsteh@t@
Groll %und Aergerniß. Groll ist ein eingewurzelter Haß,
Schaam ist sehr %.empfindlich. Zorn vermehrt die Kräfte.
Schaam spannt alle kräfte ab, er kan sich nicht verant-
worten. Der sich schämt, schämt sich %eigentlich darüber
daß er sich schämt. Das Frauenzimmer ist dieser Scham-
haftigkeit unterworfen, im Punkt des Geschlechts.
Unterschiedene Leute erröthen, wenn man ihnen Dinge
sagt, woran sie ganz unschuldig sind. Das erröthen
beweißt nicht daß man schuldig ist. Beym Mann
zeigt das erröthen eine Schwäche des Gemüths

/|P_141

/%und der Nerven an. Es giebt Affecten die aus einem bloßen
Spiel der Empfindungen entspringen %und keinen Gegenstand
haben, so können Leute durch music in Affect gerathen.
Die Spielsucht bringt affecten zu wege, wohl gar Lei-
denschaften. Theilnehmende Empfindungen z:E: Dank-
barkeit, deren Quellen gehören nicht zu affecten aber
die Gemüths_bewegungen können so groß werden daß
sie Affect werden. Schamhaftigkeit ist eine Weibliche Tugend.
Verschämtheit ist ein schlechter Zug des Mannes. Unver-
schämtheit zeigt einen schlechten Character an. Der Un-
verschämte achtet nicht mehr die Verachtung. Das
Lügen ist ein Object der Verachtung, bey dreistigkeit
zeigt man keine Äußerung von Schaam, mancher bleibt
bey gleicher Farbe ob er sich <gleich innerlich> schämt. Der dreiste Blick
ist eine beleidigung gegen andere, %und nicht zu ertragen
Lachen hat im Gemüth seinen Ursprungt, dieses bringt
im Körper eine Bewegung hervor, %und hiedurch wird wieder
das Gemüth erschüttert. Man lacht über offenbare
Wahrheit, wenn sie zu sehr offenbar ist. Alles Lachen
über einen, der nicht mitlachen kan, ist doch etwas
boshaftes. Das Lachen ist eine Gemüths_bewegung
aus dem Plötlichen verschwinden einer vermeinten
Wichtigkeit. Das Lachen entspringt aus einer

/|P_142

/plötlichen aber nicht schädlichen Umkehrung der Erwartung.
Die Theile des körpers die bey Erwartung gespannt werden,
laßen auf einmal nach, beym verschwinden der Wichtig-
keit. Wenn meine Erwartung erfüllt wird so hört sie
zwar auch auf, aber sie verschwindet nicht in nichts.
Man kan ohne Idee den Menschen zum Lachen bringen
z:E: beym Kitzel, hier rührt es %.eigentlich von Kö<r>per her.
kein Gedanken entsteht schnell beym Menschen, ohne daß er den
Körper bewege. Die erste würkung der music ist organische
körperliche. Das Lachen ist gewißer maßen ansteckend, %und das
beste mittel wieder Hypochondristen. Der Wunsch gern etwas
zu haben, worüber man lachen kan, zeigt einen guten Ver-
nünftigen Mann an. Das läppische Lachen d:i: leicht zum
lachen bewogen zu werden, zeigt einen schallen Menschen
an. Alle Leute suchen mehr Gegenstände des lachens,
z:E: Comedien, als Iunge Leute, weil sie schon übel
genug ertragen haben. Iunge Leute sehen lieber Tra-
goedien, weil sie glauben daß sie in ihrem Leben noch
vieles <unangenehme werden> ertragen müßen, daher wollen sie sich dazu be-
reiten. Die Alten finden selten etwas für Werth zum
lachen, so gern sie auch mögen. Der zum lachen machen
will muß nicht lächerlich aussehen. Das höhnische scha-
denfrohe lachen hat Häßlichkeit bey sich. Große Herrn
hielte«l»n sich im vorigen Iahrhundert Hofnarren, das

/|P_143

/macht sie wollten gerne Leute haben, an die sie Jhren Witz
versuchen konnten. Leere Gedankenlose Leute lachen leicht,
die gerne doch selten lachen haben Verstand. Beym Lachen
athmet man kurz ein, %und stößet lange aus. Eine starke
Sehnsucht mit dem Bewust_seyn seiner Ohnmacht bringt
das weinen hervor. Ersteres ist gesunder. Diese Sehnsucht
ist verschieden. Das Weinen ist mit dem Seufzen ver-
bunden. Es ist ein Ton der Einathmung, das Lachen ein
Ton der ausathmung. Das Weinen ist %.eigentlich Excretion.
Das Lachen aber nicht, doch lacht man aber auch zuweilen
zu Thränen. Wir weinen Sympathetisch mit dem anderen,
weil wir unsere Kräfte auch so abspannen wie der andere.
Thränen sind rühmlich, weil sie die Stärke der Empfin-
dungen beweisen, man muß sie aber nicht nachhängen.
Oft hat das Weinen auch seine Annehmlichkeit wenn es die
Ergießung zärtlicher Empfindungen bey Auflößung des
Schmerzes ist. Schmerz in der theilnehmung nicht in
der Empfindung rührt zu Thränen. Weichmüthigkeit, be-
deutet hier, ein rechtmäßiger Schmerz, vornehmlich
aus dem bewustseyn seiner eigenen Ohnmacht. An den
Thränen selbst ist nichts rühmliches, sondern an den
Empfindungen. Er siehet aus als wenn er in der Hölle
des Theophorius gewesen, nannten die Alten den der
immer Sauer köpfisch aussieht. Ein Frauenzimmer

/|P_144

/weint aus Zorn, weil sie sich ihrer Ohnmacht bewust ist.
Ein man muß aber nie aus Zorn weinen, Großmuth bring@t@
den beleidiger zu Thränen, weil er sich unvermögend fühlt
sie zu erwiederen. Das Seufzen zeigt schon eine Wehmuth
an, den dem der nicht weint greift der Schmerz mehr an.
Die abneigung andere zu erzürnen, ist gelindigkeit; an-
dere nicht zu kränken ist Sanftmuth. Die %.Gleichgültigkeit
andere zu erzürnen ist Grobheit. Die Neigung andere zu
kränken ist Bosheit. Der Muth wille andere zu beschämen
ist Spottsucht, zu kränken ist Schäfsucht. Durch Beschäm-
ung kan jemand sehr gekränkt werden. Eine Vorsicht
der größten Empfinlichkeit vorzubringen, ist Delicatesse
sie ist eine Eigenschaft für den Mann. Diese Höflich-
keit zu empfinden ist für die Frau, diese ist die Em-
pfinliche Zärtlichkeit %und ist Schwäche, jene die empfind-
same Zärtlichkeit. Die materiale Neigungen des Menschen
sind entweder natürlich oder erworben. Die Natürlichen sind
die Neigungen zum leben, wodurch die Natur ihre indi-
vidua, %und die Neigung zum Geschlecht, wodurch sie ihre
Arten erhält, wenn sie Leidenschaften werden sie ver-
achtet, besonders die ersteren, denn vor der Vernunft
hat das Leben keinen Werth, sondern nur so fern
der Mensch durch seine Handlungen sich des Lebens
würdig macht. Die Liebe zum Leben wächßt mit

/|P_145

/den Iahren. Das Leben hat in so fern für den Vernünftigen keinen
Werth daß er es allein mit Vergnügen durch bringen kan, sondern
auch mit Ehre. Die Liebe zu leben scheint ein beweiß von einem
gut geführten Leben zu seyn. Die Liebe zum Geschlecht scheint
Schwachheit des Menschen zu seyn. In allen Nationen haben
die Menschen es für Werth geschätzt, die Geschlechts_Neigung
auszurotten, dies ist aber vergeblich, %und wird natürlich mehr
als ersteres, denn hiedurch vergiebt der Mensch nur der Dauer
etwas, durch lezteres aber seiner bestimmung. Die Liebe zum
Leben erhält das Leben; man könnte gewißer maßen sagen, dank
sey der Zaghaftigkeit, diese erhält das Menschen_Geschlecht.
Übergrose Liebe zum Leben wird verachtet, Zum Geschecht wird
zwar getadelt, aber nicht verachtet. Liebe zum Leben ist
blos eigennützig, zum Geschlecht theilnehmend. Wir müßen
die Geschlechts_Liebe, vom Geschlechts_instinct unterscheiden,
diese ist auch eigenützig %und Thierisch. Er kan aber bis
zur Liebe erhoben werden. Das Leben können wir mittheilen
im Wohlleben %und Gemächlichkeit, ersteres gehört zum Genus
lezteres zu Ersparung de«s»r beschwerde. In den Iungen
%und mittleren Alter, hat man zum Wohlleben Neigung, aber
gemächlichkeit immer in prospect. Beschäfftigungen, Spiel,
rechnen wir zum Wohleben. Arbeit ist aber unangenehm
%und sie kan nur durch den Zweck gefallen. Die Neigung
zum Geschlecht ist eigentlich nicht Leidenschafft, sondern

/|P_146

/sie wirds nur durch die Phantasie %und ist innere Leidenschaft des
Wahns. Diese Neigung wird Liebe genannt, sie ists aber nich@t@
sondern nur thierische appetit p kan nur Liebe heißen wenn
sie mit Wohlwollen für den Gegenstand verbunden ist. Die
Liebe ohne Theilnehmung könnte man brutale Liebe nennen.
Die Liebe zum Leben würkt nie Liebe zu anderen, die Ge-
schechts_Neigung Wohl. Die Natur hat die instincte als
Triebfedern zu guten Zwecken in uns gelegt, sie hat aber
nicht gewollt, daß die instincte Leidenschafften werden soll
der Mensch soll diese Natur_anlagen, durch Vernunft zwe@ck@-
mäßig einrichten. Der Mensch kan sich noch eine befriedigu@ng@
der Summe aller Neigungen denken %und daß ist Glücksee-
ligkeit. Sie ist ein Reflectirter Begriff über meinen Zusta@nd.@
Die Thiere sind ihrer nicht fähig, Glückseeligkeit kan
nicht aus Befriedigung der Neigungen entspringen,
sondern aus Vernunft. Die Glückseeligkeit müßen wir
immer im prospect haben, ob wir sie gleich nicht erreichen
können, %und daß ist würklich eine weise Einrichtung der
Natur. Denn wenn unsere Neigungen Befriedigt wäre
so wären wir ganz unthatig. Die Mittel gegen Leiden-
schafften %und Affecten sind die Grundsätze der Gleichmuth-
igkeit. Die Grundsätze der Selbst Besitzung sind ander@e@
als die selbst_beherrschung. Grundsätze in ansehun@g@

/|P_147

/der Affecten machen die Seele Stark, sie können die Leiden-
denschaften doch noch laßen. Die erworbenen Neigungen ent-
springen in Gesellschaft. Unsere Wahre Leidenschaften beziehen
sich blos auf Menschen, %und auf das Verhältniß der Menschen, in
denen sie mit uns stehen, auf die Beurtheilung meines Werths. Die
Leidenschaften setzen immer was idealisches voraus. Wir wollen
anwendung davon auf das %gesellschaftliche Leben machen. Die
Gesellschaft ist erstens.) public. die wir mit dem publico haben
Zweytens.) privat, ist die, die wir mit anderen einzelnen
Personen haben. Diese ist a.) Bürgerliche d:i: die Gesell-
schaft des Eigennuzes. b.) häußlich ist die Gesellschaft der
Unterredung %und Geselligen Lebens. Es giebt noch eine Gesell-
schaft eines unsichtbaren gemeinen Wesens, dies ist das
gelehrte Publicum überhaupt. Menschen die theil nehmen
an Wißen. («das literarische Publico kan der Mensch eben
so gut seinen Character beweisen. Das privat_Publicum hat»)
Das literarische Publicum hat großen Einfluß auf die Leiden-
schafften der Menschen. Menschen suchen sich einen rang
zu erwerben. Im litterarischen Publico kan der mensch eben
so gut seinen Character beweisen. Das privatPublicum hat
Unterhaltung zum Zweck. Das wichtigste für den Menschen
scheint der Umgang mit anderen Menschen zu seyn. Die
Unterhaltungen, d:s: die Beschäftigungen wodurch wir
ein Vergnügen blos darum suchen, daß wir uns

/|P_148

/einander mittheilen sind sehr verschieden. z:E: Music, Tanz pp. Eine
convention des eigennutzes, die mit der grösten Geselligkeit
verbunden ist, ist Spiel. Dies Spiel ist entweder das Spiel der
empfindung als Music, oder das Spiel der Geschicklichkeit, oder
des Gewinns. Es ist eine Unterhaltung des Gemüths, wenn
es durch Gespräche erschöpft worden, %und ist eine Beschäftigung
ohne Mühe. Spiel gehoret im ganzen genommen zum Nuzzen
für den Menschen. Das interesse dabey scheint blos zur Er-
haltung der Aufmerksamkeit zu dienen. Iedem ist es er-
laubt nach principien des eigennuzzes zu handeln, aber
es muß doch höflich geschehen. Jeder gehet dabey auf sei-
nen Vortheil aus, %und der andere muß jedes Vergehen
bezahlen; es muß aber kein Unwille geäußert werden,
sondern man muß die größte Klatblütigkeit beobachten.
Beym Spiel würde es lacherlich seyn, eine solche Höflichkeit
zu beobachten. z:E: das verlohrne jemanden zu schenken
oder ihm eine brauchbare Karte zu zuwerfen. Der Mensch
lernt im Spiel seine affecten zu beherrschen. Die Leiden-
schaft fürs Spiel ist sehr gefährlich, %und löscht alle übrige
Leidenschaft aus, der Gegenstand des Gewinns muß
nicht so groß seyn, das es Leidenschaft werden kan. Es
soll den Eigennutz bezähmen %und die Selbst_Herrschaft
cultiviren. Im Umgange ist der Egoism nicht zu leiden
man muß sich nicht zum haupt_Augen<merk> machen, %und das

/|P_149

/zeigt wenig cultur für einen Gesellschafter an. Der Egoism wird
durch den Umgang in etwas größerer Welt sehr abgeschliffen.
Der conversations_Ton ist sehr verschieden von dem die publicen
Gesellschaft. Wenn jemand spräche wie ein Genie, dies ist kein
conversations_Ton. Ein anderer spricht wieder wie ein Lehrer,
Arbeiter, orator, im hohen Ton. Conversations_Ton ist 1.) der
Ton der Gleichheit, wo wir lieber anderen den vorzug ein-
räumen als uns. Der 2te Ton der Conversation ist Leich-
tigkeit. Menschen müßen «sich aber nicht» sich etwas
geniren, sonst werden sie dissolut, sie müßen aber nicht
so genirt seyn daß sie in Verlegenheit kommen, ihre Talente
zu zeigen. Die Gesellschaft muß erleichtert werden. Die
Teuschen sind noch sehr mit complimenten beschwert,
ehedem waren sie es doch noch mehr. z:E: durch den Rang
bey Tische pp. Das Ges«ch»präch ist was in Gesellschaften
am meisten unterhalten %und cultiviren kan. In Gesellschaft
muß man ehe das E«h»ßen kommt blos reden, dies wird schwer.
Die Mahlzeit ist aber das schönste band der Unterhaltung.
man sieht das Gespräch nur als nebensache an, %und denn
ists am besten, %und leichter, weils als denn, außer der
Geistes_unterhaltung noch eine andere, %.videlicet die Leibes
Unterhaltung ist. Es giebt auch mahlzeiten, die Schmäuße
heißen, hier ist nicht auf Conversation, sondern auf
Luxus anzusehen. Die Zahl der Tisch_Gesellschaffter muß

/|P_150

/nach Chesterfield nicht über die Zahl der Musen %und nicht wenige
als die Zahl der Gracien seyn. Wenn auch schon noch der
Wirth zugegeben wird. Gelage ist eine Gesellschaft wo
kein discours allgemein geführt werden kan, sondern sich
alles in kleinen otten eintheilt. Der rechte Geschmack kan
ohnm«¿»öglich in Eßen %und Trinken bestehen, sondern im Gespräch. Ge-
lage nennt man auch Abfütterungen. Geizige bitten alle beka@nte@
auf einmahl zusammen, um es nur auf einmahl los zu werd@en.@
In der Gesellschaft muß ein gewißes Band seyn. Wo die
Menschen sich nicht gleichgültig sind, bestehet die Unterred@ung@
im erzählen, raisoniren %und Scherz. Bey der Tafel macht d@as@
erzählen den Anfang. Denn folgt das raisoniren %und, dann
der Scherz. Das raisoniren ist mit Streit verbunden, da-
rum muß man nicht damit anfangen, weil es der Ge-
sellschaft nicht einen guten Schwung giebt. Das raison-
iren muß nicht lange über einen Punckt geschehen. Der
Scherz ist das lezte, weil immer bey jeder Sache der
Nachschmak das angenehmste ist. Wenn aber Menschen
sich blos mit Scherzen unterhalten würden; denn kan
man nichts ekelhafteres denken. Scherz muß aus
guter Laune entspringen. Die Wahl wovon man
spricht. Es ist keine Gesellschaft fast möglich, als w@o@
Frauenzimmer «da»zugegen sind. In der Gesellschaft

/|P_151

/muß man nicht grüblen, nichts lernen wollen %und das verbietet
auch die Gegenwart des Frauenzimmers. Die Wahl wovon man
spricht muß so beschaffen seyn, daß es allen interessirt. Das
2te ist dies, keine Todliche Stille in der Geselschaft entstehen
zu laßen. Das object der Unterredung muß nicht ohne
Noth ranimirt werden. Die dies Thun sind gedankenlose
Leute %und nicht zu ertragen. Wenn die Unterredung kalt
%und still wird, so muß man eine materiei»erein zu spielen
suchen, %und dies macht eben die Seele aus. Die Rechtha-
berey ist in der Gesellschaft übel angebracht, weil
diese blos ein Spiel ist, %und nichts aus gemacht werden
soll. Auf den Ton kommt viel in der Gesellschaft an:
Dem inhalte nach kan ich jemand Wiedersprechen ob ich
gleich dem Ton nach ihn höflich bin. Der Ton der Bescheid-
enheit d:i: die Mäßigung der Ansprüche ist der wahre
Gesellschafts_Ton. Auch die fröhliche miene kan schon
in der Gesellschaft befriedigen. Die Unterhaltungen
der Menschen führen auch ihre Eitelkeiten bey sich.
Der ist Unglücklich der immer in Gesellschaft seyn muß.
Wer zu hauße ruhe des Gemüths hat, muß sich in
Gesellschaft erfrischen. Gesellschaft muß nicht als
Bedürfnis, sondern als mittel angesehen werden. Vom
Einfluß der Seele auf dem Körper. Man kan dem

/|P_152

/Gemüth durch den Körper %und umgekehrt, zu helfe kommen,
auch einen durch den anderen Schaden. Das Gemüth k@ann@
%.unwillkührlich einen Starken Einfluß auf den körper haben,
wenn es außer Faßung ist. z:E: Man kan nicht er¿
wenn man will. Der Zorn kan den Menschen Stumm ma@chen@
ja gar tödten, so auch der Lücke Freude pp. Mann me@int@
daß das durch die Nerven knoten bewürkt wird, welche ein¿
Art von Gehirn sind, %und von dem Gehirn im Kopf abhang@en@
sie scheint aufzuhalten, daß die Bewegung bey unsern
ruhigen Zustande, nicht in die Lebens_Kraft dringen,
allein bey Affecten scheint dies gleich die Electricitaet
durch einen Sprung zu geschehen. z:E: der Zorn der
plötzliche %.nehmliche hat würkung auf die Heilung gelä@mter@
Gliedmaßen. Eben so kan auch der Korper die Seele
afficiren.

/δ_Schnörkel

/1st %.October 1791.

/|P_153

/ ≥ Kant's

/anthropologische Vorlesungen.

/

/Konigsberg the 1st %.September 1791.

/|P_154

/δ_leer

/|P_155

/ ≥ Practischer Theil,

/der

/Anthropologie. ≤

/|P_156

/δ_leer

/|P_157

/Jede Wißenschafft wird eingetheilt in Elementarlehre - Sie ent-
halt in sich die principien %und methode_lehre, diese zeigt den Ge-
brauch der principien. Die Elementarlehre haben wir abge-
handelt, um den Menschen zu beurtheilen. Nach allen
diesen verschiedenen Merkmalen gehört noch methoden_lehre.
Diese«¿» Methoden_lehre kann characteristic heißen. Alle Eigen-
schafften des Menschen können in naturelle, denkungs_Art
eingetheilt werden. Das Naturelle wird eingetheilt in
Talent %und Temperament. Erstens wir die Menschen nach
ihrem naturelle betrachten, da werden wir fragen nach
den Eigenschafften seines Kopfs %und Herzens, %und denn, ist
dieser Mensch rechtschaffen? oder Betrügerisch? d:h:
nach seinen moralischen oder Denkungs_Art. Beym
Talent %und Temperament verstehen wir immer was die
Natur gegeben hat. Dies naturelle ist die Natur aus-
rüstung, durch welche die Menschen zu besondern Zwecken
von der Natur bestimmt zu seyn scheint. Die Character-
istic wird in 4 Haupttheile eingetheilt. 1. In der Charac-
ter der Person. 2.) des Geschlechts. 3.) der Race %und des
Volks. 4. der ganzen Menschen_Gattung.

/1.) Vom Character einer Person. Dieser ist a.) der Character
der Natur jedes Menschen b,) der Character seiner Freyheit.

/|P_158

/Character hat eine allgemeine %und besondere Bedeutung. Wir können
den Menschen betrachte«t»n als Natur_Wesen %und als freyes Wes@en.@
Temperament oder Sinnes_Art, sind das Characteristische ein@es@
Menschen als Natur_Wesen. Das Characteristische des Men@sch@-
en als eines freyen Wesen, ist Character oder denkungs_Ar@t@
von den beyden ersten ist der Mensch nicht Uhrheber, aber @der@
character macht in sich selbst %und kan ihnen beygemeßen we@r@-
den. Naturel bedeutet das passive Talent: Temperamen@t@
das active. Einige Nationen haben mehr Talent, aber nicht
so ein gut Naturel, sie nehmen nicht so gut disciplin an.
Aufs Naturel bezieht sich das gute Gemüth. Das gute Herz
aufs Talent. Jenes ist passiv, dies activ, %und thut würklich
gutes. Die Rußen sagt man, haben Naturel, d:h: sie
sind gelehrig aber haben kein Genie oder Talent. Talent
heißt deutsch, Natur_gabe. Temperament die Sinnes
Art; ersteres ist das Erkenntniß_Vermögen. Das Talen@t@
ist zwiefach. a.) der Gelehrigkeit. b.) des Erfindungs_Talen@t.@
Das Talent der Gelehrigkeit pfegt man specifice natur
zu nennen %und dem Genie. (Geist). entgegenzu setzen. Die
productive Einbildungs_Kraft gehört zum Geist. Zum Ta-
lent gehöret allererst die receptivitaet d:i: Fähigkeit,
kenntniße zu erlangen. Dann ein Genugsames Gedächtni@s@

/|P_159

/%und die Geschiklichkeit nach dem beyspiel eines anderen Nachzuahmen.
Das Nachahmungs_Talent gehört gar nicht zum Geist, Genie heißt
der uns angeborne Geist. Der Nachahmungs_Geist ist dem Genie
entgegengesezt. Ersteres ist von großen Werth, man muß aber
das Nachahmen, vom Nachaffen %und Nachmachen unterscheiden.
Einen großen Man Nachzuahmen, gehört auch ein«er» großer
Mann dazu. Unser größte theil der Geschicklichkeit ist nichts
wie Nachahmung. Erstens müßen wir von der Richtigkeit des
Musters urtheilen, um nicht ein nachahmendes <Vieh> zu werden.
Der ist kein Nachahmer der vom beyspiel als original etwas
nimmt. Man kan Nachahmen ohne Nachahmer zu seyn, derje-
nige der einen nachahmt, ohne darauf zu sehen, ob er der
Nachahmung Werth sey, ist ein blinder Nachahmer.

/Der 2te Theils des Naturels ist Temperament. Nur etwas
hievon. Beym Temperament kömts aufs begehrungs_Vermögen
an. Das begehrungs_Vermögen so fern es activ ist unter-
schieden werden. Lezteres gehört auch zum Talent. Das Begehrungs-
Vermögen, läßt sich so gut von anderen Bilder als das Erkennt-
niß_Vermögen sich cultiviren läßt, ersteres nennt man
Gelehrsamkeit. Ein Mensch hat ein gut Gemüth, wenn er
Nach seinen Neigungen leicht zu lenken ist, passiv %und
gefällig ist. Die Deutschen haben ein gut Gemüth, aber
im Guten Herzen stehen sie anderen Nach. Die sogenanten

/|P_160

/guten Gemüther sind geduldig %und sanft, haben ordinair keinen eignen
Willen, %und sind Lasterhaft anderen zu Gefallen. Das gute Gemüth ist
%.eigentlich an sich selbst rühmlich, aber ein jeder Mensch muß doch
seinen eigenen Sinn, principien %und maxime haben. Das gute Ge-
müth ist mehrentheils eine Schwäche, wenn ein Mensch nach
principien gut ist, nennt mans guten Character. Gut gemüth ist
%.eigentlich das nicht anderen nachtheiliges will, die guten Ge-
müther werden Zwar geliebt aber nicht geachtet. Der Mensch
der ein gut Gemüth hat, ist negativ gut, dem man ein gut
Herz beylägt, muß positiv gut seyn, dieser ist theilnehmend.
Herz bedeutet schon einen Muth eine Kraft anzuwenden.
Man muß sich nichts zu Gemüthe ziehen, aber man soll
%und muß etwas zu Herzen nehmen. Komts auf thun an,
so müß wirsuchen anderer Leiden zu vermindern. Ein
Gefühl des Übels mit dem bewust_seyn unseres Unver-
mögens ist das zu Gemüthe ziehen. Der etwas zu
Herzen nimmt, betrachtet die Sache, gar nicht nach
Größe des Übels, sondern wie er es abhelfen kan.
Das gute Herz gehört schon mehr zum Temperament
weil es thätig ist. Menschen erforschen immer andere@r@
naturelle. Eltern das Naturelle ihrer Kinder, der Bräuti-
gam der Braut. Der Herr der Bedienten %und auch wohl

/|P_161

/umgekehrt. Offenherzige Menschen haben gute Gemüther; der ist
vom geringem Lobspruch, auch manchmal das gute Herz. Das
wahre Lob ist ein guter Character. Von der eigentlichen Be-
trachtung des Temperaments. - Das Temperament ist
zwiefach a.) körperlich. b.) das der Seele oder Geistige. Das
körperliche beruhet auf Lebens_Kraft %und bestehet aus 1.) constitution
diese beruhet auf die Bauart %und Festigkeit des Körpers. 2.)
Complexion, auf die Menge des Flüßigen. 3., %.eigentliches Temperament.
Wir gehen zu den günstigen Temperament. Das Temperament
der Seele heißt Sinnes_Art. Wie überhaupt etwas auf unser
%.Sinnliches Achten würkt. Die Sinnes_Art ist die proportion der
Gefühle %und der Triebfedern. Alle Temperamente sind a.) der
Empfindung. b., der Thatigkeit. Ersteres ist die proportion der
Gefühle, worauf das wohl %und übel befinden des Menschen
an komt. Temperamente der Empfindung sind zwey, melan-
cholisch %und Sanguinisch. Der anlagen zur Frohlichkeit ist
Sanguinisch; der hang hat zum Unmuth %und Traurigkeit ist
Melancholisch. Die Temperamente der Thatigkeit sind auch
zwey a., cholerisch b., phlegmatisch. Ersteres ist die Na-
tur_anlage, wo die Vorstellungen der Dinge, sehr leicht
Triebfedern zu handlungen werden können. Phlegmatisch
wo die Vorstellung zu Handlungen nicht leicht kan ge-
bracht werden. Sanguinisch könte leichtblütig, Melancholisch

/|P_162

/schwerblütig genannt werden. Leichtblütig ist der, dem jede
Empfindung leicht afficirt, aber nicht tief eindringt, der san-
guinicus wird nichts nach empfinden. Aus dieser Leichtigkeit
erfolgt schon der Leichtsinn. Der Sanguinicus ist voll Hoffnun@g@
fröhlich, veränderlich, freut sich über kleinigkeiten, serzt bald
ist immer aufgeräumt, ein guter Gesellschaffter. Er hat auch
%.gemeinlich ein gut Gemüth, eben darum wird er geliebt aber
nicht geachtet, läßt sich leicht lenken. Er grämt sich eben
just nicht, weil kein Eindruck tief geht. Er wird ganz
aufrichtig trauren über des Freundes Schicksal, aber
bald ists vorbey. Er ist kein böser Mensch, aber ein
Schlimm zu bekehrender Sünder, weil er seine Sünde wohl
bereut, aber bald wieder thut. Er ist nicht von festem
Vorsatz, aber von den besten Hoffnungen. Er ermüdet
über das schwere, kan aber zur leichten Bemühung
leicht bewogen werden. Er ist kein stätiger aber be-
hender Arbeiter. Ubel thut er nicht aus Bosheit, son-
dern aus Muthwillen. Er ist wohlwollend gegen ander@e@
weil er selbst sich Glücklich fühlt. Vom hange zur
Fröhlichkeit pflegt man das sanguinische Temperament
zu definiren, das ist es aber eben nicht, der Sangui

/ nicus

/δ_Läsion

/|P_163

/kan auch sehr Traurig seyn. Der Leichtsinn ist das characteristische
des Sanguinicus. Das macht ihn eben guter Dinge. Er ist ein
liebens würdiger Liederlicher. Er hat von seiner eigenen gut-
artigkeit einen hohen Begriff. Er borgt bezahlt eben nicht,
nicht aus betrug, sondern aus leichtsinn. Unglücklich
ist er eben nicht, weil er das Leben für ein Bagatelle
hält, %und das ists auch. Er ist selten gründlich. Er ist ein
guter Compagnon, aber nicht ein guter Freund. Das Sangui-
nische Temperament nennt man nach dem Hange zur Lust-
igkeit, das Melancholische nach dem Hange zur Traurig-
keit. Dies sind aber nur folgen des Temperaments.
Die Gegenstände afficiren den Melancholicus nicht geschwin<de>
%und stark, drucken aber tief ein. Der Melancholicus
verspricht nicht leicht, aber hält Wort. Beyde %.melancholicus
%und %.Sanguinicus sind der Freude fahig, sie dringt bey beyden,
bey le«¿»zterem aber mehr ein. Ia der %.Sanguinicus kan die Freude
nicht so sehr empfinden, weil sie bey ihm nicht so sehr
eindringen kan. Der %.Melancholicus ist immer voll difficultäten,
der %.Sanguinicus ist gröstentheils ein seichter denker, weil er
seine Aufmerksamkeit auf leichte Gegenstände lenkt.
Der %.Melancholicus ist ein Tiefdenker, gehet bis auf den

/|P_164

/Grund der Sache. Ein tiefsinniger Mensch ist krank weil er über
einen Gedanken allein brütet. Er ist voll Bedacht, der %.Sanguinicus
faßt keinen Verdacht. Der Sanguinicus traut sich alles zu,
der Melancholicus übernimmt nicht leicht etwas, %und thut
sich selbst so leicht nicht gnüge. Der %.Sanguinicus ist mehrentheils
gutherzig %und dankbar. Beym %.melancholicus drückt sich aber das
gefühl der dankbarkeit tief ein, der %.melancholicus ist leicht
zu Hirngespinster zu bringen der %.Sanguinicus nicht. Der %.me-
lancholicus wird leicht ein Schwärmer. Der %.Melancholicus hat auch
gute Eigenschaften die der %.Sanguinicus nicht hat. Er ist dan@k@-
bar, nimmt aber nicht gerne Wohlthaten an. Er ist
eben dagegen sehr Rachgierig. So wohl das Laster
als die Tugend können bey ihm stark einwurzeln.
Der %.Sanguinicus hat einen currenten Werth, denn er kan sich
in alles schicken. Das Gute %und böse entstehen bey
ihm nicht aus Grund sätzen, sondern aus unbesonnen-
heit. In ansehung seiner selbst ist der %.Sanguinicus der
glücklichste. Phantasten %und Enthusiasten findt man
nie bey den sanguinischen sondern nur bey melancho-
lischen, weil dazu ein starker Eindruck erfordert wird.

/|P_165

/Die Temperamente der Thatigkeit sind a., das cholerische
b., das phlegmatische. Ersteres könnte man Warmblütig,
lezteres Kaltblütig nennen. Beym %.cholericus haben viele Dinge
die Kraft der Triebfeder. Beym %.cholericus würkt die Triebfedern
Rasch %und stark, aber nicht langsam %und anhaltend. Beym
%.phlegmaticus zwar langsam, aber lang anhaltend. Der %.Cholericus
ist dahero auffahrend, antwortet mit Hefftigkeit, und
beleidigt im Ton. Aber diese Heftigkeit hält nicht lange an.
Der Hang zum Zorn ist hier auch nur eine Folge des
Temperaments. Er ist sehr übereilt, hält aber nicht an.
Er ist geschäftig, weil die triebfeder leicht würket,
aber deswegen nicht anhaltend. Durch seine Geschäff-
tigkeit wird er oft gefährlich, weil er sich in fremde
Händel mischt. Das object seine Neigung ist vorzüglich
Ehre. Er findet keinen Wiederstand, er ist aber ein
starker protecteur aller derer die sich seinem Schutz
anvertrauen. Zu allen Dingen die Stätigkeit erfor-
deren, ist er nicht aufgelegt, er mag gerne regieren,
drängt sich dazu, %und ist unleidlich wenn er gehorchen
soll. Der Cholerische beleidigt oft Menschen, durch
eine pretendirende Überlegenheit, %und beleidigt oft

/|P_166

/im Ton. Er ist sehr ordentlich, %und ein guter Befehls haber, über die
so zur Arbeit sollen angehalten werden. Arbeitet selbst aber schlecht.
In ansehung der verwaltung des Rechts anderer, ist er Gerecht
in ansehung seiner aber Ungerecht. Er thut alles lieber aus
Grosmuth als aus recht. Er scheint klüger zu seyn als er
ist, weil er die prunkvolle Seite immer nach außen kehrt.
Da im Gegentheil der %.Sanguinicus %und %.Phlegmaticus klüger sind als sie
scheinen. Er sucht in ansehung des Wohllebens mehr Pracht
als Genus. Er legt immer alles darauf an, um zu glänze@n.@
In der Schreibart geht er auf Stelzen, ist oft sehr leicht zur
Heucheley geneigt, %und ordinair orthodox. d:h: er hält sich
am liebsten zur Kirche die Gewalt hat. Die Triebfeder
seiner Handlungen ist Gemeinhin Ehrbegierde, er ist also
uneigennützig. Er ist nicht karg aber habsüchtig, %und oft
ungerecht. Er ist höflich aber cerimonieus, daher ist
seine Höflichkeit beschwerlich. Unter größeren kan er
sich schmiegen, bey seines gleichen findet er Wieder-
stand. Bey Niedern wird er wohl gelitten. Selten ist mit
diesem Temperament ein Genie verbunden. Er ist ein
Beßerer Verwandter als Freund, weil er nur Überle-
genheit verlangt. Das %.phlegmatische Temperament bestehet

/|P_167

/darinn, daß das Gemüth nicht in kurzer Zeit, aber anhaltend, zur
Thätigkeit getrieben wird. Das Wort Phlegma hat wieder eine
günstige Bedeutung. Beym Deutschen würde es kaltblütiges
Temperament heißen, bey dem die Triebfeder nicht rasch, aber
anhaltend würkend ist. Ein Phlegmaticus wird nicht zum Zorn
gereizt, überhaupt würde Phlegma die Affectlösigkeit heißen
können. Phlegma als stärker betrachtet ist nichts anderes
als die Festigkeit der Entschließung. Phlegma als schwäche
ist der Mangel aller Triebfeder zur Thätigkeit, d:i: Faul-
heit %und aversion für Thätigkeit. Ein Mensch von der lezten
Art, ist der verächlichste %und unnützeste, seine Neigung
würde zum Thierischen Genus %und Schlaf werden, gegen
diesen helfen nichts wie Schläge. Phlegma als stärke
ist die Beharrlichkeit im Vorsatz aus zu üben. Beym phlegma
als schwäche, würken die Triebfeder schwach. Heftig %und über-
eilt seyn, ist eine Eigenschaft des Cholericus. Der %.Phlegmaticus
versteht nichts von den Reitzen der Liebe. Er ist in viellen
Fallen zweifelnd, es ist aber nur ein Zweifel des Auf-
schubs um nicht zuzugeben %und wieder Zurückzuziehen.
Tenax propositi vir. d:i: eine Eigenschaft die jedem Manne
zum Lobe gereicht, um aber anhaltend im Vorsatz zu seyn,
muß man langsam %und überlegend in der Entschließung

/δ_Läsion

/|P_168

/Der %.Phlegmaticus hat nicht leicht was zu bereuen, weil er sich keinen
Affect überläßt. Sein Temperament vertritt gewißermaßen
die Stelle der Weisheit. Mancher kan viel Phlegma haben
%und doch starke eingewürzelte Neigungen, es komt nur bey
ihm darauf an, ob die Vernunpft oder die Neigung über
ihn gebietet. Der %.Phlegmaticus ist wie ein Körper der langsam
erwärmt wird, aber die Wärme lange unterhält. Das
Phlegma als Geistes_stärke entehrt nicht die Philosophie,
sondern man könnte es würklich fast so nennen. Man
nennt den %.Phlegmaticus auch Philosoph weil er den äußeren
Schein der Weisheit hat. Er hat eine Anlage zur Selbst
beherrschung %und hiedurch ist er dem Philosophen ähnlich.
Wer Phlegma bey guten Talenten hat, ist immer anderen
überlegen. Wenn man ihm in Gesellschaft auf die Nase
spielt %und aufschraubt, so lacht er dazu. Dem Phlegma ist
die Reitzbarkeit der Affecten entgegengesetzt. Eitel-
keit hat der %.Phlegmaticus nicht. Der %.Phlegmaticus hat keine Figur,
erregt keine Ialousie, komt aber mit der Zeit beßer
zu seinem Zweck. Das Phlegma als Stärke macht
den Menschen nicht verblendet, durch den Schein der
größe, sondern er sucht die Wahrheit auf. Ein sol@cher@

/δ_Läsion

/|P_169

/%.Phlegmaticus erregt nicht Neid, weil er nicht glänzet %und sein
Werth nicht gleich gekannt werden. Er ist mehr still als
viel redend. Es kann aber doch mit aufgeräumten Gemüth
bestehen, wenige haben aber ein solch Phlegma. Das
Phlegma hat im %.Haußlichen %und gemeinen Wesen seinen großen Nut-
zen. Mit dem Temperament hat die Habituelle disposition eine
Ähnlichkeit. d:i: wenn Würkung hat hat des öftern Einflußes.
Die Indianer stellen den Handwerker sanguinisch vor, weil er
nur für einen Tag sorget. Den Kaufmann phlegmatisch weil
er wohl überlegen muß. Den Soldaten cholerisch, den Geist-
lichen oder Gelehrten melancholisch, weil er tief Sinnen
muß. Gewerbe %und Handwerker bringen verschiedene Temperamente
hervor. Im Amt ist der %.Sanguinicus %.unordentlich nachläßig, übereilt.
Der %.Melancholicus peinlich %und Zweifelhafft. Der Cholerische ist herrschend
es ist beßer unter ihm zu stehen, der %.Phlegmaticus ist ein Ja Herr
%und mechanisch. Im Umgange ist der %.Sanguinicus schertzend, der
%.Melancholicus vernünpftelnd, der Cholerische erzähend, der
%.Phlegmaticus beyfallend. Als Autor zeigt der Sanguiniker
popularitaet %und Witz. Der %.Cholericus gehet auf Stelzen, ist
aber doch methodisch %und deutlich. Der %.Melancholicus Tief, dunkel
aber öfters original. Der %.Phlegmaticus Tiefsinnig, emsig, aber
ohne Geist.

/δ_Schnörkel

/|P_170

/ ≥ Physiognomic. ≤

/Die Wißenschaft vom äußeren des Menschen, das
innere zu beurteihlen, heißt Physiognomi«e»c, sie kan nicht
mit getheilt werden, auch daher nie eine Wißenschaft
werden, denn sie beruhet nur auf «die» Imagination.
Die Physiognomi«e»c reducirt sich auf die Leibes_Gestalt, 2.
auf die Gesichts_Züge. 3, auf die Geberdung. Die Natur
scheint da wo sie eine Weiße Farbe gegeben, ihr Wer@k@
zur beurtheilung vorgestellt zu haben, wo sie gefärbt
hat, scheint es daß sie einen Schleier über ihr Werk
gezogen habe. Auf der weißen Farbe können wir
gewiße Affecte beßer bemerken z:E: Schaam durch
röthe. Zorn durch bleiche. Leute die eine sehr feine
Zarte Haut haben, %und bey denen das rothe an den
Backen %und Kinn hervorschimmert, haben gemeinhin

/|P_171

/die Hecktick. Sie sind mehrentheils von sanfter heiterer Ge-
müths_Disposition. Dies alles aber läßt uns doch im dun-
kelen. Leibesbildung. Eine große regelmäßigkeit des
Baus, zeigt gemeinhin einen mittelmäßigen alltäglichen
Menschen an. Regelmäßige Bildung des Gesichts ist ge-
meinhin mit einen kleinen, oder doch nur mittelmäßigen
Geist verbunden. Die Natur scheint große geister mit
einer Disproportion verbunden zu haben. Bey Leuten von
besonderen Gemüths_kräften, findet man auch besondere
Gemüths_Arten. z:E: Virtuosen sind mehrentheils Eigensin-
nig. Häßlichkeit ist nicht eine Eigenschaft der Natur,
sondern nur unserer Einbildungs_kräfte. Witz gewinnt
auf kosten des Verstandes. Ein gros Genie ist gemeinhin
den gesammten Zwecken der Menschen nicht angemeßen
sondern nur einem. Die in Ansehung des Geschmacks sehr
begünstigten Köpfe, zeichnen sich gemeinhin durch Dispro-
portionen aus z:E: Pope. Bey allzuregelmäßig gebauten
Menschen, dürfen wir nichts großes suchen. Das Grund-
maas des Regelmäßigen körperlichen baus, ist das
mitlere zwischen den extremen. Maler, Bildhauer haben
ihren Maasstab aus der Erfahrung. Wenn jemand
z:E: 1000 Menschen ihre Hohe mißt, so addirt er die Zahl
zusammen, %und dividirt sie durch 1000. Und so auch 1000

/|P_172

/Schultern, Köpfe u:s:w: da bekommt er denn den mittlern Kopf, Schul-
tern u:s:w: unter den Taussend; dies ist der Schöne Mensch.
Was wir Schön %und wohlgestaltet nennen, weicht in Italien %und
anderen Ländern ab, weil jede Nation das mittlere sucht, %und
also auch ein ander richt_maas hat. Der Mensch der die
mittlere proportion hat, ist ein ordinairer Mensch, was nicht
so wohl von der mittleren größe, sondern mittlere proportion
«hat» sehr abweicht, ist Häßlichkeit, misbildung. Die Statur
macht keinen unterschied in Schönheit %und Häßlichkeit. Wahre
Häßlichkeit ist nur die, die einen Ausdruck in der mo-
ralitaet giebt, die der Sittlichkeit zuwieder ist. Wenn aus
seiner Miene Tücke hervorleuchtet. Das männliche Geschlecht
scheint nicht so schön zu seyn, wie das Weibliche, %und wenn
sich Männer sich Weiblich ankleiden, so sind sie alle Häß-
lich; ordinair sehen sie frech aus. Ein Frauenzimmer siehet
aber subtiler aus. Wir sind aber hiebey größtentheils
interessirt, %und die Geschlechts_Neigung mischt sich ein. Wir
müßen aber Menschen von einem Geschlecht beobachten,
denn man kan ja nicht den Esel, in rücksicht auf das
Pferd, häßlich nennen. Die Natur hat in allen Gesichtern
eine gewiße originalitaet gelegt, %und es ist keines verfusch-
ert, jedes Gesicht ist für das individuum das Schicklichste.

/|P_173

/An einem Menschen_Gesicht ist jeder Theil so proportionirt daß
kein Theil ohne das ganze Gesicht häßlich zu machen, füglich
könnte geändert werden. In ansehung des Gesichts. Wir
können unterscheiden die Gesichts_bildung %und die Gesichts_Züge.
Die Maler unterscheiden Character von Caricatur. Nach ersten
zeichnet man, wie der Mensch würklich ist. Des Flügelman
seine Geberden sind Caricatur. Auf dem Theater ist gemeinhin
auch alles caricatur, durch caricatur übertreibe ich. Fratzen
Gesichter nennt man die, so erdichtet, %und von der allgemeinen
Regel abzuweichen scheinen. Das Gesicht wird gezeichnet
en profil, die läßt sich am leichtesten zeichnen, auch en
face; kein Mensch kennt sich im profil selbst. Die breiten
Backen_Knochen, kan man im profil nicht sehen. Das Profil
weils am leichtesten ist, ists auch am brauchbarsten
regeln zu geben. Das %.männliche Geschlecht hat mehr flache,
das %.weibliche mehr runde Stirne. Ganze Nationen haben eine
eigenthümliche Gesichts_Bildung, das beruhet alles aufs
Temperament; aber hievon auf das Talent oder gar auf den
Character zu schließen ist lächerlich, %und unbillig. Die Alten
Physiognomiker z:E: Baptista, Porta haben Menschen_Köpfe
mit Thierischen zu vergleichen gesucht. Diese Ähnlichkeit
hat aber sehr viel Täuschendes. Die Alten müßen wohl
den, der einen Hügel auf der Nase hat, für einen Spötter

/|P_174

/angesehen haben. Den Chinesern ragt der untere Kinnbacken, den Oberen
hervor. Die Gesichts_Züge sind von den Mienen zu unterscheiden. Die
Gesichts_Züge sind schon anlagen zu mienen. Wir errathen aus
dem Gesichts_Zug die Miene. In jedem zustande hat der Mensch
unterschiedene Mienen. Mancher hat was sanftes in seinen
Zügen, es liegt vornehmlich in den Augen %und der Oefnung des
Mundes. Aus manchen Gesichtern scheint immer eine Grobheit
hervorzuleuchten, %und dies trügt auch nicht in dem dreisten
Blick eines Mensch ist was wiedriges, weil sein Blicke unmäs-
sige Ansprüche verräth. Mancher hat die gröste Wiedrigkeit
im Gesicht, wenn er sich gleich sanft %und freundlich stellen will.
Mienen sind ein Spiel bewegender Gesichts_Züge. Wer viel mie-
nen macht, bekomt ausdrückende Gesichts_Züge, aber keine
Nation so wie die Italiener. Die Menschen können Gesichts_Züge
behalten, durch die Mienen %und Gemüths_stimmung. Nicht nur
daß die Gemüthslage ähnliche Mienen hervorbringt, sondern die
Mienen erregt auch eine gleiche Gemüthslage. z:E: die Zornige
Mienen erregt Zorn. Ein Mensch hat eine Verschiedene Mien@e@
wenn er in Gedanken ist %und wenn er spricht. Lavater sagt
daß die Physiognomie des Menschen sich im Tode veredelt habe,
daß ist aber nichts, denn die Mienen sagt denn nichts, weil
alle Züge abgespannt sind. Man kan Leuten, die auf Lande
erwachsen %und erzogen sind, das länliche ansehen. Die Ursache
möchte diese seyn, weil sie immer mit Niedrigen umgehen, ist
ihre Miene stolzer. Wer in Städten erzogen wird, hat eine at

/|P_175

/tention auf sich nöthig, %und dies artige %und bescheidene drückt sich
auch in den Mienen aus. Nach der Lebens_Art werden die Mienen
unterschieden. Habituelle Miene könte man Gesichts_Zug nennen.
Von manchen sagt man sie hahen ein gemein Gesicht, bey diesen
liegt Bauren_stoz, überhaupt der Mensch sieht nie dummer aus, als
durch Hochmuth, er will sich die Miene der Überlegenheit %und Wich-
tigkeit geben, %und der andere lacht ihn aus. Sympathie bringt auch
ähnliche Gesichter hervor. Religions_übungen wenn sie Grimaßen
enthalten, flößen auch mienen ein. So können auch Mienen
National werden, blos durch Religion. So giebts auch provin-
zen wo Gesichter grenzen machte. Man sey das im Ernst,
wofür man wünscht angesehen zu werden. Dies ist ein Mittel
ein gut Gesicht zu bekommen. Das affectiren in Mienen ist
das ärgste. Eine gewiße Art von anhaltender Gemüthsbeweg-
ung, drückt auch dergleichen bleibenden Züge ein, sagt
Lichtenberg. Etwas kan wohl hier daran seyn. Wenn ein Zug
unauslöschlich dableibt, so ists ein Zeichen daß er aus der Natur
entstanden. Man sagt ein Mensch habe seine Gesichts_Züge
geändert, man erwägt aber nicht, daß er überhaupt gewachsen
sey. Die Gesichts_Züge sind erst im 30 Jahr völlig entwickelt.
Die Mienen verdienen wohl nicht als was Willkührliches,
sondern als was Natürliches angesehen zu werden, sie
sind ein Theil der Sprache. Eine Vollkommene Sprache be-
stehet a.) aus der Articulation d.i. Wörte b., aus der
Gesticulation d:s: Geberden. c., aus Modulation, d:i: accent.

/|P_176

/Die Kunst durch Geberden zu Sprechen ist Mimic. Die Mienen sind
natürliche Zeichen, %und bey allen Nationen dieselben. Die Alten
waren erstaunend stark im Mienenspiel beym Reden. Die
Venedigschen Advocaten proponiren noch ihre Acten mit den größ-
ten Leibesbewegungen. Das die Alten unter accent verstan-
den haben ist jetzt sehr ungewiß, er war etwas musicalisch.
Man könte doch probiren, ob man nicht aus bloßer modulation der
Töne, wenn jemand in unbekanter Sprache, hinter der Gardine
spräche, seine Worte errathen könnte. Die Geberden sind am
wichtigsten. Mienen gehören zur allgemeinen Menschen Sprache@.@
Zur Willkührlich auch unwillkührlich, die leztern scheint die
Natur dem Menschen zum verrathen beygelegt zu haben.
Dazu gehört die Schaam. Man kan in der Gesellschaft in
den Augen eines Zornige«s»n seinen Wuth sehen, ob er ihn
gleich sehr zu verbergen sucht. Den ganzen Character aus
den Zügen zu errathen, ist ganz was anders als den gegen-
wärtigen Zustand, aus den Mienen zu errathen, das
%.Natürliche Schielen macht nichts es be«¿»ruhet schon auf die
Organe, es giebt aber Leute, die nur dann wan sie
sprechen schielen, obgleich sie es sonst nicht thun, %und von
diesen kan man sicher sagen, daß sie Lügen, indem sie im
kopf drehen, dreht sich das Auge auch, %und hiedurch geben
sie Unwillkührlich dem anderen ein Zeichen hievon. Daß
Physiognomic eine realitaet habe, ist beynahe nicht zu

/|P_177

/streiten. bey der Physiognomic macht man die festen Theilen
en profile zur betrachtung, oder die musceln an der Seite en face.
Es ist dies so schwer daß %.Physiognomic nie eine Wißenschaft werden
wird. Die %.Physiognomische Geschicklichkeit kan man andern nicht
mittheilen. Selbst Lavater hat sehr gefehlt. Da einen erforschen
will, macht auch die Miene eines erforschenden, der andere
bemerkt daß, %und nimmt unschuldige ruhevolle Mienen an. Auch
deswegen ist sie mislich, weil die ärgste Schelme, die wenig-
sten Mienen haben, sie sehen ehe Dumm als Boshafft aus.
Die schon gänzlich verdorben sind, haben keine affecten, ver-
rathen sich daher auch nicht durch Mienen. Ein unterdrückter
%und ohnmachtiger Zorn, macht errothend, er ist ein unwille, %und
nicht eine bewuste Schuld. Wenn der Mensch stotteret, so
denkt man, er gehe mit Lügen um, aber eben ein gewißen-
haffter Man ist %.bedenklich %und ändert seine Worte um nicht
Unwahrheit zu sagen. Alles auflauschen auf andere Gesicht
ist beleidigung. Das menschliche Gemüth wird corrumpirt
durch die bemühung andere Menschen auszuforschen. Das
Studium der %.Physiognomic ist deswegen von keinen Nutzen, es
ist vorwitz %und arroganz, weil man sich zum Richter anderer
aufwirft. Charactere anzugeben ist eine hohe anmaaßung.
In den Gesichts_Zügen, die das Talent, das Temperament
%und den Character betrefen, ist eine große Verschieden-
heit; der Character scheint nicht in der Natur zu liegen.
Viele Leute haben kein Vortheilhafftes Gesicht, wenn sie

/|P_178

/still sind, wenn sie spechen, ists einnehmend. Der Zug der
Freymüthtigkeit %und Gelindigkeit nimmt ein. Wenn man die
Bösartigkeit erfährt, glaubt man sie schon vorher im Gesicht
gesehen zu haben.

/National_Physiognomie ist wohl anzutreffen. Jede Nation
hat doch immer was verschiedenes. Die Südliche Franzosen, sind
deutlich wegen ihres Gesichts characterisirt. Das Griechische profil
wird als das Muster der Schönheit angegeben. Stirn %und Nase
laufen in Gerade Linie, %und das hat was nobles, aber das
lachende %und muntere nicht. Haben die Griechen so ausgesehen@.@
Das mittel zwische festigkeit %und Mager«k»heit scheint bey ihnen
wohl gewesen zu seyn. Das profil aber scheint wohl ideal
zu seyn. Die schönheit gewißer proportion der Theile muß
nicht angesehen werden, als ein zeichen des Characters.
Wenn man das zur Regel annimmt, daß mit den Sitten sich
nicht die Mienen anderen, so könnte man sagen, daß bey
dem Menschen schon eine predestination wäre, daß er nicht
beßer werden könne, man bemerkt auch %.wirklich, daß oft
dieselbe Miene von der Jugend bis zum Alter bleibt.
Die angebornen Gesichts_Züge müßen, wenn auch nicht
ausgerottet, doch überwogen werden -. Natur_Gaben.
Sie sind die Summa aller Fähigkeiten, %.nemlich Vermög@en@
%und Sinnes_Art. Leztere bestehet in Begehrungs_Vermögen¿

/|P_179

/%und Triebfedern. Sinnes_Art macht %eigentlich das Temperament
aus, von diesen ist die Denkungs_Art verschieden, durch
welche der Mensch frey ist. Es ist hier die Frage ob Denkungs
Art oder Character angeboren ist? Man sagt vom Menschen
die Natur haben ihm schon die Tücke ins Gesicht gelegt, hier
ist der Mensch denn nicht frey %und nicht schuld daran. Wann
auch der Böse Character in unserer Natur gegründet wäre,
so könnte er dem Menschen nicht angerechnet werden. Denk-
ungs_Art ist entweder gar nichts oder des Menschen Werk,
der da sie der Character der Freyheit sein soll, so würde
sie der besatz der Grundsätze seiner Handlungen seyn.
Character im %.eigentlichen Verstande, bestehet in der beharrlich-
keit nach bestimmten Grundsätzen zu handeln. Die
Physiognomic soll die Natur_anlagen offenbaren, %und
nicht die Denkungs_Art. Die Characterstic eines Menschen
als ein frey handlendes Wesen, läßt sich gar nicht
errichten. Man müßte die habituellen Mienen von den
Gesichts_Zügen unterscheiden können, wenn man den
Character errathen wollte. Der Mensch kennt seinen
Character selbst nicht, sondern er kan ihn nur errathen
wenn er seine Handlungen beobachtet. Man sagt ein
Mensch hat ein Tüchtig Talent, ein %.Glückliches Temperament
aber einen guten oder bösen Character. Talent bezieht

/|P_180

/sich auf Erkenntniß_Kraft, Temperament aufs Gefühl, der
Character auf den Willen. Das Talent bestimmt den Markt-
preiß, oder die Brauchbarkeit des Menschen. Das Temper-
ament den affections_preiß, oder die Liebe anderer. bey
Character aber den eigentthümlichen inneren Werth, oder sein
Verdienst. Der Arzt hat ein Marktpreiß. Nur nach pro-
portion der Talente kan der Mensch gebraucht werden,
ein Werkzeug. Den Affectionspreiß setzen wir, wenn wir
ein unmittelbares Wohlgefallen woran finden, ohne Rück-
sicht des Vortheils. Der Affectionspreiß geht auf solche
Leidenschaften die beliebt machen. Der innere Werth
bestehet in den Grundsätzen, nach welchen, man sich
der Naturanlagen bedient. Das Talent wird geschätzt,
das glückliche Temperament geliebt, der Character aber
geachtet %und Gefurchtet. Durchs Talent ist der Mensch
zu Zwecken, durch Temperament zum Glücke %und Unglücke
aus gerüstet. Durch den Character aber fürs allgemeine
beste, %und dies ganze bestimmt nur den allegemeinen
Werth. Den Character nennt man Generaliter, woran
man ein Ding jederzeit erkennen kan, der Special
Character am Menschen ist, woran ich gleich urtheilen
kan, wenn ich mich am Menschen versehen habe. keinen Cha

/|P_181

/racter haben macht den Menschen zum object der geringschatzung
%und verachtung. Character finirt die Freyheit durch maxime.
Character ist die Beharrlichkeit der maxime. Gut kan der
Mensch genannt werden, wenn er einen bestimmten Character hat.
Um gut zu seyn, muß der Mensch gute maximen haben, %und diese
müßen beharrlich seyn. Gar keinen Character haben macht den
Menschen zu einem Werkzeug %und denn ist er keine Person. Zuerst muß
auf die bildung des Menschen gesehen werden, so daß er Grund-
sätze bekomme, %und nach diesen unverbrüchlich handeln. Eine
Maxime hört durch einen Ausnahme auf ein Grundsatz zu
seyn, die 2te Ausnahme wird denn schon leichter. Ein Mensch
ist sehr unglücklich, wenn er sich sogar auf sein eigen Wort
nicht verlaßen kan. Wenn der Mensch sich selbst zum Glück
hält, so verliert er gegen sich selbst alle Achtung. Wenn
der Mensch eines Characters fahig ist, so muß er suchen 1.)
einen Willen zu haben; das eigensinnig seyn taugt aber
nichts. Einen Willen hat der Mensch wenn er nach Grundsatzen
handelt. Einen eigenen Willen hat jemand, deßen Grundsätze
seine eigene %und nicht anderer sind. Die keinen eigenen
Willen haben können Säuffer werden, blos weils andere
wollen. Der Eigensinn gehört zum %.Temperament %und ist zu
Tadeln, weil er sich nicht bequemen will, aber der Eigen-
wille wird durch überlegung bestimmt. Der Mensch muß
den Grundsätzen, aber auch nicht aus gewohnheit folgen,

/|P_182

/sondern nach jedem eizelnen Fall. Dies gilt von den maximen der
klugheit, aber die der moralitaet sind unverbrüchlich. 3.) Er muß
beharrliche Grundsätze haben, d:s: worinn er sich selbst Wort
hält. Die maxime wenn sie nicht beharrlich ist, giebt gar keine@n@
Character ab, der mensch muß mit sich selbst eine Gesetzgebung
haben. Findet er seyn maxime richtig %und verspricht er sich
selbst, so muß er sie halten. Er muß in sich selbst %und seine
Vorsätze ein Vertrauen setzen können, dies kan schon in
der Jugend cultivirt werden z:E: in ansehung des Gebrauch@s@
der Zeit. 4tens) Er muß jedem anderen Wort halten.
Der leichtsinnig sich etwas vorsetzt %und anderen was versprich@t@
hat keinen Character. Der Mensch muß nicht lügen denn
es ist schändlich, %und ein Mensch der lügt hat keinen Charac-
ter. Festigkeit im Wort halten, setzt eine Überlegung
von dem Versprechen voraus. Ein Character kan auch
affectirt werden. Der Mensch muß sorgen, daß er über-
haupt einen character habe. Das melancholische Tem-
perament ist am geschicktesten einen Character zu bilden,
weil bey ihm alles tiefeindringt. Beym sanguinischen
ists schwerer. Die Geringschätzigkeit eines Menschen
ohne Character kan hiezu viel beytragen, weil man
nicht weiß, was man sich bey ihm zu versehen hat.
Ein böser Mensch der böse Grundsätze hat, erregt doch
bewunderung, wenn man ihm siehet daß er beharrlichke@it@

/|P_183

/hat. Es ist nichts wichtiger als Consequent Wort zu halten.
Die böse Grundsätze haben sind gemeinhin auch nicht sehr
consequent. Beßer fürs gemeine Wesen ists wohl daß der
Mensch nicht consequent sey, aber einen Werth hat er denn
nicht. Den Character gründen, muß man %.eigentlich erst nach
vollendeter beziehung. Ein Sonderling scheut sich für Nach-
ahmer gehalten zu werden. Blos Nachahmen, beraubt
den %.Wirklichen Werth des Menschen, doch verliert der Son-
derling mehr wie die Nachahmer. Als Nachahmer bin
ich ein Narr in der Mode, als Sonderling ein Narr aus-
ser der Mode. Der hang ein Sonderling zu werden zeigt
sich auch in anderen Dingen. z:E: in Zeit_schrifften. Das
ist ekelhaft. Jn Kirchen giebts Sonderlinge diese heißen
separatisten. Nichts ist lächerlicher als die Nachah-
mung eines Characters. z:E: Wie man jetzt den
Engländern nachahmet. Zur beharrlichkeit in practischen
Grundsätzen wird %.vorzüglich Wahrheit erfordert, so wie was
unwahres beym Menschen hervorleuchtet kan man gleich
sagen daß er keinen character haben, dergleichen sind
Lügner, Heuchler. Ehrlich sind viele Leute nur aus
Temperament. Ehrlich aus Grundsätzen ist Redlich, er
wird nicht leichtsinnig seyn im Glauben. Der bestimte
Character macht den Menschen in seinen eigenen
Augen schätzbar. Lügen muß kein Mensch, auch nicht

/|P_184

/bey kleinigkeiten, nicht aus dem Grunde daß er anderen
%und sich selbst schade, sondern daß er sich selbst nicht verach@te.@
Der einen Rechtschafenen Character hat, wird nicht geheim-
niße aussagen. Eine Freundschafft die sich so gar in Unein-
igkeit verwandelt hat, wird er doch hochhalten. Jeder der
Freunde, muß einen bestimten Character annehmen. Ein
Mensch ist ohne Character die immer anders handelt als
er raisonirt %und moralisirt. Vor alten Zeiten, würden dem
phylosoph in den Lehren der moral aus seinem Lebens
wandel Einwürfe gemacht. Jezt ist es nicht so - Es giebt
Leute die moralen %und aufgesammelte Sitten_Sprüche immer
im Munde führen. Dies ist aber verstellt. Der Mensch
der kein moralisch Gespräch eingeht, bey dem ist die moral
nur aus Temperament entstanden, %und der ist auch ohne
alles Gefühl für Grundsätze. Der Umgang selbst ent-
dekt doch auch den Character. Noscitus «associo» ex socio qui non cog-
nocitur esse.

/Das Geschiehet gemeinhin in ansehung des Geschmacks,
denn die mit einander umgehen haben gleichen Geschmack.
Der Umgang mit den Ehrlichen ist dem mit vornehmen
vorzuziehen. Ein Mensch von Character fragt nicht
was die Menschen von ihm sagen, wenn er nur sein
Verfahren nach Grundsatzen eingerichtet hat. Die
Festigkeit des Characters ist das Bewust_seyn meiner

/|P_185

/Würde, ich kan aber meiner Würde nicht bewust werden, wenn
sie blos auf die Meinung anderer beruhet. Die Gutherzigkeit
des %.Temperaments wozu auch das mitleiden gehört, hat keinen
Character, ein solcher Gutherziger wird dem Schneider nicht
bezahlen %und doch almosen geben. Gutes thun aus Pflicht be-
wegt einen Rechtschaffenen Character. Der Mann liebt die
Frau anfänglich aus Neigung, wenn er ihre Güte betrachtet
kan er sie auch aus Grundsätze lieben. Liebe aus Neigung
%und aus Grundsatzen ist sehr verschieden. Alle Gefühlvolle
Leute %.und Autoren sind Leute ohne Character, z:E: Young.
Der mann von Grundsatzen wird zwar Gütig seyn, aber
noch vorher gehet bey ihm die Gerechtigkeit. Der Gütige
aus Grundsätzen, ist auch gütig gegen den Beleidiger,
denn er ist um das wohl des ganzen Menschen_Geschlechts
willen gütig, um das übel zu verminderen. Leute von
Grundsätzen machen sich zuweilen hart, um nicht durch
Weichherzigkeit %und durch Eindrücke zum Wohlthun geleitet
zu werden. Eine moral die Hauptsächlich die gute Handlung
in Gefühlen sezt, gründet keine Charactere. Die handlungen
die nicht aus Pflicht geschehen sind Wetterwendisch. So
lebte ein großer Mann, der that wohl, «d»wenn er betrunken
war, das gereute ihm bey nüchtern Muthe. Religion
auf grundsätze gebaut, ist Gewißenhafftigkeit, aber

/|P_186

/auf Gefühl %und Empfindungen von Dankbarkeit, oder auf Schwer-
merische Liebe gebaut, ist ohne Grundsätze. Die ärgsten Re-
ligion Verfolger sind gemeinhin so. Der Reliogiöse aber-
glauben gehet auf lauter Gunst_erwerbungen, d«a»es höchsten
Wesens. Gewiße Stande haben Eindruck auf den Character@.@
Der Soldaten_Stand begünstigt den Character. Der Hoffmann
ist Wetterwendisch. Dem Geistlichen giebt man viele
Verstellung schuld, %und er ist auch so, weil man haben will
der %.Geistliche soll menschliche Schwachheiten abgelegt haben
also muß er sich verstellen um nur so zu scheinen.
Dem Character ist aber nichts mehr zuwieder, wie die
Affectation. Je aufgeklärter das Zeit alter wird, desto wenige@r@
gerathen Geistliche in diesem Zwange. Leichtsinn ist eine
gewiße Fehlerhafftigkeit, welche den Mangel des Characters
hervorbringt. Dies ist aber nicht bößartigkeit. %.Bösartigkeit
kan aus Falschheit %und Schaden freude bestehen. Gewiße
Fausseté liegt im %.Menschlichen Character %und corrupirt ihn. Der
hang zur Verstellung ist sehr groß beym Menschen,
daher ist ein bestimter Character selten. Menschen
sind von Natur sehr mistrauisch gegeneinander, daher
verheelen sie ihre Fehler. Wenn der Mensch das Böse
in der Welt herrschen sieht, so corrumpirt das schon seinen
character. Der Satz ist an sich falsch daß der Mensch
von Natur ein Bösewicht ist. Der Glaube an Tugend

/|P_187

/ist eben so wichtig, als der Glaube an Religion. Man muß
seinen character bilden. Der gute character kommt nicht von
Natur, sondern er muß erworben werden. Die Natur_anla-
gen können aber wohl die Festigkeit des Characters beför-
deren. Doch sind die Natur_anlagen verschieden. Beym
Frauenzimmer soll das Wohlverhalten, nicht auf Grund-
sätzen, sondern auf Ehre gegründet seyn. Das Frauenzimmer
wird sehr geschmeichelt, %und mit gelindigkeit behandelt,
um ihre Ehrliebe so hoch zu steigern, %und sie diesem Punkt
recht delicate zu machen. Erziehung trägt zum Character
bey, dann Nachdenken %und Unterredung mit Freunden
die uns in Grundsätzen stärkt. Es ist ein gewißer Zeit-
punckt, wo mann seinen character fest gründet, von
dem man auch nicht abgehen. Dies ist ein Wiederge-
burt. Man nimmt diese grundsätze recht %.faßlich an, %und
eine ein«g»zige ausnahme schwächt sehr oft das Gemüth. 3.)
die Unverlezlichkeit. Dieser Grundsatz erfordert hochach-
tung gegen seinen Freund. Amicus usque ad aram. bedeutet
die Freundschaft die nicht weiter gehet, als das Gewißen
erlaubt, %und die auf grundsätzen beruhet. Alle Menschen
haben anhänglichkeit ans Vaterland, sind aber nicht alle
Patrioten. Ein Patriot aus Grundsätzen, oder ein wahre@r@
Patriot kan nur ein Cosmopolit seyn. Er muß am

/|P_188

/Wohl aller Menschen theil nehmen. Zum Character gehört
Reife des Verstandes. Der Character wird erst im 40ten Jahre
reif, denn er muß durch hinderniße entstanden seyn, denn
nur als dann lernt man Dinge nach ihren wahren Werth
schätzen. Es müßen aber die Leidenschafften noch nicht
aufgehört haben. Der Mensch muß aber genugsame Geistes
Stärke haben, um unter einer Mannigfaltigkeit den Unter-
schied zu machen, nur denn kan ein Character festgesetzt
werden. Es ist nur eine Zeit zwischen Sturm %und Überwälti-
gung der Neigungen, dies ist das 40te Jahr. Hier hat man
schon die Nichtigkeit der Neigungen eingesehen. Es ist
schwer seinen Character selbst zu erkennen. Worinn
es liegt das er gute Handlungen thut, kan der Mensch
nicht ergründen. Gott allein weis es. Gebrechlich oder
unrein heißen Handlungen, wenn sie zwar gute Würk-
ungen hat, aber nicht aus guten Grundsätzen entstan@den@
ist. Der Publique Character im Amte, ist von anderer
Art, als der privat_Character. Im Amte läßt sich zu-
weilen auch der Privat_Character bemerken. Viele
sind im Handel nicht zu trauen, %und haben doch eine@n@
recht guten privat_Character haben. Der Publique

/|P_189

/Character eines Richters muß streng seyn, %und kan daher
schreckhaft seyn, aber seyn privat_Character kan gütig, ge-
lind seyn. Ein vernünpftiger Mann muß auch hierin
variiren. Simplicitaet ist das äußerste merkmal des
Characters. Character nennt man auch für einen
Stand in %.Bürgerlicher Gesellschaft, wo der Posten den Cha-
racter ausmacht. Solche Tittel konnen wohl erblich
seyn wie Macht. Edelmann ist ein großer Mann,
der Zugleich gut ist. Ein guter Bürger ist der, der
alle Pflichten gegen die Obrigkeit erfüllet, welche
aber nicht bewegungs_Gründe seiner Handlungen
sieht. Der Moralist sieht aber auf die Grundsätze,
woraus die Handlung fließt. - 

/Rest_leer

/|P_190

/leer

/|P_191

/ ≥ Vom Character des Geschlechts. ≤

/Die beyden Geschlechter die die Menschen ausmachen, kommen sehr
überein. Die bestimmungen aber zeigen an daß die Geistes_anlagen
schon sehr verschieden sind; bey %.äußerlich ähnlichen scheinenden betra-
gen, sind doch die Quellen verschieden. Die Geschlechter sollen
vereinigt werden, %und dazu gehört, daß eins das Mangelhaffte des
anderen ersezzen kan. Viele nehmen gar keine, viele gar zu
große verschiedenheiten an. Wir können aber sagen, es müße
eine solche Verschiedenheit der Geschlechter seyn, als nöthig
ist die Vereinigung zu beförderen. Die Natur liebt Mannig-
faltigkeit in der Art, aber einheit in der Gattung. In
verschiedenen Sprachen ist kein Nahme für die species z:E:
homme, so wohl mensch als Mann. Wenn ein Wesen

/|P_192

/mit kleiner Kraft, eine große Sache bewerkstelligen soll, so muß
mehr kunst darinn seyn, daher ist zu glauben daß d«as»ie Natur mehr
kunst in das Weibliche Geschlecht gelegt habe. Da sie ihm wenige@r@
Leibes %und Seelen_Kräfte gab, als dem %.Männlichen. Beym Mänlichen
ist weniger kunst, blos ein einfacher, natürlicher Gebrauch der
kräffte. Man nimmt an daß die Verschiedenheit der Art beym
Menschen durch Zufälle entstanden, %und auch so wieder verlösche@t@
z:E: Boshaftigkeit oder Gutherzigkeit, Starrsinn, von welchen
mann glaubt, daß sie dem Menschen nicht angebohren, sondern
von ihm erlangt sind, entweder durch Erziehung, %.bürgerliche
Verfaßung oder Umgang. Andere nehmen an die Charactere
wären erblich, %und die Erziehung pp. trage dazu manches bey.
Dies wäre ein Princip der Nachläßigkeit %und Verwahrloßung@.@
Iedes dieser Principien, die Charactere zu erklären hat etwas
scheinbares %und brauchbares, aber doch sind nicht ohne
fehler. Man glaubt beym weiblichen Geschlecht Eigenschaften
zu finden, wodurch sie sich ihrer Natur nach, vom Männ-
lichen Geschlecht unterscheiden. Andere sagen das Frauen-
zimmer wäre von Natur mit den Mans_Personen gleich,
doch dies geschiehet nur aus Gefälligkeit, wozu sie auch
beyspiele aufsuchen. z:E: die Amazonen. Weib %und
Mann machen den unterschied des Geschlechts aus.
Frauenzimmer (Gyneconitis) kan man aufs ganze

/|P_193

/Geschlecht sagen, aber nicht auf einer einzigen Person. Auch
wird der Ausdruck Frauenzimmer davon her derivirt, daß die
Mans_Personen in Griechenland zu sagen pflegten, sie wollen
ins Frauenzimmer gehen, d:h: ins Zimmer des Frauen.
bey den Deutschen würden die Weiber in großen Ehren
gehalten. Die benennung Frauenzimmer kommt her von der
Galanterie. Schönes Weib wäre ein weit größerer Ruhm,
als schönes Frauenzimmer; denn im ersten Fall ver-
gleiche ich sie mit dem ganzen Geschlecht. Das Weibliche
ist dasjenige Geschecht, deßen Character vorzüglich muß
Studirt werden, denn beym Männlichen ist weniger kunst
als beym Weiblichen, deßen Character aus lauter künst-
liche Zusammensezzungen bestehet. Der Mann ist für
die Natur gemacht, das Weib für den Mann, muß
ihn beherrschen %und Einfluß auf ihn haben, daher hat die
Natur einen großen kunst Gebrauch in die Weiber
gelegt, dadurch keiner dem anderen überlegen ist.
Denn sonst würde der Mann das Weib unterdrücken.
Jener ist stark in ansehung der Natur, aber schwächer
in ansehung des Weibes. Wo werden wir die Natur
des %.Weiblichen Geschlechts auffinden? im rohen Zustande
oder im civilisirten, denn die Natürlichen Anlagen haben
nicht Gelegenheit sich im Natur_Zustande so zu ent- 

/|P_194

/wickeln als sie in civilisirten haben. Das Weib wird auch eher
civilisirt als der Mann. Im Rohen Zustande findet man keine
einzige Spur daß das Weib über den Mann etwas vermag,
nicht eher als er civilisirt wird, im Rohen ist er zu dumm@.@
Dampier fand, daß der Mann bey den Wilden, immer mi@t@
den Waffen voraus gieng, %und das Weib mit dem Gepack
folgte, es ist also hier «den Natur Zustand parallel neh-
men» das Last_Thier des Mannes. Mann kan hier
den Natur_Zustand parallel nehmen, %und sehen wie die
cultur zugenommen hat. In Pohlen wird alles von
Weibern regiert, welches blos von ihrer Kunst, sich
ihrer Natur_anlagen zur Einfluß auf Männer ge-
schickt zu bedienen, herkomt. Die Specifischen Eigen-
schaften des Weiblichen Geschlechts in ansehung
ihres Characters, heißen Weiblichkeiten, es sind
schwächen in ansehung der Natur, aber nicht in
ansehung des Mannes. Weiber sind gemeinhin
schüchtern, oder affectiren es doch, %und eben dadurch
beherrschen sie den Mann. Sie erheben ein Ge-
schrey über Kleinigkeiten, dies ist bey ihnen ein
%.natürlicher Instinct. Die Schwächen der Weiber, sind
die Seiden_fäden, wodurch das Männliche Geschlecht

/|P_195

/mit ihnen verknüpft ist. Furcht hat ihnen die Natur
eingelegt, weil ihrem Schoos die Erhaltung des %.Menschlichen
Geschlechts anvertrauet wird, %und sie sich also nicht viel
wagen sollen. Der Natur_Zweck ist a,) die erhaltung,
der Art b,) auf Cultur hat das weibliche Geschlecht gros-
sen Einfluß. Es war nöthig das beyde Geschlechter
verschiedene Eigenschaften hatten, damit nicht eins
ohne das andere bestehen könnte. Es mußte bey ihnen
eine innigliche Verbindung seyn, es mußte das eine
etwas bedurfen, was es beym anderen fand. Der Mann
kommt des Weibes Schüchternheit zu hülfe, durch seinen
Muth. Das Weib hat wieder Gedult, deshalb liegt
ihr die Erziehung auf. Freunde fürs Hauß <verschafen> kan das
Weib mehr wie der Mann. Die beredheit der Frau
beym gemeinen Mann, ersezzt Complet die Sprachlosig-
keit des Mannes. Die Geringschätzung des Weiblichen
Geschlechts ist jederzeit mit roher Lebens_art %und brutalen
Sitten verbunden. Über das Weibliche Geschlecht,
ihrer Weiblichkeiten wegen zu spotten ist Thorheit,
denn hätten sie Männlichkeiten an sich, so würden
wir sie gar nicht lieben können - Hume sagt
ein Frauenzimmer erträgt einige Satyren in Ansehung
ihres Geschlechts, aber eine Satyre gegen den Ehestand

/|P_196

/nicht, ersteres ist Spas. Die Neigung zu ihnen, das wißen
sie, kan sich nicht verlieren, aber wegen der Ehe sind sie
Zweifelhaft. Der Mann ist in Rücksicht auf das Weib
schwach, leicht zu erforschen, sie ist aber verschwiegen,
anderen können sie Geheimniße gut abfragen. Er ist
leicht zu bereden, sie beharret aber steif auf ihrem Vor-
satz. Der Mann mag sonst feindseelig seyn, so haßt er
doch den Hauskrieg. Die Frau scheut aber den Hauskrieg
gar nicht, %und da ist der Mann gleich unter den Füßen
%und bekommt Pantoffel_Schläge. Die erstaunen große
Beredheit <des Weibes trägt dazu viel bey. Diese Beredheit> ist dem Männlichen Geschlecht sehr vortheil-
haft, %und die haben wir vom Weibe. Würden Männer
die Kinder erziehen so würden <wir> in späten Jahren nicht
reden können, aber das Weib schwatzt ihnen be-
ständig vor. Die Beredheit der Frau ist sehr an-
genehm, werden sie aufgebracht so ergießt diese
beredheit auch im Unwillen, %und ist unaufhörlich.
Dadurch hat sie auch Überlegenheit über den Mann.
Das Weib scheut aber aller körperliche Verletzung,
besonders des Gesichts. Die Natur hat in ihnen
eine inferioritaet gelegt. Der Mann hat doch ein@e@
Natürliche Großmuth, denn er schämt sich das
Weib zu schlagen. An einigen Orten in England

/|P_197

/versammlen sich die benachbarten Weiber %und tragen ihn
auf einer bahre zum Spectacle durch die Straßen. Der
Mann ist leicht zu versöhnen, %und läßt sich auch etwas ausreden
was er mit seinen eigenen Augen gesehen hat; der Wunsch
des Mannes daß das, waß das Weib sagt, wahr sey, macht
daß er leicht zu bereden ist. Das Weib ist nicht so leicht zu
versöhnen. Das Weib hat trotz aller Schwäche große begierden
zu beherrschen, sie muß mit ihren Reitzen sparsam seyn. So
heißt auch maitresse seine Gebieterinn. Die Zeiten der Ritter-
schaften gaben hierin mehr licht. Der Ritter mußte eine
Gebieterinn haben, der er den Helm zu Fußen legen könnte.
Das Frauenzimmer hat früh viel zutrauen auf sich selbst,
wenn der Iüngling noch tölpelt %und verlegen ist, er besorgt
daß er nicht gefallen werde, sie denkt sie muß gefallen.
Das Kleinod des Weiblichen Geschlechts wird durch die deli-
catesse im Punkt der Ehre erhalten. Die Männer begegnen
diejenigen mit Achtung, wo sie Keuschheit %und Tugend antreffen.
Das Frauenzimmer ist Freymuthig. Der respect den sie
einflößt dient dazu alle Zudringlichkeiten abzuhalten, durch
diesen Stolz ist sie durch Achtung gar nicht genirt von dem
Mann. Den Einfluß den einer auf den andern hat, beruhet
auf den Werth der Achtung. Das Frauenzimmer hat durch
seine eigene Neigung, Einfluß auf den Mann, mag immerhin
sehr gravitätisch seyn, so hat er doch gegen ein Iunges Frau- 

/|P_198

/zimmer Achtung. Die Natur hat im Weiblichen Schoos, die Erhaltun@g@
ihrer Art gelegt, sie (die Natur) scheint gleichsam in Furcht dabey
gewesen zu seyn, %und legte diese Furcht in das Weiblichen Ge-
schlecht, sie mußte durch seine Neigung denn mann so zu
mäßigen Wißen, daß sie in diesem Stärke ihm überlegen ist, %und
sie also beyde gleich waren. Wenn man streiten wolte die all-
gemeinheit der Schüchternheit des Weiblichen Geschlechts, so könnte
man sagen, es betrifft die körperliche verletzung. Auch denn
wenn sie nicht schön %und schon alt sind, wenn sie die Gefahr
nicht voraus sehen, denn wagen sie. Rousseau sagt die
Frauenzimmer sind nichts wie große Kinder. Das Weibliche
Geschlecht ist die Liebling der Natur, aber kommt der Männliche
Verstand nicht zu Hülfe, so gerathen sie sehr in Schwachheiten@.@
Man erzählt am Amazonen_Fluß, von einem Volk, daß aus
lauter Weiber bestehet, die sich nur selten mit Männern
abgeben, %und sehr kriegerisch seyn sollen. Das Weibliche
Geschlecht ist aber nicht kriegerisch, %und es würde denn auch
nicht so liebens würdig seyn. Die Unterschiede des Weib-
lichen Geschlechts vom Männlichen, beruhen nicht auf
Erziehung, sondern auf Natur. Der Männlichen Verstand
nimmt die Grundsätze aus sich selbst, der Weibliche aus
dem allgemeinen Ton. Das %.Männliche Princip der Sitten ist
Tugend, die gut handeln aus Grundsätzen. Das %.Weibliche
Princip ist Ehre, %und hier muß man sich auch so delicat

/|P_199

/als möglich machen. Die Frau ist %.Zärtlich Empfindlich. Der Mann
muß %.Zärtlich Empfindsam seyn. Wenn ich empfindlich bin, so bin
ich in Gefahr die Schmerzhafte Empfindung anderer über mich herge-
hen zu laßen. Der Mann muß delicat im Punkt der Empfind-
samkeit seyn, er muß ein feiner galanter Mann seyn, und
gewiße delicatesse in ansehung des Frauenzimmers haben.
Er muß der geringsten Empfindlichkeit vorbeugen; Fein seyn
in ansehung aller Empfindungen das ist Empfindsam. Dem
Frauenzimmer scheint der geringste Mangel der Achtung schon
beleidigend. Die Delicatesse der Frauenzimmer cultivirt die
Männer sehr. Der Iüngling ist zwar im Anfang verlegen
bey Frauenzimmer; dies zeigt aber seine Gutartigkeit an.
Die Politesse %und ersten Grundlinnien beym Mann giebt das
Frauenzimmer. Der kleinste Spott des Frauenzimmers thut
einen großen Affect bey Männer. Wenn man Kinder in
solchen Gesellschafften von Frauenzimmer bringt, so entstehet
lauter faseldes, den Iüngling muß erst beym Frauenzimmer
eingefuhrt werden. Fein seyn, in ansehung deßen, was
den anderen betrifft abzu wenden, bringt auch Gros Muth
hervor. Die Empfindliche Zärtlichkeit ist eine Sache des Frauen-
zimmers. Die Empfindsamme Zärtlichkeit eine Sache des
Mannes. Wer von beyden hat mehr Zärtlichkeit? Der
Mann weil er alle beschwerden auf sich nimmt. Die Liebe
der Frau nennt der Mann Gunst. Wer von beyden hat
mehr Geschmack? das Frauenzimmer hat mehr Geschmacks
Neigung, der Mann mehr Geschmacks_Urtheil über das

/|P_200

/was allgemein gelten soll. Er muß urtheilen können was allge-
mein gefällt. Das Frauenzimmer hat nicht allein Geschmack
ans Schöne, sondern sie ist selbst ein Gegenstand des Geschmack@s.@
beym Frauenzimmer hat auch nicht die Natur so viel Eindruck.
Sie wird auf Schildereyen nichts verwenden, sondern auf Kleide@r.@
Der Frauenzimmer ihr Geschmack ist doch nicht originel, denn
der Mann hat doch z:E: Porcellan erfunden, %und sie wählt
nur. Die Frauenzimmer sind der Mode ergeben %und den Ton
der Gesellschafft zu befolgen. In Gemischten Gesellschaften
muß das Frauenzimmer angeben, damit das Gespäch der
Männer für sie nicht zu trocken werde. Geschmacks
Neigung hat das Frauenzimmer weil sie es anlegt, im
Geschmack anderer zu gefallen. Der Mann will nur ein
Gegenstand der Achtung seyn. Die Natur hat dem Mann auch
einen beßeren Geschmack auf der Zunge gegeben. Der Frauen-
zimmer organe sind auch nicht so fein, einige individua
ausgenommen. Die Natur hat im Durchschnitt genommen,
das Frauenzimmer Hübsch, %und den Mann Häßlich gemacht.
Dies kan man vorzüglich bey der Umkleidung sehen. Weil
nur der Mann Häßlich ist, wenn das Frauenzimmer Ge-
schmack hätte, so würde er ihr nicht gefallen. Der Mann
mußte Geschmack haben an die Schönheit des Frauenzim-
mers. Sie sieht auf Talente, er auf Gesicht %und Schönheit,
er ist also mehr für den Geschmack. Was die Häußliche
Vollkommenheiten betrifft: so ist des Mannes Wirthschaft
erwerben; des Frauenzimmers Wirthschaft «E»besparen.

/|P_201

/Sie auch nicht freygiebig %und kans auch nicht seyn, weil sie nicht
erwirbt. In den händen der Frau ist das Geld gut aufgehoben.
Wenn eine Frau selbst Vermögen hat %und ist ledig, so wird sie
in ansehung der Kleider %und %.dergleichen sehr Ersparen. Der Mann ist
Versöhnlich, die Frau nicht, sondern sport noch mehr zur Rache
ihn an. Der Mann ist Eifersüchtig wenn er liebt, das Frauenzim-
mer ist Eifersüchtig, wenn sie auch nicht liebt. Sie misgönnt «von»der
3ten von einem geliebt zu werden, auf den sie auch keinen
Anspruch macht. Sie muß einfluß haben auf aller Männer
Neigung, weil sie sich nicht um die Ehe bewerben soll. Wird
nun eine andere mehr geliebt, so wird sie Eifersüchtig, weil
jene eine Ausnahme vom allgemeinen macht. Auch selbst ein
gesittetes Verheyrathetes Frauenzimmer sucht allgemein
für schön gehalten zu werden, denn der Mann kan sterben,
so ist sie wieder ein object der bewunderung. Des Mannes
Ehre ist in ihm selbst, der Frauen außer ihr. Der Mann be-
sorgt was die Leute von ihm denken mögen, die Frau nur
was sie von ihr reden mögen. Der Mann kan sagen, es ist
gleichviel was die Leute sagen, dies ist tüchtig, der Frauen
stets aber nicht an. Die Frau sucht das %.Häußliche Interesse,
der Mann das offentliche zu besorgen. Ihr kümmern nichts
die Staats_affairen. Man hat in der alten Geschichte ein Paar
böse Weiber angeführt. Des Hiobs %und Socrates, sie scheinen
aber wackere Hauß_Frauen gewesen zu seyn. Ein Mann
leidet, daß man von ihm etwas aus Pflicht fordert, aber
der Frau ist das Wort Pflicht ganz zu wieder, sie will

/|P_202

/alles aus Neigung thun. Daher ist auch die Erziehung der Geschlechte@r@
ganz verschieden. Das Frauenzimmer mag gern ihrer Meynung
nach frey seyn, daher muß alles auf den begrif von Ehre ge-
baut werden. Das Frauenzimmer bedarf keine besondere
Erziehung, sie bilden sich leicht selbst frühzeitig. Der Mann
muß schon durch andere vorhergebildet werden. Die %.Männliche
Reife entstehet später %und gehet weiter. Die Frauenzimmer
sind nicht gute Freundinnen, weil sie in einer allgemeinen
rivalitaet stehen, sie entdecken einander nicht gern ihre
Schwachheiten, %und würden gewiß nicht lieber von einem
Weiblichen Gericht gerichtet werden. Das vergehen eines
Frauenzimmers wird von anderen Frauenzimmern weit
mehr getadelt, als von Manns_Personnen. Diese Mis-
helligkeit gereicht den Männern doch zum Vortheil. Das
Frauenzimmer putzt sich nicht für Männer, sondern für
andere Frauenzimmer. Die ganze Sache betrifft die rivalit@ät@
%und um anderen Achtung einzuflößen. Ein Frauenzimmer
kan ein Spott über ihr Geschlecht wohl vertragen, aber
nicht über Ehre, sie sieht daß das leztere erst werden
kan, weil sie besorgt daß die Männer über die beschwer-
den der Ehe werden einig werden gar nicht zu Heyrathen,
sondern sie nur so ad interim zu gebrauchen. Auch
alte Jungfern halten darauf. Frauenzimmer suchen
%.Häußliche herrschaft, weil sie sonst von Mann unterdrückung
befurchten. Der Mann weil er glaubt daß er herrschen
kan wird eben dadurch beherrscht, weil er durch die

/|P_203

/Länge der Zeit seine herrschaft vergiebt. Das Frauenzimmer
herrscht durch seine Neigung. Wenn er nicht beherrscht
wird, %.nehmlich durch Neigung, so wird kalt in der Ehe. Die
%.Weibliche Natur ist weigernd, die %.Männliche zudringend, beyde
können doch auch nicht weigernd seyn. Der Mann muß in der
Neigung Bedürfnüß zu haben scheinen. Coquettisch ist ein Frauen-
zimmer die sich ziert %und zu gefallen sucht. Coquetterie ist eine
Art von Eitelkeit, auch bey Männern findet man sie. Das
Frauenzimmer sucht zu herrschen bey Männern, sie bewirbt
aber doch nicht, sonder«t»n weigert. Die bewerbungen müßen
von den Männern geschehen, dies liegt schon in der Natur
der Sache. Die Frau muß gesucht werden, sie muß hierin kein
bedürfniß zu haben scheinen: denn sonst würde sie gänzlich
dem Manne unterliegen. Sie hat die Wahl des weigerens
%und des Angenehmens, aber nicht des aussuchens. Der die Wahl
des aussuchens hat, hat ein unendliches Feld, der aber blos
die Wahl des ausschlagens hat ist eingeschränkt. Das Frau-
enzimmer muß auch so delicat in diesem Stück nicht seyn
als der Mann. Die delicatesse des Mannes ist oft Phan-
tastisch, so daß er gar keine für seinen Geschmack findet.
Wer soll die Herrschaft von beyden führen? Dies ist der
Galante Streit der sich wohl mit Frauenzimmer führen
läßt. Die Frau soll herrschen, der Mann regieren. Die
Vernunpft solte %.eigentlich beym Menschen herrschen, aber
der Verstand herrsch, %und die Vernunpft regiert. Der Ver-
stand %und Macht hat soll also regieren. In orientalischen

/|P_204

/Höfen finden wir, der groß Sultan herrscht, sein groß_Vecier regiert,
%und am Ende gehets doch nach dem Willen deßen der herrscht. Im
Hauße ist die Wohlfahrt für den Mann; wenn die Frau herscht
aber soll sie dauerhafft seyn, so muß er auf ihren Willen Ach-
tung geben, so daß am Ende doch nur das geschieht was er
will. Er muß ihre Herrschaft so zu moderiren wißen, daß das
%.Häußliche %und Bürgerliche immer zusammen hält. Die Achtung für
das %.Weibliche Geschlecht ist uns auch schon von der Natur einge-
legt, denn der uncultivirte Iüngling ist beym Frauenzimmer
verlegen, weil er das Urtheil des Frauenzimmers achtet,
sie sezt aber schon zutrauen in sich, daß es günstig ausfallen
muß. Die Unterlaßung der %.Weiblichen Geschlecht bringt Lieder-
lichkeit hervor. Das Freydenken in ansehung der Achtung
des %.Weiblichen Geschlechts sezt die Manns_Personen weit
herunter. Die Alte Ritter_Zeiten waren ein beyspiel, wo das
Frauenzimmer den Preiß für die Ritterspiele austheilte.
Hier findet man doch große Kriegs_Tugenden, wo das männ-
liche Geschlecht für billig ansieht, das %.Weibliche Geschlecht in
Schutz zu nehmen. Der Mann kan den Mangel an Reitze
durch nichts ersezzen als durch seinen Muth. Es ist nichts
sicherer der Iüngling von ausschweifungen abzuhalten, als
wenn man ihm ein artiges Frauenzimmer zum Augenmer@k@
macht, dies schpornt auch an zur Grosmuth %und zum Stu-
diren um einen Posten zu erhalten, %und denn ihrer Theil-
haftig zu werden. Der Mann muß um ein Frauenzim-
zimer zu ge«¿»winnen, seine Männliche Tugend zeigen,

/|P_205

/denn durch seine Reitze wird er nie gefallen. Eine Ehe mit einem
Adonis ist sehr unglücklich. Die Eifersucht ist 1.) der Vorsicht.
Da meint man, es kan doch für jeder Tugend ein Grad der Ver-
stellung erdacht werden. 2) des Verdachts, wo der Mann glaubt
daß die Neigung der Frau gar nicht auf ihm, sondern auf an-
dere gewendet ist. Dieses macht Unglücklich %und eben dadurch
weil der Mann es schon so glaubt, geschiehets auch. Die Eifer-
sucht der Vorsicht, kan man der Ehelichen Toleranz entgegensezzen.
Die Ehe beruhet auf die Intoleranz unserer Geschlechts Neig-
ung. Auch selbst einer der nur liebt, hat diese Intoleranz;
%und dies verursacht eben die Ehe, denn wenn sie dulden wollten,
daß noch ein anderer von ihrer Gunst mit paticipiren sollte,
so würden sie keine Ehe eingehen. Eine Tolerante Ehe ist ein
Narrheit. Uber die Intoleranz scheint das Frauenzimmer
zu spotten, es ist aber nicht. Denn man findet, daß «d»sie den
Mann %.gänzlich Haßen, wenn er vollig tolerant ist, denn die
Intoleranz zeigt eben, daß er sie Ehrt %und achtet, wenn sie auch
etwas eingeschränkt wird, das liebt sie. Väter verziehen
die Töchter, Mütter die Söhne, es ist selten daß die Väter
gegen die Töchter scharf sind. Die Väter denken daß die
Töchten ihm in Alter pflegen wird. Die Mutter glaubt daß
der Sohn sie beschützen werde, %und der wildeste ist ihr der
liebste, weil sie sich von ihm der meisten schutz ver-
spricht - Vor der Ehe werden die Ausschweifungen des
«Mannes» Weiblichen Geschlechts übel ausgelegt. Denn
wenn sie schon vor der Ehe, ihre Ehre so vernachläßigt
haben, was werden sie denn <nicht> nach der Ehe thun? Die

/|P_206

/%.Männliche Ausschweifungen vor der Ehe werden nicht so übel ge-
nommen. Die Ehelose Lebens_Art hat beym Frauenzimmer
keinen beyfall. Das Frauenzimmer ist daher sehr aufge-
bracht, wenn eine ihres Geschlechts, ein Concubinat ein-
gehet, weil das die Ehe verdrängen kan.

/δ_Rest_leer

/|P_207

/ ≥ Vom Character der
Nationen. ≤

/Ob das Volk einen Character habe, oder nur eine vorüberge-
hende form sey, ist eine Frage die verschieden aufgelöset
ist. Einige nehmen hier einen bloßen zufall an, andere, daß
er von Regierung, Religion pp herrühre %und niemals von
Natur, gehen wir aber die Geschichte durch, so sehen wir, daß
die Gallier deutsche, noch jetzt so sind, wie sie vor Zeiten
beschrieben sind. Gelehrte Volker sind jetzt 4, Frankreich,
Italien, England %und Deutschland. Der Stamm der Deutschen,
hat sich in verschiedene Volker gemischt, %und daher ist die
deutsche Grammatic so bey allen eingedrungen; England,
Dannemark; «¿»Schweden *1 Holländer %und Schweitzer, machen
eben die aufgeklärter Nationen aus, wo die deutschen hin-
gekommen sind, da sind eben die Nationen aufgeklärt.

/~Rand_207_quer

/*1 kan man zum deutschen Stamm rechnen, diese %und denn die ~

/|P_208

/Frankreich ist ein Land wo viel Characterisches ist; wo der mensch
seinen character hat, da hat die Nationen gar keinen charac-
ter. In Frankreich haben die einzelnen Personen gar keinen.
Frankreich ist das Land des Geschmacks weil es das Land des
Gesellschaftlichsten Umgangs in der Welt ist. Sie haben das
Frauenzimmer in Gesellschaft gebracht, Lebhaftigkeit %und Leicht-
sinn ist eben dieser Geschmack. Selbst ihre Autoren werfen
ihnen eine frivolitaet vor, große Sachen klein zu machen, %und
kleine groß zu machen. Über Tanz meister pp zu streiten
als etwas was den Staat einginge ist ihre Sache. Der
Ehren_Punkt erhält bey ihnen eine große delicatesse, %und be-
weißt ihre Lebhaftigkeit der Denkungs_Art, %und feinheit in
deßen was conversation betrifft. Ihr point d'honneur
ist eine scrupulositaet in ansehung der Ehre, welche sich
auf keine maximen gründet, nicht auf %.Wirkliche Ehre sondern
es ist gleichsam eine micrologie. Man trift bey ihnen
auch richtige principien der Ehre an - Ein Officier kan kei-
nen Wechsel als auf sein point d'honneur aus stellen,
bezahlt er nicht, so wird er aufs Ehren_Collegium verklagt
%und kan nicht mehr dem könige dienen. Pitit Maitre
bedeutet %.eigentlich einen kleinen Herrn, mit einer Einbildung
von großer importanz, %und ist von Stutzer verschieden,
der blos in Kleidern ein Narr ist. Der Petit Maitre
jetzt in Frankreich muß vor allen Dingen reden
können, aber die größte Anständigkeit besizzen, bey

/ uns

/|P_209

/so einer find gar nicht statt. Etourderie ist eine dreistig-
keit zu reden, die wohl übel genommen werden kan,
z:E: Wenn ich Frage, Mademoiselle wie alt sind sie doch?
Conduite ist die verfeinerte Manier des Umgangs. In
Frankreich ist die Conduite völlig allgemein. Im betragen
affectiren die Stände nicht Stolz. Der vornehmste redt mit
dem gemeinen Mann mit gewißer Freymüthigkeit %und um-
gekehrt, was scheint daß es in ihrer Sprache liege. Die
Gesellschaften sind deshalb auch nicht so erschwert. Es ist
das wahre Land der moden. Im Orient hat man keine
Nation der moden, sondern Gebräuche. Im occident haben
alle Nationen ihre moden von Frankreich. Der gute Ton in
Gesellschaft d:i: die manier wie etwas dagestelt wird,
ist bey ihnen. Communicativ sind die Franzosen, auch die
Damen, im höchsten grad. Die Nation hat erstauende Liebe
für ihren König aus Eitelkeit, übrigens schreiben sie eben-
falls Satyren gegen ihm. Sie sind stolz daß sie einen König
haben, gegen den jeder einzelne nichts ist. Er erhebt sei-
nen König am meisten, weil er dadurch auch zugleich
Ehre empfindet. Der Franzose ist Persönlich beliebt, die
ganze Nation aber als Nation nicht. Er ist gefällig gegen
fremde, aber nicht Gastfrey. Sie haben eine leichte Manier
in Gesprächen %und Büchern. Wir finde«t»n an ihnen einiges
was sich zu wiederspeihen scheint. Er ist gesprächig, Höflich
ohne zuneigung, gesittet ohne Tugend, galant ohne Ver-
liebt zu seyn, ein Lebhafter patriot ohne Freund des

/|P_210

/Vaterlands zu seyn, sondern aus Eitelkeit, er ist zierlich aber
nicht reinlich, selbst das Frauenzimmer nicht, sie sind sehr
mäßig im genuß, sie werden sich nicht so leicht empören
gegen die Regierung, wenn sie auch ausschreyen, man muß
ihnen nur nicht ihre Lustbarkeiten nehmen. Er ist Grosmüthig
aber nur in Wörter, er ist mäßig, um nur zu glänzen. Das
Frauenzimmer ist nicht schön, aber angenehm, sehr ver-
nünftig aber nicht Häußlich. Er sieht mehr auf die Manier
wie auf Jnhalt. Ihre Schriften haben die meisten populari-
taet unter allen in der Welt. Der Franzose ist überaus
delicat in ansehung seiner Sprache, man betrachtet sehr
die Fehler derselben. Die Art wie was in die Sinne fällt
ist bey ihnen das vorzüglichste. Alle sind voll bon-mots
wizige Einfälle, die aber mit guter manier gesagt, wie
Sentenzen lauten. Die Gefällige manier zeigt sich bey
ihnen. Ieder wird dem Fremde zu Hülfe kommen, ihm
nicht wegen Sprachfehler auslachen, aber zu gast bitten
wird er ihn nicht. Ihre Schriften sind meistentheils
auf Lebhaften Witz %und popularitaet gestimmt. Ihre
phylosophysche Sachen sind gemeinhin nur von der Ober-
fläche geschöpft. Sie glänzen mit ihren hardien Gedan-
ken. Weder im Logischen, Moralischen noch metaphysisch@en@
kan man unter ihnen ein Muster aufstellen, sie sind
gleich drauf bedacht wie sie dies alles zum Ton der
Gesellschaft, %und auf die Toilette bringen können. Lebhaf-
tigkeit %und Fruchbarkeit des Geistes, kan man den

/|P_211

/Franzosen nicht absprechen, aber auch eine unbeschreibliche Veränder-
lichkeit. Wir finden eines theils, eine lose Zunge, vorzüglich unter
den Soldaten, auf der andern Seite aber eine strenge Polizey,
wider diese Freyheit im Reden. Oft wird ein buch condemnirt,
der Verfaßer wird sehr verdächtig, er gehet aber doch in alle
Gesellschaft, %und man ignorirt ihn. Sie zeigen mehr Leichtsinn
über Religion, als irgend eine Nation, %und sind doch wieder äus-
serst intollerant. Im Criminal_Wesen haben sie eine äus-
serste Schärfe, welches ihrer Gutartigkeit ganz wiederspricht.
Es ist ein Wiederspruch bey ihnen mit der grösten Strenge. Aus-
schweifungen zu verhüten, %und den wieder Leichtsinn, nach welcher
sie sich nichts draus machen. Dem Landmann werden alle Güther
taxirt. Hüner, Misthauffen pp dies encouragirt ihn aber nicht,
denn bezahlen muß er hierfür gleich, %und der Vortheil ist ihm
noch ungewiß. Außer dem Liefländischen %und Rußischen bauer
ist der Französische der unglücklichste, er ist aber doch lustig,
wenn man ihm nur nicht sein Vergnügen nimmt. Der Fran-
zose ist tapfer, ihre angriffe sind sehr lebhaft. Der Franzose
kan den mechanism des militairs nicht so vertragen, %und
darinn besteht doch die größte Macht, er will sich auch nicht
so unter den Stock bringen laßen. Es scheint auch daß sie
den Deutschen nicht überlegen seyn werden.

/Spanien, unterscheidet sich von andern nationen sehr %und
dies kan das morische blut wohl machen. Sie haben einen
Hang zur Wichtigkeit, %und von der Art ist ihre Grandezza
Gra«n»diloquens; die ihnen von den orientalischen Volkern
noch anfängt, der gemeinste bauer fühlt seinen Werth,

/ dies

/|P_212

/zeigt doch eine gewiße Glückseeligkeit der Nation an. Die bauern
von la_Mancha dem Vaterlande des Don_Quixote sehen alle
wie Schulmeister aus, weil ihre Schaafe alle Schwarz sind
%und sie sich von ihrer Wolle ihre kleider zubereiten. Sie sind
sehr an Religion gefeßelt. Der gemeine Mann würde nicht
einmahl ihre inquisition aufgehoben wißen wollen. Es
scheint ihnen würdig, daß die Religion eine drohende Gestalt
hat - Der Spanier kan sich in der Muthwelle des Franzosen
gar nicht schicken. Der Franzose neckt %und der Spanier
wird dadurch offendirt. Die Gravitaet der Spanier, der Schek-
erhafte Muthwille des Franzosen stimmen gar nicht zu-
sammen. Der Spanier lernt nichts fremdes, er reiset
nicht, %und lebt nicht. Sie sind in Wißenschafften ein
Saeculum zurück. In Wißenschafften sind sie grübler-
isch. Faulheit ist das Characteristische«s» ihrer denkungs_Art,
dies scheint ein Fehlerhafter begrif von Freyheit zu seyn.
Fandango ist ein Tanz bey ihnen, dem sie gar nicht wieder-
stehen k«¿»önnen, %.nehmlich die Gemeinen. Wenn jemand
ihn spielt, so tanzer die Leute gleich vors Fenster. Er
scheint von den Saracenen zu kommen. Ihre Spiele haben
alle was gravitaetisches. Ihr Vergnügen ist das Stier-
gefecht, das Frauenzimmer nimmt auch theil darann.
Der Spanier hängt an Gebräuchen, doch ist die Conversation
jetzt schon etwas feiner. Die Kaufleute sind hier weit
ehrlicher als irgend wo anders - Der Spanier ist Grosmüthig
wenn sie überlegenheit haben, aber grausam sie sich zu

/|P_213

/erwerben. Jhre Grausamkeit zeigt sich besonders im inquisitions <Gericht.>

/Italien. Hier herrsch der Geschmack der Künste, in Frankreich der
conversation. Die gemeinsten Mahler haben sich oft hoch empor
geschwungen. Die Italiener sind sehr affect voll. Dies zeigt
sich an ihren Geberden. Die Advocaten in Venedig machen
erstaunliche Geberden %und exclamationen - In ansehung
alle Werke des Geistes, zeigt er große Stärke der Einbildungs
Kraft. Ariost ist ein Muster von unerschöpflicher Einbildungs_Kraft.
Der Italiener liebt mehr öffentliche als privat_Belustigungen.
Sie fahren auf großen Plätzen mit Kutschen sich immer vorbey,
um sich nur zu grüßen. Masqueraden %und Tänze sind bey beliebt.
Alles läuft bey ihnen <auf> den Pomp heraus, so auch ihrer Häuser,
aber sie schlafen, wie der Ruße sagt, in Ratzen_löcher. Jhre
besuche sind sehr zahlreich, selten wird aber mehr als eine Schale
Chocolade vorgesezt. Cicisbeo (Flisterer) ist auch mehr eine
Sache der Pracht, so wie der Cavalier de Servante, dies ist
eine «Sache der Pracht» klägliche beschäftigung, immer bey der
Toilette aufzuwarten, freylich geschieht denn auch bis weilen
was mehreres, es ist aber durch gängig Mode. Sie lieben
Prächtige Kirchen, Gemälde %und music. Die Nation ist erstaunend
erfindungs reich, nicht so wohl in Wißenschaften, als in
Künsten, wodurch sie Leuten Geld ablocken. Dies bestehen
in Lotterie, Gemälden, optischen Künsten u:s:w: - In Florenz
vorzüglich handelt der Adel mit seinen producten, weil nun
der Bürger hiebey nicht viel verdient, so sucht er auf andere
Art, durch Plaisirs ihnen Geld abzuziehen. Der Päbstliche Hoff
ist das Muster von politic. Überhaupt hat kein Land

/ mehr

/|P_214

/politic, nehmlich practisch, schau, zurückhaltend fein, als eben
dieses. Sie werden sehr blamirt wegen ihren Meuchelmord %und
Rachsucht. Der sogenannten Bravos %und Bandittens findet man
in Italien viel; Jhre heftigkeit macht auch das Meßer ziehen
bey ihnen, sie haben aber eine erstaunliche Leichtigkeit zu
entwischen. Jeder glaubt er greift in die hand des Häschers
(welche bey ihnen %.unehnlich ist) wenn er jemand aufhält. In
Italien ist die Französische Lebhaftigkeit, aber moderirt durch
Erst %und Gründlichkeit. In Italien hat der gemeine Mann
mehr Kunst_Neigung. Der Franzose mehr Conduite. Beyde sind
mäßig. Italiener sind durch religions_observanzen sehr
zurückgesezt. Es läuft bey ihnen alles auf interesse hin-
aus. Der buchhandel ist bey ihnen unter allen gesetteten
Völkern, in der schlechsten Verfaßung.

/England, hat keinen Volks_Character, weil jeder Mensch
seinen eigenen hat, %und dies befördert die Regierungsart.
Die Verschiedenheit der individuen macht würklich die Nation
ungesellig. In Italien ist alles gescheut %und abgewizt. In
Frankreich ist der gemeinste Mann conduisirt oder von bon
esprit. In England sind mehr genaue kentniße, %und bonsens
hievon zeigen die Zeitungen die so allgemein gelesen wer-
den, verbreiten durch gängig viele Kenntniße. Der Wohlstand
ist bis auf den gemeinsten bauern, mehr ausgebreitet wie
in irgend einem Lande, er speißt sehr gut. Der Englander
ist darum original, weil er so wenig nachahmt, seine
Erziehung ist viel freyer, sie halten auf alle Sprachen.
Der Mangel der originalitaet kommt bey uns, aus dem
pedantischen Zwange. Der Geschmack in England ist immer

/ mit

/|P_215

/Nützlichkeit verbunden. Kein Zierrath ist dem Zweck der Sache
zuwieder. Er haßt die Nachahmung sogar, darin fehlt er wohl,
denn man wohl Nachahmen, aber nicht Nachaffen. Er sezt den
Werth in seiner Unabhängigkeit, %und sezt eine Ehre darinn,
sich nicht zu accommodiren. Eine Ungefalligkeit aus Grund-
sätzen taugt nichts. Er wird immer genirt, wenn er jemand
zu sich bittet, %und daher bittet er nicht zu gaste, er ist übrig-
ens sehr gastfrey, nur er invitirt nicht. jeder muß bey ihm
verlieb nehmen wie ers findet, er haßt die Ceremonie.
Jeder will sich selbst genug sein %und daher finden wir bey ihm
solche paradoxie. Der Franzose schätzt seine Sklaverey hoch, %und
leitet vom Könige seine Ehre her. Der Engländer schätzt sein
Land, aber nicht um des Königs Willen. Der Engländer,
reiset, außer den Deutschen, mehr wie irgend einer, blos
sein geld da zu laßen, %und verachtet das Land wo er hin-
kommt. Dies kommt von der Eingeschränkheit in der Kenntniß
von der Verfaßung anderer Länder, selbst bey ihren Gelehr-
ten her, sie reisen schon in dem Vorurtheil, ergeben sich
nicht in andern Gesellschaften als in Wirthshäusern. Der
Deutsche reiset größtentheils <um Länder> zu besehen. Alle Dinge werden
bey ihnen beßer bezahlt, obgleich alles nach der bonität
deßelben Wohlfeil ist. Dies kommt von den machinen
her, die vieles %und leicht verfertigen. Der Englander ist
tapfer aus Ehrliebe für sich selbst %und aus Neigung für
sein Vaterland. In Frankreich geben die Weiber
den Ton an, in England aber herrschen sie. Man hat auch

/ hier

/|P_216

/mehr wahre Achtung für daßelbe, in Frankreich ists blos Galanterie.
Deutschland. Den Deutschen pfegen alle nationen das phlegma
vorzuwerfen, weil sie ehedem viel getrunken haben um das Blut
in Bewegung zu sezzen. Sie Standen auch im Ruf wegen des vielen
Eßens. Vermöge das Phlegma haben sie große Stätigkeit in
Ernsthaften Sachen, weniger Lebhaftigkeit des Geistes %und Spiel
des (Geistes) Witzes, könnte wohl bey ihnen angetrofen wer-
den. Sie sind nicht so wandelbar daher sind sie leicht zu
discipliniren, sie nehmen leicht eine Ordnung an. Die deutschen
Weiber arbeiten auch auf dem Felde, %und sind reinlich, daher
sind Colonien von ihnen sehr gut. Sie haben einen gewißen
Hang zum methodischen %und formalischen, was eine gewiße
Abgemeßenheit nach Regeln erfordert. Der mechanism herrscht
bey ihnen in der Regierung, Armee, Schule pp Der Deutsche ist
in ansehung aller Dinge methodisch, so gar in seiner Sprache,
hieher gehört auch das, Er, Ihr, Sie, Du, die Schränkt die Frey-
heit in der manier, %und der Lebhaftigkeit des Geistes ein,
%und genirt ihn. Es ist in keiner Nation solche titel sucht, als
in Deutschland, %und daher kommt der Stolz des deutschen Adel@s@
der bey andern Nationen lächerlich ist. Die Titelsucht liegt
gewiß in einem Hange der deutschen Nation. Beym Deutschen
ist wegen den hang zum formalen eine große Nachahmungs-
sucht, er hat wenig Genie, aber gesunden Verstand, %und daher
ziemlich peinlich. Er lernt alle Sprachen, dies kommt aus sein@er@
Nachahmungs_sucht. Er übersezt am besten. Er hat keinen
National_Stolz, weil die Staaten so geteilt sind, %und dies
ist eine gute Eigenschaft. - Der Deutsche versucht sein Glück
in alle Länder. - Nationen die gar nicht reisen, sind

/|P_217

/gewißermaßen barbarisch. z:E: Die Spanier. - Die Deutsche
sprache gehet unter allen lebenden Sprachen am weitsten, %und
das zwar unter die gemeinen Leute, %und dies macht das Reisen
leicht. Die Deutschen sind sehr leicht ein despotischen herrschaft
fähig; dem ohngeachtet sind sie doch auch sehr leicht fahig
einen freyen Staat zu stifften %und zu erhalten. Von den
oberen Kräften findet man die Urtheils_Kraft bey ihnen
aber nicht so viel Geist. Er wird wegen sein Gastfreyheit
auswärts sehr gerühmt, dies kommt weil er sein Vergnügen
in langen tafeln sucht. Bey der Iugend in Deutschland ist
wenig Freyheit. Sie sind Erfinder von vielem, nicht das viel
Geist, sondern anhaltendes bemühen erfordert. Er ist in der
Arbeit geduldig, aber nicht so Zweckmäßig, wie der Engländer
%und nicht so geschmackvoll wie der Franzose, er kan aber
beyde Nachahmen. Seine Gelehrsamkeit ist be«¿»lesenheit %und
Spachkenntniß. Er ist sehr Systematisch, %und viele Wißen-
schaften haben in Deutschland ein system bekommen,
diese %und denn noch Dänen %und Sweden, sind wirklich civili«¿»sirte
Nationen. Andere uncultivirte die einen gewißen Hang
haben, immer in der barbarey zurückzu fallen, sind Pohlen,
Rußen %und Turken.

/Pohlen. Jhre Regierungs_Art ist völlig barbarisch. Jhr
princip ist Freyheit ohne Gesetz: bey den Turken ist %.Willkührlicher
Zwang ohne Gesetz. Die Turken sind noch tiefer in der barbarey
als die Pohlen; leztere haben doch schon eine Idee von Freyheit.
Die Gewalt durch das Gesetz ist das einzige wodurch es
Kraft bekommt. Der Pohle ist lebhaft hat Talente ist %.auseror-
dentlich leichtsinnig, aber es gehet nicht auf Witz wie beym

/ Franzosen.

/|P_218

/Er verthut sein Geld, borgt, aber bezahlt nicht. Bey ihnen ist
eine gewiße Art von Unregelmäßigkeit, Pracht %und Pomp ohne
Ordnung oder Reinlichkeit, sie sind schlechte haußhalter %und
gemeinhin verschuldet. Die Weiber führen hier die meiste
herrschaft, unter alle Nationen. Sie sind sehr höflich %und haben
eine besondere Complimentensucht. Sie reden von Freyheit,
es besitzt sie nur ein Theil der Nation. Ein wahrer Patriotism
kan nur bey weiser Gesetzmäßigkeit eines Landes statt
finden. Der Pohle kan kein patriotism haben, weil er kein
Gesetz hat. - Sie sind zu allen Strapatzen ausgerüstet, aber
doch im Grunde weichlich. Er ist verschwenderisch, %und doch arm-
seelig, bey seinem Stolz kriechend. Ein Edelman muß sich
vor dem anderen benachbarten stärkern furchten. Die Unter-
drückung macht kriechend, weil sie nicht genugsamen
Schutz, gegen beleidigungen haben, sie müßen also schmeich-
eln. Sie werden leicht Conduisirt. In Pohlen ist kein Mittel-
stand, der sonst immer das Fundament der Cultur ist. Die
Weiber raisonnirn hier am meisten. Der Pohle liebt per-
sönliche Freyheit.

/Russland. Auch eine Sclavonische Nation, sind nicht so
leichtsinnig, sondern eigensinnig %und unbiegsam. Bey ihnen
ist Gesetz %und Gewalt, aber ohne Freyheit. Jhr verhör ist ge-
heim. Freyheit verlangt immer ein %.öffentliches Verhör. Sie
haben eine Neigung zum Mistrauen; dies rührt her vom
Haß gegen andere Nationen, sie verbergen aber ihren
Haß, wenn sie Gewalt furchten, %und behalten doch einen Groll@.@
Sie werden eher disciplinirt als civilisirt. Man rühmt
nichts treueres als einen Rußische Haus_diener. Daß gilt

/|P_219

/aber nur so lange als der Herr im Wohlstande ist, fällt er, so ist er
auch gegen ihn. Ein verborgener Haß ist Tücke. Das scheint in ihrem
blick zu liegen. Von ihnen sind die Cosacken verschieden. Ein Frey-
müthes Volk, von guten Gemüths_anlagen %und re«i»cht noble, sie ha-
ben nur ein so unglückliche Lage zur Cultur. Die Rußen bringen
es auch zuweilen weit in Wißenschaften, bilden aber keine Lehrer.
Hierzu gehört nicht allein die Sachen zu wißen, sondern auch bis auf
die ersten Principien gedrungen zu seyn. Der bauer muß hier alles
selbst verfertigen können, daher ist das ganze der Nation in barbarey
denn wäre die Nation cultivirt, so dürfte der Bauer nicht so raffinirt
seyn.

/Turkey. Ist ein ehrliches, tapferes entschloßenes Volk, von stärk-
ern Triebfern, aber durch religion in schlechter Verfaßung, und
dadurch findet man jetzt gar kein ehrlichen Mann. Dies liegt
in ihrer Regierungs_Art. Die Armée stehet unter keinen ge-
nauen disciplin. Jhre Richter sind das abscheulichste, sie
richten %und geben recht, nachdem man das meiste zahlt. Sie
machen sich ungeselig gegen alle auswärtige Nationen. Sie
nehmen keine Cultur, noch weniger disciplin an. Sollte man
das Türckische reich wohl stürzen? die Nationen die dies
thaten, müßten viel aufgeklärter seyn, um unter ihnen Auf-
klärung zu verbreiten, daher ist zu wünschen daß es lieber
beym alten bleibe. bey Mahomedanischer Religion kan keine
Aufklärung statt finden, denn sie schließt alle Wißenschaf-
ten aus. Das buchdrucken will da nicht gehen. Mann könnte
fragen ob barbarische Nationen die noch nicht aufgeklärt
sind, Europa überschwemmen %und alles in Barbarey senden
werden? Das ist nicht zu glauben, denn selbst der Krieg
cultivirt etwas %und dadurch verlieren sie die Wilde An- 

/ hänglichkeit

/|P_220

/an ihren Staat. Es ist schwer zu bestimmen ob alle Nationen werden
zur Cultur erlangen. Die Wenden z:E: hatten doch auch gelegenheit
sich zu cultiviren, obs aber in ihrer Natur liegt daß es nicht geschehen
weiß man nicht. So was orientalisches findet man noch bey allen
europäischen nationen. Wenn ein Morgenländer nach Frankstan
(so nennt er Europa) köme, so würde er ein Land das modeland
nennen d:i: Frankreich. Ein anderes das Ahnen_Land d:i:
Spanien; ein anderes das Prachtland d:i: Italien, ein
anderes das Launen_Land, ein anderes das Tittelland,
noch ein anderes das Prahler_Land. Rührt Cultur nicht von
der Zufälligkeit der Lage %und des Verkehrs her? Das ist
Freylich wahr, das find man an Griechenland, aber an
anderen Länder die eben da sind, find man das doch nicht.
Regierungs_Art, Lage %und Religion machen Einwürfe gegen
Cultur. Religion giebt auch zuweilen Anlaß z:E: zu
Künsten wie in Italien. Außer die Zufalligkeit der
Regierungs_art den Character zu bilden, könnte man einen
Natur_Schlag annehmen.
--------------------- 

/δ_Rest_leer

/|P_221

/ ≥ Vom Character der Menschen
Gattung

/Der Mensch kan betrachtet werden zum Naturreich gehörig, als eine
Thier_Art, %und dies ist der Physische Character. Er kan aber auch betracht-
et werden zum Reich der Zwecke gehörig als ein Vernünftiges
Wesen, %und dies ist sein moralischen Character. Ist der Mensch
bestimmt auf 4, oder 2 Fußen zu gehen? Die Meinungen davon
sind verschieden. Erstere haben ihn auch zum Geschlecht der Affen
gemacht. Der Mensch hat die feinste Nerven. Ist er als ein Frucht
oder Fleisch freßendes Thier geschaffen? Die Frucht freßende
Thiere haben einen dreyfachen Magen, die Fleisch freßenden haben
nur einen einfachen Magen, %und da der Mensch nur einen ein-
fachen Magen hat, so scheint er zu den lezteren zu gehören,
%und es ist auch zu glauben daß die Thierische Speise die erste
gewesen sey. Ist der Mensch ein Raubthier oder nicht? Er hat

/|P_222

/Natur keine Neigung zum rauben %und thuts nur im äußersten Nothfall.
Der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Thieren, daß
er keinen instinct von Natur hat sich selbst zu erhalten. Ist der
Mensch als ein einsames wie z:E: die Vögel, oder als ein gesel-
liges wie z:E: die Pferde anzusehen? Wir haben zwar im
Cultivirten Zustande beyspiele, daß der gesellige Trieb der Haupt-
trieb des Menschen sey. Man könnte ihn aber vor Entwickelung
der Vernunft für einsam halten. Der Mensch als Intelligenz
betrachtet. Er ist 1.) ein Geschöpf das erzogen werden muß,
dies finden wir bey keinem anderen Thier 2.) hieraus folgt
daß der Mensch sich alle Geschicklichkeit, die ihm die Natur
versagt hat, erwerben muß. Der Mensch ist von Natur das
roheste Geschopf. Bey diesem erlernen hat er aber wieder
die Eigenschaft, das keine grenze ist wie weit die Geschick-
lichkeit des Menschen gehen kan. Der Mensch ist also
fähig eine Unendlichkeit von Geschicklichkeit hervor zu
bringen. Der Mensch kommt unwißend auf der Welt, %und sogar
die Sprache muß er lernen. Er muß also unterrichtet %und
disciplinirt werden, %und so wird von generation zu generation
vollkommen. Den Zweck der Menschheit erreicht also kein
einzelner Mensch, so wie das individuum der Thier_Art
ihren Zweck erreicht, sondern die Menschen_Gattung. Bey
der bildung die der Mensch sich selbst giebt ist folgendes
zu merken. Je mehr der Mensch in der perfectionirung
fortgehet, je mehr weicht er von der Natur, bis er endlich
die anlagen zur größten Vollkommenheit entwickelt hat,
denn Lücke er wieder mit der Natur. Wir haben eine
%.Natürliche %und %.Sittliche bestimmung. Die Natürliche bleibt immer
die selbe, dagegen hat der Mensch einige Trieb_Neigung-
en, die die Natur nicht in ihm gelegt hat, %und die er Ver- 

/|P_223

/größern %und verminderen kan, vermöge seiner Freiheit, so daß er
von sich ein Wesen machen kan, das ganz verschieden ist, von dem
wie ihm die Natur gemacht. Es ist keine cultur beharrlicher als die
mit der Natur geschiehet. Der Zirkel gehet von Natur bis zur
grösten Vollkommenheit, %und denn wieder zur Natur zurück. Wenn
wird die bestimmung des Menschen erreicht seyn? Das individuum
erreicht sie nicht, also muß sie die Gattung erreichen. Dies ist Ver-
nünpftig zu hoffen. In diesem Fortschritte der Entwicklung sind
die ersten Epochen vor der Natur voll Laster %und Elend, denn die
Sinnlichkeit herrscht %und die Vernunpft hat keinen Leidfaden. Blos
der Mensch zur practischen Leitung der Vernunpft gelangt ist, sind
auch immer viel Laster. Also weder der Rohe noch gesittete Zustand
ist der beste, sondern der der Vollständigen Entwickelung. Der
mittlere ist der schlimmste in ansehung des Glücks, in denn ist der
Rohe doch beßer, wo weniger Unglück ist, obgleich der mittlere
mehr vermögen gewährt. Jedes Geschöpf in der Welt, erreicht
den Zeitpunckt, da alle seine Natur_anlagen entwickelt werden,
nur beym Menschen erreicht diese Entwickelung der Menschen_Gat-
tung. Die Ursache warum viele den Rohen Zustand so hoch preis-
en liegt in dem Triebe des Menschen nach Faulheit, denn
es ist der Unwißenheit. Im wilden Zustande kan der Mensch
so bald er vermögend ist, seine Art zu erzeugen (d:i: im 16
Jahr) sie auch erhalten - hier stimmt alles mit der Natur
überein. Im gesitteten Zustande, wo er viele entbehrliche
Dinge zu seinem bedürfniß gemacht hat, %und arbeiten muß,
da kan er in 24 - 25ten Jahr erst Mann werden, aber gleich
auch schon im 16 Jahr männlich ist, aber er kann seine Art nicht
erhalten - Wir können beym Menschen drey Natur_Epochen
annehmen 1.) das kindes_Alter, da der Mensch sich nicht
selbst erhalten kan, 2.) das Iünglings_Alter, da der

/ Mensch

/|P_224

/seine Art erzeugen, aber nicht erhalten kan 3. Das Mannes_Alter,
da er seine Art erzeugen auch erhalten kan. Der noch muß von an-
deren ernährt werden, ist ein Kind. Im gesetteten Zustande sind
viele große Kinder. Je gesitteter der Zustand ist, desto mehr weicht
der Mensch von der Natur_bestimmung ab, %und dies wiederstreit der
Cultur mit der Natur_Epoche, bringt eben die Laster hervor. In
Natur_gewalt sind alle Gleich, weil alle alles sind. In despot-
ischer gewalt sind sie wieder alle gleich, weil sie alle nichts
sind. Die Wißenschaften sind die Natur zuwieder, dadurch daß
sie den Körper schwächen %und den Menschen mäßig machen.
Männer von großer Wisbegierde haben am Ende eine myso-
logie gehabt, weil sie %.unersattlich waren, %und daß doch nicht erlang-
en konnten, was sie wollten. z:E: Condamine. Unsere Cultur
ist noch ohne Plane %und wird durch den Luxus befördert, %und
nicht durch den Zweck des allgemeinen besten, %und darum
vermehrt die Cultur unsere bedürfniße %und Mühseeligkeit: Diese
Fortschritte zur Cultur können wir eintheilen in 3 Theile a.)
der Mensch wird Cultivirt wenn seine Anlagen nach entwickelt
werden. b. er wird civilisirt. Civilisirt bedeutet die Entwick-
elung aller unserer Anlagen zu einer %.bürgerlichen Gesellschaft.
c.) %und wird moralisirt. Moralisirung ist die Entwickelung
aller unserer <moralischen> Anlagen, zu einem guten Herzen. Die Civi-
lisirung soll ihn glücklich machen. Die moralisirung soll
ihn zu diesem Glück würdig machen. Auf welchem Punckt
der Entwickelung der Anlagen sind wir jetzt? - Cultivirt
sind wir im höchsten Grade. Zur Civilisirung wird erfordert
daß der Mensch als ein Glied vollkommen werde - Zur
bürgerlichen Gesellschaft. - Cultivirung %und Civilisirung

/|P_225

/zähmt den Menschen, so daß jeder zwar seine Freyheit haben kan, sie
muß aber nicht anderer Freyheit im Wege seyn. Civilisirt %.nehmlich in
ansehung der Conduite sind wir jetzt mehr als es wohl gut wäre,
wollen wir aber jeder als ein Glied zur bürgerlichen Gesellschaft
vollkommen seyn, so sind wir noch weit zurück, aber doch schon
naher als unsere Vorfahren. Moralist ist nicht der, der ein
anständiges betragen äußert, sondern nach principien der
Vernunpft handelt. Cultivirt sind wir im höchsten Grade, Civilisirt
mittelmäßig. Moralisirt beynahe noch gar nicht, denn die
Erziehung ist schlecht, %und ein großer Theil der Phylosophie,
weiß noch nicht wo sie das Princip der Sittlichkeit hernehmen
soll. In ansehung der Moralisirung lernen wir wohl Sittlichen
Urtheilen aber nicht sittlichen handeln. die Moralitaet macht
nicht einmahl Ehre, %und die Unmoralitaet macht schande. Es
herrschen Sitten ohne Tugend, %und Geselligkeit ohne Freundschaft.
Es herrscht Eitelkeit statt wahrer Ehrliebe %und Rechtschaffenheit, dies
zeigt das die Moral in keiner allgemeinen Achtung ist. Die
Mittel zur Moralisirung sind Erziehung, Gesetz_gebung %und Religi-
on. Alle diese 3 Stücke müßen %.öffentlich frey %und der Natur ange-
meßen seyn. Der Mensch muß erst als Kind gut seyn, der Zwang
muß wegfallen, weil er hernach ohne Zwan«k»g handeln soll.
Die Erziehung muß also negativ seyn, so wie auch die Gesetzge-
bung. Der bürger muß selbst zum Gesetz seine Stimme ge-
ben, oder die Gesezze müßen nach der Idee des allgemeinen
Volks_willen gemacht seyn. Jetzt ist der bürger ein Kind, die
Religion muß auch zuerst negativ seyn, sie muß so viel
wie möglich Gelehrsamkeit wegnehmen. Obgleich diese im
ganzen völlig ist, so muß sie doch das Publicum nicht haben.
Der Trieb zur Cultur hat kein Verhältniß zur Lebensdauer.

/|P_226

/Selbst durch Cultur wiederstreitet er der Natur z:E: durch enstrengung
der Gemüths_kräfte im Alter, allein diese beschwerlichkeiten gehören
nicht zur Cultur. Der Mensch ist von Natur frey, %und alle Menschen
sind sich gleich. Die Natur_anlagen des Menschen sind alle gut
z:E: Faulheit, Feigheit, Falscheit hält man für die Verächlichsten
Laster, aber auch der hang zu diesen Lastern hat sein gutes.
Die Faulheit im prospect bringt fleiß hervor, die Feigheit ist
zur Erhaltung der Gattung nothig. Falscheit, Es liegt im
Menschen, ein hang sich zu verheelen, dies ist die Dissimu-
lation, oder Zurückhaltung. Die Simulation ist aber würklich
verstellung, welche die eigentliche Falscheit ist, %und diese ist
schändlich. Die Zurückhaltung ist aber jetzt bey dem Mangel
der Cultur der moralischen Eigenschaften nöthig, sonst könnte
eine völlige Offenherzigkeit entstehen %und statt finden.
Selbst die Ungeselligkeit von Natur ist das mittel der
Verknüpfung der grösten Geselschaften, der bürgerliche Zu-
stand ist die Folge von Ungeselligkeit. So lang civili-
sirung %und moralitaet noch nicht im hochsten Grad erreicht
worden sind, werden wir auch noch mehr Ubels als Gutes
sehen. Zu dem begriff ihrer bestimmung gelangen die Mensch-
en erst sehr spät, demohngeachtet müßen wir doch hoffen,
daß wir einstens unsere bestimmung erreichen werden,
ob wir gleich die Art %und den Zustand gar nicht kennen.
Die bestimmung der Menschen_Gattung kan nicht anders
erreicht werden, als in bürgerlichen Verfaßung. Außer
%.bürgerlicher Verfaßung sind die Menschen Wilde. Die Noth
in diesem Zustande, treibt sie heraus zu gehen, und
wenigstens sich einem unter«f»werfen. bürgerliche Verfaßung

/|P_227

/ung ist, so fern die Menschen unter gemeinschaftliche Gesetze
stehen, die aber die Freyheit nicht einschränken, wo aber auch
Gewalt ist, um diesen Gesetzen Kraft zu geben. In Gesellschaft
findt der Mensch um sich her Wiederstand, wie ein Baum un-
ter vielen Bäumen. hier keimt alles gute empor, da hier
ein Schutz für jederman ist, so ist dadurch Aufmunterung zu
allen arten von bestrebungen. Wenn diese bürgerliche Verfaßung
Fehlerhafft ist, so ist sie der Cultur sehr hinderlich. Zu jeder %.bürgerlichen
Gesellschaft gehört freyheit, Geseze, Gewalt. Freyheit ohne Gesezze
%und Gewalt ist wilde Freyheit, so lange Menschen sich nicht nahe
kommen, kan diese wohl bestehen. Gewalt ohne Gesezze ist
Despotismus. Gesezze %und Freyheit aber ohne Gewalt, könnte man
Polnische Freyheit nennen, %und zwar findt diese unter den Adel
statt. Gewalt ohne Freyheit %und Gesezze ist Tyranney oder
Barbarische Regierung. Ty«¿»rannus ist ein Willkührliche beherrscher.
In England finden wir noch die beste %.bürgerliche Verfaßung
unter allen großen Ländern. Der Mensch bedarf in Gesellschaft
ein Oberhaupt, weil er sonst seine Freyheit misbraucht.
Dies oberhaupt aber ist auch ein Mensch, %und muß als solcher
auch eingeschränkt werden - Also ist eine wahre %.bürgerliche
Verfaßung unter Menschen nicht möglich. Wir haben in
einer drey fachen Unmündigkeit, %.nehmlich, in der Häußlichen,
als Kinder der Eltern, in der bürgerliche Unmündigkeit,
nehmlich, nicht allein daß wir die Gesezze nicht machen,
sondern noch in banden nach solchen gerichtet werden,
die wir selbsten nicht kennen. Unmündigkeiten in
Ansehung der Religions_Freyheiten, findet nur statt,
wenn daß Volk selbst Gesetze giebt - Gewalt muß seyn

/|P_228

/die hat in England der König, ware keiner über ihm, so würde er
die Gesezze alle umwerfen. Der Adel macht daß die %.Uneinigkeit
des Oberhaupts %und des Volks nicht zu stark ausbrechen. Der
Adel ist auch nicht Engelrein, um ihm alles anzuvertrauen,
daher hatten diese drey Theile immer Gleichgewicht. Der Gröste
genuß der Freyheit, %und die gröste kraft der Gesezze, %und die
gröste Sicherheit die denn Gesezzen Nachdruck giebt, ist die
Vollkommenste %.bürgerliche Verfaßung. Die Regierungs_Art
kan schecht seyn, ob die Regierung gleich gut ist. Die %.bür-
gerliche Verfaßung hat zweyerley Verhältniße eine inner-
liche %und äußerliche. Als erstere heißt sie ein gemeines
Wesen, als leztere ein Staat. Macht bedeutet ein Staat
im %.«G»Äußerlichen Verhältniß, so fern er kraft hat sich vor an-
deren zu erhalten. Der Staat muß auch eine Macht seyn.
Das Elend kommt her weil sich einer vor dem anderen fürchten
muß, %und daher ein Krieges_heer halten muß. Hieraus
entspringt ein Druck, in der inneren Verfaßung, dadurch
wird Cultur %und Wißenschaft, Erziehung %und Religion zu-
rückgesezt. Das allgemeine Wohl scheint von Erziehung
abzuhängen, in den begriffen derselben, aber nicht in
den mitteln die den Fürsten geben sollen. So lange die
Staaten nicht ein ganzes ausmachen, kan die Erziehung
nicht vollkommen werden. Der Krieg richtet die Cultur
zu grunde«n» %und jeder Fürst muß sein Vermögen anwen-
den seine Krieges_Macht zu erhalten. Der Fortschritt
zur bestimmung erfordert also 1.) eine Vollkommene
%.bürgerliche Verfaßung 2.) der lezte Anker woran alles

/ heil

/|P_229

/des Menschen hängt, ist daß ein mahl ein Volker_recht er-
dacht würde in summa des allgemeinen Friedens. Dieser wird
auch einstens Zustande kommen, %und die Fürsten werden durch Rath
dazu getrieben werden, daß jenige durch Process auszumachen
was sie jetzt durch Gewalt thun - Der Wilde wird auch
durch Noth in %.bürgerliche Zustande gebracht. Eine annährung
zur bürgerlichen Freyheit, ist jezt doch in Europa schon.
Die Staaten in Europa haben schon gewißermaßen tacite
einen bund geschloßen %und dörfte er nur %.öffentlich decrivirt
werden, dann dörfte sich der Staat nur einige Mann-
schaft halten, um innerliche Ruhe zu erhalten, %und dann
würden auch Künste %und Wißenschaften emporsteigen.

/ -------------------------------------------- 

/δ_Rest_leer

/|P_230

/δ_leer

/|P_231

/δ_Spalte_1

/{2- a, Anthropologie kommt aus dem Grichschen von $andropos$ d.h.
Mensch %und $logos$ d.h. die Lehre, her.

/b, Illusion heißt Betrug vom lateinschen Wort illudere, betrügen.

/c, Das Wort Metaphysick kommt von denen beyden Grichischen Wörtern
her %nehmlich $meta$ d.h. über und $phisike$ d.h. Naturlehre

/d, Empyrisch heißt was auf Erfahrung sich gründet.

/e, Psychologie. Komt aus der Grichschen Sprache von $psyche$ d.h. die
Seele %und $logos$ d.h. die Lehre - also Seelenlehre.

/@f,@ disciplin heißt hier Wissenschaft %und aus de«m»r lateinschen Sprache von
disciplina her.

/@g,@ Disposition, kommt her von lateinschen Wort disponere zerlegen, zerglie-
dern, ordnen, %und heißt hier Zergliederung, Ordnung

/@h,@ Reflectionen, Aus dem Lateinschen von Reflectere zurückbiegen hier heißt
es Lücke

/@i,@ Pathologie aus dem Grichschen von $Pathos$ d.h. Gemüthsbewegung %und
$logos$ d.h. die Lehre.

/@k,@ Methode aus dem Grichschen von $methodos$ d.h. Lehrart oder die Art zu
lehren.

/@l,@ Fundament aus dem lateinschen von fundamentum der Grund, die
Grundveste.

/@m,@ Organon aus dem Grichschen von $organon$ %und heißt %eigentlich Werckzeug oder
ein Instrument.

/@n,@ Empirisch komt aus dem Grichschen vom $empeir«a»ia$ d.h. die Erfahrung

/das übrige ist %.littera d. angeführt.

/@o,@ Action. Komt vom Grischen Wort $ago$ %und hernach vom lateinschen ago
agere, handeln, thun her %und heißt Thätigkeit, Handlung.

/@p,@ Carricatur, heißt hier in einander geworfen, oder vermischte Züge
%und Caractere,

/@q,@ Theologie ist Grischen Ursprungs von $theos$ Gott %und $logos$ die Lehre %und heißt
die Lehre die von Gott handelt. Hier heißt Theologie die wissenschaftliche,
oder die gelehrte Kentniß von den Dingen, die zur Religion gehören %und
Religion, die gemeine (populaere) Kentniß. Theologie enthält Reli-
gion aber nicht Religion Theologie. Theologie muß der Gelehrte
haben aber Religion jedermann.

/@r,@ Populair kommt her vomn lateinschen Wort populus d.h. das Volck %und dieses
kommt her vom Grichschen, $Polis$ d.h. viel, durch Verdoppelung der ersten
Silbe $po$-Populair heißt also gemeinnützig.

/@s,@ Substans komt aus dem lateinschen von substantia %und dies von substando her
%und heißt ¿ ein beständiges Ding, das wesen eines Dings %und so viel als Materie
z.B. die Materie eines Dinges.

/@t,@ Egoist kommt vom Grischen Wort $ego$ d.h. ich, her

/@u,@ Speculativ «¿¿»ist %eigentlich %.lateinischen Ursprungs von Speculari d.h. über etwas
emsig oder fleißig nachdenken, etwas genau besehen pp

/@v,@ hypochondrie ist Grischen Ursprungs.

/@w,@ Paradoxan, ist Grichschen Ursprungs, von $paradoxos$ d.h. uner-
hört, seltsam, wieder alle Meynung %und Erwartung. Paradoxa
enthalten gewöhnlich Scheinwiedersprüche.

/@x,@ Passive d.h. das Leidende, dabey man gar nicht thätig ist %und
kommt vom lateinschen Wort pati d.h. leiden, her.

/@y,@ Spontan«i»eitaet kommt vom lateinschen Wort Spontaneus d.h.
selbstwillig, freywillig

/@z,@ Receptivitaet komt aus dem lateinschen von Recipere d.
h. aufnehmen, «herr» empfangen, her daher heißt receptiuitaet
die Empfänglichkeit

/@1@ Penalismus kommt vom lateinschen Wort Penales her mit wel-
chem Nahmen vor Zeiten die jungen Studenten @belegt wurden.\beygelegt wurde.@

//δ_Spalte_2

/2.Atten«ta»tion, komt vom lateinschen Wort Attentus aufmerksam, her
%und heißt also Aufmercksamkeit

/3 Abstraction komt gleichfalls aus dem lateinschen her von abstrahere
abziehen, her %und ist das Gegentheil von Aufmercksamkeit.

/4 Perceptio komt vom lateinschen Wort percipere d.h. fassen, ver-
stehen, sich etwas vorstellen - her, daher perceptio die Vorstel-
lung.

/5 Complexas ist lateinschen Ursprungs, von Complectere d.h. be-
greifen, fassen, umfassen, daher perceptio complexa eine
Vorstellung die vieles umfasst oder Hauptvorstellung.

/6 Adhaerentes vom lateinschen Wort adhaerere d.h. anhangen
ankleben, daher perceptio adhaeren«ti»s Nebenvorstellung - 

/7, Advocat komt aus dem leteinschen vom advocare her d.h. «¿»Herzu
rufen, zusammenrufen, zu Hülfe nehmen, daher Advocatio, Bey-
stand, Fürsprechung %und Advocat heißt derjenige der eine fremde
Sache vertheidigt, dem Fremden beysteht %und ihm Recht verschaft. -2}

/δ_Rest_leer

/δ_Ende_des_Kollegheftes